Ein Jahrhundert für Hamburg - Bücherhallen Hamburg

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Ein Jahrhundert
für Hamburg
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Ein Jahrhundert
für Hamburg
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Ein Jahrhundert
für Hamburg —
Stiftung Hamburger
Öffentliche Bücherhallen
Ein Jahrhundert für Hamburg - Bücherhallen Hamburg
Inhalt

Grußwort von Senator
                                                                                       6

		 Dr. Carsten Brosda
Bücherhallen Hamburg — mehr als 100 Jahre
                                                                                       14

     alt und immer am Puls der Zeit                     Hella Schwemer-Martienßen

Die Gründer — Zusammenarbeit mit
                                                                                       20

  der Patriotischen Gesellschaft            Dr. Willfried Maier

Großstadtbibliothek
                                                                                       26

             der ZukunftFrauke Untiedt

Forever young —
                                                                                       30

     Bücherhallen Hamburg        Ansgar Wimmer

Bücherhallen als Orte
                                                                                       34

                       Susanne Wilkin
     kultureller Teilhabe
Warum wir
                                                                                       38

 Bücherhallen brauchen   Kirsten Boie

Bürgerschaftliches Engagement —
                                                                                       44

                Vielfalt und Partizipation                        Uta Keite

Die Bücherhallen Hamburg
                                                                                       48

     als Orte des interkulturellen Dialogs                          Petra Lotzkat

Für MENTOR e. V. ein sicherer Hafen —
                                                                                       50

       die Bücherhallen Hamburg               Sandra Weis

Digitalisierung im Spiegel der Bibliothek —
                                                                                       54

    neue Veranstaltungsformate               Thilo Lübker, Gabriele Rösch

Mit Bibliotheken zu
                                                                                       60

         digitaler Mündigkeit   Vera Marie Rodewald

Wunderbares Miteinander — Wechselwirkung
                                                                                       64

           Buchhandlung und Bücherhalle                             Stefanie Krawehl

Warum Bibliotheken für
                                                                                       66

   Autor*innen so wichtig sind           Petra Oelker
Ein Jahrhundert für Hamburg - Bücherhallen Hamburg
netarbeitsplätze, After-Work-Konzerte     Die Digitalisierung hat auch unser
                                                                                        und vieles mehr hinzugekommen.            Verhältnis zur Bibliothek signifikant

                             Dr. Carsten Brosda
                                                                                        Und obwohl die Ausleihe von Büchern       verändert: Die Tatsache, dass wir rein
                                                                                        rückläufig ist, kommen täglich mehr       theoretisch alles im Internet erledigen
                                                                                        Besucherinnen und Besucher, als wir       können, schien die Bibliotheken zu-
                       Grußwort von Senator

                                                                                        es uns zur Jahrtausendwende hätten        nächst überflüssig zu machen, weckt
                                                                                        träumen lassen. Sie kommen aus al-        in uns aber die Sehnsucht nach der
                                                                                        len Altersgruppen und aus allen Mili-     realen Begegnung mit anderen Men-
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                       Bücherhallen Hamburg
                                                                                        eus, sie sprechen die verschiedensten     schen an ganz konkreten Orten. Bib-
                                                                                        Sprachen, interessieren sich für die      liotheken werden also immer mehr zu
                                                                                        verschiedensten Dinge und manche          Orten, an denen sich die Gesellschaft
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                           100 Jahre
                                              Dr. Carsten Brosda,                       kommen einfach nur deshalb, weil sie      als Gesellschaft begegnet – in all ihrer
                                              Senator für Kultur und Medien             die Atmosphäre mögen oder ihr Handy       Vielfalt. Im Zentrum der neuen Biblio-
                                                                                        aufladen wollen.                          theken steht daher ganz und gar fol-
                                              Buchstabenlabyrinth, Kathedrale des                                                 gerichtig nicht das Buch, sondern: der
                                              Geistes oder Geheimkammer des Wis-        Ist also alles anders in den Bibliothe-   Mensch.
                                              sens? Lange umwehte Bibliotheken          ken der Gegenwart? Ja und nein. Ja,
                                              die Aura der Exklusivität. Sie schienen   denn das Angebot ist deutlich breiter     Diesen Weg ist die Stiftung Hambur-
6

                                                                                                                                                                                                                       7
                                              Orte für Eingeweihte zu sein. In Um-      aufgestellt. Nein, denn Bibliotheken      ger Öffentliche Bücherhallen mit Bra-
                                              berto Ecos meisterlichem Buch ‚Der        waren früher und sind bis heute Lern-     vour gegangen. Gegründet wurden            Republik waren geprägt von finanzi-
                                              Name der Rose‘ ist diese Vorstellung      orte – aber die Inhalte und die Wege      die Öffentlichen Bücherhallen bereits      ellen Nöten und Diskursen über den
                                              zu einem dichten Kriminalroman ge-        zu diesem Wissen sind in jeder Zeit       im Oktober 1899 im Geiste der aufge-       Bildungsauftrag der Bibliotheken. Es
                                              ronnen, in dem es von versteckten         andere.                                   klärten Bürgergesellschaft mit einem       folgten die verbrecherischen Jahre des
                                              Büchern, Geheimtüren und verwir-                                                    Grundstock von 6.000 Büchern von           Nationalsozialismus, in denen die Stif-
                                              renden Registern nur so wimmelt.          Die Digitalisierung hat unser Verhält-    der Patriotischen Gesellschaft. Rund       tung gleichgeschaltet und der Buch-
                                              Heute sind Bibliotheken das genaue        nis zum Buch signifikant verändert:       20 Jahre später, am 14. August 1919,       bestand radikal „gesäubert“ wurde. In
                                              Gegenteil davon: Sie sind einladende      Früher war das Lesen eine einsame         wurde das erfolgreiche, aber finanziell    den 1950er Jahren schaffte man einen
                                              und heitere Begegnungsorte – offen        Angelegenheit, wenn ich mit einem         prekäre Bibliothekssystem selbststän-      grundlegenden Wiederaufbau, doch
                                              für alle!                                 Buch zum Beispiel im Sessel oder in       dig und die Stiftung privaten Rechts       auch danach musste die Stiftung noch
                                                                                        einer Ecke der Bibliothek saß. Heute      errichtet, um diese wichtige Instituti-    so manche Klippe umsegeln, finanziel-
                                              Umberto Ecos moderner Klassiker           ist das Lesen von Texten vernetzt und     on der Volksbildung dauerhaft zu si-       le Engpässe verwalten, Schließungen
                                              steht vermutlich immer noch in jeder      kooperativ, wenn beispielsweise mein      chern. Doch auf die mit der Verselbst-     von Stadtteilbibliotheken und Gebüh-
                                              gut sortierten Bibliothek, so auch in     E-Book mir zeigt, welche Stellen an-      ständigung erhoffte Erhöhung der           renerhöhungen verantworten sowie in
                                              Hamburg. Zur klassischen Buchaus-         dere Leserinnen und Leser interessant     staatlichen Zuwendung mussten die          der jüngeren Zeit den technologischen
                                              leihe sind allerdings Bastelräume,        fanden, oder sich per Hyperlink ver-      Bücherhallen noch eine ganze Weile         Wandel gestalten und ins Unbekannte
                                              Gaming-Kurse, Lounge-Ecken, Inter-        schiedenste Diskurse öffnen.              warten. Auch die Jahre der Weimarer        aufbrechen.
Ein Jahrhundert für Hamburg - Bücherhallen Hamburg
sohn feiert
                       Ende der 1990er Jahre hielten der          mit Offenheit und Neugier andere Le-                                                      bo re n: Wilhelm Simon
                                                                                                                                                   19 19 ge                                 Geburtstag.
                       erste Online-Katalog und öffentliche       bensstile und andere Gedanken ken-                                                        B üc he  rh al le n seinen 100.
                                                                                                                                                   mit den
                       Computerplätze Einzug. Es folgte ein       nenlernen können. Unseren Bibliothe-
                       konsequenter Innovationsprozess, der       ken, Museen und Theatern, aber auch
                                                                                                                                                              e  N  a h  r u n g  is t ebenso
                       die Hamburger Bibliotheken zu einem        den Stadtteileinrichtungen und Ver-                                               „Geistig
                       modernen Mediendienstleister mach-         einen kommt daher zunehmend eine
                                                                                                                                                                   ie   E s s e n . Ic h bin den
                       te. Damit war das zeitgemäße Funda-        wichtige Funktion zu. Diese Orte gilt                                             wichtig w
                       ment für ihre eigentliche Aufgabe ge-      es, jenseits ökonomischer Betrachtun-
                                                                                                                                                               h a ll e n  s e hr dankbar!“
Bücherhallen Hamburg

                       schaffen, Orte des Lernens und Orte        gen, weiter zu stärken und zu fördern.                                             Büc h e r
                                                                                                                                                                                                                       unde
                                                                                                                                                                                                    langjähriger K
                       der Begegnung zu sein.                     Nicht als eine verbissen ernste Ange-
                                                                                                                                                                                o n so   h n  is t
                                                                  legenheit, sondern mit einem heiteren                                                    Wilhelm Sim                                                    m seine
                                                                                                                                                                                                        mers bringt ih
    100 Jahre

