Erfahrungen und Strategien europäischer Städte zur Einbeziehung von Roma-Communities
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Erfahrungen und Strategien europäi- scher Städte zur Einbeziehung von Roma-Communities Working Paper III der Evaluation des Berliner Aktions- plans zur Einbeziehung ausländischer Roma Anne von Oswald Januar 2019 Im Juli 2013 startete in Berlin der Ak- strukturell oder projektspezifisch et- tionsplan zur Einbeziehung ausländi- was angestoßen bzw. verändert ha- scher Roma mit zwei übergeordneten ben. Angesichts der Quellenlage ist Zielen: Einerseits soll mit der Bünde- dabei eine Beurteilung, inwieweit die lung von Maßnahmen den ausländi- Ansätze tatsächlich zur Verbesserung schen Romnja und Roma der Zugang der gesellschaftlichen Teilhabe der zu staatlichen Regelsystemen erleich- Zielgruppe beigetragen haben bzw. tert werden. Andererseits dient der beitragen, nicht möglich bzw. es ist Plan dazu, Antiziganismus zu be- Zurückhaltung gegenüber der Inter- kämpfen. pretation der Ergebnisse geboten. Es geht im vorliegenden Papier um An- Für das vorliegende Working Paper regungen und Denkanstöße für die III werden Ansätze und Maßnah- Weiterentwicklung des Aktionsplans men im Bereich der Integration von Roma und der Berliner Praxis. zugewanderten Romnja und Roma in sechs ausgewählten Städten in Die Evaluation des Aktionsplans Deutschland und weiteren Ländern Roma wird von Minor – Wissenschaft der Europäischen Union identifi- Gesellschaft durchgeführt und läuft ziert und analysiert: Barcelona, von Januar 2018 bis Dezember 2019 Dortmund, Leeds, Mannheim, mit dem Ziel, eine Basis für die Wei- Im Auftrag der Frankfurt am Main sowie Wien ste- terentwicklung des Aktionsplans hen für beispielhafte Ansätze oder Roma zu schaffen. Maßnahmen, die
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte Inhaltsverzeichnis 1. Einführung ...................................................................................................................2 1.1. Die Rolle der Städte und Kommunen ............................................................................ 3 1.2. Städtische Strategien und Handlungsansätze: Ein Überblick........................................ 6 1.3. Ausgewählte Strategien und Ansätze aus europäischen Städten ................................. 8 2. Barcelona: Lokale Strategie für die Roma-Bevölkerung ..................................................9 3. Dortmund: Vom „Roma-Netzwerk“ zur „Gesamtstrategie Neuzuwanderung“ .............. 12 3.1. Entwicklung von Steuerungsstrukturen ...................................................................... 12 3.2. Handlungsansatz Ankunftsquartier in der Dortmunder Nordstadt: Alles an einem Ort …………………………………………………………………………………………………………………………………………. 14 3.3. Dualer Bachelorstudiengang Armut und (Flüchtlings-)Migration an der Fachhochschule Dortmund ..................................................................................................... 15 4. Frankfurt am Main: Erfahrungen im Bereich vorschulische und schulische Bildung sowie Übergang Schule-Beruf ...................................................................................................... 16 4.1. Die Kindertagesstätte und Schule „Schaworalle“: Ein Modell- und Pilotprojekt ........ 17 4.2. Berufsbildungsprojekt für Roma-Jugendliche und Erwachsenenbildung ................... 18 5. Leeds: Koordinierte Migrationsstrategie ..................................................................... 18 6. Mannheim: Lokale Koordinierung mit der Arbeitsgruppe Südosteuropa ...................... 20 7. Wien: Stärkung der Roma-Kultur(en) – Die Ausstellung „Romane Thana – Orte der Roma und Sinti“ .......................................................................................................................... 24 8. Ausblick ..................................................................................................................... 25 Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 27 Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................... 34 Anhang I: The Congress of Local and Regional Authorities (2011): Resolution 333. The situation of Roma in Europe: A challenge for local and regional authorities ....................................... 35 | 1
1. Einführung „Alle Integration bzw. Inklusion gelingt oder scheitert ‚vor Ort‘, also in den Kommunen.“ (Bade 2014: 3) Städte und Kommunen bewegen sich zwischen europäischen und nationalen Vorgaben auf der einen Seite, und lokalen und regionalen Herausforderungen auf der anderen (Baraulina 2007: 26-32). Aus dem Zusammenspiel von EU- und Bundesprogrammen und spezifischen regionalen Bedarfen entstehen unterschiedliche und maßgeschneiderte Maßnahmen der kommunalen In- tegrationspolitik. In dem vorliegenden Working Paper werden Strategien, Ansätze und einzelne Maßnahmen im Bereich der Teilhabe und Integration von zugewanderten Romnja und Roma in ausgewählten Städten in Deutschland und weiteren Ländern der EU analysiert. Konkret werden Städte unter- sucht, in die in den vergangenen Jahren verstärkt Romnja und Roma, die meisten davon Unions- bürgerinnen und Unionsbürger aus Südosteuropa, zugewandert sind. Hierzu haben die ausge- wählten Städte unterschiedliche strategische Ansätze der Integrationspolitik gewählt, um mit dieser Zuwanderung umzugehen. Wesentliche Voraussetzung für die Auswahl der Städte war zum einen eine beispielhafte Heran- gehensweise, die vom ganzheitlichen Ansatz bis zu spezifischen, auf ein Handlungsfeld oder eine Gruppe fokussierten städtischen Maßnahmen reicht und für die Weiterentwicklung des Aktions- plans Roma von Interesse sein könnte. Zum anderen spielten die Verfügbarkeit von relevanten Referenzdokumenten und Empfehlungen des zuständigen Referats beim Beauftragten des Se- nats von Berlin für Integration und Migration eine wesentliche Rolle in der Auswahl der europä- ischen Städte. Die Berliner Antwort auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit den neuen EU-Zuwan- derungen nach 2004 und 2007 wird im Working Paper I analysiert. Unter Berücksichtigung des „EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ aus dem Jahr 2011 sowie der bundesdeutschen Antwort darauf wird die lokale Herangehensweise über die Umset- zung des Berliner Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma beleuchtet (Oswald & Pfef- fer-Hoffmann 2018: 2-6). Mit dem Anfang 2019 folgenden Working Paper II liegen nun erste Empfehlungen für die Wei- terentwicklung des Aktionsplans Roma vor, die auf Grundlage eines Dialogprozesses mit den zentralen Akteuren von Juni bis Dezember 2018 entstanden sind. Aus Fokusgruppen, u. a. mit Migrantenorganisationen sowie mit der Zielgruppe, in großen Dialogforen mit Verwaltungen und Institutionen nach dem Ansatz „alle an einen Tisch“ sowie in Einzelgesprächen wurden In- formationen und Einschätzungen zusammengetragen und analysiert. Aus der damit entstandenen Multiperspektive zu komplexen Herausforderungen und multiplen Problemlagen wurden erste Empfehlungen für eine Weiterentwicklung des Aktionsplans Roma, zu den einzelnen Handlungsfeldern sowie zur Lenkungsgruppe und dem Berichtsystem entwi- ckelt (Oswald & Maksuti 2019). 