RUNDFUNK 2021 SCHULJAHR 2020/2021 - HERMANN-LIETZ-SCHULEN

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RUNDFUNK 2021 SCHULJAHR 2020/2021 - HERMANN-LIETZ-SCHULEN
RundFunk 2021
Lietz Internat Hohenwehrda

                                                   Schu
                                                       ljah
                                                           r2
                                Schuljahr 2020/2021          0

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                                                               /2
                                                                 021
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INHALTS
                                                        VERZEICHNIS
                      AKTUELLES
                      Editorial Sabine Hasenjaeger                                                                     3
                      Rhododendronfest: Abschied von Hohenwehrda                                                       4
                      Abschiedsfeier der Klassen 10 R und FOS 12                                                       6
                      Abschied nach 16 Jahren: Sabine Hasenjaeger                                                      8
                      Dank an Sabine Hasenjaeger                                                                   11
                      Neues Leiterehepaar Müller im Interview                                                      12
                      Neue Jahrestasse, neues Motto: „Neue Wege“                                                   14

                      MENSCHEN
                      Gespräch mit Hausdame Daniela Biehl                                                          15
                      Jan Staudigl – eine Lietzer Erfolgsgeschichte                                                16
                      Seit zehn Jahren in Hohenwehrda: Carsten Hühn                                                18
                      „Isi“ ist Rentner, ihm geht’s gut                                                            20
                      Kurze Wege zum FOS-Erfolg: Hanna Bailly                                                      22

                      PROJEKTE
                      Familienabende der Schlossmädchen                                                            24

                      UNTERRICHT
                      „Natur als Grundlage allen Seins“                                                            25
                      Iserv – die digitale Unterrichts-Plattform                                                   26
                      Freunde und Förderung: Orientierungsstufe 5/6                                                28
                      Die Antike lebt                                                                              29
                      Wahlfach Theater dreht einen Film                                                            30

                      VERSCHIEDENES
                      Maître, es schmeckt!                                                                         31
                      Eine ungewöhnliche Reise durch Schweden                                                      32
                      „Rocket“ – Gelassenheit auf vier Hufen                                                       35

                      Impressum/Herausgeber:
                      Lietz Internat Hohenwehrda, Schloss Hohenwehrda 2, D - 36166 Haunetal
                      Tel: +49 (0) 6673 9299-0, Fax: +49 (0) 6673 9299-40
                      hohenwehrda@lietz-schule.de, www.internat-hohenwehrda.de
                      Redaktionsteam: Martin Batzel, Christoph Winter
                      August 2021

                      Durch sich ständig ändernde Corona-Vorgaben sind in dieser Ausgabe auf Fotos Personen mit oder

2                     ohne Masken zu sehen. Selbstverständlich werden die AHA-Regeln bei uns streng eingehalten.

                      Im Interesse der Lesbarkeit verzichten wir auf geschlechtsbezogene Formulierungen.
INHALTSVER ZEICHNIS   Selbstverständlich sind uns alle Geschlechter gleichermaßen willkommen.
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NEUE
                 WEGE
Begonnen hat alles mit einem            wichtige Beiträge geleistet, so dass
Stein, den ich in Oberbayern            wir zwar mit Blessuren, aber doch
aus der Isar fischte und nach Ho-       heil am Schuljahresende angekom-
henwehrda brachte – Symbol für          men sind. Und dank der Kreativität
„Wir bauen gemeinsam einen              etlicher Kollegen entstanden dann
Weg in Hohenwehrda“.                    ja doch noch kleinere Events und
                                        ein Weihnachtsessen mit Weih-
Steinig wurde der Weg der letz-         nachtsfeier fand trotz allem statt.
ten 16 Jahre tatsächlich: beein-        Vor allem: Danke, dass alle ihre
druckend gepflastert mit schönen        Zuversicht und gute Laune und Sinn
runden und gemusterten, hier und        für Fröhlichkeit behalten haben!
da auch kantigen Steinen. Die
Menschen in und um Hohenwehr-           Das Schuljahresende soll geprägt
da, Schüler, Eltern, verantwort-        sein von festlichem Miteinander,
liche Gremien, aber vor allem           wenn auch nicht als großes Rho-
die Kollegen vor Ort, haben Ho-         dodendronfest.
henwehrda trotz des einen oder
anderen Stolpersteines erfolgreich      Nun gilt es neue Entscheidungen
als Team in die Zukunft gebaut          zu treffen: Was wird mitgenom-
oder begleitet.                         men von der Wegstrecke der ver-
                                        gangenen Jahre. Welche Richtung
Dass dann ein Steinschlag – Co-         wird eingeschlagen. Wie wird
rona – uns die Wegstrecke der           der Weg weiter gestaltet. Es gilt
letzten Monate versperrte, hat nie-     neue Wege zu beschreiten und si-
mand erwartet. Wir wollten noch         cher in die Zukunft zu bauen. Mit
ein Haus am Wegrand bauen,              Herrn Müller und seiner Frau sind      Ich lade alle ehemaligen Schüle-
Konzepte und Ideen weiter ver-          die richtigen und erfahrenen Bau-      rinnen und Schüler herzlich ein,
folgen, die Internationalisierung       meister gefunden. So wünsche ich       langjährige Ehemalige wie jetzi-
vorantreiben und vieles mehr.           dem Ehepaar Müller und Hohen-          ge Abgänger aus der jüngeren
Stattdessen haben wir unsere Zel-       wehrda Stabilität, Blühen und Ge-      Vergangenheit, sich an der Ge-
te aufgeschlagen, auf Feste und         deihen auf einem guten Weg in          staltung des Netzwerkes zu betei-
Highlights und Rituale verzichtet       die nächsten Jahre.                    ligen und Ideen einzubringen. Ihr
und monatelang das Hindernis                                                   werdet auch selbst von dem Netz-
Corona versucht zu bezwingen.           Den Stein aus der Isar gibt es noch    werk profitieren.
Aber Unterricht fand bei alledem        in Hohenwehrda und ich überrei-
immer statt!                            che ihn gern den neuen Baumeis-        Ich freue mich auf die Begegnun-
                                        tern – dem Ehepaar Müller.             gen und den Austausch mit euch!
Ich danke allen Kolleginnen und
Kollegen aller Bereiche, dass wir       Meine eigene Rolle wird in der         Also: Auf Wiedersehen!
diese Zeit mit all ihren Herausforde-   kommenden Zeit die Mitwirkung
rungen, Einschränkungen, Sorgen         an Fragen der Akquise in der           Herzlich
und Ängsten bestehen und über-          Stiftung sein. In diesem Zusam-
winden konnten. Mit Ausdauer,           menhang geht es nicht zuletzt
Kreativität und flexiblem Handeln       um das Ausbauen eines stabilen
und sehr viel Einsatz haben alle        Altbürger-Netzwerkes.                  Sabine Hasenjaeger

                                                                                                                   3
                                                                                                            EDITORIAL
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 INHALTSVERZEICHNIS

                                                 Rhododendronfest: Abschied von Hohenwehrda fällt schwer

                                              „Sie haben uns ein
                                              Zuhause gegeben“
               „Hohenwehrda war in den vergangenen eineinhalb Jahren oftmals eine Idylle in einer
               Zeit, in der die Welt verrücktspielt.“ Mit diesen Worten eröffnete Sabine Hasenjaeger,
               Internats- und Schulleiterin des Lietz Internats Hohenwehrda, die Abschluss-Zusammen-
               kunft des Schuljahres.

               „Wir konnten in dieser Idylle Din-   schichten aus dem Zusammen-         an Unterstützung und Förderung
               ge tun, die woanders nicht mög-      leben, vielen netten Gesten und     sowie viele gute Gespräche: „Sie
               lich waren“ – so wie die Feier-      Geschenken, aber auch mit           waren für uns wie eine Ersatzmut-
               lichkeiten beim Rhododendronfest     freundlich verpackter Kritik und    ter, haben uns ein Zuhause gege-
               zum Jahresabschluss, das kleine      Anregungen für den weiteren         ben“, sagte Zaineb. Benedikt aus
               Schulfest tags zuvor und auch die    Lebensweg verabschiedeten die       der 10 G, dessen Weg weiter
               Verabschiedung der Abgangsklas-      Internatsfamilieneltern die ihnen   nach Bieberstein führt und Hohen-
               sen 10 R und FOS 12 (siehe dazu      anvertrauten Jugendlichen.          wehrda seit der fünften Klasse be-
               auch Text und Fotos auf den Sei-                                         suchte, zog seine eigene Bilanz:
               ten 6 und 7 dieser Ausgabe).         Doch es war auch ein Tag, an        „Ich bin hier von einem kleinen,
                                                    dem Schülerinnen und Schüler        herausfordernden Kind zu einem
               Mit Anekdoten aus dem All-           sich bedankten für viel Fürsorge,   großen, herausfordernden Kind
               tag des Internats, lustigen Ge-      ein offenes Ohr, ein großes Maß     geworden und bin dankbar dafür.

