EIN WIR WERDEN ELTERN RATGEBER RUND UM DIE GEBURT - PSYCHOLOGISCHER
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Impressum Psychotherapeutenkammer Hamburg (Hrsg.): „Wir werden Eltern – ein psychologischer Ratgeber rund um die Geburt“ Hamburg, Juli 2010 Alle Rechte am Werk liegen beim Herausgeber: Psychotherapeutenkammer Hamburg – KöR . | Hallerstr. 61 | 20146 Hamburg www.ptk-hh.de – info@ptk-hh.de
Inhalt Vorwort _______________________________________________________________ 6 „Generation 32“: Eltern im Wandel _________________________________ 7 Was bedeutet es, dass die Eltern immer älter werden? _________________________ 7 Welche Rolle spielen die Väter? _________________________________________________ 7 Was ist Familie heute? ____________________________________________________________ 8 Was ändert sich durch die Präsenz der Großeltern? ____________________________ 8 Die Wiedergeburt der Ursprungsfamilie ____________________________ 9 Warum taucht mit dem Kind die eigene Kindheit auf? __________________________ 9 Wie beeinflussen meine Eltern meine Elternschaft? ____________________________ 9 Wie beeinflusst die Kindheit meines Partners unsere Partnerschaft? ___________________________________________________________ 10 Eltern werden in acht Schritten ____________________________________ 11 Bis zur 12. Woche: Verunsicherung ________________________________ 12 Was mache ich, wenn ich kein Kind möchte? ___________________________________ 12 Wie kann ich den Druck abbauen? ______________________________________________ 13 Ist Schwangerschaft planbar? ___________________________________________________ 13 Wie werde ich die Angst los, dass ich etwas falsch mache? ___________________ 13 12. bis 20. Woche: Anpassung _____________________________________ 15 Was muss ich ändern? ___________________________________________________________ 15 Gibt es ein Traumkind? __________________________________________________________ 15 Wann und wie soll man Geschwisterkinder einbinden? ________________________ 16 Was ist Pränatale Diagnostik (PD)? _____________________________________________ 17 Ist vorgeburtliche Diagnostik verpflichtend? __________________________________ 17
21. bis 32. Woche: Konkretisierung ________________________________ 20 Woher kommt das Wohlbefinden in dieser Phase? _____________________________ 20 Was ist mit Sex in der Schwangerschaft? _______________________________________ 20 Soll man das Kind schon im Mutterleib fördern? _______________________________ 21 Wie schwanger sind Männer? ____________________________________________________ 22 Reagieren Männer anders als Frauen? Oder woher kommen die Paarkrisen? ___________________________________________ 22 32. bis 36 Woche: Annehmen und Vorbereiten ____________________ 24 Warum bin ich so labil? __________________________________________________________ 24 Wo gebäre ich am besten? _______________________________________________________ 24 Wer soll beim Kind bleiben, Mutter, Vater oder beide? _______________________ 24 Wie viel Unterstützung bekomme ich vom Staat? ______________________________ 25 Sind Hausmänner männlich? _____________________________________________________ 26 Die Geburt ___________________________________________________________ 28 Kaiserschnitt, ja oder nein? _____________________________________________________ 28 Wer soll bei der Geburt dabei sein? ____________________________________________ 28 Was tun bei einer Frühgeburt? __________________________________________________ 30 Wie bewältige ich eine Totgeburt? ______________________________________________ 31 Endlich Eltern! Die ersten acht Wochen: Überwältigung und Erschöpfung ___________________________________ 32 Warum bin ich so erschöpft? ____________________________________________________ 32 Was geschieht in den ersten Stunden? _________________________________________ 32 Was wird aus dem Kontakt zu Ärztin und Hebamme? __________________________ 32 Soll ich stillen? __________________________________________________________________ 33 Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich mein Baby nicht stillen kann? _______________________________________________________________ 34 Was ist eine Fütterstörung? _____________________________________________________ 34 Wann gehe ich zum Kinderarzt? _________________________________________________ 34 Warum sind Männer eifersüchtig auf das Baby? ________________________________ 35 Wann haben wir wieder Sex? ____________________________________________________ 35 Warum Baby-Blues? ______________________________________________________________ 35 Was ist eine Postpartale Depression? __________________________________________ 36
2. bis 6. Monat: Umstellung ________________________________________ 38 Warum brauchen Babys nichts als Ruhe? _______________________________________ 38 Was bedeutet das Weinen? ______________________________________________________ 39 Warum schreit mein Kind so?____________________________________________________ 39 Was können Sie tun? _____________________________________________________________ 39 Wann ist professionelle Hilfe angezeigt? _____________________________________ 40 Was mache ich, wenn ich einmal ausgehen will? ______________________________ 40 Warum sind wir schlaflos im Kinderzimmer? __________________________________ 40 Was hilft? ________________________________________________________________________ 40 Schlafstörung – was ist das? ____________________________________________________ 41 7. bis 12. Monat: Gewöhnung ______________________________________ 42 Welches Spielzeug braucht mein Kind? _________________________________________ 42 Warum ist mein Kind zu Fremden so abweisend? ______________________________ 43 Das nächste Kind – ab wann? ____________________________________________________ 43 Warum hat sich unsere Partnerschaft verändert? ______________________________ 43 Wann finden welche Früherkennungsuntersuchungen statt? __________________ 44 Ausblick _____________________________________________________________ 45 Adressen ___________________________________________________________ 46
