Ehrfurcht vor dem Leben - Albert Schweitzer Sein Werk und Gedankengut
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Nr. 130 Oktober 2020 Ehrfurcht vor dem Leben – Albert Schweitzer Sein Werk und Gedankengut Herausgegeben vom Albert-Schweitzer-Werk MIT NEUEM NAMEN INS 71. VEREINSJAHR UND IN DIE ZUKUNFT 7 CORONA IST ÜBERALL … 8 CORONA – AUSDRUCK EINER ÖKOLOGISCHEN VERBUNDKRISE? 14 TIENNE, GESUNDHEITSZENTRUM DES ALBERT-SCHWEITZER-SPITALS HAITI (HAS) 26 ROBERT POTEAU, 31.10.1925 –1.5.2020 30
Willkommen im erneuerten und erweiterten Albert- Schweitzer–Museum Im neuen Museum beim Albert-Schweitzer-Haus tauchen Sie in stilvoll eingerichteten Räumen in die unvergleichliche Erlebniswelt Albert Schweitzers ein, begleiten ihn in den Dschungel von Lambarene und auf seinen Reisen, um dann Einkehr in seinen vier Wänden zu finden. Nirgendwo sind Sie dieser Jahrhundert-Persönlichkeit näher als hier in Günsbach, in seinem Heim. Öffnungszeiten und weitere Informationen: www.schweitzer.org Nach dem Museumsbesuch oder auch für erholsame Ferientage im Elsass begrüssen wir Sie gerne im «Alten Pfarrhaus», in dem Albert Schweitzer einen Teil seiner Jugend verbrachte. 10 heimelige Zimmer, alle mit Dusche, WC und WLAN ausgerüstet. Zimmerpreise, Reservationen und Informationen: www.presbytere.schweitzer.org
Editorial «Si la santé ne te quitte pas!» werde ich wohl nie vergessen. Geplant war Diese Aussage hat für mich seit dem 16. März eine Bootsfahrt auf Nebenflüssen des Ogo- 2020, dem Lockdown zu Beginn der Corona- wes, durch die Wildnis und Schönheit des Pandemie, eine noch tiefere Bedeutung! Urwalds (siehe Umschlagbild). Keine Karte mit Routenmarkierungen, keine genaue 2009 – meine erste Reise nach Lambarene Zeitvorgabe, mitten in der Trockenzeit und Ich hatte ein Mandat zur Vorbereitung der unwissend, ob in den Seitengewässern noch 100-Jahr-Feier des Spitals in Lambarene im überall genügend Wasser sei oder ob wir Jahr 2013. Mir wurde damals die Bedeutung unsere Piroge ab und zu gar noch tragen der Beziehung Albert Schweitzers zu unse- müssten. Eine abenteuerliche Reise voller rem Land und die grosse gegenseitige Ach- Unbekannten stand bevor. Vertrauen in den tung bewusst. Der Satz Schweitzers in seinem Führer der Piroge war das Ausschlaggeben- Brief vom 29. April 1939 an die treue Unter- de, um am Abend an der Landebrücke unten stützerin Anna Joss aus Kröschenbrunnen am Spital wieder heil anzukommen. Es war keine bequeme Fahrt. Bei tropi- «Was würde mein Spital, wenn ich nicht scher Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit unter auf die Hilfe aus der Schweiz zählen der brennenden Äquatorsonne vier Stunden könnte!» auf dem Boden der Piroge sitzen zu müssen, sich kaum bewegen zu können und die Hän- unterstreicht diese enge gegenseitige Verbin- de nicht ins Wasser halten zu dürfen waren dung auf eindrückliche Art. Begleitumstände, die ich so noch nie erlebt Ausgerüstet mit einem umfangreichen hatte. Doch ohne viel zu sprechen, immer Katalog von Fragen, mit Fotoapparat und ruhig rudernd, fand unser Bootsführer den grossem Wissenshunger verbrachte ich sicheren Weg durch das Niemandsland und knapp zehn Tage in Lambarene. Ich wollte wir kamen gut und unversehrt zurück. Ich mir ein umfassendes Bild vor Ort machen. All hatte Zeit: Zeit zum Staunen, zum Beobach- die Eindrücke am «Tatort», die historischen, ten, zum Nachdenken. Meinem Notizheft medizinischen, klimatischen, aber auch die vertraute ich all diese Impressionen an, mei- menschlichen Begegnungen waren äusserst ner Kamera viele hundert Sujets! bedeutsam, um meine Planungsarbeiten Und dann, beim Verlassen des Boots, für das vier Jahre vor mir liegende Jubiläum beim Danken für die sichere Fahrt schaute im Jahr 2013 optimal gestalten zu können. mich der Bootsfahrer an und fragte mich: So planen wir in der Schweiz. Wir sind uns «Was machst du eigentlich hier in Lamba- gewohnt, weit in die Zukunft zu blicken, um rene? Warum so viele Notizen und Fotos?» grosse Anlässe vorzubereiten. Getreu meinem schweizerischen Denken und Handeln erklärte ich ihm meinen Auf- Warum so viele Notizen und Fotos? trag. Planen, vorbereiten und realisieren Einen ganz besonderen Moment während der Jubiläums-Feierlichkeiten «100 Jahre Ur- meines ersten Aufenthalts in Lambarene wald-Spital-Lambarene» im Jahre 2013 in der 3
Schweiz. – Mein Vis-à-Vis machte nicht den (jedenfalls bis zum Redaktionsschluss). Anschein, meine Erklärungen verstanden Ungewöhnlich auch, weil mit dem Virus of- zu haben; es war ja erst das Jahr 2009! Auch fenbar andere anstecken kann, wer selbst mein Versuch, meinen Planungsauftrag gar keine Krankheits-Symptome aufweist. in kleineren Zeitabschnitten zu erklären, Unheimlich! schlug fehl. Mein Gesprächspartner schaute mir tief in die Augen und sagte bloss: «Bleiben Sie zuhause» – «Sie sind mit Abstand die besten Bürgerinnen «Si la santé ne te quitte pas!» und Bürger!» Wir haben uns dann noch längere Zeit unter- Vorgesehene Anlässe und Termine im fami- halten. Ich habe dabei erstmals festgestellt, liären Umfeld, im kulturellen, sportlichen, dass sich da zwei ganz verschiedene Kultu- gesellschaftlichen, politischen und vor al- ren, zwei ganz unterschiedliche Denkarten lem auch im beruflichen Bereich wurden fundamental gegenüberstanden. Kulturen, von einem Tag auf den anderen storniert, die den Zeitbegriff auf ihre Art sehr unter- verschoben oder neu definiert. Unabhängig, schiedlich interpretieren. Seine kurze und wie lange die Planungsarbeiten schon an- bündige Reaktion löste damals und löst auch dauerten; unabhängig, welche Kostenfolgen heute noch viele Gedanken und Assoziatio- damit verbunden waren. Unvorstellbares nen bei mir aus. Vieles, ja fast alles ist plan- wurde plötzlich Realität. Sogar Kirchen wur- bar, so denken wir. Solange «man» bei guter den geschlossen, Gottesdienste plötzlich nur Gesundheit ist. Wie wahr! noch per Videoübertragung durchgeführt. Je länger ich über die Aussage meines Spitäler und damit all die Mitarbeitenden im afrikanischen Partners nachdenke, je mehr Gesundheitswesen wurden zu den zentralen wird mir bewusst, dass er Gesundheit nicht Figuren der neuen Pandemie; alle Hoffnun- ausschliesslich im medizinischen, sondern gen richteten sich auf die guten Geister in auch im mentalen, im wirtschaftlichen und Weiss. «Si la senté ne te quitte pas!» gesellschaftlichen Sinn gemeint hat. «Leben inmitten von Leben, das leben will ...» Mit Abstand am besten … Solidarität und Eigenverantwortung wurden Seine Gedanken haben seit Beginn dieses und sind zentrale Begriffe, um das Unge- Jahres und insbesondere seit dem Lockdown wohnte möglichst gut bewältigen zu können. vom 16. März 2020 ein ganz neue Bedeutung Für mich wurde in diesem Zusammenhang erhalten. Für uns alle! Seit ein unsichtbares die Aussage Albert Schweitzers, die er zur Virus innert kürzester Zeit die Welt in Atem Umschreibung seiner Ethik der Ehrfurcht vor hält. Die Covid-19- bzw. Corona-Pandemie dem Leben formulierte, noch bedeutungs- beherrscht und bestimmt das Weltgesche- voller: «Ich bin Leben, das leben will, inmit- hen. Unsichtbar, ungreifbar, unbesiegbar ten von Leben das leben will!» 4
