Ein Moment - wir. hier. jetzt. Jugendmagazin aus Hamburg
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Jugendmagazin aus Hamburg wir. hier. jetzt. Sonderausgabe | 2010 | ISSN 1862 - 4820 | www.freihafen.org Kostenlos, da unbezahlbar Ein Moment.
Impressum FREIHAFEN – Sonderausgabe Jugendmedientage 2010 Katharina Meyer zu Eppendorf Jugendmagazin für Hamburg Yannick Ramsel Alfred-Wegener-Weg 3 Larissa Rhyn 20459 Hamburg Lotte Rullkötter Lotti, 23, Hamburg, Studentin Fon: 040-60084679 Johanna Schley Lotti erkennt man an ihren zahlreichen Fax: 040-60084681 Katharina Schuster Mail: mail@freihafen.org Theresa Serafin Piercings, die in der Sonne glitzern. Web: http://www.freihafen.org Juliane Schwarz Ohne ihre Zigaretten wird sie aber leicht etwas knatschig. Herausgeber Fotoredaktion Junge Presse Hamburg e.V. Andreas Hopfgarten Alfred-Wegener-Weg 3 Jan Martin Ahlers 20459 Hamburg Tobias Karrer Fon: 040-60084680 Theresa Serafin Fax: 040-60084681 Yannick Ramsel Mail: mail@jphh.de Jolanda Epprecht Max, 21, Hamburg, Student Web: http://www.jphh.de Layout Wenn er sich nicht gerade für den Chefredaktion Christoph Aberle FREIHAFEN die Nacht um die Ohren Marie-Charlott Goroncy (V.i.S.d.P.) schlägt, ist Max auf der Bühne Andreas Hopfgarten Titelfoto zu finden. Oder beim Pendeln im Max Martens Yannick Ramsel Christoph Aberle Metronom. chefredaktion@freihafen.org Erscheinung einmalig Redaktion Jan Martin Ahlers Druck Matt Brundell Süddeutscher Verlag Zeitungsdruck GmbH Eva Brunner Zamdorfer Straße 40 Jolanda Epprecht 81677 München Michael Hennig Diana Höhne Auflage Andi, 23, Hamburg, Fotograf Tobias Karrer 1 000 Exemplare Andi hat gerade den deutschen Laura Krzikalla Jugendfotopreis gewonnen und wird in zehn Jahren berühmt sein – das will Dieser FREIHAFEN ist eine Sonderausgabe, die während Jugendmagazin aus Hamburg er jedoch nicht einsehen. der Jugendmedientage 2010 in München im Rahmen eines Workshops in 24 Stunden entstanden ist. Die Kooperationspartner sind die Junge Presse Hamburg wir. hier. jetzt. e.V. und die Jugendpresse Bayern e.V. Wir danken allen, die an dieser Zeitung mitgewirkt haben! Christoph, 20, Hamburg, Student Christoph sucht sich gerne seinen Freiraum auch mitten in der Stadt, z.B. beim Segeln. Layouten kann er gut, fotografieren auch. 2 www.freihafen.org
Servus! L ieber Leser und liebe Leserin, wir können mit Ver- drucken das Sonderheft „Ein Moment“ in tausendfacher gnügen verkünden: Du hältst die nunmehr zweite Ausführung und bleiben trotzdem werbefrei. Ein dickes Sonderausgabe des FREIHAFEN in der Hand. Für Lob dafür! Also, junges Journalistenvolk, lasst euch von diese Ausgabe kehrten wir schweren Herzens Ham- unserem Kolumnisten auffordern, im Stress der Medien- burg den Rücken zu, zogen mit Sack und Pack in den landschaft einen Moment inne zu halten, um das ent- derzeit nicht so sonnigen Süden und schlugen unsere standene Kunstwerk zu genießen: Zelte in München auf. Im Rahmen der Jugendmedien- Unsere Redakteure berichten von Momenten der Stil- tage widmeten wir uns einem waghalsigen Projekt: Der le, der Entscheidung, der Begegnung und natürlich des 04 Zeitungsproduktion unter extravaganten Umständen. Stresses. Dabei versuchen sie die Kunst des roten Fadens Zur Verfügung standen vierundzwanzig Stunden, sech- in den Griff zu kriegen und thematisch wie physisch bei zehn Seiten weißes Papier, sechzehn Jugendliche aus den Jugendmedientagen zu bleiben. Das Gelände durf- ganz Deutschland und der Schweiz sowie ein aktions- te die Teilnehmern nämlich nicht verlassen. Doch wenn reiches und kritisches Umfeld, das sich mit dem einen das Feuer der journalistisch Schaffenden erst einmal ge- Thema auseinander setzt: Mehr als 140 Zeichen – Me- weckt ist, lassen sie sich von nichts mehr bremsen: Statt dien und Ökonomie. Da kann der FREIHAFEN mitreden, Hausbesuch in München gibt dann eben Kofferbesuch denn auch bei uns hat die Wirtschaftskrise blaue Flecken in der Turnhalle und München erforschen wir nicht auf hinterlassen. Unsere einzige Einnahmequelle, die An- eigene Faust, sondern befragen unsere Informanten. zeigenkunden, wimmelten uns schon nach der Begrü- Wir haben auf diese Weise einen Tag in das wahre Jour- ßung ab oder verlangten immer mehr für ihr Geld. Ein nalisten-Leben hinein geschnuppert: Es ist schnellebig, redaktioneller Beitrag hier. Ein extra-Homepage-Banner schlaflos und stressig. Im gleichen Zuge jedoch auch da. Noch mal fünf Prozent Preiserlass. Doch irgendwann höchst zufriedenstellend, weil das Endprodukt Aus- ist Schluss! Trotz des Drucks von außen wollen wir das drucksstärke und Überzeugungskraft besitzt. Wir bedan- bleiben, was wir sind. Unabhängig, kreativ und experi- ken uns bei allen Teilnehmern, die genauso wie wir Blut mentell. Wir sind die Medienmacher von morgen, die und Wasser geschwitzt, Tränen vergossen und immens sich erst ausprobieren müssen. Das Team der Jugendme- viele kreativ-Hirnzellen geopfert haben. dientage hat uns finanzielle Sorgen abgenommen und dadurch ermöglicht, dass wir unser Ziel verfolgen kön- Eure nen: Wir wollen, dass Jugendliche Zeitung machen. Wir Lotti, Max, Andi und Christoph 06 04 | Im Interview: Pia Döhler, 11 | Umfrage: Dein Weg in die Medien Projektleiterin der JMT 12 | Der Kofferbesuch 05 | Stress in den Medien München: Eine Stadt, 06 | Meinungsfreiheit in der zwei Meinungen Schülerzeitung 13| „Moment mal...“-Kolumne 07 | Fotoserie zum Thema JMT 14 | Auswandern für Anfänger: 08 | Facebook Schweden contra Deutschland 09 | Die JMT in Zahlen 10 10 | Googles Revolution Der Moment, der dein Leben verän- dert 14 Der FREIHAFEN auf den JMT in München 3