                       Die Stiftung Hamburger Öffentliche         Lächeln – offen für alle!                                                                                       en  ,
                                                                                                                                                                                      ‘  G er d  R   ei
                                                                                                                                                           der ‚Medienbot                                          namtlichen
                       Bücherhallen kooperiert dafür über
                                                                                                                                                                     se .   E
                                                                                                                                                                            ­ r h ol t  m  ithilfe des ehre
                                                                                                                                       Hörbücher nac
                                                                                                                                                             h Hau                                                   e Zeit hatte:
                                                                                                                                                                                               nge Jahre kein
                       Ressortgrenzen hinweg mit anderen          Mein Dank geht an die Mitarbeite-
                                                                                                               gewünschten                                  eute nach     ,  w  of ü r  er  la
                       Einrichtungen in den Bereichen Bil-        rinnen und Mitarbeiter der Stiftung
                                                                                                                                       ücherhallen h                                                                    Zwischen
                       dung, Kultur und Soziales. Das einsti-     Hamburger Öffentliche Bücherhallen           Projekts der B                                                   e  u n  d  ru  ss is  che Literatur.
                                                                                                                                                             hische Werk                                         in Leben.
                       ge Kerngeschäft – die Freude am Lesen      und ihrer Einrichtungen sowie insbe-            is to ri sc h e   B  ü cher, philosop                              ze  ugte Pazifist se
                                                                                                                h                                                 et d er     ü b er
                                                                                                                                                           eichn
                       und Lernen zu wecken und zu fördern        sondere auch an die langjährige Bib-                                 eden – so bez
                                                                                                                Krieg und Fri                                                                                                   ona,
8

                       – ist der Stiftung Hamburger Öffentli-     liotheksdirektorin Hella Schwemer-
                                                                                                                                                                                            se  n  al  s A  d op tivkind in Alt
                       che Bücherhallen dabei bis heute ein       Martienßen, die die Hamburger Bü-                                                                   Aufgewach                                            Flugzeug-
                                                                                                                               10  0  -J äh   ri ge hat viel erlebt:                            d  w   urde als Soldat
                       zentrales Anliegen geblieben. Sie be-      cherhallen während ihrer mehr als              Der fast                                                       u ge n  d  u n
                                                                                                                                                               zur Hitlerj                                    Vater verlor er
                                                                                                                                                                                                                               durch
                       treibt außerschulische Leseförderung       20-jährigen Vorstandstätigkeit zu ei-
                                                                                                                    am    er  al s   ju n  ger Elbesegler                              en   jü d is  ch  en
                                                                                                                 k                                                Willen. Se       in                                         erfreund-
                       und Sprachförderung für Geflüchtete,       ner der innovativsten Bibliotheken
                                                                                                                        re r b  ei   d er  L  uftwaffe wider                              en   ei  n  en  Fe  stakt der Völk
                       sie fördert ehrenamtliches Engage-         Deutschlands gemacht hat.                       füh                                              chte er in Pol                                  trat vor zwei
                                                                                                                                                                                                                                   Jah-
                                                                                                                            az is .  N  ac h   d  em Krieg besu                               ie  N   A T O  u n d
                       ment mit vielen eigenen Projekten,                                                          die N                                              hmidt über d                                        Simonsohn
                       sie positioniert sich als inklusiver Ort   Für die nächsten 100 Jahre wünsche                           d is  k u  ti er te  mit Helmut Sc                             u lt . W   enn Wilhelm
                                                                                                                   schaft,                                      burg ans R        ed  n  er p
                                                                                                                                                                                                                            er fast blind
                       unserer Stadtgesellschaft, an dem ge-      ich der Stiftung Hamburger Öffentli-
                                                                                                                   ren beim G20
                                                                                                                                           -Gipfel in Ham                               te n  se in   e A  ugen, obwohl
                       lingt, was sonst immer seltener zu fin-    che Bücherhallen weiterhin gutes Ge-                                                           spricht, leuch                                ucht er Schule
                                                                                                                                                                                                                                n und
                                                                                                                         er  P ol it  ik  u  n d Geschichte                              Z ei tz eu   ge  b es
                       den ist: die Begegnung verschiedens-       lingen immer am Puls der Zeit!                    üb                                               Heute. Als                                                    r ihn
                       ter Menschen an einem Ort.                                                                            er  äl   te re  H  er r lebt ganz im                               ts ch   ät ze n k önnen, was fü
                                                                                                                     ist. D                                           damit sie wer
                                                                                                                                              ju n ge n Menschen,                                              r Bildung.
                       Solche ‚Dritten Orte‘ jenseits der eige-                                                         sprich      t  m  it
                                                                                                                                                                   L eb en     in  F ri  eden mit gute
                                                                                                                                                       ut ist: ein
                       nen Wohnung und des Arbeitsplatzes                                                                      das höchste G
                       bzw. der Schule sind eine wichtige Vor-
                       aussetzung für das voraussetzungslose       Dr. Carsten Brosda,
                       gesellschaftliche Gespräch, in dem wir      Senator der Behörde für Kultur und Medien
Ein Jahrhundert für Hamburg - Bücherhallen Hamburg
w

    Die Bücherhallen
    Hamburg beschäftigen
    insgesamt 420
    Mitarbeiter*innen.
    Die durchschnittliche
    Betriebszugehörigkeit
    beträgt 22 Jahre – ein
    Qualitätsmerkmal für
    einen Arbeitgeber.
Ein Jahrhundert für Hamburg - Bücherhallen Hamburg
1__Die Zweigstelle
                                                                     Mitte in der Möncke-
                                                                     bergstraße wurde
                                                                     1915 fertiggestellt.

                            eine Jahrhundertgeschichte
                                                                     Der Entwurf des
                                                                     Gebäudes stammt
                                                                     von dem Architekten
                                                                     Fritz Schumacher.

                                                                     2__In der Landesbank-
Bücherhallen Hamburg

                                                                                              Bücherhallen Hamburg
                                                                     Galerie in der
                                                                     Spitalerstraße war
                                                                     die Zentralbibliothek
    100 Jahre

                                                                                                  100 Jahre
                                                                     von 1971 bis 1986 zu
                                                                     Hause.
                       Zentralbibliothek —

                                                                     3__Hitlerbüste in der
                                                                     Mönckebergstraße,
                                                                     1930er Jahre: Für die
                                                                     Nationalsozialisten

                                                                                              13
12

                                                                     waren Bibliotheken
                                                                     ein wichtiges Instru-
                                                                     ment zur Indoktrina-
                                                         1__   3__
                                                                     tion der Bürger*innen.

                                                                     4__Domplatz,
                                                                     Entwurf von 2006:
                                                                     Nach dreijähriger
                                                                     intensiver Planungs-
                                                                     zeit scheiterte das
                                                                     Projekt einer neuen
                                                                     Zentralbibliothek am
                                                                     Geschmack bedeuten-
                                                                     der Hamburger.

                                                         2__   4__
Ein Jahrhundert für Hamburg - Bücherhallen Hamburg
es natürlich auch im Hamburg des          Gesellschaft angehörten, und vor al-      den sichtbar anzeigte, welche Medien

                          100 Jahre alt und immer am Puls der Zeit
                                                                                                            19. Jahrhunderts. Fakt ist, dass es die   lem regelmäßigeren Zuwendungen            ausgeliehen oder verfügbar waren, auf
                                                                                                            Patriotische Gesellschaft von 1765 um     ausgestattet. Ein Katalog von Lesege-     der Mailänder Weltausstellung prä-
                                                                                                            den Juristen Eduard Hallier war, die      bühren wurde sofort eingeführt, um        sentiert und mit höchster Auszeich-
                                                                                                            im Spätherbst 1899 nach dem Vorbild       die Kundschaft an den Kosten zumin-       nung prämiert – ein frühes Zeugnis
                                                                                                            der englischen und amerikanischen         dest symbolisch zu beteiligen; diese      effektiver Arbeitsorganisation. Bereits
                                                                                                            Public Libraries die Gründung der Bü-     Praxis wurde seither nie mehr infrage     1910 wurde die Freihandausleihe ein-
                                                                                                            cherhallen als hochmoderne Dienst-        gestellt. Die eine Frage, wie viel die    geführt, ein kühnes Unterfangen in der
                                                                                                            leistungseinrichtungen durchsetzte,       Bücherhallen als Organisation der         deutschen Bibliothekswelt, das noch
                       Bücherhallen Hamburg — mehr als