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   AKTUELLES
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Ich habe mich auf den Abschied             Austausch engagieren. Willi Lan-
     hier gefreut, auch weil etwas              ge (Musik, Familienvater Wald-
     Neues kommt; wie schwer mir der            haus) geht in den Ruhestand.
     Abschied fallen würde, hätte ich           Michael Klöppinger (Religion,
     nicht gedacht.“                            Geschichte, Familienvater Forst-
                                                haus) verlässt Hohenwehrda aus
     Verabschiedet wurden auch Kol-             persönlichen Gründen. Ebenfalls
     leginnen und Kollegen: Katrin              ausgeschieden sind Manuel Wolf
     Schwanz (Schlossfamilie, Deutsch           (IT) und Helmut Most (Nachtwäch-
     als Zweitsprache) verlässt Hohen-          ter), der in Ruhestand geht.
     wehrda nach acht Jahren. Ihre Zu-             Text: Martin Batzel
     kunft sieht sie als Lehrerin in Israel        Fotos: Jens Terlinden, Yesid Lizarazo

     und möchte sich im interkulturellen

Ehrungen und Anerkennungen
Bestes Zeugnis:                      Mit dem Schmetterlingspreis als                       Budenpreis (schönstes Zimmer):
5/6:     Sem Trommler                Anerkennung für seine positive Ent-                   Carolin Kappel, Romy Weigert
8 G:     Joschua Beuschlein          wicklung in Hohenwehrda wurde                         Besondere Gildenleistung (Kapelle):
7/8 R: Niklas Heuer                  Joschua Beuschlein geehrt.                            Benjamin Buschbacher
9 G:     Laura Schön,                                                                      Bester Sportler (Hapkido & Kanu): Vincent Enges
         Henning Sendler             Den Andreesen-Preis für ihre                          Musenpreis: Nikolaus Schumacher
9 R:     Haris Holzmann              besondere Leistungen und ihr                          Musik-Preis: Angelina Jung, Donya Jafari
10 G: Charlotte Sinz                 Engagement für die Schulgemein-                       Beste Lietzarbeit: Charlotte Sinz
10 R1: Adrian Rainer                 schaft erhielt Laura Schön.                           Nawi-Preis: Benjamin Schindler
10 R2: Ruben Liebermann                                                                    Chemie-Preis: Andre Geyer
FOS 11: Tabea Jung                   Für ihren Einsatz als Internats-                      Mathematik-Preis: Esther Wiesent
                                     sprecher und in der Gästeführung                      Theaterpreis: Gerda Schumacher,
Bestes Zeugnis der Schule:           wurden Donya Jafari und                               Benedikt Schecklmann, Niko Wellbrock
Charlotte Sinz                       Adrian Rainer geehrt.                                 „Waldwichtelpreis“: Andre Geyer
                                                                                           Beste/r Klassenbuchführer/in:
                                                                                           Esther Wiesent
                                                                                                                                             5
                                                                                                                                AKTUELLES
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 INHALTSVERZEICHNIS

         Abschiedsfeier der Klassen 10 R und FOS 12

        Ein Kissen für Kenneth
               „Möge sich der Weg vor deinen Füßen ebnen, möge der Wind in deinem Rücken
               sein. Härte möge dein Herz meiden und die Sonne dich stets wärmen.“ Mit einem
               irischen Reisesegen verabschiedete Sabine Hasenjaeger, Internats- und Schulleiterin
               in Hohenwehrda, die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen 10 R sowie
               Fachoberschule 12 in ihren nächsten Lebensabschnitt.

               Ob Auszeit, Schloss Bieberstein,    vier, mit Sologesang und Chor.      seines Morgengrußes durch Elias
               Fachoberschule Sozialwesen in       Mit launigen, humorvollen, wert-    an das „Röhren eines schwer
               Hohenwehrda oder eine andere        schätzenden Worten und einigen      verwundeten Elches“ erinnert.
               Wahl: „Möge jeder Tag sich von      Schmonzetten aus dem Internats-     Und das täglich. Malte aus der
               dir mit einer hellen Wolke verab-   leben verabschiedeten sich die      10 R 2 dagegen dankte seinen
               schieden.“ Garniert wurde die       Internatsfamilieneltern von ihren   Lehrern und besonders Christian
               würdige Feier mit musikalischen     Schützlingen. So fühlte sich Dr.    Stöger, Sozialpädagoge im Lietz
               Beiträgen an Geige und Kla-         Thomas Clark bei der Erwiderung     Internat Hohenwehrda: „Bei ihm

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   AKTUELLES
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hatte ich zwar keinen Unterricht,   schied der Schlossmädchen. Mit
aber den mag ich einfach so.“       dem Verabschiedungsritual und
Auch die Abschiedsgeschenke         einer mit Nützlichem und Nettig-
der Internatsfamilieneltern waren   keiten gefüllten Schultüte entlie-
mit Bedacht gewählt: Ein Kissen     ßen Sabine Hasenjaeger sowie
für Kenneth; ein T-Shirt bedruckt   Thomas Linß als stellvertretender
mit Insiderwissen für Paul; ein     Schulleiter die Schülerinnen und
roter Teppich, eine „vernünftige    Schüler in den nächsten Abschnitt
Flasche Schampus“ und eine Kro-     ihres Lebens.
ne für Hanna und ein Schloss als      Text: Martin Batzel
Symbol der Freundschaft zum Ab-       Fotos: Yesid Lizarazo, Jens Terlinden

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         Feier für Sabine Hasenjaeger – Abschied nach 16 Jahren

       „Starkes Fundament, Geduld,
        Verständnis und Weitsicht“
               Sabine Hasenjaeger wurde nach 16 Jahren als Internats- und Schulleiterin in
               Hohenwehrda verabschiedet. Zahlreiche Redner sowie viele Gäste nahmen an
               der feierlichen Veranstaltung teil und würdigten damit die Verdienste und das große
               Engagement von Sabine Hasenjaeger.

               „Die Stiftung Deutsche Landerzie-       lienstruktur orientiert und erinnerte   Fulda, lobte die Weitsicht, mit der
               hungsheime hat Ihnen sehr viel zu       an die Säulen, auf denen das Lietz      in Hohenwehrda an das Thema
               verdanken. Sie sind eine hoch-          Internat Hohenwehrda steht und          FOS Sozialwesen herangegan-
               respektierte Persönlichkeit. Wer        die unter der Leitung von Frau Ha-      gen wurde: „Auch wegen des
               seine Aufgabe so wie Sie leisten        senjaeger geschaffen wurden: Das        Fachkräftemangels im sozialen Be-
               will, der braucht ein starkes Fun-      musische Profil, der Schwerpunkt        reich liegen sie voll im Trend.“ Rita
               dament. Sie sind fester Bestandteil     Theater, die Digitalisierung sowie      Schmidt-Schales nannte das Lietz-
               der Biographie vieler Schüler“,         die Fachoberschule Sozialwesen.         Internat einen Ort, der „Geborgen-
               sagte Dr. Wilhelm Schaffitzel,          „Frau Hasenjaeger hat sich um die       heit und Weltoffenheit“ ausstrahle.
               Vorstandsvorsitzender der Stiftung,     Stiftung verdient gemacht.“             Außerdem: Welcher Schulleiter
               während der Verabschiedung von                                                  könne schon sagen, er habe ei-
               Sabine Hasenjaeger als Internats-       Rita Schmidt-Schales, Schulamtsdi-      nen Arbeitsplatz mit Blick auf einen
               und Schulleiterin des Lietz Internats   rektorin des Staatlichen Schulamtes     Pool, Tennisplatz und ein Schloss?
               Hohenwehrda. Als Dank der Stif-
               tung für 16 Jahre Leitung in Hohen-
               wehrda überreichte der Vorsitzen-
               de eine Gartenkeramik.

               Ernst-Friedrich Kellner, ehemaliger
               Vorstandsvorsitzender der Stiftung,
               betonte die Vorteile des Internatsle-
               bens, welches sich an einer Fami-

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   AKTUELLES
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Mit einem „Kinderparadies für        Christine Jesumann, stellvertre-     Hohenwehrdas Internatsspreche-
         die Mittelstufe“ verglich Burkhard   tende Vorsitzende des Altbür-        rin Donya Jafari brachte es aus
         Werner, Koordinator der Leiterkon-   gervereins, Heimpatin von Ho-        Sicht der Schülerschaft auf den
         ferenz und Leiter des Lietz Inter-   henwehrda und vor 55 Jahren          Punkt: „Auch wenn wir die Regeln
         natsdorfs Haubinda, das Internat     dort Abiturientin, sprach in ihrer   verletzten, obwohl wir kurz zuvor
         im Haunetal. „Eingebettet in eine    Dankesrede von „Kraft, Hoffnung,     aufgeklärt worden waren, zeigten
         Landschaft, die rauh wirkt, aber     Zuversicht, Vertrauen, Verständnis   Sie Nachsicht mit uns und unseren
         herzlich ist.“ Burkhard Werner       und Stärke, die du deinen Schü-      Versäumnissen. Danke für Ihre Ge-
         erinnerte an die pädagogischen       lerinnen und Schülern gezeigt und    duld und Ihr Verständnis.“
         und auch wirtschaftlichen Erfolge    gegeben hast“.                         Text: Martin Batzel
         der Leiterin Sabine Hasenjaeger,                                            Fotos: photoebene Marzena Seidel

         die nach Internats-Stationen in
         Gaienhofen am Bodensee, Zin-
         zendorf im Schwarzwald sowie
         Reichersbeuern in Bayern 2005
         in Hohenwehrda begann.