„Klingt ja eigentlich staubtrocken“ Platz für dieses Interview bietet ein Tisch, irgendwo in einem halbdunklen Gang der städtischen Berufsschule für Medienberufe. Viel Zeit hat Pia Döhler ohnehin nicht, denn sie hat dieser Tage Wichtigeres zu tun. Sie leitet die Organisation der Jugendmedientage 2010. Ein Gespräch über 5er BMWs und eierlegende Wollmilchsäue. Zurück in die Gegenwart: Das Thema der diesjäh- rigen Jugendmedientage lautet „Medien und Öko- nomie“. Was bedeutet das speziell für dich? Seien wir ehrlich, das Thema klingt ja eigentlich staub- trocken. Ich denke aber, dass in den Medien gerade so viel im Umbruch ist, dass man extrem auf Wirtschaftlich- keit schauen muss, um überhaupt Fuß fassen zu können. Deshalb halte ich es für ein wichtiges Thema, das auch jungen Menschen näher gebracht werden sollte. Unsere Aufgabe ist, das Ganze so aufzubereiten, dass es diese auch erfasst. Wie schätzt du die Atmosphäre in eurem Team ein, läuft alles rund? Vor Ort gibt es viel Stress, aber trotzdem bleibt alles freundschaftlich. Viele sind auch schon seit Jahren dabei. Bei Alina, unserer Projektreferentin, sind die Jugendme- dientage stets ein fester Bestandteil des Jahres. Was muss man tun, um sechs 5er BMWs für den Transfer der Referenten gestellt zu bekommen? Ich habe mich ein Jahr lang mit der Pressefrau von BMW rumgeschlagen und habe sie dann letztendlich irgend- wie bekommen! (lacht) „Trotz viel Stress bleibt es hier freundschaftlich.“ Hat München als Standort nur Vorteile? Nein. Was sind die Nachteile, die dir spontan einfallen? Ein Nachteil ist zum Beispiel, dass München in Süd- deutschland sozusagen „die Metropole“ ist, wodurch es sich den Luxus leisten kann, nicht auf Kooperation an- gewiesen zu sein. Was den ÖPNV angeht, haben wir in Hannover zum Beispiel bessere Unterstützung erhalten. Außerdem war es ein großes Problem, nachträglich noch Hotelzimmer für Referenten zu ergattern. Da mussten wir teilweise schon echt flehen und betteln. Was läuft denn besser als in der Vergangenheit? Dadurch, dass wir die MEDIENTAGE MÜNCHEN als Foto: Max Martens Partner haben, wurde uns viel an Logistik und Struktur abgenommen. Somit konnten wir uns mehr auf andere Bereiche, wie z.B. die Essensversorgung konzentrieren. Wie in den letzten Tagen besprochen, ist es kein Geheimnis, dass die cross-mediale Berichterstat- Seit 2005 engagiert sich Pia Döhler bei den Jugendmedientagen. tung immer wichtiger wird. Wie beurteilst du diese Pia oder Frau Döhler? und Koordination zu meiner Aufgabe als Projektleiterin Entwicklung? Wie du möchtest! gekommen. Ich denke, es wird nie eine Entwicklung zur „Eierle- genden Wollmilchsau“ geben. Man muss mittlerweile fit Pia, beschreibe die Jugendmedientage 2010 in Wie finanzieren sich die Jugendmedientage? in allen Bereichen sein, aber Arbeitsteilung bietet nicht einem Satz. Über Partner, Sponsoren und Warensponsoring. Wir ha- umsonst auch Vorteile. Deshalb glaube ich nicht, dass Die offizielle oder die inoffizielle Version? ben ein Jahr lang Gelder akquiriert, sozusagen für lau. bald der Artikel, der Radiobeitrag und auch der Fernseh- Wir verkaufen Logopräsenz in der Tagungsschrift, der beitrag von ein und derselben Person produziert wird. Interessanter wäre die inoffizielle. Doku und auf der Homepage. Das ist praktisch die ein- OK, der PR- Satz lautet nämlich: Die Jugendmedientage zige Gegenleistung, die wir geben können. Dafür wird Du stellst im Grußwort der Tagungsschrift zu den sind die größte Nachwuchsveranstaltung für 500 Teil- hier mit den 16- bis 27- jährigen Teilnehmern eine Ziel- Jugendmedientagen 2010 die Frage, ob sich die nehmer in Deutschland. Die inoffizielle ist: Die Jugend- gruppe präsentiert, die für viele sehr interessant ist. ganze Arbeit lohnt. Lohnt sie sich? medientage sind die geilste Jugendveranstaltung, die ich Ja, sie lohnt sich. (lacht) kenne und seit 2005 arbeite ich mit. „Die JMT sind die geilste Jugendveranstaltung, die ich kenne.“ Dieses Jahr ist also deine Premiere als Chefin? Yannick, 18, Bielefeld, Schüler Genau, als Chefin bzw. Projektleiterin ist es mein erstes Und wie lange sitzt euer Team schon an der eigent- Leistungssportler in der 13. Klasse mit Jahr. Ich bin aber seit 2005 im Organisationsteam und lichen Organisation? Affinität zum Basketball, was zum habe dort als Teilnehmerbetreuerin angefangen. In den Wir sind seit April letzten Jahres dabei. Stressabbau dient. Internet hat bei darauffolgenden Jahren bin ich über die Teamleitung ihm kein Suchtpotential. 4 www.freihafen.org
Die Überlastung ist für viele Journalisten kein Grund, den Job an den Nagel zu hängen. Zwischen Null und Sieben „Das mach’ ich doch im Schlaf.“ Stress und Überarbeitung bringen viele Journalisten um die nächtliche Ruhe. Auch die 500 Teilnehmer der Jugendmedientage bewegen sich vier Tage lang an den Grenzen der Schlaflosigkeit. E s ist Donnerstag 23:30 Uhr. Zwei Ohren nähern sehr umfangreich und anstrengend? Der Übeltäter heißt Burn-Out-Syndrom zu leiden. Trotzdem würden 78 Pro- sich rasant dem Boden. Sie gehören dem 22-jäh- „First Night Effect“. Dieses Phänomen tritt auch oft im zent der Befragten ihren Beruf wieder ergreifen. rigen Tim, der gerade völlig erschöpft auf seine Urlaub auf. Wer hat noch nie die erste Nacht in einer mühevoll aufgeblasene Luftmatratze prallt. Nach einer fremden Umgebung damit verbracht, sich bei ständigem Dieses Ergebnis bestätigt auch Ela H. (22) aus München, anstrengenden viereinhalbstündigen Anreise aus Han- Herumwälzen Gedanken über die wichtigen und un- die ihren Bachelor in der Tasche hat und seit einigen nover, hätte er allen Grund, auf der Stelle einzuschla- wichtigen Probleme der Welt und seines eigenen Lebens Monaten zwar nicht als Journalistin, aber in einer Wer- fen, doch trotz innerer Erschöpfung sind Tims Ohren zu machen? beagentur arbeitet: „Ich arbeite jede Woche circa 70 gespitzt. Schuld an diesem Phänomen ist, wie so oft, der Ur- Stunden und gerade liegt vor mir ein Projekt, das unbe- Nebenan raschelt es. Ein Schlafsack, der wild von einer mensch in uns. Dieser reagiert in einer fremden Umge- dingt bis Montag fertig sein muss. Die Freizeit leidet, die Seite auf die andere gewälzt wird. Aus weiterer Entfer- bung „zunächst einmal mit erhöhter Wachsamkeit, die Beziehung auch, aber es macht einfach Spaß. Ich liebe nung sind dumpf Stimmen zu hören. Rrrrrrt. Jemand den Schlaf natürlich empfindlich stören kann“, erklärt meinen Job.“ sucht etwas in seinem Rucksack, wühlt sich dabei durch Dr. Wolfgang Widmaier von der Union Deutscher Heil- Tüten und vorbei an klappernden Kaugummidosen. praktiker. Die Freizeit leidet, die Beziehung auch Aus dem ursprünglichen Plan, die Augen zu schließen Deshalb werden die Geräusche, die entstehen, wenn und in eine Traumwelt abzugleiten, wurde nichts. Die hundert Leute in einer Turnhalle schlafen, sehr intensiv Anselm Fischer, 22 jähriger Mediengestalter für Bild und Müdigkeit schleppt er seit vielen Stunden mit sich herum. wahrgenommen. Vielen fällt es schwer, sie auszublen- Ton sieht das ähnlich: „Nach einer Woche, in der ich Schon lange hatte sich Tim auf sein – wenn auch provi- den und die Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen. 15 Stunden täglich am Schnittplatz vor dem Bildschirm sorisches – Bett gefreut. Doch irgend etwas hält letzt- In der Dunkelheit lauern heute zwar, anders als zu Ur- sitze, fühle ich mich oft wie ein Zombie. Doch, wenn ich endlich das Sandmännchen von seinem Einsatz ab, Tim zeiten, keine Säbelzahntiger, jedoch sorgt eine andere das Ergebnis sehe, bin ich stolz auf das, was ich geleistet ins Traumland zu befördern. Unruhig blickt er jede Stun- Spezies, die sich durch lautes „Schnurren“ auszeichnet, habe. Ich weiß, wo meine Grenzen sind und wie weit ich de auf die Uhr und realisiert, dass die Zeit, die ihm noch für eine kontinuierliche Beschallung der Schlafsuchen- gehen kann, ohne mir selbst zu schaden. Meine Arbeit den. Auch Tim hat sie in der letzten Nacht gehört: „Ich ist eine meiner Leidenschaften.