                                                                                                            nachdem alle Versuche gescheitert         Daseinsvorsorge für die Hamburger         viele Jahre brauchte, bis es Usus wur-
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                                          Bücherhallen Hamburg
                                                                 Hella Schwemer-Martienßen,                 waren, den Hamburger Senat dazu zu        Bevölkerung denn nun kosten dürf-         de. Während des Ersten Weltkriegs
                                                                 Bibliotheksdirektorin 1994 –2019           bewegen, der Allgemeinheit, das heißt     ten, wurde allerdings unzählige Male      präsentierten die Bücherhallen flugs
                                                                                                            vor allem der arbeitenden Bevölke-        neu gestellt. Auch über die Gesell-       bedeutende Bestände über Flotte,
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                                              100 Jahre
                                                                 Die Bücherhallen Hamburg waren von         rung, einen Zugang zu Literatur und       schaftsform wurde weiter diskutiert.      Heer und Heimat. 1915 wurde der vom
                                                                 Anfang an ein Spiegelbild der sozialen,    Alltagsbildung zu verschaffen.            Kernpunkt der Debatte, der sich die       berühmten Baumeister Fritz Schuma-
                                                                 ideologischen und politischen Identi-                                                meisten Parlamentarier anschlossen:       cher entworfene Bücherhallentempel
                                                                 tät Hamburgs.                              Am 14. August 1919 gründete die Pat-      Man wolle den Bücherhallen nicht          mit Brunnen an der Mönckebergstraße
                                                                                                            riotische Gesellschaft dann die ‚Stif-    die Freiheit nehmen. Der Gedanke          eröffnet, ein Gebäude, in dem nach
                                                                 Es ist müßig, sich die Frage zu stellen,   tung Öffentliche Bücherhalle‘, knapp      der Stiftung trägt also bis heute: Das    Auszug der Bücher Jahrzehnte später
                                                                 ob es die Bücherhallen ohne die Patri-     20 Jahre nach der Eröffnung der ers-      passt wiederum bestens zu Hamburg         Fast Food zum Verzehr verkauft wurde
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                                                                                                                                                                                                                                          15
                                                                 otische Gesellschaft von 1765 und ihr      ten Bücherhalle im Lombardsgebäude        und zu den Herausforderungen, denen       und heute neben Kaffee auch die ra-
                                                                 Engagement zur Thematisierung und          in den Kohlhöfen und der Errichtung       sich die Bücherhallen in der Folge zu     ren Karten für die Konzerte in der Elb-
                                                                 Lösung stadt- und zivilgesellschaftli-     weiterer fünf Bücherhallen. Organisa-     stellen hatten.                           philharmonie, ebenfalls eine typische
                                                                 cher Probleme überhaupt gäbe. Trotz        torisch war dies kein großes Problem,                                               Hamburgensie. Diskursfähig, kritisch
                                                                 der Skepsis des damaligen Bürger-          aber die alles entscheidende Frage,       Der Geist der Patriotischen Gesell-       und bisweilen tollkühn ist das System
                                                                 meisters Johann Georg Mönckeberg           wie diese Stiftung denn nun dauerhaft     schaft, entstanden aus dem bürger-        bis heute, dazu später etwas mehr.
                                                                 und diverser anderer Politiker: Irgend-    finanziert werden sollte, war noch un-    lichen Impuls, Gutes für das je defi-
                                                                 wann hätte auch der Hamburger Senat        beantwortet. Zwar hatte die Stadt die     nierte Gemeinwohl zu tun, wirkte für      Über die Zwischenkriegsjahre ist we-
                                                                 ein Öffentliches Bibliothekssystem         Bücherhallen von Beginn an finanziell     die Bücherhallen mit allen Implikatio-    nig bekannt: Außer der Stiftungsur-
                                                                 geschaffen, allein schon, weil man in      gefördert, allerdings sporadisch und      nen, die das 20. Jahrhundert und den      kunde von 1919 und den Protokollen
                                                                 Hamburg um keinen Preis jemals als         mit hanseatischer Zurückhaltung.          Beginn des 21. Jahrhunderts prägen:       der Bürgerschaft über die Debatten
                                                                 rückständig gelten wollte. Bürgerliche     Nach langen Debatten in der Bürger-       Selbstverantwortung, zeitgemäße bis       zur Zukunft der Bücherhallen in den
                                                                 Lesegesellschaften, Leihbüchereien         schaft wurde die rechtsfähige Stiftung    mitunter allzu vorausschauende An-        1920er Jahren sind infolge von Kriegs-
                                                                 mit vorwiegend suspekten Trivialro-        privaten Rechts 1920 von der Politik      passungsmentalität, Modernität und        verlusten lediglich Dokumente über
                                                                 manen und die bescheidenen Samm-           schließlich anerkannt und fortan mit      ökonomische Effizienz bestimmten          beeindruckende Nutzungszahlen und
                                                                 lungen der Arbeiterbildungsvereine         einem Verwaltungsrat und einem Ar-        ihre wechselvolle und bewegte Ent-        Neugründungen von Bücherhallen
                                                                 – allesamt potenzielle Provenienzen        beitsausschuss, dem weiterhin füh-        wicklung. 1906 wurde zum Beispiel         trotz permanenten Geldmangels er-
                                                                 für Öffentliche Bibliotheken – gab         rende Mitglieder der Patriotischen        der Schülke’sche Indikator, der für je-   halten.
Tradition der Jahrzehnte davor fort:
                                                                Unzählige Neuanfänge und Schlie-
                                                                ßungen kennzeichneten das System.
                                                                Ab den 1950er Jahren bis in die Mit-                                               lautstarke Dispute, und vielfältige Ak-
                                                                te der 1980er Jahre wuchsen die Bü-                                                tionen wurden in sympathisierender
                                                                cherhallen auf bis zu 75 Standorte an,                                             Öffentlichkeit erdacht und praktiziert,
                                                                zahllose Neueröffnungen und Umzü-                                                  um das zu behalten, was man sicher
                                                                ge, zuerst zusammen mit Badeanstal-                                                hatte. Das war eine ungemütliche Zeit
                                                                ten, dann in neuen Wohnungsbauten                                                  für alle Beteiligten. Auch die Versuche
                       Eifrig war die Gleichschaltung an die    und Bürgerhäusern und später in Ein-     Jahre gab es die Zentralbibliothek mit    von Kulturbehörde und Stiftungsrat,
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                             Bücherhallen Hamburg
                       nationalsozialistische Ideologie: sehr   kaufszentren, aber es entstanden auch    Musikbibliothek, 59 Stadtteilbücher-      Mitte der 1990er Jahre mittels einer
                       frühe Aussonderung ‚zurückzustellen-     eindrucksvolle Solitäre.                 hallen, drei Bücherbusse und 82 ne-       bekannten Unternehmensberatung
                       der Bestände‘ schon im März 1933, der                                             benamtlich geleitete Ausgabestellen       einen Prozess der betrieblichen Befrie-
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                 100 Jahre
                       am 15. Mai die erste Bücherverbren-      Parallel dazu geriet das System in Un-   durch die Fachstelle, davon 19 in Jus-    dung über demokratische Leitungs-
                       nung in Hamburg folgte, völkische        ruhe. Seit den frühen 1970er Jahren      tizvollzugsanstalten.                     prinzipien zu vermitteln, erwiesen
                       Bestandserneuerung im Zeitraffer,        war das Kollegium zeitangemessen                                                   sich als wenig hilfreich, im Gegenteil:
                       die jüdischen Mitarbeiter*innen wur-     politisiert. In der zweiten Hälfte der   Von da an war das Kollegium sehr miss-­   Das System musste sich am Ende ein-
                       den sehr schnell entlassen. Nach dem     1980er Jahre waren zum ersten Mal        trauisch allen Sparplänen der Direktion   mal mehr selbst helfen.
                       Groß-Hamburg-Gesetz 1937 wurden          Bücherhallen von der Schließung be-      gegenüber und suchte gleichzeitig –
                       die städtischen Büchereien Altona,       droht, nachdem gerade etliche neue       gelegentlich überaus erfolgreich – den    Ab 1996 gab es dann tatsächlich bin-
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                                                                                                                                                                                             17
                       Harburg und Wandsbek mit Zweig-          in Stadtentwicklungsgebieten ent-        Schulterschluss mit der politischen       nen zweier Dezennien durch Schlie-
                       stellen sowie die ältere Musikbiblio-    standen waren. Aus Kostengründen         Öffentlichkeit und den Fraktionen         ßungen, Zusammenlegungen und
                       thek in das System integriert. 1941      sollten vor allem kleine Bücherhal-      der Bürgerschaft und der Bezirksver-      Umzüge konsolidierungsbedingt 60
                       gab es 18 Stadtteilbücherhallen und      len geschlossen werden. Im Zuge der      sammlungen. Selbstverantwortung           Änderungen im Adressbuch der Bü-
                       57 von der Fachstelle geleitete, meist   EDV-Einführung sollte das System an      und Kreativität der Direktion waren       cherhallen – bei nahezu einer Halbie-
                       ehrenamtlich betreute Büchereien im      Verkehrsknotenpunkten modernisiert       einmal mehr gefragt, wurden aber          rung der Einträge. Das erforderte zu-
                       Stadtgebiet, von denen nur zwölf und     und konzentriert werden. Die Empö-       gleichzeitig von allen Seiten infra-      nächst auch aus dem eigenen Budget
                       einige Bücherhallen dem Bombenha-        rung darüber war in Kollegium und        ge gestellt. Alles, was ‚von dort oben‘   aufzubringende Investitionen für den
                       gel bei Kriegsende entgingen.            Öffentlichkeit gleichermaßen heftig,     kam, wurde erst mal rigoros abge-         Abbau und die Rückgabe der aufgege-
                                                                es gab Demonstrationen und Unter-        lehnt. Zuerst war man im Kollegium        benen Mietflächen in Millionenhöhe,
                       Ab 1949 begann mit Verve der Wie-        schriftensammlungen, die schnell auf     grundsätzlich gegen die Automatisie-      die sich erst später auszahlten. Ohne
                       deraufbau. Die Geschichte der Bü-        10.000 und mehr ‚Protest-Postkarten‘     rung, die den Menschen beherrschte,       eine einzige betriebsbedingte Kündi-
                       cherhallen in Hamburg ist auch eine      dokumentiert wurden. Das machte          das sollte doch umgekehrt sein. Und       gung wurden in diesem Zeitraum weit
                       Geschichte vom Entstehen und Ver-        nicht nur Eindruck, sondern zeigte       dann ging es auch um den permanen-        über 200 Vollzeitstellen abgebaut,
                       gehen von Orten und Räumen in den        auch Wirkung. Politiker*innen woll-      ten Veränderungsdruck im Kontext          noch mehr Kolleg*innen hatten sich
                       Stadtregionen, jetzt Ausdruck des        ten gewählt werden, die Schließungs-     von mehr Service bei gleichzeitigem       meist zunächst ungewollt an ein ande-
                       Wirtschaftswunders allenthalben. Die-    pläne wurden schließlich (vorläufig)     Personalabbau und tatsächlichen           res Kollegium zu gewöhnen. Dennoch
                       se Entwicklung setzte lediglich die      zurückgenommen. Anfang der 1990er        Schließungsplänen. Darüber gab es         konnte die Leistung über Jahre hinweg
setzenden digitalen Produkten, die        erhoben das Wort aus ästhetischen                                                    | Stiftungsurkunde
                                                                Öffnung der Bücherhallen für Vielfalt     Erwägungen dagegen und die Elbphil-                                                  vom 14. August 1919.
                                                                und Interkulturalität, schließlich die    harmonie wurde auch immer teurer.
                                                                Gründung einer Tochtergesellschaft        Man kann schließlich nicht alles ha-
                                                                für die Etablierung des Bürgerschaftli-   ben. Nachdem nach der Filmabtei-
                                                                chen Engagements, um nur das Wich-        lung auch die Kinderbibliothek sowie
                       stetig gesteigert werden, durch höhere   tigste zu benennen, sind zweifellos       die Jugendbibliothek Hoeb4U nach
                       Nachfrage und den Einsatz von Tech-      anerkannte Pionierleistungen, die das     Zwischenstationen an anderen Orten
                       nik. Diese sprunghafte Dynamik und       Kollegium mit der Zeit gelassen, mu-      Platz im Haus gefunden haben, ist
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                      Bücherhallen Hamburg
                       zwischenzeitlich auch heftige Proteste   tig und sogar latent einvernehmlich       der Hühnerposten erstmals in der Ge-
                       in den betroffenen Stadtteilen halten    getragen hat, obwohl dafür bisweilen      schichte der Bücherhallen ein Ort für
                       die Hamburger*innen bis heute nicht      lieb gewonnene Gewohnheiten aufge-        alle Generationen und Kulturen. Ein-
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                          100 Jahre
                       davon ab, sich mit ihren Bücherhallen    geben werden mussten.                     ziges Defizit: Für eine Großstadt wie
                       zu identifizieren. Das mag vor allem                                               Hamburg ist diese Zentralbibliothek
                       daran liegen, dass die Bücherhallen      Ein Beispiel für unbekümmert Neu-         viel zu klein. Allen Zweifler*innen       aufrücken. Es entspricht dem Geist
                       sich immer zeitgemäß präsentieren:       es ist auch die Geschichte der Zent-      dieser Anschauung sei ein Besuch          der Hansestadt, kaufmännische Spar-
                       mit ihren Beständen und Programm­        ralbibliothek am Hühnerposten, die        in Amsterdam, Aarhus, Birmingham          samkeit und Modernisierung in einem
                       angeboten, in ihrer Möblierung und       im Januar 2004 ohne vorherigen Be-        oder Oslo, um nur wenige aktuelle Bei-    Zug zu denken und zu tun: Von nichts
                       technischen Ausstattung und meist an     schluss der politischen Gremien und       spiele zu nennen, empfohlen!              kommt nichts und das ist richtig so.

