Eine Frage der Gerechtigkeit - Internationale Politik

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Positionen               Essay

Eine Frage der Gerechtigkeit
Der Umgang mit den Benin-Bronzen wird zeigen, ob Europa es ernst meint mit
der Rückgabe von in der Kolonialzeit geraubten afrikanischen Kulturgütern. Und
was könnte Großbritannien von Deutschland über Wiedergutmachung lernen?
Von Catherine Hickley

K
            ann Deutschland die Briten        ernst meint. Deutschland bahnt einen Weg für ihre Rück-
            dazu bewegen, historische         gabe an Nigeria, auf dem andere europäische Institutionen
            Verbrechen wiedergutzuma-         folgen dürften. Einige werden dies bereitwillig und schon
            chen? Auch wenn das wie           bald tun; andere – vor allem das Britische Museum, das
            eine seltsame Vertauschung        mit etwa 900 Kunstschätzen aus Benin den größten Anteil
der Rollen klingt: Das ist die Richtung, in   besitzt – sträuben sich noch. Sie werden die Skulpturen nur
die die Ereignisse in der Debatte um die      widerstrebend, unter viel Druck und nach zahlreichen Ver-
Benin-Bronzen deuten.                         zögerungsmanövern zurückgeben.
   Im Jahr 1897 hatten britische Solda-           Der kamerunische Philosoph Achille Mbembe beschreibt
ten bei einem blutigen Überfall auf den       die Situation so: „Es gibt einfach keine moralische Recht-
Königspalast im Königreich Benin – im         fertigung für die Beschlagnahmung afrikanischer Artefak-
heutigen Nigeria gelegen – Tausende von       te in westlichen Museen. Es wird die Zeit brauchen, die es
kunstvoll gefertigten Skulpturen aus El-      braucht, aber die Bewegung lässt sich nicht aufhalten.“
fenbein, Messing und Bronze geraubt.              Debattiert wird über die Rückgabe von Erwerbungen aus
Heute sind sie in Museen in der ganzen        der Kolonialzeit aus europäischen Museen schon seit vie-
westlichen Welt verstreut. Manche sind        len Jahren. Doch Sprengkraft erhielt das Thema durch den
500 Jahre alt. Sie erzählen die Geschichte    französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der 2017 in
einer über Jahrhunderte entstandenen,         einer Rede in Burkina Faso versprach, das in Frankreich
mächtigen Zivilisation.                       befindliche afrikanische Kulturerbe dauerhaft an Afrika
   Die Benin-Bronzen sind zum Prüf-           zurückzugeben.
stein dafür geworden, ob Europa es mit            Seither haben mehrere Staaten konkrete Schritte ein-
der Entkolonialisierung seiner Museen         geleitet. 2019 verabschiedeten die Bundesregierung, die
und der Rückgabe des in der Kolonialzeit      16 Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände
geplünderten afrikanischen Kulturerbes        ­Eckpunkte, um die Voraussetzung für die Rückführung von

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Eine Frage der Gerechtigkeit                            Positionen

Artefakten aus öffentlichen Sammlungen       wichtigsten afrikanischen Kunstwerken in europäischen
in Deutschland zu schaffen. Sie erklärten,   Museen gehören. Es handelt sich um kunstvoll gegossene
es gehe darum, „Kulturgüter aus koloni-      Plaketten, Kopfskulpturen zum Gedenken an Anführer, Tier-
alen Kontexten zu identifizieren, deren      und Menschenfiguren, Objekte der königlichen Regalien und
Aneignung in rechtlich und/oder ethisch      persönlichen Schmuck. Sie wurden ab dem 16. Jahrhundert
heute nicht mehr vertretbarer Weise er-      von Zünften hergestellt, die für den königlichen Hof des Oba,
folgte“. Zugleich wurde eine Kontaktstel-    also des Königs, arbeiteten.
le für Informationen über das koloniale
Erbe eingerichtet, und die Museen beka-
men Mittel für die Provenienzforschung
zugesagt.

