"Mehr Stadtmarketing mit Baukultur" - Arbeitsgemeinschaft Deutsche ...

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E DITOR IAL                                                     1

„Mehr Stadtmarketing mit Baukultur”
Die Jahreszeit bringt es mit sich: im Schein der Lichter       der Themen wie Leerstand und Wohnungsbedarfe, Klima
der Weihnachtsmärkte erstrahlen die Fachwerkfassaden           und Qualifikation für den Erhalt der baukulturell einzigarti-
unserer Mitgliedsstädte und locken viele tausende Be-          gen Lebensräume in unseren Fachwerkstädten ist.
sucher an. Familien und Freunde treffen sich auf einen
Glühwein oder Punsch auf den Plätzen und Straßen in            Neben weiteren Höhepunkten wie der diesjährigen Mit-
den historischen Zentren unserer Städte. Sie erfreuen sich     gliederversammlung in Nehren, unsere erfolgreichen
an der Schönheit und Vielfalt der historischen Fassaden        Gästeführerseminare und das sehr gut besuchte Seminar
und genießen die Geborgenheit der Jahrhunderte alten           zur Wirtschaftlichkeit von Fachwerk- und anderen Immo-
Fachwerke und Stadtstrukturen.                                 bilien konnten wir mit dem Newsletter der Arbeitsgemein-
                                                               schaft einen weiteren Schritt hin zu mehr Digitalisierung
Die Frage, wie sich die praktische und gewinnbringende         umsetzen.
Zusammenarbeit von regionaler Baukultur und Tourismus
gestaltet, stellt sich aber nicht nur zur Weihnachtszeit. An   Viele ausgezeichnete Veranstaltungen und Vorhaben in
dieser Fragestellung arbeiten wir in vielen unserer Veran-     unseren Mitgliedsstädten haben das Jahr 2019 geprägt
staltungen, in denen wir Ideen und Beteiligte vorstellen       und sind damit gute Beispiele, wie die Saat für weitere
und Erfahrungen diskutieren. Auch der diesjährige bun-         erfolgreiche Jahre in unseren Fachwerkstädten gedeihen
desweite Baukulturdialog der Bundesstiftung Baukultur          kann. Mit dieser Aussicht möchte ich auch das Jahr 2019
hat sich in unserer Mitgliedsstadt Celle mit der Frage aus-    verabschieden und grüße Sie und alle Mitarbeiter und
einandergesetzt, wie Baukultur dem Stadtmarketing nutzt.       Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle in Fulda. Ich wün-
                                                               sche Ihnen und Ihren Lieben
Insgesamt stellt sich das Jahr 2019 nicht nur mit den vie-
len erfolgreichen Veranstaltungen der Fachwerktrienna-
le für die Arbeitsgemeinschaft positiv dar. Diese großen,
                                                               Gesegnete Weihnachten und
von der Bundesregierung geförderten Projekte erfor-            ein frohes neues Jahr!
derten dieses Jahr hohen Einsatz. Aber wie bei unserer
Abschlussveranstaltung in Berlin erkennbar ist, zeigen die     Ihre
Ergebnisse wie wichtig dieser Einsatz vor der Aktualität       Maren Sommer-Frohms
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    Neues Miteinander – Neue Strukturen –
    Neues Wissen
    Fachkonferenz „Kommunen innovativ“ vom 11. bis 12. September 2019 in Halle (Saale)