                                                                                                                                                                                                                      19
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                       den richtigen Orten – und wenn ein-      damit auch ohne zusätzliche Mittel                                                  Heute sind die Bücherhallen Hamburg
                       mal nicht: Umzüge sind Routine.          nach harten Verhandlungen mit dem         Das ist keine Politikschelte, keines-     Deutschlands größtes zusammenhän-
                                                                Vermieter für geplant fünf Jahre mit      falls. Nachdem erste Erfolge der          gendes Öffentliches Bibliothekssys-
                       Und auch das: Aller Irritationen, Wi-    einem Flächenvolumen von 1.000            Konsolidierung und Erneuerung des         tem – modern, innovativ, flexibel, of-
                       derstände und Diskussionen zum           Quadratmetern mehr gegenüber dem          Systems auch von Hamburger Ent-           fen für alle und äußerst leistungsstark.
                       Trotz oder vielleicht gerade deswe-      vorherigen Standort im Kontorhaus-        scheidern nicht mehr übersehen wer-       Und zukunftsfähig sowieso.
                       gen beweist das System seine Erneu-      viertel und ohne Budget für Umzug         den konnten, weil die Bücherhallen
                       erungsfähigkeit. Veränderung ist im      und Möblierung bezogen wurde, ob-         einen veritablen Ruf in der Branche er-   Ein persönliches Wort zum Schluss
                       Laufe der Zeit ein Zustand geworden,     wohl gleichzeitig die Realisierung ei-    reicht hatten und sowohl der Landes-      sei mir als Berichterstatterin erlaubt:
                       die ausgeprägte Bereitschaft, Neues      nes Neubaus auf dem Domplatz nach         rechnungshof und eine Expertenkom-        Öffentlichkeit, Politik, Netzwerken,
                       und auch mal finanzielle Risiken ohne    einem Beschluss von Senat und Bür-        mission dies ab Mitte der 2000er Jahre    Nutzer*innen und insbesondere dem
                       sofortige Deckung zu wagen, wird         gerschaft 2003 bis ins Detail geplant     nur bestätigen konnten, wurde der         Kollegium der Bücherhallen Ham-
                       Programm. Überdies wird das ‚Wie‘        worden war. Aus dem in Aussicht ge-       Prozess von der Stadt gleichzeitig mit    burg danke ich ganz ausdrücklich und
                       und das ‚Was‘ der eigenen Arbeit per-    stellten Neubau, der 2008 bezogen         Mitteln für weitere außergewöhnliche      persönlich dafür, dass ich über ein
                       manent reflektiert. Flächendeckende      werden sollte, wurde am Ende dann         Offensiven begleitet und die Bücher-      Vierteljahrhundert dabei sein konnte,
                       Komplementärleistungen für Schulen       leider nichts, wie schon mehrfach zu-     hallen Hamburg konnten nachhaltig in      dieses Kleinod Hamburger Kultur zu
                       und Kitas, die frühe Einführung von      vor bei solchen ehrgeizigen Planungen     die Spitzengruppe der deutschsprachi-     begleiten.
                       für Öffentliche Bibliotheken maßstab-    der Stadt. Wichtige Hamburger Bürger      gen Öffentlichen Bibliothekssysteme
in Hamburg gegründet wurde, durch                                                 Auch für die Patriotische Gesellschaft
                                                                                                  Beschluss der ersten durch allgemei-                                              sind unter diesem Gesichtspunkt
                                                                                                  ne und freie Wahlen zustande gekom-                                               die Bücherhallen unverzichtbar. Mit
                                                                                                  menen Bürgerschaft im Jahre 1919         auf die „dauernde Mitwirkung und         dem Diesterweg-Stipendium betrei-
                                                                                                  – gleichzeitig mit der Universität und   Opferfreudigkeit größerer Kreise von     ben wir das erste Familienbildungs-
                                                                                                  der Volkshochschule.                     Privaten“. Die Folge war eine ständige   stipendium in Deutschland, das sich
                                                                                                                                           Finanznot, die dann allerdings auch in   an begabte Kinder von 10 bis 14 Jah-
                                                                                                  Freilich gibt es eine Vorgeschichte,     demokratischen Zeiten bis heute die      ren und an ihre Familien richtet. Alle
                       mit der Patriotischen Gesellschaft

                                                                                                  und da kommen wir, die Patriotische      Bücherhallen Hamburg immer wieder        Stipendiat*innen werden an einem
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                              Bücherhallen Hamburg
                                                                                                  Gesellschaft, ins Spiel. Schon in vor-   begleitet hat.                           Akademietag in die Benutzung der
                       Die Gründer — Zusammenarbeit