Respekt, Eigenverantwortung, nicht nur für tancing» gesprochen. Dabei ging und geht mich, sondern auch für mein Umfeld. Du es doch vielmehr um «Physical distancing» bist mein Umfeld – ich bin Dein Umfeld. und «Social closeness» oder «Social near- Also übernehme ich Verantwortung für Dich ness», also um das Bestreben, soziale Nähe – und Du für mich! In diesem Zusammen- und Vertrautheit trotz oder gerade wegen der hang sind wohl allen Leserinnen und Lesern gebotenen körperlichen Distanz zu pflegen. mittlerweile zwei Aussagen bzw. Begriffe aus Auch in diesem Bereich erkenne ich viele der C-19-Zeit bestens bekannt: Parallelen zum Leben und Wirken von Albert Schweitzer. Ihm war, trotz 6000 Kilometer «Bleiben Sie zu Hause» und Distanz zwischen seiner afrikanischen und «Social distancing» seiner europäischen Heimat, sehr wichtig, dass er mit seinen Spenderinnen und Spen- Diese Worte wurden erstmals von niemand dern, Helferinnen und Helfern persönlichen geringerem als von unserer Bundespräsiden- Kontakt pflegen konnte. Seine mehrere Tau- tin Simonetta Sommaruga (siehe Seite 28) send handgeschriebenen Briefe, die heute im ausgesprochen. Gleichzeitig verbreitete sich Museum in Günsbach im Archiv aufbewahrt über die ganze Welt aber auch ein Unwort, werden, bezeugen dies eindrücklich. Auch das sich leider nicht mehr korrigieren lässt, die eingangs aufgeführte Verbindung zur die dramatische Lage der Corona-Pandemie Schweiz lässt sich belegen. An 78 Orten quer meiner Meinung nach jedoch völlig falsch durch die Schweiz war er mit insgesamt 130 umschreibt: Überall wird von «Social dis- Vorträgen, Orgelkonzerten oder Predigten 5
Albert Schweitzer besucht am 21. September 1957 Gritli Hänni in Toffen präsent und pflegte so menschliche Nähe. Wir haben jedenfalls Grund genug, dank- Übernächstes Jahr, 2022, werden es 100 Jahre bar zu sein. Wir konnten Ende Jahr unsere her sein, seit Schweitzer 1922 die grösste Prä- vier Konzerte zum Anlass «70 Jahre SHV» senz in Schweizer Gemeinden aufwies Dazu noch ohne Corona-Auflagen durchführen möchten wir im Jahr 2022 unter dem Motto (siehe Berichte Frühjahr 1/20) und wir durf- der «Ehrfurcht vor dem Leben» schweizweit ten die 6. Grimmialp-Tage vom 12. bis 15. Juni verschiedene Veranstaltungen durchführen. 2020 – mit geringen Einschränkungen zwar – Kirchgemeinden, Kulturorganisationen, aber fast wie geplant durchführen (siehe Seite 10). auch Private können uns gerne Vorschläge un- Dies ist alles andere als selbstverständlich. terbreiten (praesident@albert-schweitzer.ch). Zudem durften und dürfen wir auf die grosse finanzielle Unterstützung von Ihnen, «Danken ist mir eine ernste Sache» werte Spenderinnen und Spender, zählen. Auch mit dieser Aussage hat uns Schweitzer Dies erst ermöglicht uns, unsere Projekte wei- einen zeitlosen Gedanken hinterlassen. Dan- terhin zu unterstützen, auch nach 70 Jahren ken, Applaudieren am offenen Fenster, auf Vereinstätigkeit, und dies neu unter dem neu- dem Balkon, auf der Strasse und an vielen en Vereinsnamen. Unsere Beweggründe dazu anderen Orten für Menschen, die in perma- lesen Sie auf der gegenüberliegenden Seite. nenter Verantwortung standen und stehen, wurde zu einem zentralen Moment in der un- Herzlichen Dank und bleiben Sie gesund. gewissen C-19-Zeit. Ich wünsche und hoffe, dass das Danken auch ernst gemeint ist. Sich Fritz von Gunten besinnen auf das Wesentliche und nicht auf Präsident Albert-Schweitzer-Werk das Wünschbare sollte die Zukunft prägen. 6
Mit neuem Namen ins 71. Vereinsjahr und in die Zukunft Fritz von Gunten, Präsident SHV Über die Neuausrichtung unserer Tätigkeit haben Da wir uns zudem schon längere Zeit nicht mehr wir in den letzten Ausgaben der Berichte immer ausschliesslich für das Spital in Lambarene, son- wieder orientiert. So auch über die Übertragung dern für das Gesamtwerk von Albert Schweitzer der Leitung der Spitalstiftung an unsere Partner engagieren, galt es auch, den Namen unseres im Gabun und die Gründung des europäischen Vereins zu überdenken. Die Wahl ist auf «Albert- Koordinationsgremiums zu Gunsten des Albert Schweitzer-Werk» mit dem Zusatz im Logo «Ehr- Schweitzer-Spitals in Lambarene (HAS) am 10. Mai frucht vor dem Leben» gefallen. 2019. Wir unterstützen die Arbeit des HAS nicht mehr personell, jedoch weiterhin projektorientiert Wir sind überzeugt, dass diese Version die verschie- und dies in enger Zusammenarbeit mit den übri- denen Aspekte seines Lebenswerks, das ja auch mit gen Europäischen Hilfsvereinen. (siehe Seite 8) dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, prä- gnant und umfassend umschreibt; nämlich: Über unser neues Engagement in Haiti finden Sie Informationen auf Seite 26 und über die Unter- • sein medizinisches Werk als Arzt in Lambarene stützung der Albert-Schweitzer-Schule in Kenia • sein Bau-Werk des Spitaldorfs in Lambarene auf Seite 24. Diese neuen Einsatzfelder bedingen, • sein Werk als Organist und Bach-Kenner dass auch die Beitragspolitik den aktuellen Ge- • sein geistiges Werk als Theologe, Schriftsteller gebenheiten angepasst wird. Eine Arbeitsgruppe und Philosoph unter Leitung von Dr. Jürg Bärtschi hat für unseren • sein Werk für den Frieden und seine Kritik Verein ein neues «Reglement für die Unterstüt- gegen die Atomrüstung zung von Förderprojekten» erarbeitet, das uns • sein Flair für persönliche Kommunikation und ermöglicht, weltweit Projekte zu unterstützen, die den Aufbau und die Pflege eines internatio- sich der Gesundheit von Menschen widmen oder nalen Netzwerks zur Unterstützung «seines» dem geistigen Werk von Albert Schweitzers «Ehr- Lambarene. furcht vor dem Leben» entsprechen. So werden wir in Zukunft im Sinne Albert Schweitzers immer wie- Mit dem Zusatz «Ehrfurcht vor dem Leben» im der neue Vorhaben unterstützen, ohne Lambarene Logo wird uns seine Ethik als zeitlose Botschaft zu vergessen. auch visuell in die Zukunft begleiten. 7