D
       ie niederländische Regierung
       beschloss im Januar 2021 einen
       zentralen Mechanismus für die
Rückführung von gestohlenem Kultu-
rerbe. Sie verpflichtete sich, alle Objek-
te in den nationalen Sammlungen, die
aus niederländischen Kolonien geraubt
                                                         Bild nur in
wurden, ohne Auflagen zurückzugeben.
Frankreich verabschiedete letztes Jahr
                                                        Printausgabe
ein Gesetz, das die Rückgabe von 27
geplünderten Artefakten an ehemalige
                                                         verfügbar
Kolonien ermöglicht.
   Doch in Großbritannien geht es nur
stockend voran. Der Arts Council Eng-
land hat die ursprünglich für Herbst 2020
geplante Veröffentlichung von Richtlini-
en dafür, wie Museen mit Plünderungen
aus der Kolonialzeit umgehen sollen,
aufgeschoben.
   Zum Normalfall für Museen in ganz         Zankapfel und Prüfstein: die 1897 von britischen Soldaten geraubten und
Europa – auch in Deutschland und Groß-       heute über die ganze westliche Welt verstreuten Benin-Bronzen.

britannien – ist die Rückführung mensch-
licher Überreste in ihre Herkunftsgemein-       Viele dieser Objekte hatten eine rituelle Bedeutung bei der
schaften geworden. Inzwischen wurden         Ehrung der Ahnen. Die vielleicht unersetzlichsten unter all
auch einige Kunstwerke an ehemalige          diesen wertvollen Artefakten sind die Tafeln, die einst den
Kolonien restituiert. Doch die inzwischen    Königspalast von Benin schmückten und die Geschichte des
sehr reale Aussicht auf eine Rückkehr der    Königreichs erzählten. „Die Plünderung war, als wenn ein
Benin-Bronzen aus deutschen Museen           Buch in Stücke gerissen wurde, dessen Seiten an unterschied-
nach Nigeria ist ein Wendepunkt in die-      liche Orte gebracht wurden“, sagt Kokunre Eghafona, Pro-
sem Prozess. Diese Bronzen haben einen       fessor für Kulturanthropologie an der Universität von Benin.
hohen Symbolwert, nicht nur wegen der           Die britischen Truppen hatten den Palast des Oba 1897
besonderen Brutalität des damaligen          im Zuge einer „Strafexpedition“ gegen das Königreich Benin
Raubes, sondern auch, weil sie zu den        geplündert. Die von ihnen geraubten Schätze wurden an Mu-

                                                                                                     IP • Mai/Juni 2021   | 97
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seen in Europa und Amerika verkauft. Dan              in Berlin, das Museum am Rothenbaum in Hamburg, das
Hicks, Kurator am Pitt Rivers Museum in               Britische Museum, das Pitt Rivers Museum in Oxford, das
Oxford und Autor eines kürzlich erschie-              Niederländische und das Schwedische Nationalmuseum für
nenen Buches über die Benin-Bronzen mit               Weltkulturen sowie das Weltmuseum in Wien.
dem Titel „The Brutish Museums“, schätzt,                Die Gruppe einigte sich, einen Teil der Benin-Bronzen für
dass mehr als 10 000 Stücke weltweit auf              Wechselausstellungen in Nigeria auszuleihen. Sie rief auch
über 160 Museen und unzählige Privat-                 „Digital Benin“ ins Leben, ein Projekt, das die Kunst der
sammlungen verstreut sind.                            Könige zumindest in der virtuellen Welt wieder zusammen-

Ü
                                                      führen soll. Vor allem aber machte sie den nigerianischen
       ber die Benin-Bronzen wird schon               Partnern Mut. Gemeinsam gründeten die Regierung des
       seit Jahrzehnten gestritten, auch              Bundesstaats Edo, der Königshof von Benin und die Natio-
       wenn Macrons Initiative der De-                nale Kommission für Museen und Denkmäler den Legacy
batte über das koloniale Erbe in europäi-             Restoration Trust, um mit den westlichen Besitzern des Beu-
schen Museen neuen Schwung verliehen                  teguts zu verhandeln und den Bau eines von David Adjaye
hat. 2007 wurde die Benin-Dialoggruppe                entworfenen Museumskomplexes zu beaufsichtigen, der
gegründet, die regelmäßige Treffen zwi-               neben dem Palast des Oba in Benin City errichtet werden soll.
schen nigerianischen Vertretern und den                  Im März besuchte Andreas Görgen, der Leiter der Kul-
Kuratoren von Museen mit bedeutenden                  turabteilung des Auswärtigen Amtes, Benin City, um Ge-
Beständen von Benin-Bronzen organisiert.              spräche mit dem Gouverneur des Bundesstaats Edo, Godwin
Dazu gehören das Ethnologische Museum                 Obaseki, und anderen nigerianischen Vertretern zu führen.