    Laura Plugge                                                    um technische, sondern auch um soziale Prozesse und
                                                                    Innovationen.
    Bereits zum dritten Mal fand die Fachkonferenz des
    Forschungsvorhabens „Kommunen innovativ“ des                    In den darauffolgenden Themenräumen, die den Kern
    Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)             der Veranstaltung über die zwei Tage darstellten, wur-
    statt. Nach Hamburg und Dortmund ging es nun in                 den verschiedene Kommunen innovativ Vorhaben the-
    den Volkspark nach Halle (Saale), um über Projektfort-          menspezifisch aufgeteilt und erhielten die Gelegenheit,
    schritte und Ergebnisse aus den Kommunen innovativ              ihre Fortschritte und Ergebnisse vorzustellen. Unter den
    Vorhaben zu berichten. Rund 180 Teilnehmerinnen und             Überschriften „Neues Miteinander“, „Neue Strukturen“
    Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltungen           und „Neues Wissen“ wurden Räume für neue Impulse
    und Bürgerinitiativen vermittelten in verschiedenen Vor-        und Verantwortungen gesucht, neue Organisations-
    tragsformaten ihre Erfahrungen aus den einzelnen Pro-           und Finanzierungsmodelle entwickelt und der Weg
    jekten. Vorträge über aktuelle Entwicklungstendenzen            vom Datenmanagement zu Verständnis und Entschei-
    galten dabei als Anstoß für die Diskussionsrunden.              dungen vorgestellt.

    Unter anderem definierte Prof. Dr. Stefan Siedentop vom         In der abschließenden großen Diskussionsrunde am
    Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung zu          zweiten Tag wurden die Ergebnisse der Themenräume
    Beginn der Veranstaltung den Begriff der Zukunftsfähig-         vorgestellt und vor dem Hintergrund aktueller Entwick-
    keit. „Zukunftsfähig zu sein, ist schwer“, lautete es bereits   lungstendenzen diskutiert. Eva Nemela von der Körber-
    zu Beginn seines Vortrags, er bat damit die Zuhörer,            Stiftung betont die Wichtigkeit der „3 K´s“ – Kommunika-
    eine zukunftsfähige Entwicklung nicht zu unterschät-            tion, Kooperation, Kompetenzen – zwischen städtischen
    zen. Ohne grundlegende Voraussetzungen, wie zum                 Verwaltungen, den Bürgern, Institutionen und der Wis-
    Beispiel die finanzielle Ausstattung und die Bereitschaft       senschaft. Die Wissenschaft spielt dabei die Rolle, ak-
    für Transformation und Innovation, kann es keine Basis          tuelle Entwicklungsstände zu diagnostizieren und lang-
    für langfristige, nachhaltige und zukunftsfähige Pro-           fristige Ziele und deren Potentiale und Umsetzbarkeit zu
    zesse geben. Viele Kommunen leiden unter „extremen              definieren. Prof. Dr. Peter Dehne von der Hochschule
    Instandhaltungsrückständen“, so Siedentop, sodass in            Neubrandenburg hält fest, dass viele Projekte und Ini-
    vielen Fällen zunächst einmal grundlegende Strukturen           tiativen bereits erfolgreich umgesetzt worden sind. Aus
    erneuert und modernisiert werden müssen, bevor lang-            diesem Repertoire an Erfahrungen und Ergebnissen, so
    fristige und zukunftsfähige Entwicklungen in die Wege           Dehne, sollten sich neue Projekte und Initiativen bedie-
    geleitet werden. Dabei, so Siedentop, geht es nicht nur         nen und ihren individuellen Ansprüchen anpassen.

    Reger Betrieb vor dem Bürgerfondsstand bei den Marktplatzführungen.                                  Foto: Laura Plugge
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Bei den Podiumsdiskussionen wurden die Ergebnisse aus den Themenräumen zusammengefasst.        Foto: Laura Plugge

Katrin Fahrenkrug vom Institut Raum & Energie und         Dazu zählt auch der Bürgerfonds, das Projekt unserer
auch Dr. Stephanie Bock vom Deutschen Institut für        Arbeitsgemeinschaft, denn am 30. März 2020 endet
Urbanistik sehen die Kommunen innovativ Vorhaben          die Projektlaufzeit. Jedoch soll der Bürgerfonds auch
an „vorderster Front“ bei aktuellen Entwicklungsfragen    über die Projektlaufzeit hinaus ein dauerhaftes Finan-
und Tendenzen in Deutschland. Einige Projekte sind be-    zierungsinstrument für Sanierungsmaßnahmen unsere
reits erfolgreich abgeschlossen, andere arbeiten auch     Bürgergruppen darstellen und wird daher weiterhin
noch über ihre Projektlaufzeit hinaus und liefern einen   bestehen, neue Projekte und Initiativen sollen sich dem
wichtigen Beitrag für die Entwicklung ihrer Region.       Bürgerfonds dabei anschließen.

