Der Preis der Krise - SP Schweiz
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Patrick Gilliéron Lopreno Mitgliederzeitung der SP Schweiz 188 · Ausgabe CH · Mai 2020 AZB 3001 Bern Der Preis der Krise In Genf stehen Tausende Schlange, um ein Lebensmittelpaket im Wert von 20 Franken zu ergattern. Wie sich die SP für Solidarität einsetzt. Ab Seite 4 KLIMASCHUTZ VS. RISIKOGRUPPE ARBEITSPLÄTZE Ü65 Ist es richtig, dass der Staat für die Swiss einspringt? Wie Rentnerinnen und Rentner ins falsche Licht gerückt werden – Die Genossen der Gewerkschaft Kapers im Interview. Seite 6 die SP 60+ gegen Vorurteile und Missverständnisse. Seite 8
2 LINKS 188 ∙ 2020 Aktuell Liebe Genossinnen und Genossen, INHALT liebe Sympathisantinnen und Sympathisanten 4 Der Preis der Krise Derzeit ist Solidarität Trumpf – noch. Die SP startet darum Wie eine Gastronomin und und eine grosse Solidaritätskampagne. Denn Solidarität ist un- eine Lädeli-Besitzerin durch die sere Kernkompetenz, dafür stehen wir seit jeher ein. Jetzt Krise kommen – und was die wollen wir für die Solidarität Flagge zeigen – wortwörtlich: SP macht. Mit dem Bestelltalon auf der letzten Seite kannst du eine 6 Staatshilfe für die Swiss: Solidaritäts-Fahne bestellen und diese auf deinem Balkon Arbeitsplätze vs. Klimaschutz? oder vor deinem Fenster hissen. Mit solchen und vielen an- Die Genossen von der Gewerk- deren Aktionen wollen wir dafür sorgen, dass die Solidarität schaft der Flight Attendants im Interview. zwischen Jung und Alt, zwischen Risikogruppen und Schul- kindern, zwischen ganz unterschiedlichen Bevölkerungs- 8 Das Alter ist anders als es gruppen auch in der öffentlichen Wahrnehmung ein bedeutender Wert bleibt, auf das BAG meint dem wir gemeinsam eine Zukunft für alle aufbauen können. Missverstanden und bisweilen ausgegrenzt: Seniorinnen und Nichts wäre schlimmer, als wenn man dereinst auf die Zeiten der Pandemie zu- Senioren sehen sich anders als es rückblicken und die solidarischen Massnahmen als «völlig übertriebene Rück- das BAG tut. sichtnahme» verdammen würde. Auszuschliessen ist das nicht. Wir haben eine 13 Corona und die Kitas solche Umdeutung der Realität bereits einmal erlebt: 2015 hiessen weite Teile Kinderbetreuung gehört zur Europas Flüchtlinge willkommen. Heute stehen die Staaten in einem Wettlauf Grundversorgung und soll auch um das repressivste Asylgesetz, und «Willkommenskultur» ist zum Schimpfwort so finanziert werden. avanciert. Wer damals Flüchtlinge mit offenen Armen empfing, wird heute dafür 14 Note ungenügend, ausgebuht. Frau Keller-Suter! Sorgen wir dafür, dass es nicht so weit kommt. Sorgen wir dafür, dass auf Die Schweiz sieht sich nicht in der Pflicht, mehr Menschen aus Worte Taten folgen und wir unsere Werte in der Politik durchsetzen können – dem Flüchtlingslager Moria zum Wohle aller. Denn eines lehrt uns die Krise: Unsere Gesellschaft ist stark, aufzunehmen. wenn wir solidarisch sind. Solidarität ist der Ausweg aus der Krise. 15 Schwarzenbachab Vor 50 Jahren wurde die Schwar- In diesem Sinne: solidarische Grüsse – und danke für die Bestellung einer Fahne. zenbach-Initiative gebodigt. Das Thema spaltet seither die Politik. Pia Wildberger 18 Mitglieder gewinnen, jetzt erst recht 20 Solidaritätsfahne hier bestellen IMPRESSUM Herausgeberin: SP Schweiz, Theaterplatz 4, 3011 Bern, Telefon 031 329 69 69, Fax 031 329 69 70 Erscheint 6 Mal pro Jahr, Auflage 36 796 (Wemf) Abonnementspreise: Für M itglieder der SP Schweiz gratis Adressänderungen/Abo: abo@spschweiz.ch Redaktion: Pia Wildberger (Chefredaktion), Niklaus Wepfer (SO), Livia Diem (BS), Ruedi Brassel (BL), Hannes Rettenmund (BE), Katharina Kerr (AG), Sebastian Dissler (LU), Julian Fitze (TG), Michael Sutter (Region Bern), Urs Geiser ( Korrektor) E-Mail Redaktion: links@spschweiz.ch Gestaltung/Produktion: Atelier Bläuer, Bern Druck: AZ Druck Aarau Anzeigen: Kilian Gasser, Medienvermarktung GmbH, Gitschenstrasse 4, 6460 Altdorf, Tel. 041 871 24 46, kg@kiliangasser.ch Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 11. Mai 2020. Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 20. August 2020. Gedruckt auf Recyclingpapier aus der Schweiz.
Reuters / Thomas Lohnes Aktuell LINKS 188 ∙ 2020 3 Standhafte Demonstranten Der 1. Mai fand dieses Jahr notgedrungen online statt. Viele Genossinnen und Gewerk- schafter liessen sich die Solidaritätskund- gebung in den sozialen Medien jedoch nicht entgehen. Die Debatten auf Facebook und das Referat des deutschen Juso-Chefs Kevin Kühnert, organisiert vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund und von der SP, fanden regen Zuspruch. Unterhaltsam war auch das Liederprogramm: Neben wunderbaren Einer der Angeklagten am ersten Prozesstag in Koblenz. Aufsteller: Assads Schergen vor Gericht In Deutschland stehen erstmals zwei mutmassliche Folterknechte des syrischen Dikta- tors Assad vor Gericht. Die beiden hatten in Deutschland um Asyl gebeten und waren von Flüchtenden erkannt worden. In diesem weltweit ersten Prozess zu Staatsfolter in Syrien werden den beiden mutmasslichen Ex-Geheimdienstfunktionären schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Sie sollen für die Folter zahlreicher Menschen in einer Haftanstalt des Geheimdienstes mitverantwortlich gewesen sein. Ihnen werden laut Anklage Mord in 58 Fällen, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung zur Last gelegt. Bis August sind 23 Verhandlungstage angesetzt. Ab Februar 2011 hatte die syrische Bevölkerung monatelang friedlich gegen Korruption und für bessere Lebensbedingungen demonstriert. Mithilfe der Geheimdienste erstickte das Regime die Demonstrationen jedoch bald in massiver Gewalt. Nach dem Weltrechtsprinzip, das erstmals angewendet wird, können Völkermord, Kriegs- verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit überall geahndet werden, egal, wo die Taten verübt wurden. Kriegsverbrecher dürfen sich nirgends sicher fühlen. Darbietungen von Künstlerinnen sang die SP- Hohe Rüstungsausgaben 11,5 Prozent weniger Fraktion für die Genossinnen und Genossen begünstigen Covid-19 Lohn für Frauen die Internationale – nachzuhören auf dem Facebook-Kanal der SP Schweiz. Die Heftigkeit der Corona-Krise steht auch Wenn es so weitergeht, dauert es 46 Jahre, Einen ganz besonderen 1.