“ Der Übeltäter heißt „First Night Effect“ dachte nicht, dass hier so viele Leute schnarchen. Fängt Den über 1000 jungen Menschen, die jährlich ihr Stu- das nicht erst mit 30 an?“ dium der Journalistik oder Kommunikationswissen- zum Schlafen bleibt, mit jedem Blick weiter schwindet. Natürlich sind die Jugendmedientage eine Ausnahmesi- schaften abschließen, steht all das noch bevor. Auch sie In ihm steigt die Panik auf, diese Nacht gänzlich ohne tuation und das Schlafdefizit kann bald wieder ausge- werden früher oder später lernen: „Der Letzte macht Schlaf zu verbringen. Tim ist nicht das einzige Opfer der glichen werden. Doch was passiert, wenn der Stress das Licht aus.“ Schlaflosigkeit auf den Jugendmedientagen 2010. Vier- plötzlich zum Alltag gehört, die Suche nach der Titels- zig Meter weiter, am anderen Ende der Turnhalle, die tory wichtiger als die eigene Familie, der Schlaf dauer- jedem Teilnehmer ein Stückchen Boden als Schlafplatz haft zur Mangelware wird? Es ist kein Geheimnis, dass bietet, lauscht auch die 19-jährige Eva gespannt in die Termindruck, Überstunden und daraus resultierender Dunkelheit. Schlafmangel oft genau so zum Berufsbild eines Medi- Normalerweise haben Tim und Eva selten Probleme mit enschaffenden gehören, wie die Recherchearbeit zum Juliane, 19, München, studentin dem Einschlafen. Meist klappt es innerhalb weniger Journalismus und die kreativen Ideen zur Werbebranche. Erlebnisverrückte, kinderliebe Leipzi- Minuten ganz von allein. Doch weshalb gönnt sich ihr Eine Studie der Journalistin Judith Pfeuffer im Rahmen gerin, die nach Mexiko reist um Muse Körper in dieser Nacht kaum eine Sekunde erholsamen ihrer Diplomarbeit ergab tatsächlich, dass ein Fünftel der zu hören, im Kinderheim zu jobben & Schlafs, ist doch das Programm für die nächsten Tage befragten Journalisten von sich behauptet, unter dem für „Welt der Wunder“ zu bloggen. Der FREIHAFEN auf den JMT in München 5
Verstrickt in den Fängen der Zensur „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Eine Zensur findet nicht statt.“ Von wegen - Ein Report über die schockierende Realität. Freiheit“ singenden, fähnchenschwingenden Massen, Unmengen von schwarz-weißen Lederbällen und un- ermüdlich in jedes Ohr dringenden Vuvuzelas. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Direktoren bevölkertes Gymnasium in Westfalen hört nicht auf, den Feierwilligen Widerstand zu leisten. Es ist der Tag des Vorrundenspiels, Deutschland gegen Serbien, und die Schüler müssen sich im Klassenzimmer mit Binomischen Es wird nichts gedruckt, was gegen die Schule geht Formeln plagen. Ein Proteststurm brandet auf in den hei- ligsten Hallen deutscher Bildung, bevor er sich in einem Meer aus Ach’s und Och’s, ungläubigem Kopfschütteln und wildem, aggressionsgeladenem Artikulieren ent- lädt. Heimlich über das Radio informiert wird von einem Schüler verkündet, dass ein Tor für Serbien gefallen ist. Fanherzen brechen, Tränen sickern. Deutschland verliert. Eine der Schülerinnen ist Anna Schriever (19), die als Mitarbeiterin der Schülerzeitung in den Handlungswei- sen der Direktoren, die Schüler pauken zu lassen, ob- wohl Deutschland zur selben Zeit auf dem Fußballplatz kämpft, den Stoff für eine polemikgeladene Story wit- tert. Verworfen wird die Idee trotzdem.„Es wird nichts gedruckt, was gegen die Schule geht“ führt sie entschul- digend mit einem Achselzucken an, als sei eine derar- tige Zensur selbstverständlich. „Bei uns sind die Lehrer aktiver als die Schüler.“ Nadine Müller (18) Chefredakteurin am bayrischen Christian-Ernst-Gymnasium weiß Ähnliches zu berichten. 2008 wurde ein Lehrerinterview zensiert, das subtile Kri- tik an dessen Lehrmethode enthielt. Protestaktionen? Meinungsfreiheit darf nicht zur Mutprobe werden. Fehlanzeige! W ir schreiben das Jahr 2002. Es knistert zwi- Entflammt für den Kampf der Pressefreiheit und mit Entblößt sich hier die Resignation einer angehenden schen Schüler und Direktorin: es ist das Zei- Unterstützung eines bereits in der Jugendpresse Bayern Journalistenriege? Gilt mittlerweile etwa wieder der tungspapier in der Redaktion des bayrischen engagierten Redaktionskollegen erwirkte Dominik mit Grundsatz „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“? Justus-von-Liebig-Gymnasiums. Die Köpfe sind erhitzt, einer Petition an den bayrischen Landtag im Juli 2006 Wir dürfen nicht erwarten, unsere Rechte auf dem Sil- Funken fliegen, die Atmosphäre im Raum wird unerträg- die Pressefreiheit für Schülerzeitungen in Bayern. „Sol- bertablett präsentiert zu bekommen – Nein, wir müssen lich, denn die Fronten sind verhärtet. Das Urteil lautet: che Rechte sind einfach super wichtig“ kommentiert er aufstehen, sie lauthals einfordern, dürfen uns nicht auf Zensur. seinen Coup verschmitzt, verneint aber die Frage ob er dem Erfolg eines Einzelnen ausruhen. Wir brauchen die Dominik Mai, heute 22 Jahre alt und Landesvorstand der sich als Missionar der Pressefreiheit sehe. Meinungsfreiheit im Westen und Süden, in Peking und Jungen Presse Bayern trat bereits in der fünften Klasse Infolge seines Engagements wurde ihm bereits im Alter New York, im Teheran und am Nordpol, in entlegenen hochmotiviert und vom Roman „Zündstoff – Die Drei von siebzehn eine der begehrtesten Auszeichnungen der und nahen Gebieten. Nur sie ermöglicht dem Journalis- von der Schülerzeitung“ inspiriert in die Schülerzeitungs- Journalistenszene in der Rubrik Pressefreiheit in Aussicht mus seine wichtige Funktion als vierte Gewalt zu über- redaktion „Spektrum“ ein. „Erwartungen habe ich nicht gestellt – der Henri-Nannen-Preis. Gewonnen allerdings nehmen und dem Gespenst der Zensur endgültig den