2 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte Das vorliegende Working Paper III stellt Strategien und Handlungsansätze aus Barcelona, Dort- mund, Leeds, Mannheim, Frankfurt am Main sowie Wien vor, die Anregungen für die Evaluation und Analyse der Entwicklungsmöglichkeiten des Aktionsplans Roma in Berlin bieten. An dieser Stelle soll nochmals betont werden, dass die Auswertung der vorhandenen Doku- mente es nicht ermöglicht, Bewertungen und Schlüsse über eine tatsächliche, erfolgreiche Teil- habe und Integration der Zielgruppe über die Umsetzung der gewählten Beispiele vorzunehmen. Notwendig dazu wären zugängliche Evaluationsberichte, die Minor nicht vorlagen. Ob und in- wieweit die ausgewählten Maßnahmen in den europäischen Städten tatsächlich Erfolge ver- zeichnen, ist für die Weiterentwicklung des Berliner Aktionsplans Roma nicht von Bedeutung. 1.1. Die Rolle der Städte und Kommunen Früher als auf der europäischen oder nationalen Ebene forderten die Gemeinden und Regionen Europas bereits Anfang der 1990er Jahre notwendige Maßnahmen, um die Integration von Rom- nja und Roma in den Gemeinden zu erleichtern (Standing Conference of Local and Regional Au- thorities of Europe 1993). Aber erst knapp zwei Jahrzehnte später wurde auf europäischer Ebene im Juni 2011 der „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ ver- abschiedet (Europäische Kommission 2011: 1-16). Mit diesem wurden alle europäischen Mit- gliedsstaaten aufgefordert, innerhalb von sechs Monaten, bis Ende 2011, eigene nationale Stra- tegien zur Einbeziehung der Romnja und Roma oder integrierte Pakete mit politischen Maßnah- men im Rahmen ihrer breiter angelegten Politik der sozialen Eingliederung auszuarbeiten bzw. ihre vorhandenen Strategien und Maßnahmen zu aktualisieren. Noch bevor die Entwicklung von lokalen Aktionsplänen bzw. von Bündeln lokaler politischer Maßnahmen empfohlen wurde (Empfehlungen des Rates der EU 2013: 2f.), veröffentlichte der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats (die Nachfolgeorganisation der Ständi- gen Konferenz) einen sehr detaillierten, mit klaren Zielen versehenen Beschluss für die lokalen und regionalen Behörden (Congress of local and regional authorities 2011: 1-3). Empfohlen wur- den Maßnahmen auf lokaler Ebene in den Handlungsfeldern Bildung, Gesundheit, Wohnen, Em- powerment und Partizipation der Romnja und Roma, die heute noch als richtungsweisende Ziel- vorgabe für europäische Städte gelten (siehe dazu den Anhang I). Noch im selben Jahr 2011 wurde auf dem Gipfel der Bürgermeister zu Roma (Summit of Mayors on Roma), das vom Kongress der Gemeinden und Regionen und dem Sondervertreter für Roma- Fragen des Generalsekretärs des Europarats organisiert wurde, der Vorschlag unterstützt und verbreitet, eine Europäische Allianz der Städte und Regionen für die Eingliederung der Romnja und Roma zu gründen (Summit of Mayors on Roma 2011). Im März 2013 wurde die Europäische Allianz offiziell gegründet, die „als Rahmen für die Ko- operation, den Austausch guter Praktiken, die Stärkung der kommunalen und regionalen Kapa- zitäten, die Identifizierung konkreter Probleme und das Vorschlagen von Lösungsansätzen die- nen und dazu beitragen soll, die Finanzierung für Roma-bezogene Aktivitäten an der Basis si- cherzustellen“. Sie zählt heute mehr als 130 Städte aus 29 Ländern, darunter auch Berlin sowie die Städte Leeds und Barcelona, auf die im Folgenden näher eingegangen wird (European Alli- ance of Cities and Regions for Roma Inclusion 2015). | 3
Das Bewusstsein für die Schlüsselrolle der Städte bei der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung von ethnischen Minderheiten durch die Umsetzung kommunaler Initiativen ist weiter angestie- gen und wird insbesondere durch das EUROCITIES Netzwerk vorangebracht.1 Forderungen, dass die städtischen Behörden unbedingt beteiligt werden sollen, werden lauter und dringlicher: „Die kontinuierliche und systematische Einbeziehung der Städte und deren Kommunen ist zwingend notwendig, um eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Einbeziehung der Roma in Europa zu gewährleisten“ (Eurocities 2015: 4). Die Ergebnisse der Evaluation des „EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ vom Dezember 2018 verdeutlichen nochmals die Notwendigkeit von umfassen- den Strategien, um die multiplen Gründe für die Ausgrenzung der Romnja und Roma auf lokaler Ebene erfolgreich anzugehen: Dabei geht es an erster Stelle um die Bekämpfung von Antiziga- nismus und Diskriminierung, das weiterhin begrenzte politische Engagement auf nationaler Ebene, die bestehende mangelnde Teilhabe der Romnja und Roma, begrenzte institutionelle Ka- pazitäten und um unzureichende Mittel und Förderungen (Europäische Kommission 2018a: 3). Die folgende Abbildung 1 verdeutlicht die europäischen Entwicklungen im Politikfeld, die beson- ders Städte und Kommunen berücksichtigen und damit dazu beitragen, den Blick vor Ort zu stär- ken und mit den nationalen und europäischen Entwicklungen zu verknüpfen. 1 EUROCITIES ist ein Netzwerk europäischer Großstädte. Die Mitglieder sind die gewählten lokalen und kommunalen Regierungen der wichtigsten europäischen Städte. EUROCITIES wurde 1986 von den Bür- germeistern von sechs Großstädten gegründet: Barcelona, Birmingham, Frankfurt, Lyon, Mailand und Rotterdam. Aktuell sind die lokalen Regierungen von über 140 der größten Städte Europas und über 45 Partnerstädte vertreten. 