Dr. Uwe Ferber, Laura Plugge, Prof. Manfred Gerner und Christian Darr (v. l. n. r.) haben den Bürgerfonds auf der
Fachkonferenz vertreten.                                                                      Foto: Christian Darr
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    Es bewegt sich was in Bleicherode!
    Das erste Fachwerkfest in Bleicherode war ein voller Erfolg

    Das Haus auf der linken Seite ruft noch nach Hilfe, das rechte Haus präsentiert auf einem großen Plakat seinen Sanie-
    rungsplan.

    Laura Plugge                                                niert werden und in naher Zukunft ebenfalls attraktiven
                                                                Wohn- und Lebensraum bieten. Doch auch weiterhin
    Schon bei der Ankunft in Bleicherode zum Fachwerk-          bestehen Leerstände und Handlungsbedarfe. Welche
    fest 2019 zeigte sich die Stadt in einem neuen Bild: Aus    Mittel und Wege Bleicherode zur Reaktivierung ihrer his-
    mehreren Leerständen in der historischen Altstadt, die      torischen Altstadt bereits begeht und welche Potentiale
    noch vor wenigen Jahren bestanden, sind sanierte            noch gegeben sind, stellte Bürgermeister Frank Rostek
    und wiederbelebte Fachwerkgebäude geworden. Da-             auf dem ersten Fachwerkfest am 23. Oktober 2019 in
    neben reihen sich ebenso viele Häuser, die aktuell sa-      Bleicherode vor.