gehabt“ alles sei eher nach dem Prinzip „Trial and Error“ Garaus zu bereiten. gegangen. Mit 17 Jahren für den Henri-Nannen-Preis Vielleicht wäre es ganz anders verlaufen ohne den Irak- nominiert krieg 2004, der von den aufstrebenden Nachwuchsjour- nalisten in „Spektrum“ kühn prognostiziert wurde. Diese hat er ihn letztendlich nicht. hatten zuvor in mühsamer Recherche Informationen Wir Schüler können also, wenn wir es als nötig erachten, entdeckt, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden sowohl die dauerhaft verschmutzten, mit zweifelhaften sollten. Graffiti und kryptischen Botschaften verzierten Toiletten- Zwar ist die Meinungsfreiheit im fünften Artikel des türen anprangern, als auch unsere Meinung zu Bildungs- Grundgesetzes fest verankert und deshalb gegen Zen- reform, Curriculum oder Lehrerbesetzung in schriftlicher sur gefeit, für bayerische Schüler allerdings schien sie Form kundtun. Von der Pike auf wird laut bayrischer Ge- EVA, 19, Gladbeck, Abiturientin lange Zeit nicht zu gelten. Vierzehn von sechzig Seiten, setzeslage also Meinungsfreiheit praktiziert. Doch kann Eva ist begeisterte „SPIEGEL“- und vor allem die der Kriegsprophezeiung, wurden von der sich das heere Ideal in der Realität überhaupt behaupten? „Die Zeit“-Leserin. Ihr Berufswunsch: Schulleitung zensiert - „Rotstift wütet in Schülerzeitung“ Zeitsprung. Sommer, Sonne, Juni 2010. Ganz Deutsch- Den Wirtschaftsbossen auf die Finger titelten bald darauf Tageszeitungen. land ist besetzt von einer „Einigkeit und Recht und schauen. 6 www.freihafen.org
fadenscheinig Jan Martin, 23, Lüneburg, Projektmanangement Theresa, 20, Kaufbeuren, Praktikantin Vom Lokalredakteur zum Ersatzenkel Wenn Theresa nur 10 cm groß wäre, in Cardiff. Beeindruckende Karriere? würde sie sich einen Bonsai-Baum Jan reicht das nicht! Er plant, die suchen und den ganzen Tag darunter Energiewelt zu revolutionieren. liegen und träumen. Der FREIHAFEN auf den JMT in München 7
Ene, mene, muh und geliked bist du Bands empfehlen, Beziehungsklatsch erfahren, Freunde auf toten Tieren verlinken und Glückskekse essen ohne zuzunehmen. Jeder Facebooknutzer „postet“ im Durchschnitt 90 Statusmitteilungen im Monat. online zu lernen und schätzten die selbstständige Infor- mationssuche. Aber bedeutet „Share the moment“ auch gleichzeitig „Share every moment“? Stehen Nachrichten wie „Ich bin so müde“ und „Gegen Stuttgart 21! Heute große Solidaritätsdemonstration in Frankfurt!“ überhaupt im Verhältnis zueinander? Die Meinungen der Jugendme- dientagsteilnehmer gehen auseinander. Schon in einer „Gefällt mir“-Lawine der Auftaktveranstaltungen wurde das Web 2.0. heiß diskutiert. Dort sprachen die Teilnehmer zum einen von den vielfältigen Möglichkeiten, sich, besonders als jun- ger Medienmacher, auszutauschen, zum anderen aber auch von der Bedeutsamkeit des bewussten Gebrauchs. Im Sinne des Momentsharing scheint in München jedoch ein allgemeiner Konsens zu herrschen: Triviale Statusmit- teilungen des eigenen Gemütszustands sind weniger in- teressant und werden meist als eher nervig empfunden. Illu: Andreas Hopfgarten Wichtig seien vor allem das Pflegen von Freundschaften und die Möglichkeit auf interessante Inhalte im unüber- sichtlichen Internet aufmerksam zu machen. Gepostete Zeitungsartikel mit anschließenden „Gefällt mir“-Lawi- nen, die ganze Diskussionen entflammen, stärken das Selbstbewusstsein und ermuntern durch gute Resonanz zu weiteren Recherchen. Hamburger Psychologen unter- Beachten Sie die gar wunderprächtig geratene Bildunterschrift. mauern diese These. Eine Studie der „Hamburg media school“ fand heraus, dass Benutzer sozialer Netzwerke S ie bloggen, schreiben, fotografieren oder filmen. weise über YouTube der Song eingebunden, der gestern allgemein an Offenheit gewinnen würden. Entgegen Letztlich verbindet die 16 bis 27-Jährigen Teilneh- noch der Opener eines Konzerts war. Rezitationen gera- dem Volksmund, der in Facebook bzw. dem Web 2.0. mer der Jugendmedientage in München alle das- de gelesener Lektüren und Gedichte finden sich, ebenso immer noch eine Gefahr für die soziale Entwicklung selbe: Die Begeisterung an den Medien, das Bedürfnis wie Bilder skurriler Benzol-Ring-Konstruktionen im Che- eines Menschen sieht, zeigt sich somit wissenschaftlich, Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, sich kreativ mie-Unterricht und fälschliche Voraussagungen eines dass die virtuelle Interaktion nicht zwangsläufig an Stel- auszutoben und Antworten auf die vielen Fragen in ih- Glückskeks. Mitteilungen über die nervenaufreibende le des realen Lebens tritt. Der Nutzer wird nicht zum ren Köpfen zu finden. Diese Erfahrungen oder Erlebnisse Abiturvorbereitungszeit gipfeln mit der Zeit immer mehr Einsiedler, sondern erfährt vielmehr eine Bereicherung artikuliert man heutzutage jedoch auf besondere Weise. in Panik und die Links zu externen Webseiten entfachen seines sowieso schon existierenden Lebens. Inhalte mit Nicht ungewöhnlich ist es, das internetfähige Handy zu immer strittigere Diskussionen. anderen Personen zu teilen kostet nämlich Zeit. Beson- zücken um dem entfernten Freundeskreis hautnah von ders einen Zeitungsartikel oder einen Song innerhalb dem anstehenden Besuch bei der Redaktion des Lieb- von wenigen Sekunden mehreren hundert Menschen lingsmagazins zu berichten. Mark Zuckerbergs Erfin- Share the moment – every moment? zugänglich zu machen ohne das virtuelle Netz zu nutzen dung, Facebook, kommt zum Einsatz. Das nach eigenen ist nicht nur schwer, es ist unmöglich. Angaben mit 500 Millionen Nutzern (11 Millionen davon Aber egal ob nun online, offline, oder beides. Es ist wich- allein in Deutschland), einflussreichste unter den „Social Das Feld der ausgetauschten Zeichen ist weit. Emoti- tig überhaupt zu kommunizieren und zu interagieren. Networks“. Kultregisseur David Fincher (Fight Club, Sie- onen, Interessen, Kontroversen und Belanglosigkeiten Denn dass wir miteinander reden können und Momente ben) war das Phänomen sogar einen eigenen Film wert. einer ganzen Generation siedeln sich an. Ein Netzwerk miteinander teilen, ist nicht nur ein Grundbedürfnis, es “The Social Network” läuft seit 7. Oktober in den deut- entsteht und die subjektiv empfundenen Momente des macht uns überhaupt erst zu Menschen. schen Kinos. Einzelnen werden Teil eines Ganzen. Durch den inter- Die Facebooknutzer selbst verwenden ihre Plattform, um aktiven Informationsaustausch entsteht ein Gemein- in Echtzeit via Statusmitteilungen vielfältig Momente aus schaftsgefühl. Die Studie der „MacArthur Foundation“ in Katha, 19, Frankfurt, FSJ-lerin ihrem Leben mit ihren Freunden zu teilen. So beträgt den USA stellte fest, dass sich besonders Jugendliche im Ist sie bei Festivals unterwegs, wird sie der durchschnittliche Facebookaufenthalt laut Marktfor- Internet wichtige soziale, technische und intellektuelle stets von einem Disney-Prinzessinnen- schungsunternehmen Nielsen bis zu 2 Stunden und 24 Fähigkeiten aneigneten. Sie seien meist hochmotiviert, Kissen begleitet. Und viel Kaffee, nach Minuten täglich. Innerhalb dieser Zeit werden beispiels- dem sie süchtig ist. 8 www.freihafen.org