Corona ist überall … Fritz von Gunten sichtbare Virus im 6000 Kilo- meter entfernten Lambarene von Europa aus führen zu wol- len, ist und bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Es gelingt uns ja selbst hier vor Ort nicht wie gewünscht – noch nicht. Fachpersonal vor Ort Umso wichtiger wird für die künftige Zusammenarbeit sein, dass geeignete Projekte Wie ein roter Faden dringt das Thema durch im Umfeld des Albert-Schweitzer-Spitals in die vorliegende Ausgabe unserer Berichte. Lambarene erarbeitet werden, die wir mit Corona hat auch unsere Tätigkeit im ersten unseren personellen und finanziellen Mit- Halbjahr 2020 geprägt. Zum einen konnten teln begleiten und unterstützen können. wir unsere Aufbauarbeit im neu gebildeten Corona-bedingt – einmal mehr – waren die «CC-HAS – Comité de Coordination» nicht Möglichkeiten hierzu noch sehr beschränkt. wie geplant weiterführen. Zum anderen er- Dies insbesondere, weil der Präsident des hielten wir immer wieder auch Nachrichten CC-HAS, Dr. Michel Schmitt, im Albert- aus Lambarene, dass die C-19-Pandemie Schweitzer-Spital in Colmar selbst in einem auch vor dem entlegenen Ort im Urwald Hotspot der Pandemie-Ausbreitung «ein- nicht Halt gemacht hat. geschlossen» war und als Mediziner rund Unsere Unterstützung war vor allem auf um die Uhr im Einsatz stand. Erst Ende Juli Aufklärungs- und Präventionsarbeit mit Ju- konnten wir uns im Europäischen Verbund gendlichen ausgerichtet. Die nachfolgenden zu einer Sitzung treffen. Dr. Daniel Stoffel Bilder aus der Arbeit im Atelier Culturel, das (FISL-Präsident 2013 – 2019) begleitet in der Schweizer Hilfsverein seit 1999 betreibt Zusammenarbeit mit zwei ausgewiesenen und unterstützt, zeigen auf, mit was für ru- Technikern unser Programm für den Unter- dimentär-einfachen Mitteln Corona-Schutz- halt der technischen Anlagen im Spital und masken hergestellt werden. Wichtiger als den zugehörigen Gebäuden, aber vor allem der eigentliche Schutz war und ist wohl: das auch die Aus- und Weiterbildung von ent- Bewusstsein für notwendige Vorsichtsmass- sprechendem Personal in Lambarene. Wann nahmen zu stärken. Die Corona-Pandemie ein nächster Einsatz vor Ort stattfindet, kann zeigt aber auch unmissverständlich auf, dass bei Redaktionsschluss Mitte August 2020 der Entscheid der Europäischen Hilfsvereine noch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. vom Mai 2019, die Spitalverantwortung an Umso dringender ist, dass die Eigenständig- die Gabunischen Verantwortlichen zu über- keit des Spitalbetriebs mit Fachpersonal vor tragen, richtig war. Den Kampf gegen das un- Ort sichergestellt werden kann. 8
Ehrfurcht vor dem Leben – Einfachheit, Natürlichkeit, Herzlichkeit und Fröhlichkeit 6. Grimmialp-Tage – 12.–14. Juni 2020 Zum gewählten Motto der 6. Grimmialp-Tage Der Lambarene-Geist konnten wir vor allem noch eines anfügen: Prof. Dr. Hubert Steinke Das Albert-Schweitzer-Spital war zu Schweit- Dankbarkeit! In stetem Kontakt mit dem Grimmi- zers Lebenszeit in Vielem anderen Missions- alp-Team von Ueli Pfister und Hansruedi Zumbach, und Kolonial-Spitälern ähnlich: es stand un- aber auch mit der Kirchgemeinde Diemtigen wurde ter westlicher Leitung und lieferte westliche unsere Hoffnung, die traditionellen Grimmialp-Ta- Medizin, v. a. Chirurgie und medikamentöse ge 2020 durchführen zu können, nicht enttäuscht. Therapie. Und es gab eine relativ klare Segre- Nachdem der Bundesrat Ende Mai / Anfang Juni gation zwischen westlichem Personal und erste Lockerungsmassnahmen in der Corona- afrikanischen Patienten, welche mit ihren Pandemie angekündigt hatte, konnten wir diesen Verwandten im Spital lebten und kochten. Anlass zu unserer Erleichterung und zur grossen Und dennoch war für das weisse Personal Freude der Teilnehmenden mit Respekt und den klar, dass Lambarene ein besonderer Ort war notwendigen Abstandsregeln durchführen. Dafür (was die Afrikaner darüber dachten, wissen sind wir äusserst dankbar. wir kaum). Was das Besondere des Spitals ausmachte, ist nicht ganz einfach zu fassen. Der Film «The biggest little farm» am Freitagabend Zentral war sicher, dass es eben weder ein passte ausgezeichnet zum Thema der «Ehrfurcht Missions- noch ein Kolonialspital war, dass vor dem Leben» und gab viel Diskussionsstoff für entsprechend nicht aktiv missioniert wurde Tatendrang und unerschöpflichen Optimismus in und sich die Patienten sicher vor staatlicher schwierigsten Situationen. Höhepunkt war das Überwachung fühlten. Noch entscheidender Referat von Prof. Dr. Hubert Steinke, Direktor des aber war wohl das, was Schweitzer mehrfach Instituts für Medizingeschichte der Uni Bern, am als den «Lambarene-Geist» bezeichnete. Samstag Vormittag: «Der Lambarene-Geist: Medi- Der Begriff wird nirgends genau erklärt; zin und Alltag im Albert-Schweitzer-Spital». Der was damit gemeint ist, lässt sich am besten Referent präsentierte Fakten und Erkenntnisse aus aus Schweitzers Anforderungen an das Per- dem National-Fonds-Forschungsprojekt der Uni sonal erschliessen. Begriffe, die er dabei ver- Bern, das mit Unterstützung des SHV kurz vor dem wendete, sind «natürlich», «nicht kompli- Abschluss steht. Für 2020 ist die Publikation eines ziert», «tüchtig», «lieb», «warm», «fröhlich», Buchs in deutscher Sprache vorgesehen. «humorvoll», «bescheiden». Fast wichtiger als die fachlichen waren diese menschli- chen Qualifikationen. So schrieb er etwa am 28.10.1938 an Emmy Martin: «Findet noch jemand Tüchtiges für die Küche, dann ihn schicken. Aber nicht hasten. Und ja niemand nehmen, nur um jemand zu senden. Lieber 10
Prof. Dr. Hubert Steinke, Dr. Hines Mabika, Dr. Tizian Zumthurn Zuhören mit Abstand niemand als jemand, der nicht passt.» Oder barene-Geist angeht, wird er nicht ganz à la über ein Jahrzehnt später meldete er dem hauteur sein» (an Emmy Martin, 31.10.1931). Arzt Emery Percy: «Ich brauche natürliche Dabei war klar, dass es der «Geist» ohne Menschen. Nur solche passen in den Betrieb Schweitzers Anwesenheit schwer hatte, zu nach Lambarene. Die Complizierten können bestehen: «Aber es wird doch ein schönes ihm gefährlich werden» (13.11.1952). Dass Pfingsten, weil ein guter Geist herrscht. es nicht um Fachliches ging, macht auch Endlich habe ich die Sache wieder fest in der folgende Stelle deutlich: «Medicinisch wird Hand. Es ist geradezu unheimlich, wie alles v. d. Elst die Sache gut führen. Was den Lam- auseinander geht, wenn ich nicht hier bin» 11
(an Emmy Martin, Samstag vor Pfingsten auch in Schweitzers öffentlichem Auftreten 1939). und Schreiben. Dies entsprach sicher sei- Diese Vorstellung einer bestimmten nem inneren Bedürfnis und Naturell; er war Atmosphäre, die es anzustreben galt, war sich aber auch bewusst, dass nicht zuletzt stark mit der Frühzeit des noch kleineren, darin das Geheimnis seines grossen Erfolgs persönlicheren Spitals verbunden. Victor lag. Zum Film von Erica Anderson schrieb Nessmann, dem ersten seiner Ärzte, schrieb er: «Der Film soll ganz schlicht sein. Und er 1940: «Hélas, l’hôpital n’est plus gemüt- dass ich die Begleitworte spreche in ganz lich comme avant. C’est devenu trop grand, schlichter Weise, kommt dem Film auch zu trop organisé». Diese Tradition der Ein- gute. ... Durch seine Einfachheit macht er fachheit, Persönlichkeit und Natürlichkeit Eindruck» (an Emmy Martin, 1.3.1957). versuchte er zu bewahren: «Ja, du weißt, (Das Referat mit diversen Fotos kann auf was Tradition ist und du hältst dich an sie! www.albert-schweitzer.ch