                                Bild nur in
                          Printausgabe verfügbar

Rückgabe als „Frage der Gerechtigkeit“ (Heiko Maas): Rund 25 deutsche Museen besitzen Schätze, die bei der Plünderung des
Königspalasts in Benin geraubt wurden. Darunter auch das Ethnologische Museum in Berlin, demnächst im Humboldt-Forum.

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Eine Frage der Gerechtigkeit                  Positionen

Görgen rechnet damit, dass es bis zum          ten“. Die Universität beschrieb die Plünderung von Benin
Sommer gelingt, ein Abkommen über die          als „eines der berüchtigsten Beispiele für die Plünderung
künftige Zusammenarbeit abzuschließen.         von Kulturschätzen im Rahmen der europäischen kolonialen
Auf dessen Grundlage würde Deutsch-            Expansion des 19. Jahrhunderts“.
land an archäologischen Ausgrabungen              Doch das British Museum, dessen Direktor der deutsche
in Nigeria teilnehmen, nigerianische           Kunsthistoriker Hartwig Fischer ist, hat Übung darin, sol-
Museumsmitarbeiter ausbilden, sich am          chem Druck auszuweichen. „Die Verwüstung und Plün-
Bau des neuen Museums beteiligen und           derung, die im Zuge der britischen Militärexpedition von
geraubte Benin-Skulpturen und -Reliefs         1897 in Benin City angerichtet wurden, werden vom Museum
aus deutschen Museumssammlungen                voll anerkannt, und die Umstände des Erwerbs der Benin-­
zurückgeben.                                   Objekte werden in den Galerietafeln und auf der Website des
   Für Außenminister Heiko Maas gehört         Museums erklärt“, heißt es in einer Stellungnahme. Als ob
„die Frage der Rückgabe von Kulturgü-          das ausreichen würde, um all jene zufriedenzustellen, die
tern zu einem aufrichtigen Umgang mit          Anspruch auf die Raubkunst erheben können.

                                               D
der Kolonialgeschichte. Das ist eine Frage
der Gerechtigkeit.“ Rund 25 deutsche Mu-               as Ethnologische Museum in Berlin besitzt die zweit-
seen besitzen Schätze, die bei der Plün-               größte Sammlung von Benin-Bronzen in Europa.
derung des Königspalasts durch britische               Nach Angaben von Kurator Jonathan Fine handelt
Soldaten geraubt wurden. Betroffen sind        es sich um etwa 440 Raubkunstobjekte. „Gerade weil dieses
vor allem das Ethnologische Museum in          Thema so drängend ist, ist es wichtig, dass sich die Museen
Berlin (demnächst im Humboldt-Forum),          damit auseinandersetzen, und zwar nicht nur rhetorisch
das Museum für Völkerkunde in Dresden,         oder durch den Austausch von Etiketten“, sagt er.
das Grassi-Museum in Leipzig, das Rau-            Fine kuratiert derzeit eine Ausstellung der Benin-Bron-
tenstrauch-Joest-Museum in Köln, das           zen, die 2022 im kürzlich eröffneten Humboldt-Forum gezeigt
Linden-Museum in Stuttgart sowie das           werden soll. Angesichts des Standes der Verhandlungen mit
Museum am Rothenbaum in Hamburg.               Nigeria ist noch nicht klar, welchen Status sie dann haben
   Kurz nach Görgens Reise kündigte Kul-       werden. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preu-
turministerin Monika Grütters für April        ßischer Kulturbesitz, zu der die Berliner Museen gehören,
ein Treffen der Museumsvertreter und           schrieb in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine
Kulturminister an, um eine nationale           Zeitung vom 27. März, dass das Museum etwa die Hälfte
Strategie für die Benin-Bronzen in deut-       der Benin-Bronzen aus seinem Besitz zeigen wolle: „Das
schen Museumssammlungen zu erarbei-            schließt spätere Rückgaben der Objekte, die zunächst im
ten. Zu dieser Strategie, so Grütters, soll-   Humboldt-Forum gezeigt werden, überhaupt nicht aus.“
ten „selbstverständlich“ auch Rückgaben           Fine sagt, in einem der beiden für die Ausstellung vor-
gehören.                                       gesehenen Räume werde der Fokus auf der Invasion, den
   Die britische Zeitung Guardian bemerk-      Gewalttaten und Schilderungen der Plünderung liegen.
te, das deutsche Vorgehen erhöhe den           Außerdem werde dort gezeigt, wie nach der Plünderung
Druck auf das British Museum massiv.           Kunstwerke, Ritualobjekte und Alltagsgegenstände über
Zwei Tage später stieg der Druck (laut The     die ganze Welt verstreut wurden. Ein Herzstück der Ausstel-
Telegraph und The Times) noch weiter, als      lung würden „Interviews mit Beteiligten aus Nigeria und von
die Universität von Aberdeen ankündigte,       europäischen Institutionen sein, die darüber sprechen, was
sie werde die Skulptur eines Oba-Kopfes        die Benin-Bronzen sind, was ihr Verlust bedeutet hat und
an Nigeria zurückgeben, weil sie „auf eine     was in Zukunft mit ihnen geschehen soll“, so Fine.
Art und Weise erworben w   ­ urde, die wir        Museen in Großbritannien werden mit Interesse beob-
heute als extrem unmoralisch betrach-          achten, wie sich die Deutschen mit diesen unappetitlichen

