ELF WERTE. EINE KLEINWACHAU - Epilepsiezentrum Kleinwachau
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KOOPERATIV LERNEND EMPATHISCH INKLUSIV NACHHALTIG WERTSCHÄTZEND ASSISTIEREND CHRISTLICH HERAUSGEFORDERT AKTIV UNKONVENTIONELL
ES IST ZEIT FÜR EIN NEUES LEITBILD Geschäftsführer Martin Wallmann (links) mit Leitungsteam und Pfarrerin Liebe Leserinnen und Leser, unsere Gesellschaft ist zwiegespalten wie diskutierten, formulierten und behielten zwei selten zuvor. Auf der einen Seite begegnen Kernfragen immer im Blick: Was sind die Ideale uns Beliebigkeit und zunehmende Intoleranz. unserer Arbeit und wofür machen wir das, was Gleichzeitig suchen immer mehr Menschen wir tun? Herausgekommen ist ein moderner nach Orientierung, Halt und einem Ort, an dem Leitfaden unseres Wirkens: verständlich, nach- sie sich wohlfühlen. Eine Einrichtung wie das vollziehbar, auf das Wesentliche reduziert – elf Epilepsiezentrum Kleinwachau sollte genau so Werte, untrennbar mit den elf Buchstaben ein Ort sein, Orientierung bieten. Dazu müssen unseres Namens „Kleinwachau“ verbunden. wir unsere Grundsätze und ethischen Über- zeugungen aber klar und verständlich ausdrü- Das Leitbild ist also Anspruch und Ansporn cken können – neuen Mitarbeitern gegenüber zugleich. Und natürlich ist es kein Diktat, keine ebenso wie Patienten, Bewohnern, Eltern, Verordnung oder Gebrauchsanweisung. Immer Unterstützern und der Gesellschaft überhaupt. wird es Menschen geben, die manche Dinge Deswegen haben wir über unseren Wertekern anders sehen. Stets wird interpretiert und neu nachgedacht – selbstkritisch, geduldig und diskutiert werden müssen. Wir wollen aber differenziert. Impulse setzen, die aufgegriffen und weiterge- dacht werden können. Wichtig war es uns, ein neues Leitbild nicht einfach von der Führungsebene her zu verord- Auf den folgenden Seiten erfahren Sie, wie wir nen. Deshalb fanden sich Menschen aus allen unsere Werte ganz praktisch in der täglichen Bereichen Kleinwachaus zu einer Arbeitsgrup- Arbeit leben. pe zusammen. In dieser nahmen sie sich unser bisheriges Leitbild vor, dachten es weiter, Wir wünschen viel Freude beim Lesen. Editorial 3
KOOPERATIV Wir sind viele. Menschen, Ideen und Taten interessieren uns. Wir möchten mit anderen gemeinsam unser gesellschaftliches Umfeld bereichern. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 5
Wenn alle am selben Strang ziehen Zusammen sind wir weniger allein. Der Sportplatz von Liegau-Augustusbad an gewesen, dass man im Ort etwas zusammen einem kühlen Oktobertag: Im Hintergrund mache. Und da die Bewohner des Epilepsie- üben die Fußballer Torschüsse. Vor dem Spiel- zentrums Kleinwachau in Liegau-Augustusbad feld haben sich fünf Menschen versammelt völlig selbstverständlich mit zur Gemeinde – vom Chorleiter über den Ortsvorsteher bis gehören, wunderte sich auch niemand, dass hin zum Vorstand des Fußballvereines. Sie alle einige zur Chorprobe kamen. haben etwas gemeinsam: Sie engagieren sich für Inklusion, ohne dieses Wort überhaupt zu Diese gelebte Zusammengehörigkeit ist Orts- gebrauchen. vorsteher Gabor Kühnapfel sehr wichtig: „Eine Gesellschaft wird daran gemessen, wie sie „Ich hab am Anfang gar nicht realisiert, dass sich um Schwache kümmert. Für jeden muss wir ein Inklusions-Chor sind. Das hat sich ein- das Leben so lebenswert wie möglich sein, fach so ergeben“, sagt Andreas Zöllner. Er ist Leiter des Chores „Liegauer Liederlust“. Bei dem lockeren Ensemble waren von Anfang an Menschen mit Behinderung dabei. „Bei uns können alle kommen, die Lust haben. Es gibt kein Leistungsdenken, nur die Freude am Singen zählt“, sagt der Musiker. Wichtig sei ihm 6 kooperativ
„Das Zusammenspiel mit den Kleinwachauern hat unser Vereinsleben bereichert. Es weitet den Blick für die, denen es nicht leicht fällt und die trotzdem mit Begeisterung Sport machen.“ Markus Rebs Vereinsvorstand SV Liegau-Augustusbad niemand darf ausgegrenzt werden. Und je bringen“, sagt Vereinsvorstand Markus Rebs freier und selbständiger sich Menschen trotz und fügt stolz hinzu: „Ein besonders schönes Behinderung entfalten können, desto besser.“ Erlebnis war die Auszeichnung des DFB 2013 Warum es gerade hier so gut funktioniere mit für unsere Arbeit im Behindertenfußball.“ Akzeptanz und Kooperation, liege laut Kühn- apfel auch an der Öffnung Kleinwachaus hin Der Motor für die Kooperation mit dem Sport- zur Dorfgemeinschaft. verein ist Lutz Höhne. Er arbeitet in Kleinwa- chau an den Themen Sport, Kultur und Inklusi- Wichtige Partner für das Epilepsiezentrum sind on. Privat spielte er als begeisterter Fußballer dabei Vereine wie der SV Liegau-Augustusbad. viele Jahre selbst im örtlichen SV. So über- Hier gibt es schon seit Jahren eine eigene nahm er vor 20 Jahren die Fußballmannschaft Fußballmannschaft für Menschen mit und des Epilepsiezentrums als Trainer und half ihr, ohne Behinderung und neuerdings auch ge- 2011 auf dem Platz seines Sportvereins eine meinsame Tischtennis- und Boccia-Angebote. Heimat zu finden. „Das Gute an unserem Ort „Das Zusammenspiel mit den Kleinwachauern ist: Man kennt sich. Dadurch können wir uns hat unser Vereinsleben bereichert. Es hat bei einfach hinsetzen, miteinander reden und Pro- vielen Mitgliedern den Blick geweitet für die, jekte ankurbeln. Sport und Kultur sind dabei denen es nicht leicht fällt und die trotzdem besonders gute Aushängeschilder für Inklu- mit Begeisterung Sport machen und Leistung sion, die auch auf die Region ausstrahlen.“ kooperativ 7
Kleinwachau arbeitet seit einigen Jahren auch mit dem SV Einheit Rade- berg zusammen. Das gemeinsame Projekt: Eine Tischtennisgruppe für Menschen mit und ohne Behinderung. Inklusion war ein Thema, zu dem Lutz Höhne den Verein nicht lange überreden musste. „Wir konzent- rieren uns als kleiner SV gezielt auf soziale Gesichtspunkte und nicht auf ‚Schneller-Höher-Weiter‘. Das ist seit vielen Jahren unser Marken- zeichen“, sagt Geschäftsführer Heinz Geißler. Dem Verein tue dieses gesellschaftliche Engagement sehr gut, auch wenn es nicht immer ganz einfach sei, dafür Freiwillige zu finden. „Die Bereitschaft zum Ehren- amt hat in den letzten Jahren stark nachgelassen. Ich würde mir wieder mehr Achtung für die freiwillige Arbeit und mehr Interesse daran wün- schen“, so Geißler. „Inklusion läuft dann am besten, wenn man Men- schen mit Behinderung dort hineinbringt, wo alle anderen auch sind.