-Mai-Umzug ver- im Zusammenhang mit den weltweiten Rüs- bis Frauen gleich viel verdienen wie Männer. brachten auch der Berner Genosse Moritz tungsausgaben. Dies lässt sich anhand von Gemäss den Zahlen des Bundesamts für Rapp, 97, und sein Kollege Walter Hub- Studien und Zahlen belegen, wie das Geneva Statistik von Ende April nahm der Unter- schmid. «85 Jahre lang war ich immer am Center for Security Policy auf seiner Website schied zwischen Frauen- und Männerlöhnen Umzug dabei», sagt er, «da will ich nicht schreibt. Einer Studie aus dem Jahre 2018 zu- um etwa ein Viertelprozent ab. Dies ent- darauf verzichten.» So packte der ehemalige folge führt die Erhöhung der Rüstungsaus- spricht der Entwicklung der Vorjahre. Eisenbähnler zusammen mit seinem Kollegen gaben um 1 Prozent zu einer durchschnitt- Insgesamt belief sich das Lohngefälle wie jedes Jahr die Fahne des SEV. Zu zweit lichen Kürzung der öffentlichen Ausgaben zwischen Frauen und Männern im Jahr 2018 marschierten sie Richtung Bundeshaus. Vor für Gesundheit um 0,62 Prozent, in ärmeren auf 11,5 Prozent. 2016 lag es noch bei 12 dem Zytglogge wurden sie von der Polizei Ländern gar um 0,96 Prozent. Die Zahlen und 2014 bei 12,5 Prozent. Geht es in diesem gestoppt und mussten die Fahne abgeben. zu den weltweiten Rüstungsausgaben, die Schneckentempo weiter, werden weitere «Aber gefallen hat’s uns trotzdem.» das Stockholm International Peace Research 46 Jahre verstreichen, bis Männer und Frau- Institute (SIPRI) regelmässig erhebt, zeigen en gleiche Löhne erhalten. Im Privatsektor die Dimension: 2018 wurden weltweit Rüs- verdienten Frauen 2018 sogar 14,4 Prozent tungsausgaben für 1822 Milliarden Dollar weniger als Männer. Diese geschlechter getätigt (oder 2,6 Prozent des globalen spezifischen Lohnunterschiede lassen sich Bruttoinlandprodukts). Gleichzeitig kommen bloss teilweise durch strukturelle Merkmale Regierungen unter Druck, weil sie zu wenig und unterschiedliche Tätigkeiten erklären. in die öffentlichen Gesundheitssysteme in- vestiert haben. Die USA etwa geben jährlich 35,1 Milliarden Dollar für Atomwaffen aus. Das würde reichen, um 300 000 Betten auf Intensivstationen, 35 000 Beatmungsgeräte, 150 000 Pflegende oder 75 000 Ärzt_innen ZVG zu bezahlen. gcsp.ch
4 LINKS 188 ∙ 2020 Covid-19 Was die Krise kostet Seit Beginn der Krise bilden sich in Genf wöchtentlich Schlangen mit Tausenden von Menschen, die für ein Gratis-Essenspaket stundenlang anstehen. Die Corona-Krise zeigt schonungslos die Funktionsweise, die Machtverhältnis- Im Gegensatz dazu verlieren jene, se und auch die Schwächen unseres Wirtschaftssystems auf. Auf die Frage, die allein von ihrer Arbeit leben. wer den Preis der Krise zu bezahlen hat, gibt es eine etwas verkürzte Antwort: Zwar haben wir zum Glück die Kurz- Das Kapital gewinnt – die Arbeit bezahlt. arbeitsentschädigung. Diese gilt aber grossmehrheitlich nur für Personen Die Banken haben es elegant ge- draufgeschlagen wird. Die Mietenden mit dem klassischen Lohnausweis, schafft, ihr jetziges und künftiges haben den Ausfall also bereits vor- und viele bekommen nur 80 Prozent Kreditausfallrisiko mit den Bundes- finanziert. Bei den vielen Mischnut- ihres Lohnes ausbezahlt. Für Men- bürgschaften auf die Allgemeinheit zungen, die wir in der Schweiz haben schen mit tiefen Löhnen ist das nicht abzuwälzen. Diese Corona-Kredite – unten Laden, Restaurant oder Coif- existenzsichernd. schnell und unkompliziert zu er- feur, oben Büros und Wohnungen möglichen, war wirtschaftspolitisch – würden den Vermietern maximal Durch die Maschen gefallen richtig und notwendig. Trotzdem 20 Prozent der Mieteinnahmen ent- Anders sieht es bei den hunderttau- muss benannt werden, wer das Risi- gehen. Bei einem Totalerlass der Ge- senden sogenannt Selbständigen ko zu tragen hat: Das sind wir. Jacqueline Badran, schäftsmieten während zwei Mona- aus. Auch die indirekt von Covid-19 Die global agierenden Versiche- Nationalrätin ZH ten würden den Vermietern 3,3 Pro- Betroffenen sind dank massivem rungen haben sich ebenso aus dem zent der Jahreseinnahmen fehlen. Druck der Linken entschädigungs- Risiko verabschiedet. Sie verwei- Auf die Lebensdauer einer Immobilie berechtigt. Doch es fallen immer gern (mit wenigen Ausnahmen) von 100 Jahren hochgerechnet, wäre noch viele durch die Maschen und die Deckung von Ausfällen durch der Ausfall marginal. Hinzu kommt: bekommen keine oder nur eine Betriebsausfall-Versicherungen, Die Hypothekarzinsen – also die Kos- geringe Entschädigung. In der De- die die meisten Betriebe haben und ten – sind in den letzten zwölf Jahren batte wird immer noch behauptet, worin Epidemien explizit versichert massiv gesunken, die Geschäftsmie- man könne sich ja verschulden oder sind. Die gros sen Versicherungen ten aber gestiegen. müsse sonst halt vom Ersparten stellen sich auf den Standpunkt, Auch die sogenannt systemrele- leben. dies sei eine Pandemie und deshalb vanten Firmen (beispielsweise Swiss, Und so kommt es, dass die allein- nicht versichert, weil eine Pandemie Swissport) rufen umgehend nach erziehende Schwimmlehrerin mit global ist und dadurch die Risiko staatlicher Unterstützung. Gleichzei- zwei Kindern null Einkünfte hat, diversifikation nicht greife. tig haben sie in den letzten Jahren mit weiterhin die Miete für die Nutzung Aktienrückkäufen zur Erhöhung der des Hallenbads zahlen muss, 20 Eigentümer kommen Eigenkapitalrendite und mit Rekord- Franken Taggeld (Erwerbsersatz) ungeschoren davon Dividendenausschüttungen die Re- erhält und nun ihre vom Mund ab- Das Immobilien-Kapital stiehlt sich serven abgebaut. Als Bedingung für gesparte eiserne Reserve von 15 000 ebenso aus der Verantwortung. Ver- Bürgschaften wird aber nicht etwa Franken anzapfen muss. mieter verweigern eine Teilüber- eine Beteiligung der Grossaktionä- So war das nicht gedacht, als So- nahme der Mieten während des re dieser Firmen (etwa durch Nach- zialdemokratie und Gewerkschaften Schliessungsgebots. Dies, obwohl bei schusspflicht) verlangt. Es zeigt sich aufbrachen, um mit den Sozialwer- Geschäftsmieten eine Mietausfall- einmal mehr: Die Gewinne privat, die ken die Menschen von Existenz- Risikoprämie von 5 bis 10 Prozent solidarität-jetzt.ch Verluste dem Staat. ängsten zu befreien!