VORWORT Alle Eltern haben eines gemeinsam – sie haben viele, viele Fragen. Bin ich wirklich eine gute Mutter / ein guter Vater? Warum kann ich mich nicht so richtig freuen? Wie ist das eigentlich mit Sex in der Schwangerschaft? Und warum regt sich mein Partner so furchtbar auf, wenn ich ihm sage, was für ein tolles Verhältnis ich zu meinen Eltern habe? Während die meisten Mütter und Väter über die körperlichen Vorgänge während der Schwangerschaft größtenteils bestens informiert sind, sind die psychologischen Aspekte rund um die Geburt weniger gut bekannt. Die Folge: Vor allem junge Eltern sind oft unsicher, sie sind sich vieler Themen oder ihrer Gefühle gar nicht bewusst und wissen nicht, wohin sie sich mit ihren Fragen wenden sollen bzw. wer ihnen bei Bedarf helfen kann. Dabei sind sich alle Experten und Studien einig: Die „psychologische Gesundheit“ ist für Eltern und Kinder genauso wichtig wie die körperliche – und sie sollte ebenso gefördert und gepflegt werden. Die Psychotherapeutenkammer Hamburg hat deshalb diesen Ratgeber rund um die Geburt entwickelt. Das Besondere – er präsentiert nicht nur EINE Meinung, sondern bietet eine echte Zusammenschau des Expertenwissens ALLER am Prozess der Elternwerdung Beteiligten: - Psychologische Psychotherapeutinnen - Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen - Gynäkologinnen - Hebammen - Kinderärztinnen Im Rahmen dieses Konzepts räumt diese Broschüre dem Gedanken der Prävention einen besonderen Raum ein. Wir sind der festen Überzeugung, dass die wirksamste Problemlösung darin besteht, ein Problem überhaupt nicht erst entstehen zu lassen. Je mehr Sie wissen und je mehr Ihnen bewusst ist, um so mehr tritt fast automatisch das Problem zugunsten der Lösung in den Hintergrund. Unter http://www.ptk-hamburg.de/show/3531396.html stellt die Die Psychothera- peutenkammer Hamburg diese Broschüre als Gratis-Download zur Verfügung. PS: Wir haben bei allen Berufsbezeichnung bewusst die weibliche Form gewählt; wir wollen damit das Engagement der männlichen Kollegen keineswegs schmälern oder missachten. 6
„GENERATION 32“: ELTERN IM WANDEL „Denken ist wundervoll. Aber noch schöner ist Erleben.“ Oscar Wilde Abgesehen von den individuellen und familiären Unterschieden zieht jede Generation ihre Kinder in einem anderen Umfeld und unter anderen Bedingungen auf. Was sind die Besonderheiten des Elternumfelds heute? 1970 lag das Durchschnittsalter einer erstgebärenden Frau in Deutschland bei rund 24 Jahren. Wenn ein Kind heute zur Welt kommt, ist seine Mutter durchschnittlich fast 32 Jahre jung – die „Generation 32“ ist geboren. Diese Zahlen (die Relation gilt auch für die Väter) sind in allen westlichen Ländern etwas unterschiedlich, aber der Trend ist in allen Gesellschaften Europas gleich. WAS BEDEUTET ES, DASS DIE ELTERN IMMER ÄLTER WERDEN? Frauen bekommen ihre Kinder heute deutlich später als früher, und das bedeutet, dass das Kind in der Regel eine bewusste Entscheidung ist, oft sogar ein Wunschkind. Mutter und Vater sind sicherer und selbstbewusster, im Umgang mit sich und dem Leben. Mit 32 haben sie darüber hinaus in der Regel eine Ausbildung absolviert, die es ihnen erlaubt, ihr eigenes Geld zu verdienen und unabhängig zu sein. Oft haben sie bereits Karriere gemacht, wenn sie schwanger werden und sie haben vor allem Lebenserfahrung sammeln können: in Berufen, auf Reisen und in ihren Partnerschaften. WELCHE ROLLE SPIELEN DIE VÄTER? Ein weiteres Kennzeichen der heutigen Elterngeneration ist die zunehmende Präsenz der Väter. Bereits bei über 90% der Geburten sind heute die Väter anwesend, sie sind einbezogen in die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder, und diese Rolle wird gesellschaftlich anerkannt und unterstützt. Der vielleicht wichtigste Punkt aber ist, dass Väter heute nicht mehr MÜSSEN, sondern WOLLEN: Männer emanzipieren sich zunehmend von den klassischen Rollenbildern der Vergangenheit und ent- decken, wie viel sie von einer gelebten Vaterschaft profitieren, wie sie emotionalere, reifere und verständnis- vollere Männer werden, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern. 7
WAS IST FAMILIE HEUTE? Die klassische Kleinfamilie wird ergänzt durch Eineltern-, Patchwork-, Adoptiv- oder homosexuelle Familien. Diese neuen Lebensformen beinhalten eine ungeahnte Vielfalt an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, sie ermöglichen sehr persönliche Freiheiten, beinhalten aber fast immer existentielle Unsicherheiten. Nicht weiter erstaunlich, denn diese Lebensformen haben (noch) wenige Vorbilder und Traditionen. Da treten häufig Unsicherheiten auf, bei Jung und Alt, Eltern und Kindern, Geschwistern und Großeltern. Zögern Sie nicht, sich Rat und Unterstützung zu holen. Ist eine zufriedene Familie in ihrer klassischen Form schon eine Herausforderung, so sind es die neuen Lebensformen ganz bestimmt. Ob Sie Einzel- oder Familienberatung in Anspruch nehmen – das Angebot von Therapeutinnen und Ärztinnen, die sich der Familie verpflichtet fühlen, ist allen zugänglich. WAS ÄNDERT SICH DURCH DIE PRÄSENZ DER GROßELTERN? Ein weiteres Wesensmerkmal der „Generation 32“ ist die hohe Wahrscheinlichkeit, dass ihre eigenen Eltern noch leben. Der sprunghafte Anstieg der Lebenszeit und die einmalig lange Epoche des Friedens haben in Deutschland dazu geführt, dass praktisch jedes Kind heute mit Großmutter und Großvater zur Welt kommt; und rein statistisch können Ihre Kinder fest damit rechnen, dass ihnen Oma und Opa auch noch zu ihrem Schulabschluss gratulieren werden. Das ist historisch ein noch nie da gewesener potentieller Reichtum für das Kind, z. B. was die Vermittlung von Erfahrungen oder das Ausmaß an Zuwendung angeht; zumal die jetzige Generation der Großeltern teilweise wohlhabend ist wie keine andere zuvor und damit auch die Mittel hat, die Kindheit ihrer Enkelkinder zu begleiten, ihre Talente zu fördern und die Eltern zu unterstützen. Wir wissen noch wenig darüber, welchen Einfluss all diese Konstellationen auf das Zusammenleben, die Erziehung und das Wohlergehen der Kinder haben werden. Aber sie bieten ein großes Potential – und die „Generation 32“ hat, bei allen Problemen, auch allen Grund, vor diesem Hintergrund den Herausforderungen mit Zuversicht und Optimismus zu begegnen. 8