eingesehen wer- Wenn nur alle meine Mitarbeiter in Lamba- den.) rene so den Geist der Tradition hätten, dann könnte ich ruhig auf die Zeit ausschauen, wo Mit Abstand am besten! das Spital einmal laufen muss ohne mich» Der Samstag-Nachmittag und der Sonntag stan- (an Elisa Stalder, 23.3.1951). Das Festhalten den einerseits zur Verfügung für individuelles an der Tradition bedeutete, dass auch die Wandern bzw. für den mittlerweile traditionellen Medizin möglichst einfach gehalten wer- Rundgang auf dem Albert-Schweitzer-Weg, der den sollte. Dr. Percy war sich dessen wohl seit Frühjahr 2020 mit der Albert-Schweitzer-App bewusst, als er versuchte, Schweitzer von auch digital erwandert werden kann. der Notwendigkeit eines Röntgenapparats Corona-bedingt konnte der sonntägliche Gottes- zu überzeugen. Geschickt argumentierte er, dienst in der schmucken kleinen Kapelle neben dass er bei seinen Abklärungen «darauf be- dem Kurhaus aber leider noch nicht gemeinsam sonders Wert legte, die technisch einfachste mit der Talbevölkerung gefeiert werden. Dank Lösung zu finden» (an Schweitzer, 15.11.1953). ihrem spontanen Entgegenkommen konnten wir Schweitzers Zurückhaltung bei technischen uns mit Pfarrerin Petra Freyer im Kurhaus Grim- Geräten ist nicht mit einem grundsätzlichen mialp zu einer schlichten Andacht treffen und so Anti-Modernismus zu verwechseln. Bei der unserer Dankbarkeit Ausdruck verleihen. medikamentösen Therapie berücksichtigte er die neusten Erkenntnisse und Verfahren. Diese bedrohten aber auch das Ideal einer Hoffen wir, dass die Grimmialp-Tage vom 11. bis einfachen medizinischen Struktur und Pati- 13. Juni 2021 unter weniger Einschränkungen entenbetreuung nicht, technische Installati- wieder «normal» stattfinden können. onen hingegen schon. Programmhinweise ab Dezember 2020 auf Der Lambarene-Geist der Einfachheit www.albert-schweitzer.ch und Natürlichkeit zeigte sich schliesslich 12
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Corona – Ausdruck einer ökologischen Verbundkrise? Prof. Heinz Wanner Heinz Wanner war von 1988 bis 2010 Professor an Die industrielle Revolution, verbunden der Universität Bern sowie Gründungspräsident mit der Nutzung fossiler Brennstoffe, hat des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der in den letzten Jahrzehnten zu Problemen Berner Universität. Er leitete von 2001 bis 2007 der Luftverschmutzung und zum aktuellen den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Klima» Klimawandel mit Begleiterscheinungen wie der Schweiz, war Co-Vorsitzender des internati- Erwärmung, Wasserverknappung und Wald- onalen Past Global Changes-Programms (PAGES) bränden beigetragen. Durch die zunehmende und bis 2015 Mitglied des UNO-Klimarats IPCC. Überbevölkerung hat sich die Belastung des globalen Ökosystems zusätzlich akzentuiert. Die Corona-Pandemie kann auch als Folge- Hinzu kommt das unkontrollierte Anwach- wirkung der vielfältigen ökologischen Ver- sen der Stoffkreisläufe in Wasser und Boden änderungen unserer Umwelt angesehen mit Pestiziden und Plastikrückständen. Um werden. Klimawandel, Luft- und Gewässer- die Versorgung der stark wachsenden Bevöl- verschmutzung, Monokulturen, zunehmen- kerung sicherzustellen, werden immer mehr de Bevölkerungsdichte und die enge Käfig- Monokulturen mit steigendem Düngerein- haltung von Tieren schaffen ein Umfeld, satz angebaut, was zu immer einseitigeren das die Entwicklung von Mikroben aller Art Anbaustrukturen führt. Damit verbunden ist begünstigt. eine Abnahme der Biodiversität, welche wie- Beim komplexen Zusammenwirken von derum die Pufferkapazität bei Belastungen negativen politischen, militärischen und und Erkrankungen vermindern dürfte. wirtschaftlichen Ereignissen wird oft von Auf den Märkten vieler grosser Metropo- einer Verbundkrise gesprochen. Verbundkri- litanregionen mit extremen Bevölkerungs- sen haben die Eigenschaft, dass sich diese dichten wird eine breite Palette von Tierarten negativen Faktoren kumulieren, zu nichtli- feilgeboten. Diese Tiere werden unter höchst nearen Folgewirkungen führen und bezogen problematischen hygienischen Verhältnis- auf Massnahmen und Prognosen nur schwer sen in engen Käfigen gehalten und damit zu meistern sind. Angesichts der Komple- einem gewaltigen Stress ausgesetzt. Auch xität der gegenwärtigen Coronakrise kann wenn die Mechanismen schwer zu ergrün- die Frage gestellt werden, ob es sich dabei den sind, muss davon ausgegangen werden, um eine ökologisch gelagerte Verbundkrise dass ein solches Umfeld äusserst günstige handelt. Dabei könnte die momentane virale Voraussetzungen für die Entwicklung von Pandemie als ein «End-of-Pipe-Phänomen» Mikroben aller Art schafft. Wenn Viren dann aufgefasst werden, das als Folgewirkung in äusserst dicht besiedelten Gebieten mu- einer komplexen Wirkungskette aufgetreten tieren und auf den Menschen überspringen, ist, welche die Entwicklung und Verbreitung schafft die gewaltige Mobilität der Gegen- von Mikroben aller Art stark begünstigt. wart günstigste Voraussetzungen für deren 14
rasche und effiziente Verbreitung. Parties, Fussballspiele, Konzerte und Ansammlungen in grossen Restau- rants sorgen dann für eine optimale Streuung der Viren. Der beobachtete Mechanismus der Coronakrise in dieser Form ist nicht völlig neu; so bieten unter anderem die frühen Pestepidemien besten Anschauungsunterricht, auch wenn die Eigenschaften der dama- ligen Erreger nicht in allen Details bekannt sind. Die Pandemie der Justinianischen Pest brach zur Zeit des oströmischen Kaisers Justinian (527 – 565) aus und verbreitete sich in der Folge in Vorderasien, im gesamten einem Grosseinsatz zur Entwicklung von Ab- Mittelmeerraum sowie in Nord- und Nord- wehrmassnahmen aller Art. Die chemische westeuropa. Die als Schwarzer Tod bezeich- Industrie ist aufgerufen, diese Einsätze auch nete gewaltige Pandemie, welche in Europa mit eigenen Ressourcen zu unterstützen. zwischen 1346 und 1353 wahrscheinlich etwa Gleichzeitig müssen die Entscheidungsgre- 25 Millionen Todesopfer forderte, trat eben- mien in Politik und Wirtschaft hinterfragen, falls zuerst in Zentralasien (China?) auf und ob die bisher getroffenen Massnahmen aus- verbreitete sich wahrscheinlich über Ratten- reichen und auch in Zukunft geeignet sind, flöhe via Seidenstrasse und Schiffsverkehr einer derartigen Pandemie zu begegnen. Da- über ganz Europa. Bekannt ist die Tatsache, bei müsste zusätzlich die Frage gestellt wer- dass die Mongolen bei ihrer Belagerung der den, ob die Corona-Epidemie als eine Folge- genuesischen Hafenstadt Kaffa auf der Krim wirkung einer ökologischen Verbundkrise Pestleichen über die Stadtmauer katapultier- betrachtet werden muss. Wird diese Frage ten, wodurch sich dann die Seuche ausbrei- mit ja beantwortet, werden noch viel grösse- ten und nach Europa verschleppt werden re Anstrengungen zur Behebung derselben konnte. notwendig sein als jene, die wir zur Behe- Die in grosser Zahl angelaufenen medi- bung der Coronakrise zurzeit aufwenden. zinischen Studien werden sich intensiv mit einer genauen Analyse der modernen Coro- na-Pandemie befassen, dies verbunden mit 15