“ Lutz Höhne, verantwortlich für Sport, Kultur und Inklusion im Epilepsiezentrum Kleinwachau Um Menschen zu aktivieren und die begrenzten Mittel und Kräfte von Vereinen und Engagierten zu bündeln, hat Gabor Kühnapfel in seiner Rolle als Ortsvorsteher von Liegau-Augustusbad einen Kulturstamm- tisch ins Leben gerufen. Dieser bringt Akteure und deren Ideen und Potenziale für die kulturellen und sportlichen Veranstaltungen in Stadt und Region zusammen. Auch hier spielen Barrierefreiheit und die Teil- habe aller eine wichtige Rolle – nicht zuletzt wegen des Engagements des Epilepsiezentrums. Auch Lutz Höhne habe die Erfahrung der ver- gangenen Jahre zweierlei gelehrt, sagt er: „Erstens läuft Inklusion dann am besten, wenn man Menschen mit Behinderung dort hineinbringt, wo alle anderen auch sind. Zweitens geht es nicht darum, dass alle alles ma- chen. Jeder soll stattdessen das machen, was ihm Spaß macht und wozu er fähig ist – mit jeder Unterstützung, die er oder sie benötigt.“ Schöne Beispiele für gelungene Kooperation erlebt auch Chorleiter An- dreas Zöllner immer wieder: „Unsere Kleinwachauer Mitglieder greifen besonders gern zu den Percussion-Instrumenten – nicht, weil sie die per- fekt spielen könnten, sondern einfach, weil es ihnen Spaß macht. Das ist gut für den gesamten Chor. Es erinnert uns daran, mit unseren Ansprü- chen auf dem Teppich zu bleiben und einfach Freude am gemeinsamen Musizieren zu haben. Über Inklusion sprechen wir dann gar nicht mehr, dafür aber miteinander.“ 8 kooperativ
#WIRSINDVIELE Zusammen ist man weniger allein – darum arbeiten wir auch über die Ortsgrenzen hinaus mit vielen Partnern zusammen: Agentur für Arbeit • Arbeitsgemeinschaft diakonischer Epilepsiezentren - ADEZ • Arbeits- gruppe Gesundheitspolitik im Bundesverband der evangelischen Behindertenhilfe • Autismus- ambulanz Dresden • Deutsche Gesellschaft für Epileptologie • Diakonie Sachsen • Diakoniestiftung in Sach- sen • Diakonisches Werk - Stadtmission Dresden e.V. • Erziehungs- und Familienberatungsstelle Radeberg TWSD in Sachsen e.V. • European Association of Epilepsy Centres - EAEC • Ev.- Luth. Diakonissenanstalt Dresden e.V. • Evangelische Fachhochschule Dresden • Evangelische Fachschule für Heilerziehungspflege Großhennersdorf • Evangelische Schulstiftung Sachsen • Fachverband Evangelische Behindertenhilfe und Psychatrie in Sachsen • Familienbildungsstätte Bischofswerda • Feuerwehr • Frühförderstelle Radeberg • Gedenkstätte Großschweid- nitz e.V. • Gedenkstätte Pirna Sonnenstein • Grundschulen der Umgebung • Grüne Aktion Sachsen e.V. • Initiative Christen für Europa e.V. • Integrationsfachdienst Dresden • Kirchbauverein Wachau e.V. • Kirchgemeinden der Region • Kommunaler Sozialverband Sachsen • Landesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen Sachsen • Landesar- beitsgemeinschaft Schulen in freier Trägerschaft • Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Men- schen e.V. • Lions Club Radeberg, Projektgruppe Schule & Wirtschaft • MOSES-Autorengruppe, dem Schulungs- programm für Menschen mit Epilepsie • Musikschule Klanghaus • Netzwerk Qualität in der Behindertenhilfe • Offizierschule des Heeres Dresden • Pflegedienst AIR aus Liegau-Augustusbad • Polizei Sachsen - Verkehrswacht • Psychologen, Psychiater, Logopäden, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten • Schloss Klippenstein • Sozial- agentur Usti • Sozialarbeit bei Epilepsie e. V. • Sozialministerium des Freistaates Sachsen • Sozialpädiatrisches Zentrum Dresden • Special Olympics Sachsen • Sportverein Liegau-Augustusbad • Stadt Radeberg • SV Einheit Radeberg • Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden • Vereine in Liegau-Augustusbad • Volkshochschule Bautzen • Volkssolidarität Dresden e.V. • Weißiger Werkstätten • Wunderland e.V. • u.v.m. kooperativ 9
LERNEND Wir sind Weiterdenker. Wir stellen uns neuen Aufgaben und lernen aus Erfolgen und Fehlern, um unsere Leistungen zu verbessern. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 11
Berufswege planen Die Begleiter ins Arbeitsleben. Noch vor wenigen Tagen war Maximilian Bergk nicht in der Schule, sondern absolvierte ein Praktikum im Metallbereich. Laut, anstrengend und schwer war es, weiß er zu berichten. Sie- ben Stunden am Tag hat er gearbeitet, dabei bis zu vier Kilogramm schwere Metallteile für die Automobilindustrie gewuchtet. „Zum Feier- abend hatte ich Muskelkater. Jetzt mache ich erstmal Pause“, sagt der 17-jährige Schüler. Maximilian ist einer von 24 Schülern der För- derschule Kleinwachau, die in der Werkstufe 12 lernend
sind. Hier geht es darum, für junge Menschen wieder klingelt das Telefon, landen E-Mails sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten zu finden. im Posteingang. Dem Team gehört außerdem Dafür braucht man nicht nur einen langen Susann Schlimpert an, die in der Werkstatt Atem, sondern auch Durchhaltevermögen. Vor diejenigen vermittelt und betreut, die auf allem aber viel Know-how. Voraussetzungen, sogenannten „Außenarbeitsplätzen“ in Unter- die Tobias Fromm, Pädagogischer Mitarbeiter nehmen der Region arbeiten. „Wir sind mit der Förderschule, und Katharina Burkhardt, etwa 50 Unternehmen in der Region vernetzt. Abteilungsleiterin Berufsbildungsbereich, So viele Leute, wie gebraucht werden, haben zweifelsohne mitbringen. Tag für Tag suchen wir gar nicht“, erklärt Katharina Burkhardt. sie nach den jeweils besten Lösungen für jeden Hinzu kommen die Praktikumsplätze, die in einzelnen Schüler. Ein langer Weg, der inten- Kleinwachau vorhanden sind. In den Kleinwa- siv begleitet werden muss und der auch nicht chauer Werkstätten können die Schüler in den frei von gängigen Vorurteilen ist. Sätze wie Bereichen Holz- oder Metallbearbeitung, Kera- „Die werden da nur hingesetzt und sortieren mik, Montage sowie Garten- und Landschafts- Schräubchen“, hört Katharina Burkhardt im- pflege ins Arbeitsleben schnuppern. Aber auch mer wieder. Verständlich, dass sie angesichts im Inklusionsunternehmen paso doble ist es dessen um Fassung ringt. „Ich habe 2008 das für die Schülerinnen und Schüler möglich, sich Inklusionsmanagement ausgebaut“, sagt Burk- auszuprobieren, z. B. bei den Malern oder der hardt. Ziel war es, für möglichst viele Jugendli- Gebäudereinigung. che Beschäftigungsverhältnisse außerhalb der Werkstatt für behinderte Menschen zu finden. Professionelles Arbeiten und enge Absprachen der Berufswegeplaner sind daher unerlässlich. Ihr Büro haben die Berufswegeplaner in der So wertet Tobias Fromm jede einzelne Rück- Förderschule. Praktikumspläne, Absprachen meldung eines Praktikums akribisch aus und mit Unternehmen und Rückmeldungen sam- lässt die Erkenntnisse in zukünftige Planungen meln sich auf den Schreibtischen. Und immer einfließen. Er erklärt: „Wird aus dem Feedback