Die JMT in Zahlen Illu: Andreas Hopfgarten Matt, 21, Berlin, Lehrer Kommt aus England, Stop in Frankreich, jetzt Deutschland. Wunsch: Politikjournalismus studieren. Abso- lute Lieblingsfußballmannschaft: Lyon. Der FREIHAFEN auf den JMT in München 9
Programm, 12 Jahre, sucht... Es ist nur eine Website, unauffällig, bunter Schriftzug auf weißem Grund . Doch was dieser Dienst in unserer modernen Gesellschaft für eine Bedeutung hat machen wir uns wohl nie so wirklich klar. in sekundenschnelle liefern können. Schon allein für das leine. Es gibt noch viele andere sinnvolle Alternativen, so Finden von bestimmten Informationen musste man in wie das, von Microsoft angebotene, Bing oder die Me- eine Bibliothek fahren, passende Literatur finden, lesen tasuche Ixquick, die laut eigener Aussage gegen Daten- und verstehen. Mehr Probleme gab es, wenn bestimmte speicherung arbeitet. Ohne Suchmaschinen wäre der In- Teilinformationen eines Gebietes benötigt wurden. formationsgehalt des Internets kaum für jeden derartig Musste zum Beispiel jemand etwas über die technische zu erfassen, wie es Google ermöglicht. Doch man muss Entwicklung des Computers herausfinden und dort vorsichtig sein, denn einiges von dem, was im Internet Foto: Tobias Karrer den Teilbereich Lochkartentechnologie oder Ähnliches kursiert ist laut TAZ- Redakteur und Medienjournalist recherchieren, dann musste er sich durch ganze Biblio- Steffen Grünberg schlicht „Trash“ und er meint, dass es theken und Zeitungsarchive wühlen, die sich mit dem die Aufgabe des Journalismus ist, aus dem ganzen Müll Oberthema beschäftigten. Im Jahre 2005 hätte ein Daten und Fakten herauszutrennen. Trotzdem ist es derartiges Archiv für ganz Deutschland, pro tag 347 auch für Nicht- Journalisten wichtig, zu hinterfragen, ob unterschiedliche Tageszeitungen umfasst. Das wären das, was nach dem Moment des Drückens der Enterta- insgesamt 108611 Exemplare im Jahr. Wer lobt sich da ste auf dem Bildschirm erscheint brauchbar oder Mist ist. nicht den einfachen und unkomplizierten Tastendruck, Im Großen und ganzen ist uns klar, dass Google und der so schnell und unkompliziert zum Ziel führt? Jeder die Anderen, nicht mehr aus unserem online Leben wegzudenken wäre, dazu bietet er uns einfach eine zu Man müsste sich durch sämtliche einfache Möglichkeit, uns in der Unglaublichen Verwor- Bibliotheken wühlen renheit des Internets zu bewegen. Bücher verlieren den Kampf gegen Google. der Zugang zum Internet hat, kennt Google und Kon- G oogle gibt uns die Möglichkeit, mit einer Hand- sorten, weiß wie man mit ihnen umgeht und nutzt sie bewegung auf eine Fülle von Informationen, Da- auch fleißig. Google ist für viele etwas das dazugehört, ten und Fakten zuzugreifen und das in zumeist etwas, das nichts Besonderes mehr ist und sich so oft weniger als einer Sekunde. Davon hätte man bis vor 20 schon als Startseite etabliert hat. Die Suchmaschine ist Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt. Doch wie im Grunde zwar nur ein Produkt, das für uns relevante sah die Welt aus, als es die Möglichkeit einer sekunden- Informationen aus dem Nachrichten-Spektakel des Inter- schnellen Suche im Internet noch nicht gab? nets herausfiltert. Doch was wäre denn Internet ohne Tobias, 16, Schüler, AugsbuRG Früher musste ein riesiger Aufwand betrieben werden, die Möglichkeit einer Suche durch den Vorreiter Google Würde Tobias in einer Kokosnuss um an nur einen kleinen Teil der Informationen zu kom- oder auch einen seiner Kollegen? Denn der mächtigste leben, würde er erst den ganzen Saft men, die uns Google und andere Suchmaschinen heute und größte Internetkonzern der Gegenwart ist nicht al- austrinken und dann schlafen. Lebensverändernde Maßnahmen Ein Blick, eine Berührung, eine alles entscheidende Nachricht – es gibt Dinge im Leben, die dich prägen, dein Schicksal bestimmen oder dich für immer an sich binden. I m Sinne des Titelthemas dieser Auflage – „Ein Mo- kam sie aus der Hauptstadt Kasachstans, Astana (früher Nehmen wir das Beispiel des ersten Treffens von zwei ment“ - stellt sich die wichtige Frage, ob es den einen Zelinograd), nach Deutschland. „Es war irgendwie alles Menschen, die später einmal beste Freunde sein wer- Moment gibt, der dein Leben verändert. Den einen zusammen neu, aber als kleines Kind nimmt man das den. Es ist klar: Freundschaft ist eine kontinuierliche Ent- Moment, ab dem du, ob du willst oder nicht, ein neuer ja noch nicht so gut wahr.“, meint sie und erzählt, wie wicklung und die gegenseitige Einflussnahme verändert Mensch bist oder endlich weißt, was die Zukunft bringt. sie 1997 schon in Astana eine von deutscher Stiftung das Leben der Beiden schrittweise und langsam. Aber „Nein“, sagt zumindest Katja aus Kasachstan. Ihr gan- unterstützte Schule besucht, dort aber nur sehr dürftiges dieser eine Augenblick, der sie dazu bringt, genau in der zer Name lautet Yekaterina Smirnova, mit 10 Jahren Deutsch gelernt hat. Sekunde aufzublicken und „Hallo“ zu sagen, ist der Indi- Katjas Mutter, Tatjana Imhof, verließ ihr Heimatland vor- kator für alles Weitere. erst ohne Tochter, noch ein Jahr musste Katja bei ihrer In Katjas Fall lohnt es sich, den Moment, der ihr Leben Großmutter bleiben, bevor die offizielle Familienzusam- verändert hat, auf mehrere signifikante Tage auszuwei- menführung mit ihrer Mutter stattfinden konnte. ten. Auch Katja lenkt ein, dass ein Moment als (Lebens-) In Aschaffenburg, Bayern, angekommen war noch einen Phase gesehen werden kann. Monat Zeit, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, Unser ganzes Leben besteht aus Entwicklungen, die wir ab September 2001 besuchte sie die vierte Klasse der durchgehen und die uns – Schritt für Schritt, Moment Grundschule und wurde prompt zur Klassensprecherin für Moment – weiterbringen. gewählt. Der erste Schultag, vielleicht sogar in einem fremden Eine neue Zeit begann für Katja, verändert habe sich ihr Land, die große Liebe, die entscheidende karrieretech- Leben natürlich. Heute verbindet sie mit ihrem Geburts- nische Enttäuschung oder Chance. Wie Katja wartet land außer der Oma nicht einmal mehr die Staatsangehö- man nicht auf den einen Moment, der sein Leben verän- rigkeit. Auch der Religion fühlt sie sich nicht zugehörig, dert. Er wird kommen, aber dass er da war, weiß man weder dem Islam noch der russisch-orthodoxen Kirche, erst im Nachhinein. „Ich liebe Bayern“ welche die beiden religiösen Hauptströme Kasachstans Foto: Andreas Hopfgarten seit den neunziger Jahren beschreiben. Trotzdem be- sucht sie als Atheistin den katholischen Religionsunter- richt in der 13. Klasse eines Gymnasiums und sagt von sich aus: „Ich liebe Bayern.