                                                                                                  demokratischer Zeit gab es in der                                                 Bücherhallen eingeführt und alle Sti-
                                                        Dr. Willfried Maier,                      Stadtrepublik Hamburg die erste Bü-      Heute müssen die Bücherhallen unter      pendiaten-Kinder sowie ein Elternteil
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                                  100 Jahre
                                                        1. Vorsitzender                           cherhalle des Typs, der nachher zur      neuen medialen Bedingungen und bei       erhalten eine Bücherhallen-Kunden-
                                                        der Patriotischen Gesellschaft
                                                                                                  unverzichtbaren und meistbesuch-         veränderten Lese- und Sehgewohn-         karte. Die Bücherhallen sind Koopera-
                                                                                                  ten kulturellen Einrichtung der Stadt    heiten ihren Weg finden. Geschichten     tionspartner des Diesterweg-Stipen-
                                                        Bibliotheken gibt es schon lange, seit    geworden ist. Am 7. Dezember 1898        werden seltener gelesen und häufi-       diums, eines der wichtigsten Projekte
                                                        der Erfindung der Schrift vor 5.000 bis   entschloss sich die Patriotische Ge-     ger im Film angeschaut. Das Internet     unserer Gesellschaft.
                                                        6.000 Jahren. Die Stiftung Hambur-        sellschaft zu dieser Gründung und im     bietet einen unmittelbaren Zugriff auf
                                                        ger Öffentliche Bücherhallen gibt es      Oktober 1899 wurde auf Veranlassung      Wissen und Geschichten schon von zu      Aus der langen historischen Verbin-
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                                                                                                                                                                                                                              21
                                                        seit 100 Jahren. Es muss sich also um     der Gesellschaft die erste Bücherhalle   Hause aus. Die sozialen Medien eröff-    dung zwischen unseren beiden Insti-
                                                        einen besonderen Typ von Bibliothek       in einem staatlichen Gebäude an den      nen weitverzweigte, aber häufig auch     tutionen hat sich bis heute auch eine
                                                        handeln, der aus Zeitbedürfnissen der     Kohlhöfen 21 in der Neustadt eröffnet.   sektenmäßig verengte Kommunikati-        Zusammenarbeit ihrer Gremien erhal-
                                                        Moderne hervorgegangen ist. Keine                                                  onsmöglichkeiten für Millionen Ein-      ten: Die Patriotische Gesellschaft hat
                                                        Bibliothek für besondere Menschen-        Schon diese erste Bücherhalle bot dem    zelne.                                   Sitz und Stimme im Stiftungsrat der
                                                        gruppen wie Kloster- und Gelehrtenbi-     Publikum sowohl mehrere Leseräume                                                 Bücherhallen Hamburg, die wiederum
                                                        bliotheken, keine fürstliche Gründung.    als auch die Ausleihe der Bücher nach    Da ist es von wachsender Bedeutung,      eine*n Delegierte*n in den Beirat der
                                                        Vielmehr eine öffentlich zugängliche      Hause, lange Öffnungszeiten, fach-       dass die Bücherhallen nicht kommer-      Patriotischen Gesellschaft entsenden.
                                                        Bibliothek und Leseräume für alle         lich geschultes Personal und geringe     zielle, öffentliche Räume in der Stadt   In allen Veränderungen, welche die
                                                        Einwohner*innen in verschiedenen          bis keine Gebühren. Der starke Publi-    bieten; Orte, wo man sich aufhal-        Bücherhallen Hamburg gestaltet ha-
                                                        Stadtteilen. Sie eröffnet den Zugang      kumszuspruch schon im ersten Jahr        ten und treffen kann, an denen man       ben, haben sie ihren Gründungsim-
                                                        zum Wissen und zu den Geschichten         sprach für einen gelungenen Stapel-      einzeln oder in Gruppen lernen und       puls bewahrt: das Wissen und die
                                                        der Welt für alle und jede/jeden.         lauf.                                    zugleich mit der ganzen Welt in Ver-     Geschichten der ganzen Welt allen
                                                                                                                                           bindung sein kann. Sie sind in einer     Einwohner*innen der Stadt zugäng-
                                                        Eine solche Einrichtung gehört ins        Dennoch konnte sich der Senat vor        ethnisch heterogeneren Stadt auch        lich zu machen und sie dabei zu be-
                                                        demokratische Zeitalter, und so ist       der Revolution nicht dazu durchrin-      Orte, an denen sich die Verschiedenen    gleiten, sich diese Schätze anzueignen.
                                                        es kein Zufall, dass sie erst nach der    gen, diese neuen Einrichtungen insge-    treffen können und miteinander um-       Das ist in Zeiten neuer Verengungen
                                                        demokratischen Revolution von 1918        samt zu finanzieren, sondern verwies     gehen lernen.                            und Blödigkeiten eine frohe Botschaft.
Bücher und Sprachen spielen im Le-
                                     ben von Lisa Golze eine große Rolle.

                       „
                                     Nach ihrem literaturwissenschaftli-
                                     chen Magisterstudium, einem län-
                                     geren Auslandsaufenthalt und einer
                                     Ausbildung zur Lehrerin für Deutsch
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                        Bücherhallen Hamburg
                                     als Fremdsprache/Zweitsprache
                                                                                                   In der Nähe von Büchern hat sich Sandra Mac
                                     unterrichtete sie zunächst an einer
                                                                                                   immer wohlgefühlt. 2003 begann sie ihre Ausbil-
                       In der

                                                                                    „
                                     Sprachschule. Anschließend war sie
    100 Jahre

                                                                                                                                                            100 Jahre
                                                                                                   dung bei den Bücherhallen und arbeitet heute an
                                     als Lektorin für verschiedene Kinder-
                       Bücherhalle   und Jugendbuchverlage tätig.
                                                                                                   zwei Standorten: dem größten und dem kleinsten.
                                                                                                   Wenn sie nicht gerade in der Zentralbibliothek
                       gibt’s        Seit 2017 arbeitet sie bei den Bücher-
                                                                                                   eine Veranstaltung vorbereitet, fährt sie Bücher-
                       Bücher für    hallen Hamburg und ist dort für
                                                                                                   bus. Der 16-Tonner macht ihr keine Angst – 2017

                                                                                                                                                        23
22

                                                                                                   erwarb sie mühelos den Führer­schein für die Fahr-
                       alle!“        das Lektorat deutscher und fremd-
                                     sprachiger Kindermedien zuständig.
                                                                                     Öffentliche   bibliothek und sitzt seitdem am Steuer.

                                     Bilderbücher haben es ihr besonders      Bibliotheken sind    Sandra Mac hat eine sichere Hand für moderne
                                     angetan, denn Bilder sprechen für die
                                     Lektorin eine universelle Sprache.
                                                                               besondere Orte –    Technik, schätzt aber noch mehr den Umgang mit

                                     In ‚Bücherhalle‘ stecken für sie vor         die Menschen     den Kund*innen. So ist es im Bus sehr persönlich,
                                                                                                   viele Menschen kommen über Jahre, man sieht
                                     allem die Worte Bücher und alle.
                                     Dass sie einen Beitrag dazu leisten           kommen mit      Kinder groß werden und kennt sich. In der Zen-
                                                                                                   tralbibliothek dagegen ist es sehr vielfältig und
                                     kann, allen Kindern einen Zugang               einer großen   international. Menschen zu helfen, denen die Ver-
                                     zum Lesen zu ermöglichen, macht sie
                                     einfach glücklich.                          Offenheit und     ständigung in deutscher Sprache schwerfällt, liegt
                                                                                                   ihr besonders am Herzen.
                                                                                     Neugierde.“
1__Heute undenkbar:
                                                              Handarbeit bestimmt
                                                              den Alltag. Eine Mitar-
                                                              beiterin widmet sich
                                                              sorgfältig der Buch-
                                                              pflege, 1980er Jahre.

                                                              2__An der Schreib­
                                                              maschine werden
                                                              Rückentitel für Bücher
Bücherhallen Hamburg

                                                                                        Bücherhallen Hamburg
                                                              geschrieben, um 1980.

                                                              3__Geschäftiges
    100 Jahre

                                                                                            100 Jahre
                            aus der Arbeitswelt

                                                              Treiben in den Großen
                                                              Bleichen: Beratung
                                                              und Ausleihe vieler
                                                              Kund*innen an der
                                                              Servicetheke, 1990.

                                                              4__Nadeln in Loch­
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                                                                                        25
                                                              karten, 1980: Das
                                                              halbautomatische
                                                              Mahnverfahren
                                                        3__
                       Schlaglichter

                                                              wurde 1993 zuletzt
                                                              in der Bücherhalle
                                                              Mopsberg eingestellt.

                                                  1__

                                                        4__
                                                  2__
das Bild der Bibliothek als Ausleihsta-   Automatisierungsprozesse ermögli-          Zentralbibliothek am Hühnerposten
                                                                                       tion mit den Bildern der tatsächlich      chen es dem Personal, während der          für die oben beschriebenen Entwick-