zum Beispiel ersichtlich, dass die sie von den Menschen gemacht Schüler noch Defizite beim Mes- werden kann, die da sind“, erklärt sen haben, ist es unsere Aufgabe, Tobias Fromm. Seine Kollegin er- das zu verbessern. Wir sprechen gänzt: „In ganz Sachsen gibt es im dann mit Lehrern, wie sich kon- Schnitt jedes Jahr 16 Übernahmen tinuierliches Messen in ihren aus Werkstätten für Menschen Unterrichtsplan integrieren lässt.“ mit Behinderung in sozialversiche- Doch es gibt auch Fähigkeiten, die rungspflichtige Arbeitsverhält- sich von Einzelnen nicht erlernen nisse. Wir haben in der Regel zwei, lassen. Auch aus diesem Grund manchmal auch drei. Damit sind ist eine realistische Berufswege- wir seit Jahren Vorreiter in Sach- planung unverzichtbar. Wünsche sen.“ Nur einen Augenblick später der Schüler werden selbstredend fügt sie an: „Das macht uns stolz. berücksichtigt, aber „es kommt Wenn wir sehen, wozu die Schüler auch vor, dass junge Leute ein in der Lage sind und was sie er- Praktikum starten, bei dem wir reichen können. Auch die, denen uns vom ersten Tag an sicher sind, keiner etwas zugetraut hat. Da dass es nicht funktionieren wird“, freuen wir uns mit den Eltern und erklärt Burkhardt. Und weiter: „In Schülern. Und mittlerweile eilt der Fachsprache nennt man das uns der Ruf voraus, dass wir selbst ‚erfolgreiches Scheitern‘. Auch schwierige Fälle lösen können.“ das begleiten wir. Unsere Aufgabe ist es, Chancen aufzuzeigen, die In den Firmen, die Praktikanten die Schüler selbst vielleicht nicht aus Kleinwachau beschäftigen, gesehen oder wahrgenommen vertraut man der Kleinwachauer hätten.“ Auch aus dem erfolgrei- Expertise. Das zeigt sich unter chen Scheitern kann man lernen anderem daran, dass die Probe- – und so erweitert ein Umweg den arbeitszeit zum gegenseitigen eigenen Horizont. Kennenlernen teilweise von zwei Tagen auf einen Vormittag re- „Vielen ist bewusst geworden, dass duziert wurde. Eins machen die beiden jedoch unmissverständlich die Arbeit so zu strukturieren ist, klar: „Wir haben keinen Bonus, dass sie von den Menschen ge- weil wir aus dem Sozialbereich macht werden kann, die da sind.“ kommen oder weil die Kinder be- hindert sind. Und das wollen wir Tobias Fromm, Berufswegeplaner im Epilepsie- auch nicht“, so Burkhardt. zentrum Kleinwachau Der Weg in die Zukunft ist nicht Welches Potential in jedem Einzel- immer einfach und führt selten ge- nen steckt, hat auch die Wirtschaft radeaus, aber er lohnt sich. Wohin erkannt. Bis 2030 gehen 20 Mil- die Reise geht, steht nicht immer lionen Menschen in Rente. In der fest. Dank der Erfahrung der Folge wird sich der Arbeitsmarkt engagierten Berufswegeplaner ist verändern, das Umdenken beginnt jedoch ausgeschlossen, dass er in vielerorts bereits jetzt. „Vielen eine Sackgasse führt. ist bewusst geworden, dass die Arbeit so zu strukturieren ist, dass 14 lernend
WERKSTATT Sie mögen die Herausforderung und möchten gern etwas Neues ausprobieren und dabei noch viel lernen? In unseren Werkstätten können Sie die unterschiedlichsten Bereiche BOCK AUF austesten. Metall- oder Keramikverarbeitung, Montagearbeiten, Gebäudereinigung bis hin ARBEIT? zum Einsatz in unserer Küche – das Angebot ist wirklich vielfältig. Angepasste Lehrpläne von PRAXISBAUSTEIN und auf Sie zugeschnit- tene Arbeits- und Qualifizierungsmöglichkei- ten machen Sie fit für Ihren Traumjob. INKLUSIONSUNTERNEHMEN PASO DOBLE Sind Sie ein Teamplayer? Unser eigenes In- klusionsunternehmen paso doble gibt Ihnen Gelegenheit, in gemischten Gruppen gleich- berechtigt zusammen zu arbeiten. Menschen mit und ohne Behinderungen, hier profitiert jeder vom anderen. Vom Hausmeisterservice über Gebäudereinigung bis zu Renovierungs- und Transportdienstleistungen – die Einsatz- möglichkeiten sind fast unbegrenzt. FÖRDERSCHULE Sie sind noch Schüler? In unserer Förderschu- le (G) ist praktische Berufsvorbereitung ein wichtiger Bestandteil der Werkstufe. Unsere Schüler können sich in einem Praktikum aus- EXTERNE FIRMEN probieren. Zum Beispiel im Autohaus oder IN DER REGION auf einem Bauernhof. Wir sind in der Region hervorragend vernetzt und verfügen über weitreichende Kontakte zum allgemeinen Arbeitsmarkt. So arbeiten Sie also direkt in einer Firma und werden wei- terhin persönlich von uns betreut. 15
EMPATHISCH Wir sind Herzensmenschen. Wir arbeiten daran, dem Leben mit Epilepsie Normalität zu geben. Mit Feingefühl und ganzheitlichem Blick setzen wir alle uns zur Verfügung stehenden Kompetenzen dafür ein. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 17
Sicherheit und Optimismus vermitteln Epilepsie aus der Tabuzone heben. Dr. Tatjana Kovačević-Preradović ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwer- punkt Kinderneurologie und arbeitet im Epi- lepsiezentrum Kleinwachau als Stationsärztin der Kinder- und Jugendstation. In einem Inter- view gewährt sie Einblicke in ihre Arbeit und erklärt, warum es wichtig ist, Epilepsie nicht nur zu behandeln, sondern auch offen darüber zu sprechen. Frau Dr. Kovačević-Preradović, Sie haben auf dem Epilepsieforum Dresden einen Vortrag gehalten, der stark beeindruckt hat. Worum ging es da? Die jährlich stattfindende Informationsveran- staltung für Patienten stand 2018 unter dem Thema „Schockerlebnisse in Familien“. Es ging darum, was im Leben passiert, wenn ein Kind oder man selbst zum ersten Mal einen epi- leptischen Anfall bekommt. Ich habe aus der Sicht der Kinder- und Jugendmedizin berich- tet, was wir aus unserem Alltag mitnehmen: Was bedeutet das für die Familie, das Kind und letztlich die gesamte Lebensstruktur? 18 empathisch
Was bedeutet es denn? Erkennen Sie im Vergleich zur Arbeit in einer Beim ersten, oft dramatisch erlebten Anfall Kinderarztpraxis Unterschiede hinsichtlich wird in der Regel der Notarzt gerufen. Das des Vertrauens? Kind kommt ins Krankenhaus, Untersuchungen Da Epilepsie eine chronische Erkrankung mit werden durchgeführt, die Diagnose Epilepsie vielen unberechenbaren Variablen ist, brau- kommt hinzu und oft auch Medikamente. Was chen diese Patienten eine intensive medizi- aber danach bleibt, ist ein großes Fragezei- nische Betreuung. Das ist viel mehr, als alle chen. Insbesondere, wenn das erste Medika- paar Monate ein EEG zu schreiben, ein Rezept ment enttäuscht. Diese Ungewissheit und auszustellen und kurz zu reden. Man braucht Sorge, was aus dem Kind wird, ob es ein nor- Zeit zum Sprechen und Zuhören. Es dauert, males Leben wird führen können – das wirkt bis sich Vertrauen aufbaut. Auf diese Aspekte beklemmend und kann die Lebensstruktur zer- legen wir viel Wert, was den niedergelassenen stören. Und genau an diesem Punkt setzen wir Kollegen heutzutage häufig nicht möglich ist. den Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir arbeiten Das ist der Unterschied. gezielt an den Fragen, die neben der Krankheit entstehen. Wenn es z. B. Angst ist, versuchen Warum ist es wichtig, Epilepsie immer wieder wir, diese mit Informationen und Schulungen zu thematisieren und darüber zu sprechen? zur kompetenten Selbsthilfe zu lindern. Immer Weil es jeden unter uns treffen kann und Epi- verflochten und parallel laufend. lepsie leider nicht so selten und exotisch ist, wie man annimmt. Das heißt, Sie nehmen sich von Anfang an sowohl der Kinder als auch der Eltern an? Was kann dabei helfen, die Krankheit Epilep- Ja, denn unabhängig unserer medizinischen