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   AKTUELLES
Der Vorstand dankt Sabine Hasenjaeger

Liebe Frau Hasenjaeger,
    von Amts wegen kommt dieses
    Gruß- und Dankeswort von mir.
    Ich betone dies deshalb, weil Sie
    in meinem Blickfeld erst vor gut
    zwei Jahren erschienen sind und
    umgekehrt.

    Angesichts der 16 Jahre, in denen
    Sie sich in der Leitung des Lietz
    Internates Hohenwehrda große
    Anerkennung erworben haben,
    ist der Zeitraum unseres Zusam-
    menarbeitens zu kurz, als dass
    mir persönlich eine angemessene
    Würdigung möglich wäre. Was
    ich aber weiß und spüre, ist, dass
    Sie eine hoch respektierte, beein-
    druckende und kompetente Per-
    sönlichkeit sind, der die Stiftung    nicht so vorgestellt haben. Dieses    und den Vorstand weiterhin un-
    und insbesondere Hohenwehrda          Schicksal teilen Sie mit unserer      terstützen werden bei Aktivitäten
    viel zu verdanken hat – die Mit-      Bundeskanzlerin Angela Merkel,        im Außenauftritt der Lietz-Schulen
    arbeiterschaft, die Schülerinnen      die sicher auch nicht vorausge-       und bei der Neuausrichtung der
    und Schüler und deren Eltern. Sie     sehen hat, dass ihr letztes Jahr im   Altbürgerarbeit, die wir uns vorge-
    blicken zurück auf 16 Jahre, die      Amt diese Herausforderungen mit       nommen haben.
    Ihnen – das habe ich selbst in mei-   sich bringen würde. Ein kleiner
    ner kurzen Zeit deutlich gespürt –    Trost vielleicht.                     Mit guten Wünschen
    Freude gemacht haben, manches                                               für die Zukunft
    Mal auch Sorgen.                      Im Namen des Vorstandes danke
                                          ich Ihnen für Ihre Leistung und Ihr   Ihr
    Ihr letztes Schuljahr war geprägt     Engagement als Leiterin von Ho-
    von der Pandemie und deren            henwehrda. Sie übergeben das
    Herausforderungen, die Sie gut        Internat in erfahrene Hände.
    gemeistert haben. Es war aber                                               Wilhelm Schaffitzel
    auch ein Jahr, wie Sie es sich ge-    Und ich freue mich, dass Sie in
    rade für das Jahr des Abschieds       reduziertem Rahmen die Stiftung

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 INHALTSVERZEICHNIS

         Neues Leiterehepaar Müller im Interview

        „Internat ist eine Lebensform“
               Welche Werte ihnen wichtig sind, wie die perfekte Balance zwischen Nähe und
               Distanz aussieht, warum Sport genauso wichtig ist wie Mathematik und was moderne
               amerikanische Literatur mit all dem zu tun hat – das erklären Sonja und Jörg Müller
               im Gespräch mit Martin Batzel.

                Sehr geehrtes Ehepaar Müller,        und in direkter Verlängerung Ehr-     mit einer staatlichen Schule ver-
                herzlich Willkommen im Lietz         lichkeit, Offenheit und Gerechtig-    glichen werden, schon alleine,
                   Internat Hohenwehrda.             keit – gerade in der Internatspäda-   weil sie eben keine Lern-Schule,
                 Wenn Sie sich zu Beginn des         gogik wichtigste Grundlage des        sondern eine Lebens-Schule ist.
               Gesprächs bitte charakterisieren      Handelns sein.“                       Die intensive Gemeinschaft, die
                  möchten – wofür und für                                                  kleinen Gruppen, die persönliche
                 welche Werte stehen Sie als                                               Beziehung zwischen Jugendlichen
                        Leiterehepaar?                     Eine Internatsschule
                                                                                           und Erwachsenen, die vielfältigen
                                                        ist gleichzeitig auch ein
                                                                                           Erfahrungen in der Natur, beim
                                                       Wirtschaftsunternehmen.
                                                                                           Lernen und Arbeiten, beim Sport
                                                       Wie führt man erfolgreiche
               „Bei unserer pädagogischen Ar-                                              und in der Kunst – Rahmenbedin-
                                                     Pädagogik und wirtschaftliches
               beit standen jenseits aller päda-                                           gungen, die eine staatliche Schu-
                                                           Denken erfolgreich
               gogischen Leitlinien immer die                                              le schlichtweg nicht bieten kann.“
                                                               zusammen?
               Kinder und Jugendlichen im Mit-
               telpunkt aller Überlegungen. Wir                                             Worin sehen Sie die wichtigste
               verstehen uns in erster Linie als     „Das scheint nur auf den ersten            Grundlage für eine gute
               Potentialentwickler, deren wich-      Blick ein Widerspruch zu sein.              Internatspädagogik?
               tigste Aufgabe es sein muss, ih-      Natürlich ist es unabdingbar,               Und: Was macht gute
               ren Schützlingen das Rüstzeug         das Profil einer Internatsschule zu   Internatsfamilieneltern, Mentoren
               mitzugeben, das sie brauchen,         schärfen und die Konzepte so               und Internatslehrer aus?
               um in der unglaublich komple-         weiterzuentwickeln, dass sie auch
               xen und schnelllebigen Welt des       für die Zukunft tragfähig sind. Es
               21. Jahrhunderts zu Lebensglück       bedeutet aber nicht, sich hinter      „Jede gute Internatsschule ist zu-
               und Lebenserfolg zu finden. Dazu      Hochglanzbroschüren und unrea-        nächst einmal eine Reflektion ihrer
               müssen sie zunächst erkennen,         listischen Werbe-Claims zu verste-    Schüler und Mitarbeiter, wobei im
               wer sie sind und was alles in ihnen   cken, sondern selbstbewusst mit       besten Fall das Ganze erheblich
               steckt. Nur so werden sie zu den      einer empathischen und sympa-         mehr ist als die Summe seiner Ein-
               einzigartigen Persönlichkeiten, die   thischen Gemeinschaft aufzutreten     zelteile. Jenseits einer soliden und
               in jedem Kind und Jugendlichen        und Menschen vom großartigen          jeweils aktuellen Ausbildung läuft
               angelegt sind. Wir sind überzeugt     Wert einer guten Internatserzie-      es bei allen Mitarbeitern einer gu-
               davon, dass es dafür ständiger        hung zu überzeugen. Dafür stehen      ten Internatsschule auf das Gleiche
               Rückmeldung von wohlmeinenden         wir mit großer Begeisterung.“         hinaus: Wer genuine Freude an
               Erwachsenen bedarf, die sich                                                der Arbeit mit Kindern und Jugend-
               nicht als beste Freunde sondern       Welches sind aus Ihrer Sicht die      lichen hat, wer diese Arbeit als Le-
               als Mentoren verstehen und immer       Vorzüge einer Internatsschule        bensform statt als Job genießt, wer
               bemüht sind, die perfekte Balance     verglichen mit dem staatlichen        achtsam, emphatisch, neugierig
               zwischen Nähe und Distanz und                  Schulsystem?                 und risikobereit ist und Vorbild sein
               zwischen Fördern und Fordern zu                                             kann und möchte, ist bei uns genau
               finden. Und da diese Prozesse                                               richtig – ganz gleich ob im Klas-
               auch immer Reibung erzeugen,          „Eine Internatsschule wie Schloss     senzimmer, in der Heimfamilie, in
               muss erzieherische Konsequenz –       Hohenwehrda kann nicht wirklich       Verwaltung, Küche oder Werkstatt.

   12
   AKTUELLES
Welche Bedeutung
 haben bei Internatspädagogik
  die praktische Arbeit sowie
    die Bereiche Sport und
       musischer Zweig?