DIE WIEDERGEBURT DER URSPRUNGSFAMILIE „Der Mensch wird geboren, um zu leben, und nicht, um sich auf das Leben vorzubereiten.“ Boris L. Pasternak Wenn Sie Mutter bzw. Vater werden, erleben Sie auch eine Form von Wiedergeburt – Sie werden nämlich Ihrer eigenen Kindheit, Ihren Erfahrungen, Schmerzen und Freuden als Kind wieder begegnen. WARUM TAUCHT MIT DEM KIND DIE EIGENE KINDHEIT AUF? Ihre Rolle als Mutter wird Sie unweigerlich in Kontakt mit Ihrem (Er)Leben als Tochter bringen und Ihre Vaterschaft wird von Ihren Erlebnissen als Sohn begleitet sein. Das mag Sie überraschen („Ich dachte, das hätte ich gut erledigt.“) oder ärgern („Lasst mich doch mit diesem Kindheitskram in Ruhe!“), aber es ändert nichts daran, dass die Kindheit ein zentraler Teil Ihrer Persönlichkeit ist. Die Erlebnisse in dieser Zeit haben Sie geprägt und werden Ihr Verhalten als Mutter bzw. Vater kräftig mitbestimmen. Gerade wenn unsere Kindheit schwierig oder schmerzhaft war, neigen wir dazu, sie vergessen zu wollen und sie aus unserem Leben zu verbannen. Das ist verständlich, aber es funktioniert nicht – im Gegenteil: Wenn wir Teile unseres früheren Lebens verdrängen, lassen wir zu, dass diese Teile unser heutiges Leben mitbestimmen. Anstatt den Schmerz aufzulösen, verewigen wir ihn. WIE BEEINFLUSSEN MEINE ELTERN MEINE ELTERNSCHAFT? Ein häufiger Reflex ist etwa „Ich-mache-es-aber-ganz-sicher-nicht-so-wie-meine- Eltern!“. Diese Reaktion ist genau betrachtet aber gar kein freies, authentisches Verhalten von Ihnen, sondern nur die umgekehrte Version von „Ich-mache-es- genau-so-wie-meine-Eltern!“ Somit bleiben die Eltern weiterhin Ihr Vorbild. Die Wiederkehr der Kindheit durch Ihr Elternwerden ist im Lebensprozess eine einmalige Gelegenheit: Anstatt hilflos und verzweifelt wie in Ihrer Kindheit, können Sie nun erwachsen und selbst-bewusst noch einmal Ihren Ursprüngen nachgehen – es ist eine große Chance, Einengungen abzustreifen und zu wachsen. Seien Sie für diesen Blick offen. 9
WIE BEEINFLUSST DIE KINDHEIT MEINES PARTNERS UNSERE PARTNERSCHAFT? Viele der Paarprobleme und Zerreißproben, die Sie als Mann und Frau erleben, gehen ursächlich auf Ihre Erlebnisse als Tochter und Sohn zurück. Nutzen Sie diesen Umstand: Erzählen Sie sich als Paar von Ihrer jeweiligen Kindheit. Tauschen Sie Ihre Kinder- und Jugendjahre aus, erzählen Sie sich die drei schönsten und die drei furchtbarsten Momente, mit einem Wort - machen Sie sich mit der „emotionalen Landkarte“ Ihres Partner / Ihrer Partnerin vertraut. Sie werden sehen, es wird Ihrer Beziehung in jeder Hinsicht gut tun und Sie werden Ihrem Partner mit mehr Verständnis und wahrscheinlich auch Liebe begegnen können als zuvor. Wenn Sie wollen, ist die Zeit der Elternwerdung daher tatsächlich eine gute Gelegenheit, die emotionale Landkarte Ihres Partners kennen zu lernen. Gönnen Sie sich diese Zeit des „zweiten Kennenlernens“. Das Wissen umeinander kann Ihnen nicht nur aus einem Problem heraushelfen, sondern verhindern, dass Sie überhaupt hineinkommen. Denn häufig ist es das Unbekannte am Anderen, das uns Angst bereitet. So können Sie die Monate der Schwangerschaft mit Gesprächen in lockerer Folge begleiten – ohne professionelle Hilfe. Die wird erst empfehlenswert, wenn es um ernste Paar-Probleme geht, z.B.: Ablehnung der sexuellen Beziehung, neue sexuelle Beziehungen außerhalb der Partnerschaft, Fortführung der Schwanger- schaft gegen den Willen eines Partners. Suchen Sie sich Hilfe und Sie werden es sicher Ihr ganzes (Beziehungs-)Leben lang nicht bereuen! 10
ELTERN WERDEN IN ACHT SCHRITTEN „Weniger wollen.“ Zenmeister auf die Frage, was er vom Leben will Die Entwicklung zur Elternschaft selbst verläuft in Stufen und lässt sich übersichtlich auf einer Zeitachse darstellen, die in drei Teile eingeteilt ist: - die Zeit vor der Geburt - die Geburt selbst - die Zeit nach der Geburt Wie sich leicht erkennen lässt, hat die Schwangerschaft psychologisch einen ebenso festen Verlauf wie das Wachstum des Fötus einen festen Verlauf hat – es ist also beispielsweise völlig normal, wenn Sie am Anfang der Schwangerschaft keinerlei Euphorie verspüren, während Ihre Umgebung in jedem Moment ihr Entzücken und ihre Vorfreude kundtut. Ebenso unbedenklich ist es, wenn Sie nach der Geburt ein Gefühl von Das-Schaff- Ich-Nie! haben. Ihre Psyche macht wie Ihr Körper Entwicklungen durch und nimmt sich bei Bedarf auch einmal eine Auszeit. Lassen Sie dies zu! Das gilt für den gesamten Zeitraum der Elternwerdung – seien Sie so entspannt wie möglich, und versuchen Sie, sich nicht zu überfordern. Wir alle sind Kinder der sehr klugen und fürsorglichen Mutter Natur. Und: Halten Sie bei Bedarf Rücksprache bzw. nehmen Sie Hilfe in Anspruch. Das ist nie ein Zeichen von Schwäche, sondern immer ein Zeichen von Weitsicht und auch Wertschätzung sich selbst gegenüber, die immer Ihrem Kind zugute kommen werden. 11
BIS ZUR 12. WOCHE: VERUNSICHERUNG „Vorhersagen sind schwer zu treffen. Vor allem über die Zukunft.“ Yoga Beri Die Nachricht der Schwangerschaft löst die unterschiedlichsten Reaktionen aus – aber die Unsicherheit ist ein durchgehendes Muster der ersten Wochen. Das ist eine absolut verständliche Situation: Immerhin kommt die Partnerschaft auf einen Prüfstand, vielleicht will Ihr Partner das Kind ja gar nicht, oder Sie haben als Mann das Gefühl, die Frau benutzt die Schwangerschaft nur, um Sie zu binden oder sich materiell abzusichern. Selbst wenn Sie dann ein Kind wollen, gibt es viele Fragen: Die Wohnung ist ggf. zu klein, die Selbstbestimmung jedenfalls erst einmal vorbei und die Karriere wohl für länger unterbrochen; die echte oder gefühlte Fallhöhe ist plötzlich sehr hoch. Da ist es mehr als normal, wenn sich ein Gefühl von Überforderung und Unsicherheit breit macht, das oft sogar ein Gefühl der Ohnmacht und Angst erreicht. Es ist wahrscheinlich in dieser Phase das Allerwichtigste, sich diese Gefühle einzugestehen, sie dem Partner mitzuteilen und bei Bedarf, Rat zu suchen. Vor allem bei unerwünschter Schwangerschaft oder dem Gedanken an einen Abbruch sollten Sie diese Entscheidung nicht alleine treffen. WAS MACHE ICH, WENN ICH KEIN KIND MÖCHTE? Ob Sie sich für ein Leben mit Kind oder für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden, bei dieser schweren Entscheidung, haben Sie Anspruch auf Unterstützung und Beratung. Eine Schwangerschaft, ob ausgetragen oder nicht, gehört immer zur Biografie. Es gibt viele Gründe, weshalb eine Schwangerschaft mehr Konflikte als Freude auslöst: Wenn die Lebensplanung ins Wanken gerät oder wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie ein Kind zu diesem Zeitpunkt austragen möchten. Wenn Ihre existentielle Situation unsicher ist oder Sie keinen Partner für Ihr Kind haben werden, der mit Ihnen gemeinsam Eltern sein wird. Wenn Ihre Partnerschaft in einer Krise steckt, Sie kein weiteres Kind mehr wollen oder Sie noch minderjährig sind. Sie können eine der zahlreichen Schwangerschaftsberatungsstellen aufsuchen. Oder Sie wählen das psychotherapeutische Gespräch, um Klarheit zu gewinnen. Im Rahmen einer Krisenintervention ist dies jederzeit als Kassenleistung möglich. 12