Covid-19 LINKS 188 ∙ 2020 5 ZVG ZVG Patrick Gilliéron Lopreno Café Boy: Happy Ness: Gute Stimmung «Dann wäre alles trotz allem verloren» «Für die Angestellten in der Küche und im Ser- Ihren Laden für Whisky-Raritäten durfte SEI SOLIDARISCH, vice bedeutete der Lockdown einen markanten Franziska Ryser während des Lockdowns offen ZEIGE FLAGGE Einschnitt», sagt Vivien Jobé vom Zürcher Café halten, denn Whisky ist ein Lebensmittel. Boy. Den Lohn bekamen die Leute wegen der Aber potenziellen Kundinnen und Kunden ein Kurzarbeitsentschädigung nur zu 80 Prozent, Schlückchen zum Verkosten anbieten? Fehlan- Zum Zeichen der Solidarität und auch das oft substanzielle Trinkgeld fehlte. zeige. Ganz abgesehen davon, dass viele in der startet die SP eine grosse «Sechs Monate nach der Eröffnung verfügten Krise nicht auf die Idee kamen, dass das kleine, Kampagne. Denn der Ausstieg aus wir einfach nicht über genügend Reserven, feine Geschäft in Winterthur-Seen offen haben der Krise kann uns nur gemeinsam um den 13 Angestellten die Kurzarbeitsent- könnte. Kein Wunder, blieb die Kundschaft weg. gelingen. Zeige deine Solidarität, schädigung auf 100 Prozent aufzustocken.» «Dabei ist es seit der Eröffnung stetig aufwärts bestelle eine kostenlose Fahne mit Auch jetzt, nach der Öffnung, ist die Situation gegangen», sagt Franziska Ryser, 62. dem Talon auf der letzten Seite ungewiss. Die Mittagsgäste aus den Büros im Und nun das! Die Whisky-Nights mit Live- und hänge sie vor dem Fenster Quartier bleiben aus, weil sie im Homeoffice Musik, die Seminare zu den edlen Tropfen, auf. Mutig zusammenstehen arbeiten. So ist das Café Boy derzeit nur abends die Veranstaltungen mit Storytelling – alle und Flagge zeigen hilft uns allen, geöffnet, und auch dann stehen wegen der Geschäftsfelder brachen von einem Tag auf wenn wir darum kämpfen, dass Abstandsregeln bloss die Hälfte der Plätze zur den anderen weg. «Dieser Rückschlag wird die Corona-Kosten solidarisch Verfügung. Auf Wunsch serviert das Personal schwer aufzufangen sein», sagt sie. Zumal auch finanziert werden. Essen und Getränke mit Maske und Handschu- das Whisky-Schiff in Luzern abgesagt wurde hen. «Das verlangen bis jetzt die wenigsten und ihr darum zusätzlich Kundschaft fehlen Gäste», sagt Jobé. «Und die Stimmung bei Gäs- wird. Am eigenen Stand hätte sie Kennern und ten und Personal ist trotz allem sehr gut.» Kennerinnen die neusten Spezialitäten des Glück hat das Café Boy mit der Vermieterin, der Abfüllers Blackadder vorstellen wollen. Dieser SP-nahen bonlieu Genossenschaft. Diese hat in Verlust lässt sich auch mit ihrem neuen Online- Sachen Mietzins Entgegenkommen signalisiert. Shop nicht so schnell wettmachen. Der Keller ist aufgeräumt, das Konzept ge- Doch Franziska Ryser, langjähriges SP-Mitglied, schärft, die Menükarte erneuert. – «Jetzt muss ist eine Kämpferin. Nach der Scheidung steckte sich die Situation bessern», sagt Vivien Jobé. sie ihr Pensionskassengeld in den Laden. «Ich «Sonst sind wir gezwungen, fürs Überleben war 58 Jahre alt. Versuch mal, in diesem Alter einen Kredit aufzunehmen.» Oder zusätzliche einen Job zu finden …», sagt sie vielsagend. Ihr Genossenschafterinnen und Genossenschafter Glück: Sie kommt aus der Hotellerie, kennt viele zu finden. Produzenten und Importeure persönlich – und versteht von Whisky mehr als die Konkurrenz. Stimmig essen und trinken: Aber sie weiss: «Das Geschäft muss funktio- Café Boy, Kochstrasse 2, 8004 Zürich nieren, sonst bin ich eine arme alte Frau ohne Zukunftsperspektive. Dann wäre alles verloren. Aber noch gebe ich nicht auf!» Whisky-Raritäten, Whisky-Nights und Seminare: happy-ness.ch
6 LINKS 188 ∙ 2020 Covid-19 Staatshilfe für die Swiss: Arbeitsplätze vs. Klima? Die Fluggesellschaft Swiss bekommt Staatshilfe und die SP Schweiz Wie viele Tickets werden denn gebucht? kritisiert die fehlenden Klimaziele. «Das befremdet uns sehr», sagen Sandrine: Normalerweise gibt es 220 000 Sandrine Nikolic und David Martinez, die an der Spitze der Gewerkschaft Buchungen pro Tag. Im März, April lag die Kapers stehen. Weshalb, erklären die beiden SP-Mitglieder im Interview. Anzahl Buchungen pro Tag im zweistelligen Bereich, zwischen null und zwanzig! In einem Instagram-Post kritisierte die Billig-Airlines aus der Krise, die ihren An SP die Swiss, weil diese dank Steuerpri- gestellten die miserablen Löhne nicht be- Das entscheidende Thema bei den Wah- vilegien Milliardengewinne in die Kassen zahlen. len im Herbst war das Klima. Viele Linke der Lufthansa spülen konnte, heute aber haben wenig Verständnis, wenn die Luft- Schweizer Staatshilfe beansprucht. Das Wo liegt das Problem? fahrt Staatsgarantien beansprucht, ohne stösst vielen sauer auf. Habt ihr dafür kein David: Die Swiss hat ein Liquiditätspro- dass Klimaziele festgelegt werden. Verständnis? blem. Eine Airline funktioniert so: Ein Pas- David: Um es klar zu sagen: Es handelt Sandrine Nikolic: Es ist nicht die Schuld sagier schiesst mit der Buchung der Airline sich um Kredite, die zurückbezahlt werden der Angestellten, dass die Swiss seinerzeit das Geld vor. Dieser Geldfluss ist nun unter- müssen. Es stimmt, wir sind – wie viele ande- für sehr wenig Geld an die Lufthansa ver- brochen, weil niemand mehr Tickets bucht. re auch – in einem Geschäft tätig, das einen scherbelt wurde. In der Schweiz hängen Wegen der unsicheren Situation bucht auch gewissen klimatischen Schaden anrichtet. 190 000 Arbeitsplätze an der Luftfahrt. Die niemand ein Ticket für Ende 2020. Es kommt Wir haben aber dennoch das Recht als Ar- Kritik befremdet uns sehr. kein Geld mehr rein. Das ist das Dramatische. beitnehmer geschützt zu werden, wir haben David Martinez: Allein die Swiss be- schäftigt in der Schweiz 10 000 Leute und hat auch viele Arbeitsplätze geschaffen. Die KAPERS Lufthansa hat aus der Swiss eine florierende Airline gemacht. Im Alleingang hätte sie das Die Gewerkschaften Kapers vertritt seit nie geschafft. 1971 die Flight Attendants. Der Organisa tionsgrad dieser Swiss-Angestellten liegt Trotzdem ist es doch so, dass die Swiss mit 72 Prozent sehr hoch. Entsprechend hohe Gewinne erwirtschaftete und jetzt gross ist auch der Einfluss, den die um Staatshilfe bitten musste. Gewerkschaft geltend machen kann – Sandrine: Das hat gute Gründe. In den mit Erfolg. letzten zehn Jahren wurden zehn Milliarden Franken in die Flotte investiert. Die Flug- kapers.ch zeuge gehören der Swiss. Die Fixkosten im Stillstand sind enorm, am Standort Zürich kosten allein die Kabinenmitarbeitenden 30 Millionen Franken im Monat. Hinzu kom- Präsidiert wird die Vereinigung von Sandrine men die Kosten für die Wartung und die Nikolic. David Martinez ist Vizepräsident. Überwachung der Flugzeuge, das Hedging Beide arbeiten neben ihrer Gewerkschafts ZVG des Kerosinpreises. Am besten kommen die arbeit als Flight Attendants.