                                   der Zukunft
                                                                                       dort stattfindenden vielfältigen Ak-      eigenen Anwesenheit die Kommuni-           lungen umgebaut werden. Weitere elf
                                                                                       tivitäten zu überschreiben. Dies mag      kation mit Kund*innen in den Mittel-       Stadtteilbibliotheken werden eben-
                                                                                       auch damit zusammenhängen, dass           punkt der Arbeit zu stellen und nicht      falls mit Mitteln aus dem Sanierungs-
                       Großstadtbibliothek
                                                                                       die Leistung dieser Orte jahrzehnte-      nur über eine Vernetzung im Stadtteil,     fonds umziehen oder an bestehen-
                                                                                       lang unter dem Gesichtspunkt der          sondern mit eigenen Angeboten diese        den Standorten modernisiert werden
                                                                                       Ausleihzahlen betrachtet wurde, die       Interaktion zu gestalten. Zusätzliche      können. Das System der Bücherhallen
                                                                                       – auch dank immer besserer Unter-         Öffnungsstunden ohne Personal stel-        Hamburg ist gut aufgestellt.
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                      Bücherhallen Hamburg
                                                                                       stützung durch Automatisierung und        len zumindest den Ort Bibliothek zur
                                                                                       beschleunigter Geschäftsgänge – stetig    Verfügung, der auf diese Weise eine        Für den Blick in die Glaskugel, der die
                                                                                       wuchsen.                                  stärkere Sichtbarkeit in der Nachbar-      Zukunft des großstädtischen Biblio-
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                          100 Jahre
                                             Frauke Untiedt,                                                                     schaft erhält.                             thekssystems der Bücherhallen Ham-
                                             Bibliotheksdirektorin                     Und dann sanken die Ausleihzah-                                                      burg beschreiben soll, stelle ich gern
                                             ab September 2019
                                                                                       len. Mit Unbehagen wurden Ausleih-        Ein neues Selbstbewusstsein ist sicht-     die Sätze der scheidenden Direktorin
                                                                                       rückgänge, die harte Währung in der       bar geworden, Öffentliche Bibliothe-       Hella Schwemer-Martienßen vorweg:
                                             Wo stehen wir eigentlich und wie geht     Diskussion mit kommunalen Geld-           ken sind stolze Protagonisten bei der      „Das Bewährte bewahren und das
                                             es uns heute? Wie wird es uns in Zu-      gebern, konstatiert. Die fachinterne      Vernetzung von Stadtgesellschaft.          Neue tun. Beides sollte am besten kon-
                                             kunft gehen? Bevor ich den Blick in die   Diskussion beschäftigte sich 2010 mit     Der Auftrag, für alle in der Stadt da      struktiv und in einer transparenten
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                                                                                                                                                                                                                      27
                                             Glaskugel wage, der beschreiben soll,     ‚armen Hunden‘ und ‚Milchkühen‘ 1,        zu sein, zeigt sich vielfältiger als vor   Atmosphäre gelebt werden und auch
                                             was noch wird, möchte ich ein paar        man schärfte weiter den Bestand, um       Jahren. Diese Entwicklung ist keine,       mit einer großen Portion Unbeküm-
                                             Sätze zum Hier und Jetzt sagen.           die mit Sorge betrachteten Ausleih-       die sich auf Deutschland beschränkt.       mertheit. Der Erfolg unserer Organi-
                                                                                       rückgänge aufzuhalten. Der Erfolg war     Bibliotheken in Aarhus, Helsinki und       sation ist abhängig vom Zuspruch und
                                             Großstadtbibliotheken sind vernetzte      überschaubar. Was allerdings dann         bald auch Oslo erhalten neue Gebäude       vom Anspruch der Kund*innen, von
                                             Gebilde, sie überziehen ihre Stadt wie    passierte und bis heute passiert, ist     für ihre Zentralbibliotheken, die den      der Qualität unserer Arbeit und unse-
                                             ein Geflecht mit unterschiedlich gro-     wunderbar. Die Menschen, die bereits      Menschen in den Mittelpunkt stellen.       rer Lernbereitschaft und last but not
                                             ßen und kleinen Knotenpunkten, die        zu uns kamen, um möglichst viel an                                                   least von der Unterstützung der Poli-
                                             alle zueinander und zu den sie um-        Information und Unterhaltung nach         Die Bücherhallen sind diesen Ent-          tik und der Zuwendungsgeber. Weil
                                             gebenden Partnern in der Stadtge-         Hause zu tragen, kamen weiterhin.         wicklungen nah. Im Jubiläumsjahr           alle Beteiligten das wissen, geben sie
                                             sellschaft im Austausch stehen. Die       Nicht nur das, sie kommen nun in          2019 sind sieben Stadtteilbibliothe-       ihr Bestes.“ 2
                                             Arbeit dieser Knotenpunkte hat sich       größerer Zahl und tragen Informati-       ken mit zusätzlichen servicefreien
                                             schon immer sehr auf den sie umge-        on und Unterhaltung nicht mehr nur        Öffnungszeiten zugänglich. Interne         Die einzelnen Themen fügen sich ein
                                             benden Stadtteil eingestellt. Die Orte    nach Hause, sondern suchen und fin-       Fortbildungsreihen unterstützen die        in den Dreiklang von Bestand, Ort und
                                             einer Großstadtbibliothek sind nie ein    den sie vor Ort in unseren Häusern.       Weiterqualifizierung des Personals         Vermittlungs- und Programmarbeit.
                                             homogenes Gebilde, sondern spiegeln       Digitale Entwicklungen verstärken         im Bereich der Vermittlungs- und Pro-      Ihr Verhältnis zueinander hat sich ge-
                                             sich in ihrer Umgebung. Trotzdem          den Wunsch nach echter Begegnung          grammarbeit. Mit zusätzlichen Mitteln      wandelt – und wird sich sicherlich auch
                                             war es lange Zeit unendlich schwer,       und die findet in Bibliotheken statt.     aus dem Sanierungsfonds kann die           in Zukunft immer wieder verändern.
| Attraktive Räume: die
                                                                                                                                                                               modernisierte Bücherhalle
                                                                                                                                                                               Volksdorf, 2018.
                       Bestand                                    vermittlung im Kontext schulischer       plementarität von sozialer und digita-
                       Bibliotheken haben wichtige traditi-       Kooperationen wird sich noch stärker     ler Teilhabe zu unterstützen.
                       onelle Kompetenzen, die auch in Zu-        in die schulischen Anforderungen ein-
                       kunft nicht an Bedeutung verlieren         passen müssen. Programmunterstütz-       Ort
                       werden. Auswahl und Angebot der            te Angebote werden den Informati-        Bibliotheken können nicht der Kitt
                       Medien (Bücher, aber auch andere Me-       onsaustausch und die Begegnung von       sein, der alle Teile von Stadtgesell-
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                           Bücherhallen Hamburg
                       dien, die es im Moment noch gibt, und      Menschen gleichermaßen unterstüt-        schaft wieder miteinander verbin-
                       andere, die es erst in Zukunft geben       zen müssen, um erfolgreich zu sein.      det. Aber sie können daran arbeiten,
                       wird), die eine Bibliothek unter den       Programmarbeit in Bibliotheken wird      gesellschaftliche Unterschiede zu
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                               100 Jahre
                       Vorgaben der Informationsfreiheit          alle Gruppen der Gesellschaft anspre-    verringern, indem sie alle Teile von
                       und der gleichzeitigen Förderung de-       chen müssen. Bibliotheken sollten        Stadtgesellschaft an einem Ort will-
                       mokratischer Grundprinzipien anbie-        auch in Zukunft das Ehrenamt stark       kommen heißen.
                       tet, sind essenzieller Bestandteil von     einbeziehen und vor allen Dingen bei
                       Bibliotheken.                              niedrigschwelligen oder ressourcen-      Die Sichtbarkeit in der Stadt wird
                                                                  intensiven Programmen als starken        gefördert durch ein gut verteiltes Fi-
                       Vermittlungs- und                          Partner fördern.                         lialsystem, das in einer immer digi-

                                                                                                                                                                                                           29
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                       Programmarbeit                                                                      taler werdenden Welt Begegnungen
                       Ältestes Element der Vermittlungsar-       Wer ist eigentlich ein Experte? Parti-   ermöglicht und durch seine attrak-
                       beit ist die Leseförderung, mit der eine   zipative Prozesse sollen bei der An-     tiven Standorte im Alltag sichtbare
                       intensive Zusammenarbeit mit Kitas,        gebotsgestaltung eine stärkere Be-       Angebote macht. Ein Ausbau der Ver-
                       Schulen und Familien verbunden ist         rücksichtigung finden. Dies gilt für     fügbarkeit dieser Angebote und eine
                       und die – mit dem Bestand an Kinder-       die Zusammenarbeit mit Behörden          Erweiterung der Öffnungszeiten mit        1 Schade, Frauke: Die Portfolio-Analyse.

                       literatur im Hintergrund – immer in        (Verstetigung bestehender Kooperati-     und ohne Personal, im Rahmen der           Ein Instrument zur Profilierung von
                                                                                                                                                      Bibliotheksbeständen. In: BuB 2010/5.
                       das Portfolio von Öffentlichen Biblio-     onen) und anderen Institutionen ge-      gesetzlichen Möglichkeiten auch am
                       theken gehören wird, auch wenn die         nauso wie für die Interaktion mit den    Sonntag, sind für eine solche Sichtbar-   2 Aus der editorischen Notiz für das Bibliotheks­

                       Formate mittlerweile deutlich über         Menschen, die die Angebote der Bü-       keit von großer Bedeutung.                 konzept Bücherhallen Hamburg 2021,
                                                                                                                                                      Stand Februar 2018. www.buecherhallen.de/
                       Vorlesen und Bilderbuchkino hinaus-        cherhallen nutzen.                                                                  bibliothekskonzept.html?file=files/down-
                       gehen und sich weiterentwickeln wer-                                                So und wahrscheinlich gleichzeitig         loads/pdf/rubrik-ueber-uns/allgemein/
                       den.                                       Unsere Aktivitäten und Angebote wer-     ganz anders wird die Zukunft sein.         bibliothekskonzept-buecherhallen-hamburg-
                                                                                                                                                      2021.pdf (abgefragt 10.06.2019).
                                                                  den wir öfter durch korrespondieren-     Wir werden in unserem Arbeitsalltag
                       Informationsvermittlung wird sich          de digitale und virtuelle Komponen-      stetig Neues lernen und uns weiter
                       weiter vom passiven Angebot an der         ten begleiten. Dies nicht nur, um auch   verändern, um in jeder möglichen Zu-
                       Informationstheke zu aktiven Ange-         außerhalb der analogen Orte sichtbar     kunft Bibliothek unverzichtbar sein zu
                       boten wandeln. Klassische Wissens-         zu sein, sondern auch, um die Kom-       lassen.
Bücherhallen Hamburg
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                       Bücherhallen Hamburg
                       Forever young —
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                           100 Jahre
                                               Ansgar Wimmer,
                                               Alfred Toepfer Stiftung

                                               Nein. Der scheinbare Antagonismus        Ehrenamt und Bürgerengagement,            Sprachvertiefung und Tabletkursen        und beharrlich erkämpft, und zugleich
                                               zwischen Buch und der Wucht der          mit Angeboten für eine interkulturell     für Senior*innen steht. Schulen, Ge-     aller, die in den Teams der Stadtteilbib-
                                               neuen Medien, das Beweinen des Nie-      und demografisch vielfältige Klientel,    fängnisse, Zielgruppen mit besonde-      liotheken und der Zentrale auch noch
                                               dergangs der Ausleihzahlen gebun-        zentral wie dezentral, zielgruppenori-    ren Bedürfnissen oder Neuhinzuge-        die orientierungsloseste Frage des
30