“ Katjas lebensumfassende Veränderung bestand aus vie- Lotte, 17, Fürth, len kleinen Momenten, jeder Einzelne wichtig und be- Schriftstellerin? Biologin? Was aus ihr deutend. Die Summe dieser Momente kann auf einen wird, steht in den neuseeländischen reduziert werden, mit dem alles anfing – der Beginn Sternen, die sie prägten. Ihre Yekaterina Smirnova auf den JMT 2010 eines neuen Lebensabschnitts. Schwester unterstützt immer. 10 www.freihafen.org
Und Zack – Plötzlich begeistert Man kann es nicht übersehen – Ein Haufen voll junger begeisterter Leute aus ganz Deutschland stürmt die Medienwelt Münchens auf den JMT 2010. Purer Spaß und Interesse sind in den Gesichtern zu lesen! Doch was hat euch überhaupt auf den Geschmack der Medien gebracht? Ann-Katrin Wieland, 22, Stuttgart, Studentin „Meine Oma hat mir zu Ostern einen Fotoapparat geschenkt. Seitdem liebe ich die Fotografie und besonders auf Konzerten macht das einen Riesen- spaß!“ Jens Maggert, 19, Bautzen, Schüler „Als kleiner Junge habe ich oft mit meinem Vater Fuß- ball geschaut, der Moderator mit seinen Kommen- taren war für mich das absolute Highlight!“ Jennifer Kurzawa, 17, Berlin, Schülerin „Meine Schule hat Werbung für die Schü- lerzeitung gemacht, da musste ich vorbei- schauen!“ Lukas Wähler, 23, Kreutzlingen, Student „Ich wurde dazu gedrängt, für die Diakonie einen Film mitzudrehen. Doch meine Funkti- on als Kameramann hat mich dann absolut begeistert!“ Jörg Prostka, 39, NRW, Pressesprecher der AVU „Das Initiationserlebnis? In der Schulzeit! Eher unbewusst habe ich gemerkt, dass ich unheim- lich neugierig bin und gut schreiben kann!“ Kathi, 18, Mainz, Schülerin Kathi will später Redakteurin beim Fernsehen werden. Sie treibt viel Sport und ist sehr stolz darauf, eine böse große Schwester zu sein. Der FREIHAFEN auf den JMT in München 11
Können wir einen Blick in deinen Koffer werfen? Ein Koffer mit Felix und Felix mit seinem Koffer. Ein Gepäckstück verrät viel über die Persönlichkeit seines Besitzers. Wer vier Tage verreist, packt nur das ein, was ihm am wichtigsten ist. Der Freihafen bietet euch exklusive Einblicke in die Kofferwelten zweier Teilnehmer der Jugendmedientage 2010. W er bei den Jugendmedientagen einen Rund- nommen habe ich es aber trotzdem – man weiß schließ- te und dann die Kleidung je nach Laune wählen kann. gang durch die Turnhalle zwei der Berufs- lich nie. Außerdem hatte ich noch Platz im Koffer.“ Wenn ich mich nach Hemd fühle, will ich auch ein Hemd schule für Medienberufe macht, dem wird Auf die Frage hin, wo denn ein Schlafsack in einem so tragen!“ Zudem entschuldigt er sich damit, dass die Sa- garantiert ein besonders auffälliger Koffer ins Auge ste- kleinen Koffer noch Platz finde, errötet Katharina und chen in einem vollen Koffer weniger zerknautscht wer- chen: Katharina Schusters Schottenkarokoffer mit dem erzählt lachend: „Den habe ich im Zug liegen gelassen.“ aufgestickten Hasen. Es ist Felix, der Held unserer Kinder- Mit dem Leben aus dem Koffer hat sie kein Problem. Er zieht täglich zehn Minuten lang Koffer. tage! „Den Koffer hab ich im Kindergarten von meinen „Als Pfadfinderin bin ich es gewohnt meine Sachen aus Eltern zu Weihnachten geschenkt bekommen. Seitdem einem unordentlichen Rucksack zu kramen. Dagegen ist den, weil sie nicht herumrutschen. Dass er in der Eile ist er mein ständiger Begleiter“, erzählt die 18-jährige ein Koffer wahrer Luxus.“ anstelle der Sport- die Badehose eingepackt hat, stört ihn nicht. Das Brandloch ist ein Rätsel Unter den Klamottenbergen kommen die lustigsten Din- ge zum Vorschein: Stabilos in Originalverpackung, fünf Nach Katharinas „Felix-Koffer“ stellt sich die Frage, was Packungen Fisherman´s (eine davon in der Hosentasche denn ein Felix in seinem Koffer mitträgt. Der 19-jährige mitgewaschen) und eine Frauenzeitschrift. „Als Radio- schweizer Student, Felix Unholz, hat im Gegensatz zu moderator muss ich die Frauen verstehen.“ Ein in Folie Katharina ein sehr schlichtes, blaues Gepäckstück. Ge- verpacktes Handyetui hat laut Felix seine Schwester im nau wie der Koffer wirkt auch sein Inhalt: Alles ist in Koffer vergessen. Zwischen den Geschwistern Unholz gedeckten Farben gehalten und macht einen seriösen scheint Harmonie zu herrschen: „Sie hat mir meine Iso- Eindruck. Das ist in Felix‘ Nebenberuf als Radiojourna- matte geklaut, deswegen habe ich jetzt ihren Schlafsack list von Vorteil. Dennoch birgt der Koffer einige Überra- mitgenommen.“ Auf die Frage, wofür er denn in vier schungen: So kommen als erstes drei Tafeln Schweizer Tagen zwei Handtücher benötigt, antwortet er: „Eines Schokolade zum Vorschein. „Mit der „Migros-Budget- für die Haare, eines für den Körper.“ Schokolade“ möchte ich mich bei den Deutschen ein- Zudem hortet Felix einen riesigen Essensvorrat in seinem schleimen – die wissen zum Glück nicht, dass das eine Koffer. Ob das Süßholz zum raspeln bestimmt ist, oder Billigmarke ist!“, lacht der Student. Als nächstes präsen- er es doch lieber essen möchte, ließ sich nicht in Erfah- „Soll ich mal lasziv gucken?“ tiert er Werbeprodukte und Flyer von unzähligen Me- rung bringen. Schülerin aus Mainz. „Ich war damit schon auf unzäh- dienprojekten, bei denen er mitarbeitet. Noch häufiger ligen Klassenfahrten, an der Nordsee, in Strassburg, in vertreten sind allerdings Beautyartikel. Felix trägt zwei Rom und jetzt hier.