Michael Würtenberg STAND PUNKT Rebekka Wyler, Co-Generalsekretärin der SP Schweiz und Gemeinderätin in Erstfeld (UR) Alte Regeln 1916 schrieb Rosa Luxemburg: «Die Divi- denden steigen, und die Proletarier fallen.» PW Luxemburg analysiert die mörderischen Auf einen Blick: Alle Abflüge eines Tages in Verheerungen des Ersten Weltkriegs. Unab- Zürich-Kloten im April 2020. hängig davon, wer den Krieg gewinne – den Arbeiter_innen bleibe nur «die hoffnungs- und dann würde weniger geflogen. Es wür- lose Wahl zwischen zwei Trachten Prügel». den einfach andere auf den Markt drängen. Während andere vom Krieg und seinen Ge- Dem Klima würde das gar nichts nützen. schäften profitieren. Denn jede Krise bietet Wegen der Billig-Airlines würde das bloss die auch Gelegenheit zum Gewinn. Arbeitnehmenden noch mehr unter Druck setzen. Am 11. Mai titelte der «Blick» «340 Millio nen Franken für Aktionäre, 800 Kündi- Trotz Krise ist das Fliegen derzeit so billig gungen fürs Personal». Die Corona-Krise wie nie. Für ein Swiss-Ticket Zürich-New führte beim Industriekonzern Oerlikon York-Retour bezahlt man an einem beliebi- zu Einbrüchen bei Aufträgen und Um- gen Tag im Juni 459 Franken. satz, und schliesslich zum angekündigten einen Wert. Wir sind Arbeitnehmerinnen Sandrine: Wir finden diese Tickets auch Stellenabbau. Einen Monat zuvor hatte und Arbeitnehmer in einem Tieflohnsektor, zu billig. Aber jetzt wollen alle Airlines um die Generalversammlung die Dividenden- in sozialdemokratischer Tradition. jeden Preis ihre Flugzeuge füllen. Der Preis ausschüttung genehmigt. «Blick» wirft entspricht nicht dem Wert einer Flugreise. die Frage auf, weshalb das Geld nicht dazu Wieviel verdient ein Flight Attendant? Dies schadet uns. Darum sind auch die verwendet werde, möglichst viele Mitar- Sandrine: Der Anfangslohn liegt bei 3400 Löhne so tief. Die Leidtragenden dieser beitende an Bord zu halten. Aus Sicht des Franken brutto im Monat. 42 Prozent der Preispolitik sind die Arbeitnehmenden. Managements sind die Entlassungen jedoch Flight Attendants der Swiss verdienen we- David: Auch vor der Krise waren viele Ti- unumgänglich. niger als 4000 Franken im Monat. Immerhin ckets zu billig. Es stellt sich grundsätzlich die Die schwerverdauliche Kombination von haben wir es geschafft, dass die Swiss wäh- Frage, ob für diese Tickets ein Markt exis- grosszügiger Dividendenzahlung und rend der Kurzarbeit die Vollzeitlöhne unter tierte oder ob man einen künstlichen Bedarf zahlreichen Kündigungen hat viele Leute 4000 Franken zu 100 Prozent bezahlt. schuf. Ich glaube zweiteres. Darum sind die verärgert. Die Nachricht wurde in den so- Leute auch so viel geflogen. Es war so billig. zialen Medien breit geteilt – auch von mir. Das ist ein beschämend tiefer Lohn. Aber Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung. Und zwar zusammen mit dem erwähnten beschäftigt euch die Klimafrage denn Nichts desto trotz hängen daran auch viele Zitat von Rosa Luxemburg. Prompt wurde nicht? Arbeitsplätze. ich von einem Freisinnigen harsch kritisiert, David: Wir sorgen uns sehr um das Klima. der sich am «klassenkämpferischen Duk- Fürs Klima muss in die Forschung investiert Wie seht ihr die Zukunft der Luftfahrt? tus» und dem in seinen Augen unpassenden werden, in die Herstellung von syntheti- David: Es wird lange dauern, bis wieder Vergleich störte. schem Treibstoff und verbrauchsärmeren geflogen wird wie vor der Krise. Durch das Flugzeugen. Aber zurzeit wird die Corona- Zwangshomeoffice merken viele Firmen, Natürlich sind wir nicht im Krieg. Aber die Krise genutzt, um die Klimafrage gegen dass die Sitzung in Hamburg mit morgens Aussage von Luxemburg kann viel allgemei- den Arbeitnehmerschutz auszuspielen. Das hin und abends zurück auch online geht. Die ner gelesen werden: In einer Krise profitie- ist für uns inakzeptabel. Wir können den Swiss hat in den letzten Jahren jedes Jahr ren wenige, während viele verlieren. Wie Schutz unserer Mitglieder nicht gegen den 400 neue Flight Attendants angestellt. Diese die Geschichte zeigt, sind es immer etwa Schutz des Klimas aufwiegen. Zahl dürfte sinken. dieselben, die die Gewinne einstreichen. Und es sind immer etwa dieselben, die auch Wie steht ihr zur Flugticketabgabe? Stellt ihr euch auf einen Arbeitskampf ein, heute wieder weniger verdienen oder gar Sandrine: Wir unterstützen eine Ticket sollte es zu einem Stellenabbau kommen? ihren Job verlieren. Es wäre schön, wenn wir abgabe. Es sollte jedoch eine internationale Sandrine: Solange es die Kurzarbeitsent- diese alten Regeln endlich ändern könnten. Lösung sein oder zumindest eine europäi- schädigung gibt, sind wir geschützt. Danach Eine andere Regel darf aber gerne ihre sche. Wenn die Schweiz im Alleingang eine wird es sicher konfliktträchtiger. Darum for- Gültigkeit behalten: Wenn dir der Freisinn Ticketabgabe einführt, könnte sie diese im dern wir einen Mindestlohn von 4000 Fran- Klassenkampf vorwirft, hast du wohl einen Flughafen Basel nicht durchsetzen. Der Euro- ken pro Monat und eine 13. AHV-Rente. Wir wunden Punkt getroffen. Airport liegt auf französischem Boden. Basel müssen den GAV in der Krise verteidigen, be- würde zu einem Hort von Billig-Airlines. sonders wenn das Unternehmen Milliarden- David: Es ist auch ein Trugschluss zu kredite zurückbezahlen muss. Da zählen wir meinen, man könne die Swiss runterfahren auf die Unterstützung der Politik.
Photocase 8 LINKS 188 ∙ 2020 SP 60+ Das Alter ist anders, als es das BAG meint Verdrängte Realität: Wie sich Seniorinnen und Senioren heute fühlen – aktiv und fit. Mit der Corona-Krise wird einmal mehr ein Bild des Alters Akademie der Medizinischen Wis- zementiert, das längst nicht mehr stimmt. Dagegen setzt senschaften (SAMW) klar, wonach sich die SP 60+ zur Wehr. bei Ressourcenknappheit für Patien- ten ab 85 Jahren keine Zuweisung zu Unberechenbarkeit charakterisiert bei den Empfehlungen des BAG drin- einem Intensivpflegeplatz gemacht das Virus, verlässliche Erkennt- gend nötig. werden soll. Altersbezogene Diskri- nisse zu Gegenmitteln fehlen. Die minierungen widersprechen grund- Direktiven des Bundes richten sich Altersdiskriminierung darf sätzlich den Menschenrechten sowie nach der Verfügbarkeit der Mit- nicht sein der Verfassung. Aus ethischer Sicht Marianne de Mestral, tel: Fehlen Schutzmasken, sind sie Solidarität wird verordnet und sind sie höchst fragwürdig. Ist es Co-Präsidentin SP 60+ nutzlos. Sind sie in ausreichender bedeutet: Massnahmen einhalten blosser Zufall, dass gegenwärtig Ar- Anzahl vorhanden, sind sie sinn- und zu Hause bleiben. Solidarität tikel erscheinen, die von Urvölkern voll. Diesen Widerspruch auszuhal- geht aber anders: Die JUSOs gehör- berichten, die ihre Alten getötet ha- ten und ihn als strategische Über- ten zu den Ersten, die einen Auf- ben, wenn sie zur Belastung wurden? legung anzunehmen, ist praktische ruf zur Nachbarschaftshilfe star- Sind das verdeckte Aufforderungen Akzeptanz. teten. Danke! Überhaupt sind in zum «Senizid»? Niemals darf jemand Die Erkenntnisse über das Virus den Wochen des Lockdowns viele zum Sterben gedrängt werden! entwickeln sich, während präzise kreative Projekte zugunsten von Besorgniserregend ist das Alters- Altersangaben fixe Empfehlungen, älteren Menschen entstanden. Das bild, das derzeit medial vermittelt Verhaltensregeln und Massnahmen ist erfreulich und wohltuend. Aber wird. Fast täglich wird von alten für ältere Menschen untermauern. gesunde aktive Alte sind nicht an- Menschen in Alters- und Pflege- Fast alle SP60+-Genossinnen und steckend und finden – so sie den heimen berichtet, die unter Anste- -Genossen gelten als Risikoperso- selbständigen Einkauf trotzdem ckungsgefahr und Kontaktverboten nen – rund 2080 Mitglieder an der wagen – die scheelen Blicke von isoliert leben müssen – es sind de- Zahl, viele mit und viele ohne Vorer- Jüngeren nicht angebracht, ja sogar primierende Bilder. Sie wecken pau- krankung. Auch mit Vorerkrankun- beleidigend. Selbständig lebende schale Vorstellungen vom Alter, die gen lässt sich gut und normal leben. Seniorinnen und Senioren wollen aus der Mottenkiste stammen. Auto Nicht mittendrin und politisch aktiv behandelt werden wie alle anderen nome Seniorinnen und Senioren zu sein, passt aber nicht zur SP60+. Menschen auch und möchten nicht sind anders, kommen in den Medien Menschen über 65 gehören gemäss als Zumutung für Jüngere wahrge- jedoch kaum vor. Bundesamt für Gesundheit (BAG) nommen werden. Wie das Virus zu Der Leitsatz der SP60+ «Nichts ohne Differenzierung zur Risiko- meiden ist, haben sie längst kapiert. über uns, ohne uns» wird bei Mass- gruppe. Eine Unterscheidung zwi- Die Risiken lebensverlängernder nahmen und Berichten zu Corona schen aktivem Alter und Hochalter Massnahmen sind den meisten Älte- völlig ignoriert. Aber die SP60+ lässt – wie sie heute wissenschaftlich und ren auch ohne die diskriminierende sich das aktive Alter trotzdem nicht auch allgemein gemacht wird – wäre Empfehlung der Schweizerischen stehlen!