Witz und Humor bei Albert Schweitzer Fritz von Gunten «Ja, sie heisst Krise …» den Mitarbeitenden zu erhalten war für ihn, Witz, Humor und Albert Schweitzer – wie den Fremden, den Weissen oft eine schier un- passt das zusammen? Sehr gut sogar, wie mögliche Herausforderung. Das Aufkommen aus vielen Dokumenten hervorgeht. Im tie- des gefährlichen Tropenkollers galt es mit al- fen Urwald von Lambarene war Humor und len Mitteln zu verhindern. Diese Sorge beglei- Witz sehr oft Teil – wichtiger Teil! –, um im tete den «Grand Docteur» – wie er von den strengen, isolierten Alltag der Abgeschie- Einheimischen liebevoll genannt wurde – denheit zu überleben. Schweitzer hatte nicht nebst seinen vielen anderen Problemen und bloss Sinn für Humor, er brauchte ihn in sei- Aufgaben. War der Tag besonders deprimie- nem Leben vor allem auch in Krisenzeiten. rend gewesen, weil alles schief gegangen Gar ein Kind wurde auf den Namen «Krise» war, weil ein Kranker vor seiner Heilung getauft! weggelaufen war und noch das Moskito- Die Gabe des Humors war ein väterliches netz und die Decke mitgenommen hatte, so Erbteil. Während seine Mutter eher strengen dass alle den Kopf hängen liessen, wartete Sinnes war, steckte der Vater seit seiner Ju- Schweitzer beim gemeinsamen Nachtessen gendzeit in Pfaffenhofen voller Witz und vol- mit einem Feuerwerk von Witz und Humor ler Erzählungen. Der Sohn besass die Gabe auf, um alle wieder aufzurichten. Zum The- des Humors und Schalks in noch höherem ma «Krise und Humor» gibt es eine schöne Masse. Fast allen seinen Verwandten und Anekdote: Eine Mutter kam mit ihrer kleinen Bekannten gab er zum Beispiel Spitznamen, kranken Tochter ins Spital. Als Schweitzer auch und vor allem in seinen x-tausend Brie- bei der Aufnahme nach dem Namen der jun- fen. gen Patientin fragte, bekam er zur Antwort, sie heisse «Crise». Er glaubte, sich verhört zu Schwierige Zeiten mit Humor überwinden haben: «Krise?» «Ja, sie heisst Krise», sagte Sein Humor war für den Urwalddoktor aber die Mutter, «weil sie geboren wurde, als die auch ein gutes Mittel, Schwierigkeiten in Krise anfing!» Lambarene zu überwinden. Weit über 5000 Kilometer entfernt von Europa, ohne die uns 1. April-Scherz heute bekannten Kommunikationsmittel, Berühmt waren Schweitzers Aprilscherze. auf engstem und einfachstem Raum lebend. Obwohl seine Mitarbeitenden an diesem Tag Tag und Nacht, das ganze Jahr, erfolgte die besonders auf der Hut waren, gelang es dem sprachliche Verständigung mit seinen Pa- Urwalddoktor immer wieder, jemanden «in tienten und teilweise auch Mitarbeitenden den April zu schicken». Etwa seine Haushäl- nur mit rudimentären Übersetzungsmöglich- terin, Frau Koch, der er auf einem Zettel die keiten. Dazu das für europäische Verhältnisse Mitteilung zukommen liess: «Eben hat ein phasenweise unerträgliche feucht heisse Jäger uns zwei Urwaldhasen gebracht. Kom- Tropenklima. Am Abend kein Kino, kein men Sie sogleich mit Messer und Schüssel, Theater, kein Konzert, sehr oft allein und um sie auszunehmen und abzuhäuten.» Er ohne direkten kommunikativen Austausch. und seine Mitarbeiter freuten sich diebisch, Unter diesen Umständen die Harmonie unter als die Haushälterin, gefolgt von zwei Boys, 16
den Hügel herauflief. – Im Urwald gibt es gar deren Ritual verbunden waren. Geburtstags- keine Hasen! kindern wurden zwei Choräle gesungen, die Schweitzer auf einem tragbaren Harmonium 1. August-Feier im Urwald begleitete. Erst nach diesem Musikgruss Ein anderes Mittel zur Erhaltung der Harmo- durften die Gefeierten ihr Zimmer verlas- nie und Moral unter den Mitarbeitenden wa- sen. Auf dem Frühstückstisch warteten ein ren die Festtage im Jahreskalender, die nach Elsässer Gugelhupf und zwei Spiegeleier ... einem strengen Ritual gefeiert wurden. Etwa Leckerbissen im Urwald! Wollte das Geburts- die christlichen Feste wie Weihnachten, Os- tagskind eine ihm liebe Person erfreuen, so tern, Pfingsten. Nach Möglichkeit wurde ein gab es ein Spiegelei weiter. Höhepunkt der Ausflug in Einbäumen auf dem Ogowe-Fluss Feier war dann die Geburtstagsrede, in der zu den Seen mit anschliessendem Picknick Schweitzer in sehr persönlicher Form die gemacht. Vorzüge und Schwächen der Geburtstagskin- Ein besonderer Anlass war jeweils der der mit viel Humor beleuchtete. Schweitzer 1. August, der Schweizer Nationalfeiertag. war ein begnadeter Tischredner. Leider sind Da der Ogowe wegen der Trockenzeit wenig fast keine dieser Reden in schriftlicher Form Wasser mit sich führte, versammelten sich erhalten. die zahlreichen Mitarbeitenden aus der Schweiz auf der Sandbank und genossen das Elefanten-Pädagogik und die «Meistersinger» «Höhen-Feuer» fast auf Meereshöhe. Grosse Achtung hatte Schweitzer vor Elefan- Aus zahlreichen Dokumenten geht her- ten. «… diese grossen klugen Tiere machen vor, dass auch Geburtstage mit einem beson- oft grosse Wanderungen. Dabei bleiben immer alle männlichen erwachsenen Tiere zusammen. Die Weibchen gehen mit den jungen Tieren. Die ‹Herren› eilen voraus, um vom Lärm der ‹Weiber› nichts zu hören, denn diese brüllen die Jungen an und züch- tigen sie klatschend mit dem Rüssel. Von Pädagogik wollen die Männer nichts wissen, das überlassen sie den Frauen. Ist das nicht herrlich? ... » «Mein» und «Dein» waren bei den Eingeborenen keine so recht unterscheid- baren Begriffe. Alles, was unbewacht und unverschlossen war, konnte man sich ohne Bedenken aneignen. Als Schweitzer einmal einem Gast aus Wagners «Meistersinger» vorspielen wollte, stellte er überrascht fest, dass der Klavierauszug verschwunden war. «Wie kann man nur so leichtsinnig sein», bemerkte der Bestohlene dazu. «Eines Tages wird der Dieb aus der Partitur singen, und dann werde ich ihn erwischen!» 17