    Das Innenstadtcarrée soll im Rahmen des Projekts Bürgerfonds mit neuem Leben gefüllt werden.
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Der Bürgermeister begrüßte seine Gäste im Kulturhaus          Zudem ist die Stadt auch den Schritt gegangen, rück-
und Bürgerhof der Stadt, selbst ein erst kürzlich fertigge-   wärtige und ruinöse Fachwerkgebäude abzureißen,
stelltes Sanierungsprojekt und mittlerweile bürgerschaft-     um Platz für Neubauten zu schaffen, die sich dennoch
lich organisiert und verwaltet. Allem voran begrüßte er       sehr gut in das historische Bild der Stadt einreihen.
als besonderen Gast Frau Birgit Keller, thüringische Mi-
nisterin für Infrastruktur und Landwirtschaft. „Ich kenne     Neben den laufenden Vorhaben, die überwiegend
die Sorgen und Nöte in der Region“ betont Frau Keller         der Schaffung moderner Wohnräume und Ferienunter-
und freut sich sehr über die Aktivitäten und die positi-      künfte dienen, sticht vor allem der Dreiseithof im Zent-
ve Entwicklung der Stadt. Und sowohl Frank Rostek als         rum der Altstadt hervor: Hier soll die JugendFachwerk-
auch Birgit Keller sind sich einig: es bedarf eine enge       statt, ein gemeinsames Projekt der Stadt unter anderem
Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Land,               mit dem JugendSozialwerk Nordhausen, etabliert wer-
um langfristig eine solide Entwicklung und den Erhalt         den. Es wird das Ziel verfolgt, verschiedene öffentliche
des Fachwerks als historisches Kulturgut garantieren zu       und soziale Einrichtungen in dem Fachwerkensemble
können.                                                       zusammenzuführen. Als ein Vorhaben im Rahmen des
                                                              „Kompetenzzentrum Klimaschutz in Fachwerkstädten“
Ohne viele Worte lud er seine Gäste direkt dazu ein, die      werden bei der Sanierung besonders klimafreundliche
abgeschlossenen oder noch laufenden Sanierungsvor-            und nachhaltige Baustoffe und Installationen ange-
haben in der Stadt auf einem Stadtrundgang selbst er-         wendet. So betont Frank Rostek, dass es „längst nach-
leben und erfahren zu können. Und schnell bestätigten         gewiesen ist, dass Wohnen und Leben im Fachwerk
sich die Eindrücke von der Ankunft in der Stadt: An jeder     gesund und klimafreundlich ist“. Unterstützung erhält
Ecke stellte Bürgermeister Rostek ein neues Fachwerk-         die Stadt dabei von der Hochschule in Nordhausen:
gebäude vor, welches entweder fertig saniert ist oder         Dort beschäftigen sich die Studierenden des Master-
noch im Bau steckt. Dabei konnte er zu jedem Haus             Studiengangs „Energetisch-Ökologischer Stadtumbau“
eine Geschichte erzählen – zum Beispiel von den ehe-          im Rahmen eines interdisziplinären Projektes mit dem
maligen Bewohnern, die die Immobilie aus unterschied-         Dreiseithof und entwickeln ein integriertes Quartiers-
lichsten Gründen nicht sanieren konnten, oder von den         konzept.
Sanierungsphasen, die teilweise nach mehreren Jahren
Stillstand wieder ins Laufen gekommen sind, oder auch         Zurück im Bürgerhof von Bleicherode lobt Michael Krü-
von Fachwerkgebäuden, die nach dutzenden Jahren               ger von der DSK die solide Grundlagenarbeit der Stadt:
Leerstand wiederbelebt werden konnten.                        Neben einem Integrierten Stadtentwicklungskonzept
                                                              garantieren das Energetische Quartierskonzept und
Rostek sieht dabei einen ganz bedeutenden Effekt in der       „Sanierungsfahrpläne“ für einzelne Gebäude eine gute
Stadt: „Wenn 1-2 Gerüste stehen, ziehen die nächsten          konzeptionelle Basis für die Entwicklung der Stadt. Und
nach“ und betont damit die regelrechte „Ansteckungs-          bereits erfolgreiche Projekte wie die „Alte Kanzlei“ zeu-
gefahr“ bei Sanierungsvorhaben. Besonders erfreulich          gen von den Möglichkeiten der Stadt und der Bürger-
ist seiner Sicht nach das große Interesse ansässiger In-      schaft, die konzeptionellen Planungen in die Tat umset-
vestoren, die sich für die Fachwerkgebäude einsetzen.         zen zu können.

Die thüringische Ministerin Birgit Keller nahm mit am Fachwerkfest in Bleicherode teil und freut sich über die
positive Entwicklung in der Stadt.
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    Zum Abschluss bedankt sich Bürgermeister Rostek bei Dr. Uwe Ferber, Ministerin Birgit Keller und Prof. Manfred
    Gerner (v. l. n. r.) für die Erfolge, die er mit den Fachwerktriennalen in den letzten Jahren erreichen konnte.
                                                                                                      Alle Fotos: Laura Plugge

    Wie wichtig das Fachwerk als landschaftsprägen-               an einem Fachwerkgebäude ausgemacht werden.
    de Bauweise nicht nur in Deutschland ist, betont Prof.        „Man darf das Fachwerk dabei nicht als Last ansehen“
    Manfred Gerner in seiner Rede. Er zeigte zahlreiche           betont Prof. Gerner und weist damit auch auf die mit
    Fachwerkbeispiele aus aller Welt, unter anderem in            dem Fachwerk verbundenen Handwerksberufe hin,
    Frankreich, Spanien, Dänemark und Norwegen, aber              die – wie die Fachwerkhäuser selbst – erhalten und ge-
    auch in Russland und Bhutan. Aber auch gute Beispie-          pflegt werden müssen.
    le, wie Fachwerkgebäude auch heutzutage noch neu
    errichtet werden und sich an das jeweilige historische        Am Ende des Fachwerkfestes steht fest: Es ist schon viel
    Stadtbild anpassen, stellte er vor. So wird der Fachwerk-     in Bleicherode geschaffen worden! Es ist aber auch
    bau auch heute noch international geschätzt und an-           noch ein genauso langer Weg, bis alle Vorhaben und
    gewendet, doch vor allem in Deutschland prägt das             Projekte in die Tat umgesetzt werden können. Dennoch
    Fachwerk die gesamte Kulturlandschaft. So verfügt             ist Frank Rostek zuversichtlich, dass die Stadt diesen Weg
    auch Bleicherode über ein großes Fachwerkkapital,             erfolgreich begeht und das Fachwerkkapital der Stadt
    die Entwicklung jedes Jahrzehnt seit 1700 kann jeweils        und der Region wieder „schmackhaft“ macht.
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Das Klima betrifft uns alle!
Fachlehrgang zum Klimaschutz in unseren historischen Altstädten in Wolfhagen