LINKS BL.BS Mitgliederzeitung der SP Schweiz 188 · Ausgabe BL · BS · Mai 2020 Ein spezieller 1. Mai 2020: Die Menschen aus der Region haben ihn von zu Hause aus bestritten. Wertvolle Arbeit – faire Löhne! In den vergangenen Wochen haben Verkannte Arbeit wurde Der Ursprung des Übels liegt bei wir alle eine ausserordentliche Situ- «systemrelevant» der Ökonomisierung des Gesund- ation durchlebt: Covid-19 stellte un- Das Gleiche gilt für das Gesundheits- heitswesens. Jahrzehntelang hat sere Welt quasi auf den Kopf. wesen oder die Lebensmittelversor- man uns erzählt, wir müssten die Die Privilegierten unter uns gung: Die Wertschätzung der Bevöl- Produktion von möglichst allen Wa- – meist «klassische Bürojobs» aus- kerung für die Arbeitnehmenden in ren und Dienstleistungen dem freien übend – konnten ihre Arbeit von zu den Spitälern und im Verkauf ist sehr Markt überlassen. Das Resultat sind Hause aus erledigen. Was nach einem spürbar. Wir bedanken uns mit Peti- marode Gesundheitswesen und feh- Privileg klingt, förderte sehr schnell tionen und Applaus bei all jenen Ar- lendes Schutzmaterial in den reichs- grosse Herausforderungen zu Tage: beitnehmenden, die in der Corona- Samira Marti, Nationalrätin ten Ländern dieser Welt. Dieses Sys- Kinderbetreuung und Home-Office Krise dafür sorgen, dass die Grund- und Präsidentin vpod Region tem voller Fehlanreize – eine Opera- Basel kombinieren – ein Ding der Unmög- versorgung gewährleistet bleibt. tion rentiert, die Pflege aber kostet lichkeit. Umso deutlicher wird, wie – muss umgekrempelt werden. wichtig unsere Betreuungsstruktu- Ausbau der öffentlichen Grund Was wir im Gesundheitswesen, ren für das Wirtschaften sind. Doch versorgung ist dringend bei der Kinderbetreuung, im ÖV usw. die unklaren Regelungen bei der Fi- Diese Wertschätzung haben diese brauchen, ist eine starke Grundver- nanzierung der Kindertagesstätten Arbeitnehmenden auch verdient. sorgung in öffentlicher Hand mit führen aktuell dazu, dass sich die Aber sie verdienen sie sich jeden Tag guten Arbeitsbedingungen für alle. Situation für die Kitas zusätzlich ver- – auch nach Corona! Und sie muss Lohnerhöhungen sollten dabei eine schlechtert. Entweder bedrohen die konkrete Folgen haben: Es braucht Selbstverständlichkeit sein. Wir wer- Ausfälle der Elternbeiträge ihre Exis- anständige Löhne und bessere Ar- den die Gesellschaft, vor allem aber tenz oder Eltern bezahlen die Beiträ- beitsbedingungen in den Kitas, im die Politik nach der Krise gemeinsam ge weiterhin, obwohl sie ihre Kinder Gesundheitswesen, im Detailhandel, Toya Krummenacher, daran erinnern, dass wertvolle Ar- zuhause betreuen. Und gerade bei der in der Reinigung und zahlreichen Grossrätin und Präsidentin beit Wertschätzung verdient. Basler Gewerkschaftsbund Kinderbetreuung sind die Arbeitsbe- anderen Berufen. Die Krise hat ver- Wir hätten diese Forderung ge- dingungen oft regelrecht prekär. Sehr kannte Arbeit sichtbar gemacht, jetzt meinsam mit euch am 1. Mai auf die tiefe Löhne, hohe Arbeitsbelastung, muss sich die Sichtbarkeit nachhaltig Strasse gebracht – jetzt bringen wir Kettenpraktika sind prägende Merk- auszahlen. Denn wertvolle Arbeit hat sie in die Medien, in die Ratssäle, an male in diesem Sektor. faire Löhne verdient! die Arbeitgeber!
10 LINKS 187 ∙ 2020 LINKS BE Seitentitel Kitas gehören zum Service public In der Corona-Krise zeigt sich sehr deutlich, welche Bereiche für unse- Der Weg dorthin ist in der Schweiz immer re Gesellschaft unverzichtbar sind. Dazu gehört auch die familiener- noch steinig und steil. Die meisten Massnah- gänzende Kinderbetreuung in Kindertagesstätten (Kitas) und Tages men zur Unterstützung von bildungsfernen familienorganisationen (TFO). Der Bundesrat hat die Kinderbetreuung und sozial benachteiligten Familien setzen als «systemrelevant» eingestuft. Die Kitas mussten während der Zeit erst im Alter von vier Jahren ein – beim Ein- des Lockdowns eine Notbetreuung für Kinder gewährleisten. Fazit: tritt in den Kindergarten. Zu diesem Zeitpunkt Ohne Kinderbetreuung geht nichts mehr! sind die Weichen für entscheidende Entwick- lungsschritte als Grundlage für eine erfolg- eine höhere Erwerbsbeteiligung der Eltern reiche Schullaufbahn längst gestellt. Defizite Mirjam Veglio, und die entsprechende Steigerung ihres Er- können nicht mehr aufgeholt werden. Gerade Co-Präsidentin SP werbseinkommens für die Förderung dieser Kinder kommt den Kanton Bern, in ihrer Funktion als Geschäfts- die daraus folgenden höheren Beiträge an Kitas eine zentrale Rolle zu – nutzen wir sie. leitung Kinderbetreu- die Sozialversicherungen ung Zollikofen für zwei die höheren Steuereinnahmen durch die Kitas gehören zum Bildungssystem Kitas mit 60 Plätzen und rund 30 Angestell- zusätzlichen Einkommen der Eltern und Aktuell bewegt sich der Kanton Bern aber ten verantwortlich Lohnzahlungen an die Kita-Angestellten exakt in die falsche Richtung. Mit der Um- die vermiedenen Sozialhilfe-Kosten durch stellung auf das Betreuungsgutscheinsystem die höheren Einkommen der Eltern. wird der Wettbewerb unter den Kitas befeu- Der schwachen Beteiligung der öffentli- ert. Es liegt auf der Hand, dass die Betreu- Kinderbetreuung lohnt sich chen Hand sind auch die unbefriedigenden ungsqualität und Anstellungsbedingungen Diese Realität ist leider in den konservativen Anstellungsbedingungen in der Branche ge- unweigerlich weiter unter Druck geraten. Köpfen der Berner Politik noch nicht ange- schuldet. Es braucht ein faires, umfassendes Hier ist eine Kurskorrektur nötig. kommen. Die familienergänzende Kinderbe- Lohnsystem im Rahmen eines Gesamtar- Die SP Kanton Bern wird sich in der aktu- treuung muss auch im Jahre 2020 immer noch beitsvertrags. Erst damit erhält die Arbeit der ellen Beratung des Gesetzes über die Sozialen um Akzeptanz und Wertschätzung kämpfen. Kinderbetreuung den Wert, den sie verdient. Leistungserbringer (SLG) dafür einsetzen, Die Subventionen der öffentlichen Hand sind dass der Kanton seine Verantwortung für die hierzulande im internationalen Vergleich In der frühen Förderung steckt Potenzial familienergänzende Kinderbetreuung um- tief, die Elternbeiträge entsprechend hoch. «Kinderhüten» war gestern – heute sind die fassend wahrnimmt. Investitionen in die Kinderbetreuung gelten Anforderungen an die Kinderbetreuung hoch Jedes Kind hat ein Recht auf frühe Förde- zu Unrecht einseitig als Kostenfaktor. – zu Recht! Es geht um ein in der Schweiz lei- rung. Deshalb gehört die familienergänzende Unlängst haben Studien belegt, dass sich der immer noch verkanntes Potenzial: die Kinderbetreuung zum Service public. Kitas Investitionen in Kinderbetreuung in einer frühkindliche Bildung, Betreuung und Erzie- sind Teil des Bildungssystems und müssen, gesamtgesellschaftlichen Betrachtung durch hung (FBBE). Sie ist der zentrale Schlüssel zu wie die Volksschule, durch Steuermittel fi- verschiedene Effekte lohnen: mehr Chancengerechtigkeit für alle Kinder. nanziert werden.