WIE KANN ICH DEN DRUCK ABBAUEN? Groß scheint auch der Druck zu sein, dem Eltern sich beim Thema Schwangerschaft ausgesetzt fühlen. Das unbeschwerte, leichtfüßige Schwanger- werden scheint fast aus unserer Zeit verschwunden, gerade beim ersten (und oft einzigen) Kind gibt es ein enorme Selbstverpflichtung, alles richtig zu machen. Besonders Paare, die ihr Kind durch künstliche Befruchtung bekommen, spüren diesen Druck enorm. Es hat so lange gedauert! Es war so schwer! Es ist unsere einzige Chance! Ganz wichtig: Versuchen Sie nicht, diesen Druck zu ignorieren oder ihn einfach wegzureden – Druck ist fast immer das Resultat von Ängsten. Und wenn Sie Ihre Ängste kennen, lernen Sie nicht nur viel über sich selbst, sondern können die Ängste auch wirksam abbauen. IST SCHWANGERSCHAFT PLANBAR? Ein Kind bedeutet per definitionem Unplanbarkeit. Der beste Plan ist demnach keinen zu haben. Wenn ein Kind kommt, ändert sich das Leben so fundamental und so nachhaltig, dass wir nicht alle Auswirkungen berücksichtigen, geschweige denn planen können. Vielleicht ist es genau das, was Eltern zuallererst von ihrem Kind lernen können – sich für das Unerwartete, den Reichtum dieser Welt zu öffnen! Denn jedes Kind tut genau dies: sich ohne Einschränkung einer ihm unbekannten Welt und zwei ihm unbekannten Menschen anzuvertrauen und nicht eine Sekunde darüber nachzudenken! Das ist das Geschenk, das ein Neugeborenes seinen Eltern mitbringt: Es schenkt Ihrem Leben einen neuen und potentiell unendlich reichen Impuls an neuen Erfahrungen und Möglichkeiten, vielleicht sogar Sinn. WIE WERDE ICH DIE ANGST LOS, DASS ICH ETWAS FALSCH MACHE? Häufig leiden werdende Eltern am meisten unter dem Gefühl, dass bei den anderen alles viel besser funktioniert! Seien Sie beruhigt – dem ist nicht so. Auch die anderen Eltern haben Sorgen, Unsicherheiten und Fragen, genau wie Sie. Super-Nannys gibt es nur im Fernsehen. Alles richtig machen zu wollen, bedeutet am Ende nur, es nicht ertragen zu können, etwas falsch zu machen. Aber wir machen alle etwas falsch (und wenn es Sie beruhigt: So ist Amerika entdeckt worden!). Sie müssen nicht perfekt sein, Ihrem Baby genügt es, wenn sie gut genug sind. Wirklich. Je mehr Sie Ihren Gedanken, Ihren Befürchtungen und Zweifeln Raum geben, umso mehr werden sie sich in Antworten und Sicherheiten verwandeln. 13
Elternbeispiel „Ich habe meinem Kind natürlich Mozart vorgespielt, weil ich gehört hatte, dass Mozart den Fötus beruhigt. Dann habe ich gehört, dass Babys schon im Mutterleib Sprachen lernen können, und ging los, um Hör-CDs mit Chinesisch zu kaufen, die ich später um Spanisch ergänzt habe. Eine Freundin hat mir dann erzählt, dass Babys im Mutterleib sogar die positiven Schwingungen von Kunstwerken spüren können; ich habe dann Bildbände berühmter Maler gekauft und meinen Bauch daran gehalten. In einem dieser Momente ist mein Mann hereingekommen – ich sah sein Gesicht und da musste ich lachen und habe die ganzen Bücher und CDs verschenkt.“ Dr. Anna W. (Mutter von Florian, 2 Jahre) 14
12. BIS 20. WOCHE: ANPASSUNG „Die Entscheidung, ein Kind zu haben, ist von großer Tragweite. Denn man beschließt für alle Zeit, dass das Herz außerhalb des Körpers herumläuft.“ Elisabeth Stone WAS MUSS ICH ÄNDERN? Diese Phase beginnt meistens mit einer Umstellung – nämlich bei der Ernährung und anderem gesundheitsrelevanten Verhalten. Alkohol, Rauchen und Schlaf- mangel sind für den Embryo Gift. Sehen Sie diese Umstellung nicht nur als Verzicht und Kasteiung: Vielleicht finden Sie Gefallen an dem gesunden Lebensstil und nutzen die Gelegenheit, sich das Rauchen abzugewöhnen. GIBT ES EIN TRAUMKIND? Was sich in dieser Phase oft einstellt, ist ein heftiges Träumen vom Kind. Das können positive Träume sein („Was ziehe ich eigentlich an, wenn sie/er den Nobelpreis entgegen nimmt?“) oder Angstträume wie der Tod des Kindes, Missbildungen etc. Das ist völlig normal. Sie begegnen darin nur Ihren Ängsten und Wünschen – warum also nicht ein Traumtagebuch beginnen, wo Sie während der Schwangerschaft alle Träume niederschreiben? Männer und Frauen träumen nicht nur von ihrem Baby. Lange, bevor ein Kind geboren wird, haben seine Eltern Phantasien über ihr Kind. „Jeder Mann, jede Frau ist spätestens seit seiner Pubertät mit der Phantasie um ein eigenes Kind beschäftigt“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Dieter Bürgin. Diese Ideen haben mit den Wünschen, Hoffnungen und Ängsten der werdenden Eltern zu tun, nicht mit dem realen Kind, das auf die Welt kommen wird. Kinder sind auch die Verlängerung unseres Egos, unser kleiner Beitrag an die Unsterblichkeit. Wir leben in unseren Kindern. Aber das reale Neugeborene ist ein ganz einzig- artiger und einmaliger Mensch. Jedes Baby ist anders, vor allem als die Phantasie seiner Eltern. Sprechen Sie über Ihre Phantasien, erzählen Sie sich neben den realen Erlebnissen aus Ihrer Kindheit auch Ihre Phantasien zu dem Ungebo- renen. Es wird Ihre Beziehung be- reichern. 15
WANN UND WIE SOLL MAN GESCHWISTERKINDER EINBINDEN? Wenn Sie schon Kinder haben, ist es wichtig, sie in dieser Phase mit einzubeziehen. Damit aus dem neuen Baby ein geliebter Rivale wird. 1. Geschwister erleben jedes neue Baby als Rivalen/ Rivalin um die Aufmerksamkeit und Zuneigung der Eltern. Das gilt insbesondere, wenn ein Partner Kinder mit in die Beziehung ge- bracht hat und jetzt das erste „gemeinsame“ Kind unterwegs ist. Aus diesem Zusammenhang heraus ist auch die für Eltern oft schockierende Grobheit und Abweisung verständlich, mit der Geschwisterkinder auf das neue Baby reagieren. Falls das Geschwisterkind über längere Zeit mit Einnässen, Zurückgezogenheit oder Schlafstörungen auf die neue Situation reagiert, sollten Sie nicht zögern, therapeutische Hilfe zu suchen. 2. Geschwister sind neben den Eltern die wichtigsten Bezugspersonen für ein Baby. Sie sind nicht nur Spielpartner Nummer Eins, sondern auch ein entscheidendes Rollenvorbild für das spätere Leben. Es ist dabei immer entscheidend, dem Geschwisterkind das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit zu geben. Lassen Sie Ihr großes Kind zum Beispiel später den Namen (mit)aussuchen, erklären Sie ihm das Ultraschallbild und lassen Sie es nach der Geburt die Windeln kaufen oder die Badewassertemperatur prüfen. Unsere Tochter liebt ihren drei Wochen alten Bruder (meistens), sie trägt ihn herum und Elias schläft oft auf ihrem Arm ein. "Jetzt bin ich endlich ein Zweizelkind", freut sich Amelie. Zweizelkind? – Klar, das ist ein ehemaliges Einzelkind.“ (Amelie, 5 Jahre) 16