Kein Intellektueller! Urwalddoktor: «Mein Neffe», und fügte au- Als der Doktor einmal einen herumstehen- genzwinkernd hinzu: «Einen Intelligenten den Schwarzen bat, ihm einen Balken tragen muss es ja wohl in der Familie geben!» zu helfen, lehnte dieser ab: «Ich fasse kein So waren Humor und Witz in Schweit- Holz mehr an, ich bin ein Intellektueller zers Leben und im Leben des Spitals eben geworden!» – Darauf Schweitzer ganz ruhig nicht nur Zierrat, sondern ein ganz bewusst und freundlich: «Mensch, hast du ein Glück! angewendetes Mittel, um das harmonische Ich habe mir jahrelang Mühe gegeben, ein Zusammenleben zu festigen. Intellektueller zu werden. Mir ist es nicht Ein guter Ratschlag gerade auch für uns gelungen!» in dieser schweren Zeit! Und auf die Frage, ob Pierre-Paul Schweitzer, der damalige elsässische Finanz- Buchhinweis: «Anekdoten um Albert direktor, mit ihm verwandt sei, meinte der Schweitzer», Bechtle-Verlag. Walter Munz – Der Ruf von Lambarene «Lambarene ist überall – jeder kann sein Lambarene haben « – diese Aussage von Albert Schweitzer (1875 – 1965), dem Gründer des «Urwaldspitals» in Lambarene, wurde für Walter Munz zum Lebensinhalt. Walter Munz war von 1961 –1963 als Assistenzarzt und von 1965 –1969 als von Albert Schweitzer eingesetzter Chefarzt und Nachfolger in Lambarene tätig. 1980 – 81 arbeitete er nochmals in diesem Spital. Als Gründungsmitglied und Vizepräsident der inter- nationalen Spitalstiftung weilte Munz von 1974 bis 2008 jährlich mehrmals ein bis zwei Wochen vor Ort. – Als ärztlicher Leiter des «Sunne-Egge» in Zürich baute er zusammen mit Pfarrer Ernst Sieber von 1991 – 1998 «sein Lambarene» in der Schweiz. Auch im Ruhestand war ihm die Umsetzung von Schweitzers Ethik der «Ehrfurcht vor dem Leben» ein grosses Anliegen. Gemeinsam mit Erscheint seiner Frau Jo gründete er 1999 das «Atelier Culturel für kreative Ende Tätigkeit und für Aids-Prävention in Lambarene» und gestaltete Jahr 2007 die Renovation des historischen Bereichs des Urwaldspitals. Mit der Gründung der «Albert-Schweitzer-Schule für Aids- Waisenkinder in Kenia» setzte Walter Munz die Bedeutung des Begriffs «Lambarene» beispielhaft von der Theorie in die Praxis um: Lambarene heisst in der afrikanischen Sprache nämlich: «Wir wollen es versuchen!» ca. 300 Seiten, Fr. 29.80 ⟶ Bestelladresse auf Seite 20 18
DREI MAL DIE 55 RESPECT DE LA VIE – ALS «STREET-ART» Am 14. Januar 1955 veröffentlichte der Kleinstaat In Mulhouse im Elsass ist während der Corona-Zeit Monaco aus Anlass des 80. Geburtstags von Albert in nur acht Tagen ein Werk zu Ehren des Medizi- Schweitzer die erste Albert-Schweitzer-Briefmar- ners, Humanisten und Nobelpreisträgers Albert ke. Zum 55. Todestag stellte die Republik Djibouti Schweitzer entstanden, das seinesgleichen sucht. gleich vier neue Briefmarkensujets mit ihm vor: Aber auch aufzeigt, dass Schweitzer und damit Schweitzer als Mediziner, Organist, Kinderfreund auch seine Ethik der «Ehrfurcht vor dem Leben» und Nobelpreisträger. 55 Staaten weltweit haben immer noch bekannt und aktuell sind. Im Auftrag mittlerweile Briefmarken mit dem Sujet des Uni- einer französischen Genossenschafts-Bank ist versalgelehrten veröffentlicht. an der Avenue de Colmar in Mulhouse an deren Trotz verschiedenster Interventionen bei der Post- Fassaden-Rückwand eine 11 mal 15 Meter grosse, Philatelie Schweiz gibt es noch immer keine hel- äusserst kunstvolle Abbildung Schweitzers aufge- vetische Briefmarke, obschon Schweitzer wohl zu sprayt worden. Jean Linnhoff ist der Künstler, der keinem anderen Land eine so enge Bindung hatte hauptberuflich als Illustrator und Graffiti-Artist wie zur Schweiz. tätig ist. BRIEFMARKEN UND MÜNZEN Walter Schriber, Sekretär unseres Vereins, nimmt als Philatelie- und Numismatik-Fachmann gerne ganze Briefmarken- und oder Münzsammlun- gen, aber auch alte Ansichtskarten (vor 1950) zu Gunsten unserer Arbeit für das Werk von Albert Schweitzer entgegen. Er steht für Fragen gerne zur Verfügung und regelt auch die Abholung bei Ihnen zu Hause. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung. Infos: Sekretariat Telefon 044 360 38 05 oder sekretariat@albert-schweitzer.ch) EINWEIHUNG DES ERNEUERTEN ALBERT-SCHWEITZER-HAUSES Eigentlich sollten an dieser Stelle nun Informa- tionen, Bilder und Reaktionen zur Einweihung des Erweiterungsbaus der «Maison Schweitzer» in Günsbach erscheinen. Leider müssen wir aber auch hier Corona-bedingt auf später verweisen. Zwar ist das Museum nun seit dem 4. September, dem 55. Todestag Schweitzers, geöffnet, aber die ursprünglich auf April 2020 angesetzte und dann auf Herbst verschobene Eröffnung ist nun vorerst auf das Frühjahr 2021 verschoben worden. Am 27. März 2021 soll das wohlverdiente Fest dann endlich steigen, sofern dies die Covid-Bestimmun- gen dann auch erlauben. Informationen erfolgen auf www.schweitzer.org. 19
Bücher, Filme, Orgelmusik und Sprechtexte von Albert Schweitzer Nachfolgend stellen wir eine Auswahl von Büchern von und über Albert Schweitzer vor. Ein umfassendes Angebot finden Sie unter www.albert-schweitzer.ch/Publikationen. «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.» Bestelladresse für alle Titel: Bücherversand Albert Schweitzer, c/o Blaukreuz-Verlag, Lindenrain 5a, 3012 Bern verlag@blaueskreuz.ch, Telefon: 031 300 58 66 oder www.blaukreuzverlag.ch/product-category/albertschweitzer/ Facetten einer Jahrhundertgestalt Seine Appelle an die Weltbevölke- Zur 100-Jahr-Feier von Lambarene rung gegen die Atomrüstung über äussern sich 12 WissenschaftlerIn- Radio Oslo im Jahre 1957 haben nen zu Leben und Werk Schweitzers nichts an Aktualität verloren. aus heutiger Optik. Mega-Promi 100 Seiten, Fr. 7.50 oder Super-Gutmensch? 308 Seiten, Fr. 20.– Aus meiner Kindheit und Jugendzeit Seine Jugendzeit weckt die Erkennt- Ehrfurcht vor den Tieren nis, dass der Mensch Ideale braucht, Schweizer gehört zu den wichtigsten um das Leben zu bestehen. Ideale Denkern der Tierschutzbewegung müssen aber zu Taten werden. und war sich der Tatsache bewusst, 91 Seiten, Fr. 14.50 dass es ohne Töten von Tieren nicht geht. Die Ehrfurcht vor dem Leben 160 Seiten, Fr. 14.50 In einer Zeit, die von Kriegen, Um- weltzerstörung, Migration und Zwischen Wasser und Urwald Hungersnöten bedroht ist, hat seine 1913 erreichen Albert und Helene «Ehrfurcht vor dem Leben» nichts Schweitzer Lambarene. Eindrücke an Aktualität verloren. und Erfahrungen beim Aufbau sei- 169 Seiten, Fr. 17.90 nes Entwicklungshilfe-Projekts. Aktuell auch heute noch. Das Christentum und die 151 Seiten, Fr. 16.90 Weltreligionen Fortschreitende Begegnungen mit Fritz von Gunten (Herausgeber) 366 Tage aus dem Leben von nichtchristlichen Kulturen und Re- 366 Tage aus dem Leben von Albert Schweitzer Albert Schweitzer ligionen prägen unsere Zeit mehr Worte von Dr. Albert Schweitzer für denn je. Schweitzer gibt Antworten. jeden Tag im Jahr. 125 Seiten, Fr. 11.50 304 Seiten, Fr. 25.– 20 Ein Jahresbegleiter Friede oder Atomkrieg