sie aus der Tabuzone zu heben? Erfolge sind auch Familienstrukturen wichtig: Vor allem Wissen- und Informationsvermitt- Kindergarten, Schule oder der Sportverein. Wir lung – an Patienten, Betreuer, Kollegen. In wollen ganzheitlich beraten und behandeln. den letzten Jahren gab es viele positive Ent- Das zeichnet unsere Arbeit aus. wicklungen, sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie. Durch Forschung sind neue Wie eng fühlen Sie sich den persönlichen Ansätze entstanden, die den Patienten wirklich Schicksalen verbunden? weiterhelfen. Bei allem Ehrgeiz darf man aber Den Umgang damit muss man lernen. Trotz nie vergessen, worum es wirklich geht: um professioneller Empathie braucht es gesunde Menschen. Distanz. Schließlich will man den Patienten helfen und die an die Rolle des Arztes ver- knüpften Erwartungen auch erfüllen. Das ist ein schmaler Grat. Woher nehmen Sie in schwierigen Fällen die Kraft, um am nächsten Tag weiter zu machen? Zum einen ist es die unerschöpfliche Lebens- freude der Kinder. Zum anderen sind es auch positive Rückmeldungen der Familien. Ich ver- suche oft, schwierige Situationen sportlich zu betrachten, einen „Teamgeist“ zu entwickeln. Und genauso erkläre ich das den Kindern. Man hat vielleicht ein Tor kassiert und es sieht nicht gut aus, aber es gibt noch eine zweite Halbzeit und wir spielen gemeinsam weiter. Kolumnentitel 19
Nichts versteht sich von selbst Leben mit Epilepsie. Karola Fritzsche, Mitarbeiterin Sozialer Dienst Rebekka Steinke hat ihre Lebensfreude trotz in Kleinwachau. Hier lernte sie, mit Epilepsie vieler Tiefschläge nicht verloren. Ihre Schwes- umzugehen. ter vermutete schon früh, dass sie Epilepsie Daran hat auch Karola Fritzsche ihren Anteil. hat. Doch wahr haben wollte es die junge Die Diplom-Heilpädagogin kümmert sich im Erfurterin nicht. „Ich hatte Angst vor dem psychosozialen Dienst um soziale Belange der Hinfallen, mit Schaum vor dem Mund irgend- Patienten. „Wir sprechen zum Beispiel mit dem wo zu liegen.“ Die Diagnose bekam sie 2010, Arbeitgeber über die Situation.“ Das notwen- da war sie 23. „Ich war geschockt und sauer, dige Vertrauen gewinnt sie schnell. „Empathie dass es gerade mich trifft. Aber meine größte ist ein Mitschwingen. Eine taktvolle Art um Angst war, dass ich nicht mehr als Erzieherin auszudrücken, wie man mitdenkt und mitfühlt. arbeiten darf.“ Doch das ging – bis die Wirkung Das kann man nur leben und ausstrahlen.“ Sie des Medikaments nachließ. Sie kündigte ihren arbeitet sich tief in komplexe Sachverhalte ein, Job und begann erneut zu studieren. Als Be- denn „bei Epilepsie geht es oft um berufliche weis dafür, „dass ich stets zeigen muss, dass Perspektiven und Wege.“ Zähneknirschend ich genauso leistungsfähig bin.“ Die Folge: fügt sie hinzu: „Manche Patienten haben Überforderung, schwere Anfälle, Aufenthalt schon unsinnige Berufe gelernt, weil sie nicht alle Möglichkeiten kannten. Das ärgert uns.“ Deshalb geht man in Kleinwachau offen auf Bildungswerke, Behörden, Wohn- und Werk- stätten zu, um Wissen zu vermitteln und aufzu- klären. So, wie Rebekka Steinke es mittlerweile selbstbewusst tut und anderen Mut macht. Ihr Appell richtet sich an alle: „Man muss das Leben wertschätzen! Denn morgens aufzu- wachen, ohne Angst durch die Stadt und ohne Kopfschmerzen oder Sprachschwierigkeiten durchs Leben zu gehen, ist nicht normal.“
Epilepsie – was nun? informieren | beraten | unterstützen Die Diagnose Epilepsie kann vielfältige He- rausforderungen mit sich bringen. Bei uns erhalten Betroffene und Angehörige Beratung und Unterstützung. Wir informieren bei Fragen zur Epilepsie (Erscheinungsbilder, Diagnostik-, Therapiemöglichkeiten) und geben Unterstützung bei der Krankheitsver- arbeitung. Epilepsieberatung Dresden Wir beraten Wolfshügelstr. 20 | 01324 Dresden in persönlichen Situationen bei sozialen Fra- TEL (0351) 48 10 270 gen, die mit der Epilepsie zusammenhängen: MAIL epilepsieberatung@kleinwachau.de z. B. Berufswahl, Bewerbung, Gefährdungs- WEB www.epilepsieberatung-dresden.de beurteilung am Arbeitsplatz, Partnerschaft, Kinderwunsch, Erziehung, Schule und Sport. MVZ - Gesundheitszentrum Weißer Hirsch Wolfshügelstr. 20 | 01324 Dresden Wir unterstützen TEL (0351) 26 83 56 3 in rechtlichen Fragen: z. B. Schwerbehinder- MAIL kontakt@npz-dresden.de tenausweis, Führerschein, Kündigungsschutz, WEB www.npz-dresden.de Haftung und Aufsichtspflicht, Persönliches Budget. Fachkrankenhaus für Neurologie Kleinwachau Wachauer Str. 30 | 01454 Radeberg Alle Beratungen sind kostenfrei und vertrau- TEL (03528) 431-1311 lich. Ein Überweisungsschein ist nicht erfor- MAIL fachkrankenhaus@kleinwachau.de derlich. WEB www.kleinwachau.de empathisch 21
INKLUSIV Wir sind Brückenbauer. Menschen werden behindert, wo sie auf Barrieren treffen. Wir arbeiten daran, dass Teilhabe für alle Menschen selbstverständlich wird. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 23
UNSERE HÄUSER Inklusion sind barrierefrei. Nicht nur die Wohn- ist Vielfalt häuser, die Schule und der Kindergarten, sondern auch Verwaltungs- und Wirt- schaftsgebäude sind mit Aufzügen, Rollrampen und barrierefreien Sanitär- Der Weg dahin anlagen ausgestattet. Für Menschen mit Epilepsie nutzen wir moderne techni- ist ebenso vielfältig. sche Hilfsmittel, die ein selbständiges Leben in der eigenen Wohnung ermög- lichen. Der Weg zur Inklusion führt Schritt für Schritt über den Abbau von Barrieren – räumlicher, sprachlicher, visueller, sozialer und politischer. Wir wollen allen Menschen eine gesellschaftli- che Teilhabe ermöglichen. „Völlig normal“, wie UNSERE KOMMUNIKATION wir finden. setzt auf Alternativen. Nicht jeder Dabei haben wir uns schon längst auf den Weg Mensch kann sich gut durch Lautspra- gemacht. Bewusst nehmen wir unsere Umwelt che verständlich machen. Eine Arbeits- wahr. Wir schärfen den Blick, um Barrieren gruppe „Unterstützte Kommunikation“ in unserem Alltag und unserem Umfeld zu schafft geeignete und standardisierte erkennen. Wir suchen nach Möglichkeiten, um Angebote, sei es durch Bildsysteme oder Angebote barrierefrei zu gestalten. Und so technische Unterstützung. Unterstützte sehen wir uns als Brückenbauer. Kommunikation hilft also besonders in der Förderschule, im MZEB und im Wohnbereich denjenigen, denen sprach- u Informationen in Gebärdensprache liches Äußern schwer fällt. finden Sie unter www.kleinwachau.de/dgs 24 inklusiv