                                                                                                                                                                                                                       31
                                               dener Bücher aus stählernen Regalen      entiert, niedrigschwellig und diversi-    kommene werden ebenso regelhaft          letzten Kunden nach einem langen Ar-
                                               wohllektorierter Stadtbibliotheken ist   tätsoffen. Ein engagiertes, gelassenes    und als Normalfall der Bibliotheksar-    beitstag professionell und freundlich
                                               schon längst nicht mehr die Agenda       und in seinen Qualifikationen breit       beit in den Blick genommen wie Ver-      beantworten, die nach neuen Forma-
                                               zukunftsorientierter Großstadtbiblio­    aufgestelltes Kollegium begegnet den      anstaltungen mit unterschiedlichsten     ten suchen, sich nicht zufriedengeben
                                               theken – und ist es in Wirklichkeit      Lebenslagen einer urbanen Realität        Themen und Partnern in Bibliotheken      mit ‚same procedure as every year‘.
                                               auch vielleicht nie gewesen. Längst      als Ort für Wissen, Begegnung, Befähi-    längst zum lebendigen Alltag gehören.
                                               haben sie, und dabei die Stiftung        gung und Teilhabe.                        Online-Ausleihe überprüft sich in sei-   ‚Younger than ever!‘ mag man der
                                               Hamburger Öffentliche Bücherhallen                                                 ner Relevanz und Nachfrage ebenso        alten Dame Stiftung Hamburger Öf-
                                               oftmals erfolgreich vorneweg, ganz       Bibliotheken verstehen sich mehr          permanent wie in Relation zu anders-     fentliche Bücherhallen augenzwin-
                                               andere Chancen ergriffen:                und mehr als selbstbewusste analoge       wo verfügbarem Wissen.                   kernd zurufen, aber so ist es doch: Die
                                                                                        Ankerplätze und Ausgangspunkte für        Was wie eine Vision klingt, ist längst   ‚HÖB‘, wie sie viele Hamburger*innen
                                               Experimentierfreudig suchen Öffent-      die Reise in das Virtuelle, bei der das   Alltag, hart erkämpft unter den Be-      freundlich nennen, hat nicht nur die
                                               liche Bibliotheken nicht nur in Groß-    Zurhandnehmen und Ausleihen eines         dingungen rapiden gesellschaftlichen     Zeichen der Zeit erkannt und nimmt
                                               städten ihre Positionierung als ‚Third   Buches gleichberechtigt neben den         Wandels und permanenter Haushalts-       die damit einhergehenden Herausfor-
                                               Place‘, als bibliophile, bildungs- und   Treffen von Lerngruppen, Internet-        konsolidierung, nie fertig, immer auch   derungen immer wieder neu an, son-
                                               kulturaffine Stadtparks einer offe-      recherchen, dem Kaffee zum Schmö-         neu zu rechtfertigen und zu verargu-     dern ist darin ein wichtiges Vorbild für
                                               nen, lebendigen Stadtgesellschaft, mit   kern im aktuellen Bestseller, Bilder-     mentieren. Es ist das Werk ungedul-      andere Kultur- und Bildungseinrich-
                                               einer Strategie zur Einbindung von       buchkino, Konversationsrunden zur         diger Einzelner, zuweilen unbequem       tungen der Stadt.
1__Bücherhalle in
                                                              Eppendorf, Lenhartz-
                                                              straße, 1963.

                                                              2__Früher Bibliothek,
                                                              heute Schwimmbad:
                                                              die Bücherhalle in der
                                                              Bartholomäusstraße
                                                              in Barmbek-Süd, 1909.
Bücherhallen Hamburg

                                                                                         Bücherhallen Hamburg
                                                              3__Die Bücherhalle
                             in den Stadtteilen

                                                              im Wasserturm in
                                                              Winterhude. Die klare
    100 Jahre

                                                                                             100 Jahre
                                                              Einrichtung der neu-
                                                              en Sachlichkeit prägte
                                                              die Bücherhallen in
                                                              den 1950er und 60er
                                                              Jahren. Fotografiert
                                                              von Ernst Scheel.

                                                                                         33
32

                       Bücherhallen

                                                              4__Die mobile Bücher­
                                                        3__   halle war stets beliebt:
                                                              Heute gibt es zwei
                                                  1__
                                                              Bücherbusse, die die
                                                              ländlichen Gegen-
                                                              den Hamburgs mit
                                                              Medien versorgen.
                                                              Fahrbücherei, 1961.

                                                  2__   4__
verständlich. Deshalb ist die Erreich-     entwickeln ist ein zentrales Berufsfeld
                                                                                         barkeit einer öffentlichen Bibliothek      geworden. Die Inhalte orientieren sich
                                                                                         im direkten Lebensumfeld von hoher         an Bildungsempfehlungen und Bil-
                           kultureller Teilhabe
                                                                                         Bedeutung.                                 dungsplänen.
                       Bücherhallen als Orte

                                                                                         Die Kollegien vor Ort kennen die Le-       Zu den Kernkompetenzen aller Mitar­
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                       Bücherhallen Hamburg
                                                                                         bensbedingungen im Quartier und            beiter*innen gehören demnach heute        Raumgeber
                                                                                         haben den direkten Zugang zu den           ŠŠdie spielerische Vermittlung von       Die Lebensumstände von Kindern und
                                                                                         Menschen. Im Zusammenschluss mit              Schreib-, Lese- und Sprachkompe-       Jugendlichen, das familiäre Umfeld
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                           100 Jahre
                                                                                         den lokalen Bildungspartnern wie Ki-          tenzen,                                und die Wohnsituation sind je nach
                                                                                         tas und Schulen, mit Initiativen und       ŠŠdie Vermittlung von souveränem         Stadtteil sehr verschieden und driften
                                                                                         Akteuren der Kinder- und Jugendkul-           Umgang mit digitalen Medien und        weiter auseinander. Dies führt zu so-
                                                                                         tur sowie anderer gemeinnütziger Trä-         Grundlagen des Codings,                zialer Ungleichheit und schlechteren
                                                                                         ger lässt sich viel erreichen. In vielen   ŠŠAngebote zum Trainieren sozialer       Möglichkeiten kultureller Teilhabe.
                                                                                         Filialen unterstützen zusätzlich Eh-          Kompetenzen, zum Beispiel mit
                                              Susanne Wilkin,                            renamtliche mit viel Engagement die           Gesellschaftsspielen,                  Bibliotheken tragen als offene, einla-
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                                                                                                                                                                                                                       35
                                              Leitung Stadtteilbibliotheken              Bemühungen um einen kulturellen            ŠŠdas Bereitstellen einer breiten        dende Orte dazu bei, Ungleichheiten
                                                                                         Zugang für alle Kinder.                       Palette von Angeboten zum Mitma-       überwindbar zu machen und mehr
                                              Vor Ort                                                                                  chen bei MINT-Themen,                  Chancengerechtigkeit herzustellen.
                                              Bibliotheken sind Orte kultureller Teil-   Vermittlung                                ŠŠWerkstattformate aller Art zum         Findet bei stadtplanerischen Prozes-
                                              habe. Dies betrifft besonders die All-     Wer Kompetenzen vermitteln will,              Entwickeln der eigenen Kreativität.    sen eine Beteiligung Jugendlicher
                                              tagswelt von Heranwachsenden. Es ist       muss selbst kompetent sein. An-                                                      statt, fordern diese gewöhnlich eine
                                              eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,      spruchsvolle Fortbildungsreihen für        Bibliotheken sind erste außerschu-        Stadtteilbibliothek in ihrem direkten
                                              jungen Menschen die ganze Bandbrei-        Mitarbeitende sind für eine bedarfsge-     lische Erfahrungsräume kultureller        Wohnumfeld.
                                              te solcher Erfahrungsräume zu öffnen.      rechte und zukunftsweisende Biblio-        Teilhabe. Sie lenken und prägen im
                                              Dazu ist moderne und kindgerechte          theksarbeit ein Muss. Wenn die Mit-        besten Fall Bildungs- und Lebenswe-       Oft herrschen eher beengte Wohnver-
                                              Bildungs- und Lernumgebung nötig.          arbeitenden selbst kompetent sind,         ge, weil sie prägende positive Erleb-     hältnisse, die ruhigem Lernen für die
                                              Deshalb gehört zu einer zeitgemäßen        dann vermitteln sie ihre Kenntnisse        nisse ermöglichen.                        Schule nicht zuträglich sind. Immer
                                              Bibliotheksarbeit auch das Entwi-          mit Freude, viel Kreativität und uner-                                               mehr Kinder und Jugendliche nutzen
                                              ckeln qualitativ hochwertiger Kin-         müdlichem Einsatz weiter.                                                            hierzu Arbeitsplätze in ihrer Bücher-
                                              derprogramme. Eine wertschätzende                                                                                               halle. Die Eltern wissen ihre Kinder
                                              Haltung und das ernsthafte Anliegen,       Mit der Bereitstellung von Medien                                                    hier gut aufgehoben. Bibliotheken
                                              Kindern und ihren Familien unterstüt-      ist es demnach längst nicht getan.                                                   genießen in allen Kulturen Vertrauen
                                              zend zur Seite zu stehen, sind selbst-     Vermittlungsformen und -inhalte zu                                                   und hohes Ansehen.
orte:
                                                                                                                                                                 din der Elbvor                 nde Stoffe.
                                                                                                                                                 Die treuste Kun              se rin mag spanne
                                                                                                                                                                ft li ch e Le
                                                                                                                                                 Die leidenscha

                                                                                                                                                         ü c h  e r h a ll e n   haben sich im
                       Starke Partnerschaften
                                                                                                                                                  „Die B
                       Die Vormittage sind und bleiben in al-
                                                                                                                                                            e r Z  e it  s e h  r verändert: Ich
                       len Filialen reserviert für angemelde-
                                                                                                                                                  Laufe d
                       te und unangemeldete Kita-Gruppen
                                                                                                                                                                      , a u   ch  w enn ich eher
Bücherhallen Hamburg

                       und Schulklassen (mehr als 6.500 Ver-
                                                                                                                                                   finde das    to  ll
                       anstaltungen pro Jahr).
                                                                                                                                                        ‚k la s s is c  h e ‘ Leserin bin.“
                                                                                                                                                   eine
    100 Jahre