Bücher Musik/Stimme Albert Schweitzer – Zitate Albert Schweitzer spielt Orgelwerke Schweitzer als wortmächtiger Albert Schweitzer spielt Orgelmusik. Schriftsteller und Prediger. Mit zu- 35 Werke von Bach, Mendelssohn, gespitzten und teils überraschenden Franck. Mit Begleitheft. Lebensweisheiten in 50 Kapiteln. 295 Min. (4 CDs), Fr. 25.– 391 Seiten, Fr. 21.90 Historische Orgelaufnahmen Von Günsbach nach Lambarene 74 ausgewählte historische Orgel- Ein Bildband mit über 500 zum Teil aufnahmen aus London, Strassburg erstmals veröffentlichten Fotos aus und Günsbach. Dazu drei Anspra- dem Leben und Wirken des Univer- chen. Ausführliches Begleitheft, 50 salgenies Albert Schweitzer. Seiten. 336 Seiten, Fr. 38.– 390 Min. (6 CDs), Fr. 45.– Die Jahre vor Lambarene Albert Schweitzer – Originaltexte Briefwechsel mit Helene Bresslau in Mein Wort an die Menschen (10 den Jahren 1902 – 1912. Ein wunder- Min.), Warum ich nach Lambarene bares Zeugnis über den Entscheid, ging (7 Min.), Gedenkrede an Henri als Arzt nach Lambarene zu gehen. Dunant (4 Min.), An Schulkinder und 406 Seiten, Fr. 26.90 Lehrer (7 Min.) 28 Min. (1 CD) Fr. 20.– Die Jahre vor Lambarene Hörbuch DVD Albert Schweitzer 2 CD mit total 55 Briefen und Der 1957 entstandene Film ist ein Orgelspiel, Fr. 15.– Dokument von zeitloser Kraft. DVD, Fr. 20.– Radikale Liebe Das Buch stellt kompakt und kompetent Ethik und Leben von Albert Schweitzer vor, der alles, was er sagte, selber lebte und uns damit Beispiel gab und gibt. In einem zweiten Teil wird die Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ in die Gegenwart übertragen. Überzeugend, ermahnend, ermutigend und faszinierend zugleich. Ein Lesegenuss. N eu Claus Eurich, 112 Seiten, Fr. 18.90 21
«Wir Epigonen»* Fritz von Gunten Die besondere Covid-19-Zeit hat mir ermög- und haben solche Aufnahme gefunden, dass licht, das eine oder andere Buch wieder mal die Zuversicht, auch das Falscheste und Un- zu lesen. Für mich war das Albert Schweit- sinnigste, wo es angebracht erscheint, zu ei- zers Werk «Wir Epigonen». ner öffentlichen Meinung erheben zu können, In seinem kulturphilosophischen Werk, sich nicht noch erst zu rechtfertigen braucht. geschrieben in der Umbruchzeit des Ers- Die organisatorische Tätigkeit macht also ten Weltkriegs, ist ein ebenso eindrucks- die Gedankenlosigkeit vollkommen, indem sie volles wie erstaunliches kulturkritisches sie zum Annehmen von Inhalten ausbildet. Dokument entstanden, das sich mit dem Damit ist die Demonstration gegeben, wie sie Niedergang und Verfall, aber auch dem Wie- in der Geschichte der Menschheit noch nie deraufbau der Kultur sowie mit Kultur und vorhanden war. Ethik befasst. Verblüffend – oder eigentlich gar nicht – wie viele Parallelen sich zur heutigen Zeit herstellen lassen. Zu Themen wie «Rassismus», «Rüstungsausgaben», die Bereitstellung von Geldmitteln zur Beglei- chung von Schuldzinsen, die dann für not- wendige Investitionen fehlen, das Verhältnis von Kirche und Staat oder unser Verhältnis zum Reisen. Dazu je ein Ausschnitt zum Umgang mit Sozialen Medien und zum Verhalten beim Reisen. Zur Erinnerung: geschrieben ums Jahr 1920! Soziale Medien … «… Aber wir sind so weit entfernt, die Gefah- ren unseres Zustandes zu begreifen, dass wir sie fort und fort noch steigern. Das Verbreiten von Meinungen mit Ausschaltung des Denkens wird immer mehr ausgebildet. Wir trauen ei- ner Ansicht nur so viel zu, als die Propaganda für sie leistet. Die einzelnen und die Gemein- schaften bekommen durch die mannigfalti- Mit der preisgegebenen Freiheit des Den- gen Mittel ein Urteil oder eine Gesinnung so kens haben wir, es konnte nicht anders sein, anhaltend und eindringlich angetragen, dass den Glauben an die Wahrheit verloren. Unser sie sich schliesslich darauf eistimmen und von geistiges Leben ist desorganisiert. Das äus- den Erwägungen, die sie von selbst angestellt sere Organisieren, dem wir uns hingegeben, hätten, absehen. Die Methoden des Verfah- läuft auf ein Organisieren dieser geistigen rens sind zu solcher Vollkommenheit gediehen Desorganisation hinaus. 22
Auch der steigende Einfluss der Masse auf enthalte des modernen Reisens schon sowieso das politische Gemeinwesen bedeutet eine eingehenderes Bekanntwerden aus. Der Frem- Hemmung der Kultur. Es ist nicht zufällig, de sieht Gegenden und Sehenswürdigkeiten dass der Niedergang in der Periode beginnt, und ist im Übrigen mit seinesgleichen in den in der das demokratische Regiment sich in internationalen Hotels interniert. Die Gesell- den Kulturstaaten allgemein durchzusetzen schaft, in der er sich als wandernder Kodak beginnt …» (Wir Epigonen, Seite 57) bewegt, bleibt dieselbe, in welchem Lande er auch ist. Bis in die Dschungel Indiens und … und über das Reisen … die Sandwüsten Afrikas findet er dieselben Dem quantitativen Zunehmen des Reisens Gefängnisse und dieselben Mitgefangenen. entsprach eine Verschlechterung der Quali- Meist sind sie miteinander von den Bewoh- tät. Früher kamen weniger Menschen über nern des Landes abgeschlossen und kehren die Grenzen ihres Landes hinaus. Aber die zurück, ohne in nähere geistige Beziehung zu Art, wie sie sich in der Fremde aufhielten, ihnen getreten zu sein. war ertragreich für die Beziehungen von Volk So setzen die Umstände die Qualität des zu Volk und für die Kultur. Sie reisten, um zu gesteigerten Verkehrs in jeder Weise herun- lernen. Der Sohn aus adeliger Familie, der zur ter. Die Mentalität der modernen Menschen Vollendung seiner Bildung mit seinem Erzie- tut noch das Ihrige hinzu. Die meisten von her in fremde Städte und unter fremde Men- ihnen haben kaum eine Empfindung von der schen geschickt wurde, verfolgte diesen Zweck Armseligkeit eines so geistlosen Reisens. Es nicht anders als der Handwerksbursche, der befriedigt und interessiert sie so, wie es ist. auf Wanderschaft ging. Indem sie sich mit den Seine Oberflächlichkeit bedeutet für sie den Kenntnissen und Fertigkeiten der Bewohner Fortschritt, den sie in allem Modernen als des anderen Landes bekannt machten, traten selbstverständlich voraussetzen. sie ihnen zugleich näher. Sie lebten längere (Wir Epigonen, Seiten 90 – 93) Zeit unter ihnen, genossen ihre Gastfreund- schaft und drangen in ihre Denkweise und Sitten ein. Und über dem Empfangen gaben sie ihrerseits. Kehrten sie nach Hause zurück, so hatten sie nicht nur ihren eigenen Gesichts- kreis, sondern auch den der Menschen, mit denen sie in der Fremde zusammengekom- *Jemand, der in seinen Werken schon vor- men waren, erweitert und bereichert. In der handene Vorbilder verwendet oder im Stil Heimat wirkten ihre Erfahrungen auf die An- nachahmt, ohne selbst schöpferisch, stilbil- gehörigen. (…) dend zu sein. Die wachsende Menge der Reisenden bringt es mit sich, dass ihnen die Gesellschaft Buchbestellung: in der Fremde nicht mehr so offen stehen kann Verlag C. H. Beck, 2004, 416 Seiten, Fr. 75.– wie ehemals. Sie verhält sich ihnen gegenüber www.blaukreuzverlag.ch/product-category/ reserviert. Überdies schliessen die kurzen Auf- albertschweitzer/ 23