4 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte Dez. •Europarat: Standing Conference of Local and Regional Authorities of Europe: Resolution 249 on gypsies in europe: the role and responsibility of local and regional authorities 1993 Feb. •Europarat: Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten 1995 Dez. •Europäisches Parlament: Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000 Dez. •Gründung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) 2007 März •Europäische Kommission: Strategie Europa 2020 2010 Apr. •Europäische Kommission: The 10 Common Basic Principles on Roma Inclusion 2010 Okt. •Europarat: Straßburger Deklaration für Roma 2010 März •Europäisches Parlament: Entschließung zur EU-Strategie zur Integration der Roma 2011 Apr. •Europäische Kommission: EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 2011 Sept. •Europarat: First European Summit of Mayors on Roma organisiert vom Congress of Local and Regional Authorities 2011 Okt. •Europarat: Congress of Local and Regional Authorities: Resolution 333. The situation of Roma in Europe: a challenge for local and regional authorities 2011 •EUROCITIES Network: Roma Inclusion working group 2011 März •Europarat: European Alliance of Cities and Regions for the inclusion of Roma and Travellers 2013 Jun. •Europäische Kommission: Weitere Schritte zur Umsetzung der nationalen Strategien zur Integration der Roma 2013 Dez. •Rat der EU: Empfehlungen für wirksame Maßnahmen zur Integration der Roma in den Mitgliedstaaten 2013 März •Europarat: Thematic Action Plan on the Inclusion of Roma and Travellers (2016-2019) 2016 Aug. •Europäische Kommission: Midterm review of the EU Framework for National Roma Integration Strategies 2017 2017 Dez. •Europäische Kommission: Bericht über die Evaluierung des EU-Rahmens für nationale Startegien zur Integration der Roma bis 2020 2018 Abbildung 1: Überblick der europäischen Entwicklungen unter besonderer Berücksichtigung der Städte und Kommunen. Zeitleiste © Minor | 5
Die örtliche Arbeit der Städte und deren Kommunen mit Neuzugewanderten im Rahmen ihrer entwickelten Integrationskonzepte stößt dabei immer wieder an Grenzen, die allein auf kom- munaler Ebene nicht zu bewerkstelligen sind, sondern auch gesamtstaatliche und europäische Lösungen bedürfen. Die Bekämpfung von Antiziganismus und eine nachhaltige gesellschaftliche Teilhabe zu sichern, ist weiterhin, wie die Ergebnisse der Evaluation der Europäischen Kommis- sion vom Dezember 2018 gezeigt haben, in allen europäischen Ankunftsstädten eine dringende Aufgabe, die nur mit landes-, bundesweiter und europäischer Unterstützung angegangen wer- den kann (Europäische Kommission 2018). Wie bereits im Working Paper II der Evaluation analysiert, ist es wichtig, dass die beteiligten Institutionen und Akteure sowohl lokal, aber auch überregional mehr und besser zusammenar- beiten sollten. Notwendig sind zum einen interkommunale Austauschforen für einen überregi- onalen Wissenstransfer. Zum anderen sind darüber hinaus Entscheidungs- bzw. Veränderungs- prozesse, die von den örtlichen Akteuren in Richtung der Landes-, Bundes- und EU-Ebene ange- stoßen werden, zu stärken. Auf kommunaler Ebene ist es in erster Linie die „AG Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien“ des Deutschen Städtetages, die 2012 eingerichtet wurde. Kom- munale Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher deutscher Zuwanderungsstädte, wie Berlin, Hamburg, München, Duisburg, Mannheim u. a. entwickeln gemeinsame Lösungsvor- schläge für drängende Herausforderungen, wenn dafür die Unterstützung auf Bundes- oder EU- Ebene notwendig ist (Certa 2017:19). 1.2. Städtische Strategien und Handlungsansätze: Ein Überblick Die bisher umfangreichste Erfassung von städtischen Strategien und Handlungsansätzen zur In- tegration von Romnja und Roma wurde vom Netzwerk Eurocities im Jahr 2017 durchgeführt. Die befragten Städte identifizieren folgende drei Hauptherausforderungen, denen Romnja und Roma in den Städten begegnen (Eurocities 2017: 14): Schwieriger Zugang zu Beschäftigung Schwieriger Zugang zu angemessenem Wohnraum Diskriminierung und Antiziganismus Darüber hinaus werden der Zugang zu kostenloser und qualitativ hochwertiger Bildung, man- gelnde Vertretung im politischen und öffentlichen Leben und ein negatives Image in den Medien in der Erfassung als notwendige Handlungsschwerpunkte hervorgehoben. Die meist räumliche Segregation der Romnja und Roma in den ärmsten Stadtteilen und Nach- barschaften verstärken die festgestellten Zugangsschwierigkeiten und erhöhen Armut und Ar- mutsrisiko. Obwohl Armut nicht nur einen großen Teil der neuzugewanderten Romnja und Roma, sondern benachteiligte Gruppen im Allgemeinen betrifft, handelt es sich häufiger um ext- remere Formen von Armut, die über Generationen hinweg fortbestehen (a. a. O.: 15). 6 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte Gezielte Maßnahmen 16 Lokale Roma Integrationsstrategie 12 Projekte zur Öffnung von Regeldiensten für Roma 9 Informationsvermittlung oder 7 Sensibilisierungsmaßnahmen Ausbildung von Sozialarbeitenden / 6 Verwaltungsmitarbeitende Training von Romamediatorinnen und -mediatoren 5 Inklusive Praktiken bei der Bereitstellung von 5 Dienstleistungen Antidiskriminierungsmaßnahmen 3 Mainstreaming der Romaperspektive in alle 1 Policybereiche 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Abbildung 2: Städtische Initiativen für die Einbeziehung von Roma, nach genannter Häufigkeit in den Berichten der Städte2 Eigene Darstellung nach Eurocities 2017: 33, deutsche Übersetzung Minor © Minor Die Auswertung von Eurocities (siehe Abbildung 2) verdeutlicht die Gewichtung der unterschied- lichen Ansätze und Initiativen hinsichtlich der Integration von Romnja und Roma in der Stadtge- sellschaft. Zielgerichtete Maßnahmen in spezifischen Handlungsfeldern wie Bildung, Wohnen und Arbeit bilden die Mehrzahl der Maßnahmen (16 von 22 befragten Städten), gefolgt von lo- kalen Strategien oder Aktionsplänen (12 von 22 befragten Städten), wie beispielsweise Berlin mit seinem Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma (Oswald & Pfeffer-Hoffmann 2018) und Barcelona (siehe dazu vorliegendes Working Paper). Ausschließlich einige wenige Städte konzentrieren sich auf Antidiskrimierungsmaßnahmen und nur eine Stadt hat einen Roma-Mainstreaming Ansatz im Sinne einer Querschnittsaufgabe für Politik und Verwaltung entwickelt und eingeführt. Insgesamt wurden fünf allgemeingültige Erfolgsfaktoren aus den Erfahrungen der Stadtinitiati- ven zur Integration von Romnja und Roma identifiziert: 1. Die Einführung eines integrierten Ansatzes zur Integration von Romnja und Roma und dessen Umsetzung durch eine multilaterale Koordinierung. Dies impliziert eine abteilungsübergreifende 2 Die Zahlen geben an, welche Initiativen die 22 Städte 2 gemeldet haben. Jede Stadt berichtete über meh- rere Initiativen. Befragt wurden Oslo, Stockholm, Gothenburg, Malmo, Vantaa, Glasgow, Leeds, Belfast, Sheffield, Grenoble, Nantes, Gent, Berlin, Dortmund, München, Vienna, Budgoszcz, Poznan, Brno, Buda- pest, Barcelona, Beylikduzu (ein Stadtteil von Istanbul). | 7