Praktische Arbeit, Sport und Musi-
sches müssen gleichberechtigten
Platz im Tagesablauf der Kinder
und Jugendlichen finden wie
Mathematik und Deutsch. Für die
Persönlichkeitsentwicklung haben
sie überragende Bedeutung. Ins-
besondere die Theaterarbeit soll-
te unbedingter Bestandteil einer
ganzheitlichen Erziehung sein.“

 Wie sieht für Sie die optimale
 Form des schulischen Lernens
 aus? Und welche Rolle spielen
    bei der Optimierung des
 Lernens die digitalen Medien?                                                  Je ein Teenager und
                                                                              ein junger Erwachsener
                                                                              bitten Sie um Lesetipps:
„Wir glauben, dass Lernen un-                                                  Welche Empfehlungen
bedingt individualisiert werden                                                      geben Sie?
und fächer- und jahrgangsüber-
greifend stattfinden sollte und
dem „Bulimie“-Lernen unbedingt        lich eBooks. Es ist einfach zu ver-   „Als Anglist bin ich ein großer Fan
der Kampf anzusagen ist. Dass         führerisch, an jedem Ort dieser       moderner amerikanischer Literatur.
dies in der heutigen Zeit nur mit     Welt eine ganze Bibliothek bei        Es gibt dort aktuell unendlich viele
einer sinnvollen Unterstützung        sich zu führen und jederzeit auf      großartige Talente. Für Teenager
durch digitale Medien wirklich        jedes Buch zugreifen zu können.“      würde ich die Romane von John
gelingen kann, ist für uns selbst-                                          Greene empfehlen – z.B. „Eine
erklärend. Bezüglich der Digitali-                                          wie Alaska“ oder „Das Schicksal
                                         Ihre Einschätzung bitte:
sierung von Lernprozessen sehen                                             ist ein mieser Verräter“. Für junge
                                           Wirkt das gedruckte
wir in Hohenwehrda durchaus                                                 Erwachsene darf es dann auch et-
                                                Wort fort?
noch dringenden Handlungs-                                                  was tiefgründiger sein. Zu meinen
bedarf. Wir freuen uns auf die                                              absoluten Favoriten gehören „Al-
Herausforderung.“                     „Das tut es ganz sicher. Wir haben    les Licht, das wir nicht sehen“ von
                                      uns immer bemüht, Kindern und         Anthony Doerr und „Der Distelfink“
                                      Jugendlichen den unschätzbaren        von Donna Tartt. Andererseits sam-
 Gedrucktes Buch oder eBook?          Wert des Lesens nahezubringen.        meln wir aber auch Erstausgaben
 Was nehmen Sie im Koffer mit         Die Möglichkeit, mit einem Buch       der Romane von Stephen King.“
  in Ihren nächsten Urlaub?           die Tür zu einer ganz anderen           Foto: Jens Terlinden
                                      Welt aufzustoßen, sollte keinem
                                      Kind verschlossen bleiben. Lesen
„Nachdem wir uns lange bemüht         ermöglicht Erfahrungen, die ein                     Herzlichen Dank für
hatten, dem gedruckten Buch treu      Film oder ein Computerspiel nie                       das Gespräch!
zu bleiben, lesen wir nun seit doch   vermitteln kann – und es macht
schon zehn Jahren fast ausschließ-    neugierig und empathisch.“

                                                                                                                   13
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 INHALTSVERZEICHNIS

         Niklas Brühl aus der Klasse 5 gewinnt Wettbewerb

         Neue Jahrestasse, neues Motto:
        „Neue Wege“
               „Ich finde, die Tasse schaut gut aus.“ Niklas Brühl ist mit seinem Werk zufrieden.
               „Unser Kunstlehrer Jens Terlinden hat es noch verfeinert.“

                                              Mit seiner Idee eines gewundenen         Konkurrenz aus allen Altersstufen
                                              Weges durch ruhige, freundliche          des Lietz Internats Hohenwehrda
                                              Landschaften, vorwiegend gehal-          durch – von den Jüngsten bis zur
                                              ten in den Farben gelb, blau und         Fachoberschule 12.
                                              grün, möchte Niklas Hoffnung
                                              machen. „Ich habe mit Absicht            Wo könnte dieser Weg entlang-
                                              nicht das Thema Corona gewählt.          führen? „Wo er hinführt? Ich weiß
                                              Davon haben wir die Nase doch            es nicht, hatte keine konkrete Vor-
                                              alle voll.“                              stellung. Der Weg kann überall
                                                                                       sein“, sagt Niklas, der sich bei
                                              Der Weg, der auf der Jahresmotto-        der Wahl des Motivs von seiner
                                              tasse zu erkennen ist, führt durch       Fantasie hat leiten lassen: „Ich
                                              eine schöne, sanfte Gegend,              hatte kein Vorbild. Es gibt so viele
                                              aber sein Ziel ist nicht sichtbar. Mit   schöne Gegenden, so viele schö-
                                              seiner Idee „Neue Wege“ setz-            ne Länder. Aber ich bin in den Fe-
                                              te sich der 12 Jahre alte Niklas,        rien lieber daheim.“
                                              Schüler der fünften Klasse, gegen          Text und Foto: Martin Batzel

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   AKTUELLES
Gespräch mit Hausdame Daniela Biehl

„Ich freue mich über den
 Besuch von Altbürgern!“
    Sie ist seit zehn Jahren in Hohenwehrda und zuständig für den hauswirtschaftlichen
    Bereich. Was Daniela Biehl auch nach so einer langen Zeit noch überraschen kann,
    was ihr bei ihrer Arbeit besonders wichtig ist und über welche Überraschungen sie
    sich besonders freut, erklärt die Hausdame im Interview.

    Liebe Frau Biehl, seit einem Jahr-                                           Welche Überraschungen erfreu-
    zehnt arbeiten Sie bei der Stif-                                             en Sie besonders?
    tung. Herzlichen Glückwunsch
    zum Jubiläum. In Hohenwehrda                                                 „Es freut mich immer, wenn ehe-
    sind Sie als Hausdame verant-                                                malige Schüler, also Altbürger, uns
    wortlich für den hauswirtschaftli-                                           besuchen!“
    chen Bereich. Würden Sie zustim-
    men, dass den Reinigungskräften                                              Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit
    neben der ureigenen Aufgabe                                                  besonders wichtig?
    eine wichtige pädagogische Auf-
    gabe zukommt?                                                                „Besonders wichtig ist mir, einen
                                                                                 Beitrag zu leisten, dass es den
    „ Ja, sicher, da stimme ich zu.                                              Schülerinnen und Schülern und
    Nach Möglichkeiten unterstützen                                              den Angestellten hier im Internat
    wir als Damen, die sich um die                                               Hohenwehrda gut geht.“
    Reinigung der Häuser kümmern,
    die Internatsfamilieneltern bei ihrer                                        Worin liegt für Sie der besondere
    pädagogischen Arbeit, beson-                                                 Reiz der Arbeit im Lietz Internat
    ders betrifft das den Bereich von                                            Hohenwehrda?
    Ordnung und Sauberkeit in den
    Wohnbereichen.“                                                              „Wir sind hier wie eine große Fa-
                                                                                 milie. Der enge Kontakt mit den
    Hat sich Ihre Arbeit im Laufe des                                            Kindern bereitet mir viel Spaß. Es
    Jahrzehnts verändert?                   Arbeit in einem Internat bedeutet    ist sehr interessant, die Kinder he-
                                            Flexibilität und bisweilen täglich   ranwachsen zu sehen und sie auf
    „Eigentlich nicht, sie ist in etwa      neue Herausforderungen: Kann         ihrem Lebensweg auf HL ein Stück
    gleich geblieben. Aber man kann         Sie nach einem Jahrzehnt noch        zu begleiten.“
    sicher sagen, dass wir durch Co-        etwas überraschen?
    rona mehr Aufgaben haben.“                                                   Wenn Sie ein Fazit ziehen…
                                            „Corona hat mich überrascht! Das
                                            war eine große Überraschung          „…dann ist für mich auch nach
                                            für uns alle – nicht nur in Hohen-   zehn Jahren im Lietz Internat Ho-
                                            wehrda. Im Internatsleben gibt es    henwehrda die Arbeit hier wie ein
                                            immer mal wieder kleine Überra-      Fünfer im Lotto.“
                                            schungen, somit wird es auch nie       Text und Foto: Martin Batzel
                                            langweilig.“

                                                                                                                        15
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 INHALTSVERZEICHNIS

        Jan Staudigl – eine Lietzer Erfolgsgeschichte aus Hohenwehrda und Bieberstein

        „Internat muss man erleben,
                  um es zu verstehen“
              Jan trägt nicht nach – das erleichtert den Einstieg in das Gespräch.
              „Aber bitte glauben Sie mir, ich war es damals nicht. Ich war jung,
              heute verstehe ich Ihre Verärgerung. Aber Sie waren im Unrecht.“