UNSERE GESCHICHTE ist barrierefrei erfahrbar. In einem ebenerdigen Geschichtsraum ist unsere interaktive Historie auf einem Pad zu er- leben, angebracht in der richtigen Höhe für Rollstuhlfahrer. Der Geschichts- rundgang über das ganze Gelände des Epilepsiezentrums ist mit Informationen UNSERE INFORMATIONEN in Alltags- und Leichter Sprache ausge- stattet. sollen für alle zugänglich sein. Ob Ge- bärdensprache, Leichte Sprache oder Vorlesefunktionen – Schritt für Schritt ergänzen wir damit unsere Homepage und unsere Druckerzeugnisse. Bei Veran- staltungen sind Gebärdendolmetscher vor Ort. Auch die Beschilderung der Wege soll barrierefrei werden. UNSER LEBEN soll so normal wie möglich sein. Dazu gehören auch attraktive Arbeitsange- bote für Menschen mit Behinderungen zum Beispiel in der Werkstatt, in Firmen der Region oder in unserem Inklusions- unternehmen paso doble. Unsere eigene Inklusionsbeauftragte baut ein Kompe- UNSERE GEMEINSCHAFT tenzzentrum auf, das als Schnittstelle Arbeitgeber und Institutionen vernetzt soll offen sein. Begegnungen helfen uns, und ein breites Beratungsangebot für einander kennenzulernen. Bei Kultur- Menschen mit Behinderung vorsieht. veranstaltungen, wie z. B. dem „Kaffee- klatsch“ und dem Sommerfest, oder im Sportverein – Menschen mit und ohne Behinderungen sind selbstverständlich mit dabei, egal ob in Kleinwachau oder in der Region. UNSER UMFELD wollen wir dafür sensibilisieren, Barrieren zu erkennen und abzubauen. Wir setzen uns gemeinsam mit den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein. So ist es bei uns inzwischen Tradition, dass der Ober- bürgermeister der Stadt Radeberg regelmä- ßig den Bewohnerbeirat besucht. inklusiv 25
NACHHALTIG Wir sind Bewahrer. Wir möchten Gottes Schöpfung erhalten. Deshalb wirtschaften wir sozial und ökologisch ausgerichtet. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 27
Nachhaltigkeit beginnt im Kleinen In unserer Kita „Baumhaus“ entdecken Kinder die Freude an der Natur. Reges Treiben auf dem Spielplatz der Radeber- zählt Wetzel und gibt ein Beispiel: „Wir hatten ger Kita „Baumhaus“: Kinder turnen an Holz- mit den Kindern ein Projekt zur Mülltrennung geräten, schauen beim Insektenhotel vorbei gemacht und sortieren hier auch im Alltag den und kehren mit kleinen Besen Laub zusammen Abfall konsequent. Die Kleinen nehmen sich – völlig freiwillig. Richard Wetzel schmunzelt: das an und beraten manchmal untereinander, „Für die Kinder ist das Laubspringen eine was nun in die gelbe oder schwarze Tonne und Sensation im Herbst. Deswegen bringen sie was auf den Kompost gehört.“ Dies sei ein manchmal ganz von allein Blätter auf unseren Grundprinzip der Kita: kleine Samen säen und Kompost – für einen schönen großen Laubhau- beobachten, wie sich Dinge dadurch entwi- fen.“ Der 33-jährige Heilerziehungspfleger be- ckeln und zur Selbstverständlichkeit werden. treut im Baumhaus die „Regenbogenbande“, wie er seine Gruppe gern nennt. Das herbst- liche Springen ist aber nur eines der Natur- erlebnisse für die Kinder. So hat jede Gruppe ihr eigenes Beet, wo Kräuter für das Mittag- essen, Beeren zum Naschen, Pfefferminze für den Tee und sogar Kartoffeln angebaut werden. Hier erleben die Kleinen, wie schön es ist, etwas wachsen zu sehen, zu ernten und ge- nüsslich zu verspeisen. Jeden Herbst wird vor der Kita extra ein großes Lagerfeuer gemacht und aus den eigenen Erdäpfeln eine deftige Suppe gekocht. „Kinder lieben das Machen. Deswegen müssen wir ihnen Nachhaltigkeit gar nicht groß erklären. Wir leben sie ihnen vor und vieles kommt dann ganz von selbst“, er- 28 nachhaltig
„Wenn wir Müll im Wald entde- men die Abfälle dann auch direkt mit“, berich- cken, reden wir mit den Kin- tet Wetzel. Auch beim Unterwegssein spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle: Unternimmt dern darüber und nehmen die das Baumhaus einmal größere Touren, werden Abfälle dann auch direkt mit.“ grundsätzlich nur öffentliche Verkehrsmittel Richard Wetzel, Kita „Baumhaus“ oder die eigenen Beine genutzt. Die allermeisten Spielsachen in der Kita be- Umsicht wurde schon beim Bau des Kita-Ge- stehen aus langlebigem Holz. Daneben lieben bäudes bewiesen, das seit 2008 auf dem die Kinder mitgebrachte Schätze wie Blätter, Gelände eines ehemaligen Friedhofs steht. Die Zapfen, Kastanien oder Steine. Sogar eine alten Linden rings um die Einrichtung wurden Tauschecke gibt es im Baumhaus. Hier können bewahrt und zeugen vom Respekt vor der Na- Eltern zum Beispiel Kleidung, die ihren Schütz- tur und der Geschichte des Ortes. Außerdem lingen zu klein aber wie neu ist, an andere sind die Kinder so natürlich gleich im Grünen, weitergeben. wenn es zum Spielen rausgeht. Überhaupt spielen die Großen eine nachhalti- Noch grüner wird es für die Baumhaus-Schütz- ge Rolle für das Baumhaus: „Ohne die Eltern linge immer montags. Auf diesen Tag freuen sähe es in unserer Kita längst nicht so schön sich alle ganz besonders, denn Montag ist aus. Sie reparieren Spielzeug, machen den Waldtag. Beim Spaziergang durch den nahen Garten winterfest und haben uns sogar schon Forst erleben die Kleinen nicht nur heimische einen Zaun und ein Gartenhaus gebaut“, freut Natur, sondern lernen auch immer wieder Bei- sich Wetzel. Das Häuschen wird von einer spiele, wie man respektvoll mit ihr umgehen Solarzelle gekrönt. Deren Strom nutzen die sollte: „Wenn wir Müll im Wald entdecken, Kleinen gern zum Radiohören oder Lichtma- reden wir mit den Kindern darüber und neh- chen – nachhaltig, ganz nebenbei. nachhaltig 29
WERTSCHÄTZEND Wir sind respektvolle Begleiter. Für uns ist Menschenwürde nicht nur ein Wort, sondern Maßstab unseres Tuns. Alle Menschen zu achten, ist für uns oberstes Prinzip im täglichen Miteinander. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 31
Ein ganzes, langes Leben Vom Wert der Momente. Aus einem Sommer, der nicht enden wollte, rungen an gemeinsame Ausflüge, ehemalige wurde ein Herbst, wie er im Bilderbuch steht. Kollegen und Bewohner. Dass darin geblättert Rund ein Dutzend Senioren genießen gemein- wird, ist nicht nur reiner Zeitvertreib, sondern sam die vielleicht letzten, wärmenden Strahlen ein wichtiger Teil eines strukturierten Allta- des Jahres. Mittendrin ist Falk Hellmig, Mit- ges. Besucher sind oftmals erstaunt darüber, arbeiter im Betreuungsdienst. Er sucht sich wie Seniorenbetreuung im Epilepsiezentrum einen freien Stuhl, nimmt Platz und legt ein Kleinwachau gelebt wird. Es herrscht eine dickes Buch auf seinen Schoß. Als er es auf- ganz besondere Atmosphäre, die kaum an ein schlägt, fangen seine Augen ebenso an zu Altenheim erinnert. Als solches möchte Falk leuchten wie die der Senioren. Das Fotoalbum Hellmig seine Arbeitsstätte auch nicht verstan- ist schon alt, aber prall gefüllt mit Erinne- den wissen. Denn Essen reichen, Inkontinenz- 32 wertschätzend