Zusammenarbeit von Dienstleistungen (Arbeitsämter, Schulen, Ärztinnen und Ärzte, Sozialarbei- tende). 2. Eine Kombination aus sozialraum- und personenbasierten Lösungen. Das Leben der Romnja und Roma zu verbessern bedeutet, die Lebensbedingungen in ihren Wohngebieten zu verbes- sern und auf ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen. 3. Die Einbeziehung von Romnja und Roma in die Gestaltung, Umsetzung und Evaluierung von Maßnahmen. Je mehr Romnja und Roma von Anfang an involviert werden, desto effektiver die Initiativen. 4. Starke Partnerschaft zwischen der Stadt und Roma-Organisationen. 5. Die Sicherstellung von Finanzierung zur Weiterführung von Projekten nach der Pilotierung. Projekte sind oft zu kurz, um tatsächliche Effekte in den Leben der Zielgruppe zu erzielen. Ohne langfristige Finanzierung können Maßnahmen weder nachhaltige Interventionen fördern noch das Vertrauen der Roma-Community gewinnen (Eurocities 2017: 33). Diese Ergebnisse bestätigen die Evaluation der Europäischen Kommission, die auf europäischer und nationaler Ebene eine Abkehr von projektbasierten Ansätzen und die Entwicklung von sys- tematischen Ansätzen dringend einfordert: „The present evaluation shows that the sustainability of the results of the EU Framework could be secured only if the following steps are undertaken by the Com- mission and Member States: (i) allocation of EU and national funding is consistent; (ii) inclusive public policies that recognise the needs of the most vulnerable, both Roma and non-Roma are developed; and (iii) Roma are involved through consulta- tion in the decision making process“ (European Commission 2018: 216). Die Wirkungsanalyse von ergriffenen Maßnahmen in den Städten bleibt jedoch nach wie vor eine schwer zu begegnende Herausforderung. In drei Vierteln der von Eurocities befragten Städte existiert kein System zur Erfassung der Situation von Romnja und Roma. Der Grund hier- für ist, dass die meisten Mitgliedstaaten die Erfassung von Daten und Informationen zur ethni- schen Zugehörigkeit untersagen. So berufen sich die meisten Statistiken in diesem Bereich auf Schätzungen, basierend auf Staatszugehörigkeiten und Sprachen. Dies hat allerdings den Nach- teil, dass Maßnahmen nicht auf genaue und belastbare Zahlen und Daten gestützt werden kön- nen (Open Society Foundation 2010: 4). 1.3. Ausgewählte Strategien und Ansätze aus europäischen Städten Im Folgenden werden aus den ausgewählten Städten einzelne Maßnahmen, Ansätze oder Stra- tegien vorgestellt, die keineswegs das Ziel haben, einen Überblick oder eine Bewertung über die lokale Gesamtentwicklung der Partizipation und Integration von ausländischen Romnja und Roma zu geben. Stattdessen ist das Ziel der folgenden Ausführungen, lokale Aspekte und Beson- 8 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte derheiten zu analysieren, die für die Weiterentwicklung des Berliner Aktionsplans Roma von Be- deutung sein können. Diese beziehen sich dezidiert auf einzelne erste Empfehlungen, die im Working Paper II der Evaluation des Berliner Aktionsplans Roma analysiert wurden (Oswald & Maksuti 2019). Ausgewählt wurden Beispiele, die für die erarbeiteten Empfehlungen der ersten Dialogphase des Evaluationsprozesses im Jahr 2018, Anregungen für die Weiterentwicklung des Aktionsplans Roma und der Berliner Praxis liefern (siehe dazu Working Paper II): Gesamtstrategische Ansätze für Zuwanderung und Migrationsmanagement, wie u.a. in Dortmund, Mannheim oder Leeds Lokale Strategien für die Romnja- und Roma-Bevölkerung, wie u. a. in Barcelona oder Strategien im Ankunftsquartier, wie in Dortmund Beispiele zur Öffnung der Regelstrukturen über Informationsverbesserung sowie verstärkte Vernetzung von Beratungsstellen und Regelangeboten, wie u.a. Anima in Mannheim und die aktive Karte der Stadt Leeds Ansätze in Bereichen und Handlungsfeldern der vorschulischen, schulischen Bil- dung, am Übergang Schule-Ausbildung und Studium, wie u.a. die Angebote des Fördervereins Roma in Frankfurt a. M. und der Bachelor-Studiengang Soziale Ar- beit mit dem Schwerpunkt „Armut und (Flüchtlings-)Migration“ an der Fachhoch- schule Dortmund Beispiele im Bereich Community Building und Stärkung von Community-Netzwer- ken, von Roma-Kulturen und der Menschenrechtsbildung, wie u.a. in Leeds und in Wien. 2. Barcelona: Lokale Strategie für die Roma-Bevölkerung Die Stadt Barcelona hat sich seit nunmehr mehreren Jahrzehnten für die Einbeziehung der ein- heimischen Roma in die Stadtgesellschaft in folgenden Arbeitsbereichen eingesetzt: Schaffung des Gemeinderats der Romnja und Roma im Jahr 1989 Anerkennung der Roma Community durch Unterstützung der Feier des Internatio- nalen Tages der Roma am 8. April Begleitung von Opfern von Diskriminierung durch das Amt für Bürgerrechte und Nichtdiskriminierung der Stadt Barcelona Unterstützung von Programmen und Projekten zur Förderung der Chancengleich- heit und zur Verbesserung der Lebensqualität der Roma von Barcelona in verschie- denen Bereichen wie Zugang zu Wohnraum, Bildung, Arbeit und der Wertschät- zung der Roma-Kultur Trotzdem gab es in der Stadt kein kommunales Programm, das speziell an Romnja und Roma gerichtet war, sondern ausschließlich viele unterschiedliche Einzelmaßnahmen. Dies wurde in | 9
Barcelona unter dem Namen „lokale Strategie für die Roma-Bevölkerung in Barcelona“ (Est- ratègia local amb el poble gitano3 de Barcelona) im Jahr 2015 eingeführt. Obwohl es sich aus- schließlich an die einheimische Roma-Bevölkerung richtet und nicht an die EU-Zugewanderten, ist diese Strategie u.a. für das Thema der Miteinbeziehung der Roma-Organisationen in die Kom- munalpolitik von Interesse für Berlin. Die lokale Strategie wurde aus einem partizipativen Prozess heraus entwickelt, an dem sich so- wohl Fachpersonal der Stadtverwaltung und anderer Organisationen, Roma-Vereine und Roma- Institutionen, Gemeindevertreterinnen und -vertreter sowie Romnja und Roma beteiligt haben. Die Ergebnisse sind aus Fachgesprächen, Interviews, Besuchen in der Nachbarschaft, themati- schen Sitzungen und Arbeitssitzungen mit dem Gemeinderat der Roma in Barcelona (Consejo Municipal del Pueblo Gitano de Barcelona, CMPGB) hervorgegangen. Dieser wurde bereits im Jahr 1989 gegründet und besteht aus 20 Roma-Organisationen. Sein Ziel ist die Beobachtung der kommunalpolitischen Vorgänge in beratender Funktion und die Organisation des nunmehr jähr- lich stattfindenden Internationalen Roma-Tags. Unterstützt wird der Gemeinderat finanziell und organisatorisch von der Stadt Barcelona. Die Strategie stützt sich seit ihrer Entstehung auf die institutionelle Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen städtischen Strukturen mit externer Unterstützung durch andere Verwaltun- gen, um eine Koordinierung zwischen den Verwaltungen zu erreichen, die auch spezifische Pläne für die Romnja- und Roma-Community entworfen haben. Die Arbeit des CMPGB und seine Interaktion mit der Stadtverwaltung hat es aus Sicht der Stadt ermöglicht, die Pluralität und Vielfalt der Roma Community mit den Gemeinsamkeiten und un- terschiedlichen Visionen sichtbar zu machen. Die lokale Strategie für die Roma-Bevölkerung in Barcelona basiert auf vier Prinzipien: 1. Soziale und wirtschaftliche Inklusion: Die Stadt muss dafür sorgen, dass alle Bürger und Bür- gerinnen die gleiche Behandlung erfahren und die gleichen Rechte haben, insbesondere in den vier gekennzeichneten Bereichen für die 2020-Strategie der Europäischen Union: Bildung, Be- schäftigung, Wohnen und Gesundheit. 