WAS IST PRÄNATALE DIAGNOSTIK (PD)? In der Phase bis zum fünften Monat nimmt ein Thema in jüngster Zeit immer mehr Raum ein, das ist die Pränatale Diagnostik. Diese hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und es ist erstaunlich, was die moderne Medizin hier an Einblicken und Feststellungsmöglichkeiten bietet. Allerdings ist PD für viele Eltern auch einer der größten Quellen für Druck, Zweifel und Überforderung geworden. Im Kern der PD geht es darum, mögliche Missbildungen, Fehlbildungen und Chromosomenanomalien früh zu erkennen, um sie ggf. behandeln zu können. Untersucht werden vor allem Trisomie 21 (Down-Syndrom), Spina bifida (offener Rücken) und Mucoviszidose (Verschleimung der Bronchien), die alle unheilbar sind. Die Durchführung von PD ist immer freiwillig, allerdings sind Frauenärzte bei Frauen über 35 verpflichtet, auf das erhöhte Risiko von Fehlbildungen hinzuweisen und eine PD zu empfehlen. Aus medizinischer Sicht sind die damit verbundenen Tests operative Eingriffe. Doch möglicherweise bringt Sie der medizinische Fortschritt in Form Pränataler Diagnostik auch in eine schwierige Situation. Die Angst, ein behindertes Kind zu bekommen, lastet auf Ihren Schultern und ist nicht mehr eine Frage des Schicksals, sondern der persönlichen Entscheidung, also Ihrer Wahl geworden. Und Sie müssen die Frage beantworten, die in der Wirklichkeit niemand beantworten kann, nämlich, ob Sie ein erfülltes Leben mit einem behinderten Kind führen können. IST VORGEBURTLICHE DIAGNOSTIK VERPFLICHTEND? Die Genauigkeit der PD hilft bei dieser Entscheidung leider auch nicht weiter – ein positiver Test muss nämlich nicht bedeuten, dass Ihr Kind behindert ist, ein negativer Test muss auch nicht bedeuten, dass Ihr Kind gesund zur Welt kommt. Dazu kommt, dass eine Abtreibung in dieser Phase eine Traumatisierung zur Folge haben kann, an deren psychischen Auswirkungen die Mehrzahl der Betroffenen ein Leben lang leidet. Die wichtigste Regel im Umgang mit der Frühdiagnostik lautet daher: Lassen Sie sich ausführlich beraten und besprechen Sie mit Ihrem Mann, Ihrem Arzt und Ihrer Hebamme, was passiert, wenn die Untersuchung einen genetischen Defekt anzeigt. Überlegen Sie die Auswirkungen des entstehenden Konflikts: Fortsetzung der Schwangerschaft und Schutz Ihres Kindes oder ein Abbruch. Erkundigen Sie sich, wie ein Abbruch durchgeführt wird. Beachten Sie mögliche Schuldgefühle, den Schmerz, die Verzweiflung und Ihre Ratlosigkeit. Die beste Diagnostik ist nicht unbedingt der beste Schutz für Ihr Kind. Lassen Sie sich keinesfalls drängen – und hören Sie nicht nur auf Ihre Angst, sondern auch auf Ihren Mut und Ihr Herz. Dazu eine Anmerkung: Wussten Sie, dass die Schwangerenvorsorge auch durch Hebammen vorgenommen werden kann? Sie können alle Untersuchungen zwischen Hebamme und Ärztin aufteilen. Informationen erhalten Sie vom Hebammen Verband Hamburg e. V. 17
Pränatale Diagnostik im Überblick Pränataldiagnostik Dazu zählen Bild gebende und biochemische Testverfahren zur genaueren Er- kennung möglicher Fehlbildungen und Infektionen. Sie ist deshalb für Familien in- teressant, die Träger von Erbkrankheiten sind. Ursprünglich als Spezialunter- suchung für Risikogruppen gedacht, wurde ein Routinecheck für Schwangere da- raus. Ultraschalldiagnostik Gibt es weder Risiko noch Verdacht, dass mit dem Ungeborenen etwas nicht stimmt, dann bezahlen die Krankenkassen drei Ultraschalluntersuchungen bis zur 32. Woche und ab da jede Woche eine. Das gilt auch für 3D- oder Farbdoppler- Ultraschalls. Sind weitere Untersuchungen medizinisch sinnvoll, übernimmt die Krankenkasse die Kosten. 9. bis 12. Woche: Der Arzt prüft den Herzschlag des Ungeborenen und errechnet, ausgehend von der Größe des Embryos, dessen Alter und den Geburtstermin. 19. bis 22. Woche: Jetzt werden Kopfdurchmesser, Brustumfang und Länge Ihres Babys gemessen, um sein Entwicklungsalter zuver- lässig festzulegen. Außerdem werden alle Or- gane untersucht, der Sitz der Plazenta und die Frucht- wassermenge überprüft. Falls es Sie interessiert, wird die Ärztin Ihnen jetzt auch das Geschlecht Ihres Babys verraten. 29. bis 32. Woche: Bei dieser Untersuchung wird das Baby "vermessen" und einzelne Organfunktionen werden beurteilt. Weil die Plazenta während der Schwangerschaft "wandern" kann, wird der Sitz des Mutterkuchens erneut überprüft. Die Lage des Kindes kann jetzt einen Hinweis darauf geben, wie die Geburt verlaufen wird. Die meisten Babys liegen jetzt mit dem Kopf nach unten. 18
Chorionzotten-Biopsie Der operative Eingriff ist ab der 11. Woche möglich. Mögliche Erbkrankheiten und Chromosomen-Veränderungen können untersucht werden. Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) Bei dieser Untersuchung kann ab der 14. Schwangerschaftswoche Fruchtwasser aus der Gebärmutter entnommen werden. Aus den darin enthaltenen kindlichen Zellen werden Kulturen angelegt. So können Chromosomen-Veränderungen, Erbkrank- heiten sowie Fehlbildungen des Gehirns und Rückenmarks festgestellt werden. Die Amniozentese ist ein operativer Eingriff. Ersttrimester–Screening Beim Ersttrimester-Screening versucht man, möglichst viele Daten zu erheben, die bei einer normalen Schwangerschaft anders ausfallen als beispielsweise bei einer Schwangerschaft mit einer Trisomie 21. Eine sichere Aussage im Hinblick auf die individuelle Schwangerschaft ist nach wie vor nicht möglich. Triple-Test (incl. Serumalphaprotein) Eine Blutuntersuchung, mit der die Wahrscheinlichkeit der Fehlbildungen (Trisomie 21 und offener Rücken) angegeben werden kann. Q u e l l e : w w w .e l t e r n . d e / / w w w . t h i e m e . d e 19
21. BIS 32. WOCHE: KONKRETISIERUNG „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, mach einen Plan.“ Englisches Sprichwort In dieser Phase ist einerseits die Aufregung etwas abgeebbt, andererseits ist die Dramatik der Geburt noch weit entfernt. Die Eltern haben ihre Rolle angenommen; das lässt die Ängste und Unsicherheiten weichen, so dass sich in der Regel in diesen Wochen das maximale Wohlbefinden der Schwangerschaft einstellt. WOHER KOMMT DAS WOHLBEFINDEN IN DIESER PHASE? In diesen Wochen ist es sprichwörtlich, das gute Bauch-Gefühl. Rein äußerlich beginnt das Baby in dieser Zeit, sich bemerkbar zu machen: Der Bauch ist zu sehen, das Kind strampelt und bewegt sich, und beim Frauenarzt entstehen die ersten Ultraschallbilder. All das macht das Baby plötzlich real, vorstellbar – und dadurch entsteht eine enge und tiefe Bindung. Vor allem Väter profitieren von den äußerlich wahrnehmbaren Anzeichen des Babys (wie etwa dem Ultraschall), weil sie, anders als die Mutter, ja keine körperliche Bindung zum entstehenden Leben haben. Wenn keine Beschwerden vorhanden sind oder ärztliche Einwände bestehen, können Sie mit dem ungeborenen Kind in dieser Zeit alles machen, was Sie früher auch gemacht haben: Reisen, auch mit dem Flugzeug, Sport treiben, Restaurants besuchen und Partys feiern. In vernünftigen Maßen sollten Sie die Gelegenheit sogar nützen, denn ab dem siebten Monat und vor allem in dem ersten Lebensjahr sollten Sie all das eher nicht mehr tun – da bevorzugt Ihr Kind Ruhe, Geborgenheit und ein entschleunigtes Leben. WAS IST MIT SEX IN DER SCHWANGERSCHAFT? Die beschriebene Unbesorgtheit gilt auch für das Thema Sex. Kein Problem! Weder medizinisch noch psychologisch spricht in dieser Phase irgendetwas gegen Sex, auch nicht gegen häufigen und intensiven; Sie können das Kind oder sich nicht verletzen. Viel wichtiger ist es, dass Sie als Paar auf diese Frage Ihre individuelle Antwort finden. Viele Frauen sind in dieser Zeit besonders lustbetont, z. B., weil die Angst vor der Schwangerschaft weggefallen ist. Andere werden sehr innig und lieben vor allem Zärtlichkeit und Kuscheln. 20