              Die Entschuldigung seines ehema-       wollte dort sein.“ Er entscheidet.    see. Socken, Seife, Schokoriegel
              ligen Familienvaters, vor mehr als     Seine Eltern überlassen ihm die       – alles weg; die vielen Lollis, die
              einem Jahrzehnt stinksauer wegen       Wahl, tragen den Entschluss mit.      Jan in der Hütte zuvor kauft, sind
              eines Ereignisses bei einer Famili-    Nach einem kurzen Aufenthalt im       auch nicht mehr zu retten. Und drei
              enfahrt nach Heidelberg, nimmt         Forsthaus wechselt Jan ins Neben-     Tage in den Bergen liegen noch
              Jan ohne zu zögern an. Alles okay,     haus. Sozialpädagoge Carsten          vor der Gruppe. Man hilft sich,
              längst abgehakt. Es wird eine          Hühn wird dort sein Familienvater.    steht füreinander ein, teilt Deo und
              spannende Unterhaltung mit einem       Die sehr gute Beziehung wirkt heu-    Duschzeug, tauscht Kleidung („Von
              jungen Mann, der reflektiert über      te noch nach, regelmäßig gibt es      Andi Christel bekam ich einen
              sich, seine Schullaufbahn und sei-     Kontakt. Seine Zeit in Hohenwehr-     Pulli“), die Zahnbürste aber nicht.
              nen bisherigen Lebensweg spricht.      da bezeichnet Jan als „aufregende     Auch in den Bergen gibt es eine
              Jan Staudigl kommt im staatlichen      Zeit eines Pubertierenden“; gerne     Grenze, aber in der nächsten Hüt-
              Schulsystem mit 30, 35 Kindern in      denkt er zurück an die unerlaubten    te eine neue Zahnbürste. Andreas
              einer Klasse nicht klar; Jan ist ein   Exkursionen ins Dorf Wehrda und       Christel aus Bamberg und Jan Stau-
              aktives Kind. „Fünf von meiner Sor-    an die nötige Vorsicht und aufge-     digl aus Nürnberg wechseln spä-
              te damals in einer Klasse – dann       brachte Mühe, „damit Herr Müller      ter gemeinsam von Hohenwehrda
              ging nichts mehr und die Post ab.“     uns nicht erwischt“. Oder auch an     nach Bieberstein; beide bestehen
              Wenn Jan Staudigl heute über sei-      die mehrtägige Wanderung der          dort ihr Abitur, ihre Freundschaft
              ne Zeit als junger Mensch redet,       Klasse 9 G im Berchtesgadener         besteht noch heute. Füreinander
              analysiert er selbstkritisch seinen    Land. Jan wandert ungern, aber        einstehen, Freunde fürs Leben ge-
              Weg von der Mittelstufe bis zum        die Tour in den Bergen soll den       winnen – auch das lehrt und bietet
              Abitur. Begleitet wird er dabei von    Zusammenhalt der Klasse stärken       das Internatsleben bei Lietz.
              den Pädagogen der beiden Lietz-        und ist Teil des pädagogischen
              Internate Hohenwehrda und Bie-         Konzepts des Lietz Internats Hohen-   Jan gefällt es. Auch in Schloss Bie-
              berstein. „Ich war ein aufgeweck-      wehrda. Gleich am ersten Tag ver-     berstein erfährt er die Vorzüge und
              ter Junge, der nicht ins staatliche    liert Jan seinen Rucksack – ob kurz   Ansprüche des Internats. Natürlich
              Schulsystem passte. Dass ich kein      vor oder hinter der „Saugasse“,       gibt es Pflichten, die Vorbereitung
              schlechter Mensch bin, konnte ich      einem sehr steilen Anstieg, weiß      auf das Abitur fordert Einsatz und
              in beiden Internaten beweisen.“        er nicht mehr. An den Rest erinnert   Disziplin. „Aber das Leben war
              Grundsätzlich empfiehlt er ein In-     er sich gut. Die Gruppe macht         auch unbeschwert, wir hatten
              ternat als Station im Leben, sagt      Pause, Jan auch, im Moment der        Spaß.“ Jan schlägt die Brücke von
              aber auch: „Es muss auf den Typ        Unaufmerksamkeit passiert es. Sein    seiner Internatszeit zu aktuellen Er-
              Mensch passen.“                        Rucksack steht auf einer Plattform    eignissen. Nicht nur in Zeiten wie
                                                     nahe am Abgrund. Zu nahe. Ir-         der Pandemie mit Kontakt- und Aus-
              Mit zwölf Jahren wechselt Jan ins      gendetwas darin weckt das Inter-      gangssperren, Sportverbot in der
              Lietz Internat Hohenwehrda, geht       esse eines Hundes; ein neugieriger    Öffentlichkeit, Versammlungsverbot
              in die 8. Klasse im Gymnasial-         Stupser, noch einer – und der Ruck-   bietet ein Internat viele Möglichkei-
              zweig. „Ich habe mich aktiv für        sack rutscht über die Kante, fällt    ten: „Immer ist jemand da, wenn
              Hohenwehrda entschieden, ich           hunderte Meter in Richtung Königs-    man reden will.“ Und wenn man

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   MENSCHEN
seine Ruhe sucht – auch okay.          Lieblingsfächer sind Mathematik,            „Sie“ eh komisch. „Wenn man zu-
Die Jahre im Internat in zwei, drei    er belegt den Leistungskurs. Physik,        sammen ein Getriebe in ein Auto
Sätzen zusammen zu fassen, sei         Wirtschaftswissenschaften. Sport            hebt, wäre es mir fremd, wenn
schlichtweg nicht möglich. „Es war     und Geschichte passen auch.                 man sich dabei siezt.“
eine geile Zeit. Wer das verstehen
möchte, muss es erlebt haben.“ Jan     „Für meinen Berufsweg habe ich              Jan Staudigl ist heute ein junger
denkt mit Wohlwollen zurück an         das Abi nicht unbedingt benötigt.“          Mann, der sich gerne mit alten
Hohenwehrda und Bieberstein. In        Aber die Allgemeine Hochschulrei-           Autos und alter Antriebstechnik be-
Hohenwehrda wird die Basis ge-         fe spart Zeit, hilft auch formal. Die       schäftigt. Sein erstes großes Projekt
legt, in Bieberstein aufgebaut und     Handwerkskammer verkürzt die                steht kurz vor dem Abschluss: Ein
zum Abitur geführt. Zum Internat       Ausbildung zum Kraftfahrzeugme-             Golf der ersten Generation, Bau-
in der Rhön fällt Jan Staudigl ein     chatroniker um ein Jahr. Viel wichti-       jahr 1974, mit Vergaser. Wie man
                                                  ger: Jan kann schon, was         einen solchen Vergaser einstellt,
                                                  seine Mitauszubildenden          lernt Jan weder in der Ausbildung
                                                  erst noch mühsam üben            noch beim Meisterkurs. Die Fähig-
                                                  müssen. „Lernen zu ler-          keit, wie man sich Wissen aneig-
                                                  nen“ ist wesentlicher Be-        net, lernt er als Lietz-Schüler. Noch
                                                  standteil des Unterrichts        so ein Vorteil. Das Vergasereinstel-
                                                  in den beiden Internaten.        len ist nun kein Problem. Im Jahr
                                                  Betriebswirtschaftslehre,        vor der Meisterprüfung liegt das
                                                  Marketing, Buchhaltung           Projekt „Golf I“ unvollendet in der
                                                  in der Meisterschule lau-        Werkstatt. Während der Woche
                                                  fen gut. Jan ist gut vor-        kümmert sich Jan um die Kunden-
                                                  bereitet und besteht die         autos, am Wochenende lernt er für
                                                  Meisterprüfung mit der           die Meisterprüfung. Der Golf war-
                                                  Note 1,9. Der Meister-           tet auf ihn zerlegt und gereinigt in
                                                  brief hängt in seinem            allen Einzelteilen. „Schon vor der
                                                  Büro im Kfz-Betrieb seiner       Schulzeit habe ich Dinge hinter-
                                                  Eltern in Nürnberg. Jan          fragt.“ Das Gros seiner Spielzeuge
                                                  soll den Betrieb fortfüh-        zerlegt Jan bis in die Kleinteile und
                                                  ren. Seine Schwestern,           baut sie wieder zusammen. Wis-
                                                  Zwillinge und drei Jahre         sen wollen, was drin sei, das ma-
                                                  älter, haben andere Plä-         che für ihn einen guten Kfz-Meister
                                                  ne. Sie studieren Jura und       aus. Der „Golf I“, ein Sammlerstück
                                                  BWL. Sicher können sie           mit 120 000 Kilometern auf dem
                                                  mit Fachwissen unterstüt-        Tacho, wird bei Jan bleiben. 150
                                                  zen, aber an den Autos           bis 200 Arbeitsstunden stecken
                                                  schraubt ihr Bruder. Es ist      drin. Vielleicht wird aus dem Golf
                                                  ein Familienunternehmen.         ein Ausstellungsstück für den Ver-
                                                  Jans Mutter arbeitet im          kaufsraum. Auf die Straße kommt
Stichwort ein: „Selbstständig wer-     Büro, sein Vater kümmert sich um            der Wagen nur bei 25 Grad
den, Eigenverantwortung lernen         Büro und Verkauf. Fünf Mechaniker           Celsius und wolkenlosem Himmel.
und übernehmen“ – für sich, sein       arbeiten in der Werkstatt. Formal           Ohne Ausnahme.
Zimmer, seine schulische Leistung,     hat Jan noch einen Vertrag als An-
sein Leben. Auf Schloss Bieberstein    gestellter, er wächst in die Rolle des      Jan Staudigl ist 22 Jahre alt und
lernt Jan auch, sich um seine Wä-      Vorgesetzten hinein, auch wenn er           vergeben. Seine Freundin und er
sche zu kümmern. Da ist er 15. In      über sich sagt: „Ich werde mit 22           möchten Kinder, aber noch nicht
der E-Phase wohnt Jan bei Rainer       Jahren nicht als Chef auftreten.“           heute und auch nicht morgen.
Lange neben der Sporthalle; dann       Seine Kollegen duzt er; das funktio-        Würde er seinen Kindern ein In-
wechselt er ins Schloss. „War be-      niert, einer ist jünger, vier sind älter.   ternat empfehlen? „Wenn sie die
quemer.“ Die Wege sind kürzer.         Sie respektieren seine Ansagen.             gleiche Erfahrung machen wollen
Renate Thomale wird seine Fami-        „Auf Bieberstein habe ich die Leh-          wie ihr Papa, dann würde ich sie
lienmutter und hat maßgeblichen        rer auch geduzt und gelernt, dass           bei diesem Plan unterstützen. Ja.“
Anteil am Erfolg: „Sie hat mich mo-    ein ‚Du‘ nichts mit Respektverlust zu         Text: Martin Batzel
tiviert, das Abi zu schaffen.“ Seine   tun hat.“ In der Werkstatt sei ein            Foto: Jan Staudigl