                                                                                            IP • Mai/Juni 2021   | 99
Positionen                Essay

Aspekten der britischen Vergangenheit            Anders als Großbritannien hat Deutschland seit Jahrzehn-
auseinandersetzen. Manch einer dürfte         ten Erfahrung in der Aufarbeitung früherer Gräueltaten. Es
sich fragen, warum gerade die britische       wird oft gesagt, dass das Wort Vergangenheitsbewältigung
Kolonialgeschichte in einer der ersten Aus-   keine Entsprechung im Englischen hat. Das gilt ebenfalls für
stellungen im gerade wiederaufgebauten        das proaktivere Wort Aufarbeitung, das den ganzen Prozess
preußischen Königsschloss im Herzen der       von der Erinnerung, der Erforschung und Dokumentation der
deutschen Hauptstadt thematisiert wird        Verbrechen der Vergangenheit bis zur Aufklärung der nächs-
und nicht etwa die deutschen Plünderun-       ten Generation umfasst. Restitution ist Teil dieser ­Arbeit.
gen in Tansania oder Namibia. Doch der           Deutsche Museen haben Tausende von Kunstwerken zu-
symbolische Wert der Benin-Bronzen –          rückgegeben, die die Nazis jüdischen Sammlern geraubt hat-
ebenso wie ihr kunstgeschichtlicher Wert      ten. Aber die Initiative zur Festlegung internationaler Prin-
und die schiere Zahl der Objekte – ist kaum   zipien für die Rückgabe von NS-Raubkunst aus öffentlichen
zu überbieten.                                Sammlungen ging nicht von Deutschland aus. Der Anstoß
    Monika Grütters hat die koloniale Ver-    zu den Washingtoner Prinzipien von 1998 über Kunstwerke,
gangenheit als blinden Fleck der deutschen    die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden,
Erinnerungskultur bezeichnet. Diesen          kam aus den USA, wo die Nachfahren vieler der vom NS-
blinden Fleck gibt es auch in Großbritan-     Kunstraub besonders betroffenen Familien leben.