“ Damit Felix nicht alleine ist, hängen Aftershaves, drei Deodosen und drei Tuben Haargel mit Rudi der Rabe und ein kleiner Bär als Schlüsselanhänger sich herum – die Hälfte davon leer. am Gepäckstück. Die Reisen haben Spuren am Koffer Er war nämlich zu faul um den Koffer richtig auszuräu- Jolanda, 18, Wald (CH), Schülerin hinterlassen. Der Henkel lässt sich nicht mehr ausziehen, men. „Da ich in Basel studiere und in St. Gallen arbeite, Die 1,48 m kleine Schweizerin ein rotes Band dient als notdürftiger Ersatz. Außerdem lebe ich immer aus dem Koffer. Ich trage jeweils zwei fotografiert, schreibt und layoutet. fehlt dem kleinen Felix seine Glocke und in der Mitte mit mir herum: Einen für die saubere und einen für die Diese Talente nutzt sie bei ihrer des Deckels prangt ein Brandloch, dessen Herkunft der dreckige Wäsche.“ Anstelle von Krafttraining zieht er Mitarbeit in der Schülerzeitung „kuss“. Besitzerin ein Rätsel ist. täglich mindestens zehn Minuten Koffer. Entgegen allen Vorurteilen reist die junge Frau mit we- An dieser Stelle wird das Vorurteil, Frauen packten mehr nig Gepäck. Sie hat nur das Nötigste dabei, mit Ausnah- Kleidung ein als Männer, vollends widerlegt. Felix´ Kof- Larissa, 18, Bubikon (CH), Schülerin me von zwei Gegenständen: Bikini und Glätteisen. „Das fer ist zum Bersten voll. Vom Hemd bis zu den Sport- Trotz ihrer sportlichen Aktivitäten Glätteisen habe ich mir gekauft, danach zwei bis drei sachen findet sich alles. „Ich bin ein Mann, der immer findet Larissa Zeit für die Mal benutzt und seither eigentlich nicht mehr. Mitge- zuviel Kleidung mitnimmt. Das liegt daran, dass ich vor Schülerzeitung und andere Projekte – dem Koffer wie vor einem Kleiderschrank stehen möch- meistens auf Kosten der Mathematik. Ein Herz für München? München – eine Stadt, die für das Oktoberfest weltbekannt ist. Klar: Man ist stolz auf das größte Volksfest der Welt, da kann auch schnell übermäßige Überheblichkeit entstehen. Hauptstadt mit Herz oder Hochburg der Arroganz?! M ünchen hat viel zu bieten – sowohl im nega- immer schlechter und die ohnehin schon überteuerten Das ist das, was ich liebe an München.“, erzählt Jan, 18 tiven als auch im positiven Sinne. Hervorzu- Preise steigen weiter. Jahre alt, und Münchner durch und durch, heben sind beispielsweise die vielen Grünflä- Aber wie sieht ein waschechter Münchner „seine“ Stadt Diese Gemütlichkeit ist auch Dirk aus Frankfurt am chen, die einem das Zentrum liefert. Wer einmal einen – und wie ein Besucher? Wir fragten beide nach ihrem Main aufgefallen. Ebenso die Redseligkeit: Als er einen Sommertag im Englischen Garten verbrachte, weiß das. Eindruck von der Stadt. Münchner im Englischen Garten nach dem Weg zum Eis- Auch das Angebot an Kultur in München ist überwäl- bach fragte, erhielt er eine mit unterschwelligem Stolz tigend. Allein in dessen Innenstadt befinden sich rund Typisch München: Mia san mia gespickte ausführliche Geschichte zum Englischen Gar- acht renommierte Theater, zum Beispiel das Residenz- ten und dem Eisbach, an die sich eine knappe Wegbe- theater oder die Bayerische Staatsoper, um nur einige „Es ist der erste schöne Tag im Frühling nach einem schreibung anschloss. Augenzwinkernd wurde hinzuge- zu nennen. Doch wie jede Stadt hat auch München sei- langen, verschneiten Winter. Du gehst in den komplett fügt: „Aber Vorsicht – ist kalt.“ ne Schattenseiten: Wer von außerhalb kommt, kritisiert überfüllten Biergarten am Viktualienmarkt. Nur ein ein- Für Jan ist München definitiv die bayerische Hauptstadt sehr oft die bayerische Politik, ein Beispiel dafür ist das ziger Platz ist frei. Am selben Tisch sitzt ein alter Mann, mit Herz. Er kann sich keinen besseren Ort zum Leben deutschlandweit schärfste Nichtraucherschutzgesetz. der sein Weißbier trinkt. Du fragst ob frei ist, und er sagt vorstellen. Dennoch stimmt er zumindest teilweise zu, Einen weiteren Minuspunkt stellt das System der öffent- „Natürlich ist hier noch frei“. Er fängt an, dir seine ganze dass München eine Stadt voller Arroganz und Möchte- lichen Verkehrsmittel dar. Selten übersteht die Stadt Lebensgeschichte zu erzählen und verwickelt dich in ein gerns sei. „Nach außen wirkt man als Münchner oft ein ein halbes Jahr ohne einen Bahnstreik, der Service wird spannendes Gespräch. Das ist einfach total cool, denn bisschen abgehoben und aufgesetzt, aber das ist eben das ist schlicht und einfach die bayerische Gemütlichkeit! 12 www.freihafen.org
das typisch Münchnerische ‚Mia san mia’ (Für Nicht-Ba- Auf der Hand liegt, dass München ist eine Stadt ist, yern: Wir-Gefühl) hier!“ an der sich die Geister scheiden. Hier ist man sich be- Maximilian aus dem Allgäu sieht München als eine wusst, wie man nach außen wirkt, kümmert sich aber Stadt, die stets etwas Besonderes sein will und die ver- nicht weiter um die Meinung anderer. Ob das arrogant sucht, sich von anderen Großstädten abzuheben. Aber oder einfach nur sehr selbstbewusst ist, bleibt die eigene auf eine locker-leichte Art, sodass es eigentlich nicht ar- Entscheidung. Auch der Nicht-Münchner muss München rogant wirkt. erleben und braucht eben seine eigenen Momente, um Sophie aus Köln jedoch hatte schon beim Aussteigen diese Stadt und ihre Bewohner kennen zu lernen. Hauptstadt ja – Herz nein Laura, 16, München, Schülerin aus dem Zug am Hauptbahnhof das Gefühl, dass sie hier Ma bella Italia! Das ist Laura. nicht wirklich willkommen ist und sich keiner für den Kosmopolitin und am Lachen wie ein Anderen interessiert. Die Menschen sind unfreundlich, Honigkuchenpferd. Sie liebt München deswegen schließt sie: „Hauptstadt ja – Herz nein!“. – nicht nur für’s Oktoberfest. Auch die Münchnerin Natalie findet, dass diese Arroganz durchaus vorhanden ist. „Je nachdem wo man hingeht, findet man eben die Münchner ‚Bussi-Bussi-G’sellschaft’. Michael, 21, Student Oder den ‚Normal-Münchner’, und der ist toll!“ Wenn Michael sein selbsternanntes Die 19-jährige Studentin Oja aus Wien ist vollkommen Zuhause, das Web 2.0, verlässt, von München begeistert und findet gerade diese augen- dann nur um nachts zu flyern. Damit scheinliche Arroganz vor allem im Nachtleben – wo sie finanziert er nämlich sein Studium. Stolz &Vorurteil: München gegen den Rest der Welt. am meisten zum Tragen kommt – sehr reizvoll. Moment mal, es kommt nicht auf die Länge an? G estattet mir die Ehre, mein Name ist Jan, Jan Politiker. Aber zurück zur Länge, denn auf die kommt es sen, dass die Welt sich weiter dreht, auch wenn es um Martin. Und nun gönnt euch einen Moment! ja schließlich an. Oder liegt die Würze in der Kürze? Fakt die Zukunft 2021 geht. Nein, nicht eine Minute. Ich sagte: „Einen Mo- ist, dass wir uns verstärkt an schöne, positive Momente Lasst uns anfangen, uns positiv zu erinnern und uns ei- ment.