                       Die Zahl der Themen, aus denen Lehr-                                                                                                                                                          allen seit
                                                                                                                                                                            a n  n  b  es   u  ch  t die Bücherh
                                                                                                                                                       Christa Herrm
                       kräfte und Erzieher*innen auswählen
                                                                                                                                                                                                                      hn klein
                       können, steigt ständig. Waren es bis                                                                                                                   Ja   h re  .  D  am   als war ihr So
                                                                                                                                                                          er
                       vor zehn Jahren hauptsächlich Klas-                                                                                             Ende der 1970                                  ch  erhalle lag in
                                                                                                                                                                                                                           Süll-
                                                                                                                                                                                    s.  Ih   re   B ü
                                                                                                                                                                  Vorlesen au                                                  ge-
                       senführungen zur Einführung in den
                                                                                                                              si ch    K in d erbücher zum                               w    u rd  en   sp äter zusammen
                       ‚Gebrauch‘ einer Bibliothek und das                                                 und sie li    eh                                         en Standorte
                                                                                                                                                  rook, die beid                                                      rzieherin
                       Vorstellen und Vorlesen guter Kinder-                                                       u n d  sp  ät er   in  Is er b
                                                                                                                                                                                  n  ei  n   e  R ei se wert: Als E
36

                                                                                                             or f                                                          al le
                                                                                                           d                                              r die Bücherh                                                  buchki-
                       literatur, kommen jetzt MINT-Themen,
                                                                                                                 . A u ch    b er u flich waren ih                              it  d  en    K  in d ern zum Bilder
                                                                                                           legt                                              regelmäßig m                                  Themen wie F
                                                                                                                                                                                                                            rühling
                       erstes Programmieren, der Gebrauch          Fazit
                                                                                                                     K it a  in  Is er  brook fuhr sie                               b  es   ti m  m  te
                       digitaler Technik, kreativer Ausdruck       Die Diversität, die das Stadtleben so    einer                                                 a aus, wenn                                       ngszeit der
                                                                                                                          eh   v ie le  M  ed  ien für die Kit                             te  damit die Anfa
                       und vieles mehr hinzu. Der Ansatz ist       attraktiv macht, zieht Wohlstand und     no. Sie li                                                   u n d   er le b
                                                                                                                                                          t wurden –                                                    chabtei-
                       ganzheitlich.                               Weltoffenheit, aber auch soziale Un-
                                                                                                                 er  W  ei h  n ac hten behandel                            Fa   ch  k  rä  ft e  h eute von der Fa
                                                                                                             od                                               agogische
                                                                   gleichheit nach sich. Die ökonomi-
                                                                                                                     ie n b  ox en  ‘  m  it, die sich päd
                                                                                                             ‚Med                                                           nen.
                       Den Lesehunger und den Forscher-            schen, politischen und kulturellen
                                                                                                                                       sa m   m  en stel len lassen kön
                       drang junger Menschen zu bedienen,          Teilhabemöglichkeiten driften stark        lung Schule zu
                                                                                                                                                                                                                  te zuverlässig
                       themenbegleitende Veranstaltungen           auseinander. Bibliotheken haben die
                                                                                                                                                                         d er  B  ü ch   er  halle Elbvoror
                                                                                                                                                            ter*innen                                                  chen, sie
                       für den Unterricht und den Kita-Alltag      Aufgabe, für Ausgleich und Anglei-                                   e die Mitarbei                                               ern und zu su
                       durchzuführen und so die Entwicklung        chung zu stehen.                            Heute sehen si                                 hs. Ihr gefä  ll t  es , zu     st öb
                                                                                                                                                                                                                          ieren sie
                                                                                                                    m  al   in  d er   W  oche mittwoc                               au    ch    B io gr  afien interess
                       aller Kinder zu fördern, ist ein Kernauf-                                               ein                                              Fantasy, ab      er                                          b gefes-
                       trag, den alle Bücherhallen sehr gerne      Sie arbeiten für die Bekämpfung der                  ir d  im  m    er  fü ndig: Krimis,                            h   ro  n ik en  ‘ v on Robin Hob
                                                                                                                     w                                                 eitseher-C                                                ere
                                                                                                                                                   aben sie die ‚W                                              eine ganz and
                       erfüllen. Dabei ist ihnen der Ausgleich     Schattenseiten einer differenzierten                     sehr. Zuletzt h                                  nend u         n d   fü h re  n in
                       von unterschiedlichen Startbedingun-        Stadtgesellschaft und für Teilhabe.                                                  ände sind span                                nimmt sie gern
                                                                                                                                                                                                                           mit, dort
                                                                                                                                  selt, alle drei B                             r  d en    A  ll ta g
                       gen ein großes Anliegen. Sie sind kom-      Sie schaffen neue Zugänge zu Bildung                                                       tschriften fü                                              e Rezepte.
                       petente und verlässliche Begleiter von      und Kultur und dienen im besten Sin-                                  Welt. Auch Zei                           n  fü    r d  en   G arten oder toll
                                                                                                                                                                   ­liche Idee
                       Bildungsbiografien.                         ne den Menschen im Quartier.                                                 findet sie nütz
Warum Kinder aber auch Bücher lesen
                        Bücherhallen brauchen
                                                                                      sollen, wo es doch viele andere schöne   Wilhelm-Busch-Album gab. Darum
                                                                                      Hobbys und coole digitale Möglich-       war Lesen für mich schon sehr früh ein
                                                                                      keiten gibt, leuchtet vielleicht nicht   Sehnsuchtsziel und mit fünf Jahren
Bücherhallen Hamburg

                                                                                                                                                                                                                   Bücherhallen Hamburg
                                                                                      jedem sofort ein.                        brachte ich es mir selbst bei. Danach
                                                                                                                               fing ich an zu lesen und zu lesen, und
                                                                                      Dass ich von der unübertroffenen Be-     weil in unserer Familie das Geld knapp
    100 Jahre

                                                                                                                                                                                                                       100 Jahre
                                                                                      deutung von Büchern – und damit          war, las ich eben dieselben wenigen
                                                                                      von Bibliotheken! – so unerschütter-     Bücher immer wieder und wäre viel-
                                                                                      lich überzeugt bin, hat nicht nur mit    leicht bald gelangweilt gewesen, hätte
                                                                                      den vielen internationalen Studien zu    ich nicht irgendwann die Bücherhalle
                                            Kirsten Boie,                             tun, die dem Bücherlesen eine Steige-    am Barmbeker Bahnhof entdeckt.
                       Warum wir

                                            Autorin                                   rung der Intelligenz wie der Empathie
                                                                                      bescheinigen, sondern vor allem mit      Von da an gab es einmal wöchentlich

                                                                                                                                                                                                                   39
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                                            Gemeinsam mit 25 weiteren Ham-            meinem eigenen Leben.                    das Paradies. Mit der blau-grün ka-
                                            burger Erstunterzeichner*innen, da-                                                rierten Einkaufstasche meiner Mutter      durch ganz nebenbei ihr Lebensweg
                                            runter auch Hella Schwemer-Marti-         Ich komme aus einer Familie, in der      ging ich bis zum Abitur jeden Don-        ändert. Und wenn ein benachteiligter
                                            enßen, habe ich im vergangenen Jahr       vor mir niemand das Abitur gemacht,      nerstag zum Bücherausleihen, tauchte      Jugendlicher, eigentlich nur, um sich
                                            die ‚Hamburger Erklärung – Jedes          geschweige denn studiert hat: nicht      ab in andere Welten, erlebte Abenteu-     ein Spiel oder vielleicht eine DVD aus-
                                            Kind muss lesen lernen!‘ auf den Weg      meine Eltern, keiner meiner 32 Onkel     er, lernte nebenbei vieles und wurde      zuleihen, eine Bücherhalle besucht,
                                            gebracht. Jedem leuchtet sofort ein,      und Tanten oder etwa 50 Cousins und      wacher für die Welt.                      dann wird er sich vermutlich nicht so-
                                            dass es in einem Land wie Deutsch-        Cousinen. Bei uns wurde man Bäcke-                                                 fort vor ein Bücherregal stellen. Aber
                                            land nicht hingenommen werden             reifachverkäuferin, Landwirt, Klemp-     Was wäre aus mir geworden, hätte ich      er hat einen Ort betreten, den er ohne
                                            kann, wenn 18,9 % der Zehnjährigen        ner, Maurer, als Mädchen vor allem       nicht so viel gelesen? Was wäre aus       diese Medien nie kennengelernt hätte,
                                            nicht lesen können, weil ihnen damit      Hausfrau. Dass ausgerechnet ich aus      mir geworden, hätte es nicht die Bü-      und dabei passiert auch etwas mit sei-
                                            der spätere Zugang zur gesellschaft-      der Reihe tanzte, hat ganz ohne Frage    cherhallen gegeben?                       nem Selbstkonzept: Bücherhallen sind
                                            lichen Teilhabe und zu einem qualifi-     mit meiner frühen Leseleidenschaft                                                 plötzlich auch ein Ort für ihn. Und ir-
                                            zierten Beruf versperrt ist und der Ge-   zu tun und damit, dass meine Eltern,     Auch für Kinder von heute können Bü-      gendwann, vielleicht, greift er dann
                                            sellschaft enorme Kosten entstehen.       ohne es zu wissen, schon ganz früh       cherhallen noch immer dieselbe Be-        auch nach einem Buch.
                                            Diese Kinder erlebe ich seit Jahren bei   etwas richtig gemacht haben: Sie la-     deutung haben. Auch heute noch gibt
                                            Lesungen und das Thema treibt mich        sen mir vor, auch wenn es für mich in    es Kinder, die nur durch Bücherhallen     Darum: Alles Gute für die nächsten
                                            schon lange um.                           unserem Haushalt zunächst nur ein        so viel Lesestoff finden, dass sich da-   100 Jahre!
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