Niklaus Wepfer LINKS SO Seitentitel LINKS 187 ∙ 2020 11 Der eigenen Linie treu geblieben Alt Regierungsrat Ruedi Bachmann ist am 17. März 2020 im Alter von 99 Jahren verstorben. Die Sozialdemo kratische Partei verliert damit einen aktiven Genossen und Unterstützer, stets aufmerksamen und herzens- guten Menschen. Die SP des Kantons Solothurn spricht den Angehörigen ihr herzliches und tiefempfundenes Beileid aus. Ruedi Bachmann am Jubiläumsanlass «100 Jahre Landesstreik» der SP Schweiz, des SGB und der Robert-Grimm-Gesellschaft vom 10. November 2018 in Olten. prägende Ereignis war die Abwahl eines bür- bahn wieder Fahrt auf. Dass er bereits nach gerlichen Lehrers aus dem Oltner Gemeinde- vier Jahren im Kantonsrat als Regierungs- Susanne Schaffner, rat. Dass Gewerbekreise zur Hatz auf einen ratskandidat von seiner Partei nominiert Regierungsrätin Berufskollegen bliesen, empfand der junge wurde, hat ihn selber überrascht. «Regie- susanne.schaffner@ddi.do.ch Lehrer als ungerecht und als Kampferklä- rungsrat war ein Prachtsjob», meinte Ruedi rung gegen seinen Berufsstand. 2015 in einem Gespräch. «Ein so breites und Seine erste reguläre Stelle als Bezirks- interessantes Tätigkeitsfeld mit so vielen schullehrer erhielt Ruedi 1950, drei Jahre Kontakten. Ein befriedigender Job.» Wie hätte wohl seine politische Laufbahn nach seinem Studienabschluss, in Oensin- Vor Kritik blieb Regierungsrat Ruedi ausgesehen, wäre Ruedi Bachmann als jun- gen. Dort stand ein «roter» Ammann der Bachmann nicht verschont. Vor allem in ger Mann der freisinnigen Partei beigetre- Gemeinde vor. Kaum in der Gemeinde nie- den 70er- und 80er-Jahren, als eine junge ten? Eine Mitgliedschaft bei der dominanten dergelassen, nahmen die Genossen den jun- Generation ein forscheres Auftreten der Lin- FDP brachte damals in beruflicher Hinsicht gen Bezirkslehrer in die Pflicht. Ruedi wurde ken erwartete. Die Angriffe trafen ihn, aber mancherlei Vorteile. Wie oft machte er sich Parteipräsident, Gemeinderat und Kommis- Ruedi konnte immer auch gut einstecken, bei einem Vorstellungsgespräch Hoffnun- sionsmitglied und leitete daneben noch zwei wegstecken und wieder vergessen. Er war gen auf eine Stelle als Lehrer, um später zu Frauenturnvereine: Praktisch jeden Abend durch und durch ein pragmatischer Mensch erfahren, dass der freisinnige Anwärter das ausser Haus, bis seine Frau nach ein paar und Politiker, der seiner eigenen Linie stets Rennen gemacht hatte. Ruedi war nun mal Jahren sehr energisch protestierte. treu blieb. als «Roter» bekannt und abgestempelt. Da- Er nahm eine Stelle in Trimbach an und Auch seiner Partei blieb er bis zu seinem bei interessierte er sich in seinen Jugendjah- legte dem Hausfrieden zuliebe alle politi- Tod am 17. März 2020 treu und beteiligte ren kaum für die Politik. Bis zum Abschluss schen Aktivitäten auf Eis. Zwei Jahre später, sich, wenn immer möglich, aktiv an allen des Lehrerseminars in Solothurn war für 1958, bewarb er sich in Olten. Kurz nach sei- politischen und geselligen Anlässen. Rue- ihn eine Mitgliedschaft in einer Partei kein nem Stellenantritt stand die Rektorenwahl di wusste stets über alles Aktuelle Bescheid T hema. Dazu brauchte es eine charismati- an. Ruedi hatte Gefallen am Lehrerberuf und und verfolgte mit grossem Interesse und sche Persönlichkeit und ein prägendes Er- keinerlei Ambitionen auf das Amt. Doch sein unterstützend die politische Arbeit des Re- eignis. Die charismatische Persönlichkeit politischer Mentor Hermann Berger liess gierungsrates wie auch jene von amtieren- war Hermann Berger, Fraktionschef der nicht locker, bis er Ruedi zu einer Kandidatur den Genossinnen und Genossen auf allen Sozialdemokraten im Oltner Gemeinderat, bewegen konnte. So kam es, dass Ruedi wäh- Staatsebenen. Ich danke Ruedi namens der Mitglied des Kantonsrates, ein «überzeugen- rend acht Jahren als Rektor amtete. Mit dem SP des Kantons Solothurn für seine Treue, der Politiker» und «Rhetoriker erster Güte», Nachrücken für Arnold Kamber in den Kan- Unterstützung und unermüdlichen Einsatz wie Ruedi Bachmann über ihn sagte. Das tonsrat nahm auch seine politische Lauf- für unsere Partei und unsere Anliegen.