Elterngeschichten „Als ich mit unserem ersten Kind schwanger wurde, dachte ich, mit dem Sex sei es jetzt eben für ein Jahr vorbei. Ich war wie gelähmt von der Angst, das Kind zu verletzen. Den Rest an Lust erledigte die Vision, wie der Penis meines Freundes vor dem lächelnden Gesicht meines Babys herumfuchtelt – schrecklich! Er ist dann mit mir in die Stadtbibliothek gefahren, und wir haben uns ein Schulbuch zum Thema Aufklärung ausgeborgt. Und dann sind wir ziemlich übereinander hergefallen ...“ Susanne B., Mutter von Nora und Felix SOLL MAN DAS KIND SCHON IM MUTTERLEIB FÖRDERN? Man weiß heute, dass das Kind im Bauch Töne hören kann und Empfindungen wie warm/kalt oder auch Stimmungen wie glücklich/ gestresst wahrnehmen kann und darauf reagiert – mit mehr oder weniger Stoffwechsel. Angenehme Empfindungen und Impulse fördern das Wachstum von Körper und neurologischen Verbindungen, unan- genehme oder gar bedrohliche mindern sie. Sie können eine Bindung zu ihrem Kind schon während der gesamten Schwangerschaft beginnen, indem Sie mit dem Kind reden, den Bauch streicheln und ihm Geschichten erzählen oder Lieder vorsingen; eben alles tun, was sich für Sie und das Kind angenehm anfühlt. Das sollten übrigens auch die Väter tun, denn das Kind kann die Stimmen seiner Eltern unterscheiden und sich merken. Das stellt natürlich noch nicht sicher, dass Ihr Kind den Nobelpreis gewinnt oder BundeskanzlerIn wird – aber es gibt ihm Liebe und Aufmerksamkeit, und das ist für ein erfolgreiches Leben jedweder Art die allerbeste Grundlage. Und Leistungsdruck, Angstweitergabe und Elternehrgeiz sind so ziemlich das Schlechteste, was einem Ungeborenen und seinen werdenden Eltern in dieser oder einer späteren Phase seines Lebens passieren kann. 21
WIE SCHWANGER SIND MÄNNER? Vätern fehlt die körperliche Verbundenheit mit dem Fötus, aber man weiß heute, das Väter ebenfalls „schwanger werden“. Vielfach essen sie plötzlich mehr, oft verändern sie ihren Schlafrhythmus und legen sogar ein launischeres Verhalten an den Tag. Aber gerade, weil sie keine körperliche Verbindung zum Kind haben, finden sie für ihre Zukunftssorgen und Vorbereitungsimpulse keinen Fokus. Dazu kommt, dass in dieser Phase die Schwangerschaft Fakt geworden ist – die Männer müssen jetzt ihren Mann stehen. Sie sind als Versorger gefordert, sollen Sicherheit und Orientierung geben, die sie vielfach selbst nicht haben: - weil sie selbst immer noch Sohn sind - weil sie unsicher in ihrer Liebe zur Mutter ihres ungeborenen Kindes sind - weil sie Existenzangst haben - weil sie die Rolle des Ernährers gar nicht haben wollen - weil sie nicht wissen, was von ihnen verlangt wird REAGIEREN MÄNNER ANDERS ALS FRAUEN? ODER WOHER KOMMEN DIE PAARKRISEN? Ja, Männer reagieren innerhalb dieser Phase anders als Frauen. Sie ziehen sich scheinbar zurück, oft gerade aus Rücksicht auf Ihre Partnerin; sie gehen mit ihren Freunden aus oder arbeiten länger. Die Mütter interpretieren dies vielfach als Desinteresse, aber nichts könnte falscher sein. Dieser Rückzug ist keine Flucht. Es ist die andere Art, sich mit der neuen Lebenssituation auseinander zu setzen. In dieser Konstellation kommt es besonders häufig zu Vorwürfen, Streitereien und Paarproblemen. Angesichts des oben Gesagten ist das für eine lebendige, liebevolle Beziehung normal und kann sie nur stärker machen, vorausgesetzt die Krisen werden gemeinsam ausgehalten und gelöst. Häufig geht es nur darum, die Unterschiedlichkeit des Anderen zu akzeptieren und Verständnis für seine Situation zu zeigen. Geben Sie sich Zeit. Sie und auch Ihr Partner müssen sich mit einer völlig neuen Lebenssituation zurechtfinden. Alles muss sich neu finden. Bei der Suche nach ihrer neuen Rolle begegnen Männer ihren neuen Ängsten. Und dann ziehen sie sich schnell zurück oder arbeiten umso mehr. Wenn Sie den anderen Umgang ihres Mannes mit seinen Gefühlen akzeptieren können, dann helfen Sie ihm. Wenn das Zerwürfnis aber tiefer wird und die Auseinandersetzungen an Intensität und Destruktivität zunehmen, sollten Sie unbedingt über eine Paartherapie oder eine Mediation nachdenken. 22
Elterngeschichten „Ich würde sagen, Männer bekommen auch Kinder - biologisch gesehen ist das natürlich reiner Unsinn, aber emotional ist es die Wahrheit. Ich habe zitternd Babytests hochgehalten, über Abtreibung nachgedacht, Wickelunterlagen gekauft und Strampel- höschen ausgesucht; ich habe nachts in Namensbüchern geblättert, die Qualitäten von Geburtskliniken verglichen und dann, als so weit war, gezittert, gehofft, geflucht, geweint, geseufzt und am Ende gelacht. Ich fand es sehr befremdend, dass die Frau in den letzten Wochen selbstverständlich zuhause bleibt, Anstrengungen vermeidet und sich auf die Schwangerschaft konzentriert, während der Mann so tut, als ob nichts sei: morgens aus dem Haus gehen, zuviel arbeiten, abends zu müde für alles sein. Es wäre deshalb eine echte Verbesserung, wenn der Vaterschaftsurlaub, sagen wir ab dem siebten Monat genommen werden kann.“ Moritz R., Vater von Johanna, Frederik und Sophie 23
32. BIS 36 WOCHE: ANNEHMEN UND VORBEREITEN „Ein Kind zu sehen, bedeutet Gott bei der Arbeit zu sehen.