material wechseln oder beschmutzte Kleidung aus dem Miteinander, welches er Tag für Tag wechseln ist zwar wichtig, aber es sind nicht erlebt: „Die Offenheit, teilweise diese Liebe, die Kernaspekte seiner Arbeit. Es gibt sehr die mir vom ersten Augenblick an von den Leu- viel mehr, das sich schwer greifen lässt. „Es ten entgegen gebracht wurde, das werde ich geht um gemeinsames Leben und Erleben. nie vergessen. Die strahlenden Augen, diese Das ist das Wichtigste“, fasst es Falk Hellmig Freude und Neugier, das Kennenlernen wollen, zusammen. Die Chance dazu bietet sich jeden hat mich überwältigt und bis heute angehal- Tag aufs Neue. Viele der Bewohner sind schon ten.“ Umso unverständlicher ist für ihn, dass etliche Jahre hier, einige sind gar als Kinder Menschen in Kategorien wie "pflegebedürftig" oder Jugendliche nach Kleinwachau gekom- eingeteilt werden oder ihnen im Alter nur noch men. Die Biografien gleichen Geschichten, ein Mindestmaß an Zuwendung gewährt wird, die man spannender nicht schreiben könnte. das gerade so zum Überleben reicht. Mit einer Mischung aus Ärger, Trauer und Appell for- „Stell dir mal vor, du wärst in muliert er ein Gedankenspiel, das ins Grübeln bringt. „Stell dir mal vor, du wärst in dem Alter. dem Alter. Was würdest du dir Was würdest du dir wünschen, wie Menschen wünschen, wie Menschen mit dir mit dir umgehen sollen?“ So, wie Falk Hellmig umgehen sollen?“ und das Team mit den Senioren in Kleinwachau umgeht. Herzlich, ehrlich, liebevoll. Mit der Falk Hellmig , Mitarbeiter der notwendigen Distanz, um emotional bestehen Seniorenbetreuung zu können. Aber mit der Nähe, die Kummer und Probleme frühzeitig aufdeckt. „Es ist jeder Durch die intensive, tägliche Zusammenarbeit anders, jeder besonders, jeder individuell“, lernen Hellmig und seine Kolleginnen und Kol- fasst Hellmig zusammen. „Je besser man einen legen viele Details aus den Leben der Senioren Menschen kennt, desto mehr merkt man, was kennen. Bis weit in die DDR-Zeit, teilweise er braucht.“ An diesem Oktober-Tag sind es die noch davor. Genau hierin sieht Hellmig auch Sonnenstrahlen, über die sich die Besucher der den Unterschied, der die Seniorenbetreuung in Seniorenbetreuung alle gleichermaßen freuen. Kleinwachau „anders“ macht: „Wenn man über Dieses wärmende Glitzern der Sonne, das das Leben etwas erfährt, wird man demütig Schwelgen in Erinnerungen – das war es, was und bekommt großen Respekt, was die Leute sie heute brauchten. erlebt haben.“ Sichtlich bewegt und emotional aufgewühlt setzt er nach einer kurzen Gedan- kenpause fort: „Durch welche Tiefen sie immer wieder gegangen sind, wie sie sich immer wie- der durchgebissen und nie aufgegeben haben. Das ist unbeschreiblich.“ In der Tat ist es so, dass viele Bewohner inner- halb des Epilepsiezentrums öfter umgezogen sind als manch einer, der nicht hier lebt. Hinzu kommen die immer wieder neuen Konstellatio- nen, gesellschaftliche Umbrüche, neue Bezugs- personen, das sich immer wieder auf eine neue Umgebung Einstellen. Das alles zu verarbeiten ist nicht immer einfach. Auch nicht für Falk Hellmig, der seinen Job als seinen Traumberuf bezeichnet. Die Kraft dafür zieht der 56-jährige Kolumnentitel 33
ASSISTIEREND Wir sind Alltagsgefährten. Menschen sollen ihr Leben so selbständig wie möglich gestalten. Dabei unterstützen wir sie. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 35
Alltags- gefährten Unterstützung in jedem Alter. Es ist frisch an diesem Oktobermorgen. Auch nennt er seit gut einem Jahr ein freundlich ein- wenn der Tag verspricht, schön zu werden, lädt gerichtetes Einzelzimmer sein Eigen. Die Bilder das Wetter dazu ein, einfach im Bett liegen zu an den Wänden verraten, dass Herr Zimmer in bleiben. Das Epilepsiezentrum Kleinwachau seinem Leben schon einiges erlebt hat. Be- betreibt in Radeberg mehrere Außenwohn- sonders schöne Erinnerungen bewahrt er in gruppen. Hier herrscht bereits geschäftiges seinen Fotoalben auf, die wie aus einer ande- Treiben. Roland Zimmer ist schon seit einiger ren Zeit wirken. Es sind Erinnerungen an seine Zeit wach und bereit, in den Tag zu starten. Mit Zeit in Kleinwachau, die mittlerweile schon 70 seinen mittlerweile 78 Jahren schafft er zwar Jahre währt. Gefeiert hat er dieses Jubiläum vieles noch allein, aber ganz ohne fremde Hilfe erst kürzlich in der Seniorenbegegnungsstätte, kommt er nicht aus. Während er früher mit in die er sich immer noch täglich aufmacht. seinem Freund Lothar zusammengewohnt hat, Unterstützung beim Einkaufen und auch beim Zubereiten von Frühstück und Abendbrot er- hält er unter anderem von Tilo Schmieder. Hier, in der Außenwohngruppe, steht das selbst- bestimmte Handeln der Bewohner im Vorder- grund. Dabei wird jeder individuell so begleitet und unterstützt, wie es nötig ist. Dass Roland Zimmer und Tilo Schmieder sich seit Jahren kennen, bemerkt man am vertrauensvollen Umgangston. Ein eingespieltes Team, das gemeinsame Erinnerungen teilt. „Früher bin ich von Liegau nach Radeberg gelaufen. Jetzt 36 ELF WERTE. EINE HALTUNG. Kleinwachau
geht es mit dem Laufen nicht mehr so gut, da Auch auf politischer Ebene nimmt man Men- geht das leider nicht mehr“, schaut Roland schen wie Herrn Zimmer nun ernst und wahr. Zimmer zurück. „Hier einzuziehen war eine Wer, wie er, als Kind oder Jugendlicher in gute Entscheidung. Das war schwer für mich, einem Heim arbeiten musste, erhielt erst kürz- aber ich habe es trotzdem versucht.“ lich eine Entschädigungszahlung. Von diesem Geld konnte unter anderem ein Sessel gekauft Die Möglichkeit, in seinen eigenen vier Wän- werden, der Roland Zimmer jetzt beim Aufste- den zu wohnen, wurde Roland Zimmer erst hen hilft. Seinen Rollator fest im Griff macht spät zuteil. Als Kind musste er sich noch einen er sich auf den Weg in die Küche. Das Geschirr spartanisch eingerichteten Schlafraum mit sie- vom Frühstück muss abgewaschen werden. ben anderen teilen. Später gab es eine Errun- Das Abtrocknen übernimmt Herr Schmieder, genschaft in Kleinwachau: Er wohnte in einem während beide den weiteren Tagesablauf be- Zwei-Mann-Zimmer in einer Wohngruppe mit sprechen. Dringende Termine stehen heute nur zehn Leuten. Später ging er schließlich den keine an, Herr Zimmer hat heute frei. Nachdem Schritt in die Selbständigkeit. Eine wichtige Teller, Tasse und Besteck wieder sauber aufge- Erfahrung für ihn, wie Tilo Schmieder konsta- räumt sind, ist es an der Zeit, nach draußen zu tiert: „Wer 70 Jahre lang Bevormundung erlebt gehen. Herr Zimmer will seinen Freund besu- hat, dem fällt es schwerer, den Wandel für sich chen, der nebenan wohnt. Der Himmel ist mitt- selbst zu akzeptieren. Aber durch die Unter- lerweile aufgezogen, doch die Luft ist noch stützung zur Selbständigkeit bemerken die frisch. Der Tag verspricht, schön zu werden. Bewohner, dass sie wertgeschätzt werden.“ Kolumnentitel 37
CHRISTLICH Wir sind eine Wertegemeinschaft. Gottes Wort steckt in unserem Denken und Handeln. Als dia- konische Einrichtung verstehen wir unseren Auftrag als gelebte Nächstenliebe. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 39