                                                                                                                           17
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 INHALTSVERZEICHNIS

        Diplom-Sozialpädagoge Carsten Hühn: Seit zehn Jahren in Hohenwehrda

        Ein Lebenslauf muss nicht mit
        dem Lineal gezogen sein
              Die Pläne sehen anders aus, aber dann kommt die Anfrage: „Können Sie sich
              vorstellen, intern zu werden?“ Carsten Hühn kann, möchte die Entscheidung für ein
              neues Lebensmodell aber mit seiner Frau absprechen. Zwei Stunden später ruft sie
              zurück – geht nicht vorher, sie befindet sich in einem Meeting – und sie stimmt zu.

              Das Ehepaar Hühn mit Hund              der Grundstein gelegt worden         An seine erste Abfahrt erinnert
              zieht ein ins Lietz Internat Hohen-    ist für das, was sie heute sind.“    er sich gut, aber auch an seine
              wehrda. Zehn Jahre ist das her,        Carsten Hühn formt in den zehn       Glücksgefühle, „wenn alle Kinder
              Carsten Hühn feiert in diesem Jahr     Jahren Lietz-Lounge und Billard-     und ich nach einer Woche im
              sein Betriebsjubiläum.                 raum zu einem sozialen Treffpunkt;   Schnee gesund und ohne Brüche
                                                     er überwindet seine Ängste und       wieder im Bus nach Hohenwehr-
              Fünf Jahre wohnt die Familie im                                             da saßen“.
              Nebenhaus, betreut eine Jun-
              genfamilie, wird wegen der                                                  Zwar wohnt Carsten Hühn inzwi-
              Mischung aus Verständnis, kla-                                              schen mit seiner Familie wieder in
              rer Ansprache und Geduld ge-                                                   Hünfeld, doch er springt immer
              schätzt. „Mir ist wichtig, dass                                                 wieder ein, wenn in Hohen-
              die Kinder, mit denen ich zu-                                                     wehrda Familienarbeit zu
              sammenarbeite, sagen: Der                                                          übernehmen ist, schätzt
              Hühn ist korrekt.“                                                                 die Abwechslung, die
                                                                                                  ihm seine Aufgabe bietet.
              Zu Beginn seiner Zeit in                                                            „Man kann in Hohen-
              Hohenwehrda trägt Cars-                                                             wehrda seine Interessen
              ten Hühn die Haare schul-                                                          einbringen, sich verwirkli-
              terlang. Mit der Zeit werden                                                      chen. Jeder Tag bringt eine
              sie kürzer, der Bart bleibt. Vor                                                 neue Herausforderung.“
              etwas mehr als zehn Jahren
              steigt er für wenige Wochen mit                                               Die Kinder spüren: Carsten
              einer Teilzeitstelle ein, wird Pate                                         Hühn versteht sie, kennt manche
              im Forsthaus, dann kommt der                                                ihrer Nöte und vielleicht auch
              Anruf und der Umzug ins Neben-                                              Zweifel aus eigener Erfahrung.
              haus. Zu einigen der Jungs, die        steht mit Mitte 30 erstmals auf      Mit 16 geht er von der Schule ab,
              Carsten Hühn in den fünf Jahren        Skiern. Auf dem Südtiroler Berg      ihm genügt die mittlere Reife. Vor-
              als Mentor betreut, hat er heute       Plose, seit Jahrzehnten Ziel der     erst. „Ich hatte damals keine Lust
              noch gute Kontakte, sieht ihren        Hohenwehrdaner Wintersportex-        auf Schule, wollte etwas lernen,
              Werdegang mit großem Interes-          kursionen im Februar, lernt Hühn     Geld verdienen.“ Carsten Hühn
              se. „Es tut gut und ist schön zu se-   die Koordination von Stöcken und     absolviert eine Ausbildung zum
              hen, was aus ihnen geworden ist;       Brettern. „Ein tolles Erlebnis.“     Maler und Lackierer. „Ich wollte
              zu spüren, dass in Hohenwehrda                                              auch immer etwas mit Menschen

   18
   MENSCHEN
Am Schachspiel, das er schon
                                                                            früh für sich entdeckt, reizt ihn:
                                                                            „Man ist ganz bei sich.“ In der
                                                                            Schachgilde, die Carsten Hühn in
                                                                            Hohenwehrda leitet, macht er die
                                                                            Erfahrung: „Auch Schüler, die mo-
                                                                            torisch unruhig sind, werden beim
                                                                            Schach ruhig, sind voll auf das
                                                                            Spiel und die Züge konzentriert.“
                                                                            Später klopft er Doppelkopf, po-
                                                                            kert, räumt bei Preisskat-Turnieren
                                                                            ab. Dafür bleibt heute wenig Zeit
                                                                            – Familie, Beruf, Autos rücken in
                                                                            den Vordergrund. Auf die Frage
machen, aber mit 16 ist die Ein-       Er pflegt und hegt die Fahrzeuge.    nach drei Wünschen muss Cars-
sicht nicht da, dass dies nur über     „Das ist ein schöner Ausgleich.“     ten Hühn nicht lange nachden-
die Schule und Abschlüsse geht.“       Der Stolz seiner Fahrzeugflotte:     ken: „Dass mein Sohn gut gelingt;
Auch beim Teenager mit Wurzeln         Ein E30 Baur Cabrio, grau, Bau-      Gesundheit für meine Familie und
in Osthessen ist dies ein Prozess,     jahr 1983. Mit viel, viel Chrom.     dass meine Arbeit als Sozialpäd-
an dessen Ende er feststellt „In der   „Der hat viel Fläche, die ich put-   agoge positiv wirkt.“
Ausbildung habe ich gemerkt,           zen muss.“                             Text und Fotos: Martin Batzel
dass Schule doch seinen Reiz
hat. Und ich habe profitiert da-
von, dass unser Bildungssystem
offen ist und man Interessen, die
sich mit der Zeit entwickeln, auch
später verwirklichen kann.“ Nach
dem Fachabi mit Schwerpunkt So-
zialwesen folgt das Studium und
der Abschluss als Diplom-Sozial-
pädagoge. Carsten Hühn ist 43
Jahre alt. Wenn er heute mit Schü-
lern über ihre Entwicklung spricht,
dann kennt er manche ihrer Ängs-
te, Unsicherheiten, Zweifel, man-
chen Ärger und Frust aus eigener
Erfahrung. Ein Lebenslauf muss
nicht mit dem Lineal gezogen
sein, um als erfolgreich zu gelten.
Familie, Kind, Hund, Schach, alte
BMW – damit gestaltet Carsten
Hühn seine Freizeit. Vier Wagen,
darunter zwei Cabrios, stehen da-
heim in den Garagen in Hünfeld.