“ Wie? Ihr wollt wissen, wie lange ein Moment erinnern und das ist auch gut so. Doch dies tun wir noch nen Moment zu gönnen. Denn am Anfang war der Mo- ist? Fragt doch mal Horst S. oder Borris B., die hatten viel zu wenig.„Wir haben doch keine Zeit!“ Mit solchen ment und der ist jedem selbst überlassen, besonders auf beide schon ihren ganz eigenen Moment. Letzterer war Pauschalisierungen vergeuden wir unsere Gedanken an den Jugendmedientagen. eher ein kurzer, soviel weiß man. Borris B. musste seinen vergangene Probleme, anstatt positiv in die Zukunft zu Moment sogar letztens aus der Besenkammer auf die blicken, kraftvoll durch die Energie der schönen Mo- Hoteltreppe verlegen. Vergessen hatte er ihn, das ge- mente. Dabei ist es egal, wie lang dieser eine Moment Jan Martin, 23, Lüneburg, schieht den Besten schon mal. Mit positiven Momenten ist, er muss nur in unseren Erinnerungen lebendig blei- Projektmanangement passiert das allerdings nicht. Es war also ein eher un- ben. Lasst eure Momente nicht stagnieren, arbeitet mit Vom Lokalredakteur zum Ersatzenkel wichtiger Moment für ihn, aber ein wichtiger für den ihnen, entwickelt Sehnsüchte. Denn Stillstand ist Rück- in Cardiff. Beeindruckende Karriere? Boulevardjournalismus. Horst derweilen ist wieder zu gang, auch bei Momenten. Schaut auf die Politiker, die Jan reicht das nicht! Er plant, die seiner Frau zurückgekehrt. Geschickter Schachzug, Herr zwanghaft an ihren Wahlerfolgen hängen und verges- Energiewelt zu revolutionieren. Der FREIHAFEN auf den JMT in München 13
Dieser Platz war für einen Artikel über die Kulturnacht der Jugendmedientage vorgesehen. Aufgrund tech- nischer Probleme ist die fertige Version des Artikels leider verloren gegangen. Dies bedauern wir sehr. An dieser Stelle möchten wir Johanna Schley für ihr Engage- ment für unserem Workshop danken! Johanna, 17, München, Schülerin Neuseeland bereisen, die Schüler- zeitung leiten, nebenbei Sport und Dramaturgie vereinen – das alles in einem Leben? Johanna macht es vor. Wasa statt Brezel Auswanderung ist das Thema in Deutschland. Dokus wie „Goodbye Deutschland!“ oder „Mein neues Leben – XXL“ zeigen, wie sich Deutsche im Ausland beweisen – oder auch nicht. Lotte, 17 Jahre aus Fürth, erzählt, warum sie auswandern will Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen und mit einem festen Job rechnen zu können? Lotte macht sich vor allem Sorgen um das Wohl ihrer Kinder. Das schwedische Modell, ein jahrgangsübergrei- fendes Lernen in kleinen Klassen, hat sich zum Beispiel in den PISA-Studien bewährt. Aber auch in Deutsch- land gibt es Schulen, die dieses System anwenden. Die „Schwedische Schule“ in Berlin lehrt nicht nur drei Fremdsprachen, sondern bietet ihren SchülerInnen auch ein individuell gefördertes Lernen. Schulen wie diese sind jedoch meist Privatschulen. Obwohl die Arbeitslosenquote in Schweden niedriger ist, darf man nicht mit zu großen Erwartungen ins Aus- land gehen. Wie in jedem anderen Land ist es auch in Schweden für Ausländer schwieriger einen Job zu finden als für Einheimische. „Der klassische Auswanderer ist ein Manchmal verliebt man sich einfach in ein Land Arbeitsmigrant, ein Deutscher, der als Gastarbeiter ins Ausland geht“, so Gabriele Mertens, die Generalsekretä- rin des Raphaels-Werks seit 1871 deutsche Auswanderer berät. Voraussetzung ist immer eine solide Sprachkennt- nis. Außerdem hat man meist noch wenige Kontakte, soziale sowie berufliche. Lotte muss abwägen, ob sie die Risiken einer Auswande- rung auf sich nimmt oder lieber alle Chancen zu nutzen Lotte würde sich am liebsten sofort auf den Weg nach Schweden machen. versucht, die ihr Deutschland bietet. L otte Rullkötter macht in acht Monaten Abitur. Was SchülerInnen zu betreuen. Auf jeden deutschen Lehrer Letztendlich entscheidet das Bauchgefühl. Manchmal er- genau sie danach machen will, weiß sie noch nicht. kamen rund 14 SchülerInnen. lebt man einfach einen Moment, in dem man sich in ein Doch sie sieht sich nicht in Deutschland. Gemein- Auch der Arbeitsmarkt kann Lotte hoffen lassen. Die Er- Land verliebt. Wie Lotte, die ihr Herz an Schweden bei sam mit ihrer Schwester will sie weit in den Norden – werbsquote Deutschlands lag 2008 5,30 % unter der einer Kanutour verlor. Mitten auf dem See blickt sie um nach Schweden. Schwedischen, die Arbeitslosenquote entsprechend sich und entdeckt die „Reinheit und die Freiheit“ Schwe- Wenn sie anfängt von ihrer neuen Wunschheimat zu dens. „Die Natur, in der man sogar aus den Seen be- erzählen, beginnen ihre Augen zu leuchten. Sie erzählt Schweden gehen eher einen Schritt nach denkenlos trinken kann, fasziniert mich“. Lotte freut sich von der schönen Landschaft, den vielen Tieren und der vorn jetzt schon auf den Moment, in dem sie auf der Bank unberührten, weitläufigen Natur. Schweden sei „frisch vor ihrer kleinen roten Hütte sitzt und die Landschaft und jung“. Bei ihren Besuchen in Schweden traf sie im- rund 2% drüber. Gemessen an den Arbeitskosten je genießt. Jag Älskar Sverige! mer auf freundliche Menschen, die „eher einen Schritt geleisteter Stunde lag Schweden auf Platz 2, immerhin nach vorn gehen als einen zurück“. dicht gefolgt von Deutschland auf Platz 4. Spätestens wenn Nachwuchs im Anmarsch ist, will Lot- Lotte und ihre Schwester sind nicht die Einzigen, die te in den Norden ziehen. Sie ist davon überzeugt, dass Deutschland den Rücken kehren wollen. 2006 zogen das Schulsystem in Schweden ihren zukünftigen Kindern laut Statistischem Bundesamt 155 300 Deutsche ins Aus- eine bessere Bildung ermöglicht. Daten des Statistischen land – die höchste Zahl seit 1954. Im Jahr 2004 zogen Diana Höhne, 19, Berlin Bundesamtes aus dem Jahr 2007 zeigen, dass Schwe- 1 300 Deutsche nach Schweden. 2 300 Schweden tra- Weder schüchtern noch aufdringlich den 7% des Bruttoinlandproduktes (BIP) für öffentliche ten im gleichen Jahr den Rückweg in ihr Heimatland an. fällt Dianas liebliche Art auf., Bildungsausgaben verwendete, Deutschland gerade mal vvvvIst Auswanderung also der einzige Weg um seinen überraschend ihr Akkordeonspiel. Die 4,4%. Im selben Jahr hatte in Schweden ein Lehrer 10 Zukunft bringt Jakobsweg und taz. 14 www.freihafen.org
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