Schutzengel Auf ihrem Weg durchs Leben vertraut Silke rerin. Und auch am Gemeindeleben beteiligt Kollath auf die Hilfe Gottes. Sie lebt und sich Silke Kollath, unter anderem beim all- arbeitet seit vielen Jahren in Kleinwachau, jährlichen Krippenspiel. „Letztes Jahr habe hat hier zum Glauben gefunden und wurde ich einen König gespielt, und auch dieses hier getauft. Jahr bin ich wieder dabei.“ Zunächst stehen Proben an. „Die Rollen werden immer mal „Als Christ soll man nett sein, mit anderen wieder geändert“, sagt Silke Kollath. Dann teilen und nicht so oft wütend werden“, werden gemeinsam mit Pfarrerin Elisabeth erklärt die 54-jährige. Das ist nicht immer Roth Texte gelernt. Am Heiligen Abend zieht einfach, denn auch in Kleinwachau kommt die Aufführung die zahlreichen Besucher es vor, dass man nicht einer Meinung ist. Mit immer wieder in ihren Bann. ihrer ruhigen, aber nicht zurückhaltenden Art hat Silke Kollath die besten Vorausset- Zum Jahresende wird es – wie bei den meis- zungen für ihre Funktion im Bewohnerbeirat. ten anderen auch – ein wenig hektischer. Diese nimmt sie sehr ernst. „Wenn mal etwas Zufrieden und ausgeglichen wirkt Silke nicht klappt, dann sagt man mir das“, erklärt Kollath trotzdem. „Aufgeregt kann ich nicht sie. „Und ich sage das dann weiter.“ Gehör sein. Sonst bekomme ich Anfälle.“ Doch auch für ihre und die Anliegen ihrer Kolleginnen hier vertraut sie auf Gott: „Der liebe Gott und Kollegen findet sie immer. hat mir schon mal Schutzengel geschickt, die ihre Hände schützend über meinen Im täglichen Gebet bittet sie oft um Gottes Kopf gehalten haben“, erinnert sie sich. Ihre Hilfe. Möglichkeiten, zu ihm zu sprechen, Lebensfreude und gewissermaßen Leichtig- gibt es im Epilepsiezentrum ausreichend. keit merkt man ihr in jedem Moment an. „Ich Neben Gottesdienst und Andachten gibt es fühle mich wohl hier“, antwortet sie auf die regelmäßige Gesprächsangebote der Pfar- Frage, was sie mit Kleinwachau verbindet. 40 christlich
Grenzgänger Wer in die Klinik nach Kleinwachau kommt, dämpftes Licht, an der Wand Tücher in liturgi- hatte möglicherweise bereits vorher mit ihm schen Farben, eine Bibel, ein Gästebuch – hier telefoniert: Helmut Keller. Der 52-jährige ist kann man sich Gott widmen. Die Einträge zei- einer von drei Kollegen, die die Aufnahme von gen, dass dieses Angebot angenommen wird. Patienten koordinieren. Ein Vollzeitjob, der den Als Helmut Keller einen neuen Stift neben das Patienten aber von Anfang an das Gefühl gibt, Gästebuch legt, spricht er in ruhigem Ton: „Hier in guten Händen zu sein. haben Menschen, die Glauben im Herzen tra- gen, einen Ort, das auch auszuleben. Glauben Helmut Kellers Stimme hat einen Grundton, ist etwas, an dem man sich reibt. Das gilt auch der innere Zufriedenheit vermittelt und beru- für mich.“ Hier, wo kein Telefonklingeln die higend wirkt. Unverkennbar sind seine schwä- Ruhe stört, bleibt Zeit, einen Blick in die Bibel bischen Wurzeln zu hören, auch wenn er schon zu werfen. „Wenn wir das Buch aufschlagen lange hier in Sachsen zu Hause ist. „Ich bin und darin lesen, erhalten grade auch selbst nach der Wende zu meiner Frau nach Leipzig erlebte Dinge einen anderen Hintergrund. Im gezogen. Mittlerweile bin ich seit 19 Jahren in praktischen Alltag merke ich immer wieder, Kleinwachau“, fasst der sympathische Kranken- dass das keine alten Geschichten sind. Beson- pfleger zusammen. ders dann, wenn sich Alltagsdinge wunderbar fügen und sie mich zum Staunen bringen, weil „Wenn man an Gott glaubt, ich keine vernünftige Erklärung dafür habe.“ kann man keine Rolle einneh- men, die nicht dem Nächsten, Dass er vor allem in Ostdeutschland damit zu einer Minderheit gehört, ist für Keller weniger dem Mitmenschen dient.“ ein Problem. Er hat die Erfahrung gemacht, Helmut Keller, Mitarbeiter Aufnahme Klinik dass die Mitglieder der Kirchen hierzulande einen festeren Glauben haben. Mit einem Ihm liegt es sichtlich am Herzen, mit Men- Augenzwinkern ergänzt er: „Dort, wo die Volks- schen zu arbeiten und Gutes weiterzugeben. frömmigkeit höher ist, lebt sich der Alltag auch Auch wenn es, wie er sagt, auf dieser Welt viel nicht anders, als hier.“ Aber eben jener holt ihn destruktives Wirken gibt. „Ich habe in meinem schnell wieder ein: Das Telefon klingelt. Am Leben schon viel nachgedacht und bin zu dem anderen Ende ist ein Patient, der Kleinwachau Schluss gekommen, dass wir auf einer Welt le- kennenlernen will, und als erstes auf die ruhige ben, die nicht gut ist. Aber sie hat einen guten Stimme von Helmut Keller trifft. Kern.“ Der bekennende Christ sieht darin kei- nen Widerspruch, sondern vielmehr Ansporn: „Passt das zu meinem christlichen Glauben? Ja, denn wenn man an Gott glaubt, kann man kei- ne Rolle einnehmen, die nicht dem Nächsten, dem Mitmenschen dient.“ In der diakonischen Einrichtung fand er den passenden Arbeitge- ber. Wo Menschen an ihre Grenzen kommen, kann es viele Berührungspunkte zum Glauben geben. Dann ist auch Helmut Keller da und begleitet Patienten in den Andachtsraum. Ge- Kolumnentitel 41
Glaube in außergewöhn- lichen Situationen In Kleinwachau fallen Menschen in Uniform zwar noch auf, man freut sich aber über deren tatkräftige Unterstützung. Seit im Jahr 2008 die Kooperation zustande kam, unterstützt die Dresdner Offizierschule des Heeres das Epilepsiezentrum Kleinwachau bei Fußballturnieren, ermög- licht Bewohnern und Patienten die Teilnahme am Weihnachtsmarkt, hilft beim Sommerfest oder stellt Sachspenden zur Verfügung. Auch Oberstleutnant Henry Kunze ist Kleinwachau schon lange verbun- den. Eine Aufführung, die im Rahmen des Kleinwachauer Sommerfestes stattfand, berührte ihn ganz besonders. Auf einer bunt geschmückten Bühne stellten Menschen mit Behinderungen eine Zirkusszene dar. Im Mittelpunkt, zwischen Luftballons und fröhlichen Gesichtern, stand ein Mädchen, welches von allen am schwersten gehandicapt war und nur mit den Augen kommunizierte. Zu jedem Zeitpunkt wurde sie aber ins Spiel mit einbezogen. Dieser Moment spiegelt auch sein Empfinden wider, wie er das Miteinander in Kleinwachau erlebt: „Jeder hat seinen Platz, und es wirkt insgesamt wie eine große Familie.“ Der Mann, dessen freundlicher Blick fast im Widerspruch zu seiner grün- braun-schwarzen Uniform in Tarnmuster stehen, beschreibt seinen Glau- ben als „viele dünne Anstriche, die zusammen eine dicke Farbschicht ergeben“. Er lebt und erlebt Glauben vor allem in Alltagssituationen. Im täglichen Dienst, bei Einsätzen oder in Verbindung mit dem Militärpfar- rer. Gemeinsam mit dem Geistlichen organisierte Kunze einmal bei 30 Grad einen Weihnachtsgottesdienst auf dem Hoteldach in Bamako, der Hauptstadt Malis. Glaube in außergewöhnlichen Situationen erlebbar zu machen, bedeutet für ihn Christsein. Für seine Arbeit heißt das, Men- schen, die durch Krieg oder Anschläge in missliche Lage geraten sind, wieder auf die Füße zu helfen. 42 christlich