Schweizerisches Bundesgericht LINKS REGIOBE BESCHWERDE GEGEN DAS KANTONALE POLIZEIGESETZ «Das Bundesgericht ist den Beschwerde- führenden weitgehend gefolgt» Ein Räumungsparagraf gegen Fahrende, präventive Polizeiüberwachung, zu 30 000. Zwar wurde immer wieder betont, strafbewehrte Wegweisungen von Menschen und Polizeikostenüberwäl- das Gesetz richte sich nur gegen gewalttätige zung bei Demonstrationen: Am 29. April hat das Bundesgericht entschie- Personen, doch das stimmt nicht: Die Poli- den, ob diese Bestimmungen des Berner Polizeigesetzes rechtens sind. zeiverordnung definiert den Anwendungs- Markus Husmann, Advokat und Vorstandsmitglied der Demokratischen bereich so weit, dass auch Kosten fürchten Juristinnen und Juristen Luzern, äussert sich zum Urteil. Interview: Fabio Peter muss, wer sich an einem Menschenteppich – wie wir das von den Klimaprotesten ken- Zu welchem Schluss ist das Bundesgericht nen – beteiligt oder wer bei einer Interven- gelangt und weshalb? tion der Polizei ein bisschen mit den Händen Das Bundesgericht ist den Beschwerdefüh- fuchtelt. Selbst passive Personen werden renden weitgehend gefolgt: Erstens stelle kostenpflichtig, wenn sie sich auf Auffor- die «Lex Fahrende», welche die Wegweisung derung hin nicht entfernen. Damit wird die von Fahrenden und die Räumung eines Ge- ohnehin grosse Macht der Polizei, willkürlich ländes innert 24 Stunden vorgesehen hatte, über die Zulässigkeit einer Versammlung zu einen unverhältnismässigen Eingriff in das entscheiden, mit einem finanziellen Schlag- Privat- und Familienleben dar. Zweitens sei hammer ergänzt. Auch Veranstalter*innen die präventive polizeiliche Überwachung werden haftbar, wenn sie nicht über eine er- mit technischen Überwachungsgeräten, forderliche Bewilligung verfügen oder Bewil- ohne jeden Tatverdacht und ohne gerichtli- ligungsauflagen nicht einhalten, was beson- che Kontrolle, verfassungswidrig. Zu Recht ders die Durchführung spontaner Kundge- sieht das Bundesgericht darin eine grosse Markus Husmann bungen zu einem risikoreichen Unterfangen Missbrauchsgefahr. Und drittens sei es nicht macht. All dies – so die Befürchtung – kann zulässig, dass Wegweisungen – z. B. gegen lich auch, dass das Bundesgericht einer mass- Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen auf der Gasse lebende Menschen – zwingend losen Überwachung und Repression einen abschrecken, ihre Meinung frei kundzutun. mit Strafdrohungen verknüpft werden. Nicht Riegel vorschiebt. Der Erfolg darf aber nicht gefolgt ist das Bundesgericht dem Einwand, darüber hinwegtäuschen, dass das Bundes- Wie geht es nun weiter? die Überwälzung von Polizeikosten auf gericht einen schwerwiegenden Eingriff in Es gilt nun die schriftliche Urteilsbegrün- Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen die Demonstrationsfreiheit abgesegnet hat. dung abzuwarten und dann über das weitere von Demonstrationen führe zu einem unzu- Vorgehen zu entscheiden. lässigen Abschreckungseffekt. Es anerkennt Worin liegt denn das Problem einer Kos- zwar diesen «chilling effect», ist aber der tenüberwälzung? Ansicht, dass das Berner Gesetz verfassungs- Ich mache ein Beispiel: Als 2017 der chinesi- NEUES POLIZEIGESETZ konform ausgelegt werden kann. sche Präsident in Bern zu Besuch war, woll- ten einige tibetische Aktivist*innen ihren Das neue Polizeigesetz des Kantons Bern Was sagen die Beschwerdeführenden dazu? Protest ins Stadtzentrum tragen. Der Protest wurde im März 2018 vom Grossen Rat Das Urteil ist besonders für die fahrenden war wohlgemerkt friedlich. Die Demonstrie- verabschiedet. Dagegen wurde von linken Minderheiten ein wegleitender Präzedenz- renden wurden von dutzenden Polizeibeam- Parteien und diversen Organisationen fall. Das Bundesgericht hat nicht nur klarge- ten eingekesselt und gewaltsam verhaftet. wie den Demokratischen Juristinnen und macht, dass stigmatisierende Sondernormen Die NZZ schrieb, das seien Bilder, die an au- Juristen Bern erfolglos das Referendum im Rechtsstaat keinen Platz haben, sondern toritäre Staaten erinnern. Mit dem Berner ergriffen. Am 1. Januar 2020 ist es in auch darauf hingewiesen, dass die Behörden Polizeigesetz könnten den Betroffenen in Kraft getreten – mit Ausnahme der drei eine Pflicht trifft, Bedingungen zu schaffen, solchen Konstellationen nicht nur blaue Fle- Bestimmungen, gegen die Beschwerde damit fahrende Minderheiten ihre Lebens- cken drohen, sondern Kosten bis zu 10 000 erhoben wurde. weise bewahren können. Erfreulich ist natür- Franken pro Person, im Extremfall sogar bis
iStock Kinderbetreuung 13 LINKS 188 ∙ 2020 Corona und die Kinder Die Kinderbetreuung gehört zur Grundversorgung. Das weiss der Bundesrat. pen sich ihre Worte als Lippenbe- Daher ordnete er explizit an, die Krippen nicht zu schliessen. So weit, so klar? kenntnisse. Nicht in der Umsetzung. Die Leidtragenden sind Eltern und Personal. Klare Forderungen Der Bundesrat wollte die Krippen die Politik um eine Lösung foutierte. Kitabeträge zahlen und gleichzeitig ausdrücklich offen halten. Doch die Im März scheitere ein Rettungspaket im Homeoffice Kleinkinder betreu- Kantone legten die Covid-19-Verord- zur Unterstützung der Kindertages- en müssen? Eltern waren zu Recht nung unterschiedlich aus. Die einen stätten im Bundesrat. 100 Millionen empört. Der VPOD fordert darum schlossen Krippen ganz, boten aber Franken war den bürgerlichen Bun- ein klares Bekenntnis der Kantone eine Notbetreuung an (Solothurn), desräten zu viel, um Betreuungs- zur Beibehaltung der Subventionen, in anderen Kantonen hiessen die strukturen zu retten, die während auch wenn die Kinder nicht in der Krippen alle Kinder weiterhin will- 17 Jahren mit grossen Mühen und Krippe betreut wurden. Die Eltern- kommen (Aargau), und Dritte wie- einer erheblichen Anstossfinanzie- beiträge sind zu kompensieren. Im derum hielten die Krippen bloss für Natascha Wey, rung aufgebaut worden waren. Gegenzug fordert der VPOD von den Kinder offen, deren Eltern in be- VPOD-Zentralsekretärin In einem zweiten Anlauf ver- Kitas, dass sie den Angestellten 100 stimmten Personalkategorien arbei- suchte das Parlament zu retten, was Prozent des Lohnes vergüten, auch ten (Zürich). zu retten war. Nach einigem Hin und wenn für Kurzarbeit nur 80 Prozent Schweizweit lässt sich bilanzie- Her beschloss der männerdominier- ausbezahlt wird. ren: Die Krippen waren vielerorts ge- te Ständerat ein Kita-Hilfspaket von Womit wir beim neuerdings «sys- öffnet, doch gab es kaum Kinder zu 65 Millionen Franken. Ob der Betrag temrelevanten» Kita-Personal wären. betreuen. Denn gleichzeitig riefen reicht, steht in den Sternen. Klar Die Forderungen des VPOD sind klar: viele Kantone die Eltern im Homeof- wurde einmal mehr, wie viele bür- In der Krise sollen nicht nur Risiko- fice dazu auf, die Kinder «freiwillig» gerliche Politiker ticken: Auf Podien personen nach Vorgaben des Bundes, aus der Kita zu nehmen. Dennoch schwafeln die Wirtschaftsmänner sondern alle Personen über 60 Jahren mussten die Eltern die Kitarech- von Fachkräftemangel und Verein- sowie Schwangere bei vollem Lohn nungen bezahlen. Zur Erinnerung: barkeit von Familie und Beruf. Doch freigestellt werden. Alle anderen sind In keinem Land Europas bezahlen sobald sie zugunsten der Vereinbar- besser zu bezahlen, und zwar bitte die Eltern mehr für einen Kitaplatz keit investieren könnten, entpup- rasch, weil systemrelevant. als in der Schweiz. Eltern berappen hierzulande bis zu drei Viertel der Vollkosten eines Kitaplatzes. FRAUENSTREIK FÜR KITAS Bürgerliche Lippenbekenntnisse Die meisten Kinderkrippen können Im Zentrum der Forderungen der SP Frauen* steht am 14. Juni erneut, dass eine tiefe Auslastung finanziell nicht alle Kinder ein Recht auf einen Kitaplatz haben sollen – so wie jedes Kind stemmen. Sie werden nach spätes- in der Schweiz den Kindergarten besuchen darf. Dies tens zwei Monaten vor dem Konkurs forderten sie bereits letztes Jahr, ebenso wie verbind- stehen und sind drum auf Unter- liche Massnahmen zur Lohngleichheit, eine bessere stützung angewiesen. Dies nicht zu- Entlöhnung der sogenannten «Frauenberufe» und letzt, weil zu Beginn der Krise viele einen gleichberechtigten Elternurlaub. Ein Jahr nach Eltern die Kita-Verträge kündigten, dem historischen Frauenstreik ziehen die SP Frauen* da unklar war, wie lange die Situa Bilanz unter sp-frauen.ch. tion andauern würde – und weil sich