                                              A
nien: Dan Hicks vom Pitt Rivers Museum
spricht von einem „Loch von Queen-Victo-              uch im Fall von Raubkunst aus der Kolonialzeit soll-
ria-Größe, das es in unserem historischen             ten die Herkunftsgemeinschaften das Sagen haben.
Bewusstsein in Bezug auf unsere Rolle                 Diese befinden sich nicht ausschließlich in Afrika
in der Welt gibt“. Trotzdem glaubt Hicks,     – zum Beispiel die Dekolonisierungsbemühungen nieder-
dass Europa insgesamt am Anfang einer         ländischer Museen richten sich vor allem auf Indonesien –,
„neuen Abrechnung mit den unglaublich         aber Afrika spielt eine zentrale Rolle. In Addis Abeba haben
gewalttätigen Spätphasen des Imperiums“       die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union
stehe. Das gelte auch für Großbritannien,     im Februar das Thema Kultur und kulturelles Erbe zu ih-
selbst wenn das weder alle Museen noch        rem Schwerpunkt für das laufende Jahr gemacht. Geplant
die britische Regierung begriffen hätten.     sind auch Workshops über die Rückgabe von gestohlenem
    Die prominenteste kulturpolitische        Kulturerbe.
Maßnahme der jetzigen Regierung war               Überall in Afrika bereiten Aktivisten Kampagnen vor;
es, Statuen von Sklavenhändlern vor De-       auch die Museen machen mit. Im Nairobi National Museum
monstranten der Black-Lives-Matter-Bewe-      ist derzeit die Ausstellung „Invisible Inventories“ zu sehen,
gung zu schützen. Die führenden Politiker     die die Nachforschungen nach kenianischen Objekten in Mu-
verweigern jede Diskussion über die Rück-     seen auf der ganzen Welt zeigt. Das vom ­Goethe-Institut und
gabe von Museumsschätzen – oder sie len-      von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Forschungs-
ken davon ab, indem sie das Gespräch auf      projekt hat weltweit schon mehr als 32 000 Objekte in 30 Mu-
die Parthenon-Skulpturen im Britischen        seen und anderen Institutionen identifiziert.
Museum bringen. Doch diese Skulpturen             Besonders wichtig ist, dass auf die Bedürfnisse und Prio-
wurden unter völlig anderen Umständen         ritäten der afrikanischen Fachleute für die Museen und das
aus Griechenland weggebracht; sie sollten     Kulturerbe eingegangen wird. El Hadji Malick Ndiaye, ein in
nicht mit den Benin-Bronzen in einen Topf     Dakar lebender Kunsthistoriker, sieht die Restitutionsdebat-
geworfen werden. Die Marmorstatuen vom        te als Chance, die Kulturdiplomatie zwischen europäischen
Parthenon wurden nicht unter Einsatz mi-      und afrikanischen Staaten neu zu kalibrieren. Bislang, sagt
litärischer Gewalt bei einem brutalen An-     er, arbeiteten afrikanische Museen mit europäischen Part-
griff auf eine Kultur und ein Volk geraubt.   nern bei Ausstellungen in Europa zusammen, aber das sei

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Eine Frage der Gerechtigkeit                              Positionen

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Unter Beobachtung: Im Londoner British Museum (hier: Besucherin in der Ägypten-Sammlung) hat man eine gewisse Übung darin,
den Forderungen nach einer Rückgabe geraubter Kunst auszuweichen. Doch der Druck steigt.

eine Einbahnstraße: Europäische Muse-               kunst zu definieren. Er betrachtet die Schritte Deutschlands
en trügen nur selten zu Ausstellungen in            in Richtung Rückgabe der Benin-Bronzen als inspirierend.
Afrika bei.                                         „Damit wird anerkannt, dass so etwas möglich ist und un-
   Rückgaben könnten Vertrauen schaffen             sere Forderungen nach moralischer Verantwortung gehört
und den Boden für eine engere Zusam-                werden“, sagt er. „Wir hätten von anderen Kolonialmächten
menarbeit bereiten, sagt Ndiaye. Zugleich           mehr erwartet. Deutschland war (in Afrika) nicht so präsent
würden sie die afrikanischen Staaten vor            wie Frankreich und Großbritannien, aber Deutschland geht
die Herausforderung stellen, ihre Museen            viel planvoller vor, wenn es darum geht, historische Fehler
ernster zu nehmen. „Rückgaben werden                zu berichtigen. Wir müssen uns viel klarer der Verantwor-
das Kulturerbe und seine Bedeutung auf              tung stellen, das, was mit der Vergangenheit zu tun hat, in
die Gesellschaft ins Bewusstsein rücken“,           Ordnung zu bringen.“
sagt Ndiaye.                                        Aus dem Englischen von Bettina Vestring
   Kimani Njogu von der in Nairobi ansäs-
sigen Public-Policy-Organisation Twawe-                                Catherine Hickley
za Communications veranstaltet Webinare                                ist britische Kunst- und Kulturjournalistin und arbeitet
mit Forschern und Aktivisten in Äthiopi-                               als Deutschland-Korrespondentin für The Art Newspa-
                                                                       per. Darüber hinaus schreibt sie u.a. für die New York
en, Tansania, Kenia und Uganda, um Stra-                               Times. Ihr Buch „The Munich Art Hoard“ über den Fall
tegien für die Rückerlangung der Raub-                                 Gurlitt und Nazi-Raubkunst erschien 2016.

                                                                                                            IP • Mai/Juni 2021   | 101
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