2. Empowerment: Befähigung mit den notwendigen Methoden und Instrumenten, um als Gruppe Bewusstsein zu erzeugen und um positive Veränderungen zu erreichen. 3. Anerkennung der kulturellen Vielfalt der katalanischen Romnja und Roma: Viele Romnja und Roma sind bereits seit mehreren Jahrhunderten in Barcelona ansässig. Ein Teil dieser Commu- nity gilt als katalanisch und viele Merkmale der Kultur der Romnja und Roma sind Teil der kata- lanischen Kultur. 3 Der benutzte Begriff „Gitano“ müsste eigentlich mit „Zigeuner“ übersetzt werden, hier wird stattdessen der Begriff „Roma“ verwendet. Die lokale Strategie für die Roma-Bevölkerung in Barcelona liegt aus- schließlich in katalanischer Sprache vor und wurde von Minor übersetzt: Estratègia local amb el poble gitano de Barcelona: diagnosi í línies dáctuació. Ajuntament de Barcelona. Edició de març de 2015. 10 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte 4. Frauen als Motor für Transformation: Romnja befinden sich oft in der schwierigen Situation, sich ihrer Eigenständigkeit bewusst zu werden und entsprechend zu handeln, aber gleichzeitig werden sie als diejenigen eingeschätzt, die die Werte an die Kinder weitergeben. Sie gelten als die Stütze der Community der Romnja und Roma. Die Prinzipien der lokalen Strategie basieren auf vier Handlungsachsen (siehe INFOBOX 1). INFOBOX 1: Die vier Handlungsachsen der lokalen Strategie für die Romnja- und Roma-Bevöl- kerung in Barcelona 1. Ungleichheiten reduzieren, Chancen erhöhen A. Chancen erhöhen in der formalen Bildung Ziel 1: Zugang zu Bildung. Sicherstellen mindestens des Grundschulabschlusses aller Kinder Ziel 2: Bekämpfung der Abbruchsquoten und Verbesserung der Schulerfolge Ziel 3: Förderung der Roma-Kultur in der Schule B. Bekämpfung der Ungleichheiten in der nicht formalen Bildung Ziel 1: Annäherung der Jugend der Roma Community an die Arbeitswelt Ziel 2: Förderung der digitalen Kultur für die Gruppe der Romnja und Roma C. Ungleichheiten in der Arbeitswelt reduzieren Ziel 1: Arbeitsmarktintegration fördern Ziel 2: Förderung der Nichtdiskriminierung beim Zugang zum Arbeitsplatz Ziel 3: Förderung der Selbständigkeit D. Reduzierung der Ungleichheiten beim Zugang zu Wohnungen Ziel 1: Förderung einfacher Kommunikation mit dem Wohnungsamt in Barcelona Ziel 2: Steigerung der Lebensqualität in den Nachbarschaften der Stadt mit bedeutender Präsenz von Romnja und Roma 2. Konsolidierung und Förderung des persönlichen und familiären Wohlstandes Ziel 1: Förderung eines gesunden Lebens Ziel 2: Verbesserung der psychosozialen Gesundheit von benachteiligten Familien Ziel 3: Vermittlung von Informationen über verfügbare Ressourcen Ziel 4: Sichtbarkeit der Familienwerte der Romnja und Roma Ziel 5: Förderung der Beratung in verschiedenen Themen 3. Koordinierung der Maßnahmen der Kommunalverwaltungen der Stadt Ziel 1: Koordination der verschiedenen Abteilungen der kommunalen Verwaltung Ziel 2: Information über und Öffnung für die Identität der Romnja und Roma Ziel 3: Schulung des Personals der Kommunalverwaltung Ziel 4: Koordination mit dem Integrationsplan Roma der Generalitat de Catalunya 4. Anerkennung der Roma-Kultur Ziel 1: Sichtbarkeit der Kultur der Romnja und Roma Ziel 2: Einbeziehung der Romnja und Roma in der Entstehung von Programmen Ziel 3: Erhöhung der Mittel für Roma-Vereine Ziel 4: Erhöhung der Präsenz von Roma-Organisationen in der Stadt Ziel 5: Einsatz von Mediationsagenten zur interkulturelle Mediation Ziel 6: Transfer der lokalen Strategie Estratègia local amb el poble gitano de Barcelona: diagnosi í línies dáctuació. Ajuntament de Barcelona. Edició de març de 2015: 58-69. Übersetzt in die deutsche Sprache durch Minor | 11
Alle Maßnahmen, die dieser Strategie entspringen, werden durch ein Prinzip der Förderung von Interkulturalität umgesetzt. Dieses Prinzip beinhaltet drei Schwerpunkte (Eurocities 2018: 2): Die Bekämpfung von Diskriminierung und Antiziganismus Die Anerkennung und Förderung der Kultur der Romnja und Roma Interkultureller Dialog und positive Interaktion Zur Umsetzung des ersten Schwerpunkts wurde eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet, die Beschwerden sammelt sowie Beratung und Mediation anbietet. Zudem wurde eine bewusst- seinsbildende Informationskampagne gestartet, die Arbeit mit Medien und in sozialen Netzwer- ken sowie Diskussionsgruppen der Roma Community und Akteurinnen und Akteure der Strate- gie zur Bestandsaufnahme und Auswertung der Situation der Romnja und Roma umgesetzt. Un- ter der zweiten Achse finden sich Maßnahmen zur Erinnerungskultur und Maßnahmen zur Er- haltung des Romanes. Die dritte Achse beinhaltet Maßnahmen, die auf die Inklusion, Partizipa- tion und Stärkung der Roma Community abzielen (Eurocities 2018: 2f.). 3. Dortmund: Vom „Roma-Netzwerk“ zur „Gesamtstrategie Neuzuwande- rung“ 3.1. Entwicklung von Steuerungsstrukturen Wie in anderen Ankunftsstädten von Romnja und Roma auch, brachte die verstärkte EU-Zuwan- derung die Stadt Dortmund in eine zunehmend schwierige Situation: Den prekären und multip- len Bedarfslagen der Neuzugewanderten standen nicht ausreichend Angebote und Fachkräfte zur Verfügung, die rumänisch, bulgarisch, türkisch und Romanes sprachen. Infolgedessen grün- dete sich Anfang 2011 das „Dortmunder Netzwerk EU-Zuwanderung“ (ehemals Roma-Netz- werk), das aus Fachleuten der Wohlfahrtsverbände und der Verwaltung bestand. Von 2011 bis heute hat sich die Kooperation im Dortmunder Netzwerk um u. a. Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammer, Agentur für Arbeit, Jobcenter, Kliniken, den Deutschen Gewerkschafts- bund, der Polizei und Staatsanwaltschaft stark erweitert. Inwieweit die Präsenz der Ordnungs- und einer Justizbehörde in einem solchen Netzwerk, ausschließlich der Bekämpfung von Anti- ziganismus sowie der Bekämpfung von Ausbeutungsstrukturen dient, kann hier nicht beantwor- tet, sollte jedoch kritisch geprüft werden. Ziel des Dortmunder Netzwerkes ist es, den fachlichen Austausch, die Vernetzung, vor allem die Angebote durch die gemeinsame Neu- und Fortentwicklung passgenauer Ansätze und Maßnah- men zu optimieren. Die Koordination und Steuerung des Netzwerks liegt bei der Caritas, der Diakonie und dem Sozialdezernat Dortmund, um die Organisation der nunmehr ca. 70 Akteurin- nen und Akteure in sechs thematischen Fachgruppen gewährleisten zu können. Aus dieser Struktur ging die Dortmunder Gesamtstrategie Neuzuwanderung im August 2016 hervor. Als rahmengebende Struktur funktioniert sie auf der Basis einer Prozesskoordinierung, für die seit 2014 von der Stadt Dortmund entsprechende Strukturen aufgebaut und weiterent- wickelt wurden. Für die Bereiche der Verwaltung wurden nach den bewährten Erfahrungen des 12 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte Netzwerkes EU-Zuwanderung Koordinatorinnen und Koordinatoren mit einem Teil ihrer Arbeits- zeit für das Handlungsfeld freigestellt. Gemeinsam mit den Koordinierungsteams der Netzwerk-Fachgruppen bilden die Verwaltungs- vertreterinnen und -vertreter die „Koordinierungsgruppe EU-Zuwanderung“, die als Kommuni- kations-, Kooperations- und Arbeitsstruktur eingerichtet wurde. Diese ermöglicht zum einen den direkten und transparenten Wissenstransfer über die Koordinierungsteams in die jeweiligen Fachbereiche und Netzwerke, zum anderen, wenn notwendig, eine effektive Optimierung der vorhandenen oder die Weiterentwicklung von neuen Lösungsansätzen. Die Ergebnisse der Koordinierungsgruppe werden durch die Prozesskoordinierung aufbereitet und auf die Ebene der Projektsteuerung gehoben, die aus der Dezernentin für Arbeit, Gesund- heit, Soziales, Sport und Freizeit in Kooperation mit der Dezernentin für Schule, Jugend und Fa- milie besteht. Auf dieser Ebene ist ein Abstimmungsgremium eingerichtet, das verbindliche Ver- einbarungen herbeiführt, in dem auf Leitungsebene neben den städtischen Fachbereichen und dem Jobcenter auch die Wohlfahrtsverbände und die Fachhochschule Dortmund vertreten sind: Der „Arbeitskreis Prozesssteuerung Neuzuwanderung“. Die Lenkung des gesamten Prozesses liegt beim Verwaltungsvorstand der Stadt Dortmund. Im Zuge der Fluchtzuwanderung ab 2015 bildeten sich Schnittmengen mit dem Handlungsfeld EU-Zuwanderung heraus: Trotz unterschiedlicher Rechtskreise treten die kommunalen Heraus- forderungen in beiden Feldern in denselben Bereichen – wie Arbeit, Bildung, Sprache, Gesund- heit und Wohnen – und oft bei denselben Akteuren auf. Die aktiven Träger beschlossen daher im August 2016 die Verbindung der Zuwanderungsthemen zur „Dortmunder Gesamtstrategie Neuzuwanderung“ (Certa 207: 18). Aktuell arbeiten rund 200 bis 300 Akteurinnen und Akteure in sechs Fachgruppen bzw. neun Handlungsfeldern, die jeweils von einem Koordinierungsteam, bestehend aus einer Vertreterin oder einem Vertreter eines freien Trägers und der Stadt oder dem Jobcenter, geleitet werden. Ziel ist es, die Handlungsfelder so zu verknüpfen, dass eine lückenlose individuelle Präventions- /Förderkette entsteht, die in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachregeldiensten greift (Dortmund 2017: 89). Die Einrichtung einer Gesamtkoordinierung mit dem Ziel, die systematische Vernetzung der Ak- teure und ihrer Angebote weiter zu optimieren, stellt eine Grundlage dar, die für die Prozess- und auch Ergebnisoptimierung im Land Berlin von Interesse sein kann. | 13
Prozesslenkung Verwaltungsvorstand der Stadt Dortmund Kommunikations- und Arbeitsstruktur: AK Prozesssteuerung Neuzuwanderung Gesamt-Prozesssteuerung (halbjährlich) Dezernentin für Arbeit, Gesundheit, Sozi- auf Leitungsebene: Städtische Fachbe- ales, Sport und Freizeit - 5/DEZ reiche, Jobcenter, Wohlfahrtsverbände, (in Kooperation mit Dezernentin für Fachhochschule Dortmund (Geschäfts- Schule, Jugend und Familie) führung: DEZ5/Koordinatorin Neuzu- wanderung) Prozesskoordinierung/Entwicklung Ge- Koordinierungsgruppe Neuzuwande- samtstrategie rung (vierteljährlich) DEZ5/Koordinatorin Neuzuwanderung Koordinator/innen Stadt Dortmund, Job- im Dezernat für Arbeit, Gesundheit, Sozi- center, Netzwerk-Fachgruppen, Landes-, ales, Sport und Freizeit (in Kooperation Bundes-, EU-Projekt mit Dezernat für Schule, Jugend und Fa- (Geschäftsführung: DEZ5/Koordinatorin milie) Neuzuwanderung) Abbildung 3: Neuzuwanderung in Dortmund: Lenkung und -koordinierung des kommunalen Ge- samtansatzes in Kooperation mit allen Akteuren im Handlungsfeld Eigene Darstellung nach Certa 2017: 18 © Minor 3.2. Handlungsansatz Ankunftsquartier in der Dortmunder Nordstadt: Alles an einem Ort Auf sozialräumlicher Ebene des Quartiers bietet die Ökumenische Anlaufstelle „Willkommen Eu- ropa“ ein Handlungsansatz, der an den faktischen Problemen der Menschen im Ankunftsquar- tier ansetzt. Diese Anlaufstelle in der Dortmunder Nordstadt, gegründet im Juni 2016, wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert und von einem Trägerverbund aus Caritasverband, Diako- nie, dobeq, GrünBau, Jobcentern und der Stadt Dortmund geführt. Im Jahr 2017 beschäftigte die Anlaufstelle 30 Mitarbeitende, die aufsuchend und mit einem muttersprachlichen Zugang 14 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte mit den Menschen arbeiten. Sie ist Anlaufpunkt für die Zielgruppe, Ausgangspunkt für die auf- suchende Arbeit und Schnittstelle der Angebote der weiterführenden Integrationsarbeit und Ar- beitsmarktintegration in enger Zusammenarbeit mit allen für die Zielgruppe relevanten Akteu- ren. Kooperationen mit Regeldiensten, Deutschkurse und berufliche Qualifizierungsangebote sowie die Zusammenarbeit mit der Clearingstelle Gesundheit befinden sich hier am selben Ort. Die Mitarbeitenden sprechen insgesamt zehn Sprachen, unter anderem Bulgarisch, Rumänisch, Türkisch, Italienisch, Russisch, Kroatisch und Polnisch. Auch die Vermittlung in den Arbeitsmarkt ist eine Hauptaufgabe des Zentrums. So wurden seit 2015 rund 1.000 Menschen in Arbeit vermittelt. In 2017 waren laut Angaben des Sozialdezernats zwei Drittel der vermittelten Personen in sozialversicherungspflichtigen Jobs beschäftigt. Hier- von arbeiten ca. 21 % im Sektor Produktion/Lager und Handwerk/Bau und weitere 15 % im Be- reich Reinigung. In der Gastronomie waren es 11 % (Stadt Dortmund 18a: 46). Zur Vermittlung in den Arbeitsmarkt wird eine Toolbox zur Feststellung und Bilanzierung von (berufsbezogenen) Kompetenzen, Fähigkeiten, Erfahrungen und Qualifikationen für die gering qualifizierten unter den Zugewanderten eingesetzt: Im Rahmen der aufsuchenden Arbeit wer- den mit Hilfe der Toolbox formelle und informell erworbene Kompetenzen der Zugewanderten erfasst und Weiterbildungsmöglichketen angeboten. Das Kompetenzfeststellungsteam kooperiert eng mit den Teams Aufsuchende Arbeit und Ar- beitsmarktintegration. So