                                                                                                                   19
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 INHALTSVERZEICHNIS

        Geschichten aus dem Berufsleben des Hohenwehrdaner Kochs Wilbert Isslei

        „Isi“ ist Rentner, ihm geht’s gut
              Auf der Rückseite der Ansichtskarte aus Ibiza steht in jugendlicher Handschrift eine
              Wertschätzung mit Augenzwinkern: „Ob Spinne, Ratte oder Maus – „Isi“ macht einen
              Hamburger draus.“

              Wilbert Isslei, in Hohenwehrda,       ich mir einen Traum erfüllt.“) will    die Küche, bevor nicht aufgeräumt
              im Haunetal und für diejenigen,       bewegt werden, ebenso das              ist.“ Niemals, ohne Ausnahme.
              die ihn kennen, kurz „Isi“, freut     E-Bike; 1.800 Quadratmeter ist         Das gilt für „Isi“ und auch seine
              sich auch heute noch über die         das Grundstück mit Haus und Gar-       Frau Ulrike. Wer kocht besser?
              Urlaubsgrüße ehemaliger Schüler       ten groß. Die Hütten darauf baut er    Ulrike Isslei bekennt: „Mein Mann.
              des Lietz Internats Hohenwehrda.      selbst, die Anlage mit vielen We-      Meistens fange ich an, dann steigt
              Er hebt die Karten auf in seinem      gen, Rasen und einem Nutzgarten        er mit ein.“ Es gibt wenige Ausnah-
              kleinen Privatarchiv mit Fotos und    legt er in Eigenarbeit an. Seine Be-   men: An Bolognese-Soße gehe er
              Texten von Buffets und Schulfesten,   schäftigung im Winter: Bücher le-      nicht dran, an die Schweizer Spe-
              von Schul-Fahrten nach Südtirol       sen, Ski alpin und Langlauf – auch     zialität „Älplermaccaroni“ auch
              zum Skifahren auf der Plose, hu-      auf selbstgespurten
              manitären Touren mit Kleider- und     Loipen im Haune-
              Sachspenden zu einer befreun-         tal und der Rhön.
              deten Schule in Slowenien und
              nach Rumänien. Im Oktober ver-        Wie früher in Ho-
              gangenen Jahres geht „Isi“ in den     henwehrda gilt
              Ruhestand – nach 34 Jahren und        heute am Herd im
              sechs Monaten als Küchenchef in       Eigenheim in Hau-
              Hohenwehrda.                          netal-Neukirchen:
                                                    Am Ende des Ta-
              Ihm geht es gut als Rentner, er       ges muss die Kü-
              hat wenig Zeit und viel zu tun.       che sauber sein.
              Das Wohnmobil („Damit habe            „Keiner verlässt                       Vorbereitung zum Weihnachtsessen, 1998

   20
   MENSCHEN
nicht. Die isst er aber gerne; eben-   Schluss in Mainz. Reicht auch.        nach Geschlechtern. Ist damals
so Rindfleisch mit Meerrettichsoße;    „Isi“ fährt danach Bahn und mit       halt so. „Isi“ aber schmiert erst
Fisch in allen Variationen, Steak      dem TEE „Rheingold“, einem            Schinkenbrote, dann den Nacht-
und Salat gehen auch immer. Die        1.-Klasse-Barwagenzug, quer           wächter. So funktioniert’s. Am 14.
Arbeitsteilung setzt sich bei der      durch Europa. Stationen sind          August 1987: Uli und „Isi“ heira-
Gartenarbeit fort: „Ich hacke die      Frankfurt, Amsterdam, München,        ten. Den zwölf Jahre dauernden
Löcher, meine Frau wirft die Kartof-   Genf, Brüssel, Paris – zweimal in     Anlauf bis zur Hochzeit erklärt
feln rein, ich schaufele wieder zu.“   der Woche. 05.00 Uhr Abfahrt          Wilbert Isslei so: „Wir hatten
                                                                                            doch vorher keine
„Isi“ und Ulrike har-                                                                       Zeit.“ Und was ist
monieren, kennen                                                                            mit seinem Ziel, die
sich seit 46 Jahren.                                                                        Welt zu erkunden?
Als Rentner sei er gut                                                                      „Das geht solange
zu ertragen, sagt sie                                                                       gut, bis die Liebe
über ihren Mann.                                                                            kommt. Dann sind
Manchmal besser                                                                             dir die Füße und
als vorher. Das soll                                                                        Hände gebunden.“
er aber nicht hören.
Er sagt: „Frau, wenn                                                                        Sein berufliches
es jetzt nicht klappt,                                                                      Nomadenleben
dann wird es eh                                                                             endet am 1. April
nichts mehr.“                                                                               1986. „Isi“ wird
                                                                                            sesshaft und mit 28
Raus aus Wehrda,                                                                            Jahren Küchenchef
die Welt kennen                                                                             in Hohenwehrda.
lernen. Das ist sein                                                                        Zehn Frauen und
Ziel als junger                                                                             ein Mann arbei-
Mann. Wilbert Isslei                                                                        ten damals im Un-
kocht nach seiner                                                                           tergeschoss des
Ausbildung in Bad                                                                           Schlosses. Moder-
Salzschlirf auch im                                                                         nisierungen und
Kensington Hilton in                                                                        der Einsatz neuer
London und 1978                                                                             Maschinen führen
im Hilton in Mainz                                                                          dazu, dass die
beim Staatsbesuch                                                                           Mitarbeiterzahl
der Königin von                                                                             sinkt. Geht aber
England. 300 Kör-                                                                           nicht anders. Was
be Spargel, 250 Liter Soße Hol-        Frankfurt Hauptbahnhof, 21.55         macht einen guten Küchenchef
landaise, 6000 Kartoffeln wer-         Uhr Ankunft München, Eintritt ins     aus? „Ausgeglichenheit, Loyalität,
den tourniert, 1200 Gäste sind         Hofbräuhaus spätestens 22.25          Teamgeist, Menschen motivieren
im Mainzer Schloss. Während            Uhr. Die Taktung damals ist eng.      zu können – und wenn es auch
der Zeit in Mainz holt er sich Auto-                                         mal lauter wird. Doch man besteht
gramme der Sänger Udo Jürgens,         Die entscheidenden Stationen          nur als harmonisches Team.“
Peter Maffay, Roland Kaiser und        des Fahrplans seines Lebens ruft
Roger Whittaker, haut für den          „Isi“ problemlos ab: Geboren am       Nach 34 Jahren und sechs Mona-
hungrigen Schlagersänger Rober-        Pfingstsamstag 1958 in Haunetal-      ten ist im Oktober 2020 Schluss,
to Blanco („Ein bisschen Spaß          Wehrda; Sommer 1975: Uli und          bedingt durch Corona gibt es nur
muss sein“) sechs Hummer in die        „Isi“ lernen sich kennen. Beide ar-   einen leisen Abschied.
Pfanne und trifft beim Abräumen        beiten bei der Bahn, er als Koch,
des Fischbuffets die Discogruppe       sie als gelernte Hotelfachfrau. Bei   Im Fotoalbum in „Isis“ kleinem Pri-
Boney M. Deren Sängerin Liz Mit-       den Freischichten zwischen zwei       vatarchiv klebt neben der Karte
chell ist spät dran und bedankt        Fahrten schlafen sie im Wohnheim      aus Ibiza noch eine aus Madrid.
sich bei ihm für das Warten mit        am Frankfurter Hauptbahnhof, die      Auf ihr steht: „I miss your cooking.“
einem gehauchten Wangenkuss.           Männer im rechten Gang, die             Text: Martin Batzel
Nach drei Karnevalsaisons ist          Frauen im linken, streng getrennt       Fotos: Uli Mayer, Martin Batzel

                                                                                                                      21
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 INHALTSVERZEICHNIS

        Hanna Bailly verlässt Hohenwehrda mit dem Fachabi – ein Blick zurück auf fünf Jahre Lietz

        Kurze Wege zum Erfolg
              Hanna Bailly, im Dezember 2001 geboren in Kairo, aufgewachsen in Hanau,
              kam im März 2016 ins Lietz Internat Hohenwehrda. Vor wenigen Tagen bestand
              sie ihr Fachabitur mit Schwerpunkt Sozialwesen. Im Gespräch blickt Hanna zurück
              auf ihre Zeit in Hohenwehrda.

              Herzlichen Glückwunsch zum            Und nach Neuseeland, dem               2016 bist du nach Hohenwehrda
              Fach-Abi, wie zufrieden bist du       1. Teil der großen Freiheit…           gekommen – wie siehst du deine
              mit dir und deinen Leistungen?        „…planen wir sechs Monate in           persönliche Entwicklung?
              „Ich habe das Beste gegeben,          Australien.“                           „Auf dem Campus ist es natürlich
              eine Zwei vor dem Komma, aber                                                etwas enger, daheim kann ich den
              die Abiprüfungen waren schwe-         Also Teil 2 der großen Freiheit:       Menschen eher aus dem Weg ge-
              rer, als ich erwartet habe.“          Gibt es dort nicht viele giftige und   hen. Das ist hier manchmal etwas
                                                    gefährliche Tiere?                     schwieriger. Aber man kann es
              Sechs Jahre lang war Hohen-           „ Ja, und ich habe Angst vor Spin-     natürlich auch so sehen: Man fühlt
              wehrda dein zweites Zuhause.          nen. Aber manchmal muss man            sich nie alleine. In Hohenwehrda
              Wie stark sind die Erinnerungen       sich seinen Ängsten eben auch          habe ich gelernt, richtige, tiefge-
              an deinen ersten Tag in Ho?           stellen.“                              hende Freundschaften aufzubau-
              „Ich erinnere mich sehr gut. Wir                                             en. Im schulischen Bereich wurde
              durften unsere Handys nicht he-       Und nach Australien folgt die          ich zielstrebiger, habe Erfolge
              rausholen, im ersten Unterrichts-     große Freiheit Teil 3 oder der Ein-    gespürt. Daheim habe ich für die
              block am Montag stand ich erst        stieg ins Berufsleben?                 Schule gelernt, aber keine Erfolge
              alleine da. Aber das war schnell      „Der Einstieg ins Berufsleben, so      gesehen. Das wurde hier in Ho-
              vorbei, nach zwei Tagen kannte        ist der Plan. Eine Option ist der      henwehrda anders.“
              ich jeden. Mit solch einer Situati-   Bereich Mode & Design und zu
              on hatte ich noch nie Probleme.“      einem späteren Zeitpunkt der Ein-      Hat dabei die engmaschige Ver-
                                                    stieg in die Modefirma meiner          knüpfung von Leben im Internat
              Nach dem Fachabi kommt nun            Eltern; oder eben ein Beruf im Be-     und Schule geholfen?
              die große Freiheit?                   reich Theater und Schauspiel.“         „ Ja, sehr sogar. In der Staatsschu-
              „Ein bisschen schon, ja; aber erst-                                          le schreibt man einem Lehrer eine
              mal werde ich arbeiten und mein       Alles keine medizinischen oder         Mail, bekommt später eine Ant-
              eigenes Geld verdienen. Das ist       pflegerischen Berufe – an wel-         wort. Meistens, manchmal auch
              mir sehr wichtig!“                    cher Stelle hilft dir dabei das        vielleicht. In Hohenwehrda sehe
                                                    Fachabitur mit Schwerpunkt So-         ich meine Lehrer jeden Tag, auch
              Und dann kommt die große              zialwesen?                             wenn ich an dem Tag keinen Un-
              Freiheit?                             „Wir haben in der Zeit der Fach-       terricht bei ihnen habe. Meine
              „Mein beste Freundin Tamina und       oberschule sehr viel soziale Kom-      Fragen werden also schnell be-
              ich planen ein halbes Jahr „work      petenzen erlernt und geübt. Sozi-      antwortet. Vielleicht wohnt mein
              and travel“ in Neuseeland. Ta-        ale Kompetenzen benötigt man in        Lehrer sogar auf dem Campus,
              minas Bruder war dort, er sagt,       jedem Beruf. Mit der sozialen Aus-     dann kann ich klingeln und mir
              dort ist der schönste Platz, den es   bildung, die ich in Hohenwehrda        wird geholfen. Außerdem habe
              gibt.“                                erhalten habe, kann ich in viele       ich hier kurze Wege und keinen
                                                    Berufe gehen.“                         Heimweg von der Schule zum