Coronazeit in der Albert-Schweitzer-Schule Kenia Andrea Munz, Präsidentin Verein Albert-Schweitzer-Schule Kenia Als die Kinder am 16. März 2020 hörten, wie täglich in der Schule, reden mit den Kindern, der Staatspräsident Uhuru Kenyatta verkün- sorgen dafür, dass die Abstands- und Hygi- dete, dass alle Schulen im Land aufgrund eneregeln eingehalten werden und bieten der Covid-19-Pandemie per sofort geschlos- verschiedene, kleinere Aktivitäten an. Es sen werden, war die Enttäuschung gross. Die wird viel Fussball gespielt, gesungen und Schülerinnen und Schüler verliessen an die- getanzt. Eine besondere Freude war es, als sem Tag nicht wie üblich nach Schulschluss die Schule von der Stiftung Nafasi Sawa ei- das Gelände, sondern blieben vor Ort, ob- nen Fussballplatz mit zwei Goals geschenkt wohl sie mehrmals von den Lehrpersonen bekam. Das Stück Land liegt etwa 150 Meter aufgefordert wurden, nun nach Hause zu von der Schule entfernt und wurde mit ver- gehen. Der Schulleiter Steve Onyang erzählt, einten Kräften von Dornensträuchern gesäu- dass die Kinder sich erst bei Einbruch der bert. Auch der Fussballclub der Schule «The Dunkelheit auf den Heimweg machten. Trotz Great Doctor’s Football Team» hat nun einen geschlossener Schule waren die Mädchen richtigen Trainingsplatz. und Buben am Folgetag frühmorgens wieder auf dem Schulareal. Die Lehrpersonen und Weltfriedenswoche mit RadioChico der Schulleiter versuchten ihnen zu erklä- Dank der Vermittlung von Fritz von Gunten, ren, warum der Unterricht nicht stattfinden Präsident Albert-Schweitzer-Werk, kann die kann. Plötzlich wurde ihnen im Gespräch Albert-Schweitzer-Schule Kenia bei einem mit den Kindern klar, dass sie nicht in ers- Schweizer Schulradioprojekt mitmachen. ter Linie wegen des Unterrichts wieder da Radio Chico aus Lyss (www.radiochico.ch) waren, sondern weil sie Hunger hatten. Alle veranstaltet vom 13. – 21. September 2020 die 200 Schülerinnen und Schüler (Kindergarten 6. Weltfriedenswoche; dieses Jahr zum The- bis 4. Klasse) erhalten täglich ihr Frühstück ma «Frieden und Sport». Eine Gruppe von und Mittagessen in der Schule. Alle Kinder Kindern aus der Albert-Schweitzer-Schule sind Aidswaisen oder -halbwaisen und ihre hat sich mit folgenden Fragen auseinander- Angehörigen sind arm. Das Geld für tägliche gesetzt und dazu Zeichnungen und Inter- Mahlzeiten für die Kinder fehlt, zumal die views gemacht: Lebensmittelpreise in Kenia seit Januar 2020 um ca. 40 Prozent gestiegen sind. Die Heu- • Wie gehst du mit Trainingspartnern um, schreckenplage in Ostafrika führte zu einem die plötzlich deine Gegner sind? massiven Preisanstieg, ebenso Panikkäufe • Wie gehst du mit Niederlagen um? aufgrund der Covid-19-Pandemie. • Wie sorgst du für Fairness während eines Der Schulleiter Steve Onyang reagierte Wettkampfs? rasch auf die ausserordentliche Situation und ordnete an, dass die Schulküche offen Das Radioprojekt, Sport, Musik oder die bleibt und die Kinder in Kleingruppen ihre Mitarbeit im Schulgarten sind schöne Akti- Mahlzeiten erhalten. Die Lehrpersonen sind vitäten, dennoch fehlt das Kernstück einer 24
Schule: der Unterricht. Bei der Schulschlies- schoben. Gemäss aktuellem Stand (21.7.20) sung im März wurde die Wiedereröffnung bleiben alle Schulen in Kenia bis Ende Jahr auf den 5. Juni angekündigt. Aufgrund der geschlossen. Schülerinnen, Schüler und steigenden Covid-19 Zahlen im Land (v. a. Lehrpersonen hoffen, dass sie im Januar in den Grossstädten Nairobi und Mombasa) 2021 ins neue Schuljahr starten können. Für wurde die Schulöffnung schon zwei Mal ver- den Schulleiter ist es eine grosse Herausfor- derung, trotz der nationalen Schulschlies- sung das Angebot der Schulküche und die kleineren Aktivitäten auch weiterhin zu er- möglichen. Das erfordert viel Fingerspitzen- gefühl im Umgang mit den Behörden. Die Frau des Schulleiters, Rosemary Akini, hat in der Coronazeit nähen gelernt. Jo Munz hat ihr eine manuelle Nähmaschine geschenkt und Rosemary hat für alle in der Schule Masken genäht. Die Coronazeit hat erneut gezeigt, dass viel Eigeninitiative im Team der Albert-Schweitzer-Schule steckt und dass sie die schwierige Zeit gemeinsam meistern können. Weitere Informationen zur Schule finden Sie unter www.albert-schweitzer-schule-kenia.ch 25
TIENNE, GESUNDHEITSZENTRUM DES ALBERT- SCHWEITZER-SPITALS HAITI (HAS) IN DEN BERGEN DES ARTIBONITE Raphaela und Rolf Maibach, Schweizer Partnerschaft HAS Haiti Seit dem 1.1. 2020 engagiert sich der SHV in Abteilungen hatte bereits früh begonnen. Zusammenarbeit mit der Schweizer Paten- Wir waren beeindruckt von den gut organi- schaft für Haiti für den Betrieb des Gesund- sierten Aufnahmen, den Voruntersuchun- heitszentrums TIENNE im Hôpital Albert- gen und der Aufteilung von kranken und Schweitzer-Haiti (HAS). Dies ist ein Projekt gesunden Kindern (Entwicklungskontrollen, ganz im Sinne von Albert Schweitzers Devi- Impfungen), schwangeren Frauen, kranken se: Es gibt nicht nur ein Lambarene – Lam- und verunfallten Erwachsenen. Die Diagnos- barene ist überall. tik und die medizinischen Behandlungen Im März 2020 reisten Raphaela und waren trotz reduzierter Möglichkeiten ziel- Dr. med. Rolf Maibach für eine Erkundungs- gerichtet und korrekt, ebenso die Zuweisun- reise zum Gesundheitszentrum in die Berg- gen ins HAS Zentralspital. Während unserer region. Kurz vor der Grenzschliessung wegen Evaluation fand auch eine intensive Wei- Corona konnten sie auf abenteuerlichen We- terbildung der «Agents de Santé» aus allen gen die Heimreise nach Illanz (GR) antreten. umliegenden Bergdörfern statt (Bild). Nachfolgend ihr Reisebericht. Betrieb dank Sonnenenergie möglich Auf unwegsamen Wegen TIENNE versorgt zusammen mit dem Ge- Unsere erste Evaluation vor Ort fand im März sundheitszentrum BASTIEN die riesige Berg- 2020 statt, zusammen mit zwei Schweizer region auf der südlichen Seite des Artiboni- Ärzten und unserer Tochter Pierina, nach- te-Tals. BASTIEN, das etwas näher am HAS dem ein früherer Besuch von TIENNE im liegt, konnten wir ja trotz Strassensperren Oktober und November 2019 wegen gewalt- auf Umwegen schon Ende Oktober 2019 be- samer Strassenblockaden im ganzen Land suchen. Die Arbeit in beiden Zentren ist sehr verunmöglicht wurde. Der haitianische Chef- ähnlich. Sie funktionierten dank des Ein- arzt der HAS Gesundheitszentren (Service satzes der HAS-Pflegefachleute, Techniker communautaire intégré), Dr. Edwidge Pierre, und Ärzte wie auch des Zentralspitals trotz hatte uns zuvor eingehend informiert und der politischen Unruhen weitgehend nor- begleitete uns. Die Anreise vom HAS Zentral- mal. Im Gegensatz zu vielen Schulen im Tal spital auf steilen Bergpfaden ist nur mit ei- blieben die Schulen im Gebirge auch wäh- nem geländegängigen Fahrzeug möglich und rend der politischen Krise geöffnet. Beide dauerte eine knappe Stunde, weniger als für Zentren werden seit 2008 dank autonomer die meisten Patienten, die zu Fuss oder auf Solarsysteme vollständig mit Sonnenenergie dem Rücken eines Esels mehrere Stunden versorgt. unterwegs sind. Bei unserer Ankunft kurz Dr. Larimer und Gwen Mellon eröffneten nach acht Uhr morgens war der Warteraum das Albert-Schweitzer-Spital Haiti im Juni vor dem Zentrum voll; die Arbeit auf allen 1956. Es war das erste Spital im Artibonite- 26
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