kann die Integration in den Arbeitsmarkt individuell und kontinuierlich begleitet werden. Hier erfolgt durch die individuelle Betreuung auch eine Sensibilisierung für die Mechanismen und Anforderungen des regionalen Arbeitsmarktes (dobeq 2018). Des Weiteren wird im Rahmen der Anlaufstelle eine integrierte Wohnungszugangsstrategie ent- wickelt: Neuzugewanderten Menschen werden Zugänge in angemessenen und bezahlbaren Wohnraum zu fairen Konditionen ermöglicht. Dafür werden Vermieter gewonnen, die zu regel- konformen Mietverhältnissen abseits ausbeuterischer Strukturen bereit sind und über das Pro- jekt bei der Bewirtschaftung ihrer Wohnungen, die sie für das Vorhaben zur Verfügung stellen, unterstützt werden. Die Mieterseite profitiert von wohnbegleitenden Hilfestrukturen der sozia- len Arbeit und Beratung vor Ort, die in enger Kooperation mit der Anlaufstelle Willkommen Eu- ropa erfolgt. Zur Zielgruppe gehören insbesondere Menschen aus den EU2-Staaten, für die Wohnraum erschlossen und mit regulären Mietverträgen gesichert werden soll. Perspektivisch sollen auch anderen benachteiligten Menschen, die an oder unterhalb der Armutsgrenze leben, diese Hilfen offenstehen (Certa 2017: 21f.). 3.3. Dualer Bachelorstudiengang Armut und (Flüchtlings-)Migration an der Fachhochschule Dortmund Ein weiteres Beispiel aus Dortmund ist der Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit mit dem Schwer- punkt „Armut und (Flüchtlings-)Migration“ am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Dortmund in Kooperation mit der Stadt Dortmund. Er wirkt dem großen Mangel an Fachkräften im Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit, die fachliche Kompetenzen in der Ar- | 15
beit mit neuzugewanderten Migrantinnen und Migranten aufweisen, entgegen. Ziel ist es, ins- besondere Menschen mit eigener Migrationsgeschichte im Rahmen der achtsemestrigen Hoch- schulausbildung zu qualifizieren, Zugänge zu marginalisierten Menschen zu finden. Als berufsbegleitender Studiengang werden die Studierenden neben ihrer theoretischen Ausbil- dung bei einem städtischen oder freien Träger der Sozialen Arbeit angestellt. Das Land Nord- rhein-Westfalen finanziert dabei den Einsatz der Studierenden. Seit dem Start zum Wintersemester 2014/15 konnten bei der Stadt Dortmund und den freien Trägern in unterschiedlichen Bereichen insgesamt 42 Studierende eingesetzt werden, 33 davon werden durch Landes-ESF-Mittel gefördert. Die Studierenden, die insbesondere mit EU-Zuge- wanderten und mittlerweile auch mit Geflüchteten arbeiten, sind eng vernetzt mit der Anlauf- stelle Willkommen Europa (Certa 2017: 24f.). 4. Frankfurt am Main: Erfahrungen im Bereich vorschulische und schulische Bildung sowie Übergang Schule-Beruf Im Folgenden werden zwei Modellprojekte in Frankfurt am Main beschrieben, die als positive Maßnahmen für den in Berlin empfohlenen Ausbau der Bereiche „Vorschulische und schulische Bildung“ und „Übergang Schule-Beruf“ als zusätzliches Angebot für Kinder und Jugendliche aus der Zielgruppe von Interesse sein können. Die Kindertagesstätte und Schule „Schaworalle“ und das „Berufsbildungsprojekt für Roma-Jugendliche und Erwachsenenbildung“ des Fördervereins Roma.4 Zielgruppe sind ausschließlich Romnja und Roma, vor allem aus Osteuropa, insbeson- dere aus Rumänien. Obwohl positive Maßnahmen - angesichts der weiterhin nicht ausreichend offenen, inklusiven und integrierenden Institutionen - aktive Kernelemente einer Antidiskriminierungspolitik dar- stellen, ist dennoch Vorsicht und Zurückhaltung in der Bewertung einer ausschließlichen Roma- Maßnahme geboten. Die Gefahr, dass durch die bloße Existenz einer Kindertagesstätte und Schule ausschließlich für ausländische Romnja und Roma ein Ort der Ausgrenzung und Abschie- bung geschaffen werden kann, sollte mitgedacht und berücksichtigt werden. Angesichts der stark verbreiteten Vorurteile und Stigmatisierungen von Roma ist das Risiko der Ethnisierung von Bildungsproblemen nicht von der Hand zu weisen. Dem entgegen steht das Modell- und Pilotprojekt „Schaworalle“ des Fördervereins Roma, dass gezielt einen Schutzraum für Kinder und Jugendliche von Roma Minderheiten aufgebaut hat, um den alarmierend hohen Anteil von Roma-Jugendlichen ohne Schulabschluss und damit einher- gehenden geringen Chancen einer qualifizierten beruflichen Perspektive entgegenzutreten. 4 Der Förderverein Roma besteht seit 1993 und beschäftigt zur Zeit 40 Personen. Etwas weniger als die Hälfte der Mitarbeitenden sind Romnja und Roma 16 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte 4.1. Die Kindertagesstätte und Schule „Schaworalle“: Ein Modell- und Pilotprojekt „Schaworalle“ kommt aus dem Romanes und bedeutet „Hallo Kinder“. Bundesweit einmalig, werden hier ausschließlich Kinder aus Romafamilien betreut und beschult. Die Kindertagesstätte besteht seit dem Jahr 1999 und umfasst neben einer Krabbelgruppe, einen Kindergarten, Schul- unterricht von der Vorklasse bis zum Hauptschulabschluss (formal und rechtlich anerkanntes Schulangebot), Mittagessen, Hausaufgabenhilfe und einem Freizeitprogramm am Nachmittag und in den Schulferien. Es handelt sich um ein formal und rechtlich anerkanntes Schulangebot mit den entsprechenden möglichen Schulabschlüssen. Neben Kindergarten und Schule versteht sich Schaworalle auch als Schutzraum: „Denn gerade wenn die Unterstützung der Roma unter Wahrung der kulturellen Identität das Ziel ist, bedarf es der Bewusstwerdung, des Findens der eigenen Rolle innerhalb der Mehrheitsgesellschaft. Die Tatsache, dass ausschließlich Romakinder betreut werden, vermittelt Sicherheit, gibt den Kindern die Möglichkeit, Erfahrun- gen und Erlebnisse zu artikulieren und zu reflektieren, die ihrem Leben eigen sind. So ist die Muttersprache Romanes, die Betreuung in Romanes, aber auch das Klären von Konflikten und Problemen in der Muttersprache ein unerlässlicher Baustein; zum einen, weil einige Kinder die deutsche Sprache unzureichend beherrschen, hauptsächlich aber, weil Sprache Teil kultureller Identität ist. Schutz der Kinder und Jugendlichen, Prävention und die Identität der gesellschaftlichen Minderheit sowie Vermittlung und Information nach außen spielen in der Arbeit eine ebenso ent- scheidende Rolle wie die gemeinsame Suche nach einer Perspektive, die konkrete individuelle Hilfestellung und die Beratung der Familien“ (Förderverein Roma e.V. 2018 b: 4). „Schaworalle“ ist eine Einrichtung für 70 Kinder im Alter von 3 bis 14 Jahren, die regulär über das Schulamt der Stadt Frankfurt, das Jugend- und Sozialamt Frankfurt und das Landesjugend- amt finanziert wird, ergänzt durch Lehrerstellen und Lehrmittelausstattung über die Kooperati- onsschulen. Hinzu