“ M. Luther WARUM BIN ICH SO LABIL? In den letzten Wochen vor der Geburt sensibilisiert sich der gesamte Organismus. Die Labilität und Empfindlichkeit der Mutter steigen allgemein, die Häufigkeit somatischer bzw. psychosomatischer Störungen nimmt zu. Der Grund ist, dass sich Körper und Seele auf das große Ereignis vorbereiten, beide mobilisieren ihre Reserven und Schutzmechanismen. Je ruhiger und verständnisvoller Sie in dieser Phase mit sich, Ihrem Partner und Ihrer Umgebung umgehen, umso besser. WO GEBÄRE ICH AM BESTEN? Spätestens jetzt sollten Sie sich entscheiden, wo Sie Ihr Kind zur Welt bringen wollen. Natürlich spielt die medizinische Versorgung eine Rolle, aber ebenso persönliche Vorlieben, und vor allem sollten Sie sich an dem Geburtsort Ihres Babys wohl fühlen. Ob das ein Krankenhaus ist, ob Sie zu Hause gebären wollen oder sich für eine ambulante Geburt entscheiden – gehen Sie dort hin, wo Sie sich sicher fühlen. Sprechen Sie mit Ihrem Frauenarzt bzw. Ihrer Hebamme über den Ort ihrer Wahl und stellen Sie Fragen, die Sie beschäftigen (z. Bsp. Stillberatung und Nachsorge zu Hause). WER SOLL BEIM KIND BLEIBEN, MUTTER, VATER ODER BEIDE? Zu diesem Zeitpunkt sollten Sie sich auch Gedanken über die Betreuung des Kindes nach der Geburt machen. Möchten oder können Sie als Mutter länger als zwei Monate zu Hause bleiben, oder möchten Sie lieber wieder arbeiten? Generell gilt: Sie sollten eine Lösung finden, die für das nächste Jahr stabil ist. Jede Umstellung, jeder Ortswechsel, jeder Wechsel der Bezugsperson belastet das Kind und Sie sollten das, wenn irgend möglich vermeiden. Legen Sie Ihre Lösung so an, dass sich alle Beteiligten darin wohl fühlen und in ihr Kraft und Freude finden können – ob Vater oder Mutter oder beide Eltern arbeiten, wer von Ihnen wie lange und in welcher Reihenfolge zuhause bleibt, ist dabei eher sekundär. Für eine stillende Mutter ist es natürlich einfacher, wenn Sie in den ersten Monaten zu Hause bleibt. Eines sollten Sie immer im Blick haben: Kein Jahr ist für das Lernen, die Entwicklung und die Orientierung des Kindes so wichtig wie das erste. Was es hier mitbekommt (oder eben nicht), ist die Grundlage, auf der sich sein weiteres Leben abspielen wird. 24
Und wenn nach der Geburt alles anders ist und Sie nicht wie geplant mit Nachwuchs bei Ihrem Arbeitgeber auftauchen wollen, der wohl meinend sagte: „Dann bringen Sie Ihr Baby doch einfach mit“, dann planen Sie neu. Elterngeschichten „Ich hatte mir das ganz einfach vorgestellt: Nach zwei Monaten Babypause würde ich wieder arbeiten, unsere Tochter würde während der Woche zu meiner Mutter aufs Land kommen und am Wochenende zu uns. Und dann war Lale da, und alles war ganz anders. Lale hergeben? Nicht für eine Stunde. Nun kommt meine Schwiegermutter zu uns, an drei Tagen. Den Montag nehme ich frei, den Freitag mein Mann. Meine Mutter kommt jetzt öfter in die Stadt.“ Simone S., Mutter von Lale, acht Monate WIE VIEL UNTERSTÜTZUNG BEKOMME ICH VOM STAAT? Erkundigen Sie sich rechtzeitig bei den dafür zuständigen Behörden und Institutionen, was es alles an Förderungen und Hilfestellungen gibt – es ist eine ganze Menge. Aber natürlich kamen der Dienstweg und die Bürokratie bereits vor Ihrem Kind zur Welt... Sprechen Sie zusätzlich mit Freunden und Bekannten, und auch Unternehmen sind heutzutage der „Babypause“ gegenüber eher offen und kooperativ eingestellt; reden Sie mit Ihrem Arbeitgeber, wenn Sie besondere Pläne haben oder längere Auszeiten nehmen wollen, und bleiben Sie ggf. hartnäckig: Oft ist beim zweiten oder dritten Gespräch möglich, was im ersten noch undenkbar erschien. 25
SIND HAUSMÄNNER MÄNNLICH? An dieser Stelle möchten wir ein Plädoyer dafür halten, dass auch der Vater nach der Geburt zu Hause bleibt – allein oder an der Seite seiner Frau. Alle Studien dokumentieren eindrücklich den positiven Einfluss, den eine Babypause der Väter für das Kind hat: Väter verhalten sich anders als Mütter und bereichern damit die Entwicklung des Kindes um viele Komponenten; sowohl bei ihren Töchtern als auch bei ihren Söhnen; und sie entwickeln eine wesentlich intensivere Bindung zu ihrem Kind, wenn sie in den ersten Monaten vor Ort sind. Paare, die sich die Versorgung ihrer Kinder teilen, haben beste Aussichten auf eine zufriedene, langlebige Beziehung. Sie trennen sich weniger als Paare mit klassischer Arbeitsteilung. Vor allem aber tut die Babypause den Männer selbst gut: Sie bekommen dadurch fast immer eine reifere Sicht auf Firma, Karriere, Status; sie entwickeln ihre kreativen und emotionalen Qualitäten besser; und sie werden meistens verständnisvollere Partner, weil sie wissen, was ihre Frauen zu Hause leisten bzw. wie eine faire Arbeitsteilung funktioniert. 26
Elterngeschichten „Meiner Erfahrung nach ist die größte Komplikation bei einer Geburt die Namensfindung. Ich kenne Paare, deren Scheidung vermutlich mit der Diskussion begann, ob Fabian bzw. Agnes nur billige Modenamen sind oder wirklich wunderschön. Ich glaube, Eltern betrachten den Namen als eine Art erste Bewährungsprobe für ihre Liebe und Kompetenz; also berücksichtigen sie den Sprachraum („Du kannst doch ein Kind in München nicht Meike nennen!“), phonetische Vorlieben, Familientraditionen („In unserer Familie fangen aber alle Namen der Kinder mit dem Erstbuchstaben des Vaters an!“), Trendlisten, die internationale Verständlichkeit und alle echten oder eingebildeten Einflussfaktoren („Luna-Frederike geht nicht mehr, so haben Florian und Anna ihr Kind letzte Woche genannt ...“). Ich habe vier Kinder. Drei davon lagen, als „Herr bzw. Fräulein Miksch“ tagelang namenlos unter der gerunzelten Stirn des gesamten Klinikpersonals in dem Krankenhaus, in dem sie auf die Welt gekommen waren. Mein Rat: Machen Sie es genau so. Entscheiden Sie sich erst für einen Namen, wenn Sie das Kind sehen, im Arm halten und fühlen - das ist ein Fabian. Oder eine Agnes. Oder eben die Meike aus München.“ Stefan P. (Vater von Moritz, Ida, Paula und Anselm) 27
DIE GEBURT „Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind.“ Gertrud von Le Fort Frauen haben, wenn sie an die Geburt denken, ambivalente Gefühle: Einerseits herrscht Erleichterung, dass es endlich soweit ist, andererseits gibt es Furcht und Angst vor Komplikationen und Schmerz, z. B. beim Kaiserschnitt. Zu ihm ist zu sagen, dass er keine Kleinigkeit, sondern eine Operation ist, die für Mutter und Kind eine Belastung bedeutet. Er sollte nicht leichtfertig eingesetzt oder für einen Wunschtermin verwendet werden. Lassen Sie sich beraten von Ihrer Hebamme, Ihrer Gynäkologin, stellen Sie Fragen (wie lange bin ich anschließend eingeschränkt beim Heben und Laufen, kann ich trotzdem stillen?). Und dann entscheiden Sie in Ruhe. Wie auch immer Sie sich entscheiden, die Angst ist ein ganz normaler Teil der Geburt, den jede und jeder kennt. KAISERSCHNITT, JA ODER NEIN? Manchmal geht es nicht anders, und Ärztinnen und Hebammen entscheiden sich für einen Kaiserschnitt, um Ihr Leben und das Ihres Kindes nicht zu gefährden. Das ist bei ca. fünf Prozent aller operativen Eingriffe der Fall. In diesen Fällen ist ein Kaiserschnitt ein Geschenk ans Leben. Ein solcher Eingriff ist nur für die Ärztin Routine, nicht für Sie als Gebärende. Für manche ist der plötzliche, unerwartete Eingriff ein großer Schock, über den sie lange Zeit nicht sprechen wollen. Wenn auch Ihnen dies über Monate nicht möglich ist, sollten Sie psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. WER SOLL BEI DER GEBURT DABEI SEIN? So wie Sie sich rechtzeitig für einen Ort entschieden haben, an dem Sie Ihr Kind sorgenfrei und gerne zur Welt bringen wollen, so sollten Sie sich rechtzeitig überlegen, wen Sie bei der Geburt dabei haben wollen – es ist aber auch in Ordnung, wenn Sie allein gebären wollen. In der Regel sind die Partner anwesend, insbesondere bei Hausgeburten sind aber oft auch mehr Personen im Raum. Das können die eigenen Eltern sein, große Geschwister, Freunde oder Freundinnen. Gespräche mit erfahrenen Hebammen und Müttern helfen gegen die Angst vor der Geburt und den Schmerzen. Sprechen Sie über Ihre Vorstellungen und Phantasien, erzählen Sie Ihrem Baby von Ihrem Leben, bleiben Sie gelassen und humorvoll, tun Sie sich Gutes! 28