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   MENSCHEN
Wohnort. Alles ist an einem Platz.     lich bei sich haben. Aber ab ei-
Die Struktur war für mich optimal,     nem gewissen Alter würde ich,
dadurch habe ich gelernt, Schule       wenn es mir wirtschaftlich möglich
und Freizeit in ein Gleichgewicht      wäre, meinen Kindern einen Platz
zu bringen.“                           im Internat ermöglichen. Also lau-
                                       tet die Antwort auf die Frage: Ja.
Wenn du deine Entwicklung in           Denn im Internat findet man Freun-
den fünf Jahren, in denen dich         de fürs Leben.“
die Pädagogen in Hohenwehrda
begleitet haben, beschreiben soll-     Wenn die Feier vorbei ist, der
test – welche Worte findest du?        erste Abschieds-Blues sich gelegt
„Als ich mit knapp 14 Jahren           hat – was wirst du am meisten
nach Ho kam, war ich ein junger        vermissen?
Mensch, vielleicht sogar ein we-       „Den im Sommer herrlichen Swim-
nig naiv. Aber immer herzlich. Ich     ming-Pool. Und: Wenn man mit
habe im Laufe der Jahre gelernt,       einem Lehrer sprechen möchte,
Dinge zu hinterfragen.“                dann klingelt man einfach an sei-
                                       ner Tür und fragt, ob er Zeit hat.
Nehmen wir an, du sitzt in Neu-        Und die Struktur im Tagesablauf
seeland an der Küste und sollst        werde ich sehr vermissen. Klar
einem Menschen dort das Lietz          nervt die einen manchmal auch,
Internat Hohenwehrda in einem          doch habe ich gelernt: Struktur
Satz beschreiben. Wie sähe der         hilft uns dabei, die gesteckten Zie-
Satz aus?                              le zu erreichen. Hohenwehrda hat
„Ich lebe in meiner Schule – und       mich auf mein Leben vorbereitet
das gerne.“                            und dafür bin ich dankbar.“
                                          Text: Martin Batzel
Wenn du Kinder hättest, würdest           Foto: privat

du ihnen ein Internat empfehlen?
„Natürlich möchte jede Mutter
ihre Kinder so lange wie mög-

                    FOS Sozialwesen
       Schülerinnen und Schülern mit einem Fachabi in der
       Fachrichtung Sozialwesen stehen verschiedene Wege offen –
       darunter ein Studium an einer Fachhochschule (beispielsweise
       Betriebswirtschaftslehre, Pflege- und Gesundheitswissenschaften,
       Soziale Arbeit, etc.); Berufsausbildungen im dualen System;
       eine schulische Ausbildung (beispielweise Erzieher/in,
       Ergotherapeut/in, Heilerziehungspfleger/in, Logopäde/in)

                                                                              23
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 INHALTSVERZEICHNIS

         Familienabende der Schlossmädchen – Ziel: „Weg vom Konsum“

        Von Henna-Händen, Kunst in
        Schwarz und Lieblingsplätzen
              Kleine Bilder, große Wirkung, klares Statement – aber leider nur für zwei Wochen.
              Dann sind die Henna-Motive auf Händen und Füßen durch den Gebrauch von
              Wasser und Seife schon wieder verschwunden.

              Doch der Spaß und die Erinnerung      Schwanz die Möglichkeit, ihre           „Kunst über Kunst –
              an einen kreativen Familienabend      Perspektive exemplarisch darzustel-     Acryl auf Vinyl“
              mit hautverträglicher Farbe und       len und selbst zu ergründen, was        Klar ist das Kunst und kommt auf
              Fröhlichkeit bleibt. Die kunstvolle   „ihr Internat“ ausmacht. Auch Fra-      keinen Fall weg! Sondern an die
              Bemalung von Händen, Füßen und        gen wie „was möchte ich gerne           Wände im Mädchenbereich der
              Armen sorgte in Corona-Zeiten für     verändern“ leiteten die erstellten      Schlossetage. Motto des Abends:
              einen stimmungsvollen Abend –         Fotos. „Großartige Eindrücke, die       „Kunst über Kunst – Acryl auf Vi-
              entsprechend gab es dazu die          besonders die Natur hervorheben         nyl“. Ziel des Abends: „Weg
              passende Musik von Madonna.           und das Bewusstsein dahingehend         vom Konsum, hin zur Kreativität.“
              Denn die Pop-Queen brachte den        erweitern, sind daraus entstan-         Inspiriert von femininen Deutsch-
              Trend der Henna-Bemalung in den       den“, sagte Kim Sippel bei ihrem        Rap-Klängen veredelten die Schü-
              90er Jahren in die westlichen Kul-    Abschied am Ende ihrer Anerken-         lerinnen mit ihrer Internats-Famili-
              turen. Seinen Ursprung hat die Ver-   nungszeit zur Sozialpädagogin.          enmutter die Langspielplatten aus
              zierung mit Ornamenten als Braut-     Gemeinsam mit Katrin Schwanz            der Zeit lange vor „Spotify“ und
              bemalung und Teil des islamischen     und der Familienpatin Verena            Soundkarten mit persönlichen
              Hochzeitsrituals.                     Schwarz gestaltete sie den kreati-
                                                    ven Abend. Sichtbar werden Spaß
              Lieblingsorte in Hohenwehrda          und Kreativität in der Collage, wel-
              „Altes“ wird neu entdeckt, die        che nun den Familienbereich im
              künstlerische Ader ausgelebt, die     Mädchenstockwerk schmückt.
              eigene Perspektive verwirklicht:
              Wo bin ich gerne, wo ist mein         Frauenpower mit Flowerpower
              Lieblingsort in Hohenwehrda?          Markenklamotten sind vielleicht
              Bei einem gemeinsam gestalteten       angesagt und mega-cool; doch
              Fotoprojekt nutzten die Schülerin-    „selber machen“ ist mindestens
              nen der Internatsfamilie von Katrin   ebenso cool. Dazu noch eine
                                                    bunte Mischung aus Kreativität,
                                                    Spontaneität und die richtige „Mu-
                                                    cke“ – dann gibt‘s sehenswerte Er-
                                                    gebnisse und schöne Stunden: Mit
                                                    vielen Farben und Ideenreichtum         Motiven und Mottos. „Es war ein
                                                    gestalteten die Schlossmädchen          unvergesslicher Abend mit viel
                                                    ihre T-Shirts, indem sie zuvor inein-   Inspiration, Kreativität, künstleri-
                                                    ander gedrehte Stoffe mit mutigen       schem Geschick und noch mehr
                                                    Farbkombinationen überschütteten.       Spaß“ sagte Lietz-Lehrerin Katrin
                                                    Eine Stunde warten, dann war das        Schwanz.
                                                    Ergebnis sichtbar. In Zeiten der          Texte: Katrin Schwanz, Kim Sippel,
                                                                                              Martin Batzel
                                                    Pandemie kann es auch beim Klei-          Fotos: Katrin Schwanz
                                                    dungsstil mal bunter werden.

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   PROJEKTE
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