kommen zehn Kinder der Krabbelgruppe. Die Einrichtung ist seit August 2009 montags bis freitags von 8.15 bis 17.45 Uhr geöffnet (Förderverein Roma e.V. 2018b: 9). Schaworalle ist in formaler und rechtlicher Hinsicht anerkannter Unterrichtsort, genannt die „kleine Schule“. Sie ist als Alternative zur Regelschule konzipiert und zuständig für Kinder, die aufgrund von Überalterung, mangelnder Sprachkenntnis, unsicherem Aufenthalt, häufigem Wohnungswechsel oder aufgrund des Misstrauens von Romnja und Roma vor der Institution Schule, diese nicht oder nicht mehr besuchen. Die Lehrerschaft ist bestimmten Kooperations- schulen im Grundschulbereich und Hauptschulbereich zugeordnet und die Schülerschaft be- kommt Zeugnisse mit dem Briefkopf der jeweiligen Schule. Die pädagogischen Teams der Grup- pen bestehen aus den ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern sowie Roma-Mitarbeitenden und Sozial- oder Diplompädagoginnen und -pädagogen (Förderverein Roma e.V. 2018b: 13-15). So- zialberatung, Jugendhilfe, ein Beschäftigungsprojekt für Jugendliche und junge Erwachsene so- wie ein Erwachsenenbildungsprojekt sind weitere Angebote des Trägers Förderverein Roma e.V. | 17
4.2. Berufsbildungsprojekt für Roma-Jugendliche und Erwachsenenbildung Seit Mitte 2003 führt der Förderverein Roma e.V. das Berufsbildungsprojekt für Roma-Jugendli- che durch. Dieses ist seit 2007 über das Jugend- und Sozialamt Frankfurt am Main, dem Rhein- Main-Jobcenter Frankfurt am Main, durch ESF-Gelder sowie die Stiftung ProRegion der Fraport AG finanziert. „Maßgebliches Ziel ist es, die Beschäftigungsfähigkeit von Roma-Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu verbessern und damit zum Abbau von Diskriminierung und Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt beizutragen. Der Teufelskreis von mangeln- der Qualifikation, Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen und Straffälligkeit soll durchbrochen und eine adäquate Alternative in den Bereichen schulische und berufliche Bildung geschaffen werden. Die Projektteilnehmenden werden perspektivisch in die Lage versetzt, für ihre eigene Existenz und für ihre Fa- milien sorgen zu können“ (Förderverein Roma 2018a: 2). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Berufsorientierung nur dann erfolgreich ist, wenn die Inhalte die Jugendlichen überzeugen, wozu vor allem die Kommunikation und Zusammenarbeit mit und die Begleitung von Jugendlichen und Eltern als auch die enge Kooperation mit externen Partnern die Voraussetzung bilden. Daneben wird ein Erwachsenenbildungsprojekt für Romnja und Roma mit einem Kontingent von 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Alter von 14 bis 27 Jahren durchgeführt. Schwerpunkte dieses Angebots sind Alphabetisierung, Grundbildung, berufliche Orientierung und Weiterver- mittlung in Qualifikation, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit. Gefördert wird die Maßnahme vom Jobcenter Frankfurt. Der Tätigkeitsrahmen umfasst Schule, Kurssystem und Praktika. Der Eintritt ins Projekt erfolgt in Kooperation mit dem Jobcenter Frankfurt, dem Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt, dem Staatlichen Schulamt der Stadt Frankfurt, den Schulen in Frankfurt, der Jugendgerichtshilfe, der Bewährungshilfe, sozialen Beratungsstellen und durch Eigeninitiative (Förderverein Roma e.V. 2018a). 5. Leeds: Koordinierte Migrationsstrategie Neben London kann die Stadt Leeds mit über 170 verschiedenen ethnischen Gruppen und über 104 verschiedenen Sprachen als „superdivers“ eingeordnet werden (Vertovec 2007: 6). Aus- drückliches Ziel der Stadt ist es, Migranten-Communities und ihren Beitrag zur Wirtschaft, Kultur und Vielfalt der Stadt Leeds wertzuschätzen und zu unterstützen sowie der Zuwanderung aus den EU-Ländern Osteuropas vor allem in bestimmte Ankunftsquartiere von Leeds mit seinen Herausforderungen gerecht zu werden. Leeds hat einen strategischen, koordinierten und integrativen Ansatz entwickelt, der eine Ant- wort auf Einwanderung und gleichberechtigter Teilhabe in enger Kooperation mit den Migran- ten-Communities geben soll: „A Strategic, Coordinated and Inclusive Approach to Migration in Leeds“ von 2017 (City Council Leeds 2017). 18 |
Erfahrungen und Strategien europäischer Städte Zuvor wurden im Jahr 2016 folgende Schwerpunkte erarbeitet, die in der Migrationsstrategie von Leeds aufgenommen wurden: Verständnis der sich ändernden Demografie der Stadt schaffen: Es sollen commu- nity-basierte Initiativen entwickelt werden, die lokale Lösungen anbieten. Die Mitarbeitenden der Verwaltung sollen mit Wissen ausgestattet werden, um gefährdete Zugewanderte und Geflüchtete zu identifizieren und ihnen geeignete Maßnahmen anzubieten. Die Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen für die Bereitstellung geeigne- ter Lernumgebungen, die den Bedarfen von Zugewanderten, Flüchtlingen und Kin- dern mit Migrationshintergrund entsprechen, soll gestärkt werden. Informationen über und Bereitstellung von Angeboten zum Erlernen der engli- schen Sprache sollen ausgebaut werden. Zusätzliche staatliche Finanzierung für Schulen zur Unterstützung der Bildung und des Wohlergehens der in Frage kommenden Kinder und Jugendlichen soll abgesi- chert werden (City Council Leeds 2016). Im Rahmen des Aufbaus einer koordinierten Migrationsstrategie werden zusätzlich auch be- stimmte Maßnahmen ausgebaut, die sich an spezifische Zielgruppen richten. Die Stadt hat für die Roma Community ein Team zusammengestellt, welches mit Familien und Jugendlichen zu- sammenarbeitet, Beratung und Unterstützung anbietet. Der Leeds City Council hat vier Schlüsselprioritäten in seinen Integrationsansätzen identifiziert, die für die Unterstützung der zugewanderten Romnja und Roma aus der Stadtpersepktivewich- tig sind. Dabei soll die aktive Zivilgesellschaft gezielt aufgebaut werden, indem der Leeds City Council Freiwilligeneinsatz und Aktivitäten zum Community Building aktiv fördert und finanziert (Eurocities 2017: 12f.): Bereitstellung integrierter und zugänglicher Dienste und Leistungen: Regeldienste werden für die Roma Community über gezielte Partnerschaften mit Organisatio- nen geöffnet. Beschäftigungsförderung für Erwachsene. Auf die Bedürfnisse der lokalen Communities eingehen: Um einen demokratischen Prozess zu fördern, wird hier der lokalen Community durch Community-Building - Maßnahmen eine gemeinsame Stimme verschafft. Hilfe für Menschen in finanziellen Schwierigkeiten: Hier sollen Abhängigkeitsver- hältnisse von Sozialleistungen verringert, Verschuldung abgebaut und der Zugang zu erschwinglichen Krediten verbessert werden. | 19
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