„We are all the same“ Wir sind alle gleich vor Gott. Das große, schlanke Mädchen mit der dunklen Haut wirkt trotz ihres offenen und herzlichen Lächelns eher schüchtern. Als sie jedoch einer Bewohnerin begegnet, ergreift Lorraine Tatenda Kawuyu die Hand der älteren Dame und begrüßt sie mit fröhlicher Stimme. Es wirkt, als ginge buchstäblich die Sonne auf. Die beiden Frauen kennen sich aus dem Wie- senhaus, in dem die 22-jährige im September ihr Freiwilliges Soziales Jahr begann. „Meine Mutter arbeitet als Krankenschwester in Zimbabwe und erzähl- te während meiner Kindheit häufig von ihrem Arbeitsalltag. Seit ich denken kann, möchte ich Menschen helfen und Gutes bewirken. Des- wegen ist mein großes Ziel, auch Krankenschwester zu werden“, erzählt die Afrikanerin. Die Arbeit und das Leben in der Mitte von Menschen mit Behinderung fasziniert sie besonders, denn „wir sind alle gleich vor Gott“. Der Glaube gehört für sie zum Alltag. Genauso wie mit ihrer Familie ist Lorraine Tatenda Kawuyu mit Gott mindestens einmal am Tag im Gespräch. Alle Freude und alle Sorge teilt sie mit ihm. Für letzteres gab es bisher kaum einen Anlass, da sie bisher viel Freundlichkeit in Deutschland erfahren hat. Vor reichlich einem Jahr kehrte sie ihrer Heimat Zimbabwe den Rücken, ohne zu wissen, wann sie zurückkehren würde. Die Neugier auf andere Kulturen, Sprachen und Menschen sowie das Vertrauen in Gott wogen schwerer als der Ab- schiedsschmerz. Kurz nach ihrer Ankunft in Freiberg, wo sie als Au-pair arbeitete, fühlte sie sich ein einziges Mal unwohl, nämlich als ihr be- wusst wurde, dass sie als Einzige eine andere Hautfarbe habe. Wenn ein Bewohner ihrer Gruppe in Kleinwachau sie heute noch fragt, ob sie zu lange in der Sonne gewesen sei, kann sie darüber herzlich lachen. „Wir sind alle gleich vor Gott“, bleibt ihre entwaffnend ehrliche Antwort. ELF WERTE. EINE HALTUNG. Kleinwachau 43
HERAUSGEFORDERT Wir sind Chancennutzer. Dem ständigen Wandel in Politik und Gesellschaft begegnen wir konstruktiv. Kraft und Durchhaltevermögen schöpfen wir auch aus unserer langen Geschichte. Kleinwachau. ELF WERTE. EINE HALTUNG. 45
Rudolf Möller, Bereichsleiter Wohnen Inklusion ist eine Generationenaufgabe Wir packen das an. Der Hauptstadtflughafen BER, die Elbphilhar- vielen weiteren Bemühungen Kleinwachaus im monie in Hamburg – zwei Bauvorhaben, die Zuge der Inklusion deutliche Zeichen. länger gedauert haben als erwartet. Wer baut, muss heute vor allem Geduld haben. Und wer Doch der Reihe nach. Gegenüber der Fachklinik an Inklusion baut, noch viel mehr. Das gilt auch befindet sich das Baufeld für das Tannenhaus. im Epilepsiezentrum Kleinwachau. Hier soll in Ein Gebäude, dessen erster Spatenstich im den kommenden Jahren neben einem neuen, Oktober 2018 von Regina Kraushaar begleitet inklusiven Schulcampus auch das Tannenhaus wurde. Die Staatssekretärin im Sächsischen entstehen, ein modernes Wohnheim mit Ein- Sozialministerium machte in ihrer Rede auf die zelapartments und zugleich das erste Pflege- Besonderheiten des Neubaus aufmerksam: „Zu heim des Epilepsiezentrums. Während beide Hause alt werden, zu Hause gepflegt werden, Vorhaben für sich bereits innovativ sind, setzen mit Menschen zusammen sein, die wir lieben sie in Betrachtung mit dem Medizinischen Zen- und mit denen wir eine gemeinsame Geschich- trum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB), te haben, das wünschen wir uns doch alle. Und dem Inklusionsunternehmen paso doble und so finde ich es nur konsequent, dass das Epi- 46 herausgefordert
lepsiezentrum Kleinwachau behinderten altge- können, als jetzt ist, dann wäre das toll", so wordenen Menschen dieses Angebot machen Dieter. Inklusion bedeutet, am bestehenden wird, wenn diese pflegebedürftig werden.“ System zu rütteln. Da erscheint es nur logisch, dass es auch mahnende Stimmen gibt. Von Bis der Bau fertig sein wird, ist jedoch noch denen will sich der Schulleiter jedoch nicht jede Menge Arbeit erforderlich. Rudolf Möller, den Optimismus nehmen lassen. „Inklusion ist Bereichsleiter Wohnen, erklärt zu den Hinter- eine Generationenaufgabe. Wir als Epilepsie- gründen: „Das Bundesteilhabegesetz bringt ja zentrum schaffen Berührungspunkte zwischen sowieso gerade jede Menge Bewegung in alle behinderten und nichtbehinderten Schülern, Wohnangebote für Menschen mit Behinderun- der Umgang wird zur Normalität“, sagt Die- gen. Gesetzliche Veränderungen zwingen uns ter. „Vor zwei Jahren gab es ein gemeinsames also auch zum Umdenken. Wir hoffen, dass wir Zirkusprojekt, das mich emotional sehr berührt mit dem Tannenhaus ein gutes Schema gefun- hat. Denn ich konnte bei der Aufführung nicht den haben, um Teilhabe an der Gemeinschaft mehr erkennen, wer aus unserer Schule war durch die Verbindung von Pflegeleistungen und wer nicht. Und es spielte auch keine Rolle. und Eingliederungshilfe zu ermöglichen.“ Genau das sind die Chancen, die wir mit dem Projekt ermöglichen können.“ Laut aktueller Planungen soll das Tannenhaus Ende 2020 bezugsfertig sein. Im selben Jahr Für das Epilepsiezentrum Kleinwachau sind soll der Spatenstich für einen neuen Schulcam- beide Projekte ein Aushängeschild für einen pus erfolgen. Die Grundschule Liegau-August- neuen Umgang mit behinderten Menschen. Mit usbad kann nicht erweitert werden und sucht dem Schulcampus schafft man Möglichkeiten nach einem neuen Standort. Deswegen bietet für die Jüngsten in unserer Gesellschaft, den es sich an, die Grundschule an die Förder- Gedanken der Inklusion tatsächlich mit Leben schule Kleinwachau anzubauen, die Turnhalle zu füllen. Mit dem Tannenhaus hingegen wird zu erweitern und somit einen gemeinsamen den Ältesten unter uns die gesellschaftliche Schulstandort im Dorf zu schaffen. „Der Vor- Teilhabe zuteil, die sie nach einem nicht immer entwurf steht. Momentan wird gerade der einfachen Leben verdient haben. Denn ob Architektenwettbewerb von der Stadt Rade- behindert oder nicht, ob jung oder alt – das Be- berg ausgeschrieben. Wir müssen bei der dürfnis nach Geborgenheit haben wir alle. Der architektonischen Lösung dann schauen, wo erste Spatenstich, das zu ermöglichen, wurde von vornherein bereits Strukturen aufgefasst gemacht. Nun braucht es vor allem Geduld. werden, die die Begegnung unterstützen“, so Matthias Dieter, Schulleiter der Förderschule Matthias Dieter, Bereichsleiter Bildung Kleinwachau. Denn im Gegensatz zu ande- ren Projekten arbeiten hier zwei Schulträger zusammen an einer Idee. Dem Zwang, von Anfang an jeden Bereich zwingend inklusiv zu gestalten, fühlen sich jedoch beide Partei- en nicht unterworfen. Aber die Grundlagen werden geschaffen. Und das ist das Wichtige. „Ein Sprichwort sagt, man schafft Strukturen in Beton und die halten 100 Jahre. Wenn ich von Vornherein Strukturen schaffe, die flexibel sind, ist das gut. Denn auch Schule wird sich in den nächsten einhundert Jahren weiterentwi- ckeln. Wenn wir sagen, wir bauen von Vorn- herein so, dass wir miteinander mehr machen
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