Fabian Molina 14 LINKS 188 ∙ 2020 Asylpolitik Note ungenügend, Frau Keller-Sutter! Eine Verschlechterung schien kaum mehr möglich – und doch: Covid-19 hat die die europäische Solidarität im Asyl- Situation der Flüchtlinge im Camp Moria noch verschärft. Dennoch rettet die bereich geschwächt. Seither stellt Schweizer Regierung bloss 23 Kinder aus dem Camp des Grauens. sich die Schweiz bei der Dublin-Re- form quer und stiehlt sich damit aus Als ich das Camp Moria auf der grie- chischen Insel-Camps. Auch in der der Verantwortung. chischen Insel Lesbos 2018 zum Schweiz. Über Ostern forderten ersten Mal besuchte, lebten rund tausende Menschen, darunter zahl- Wer hat das repressivste 10 000 Asylsuchende in einem La- reiche prominente Persönlichkeiten Asylsystem? ger, das eigentlich für knapp 3500 aus Kunst, Kultur und Politik, sowie Seit November 2019 ist mit Ylva Jo- Personen erstellt wurde. In Moria, über hundert Organisationen der hansson eine schwedische Sozial- dem grössten Flüchtlingslager Eu- Zivilgesellschaft den Bundesrat auf, demokratin die oberste europäische ropas, herrschten Chaos, Gewalt Asylsuchende in die Schweiz zu ho- Asylchefin. Ich durfte die EU-Kom- und Hoffnungslosigkeit. Viele der len. Die SP setzte sich im Parlament missarin im Februar dieses Jahres Bewohnerinnen und Bewohner war- Fabian Molina, Nationalrat ZH dafür ein und erreichte immerhin kennenlernen und war beeindruckt teten seit Jahren auf die Bearbeitung eine Aufstockung der humanitären von ihrem Tatendrang und ihren ihres Gesuchs und lebten in Zelten Hilfe und die Einreise von 23 unbe- Konzepten. Ihre Analyse: Heute oder unter freiem Himmel. Zahlrei- gleiteten Minderjährigen mit dem gibt es unter den Mitgliedsstaaten che waren stark traumatisiert. Von Ziel der Familienzusammenfüh- ein «race to the bottom», also einen den 2000 Kindern konnte nur ein rung. Ein Tröpfchen auf einem heis Wettbewerb, wer das repressivste kleiner Teil zur Schule gehen. Das sen Stein. Asylsystem hat. So sollen die Asyl- war vor Covid-19. suchenden in andere Staaten ge- Mit Ausbruch der Pandemie ver- Fehler im System drängt werden. schärfte sich die Situation auf Les- Die Corona-Krise wirft ein Schlag- Das Dublin-System muss des- bos und weiteren Inseln der Ägäis licht auf die gravierenden Fehler halb so reformiert werden, dass das zusätzlich. Distanz- und Hygiene- des Dublin-Systems, das eigentlich Recht auf Asyl in Zukunft europä- vorschriften können in überfüllten zur Koordination der europäischen isch gilt. Damit hätten das Hin- und Lagern nicht eingehalten werden. Asylpolitik geschaffen wurde. Aber Herschieben, das Blockieren von Ge- Es gibt zu wenig Wasser, um sich es funktioniert nicht. Die Mitglieds- suchen und die nationale Kriegsrhe- die Hände zu waschen. Die Gesund- staaten des Dublin-Abkommens, zu torik endlich ein Ende. Karin Keller- heitsversorgung ist noch desolater denen auch die Schweiz gehört, kön- Sutter müsste mit Ylva Johansson als zuvor. In einer Zeit, in der die nen sich nicht auf eine faire Vertei- zusammenspannen und die rechten Welt gegen eine gemeinsame Bedro- lung der Geflüchteten einigen und Populisten in Wien und Osteuropa hung enger zusammenrücken sollte, rüsten stattdessen die Festung Eu- in die Schranken weisen. Und bis da- werden Menschen auf der Flucht an ropa weiter auf. Die Leidtragenden hin mit gutem Beispiel vorangehen. den Grenzen Europas ignoriert. sind die Asylsuchenden aus Syrien, Wie die sozialdemokratische Re- Afghanistan und Nordafrika, die gierung Portugals. Sie hat entschie- Kein Herz für Flüchtlinge zum Spielball nationaler Egoismen den, 500 Kinder von den griechi- In ganz Europa verlangten Soli- werden. schen Inseln zu retten. Nicht 23. daritätsaktionen von den Dublin- Mit dem Amtsantritt von Justiz- Staaten die Evakuierung der grie- ministerin Karin Keller-Sutter wurde
ATP Schwarzenbach-Initiative 15 LINKS 188 ∙ 2020 50 Jahre Schwarzenbachab! Italienische Landarbeiter mit Sack und Pack nach ihrer Ankunft in Brig, 1956. Die Schwarzenbach-Initiative spaltete das Land und die Arbeiterbewegung – wollte die Schwarzenbach-Initiative und prägt die politische Debatte bis heute. Grund genug, einen Blick zurück ihre Reduktionsmassnahmen auf zu werfen. Saisonniers, die nur kurze Zeit in der Schweiz weilten, ausdrücklich Der Urnengang vom 7. Juni 1970 Christian Koller, Historiker in einem Zürcher Restaurant einen nicht anwenden. Ebenso ausgenom- zeigte ein ungewohntes Bild. Die italienischen Dachdecker zu Tode, men waren beispielsweise das Pfle- Schwarzenbach-Initiative forderte ohne dass jemand eingriff. ge- und Spitalpersonal oder Wissen- eine Reduktion des Ausländeran- Schliesslich erreichte die Initia- schafter. teils in allen Kantonen ausser Genf tive 46 Prozent Ja-Stimmen. Sieben auf 10 Prozent. Dies hätte die Aus- Stände nahmen sogar an – inter- Zaghafte Integration weisung von mindestens 300 000 essanterweise Kantone mit unter- Schon in den 50er-Jahren begann Menschen zur Folge gehabt – mit durchschnittlichen Ausländerantei- eine Debatte um die Einwanderung. gravierenden wirtschaftlichen Kon- len. Auch in anderen Ländern ent- Sie reichte über die entstehende sequenzen. Bundesrat, Parlament, standen damals ausländerfeindliche Antiimmigrationsbewegung hinaus alle Regierungsparteien, Gewerk- Bewegungen. In Deutschland etwa und erfasste Behörden, Gewerk- schaften, Wirtschaftsverbände, feierte die NPD (Nationaldemokra- schaften und Arbeitgeber. Dabei Kirchen und Gruppen der Neuen tische Partei Deutschlands) in meh- wurde der Begriff «Überfremdung» Linken bekämpften die Vorlage. Auf reren Landtagswahlen kurzlebige wieder aufgegriffen, der bereits um der Gegenseite stand James Schwar- Erfolge. die Jahrhundertwende entstanden zenbach, Sprössling einer Industri- Nach dem Zweiten Weltkrieg war. Verschiedene Massnahmen des ellenfamilie, Ex-Frontist, Bewunde- brummte die Wirtschaft, lange Zeit Bundes reduzierten ab 1962 die Ein- rer des spanischen Diktators Franco herrschte Vollbeschäftigung. Die wanderung um fast zwei Drittel. Zu- und einziger Nationalrat der Natio- Schweiz warb aktiv in Südeuro- gleich gab es zaghafte erste Schritte nalen Aktion. Dennoch war der Aus- pa Arbeitskräfte an, insbesondere Richtung Integration. gang offen. in Italien. Von 1950 bis 1970 stieg Nach der Schwarzenbach-Ab- der Anteil von Menschen ohne stimmung ging die Antiimmigra- Arbeiter gegen Gewerkschaften Schweizer Pass von 6 auf 17 Pro- tionsbewegung weiter. Bis 2014 Im Abstimmungskampf gingen die zent. Ihre Integration war zunächst scheiterten neun weitere Initiativen Emotionen hoch. Der wortgewalti- nicht erwünscht. Viele arbeiteten zur Festschreibung von Einwande- ge Schwarzenbach hatte unzählige als Saisonniers im Baugewerbe, in rungszahlen in der Verfassung an Auftritte. Helmut Hubacher berich- der Gastronomie oder in der Land- der Urne oder bereits in der Sam- tete fünf Monate vor dem Urnen- wirtschaft. Wegen Wohnungsnot melphase. Ab den späten 1980ern gang im «Volksrecht» von Veran- und tiefen Löhnen lebten viele in verlagerte sich aber der Fokus staltungen, an denen Arbeiter die Baracken auf engstem Raum. Ihr migrationsfeindlicher Initiativen, Gewerkschaftssekretäre fast aus- Aufenthaltsstatus beschränkte die bei denen zunehmend die SVP die buhten. Die aufgeladene Atmosphä- Anwesenheit in der Schweiz auf Wortführerschaft übernahm, auf re konnte gar in Gewalt umschlagen: unter ein Jahr und verbot den Fami- die Themen Asyl, Bürgerrecht und Ein Anhänger der Initiative prügelte liennachzug. Bezeichnenderweise Personenfreizügigkeit.
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