Elterngeschichten „Für einen Mann ist es heute praktisch unmöglich geworden, zu sagen: „Liebling, ich will bei der Geburt übrigens nicht dabei sein.“ Das ist verpönt; wenn ich diesen Gedanken auch nur gedacht hätte, hätte meine Frau mich in einer Nanosekunde in ein Häufchen Asche verwandelt, und zwar mit diesem stummen Ich!Hasse!Dich!- Blick, den Frauen ja so gut beherrschen. Dabei ertrage ich einfach keine Ärzte und Krankenhäuser – aber ich liebe meine Frau und unser Kind nicht weniger. Unser erstes Kind war da und ich ohnmächtig. Verzeihe ich mir nie, ich fürchte meine Frau auch nicht. Es wäre wunderbar, wenn das wieder eine freie, offene und von Paar zu Paar unterschiedliche Entscheidung werden würde.“ Christian M. (Vater von Zwillingen) 29
WAS TUN BEI EINER FRÜHGEBURT? Frühgeburten sind nicht so selten, wie gemeinhin angenommen: Rund 15 % aller Kinder kommen vor dem geplanten Termin zur Welt. Für die Eltern ist das oft eine schockierende Nachricht – die Sorge um das Überleben des Kindes tritt beherrschend in den Vordergrund. Die gute Nachricht: Die Medizin hat gerade in diesem Bereich große Fortschritte gemacht und kann ab der 27. Woche ein Überleben des Kindes so gut wie immer gewährleisten. Werden die Kinder vor der 32. Woche geboren, unterscheiden sie sich häufig in Wachstum, Kraft und Entwicklung von Kindern, die neun Monate im Bauch der Mutter waren. Die Frühförderung für Kinder, die nicht länger warten konnten, ist zum Glück eine gut beforschte Wissenschaft, die Ihnen und Ihrem Baby hilft, frühe Defizite so gut wie möglich zu erkennen und auszugleichen. Frühgeburten sind aber eine Belastung für die Psyche von Mutter und Vater. Das beginnt damit, dass alle Aufmerksamkeit und Hinwendung zum Kind geht – die Mutter tritt in den Hintergrund und ihre Bedürfnisse zählen kaum mehr. Anstatt im kuscheligen Bett am Busen der Mutter, liegt das Kind plötzlich zwischen Schläuchen und Maschinen. Das ist für viele Eltern schmerzhaft und viele Mütter, auch Väter, fühlen sich um das Erlebnis Geburt beraubt. Viele machen sich Vorwürfe: „Habe ich versagt?“ Weil diese Mechanismen inzwischen gut bekannt sind, wird allen früh gebärenden Müttern zunehmend schon im Krankenhaus therapeutische Hilfe angeboten – das gilt auch, wenn das Kind behindert auf die Welt kommt. In beiden Fällen sollten Sie dieses Angebot annehmen bzw. entsprechende Hilfe suchen. 30
WIE BEWÄLTIGE ICH EINE TOTGEBURT? Therapeutische Unterstützung brauchen Sie auch, wenn Ihr Baby stirbt, bevor es leben konnte. Das ist das jähe Ende Ihrer guten Hoffnung. Unbegreiflich scheint das Unglück, und doch ist es wichtig, das Unfassbare zu begreifen und ins Leben zurückzukehren: Es wird Ihnen helfen, wenn Sie Ihr Baby kennen lernen und dafür sorgen, dass Sie Ihr totes Baby sehen können und in Ruhe von ihm Abschied nehmen können. Vielleicht möchten Sie Ihr Baby beerdigen? Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg gibt es einen Bereich, auf dem nur tot geborene Kinder beerdigt werden. Der Verein „Verwaiste Eltern“ bietet in diesen Fällen Hilfe an. Auf Ihre Fragen zum Umgang mit der Trauer („Wie gehe ich mit Freunden um?“, „Wie komme ich zurecht mit den aufbrechenden Problemen in meiner Partnerschaft?“, „Wo finden die trauernden Geschwister Hilfe?“, „Wie kann ich lernen, mit dem schmerzlichen Verlust zu leben und ihn als Teil meiner Lebensgeschichte anzunehmen?“) finden Sie dort Antworten und Hilfe. 31
ENDLICH ELTERN! DIE ERSTEN ACHT WOCHEN: ÜBERWÄLTIGUNG UND ERSCHÖPFUNG „Denn früh belehrt ihn die Erfahrung, sobald er schrie, bekam er Nahrung.“ Wilhelm Busch WARUM BIN ICH SO ERSCHÖPFT? Nach der Geburt beginnt eine Zeit, die den meisten Frauen sehr zusetzt – sie fühlen sich völlig überfordert. Sie bekomme häufig zu wenig Schlaf, fühlen sich körperlich unattraktiv, den Aufgaben nicht gewachsen und vielfach allein gelassen. Auch die Väter sind häufig verunsichert und fühlen sich schnell überfordert. Die Euphorie der Umgebung ist dabei oft ein besonders anstrengendes Kontrastprogramm – lassen Sie sich davon bitte nicht nerven oder entmutigen. WAS GESCHIEHT IN DEN ERSTEN STUNDEN? Und wie bei jeder anderen Beziehung auch, müssen Sie und Ihr Baby sich erst einmal kennen lernen. Deshalb sind die Stunden nach der Geburt so besonders. Sehen Sie Ihr Kind an, streicheln und fühlen Sie es, ebenso wird der neue Erdenbürger sein Interesse an Ihnen bekunden. Die meisten Babys sind nach der Geburt wach und aufmerksam. Seine Augen sind offen, und mit seiner Mimik, Körperhaltung und seinen Bewegungen zeigt es Ihnen, dass es an Ihnen interessiert ist. Manche Entwicklungsforscher schreiben den ersten Stunden große Bedeutung für das mütterliche / väterliche Bindungsverhalten zu. Inzwischen weiß man aus der Bindungsforschung, dass sichere Bindungen auch zu einem späteren Zeitpunkt entstehen können. Das ist eine gute Nachricht für alle Mütter, die in den ersten Stunden oder Tagen von ihrem Baby getrennt sein müssen (Frühgeburt, Krankheit der Mutter, Kaiserschnitt in Narkose). Besonders bei Frühgeburten kommt den Vätern eine wichtige Rolle zu. Häufig sind sie diejenigen, die das Neugeborene in den Arm nehmen, ihm Nähe und Wärme und somit Sicherheit geben können. WAS WIRD AUS DEM KONTAKT ZU ÄRZTIN UND HEBAMME? Die Erschöpfung nach der aufregenden Geburt ist eine gesunde Reaktion von Mutter Natur, Sie zu Ruhe und Erholung zu zwingen. Nach den Strapazen ist nicht nur Ihr Körper ruhebedürftig, auch Ihre Psyche braucht eine Atempause. Sie sollten jede Form von Verwöhnen und Ungestörtsein annehmen. Vor allem aber ist diese Phase eine Einladung zum Helfenlassen. Lernen Sie, die Aufgabe der Kindererziehung zu teilen, Tätigkeiten abzugeben, Ihren Partner einzubinden, Freunde und Großmutter und Großvater zu beteiligen. Wenn Sie keine hilfreichen Großeltern (in der Nähe) haben, dann gibt es vielleicht eine PEKiP- oder Stillgruppe in Ihrer Nähe. Der Austausch mit Frauen in gleicher Lage 32
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