Laura Plugge                                                     Dr. Swen Klauß von der Universität Kassel nimmt dabei
                                                                 ein Gefälle im Gefüge vom städtischen und ländlichen
Kein anderes Thema ist in den aktuellen Medien so prä-           Raum wahr: Er sieht einen großen Wandlungsbedarf
sent wie der Klimaschutz. Ob es sich dabei um die wö-            der Maßnahmen und Förderkulissen vor allem in ländli-
chentlichen „Fridays for Future“-Aktionen oder um regel-         chen Räumen und kleinen Städten, da hier der Großteil
mäßige politische Debatten handelt: der Klimaschutz              der historischen Fachwerkgebäude steht. Hier sollten
bedarf dringend der Aufmerksamkeit, damit Maßnah-                neue Konzepte entwickelt und umgesetzt werden, eine
men ergriffen werden, um langfristig klimafreundlich             Förderung des ländlichen Raumes würde auch die
und ressourcenschonend zu leben, zu arbeiten und zu              Vitalität des Raumes erwecken und einen wichtigen
wohnen. Doch mit der Masse an Medien stumpft die                 Beitrag für die demographische Entwicklung leisten.
Bevölkerung gegenüber der Thematik auch mehr und                 Wichtig dabei ist eine enge Zusammenarbeit zwischen
mehr ab. Daher ist es wichtig, „das Bewusstsein dau-             der Verwaltung und der Bürgerschaft, so können nur
ernd wachzuhalten“.                                              langfristig angelegte partizipative Maßnahmen eine
                                                                                     Veränderung garantieren. Dabei
                                                                                     sollte der Blick über den Tellerrand
                                                                                     hinausgehen, bereits erfolgreich
                                                                                     umgesetzte Vorhaben in anderen
                                                                                     Städten und Kommunen sollten als
                                                                                     Vorbild und Grundlage für die eige-
                                                                                     ne Entwicklung dienen, so Dr. Klauß.

                                                                                      Ein herausragendes Vorbild ist da-
                                                                                      bei die Stadt Wolfhagen selbst: Mit
                                                                                      der Gebietsreform 1972 und dem
                                                                                      Verlust des Status als Kreisstadt verlor
                                                                                      die Stadt nach und nach zahlreiche
                                                                                      Institutionen, die Bevölkerungszah-
                                                                                      len sanken und die wirtschaftliche
Bürgermeister Reinhard Schaake begrüßt die Gäste im                                   Kraft der Stadt nahm ab. Michael
Saal des historischen Rathauses.                                 Joost, Leiter der Energie und Stadtentwicklung in Wolf-
                                                                 hagen, erinnert sich noch gut an die zähen Jahre der
Mit diesen Worten eröffnet Prof. Manfred Gerner den              Stagnation, aber auch an den Weg zurück zu einer vita-
Fachlehrgang zum Projekt „Kompetenzzentrum Klima-                len Stadt. Dabei waren besonders die Vorhaben erfolg-
schutz in Fachwerkstädten“ am 24. Oktober in Wolfha-             reich, bei denen die Stadt und die Bevölkerung Hand
gen. Im Projekt sollen an fünf Standorten bundeweit              in Hand aktiv geworden sind. „Die Kraft der Vielen ist
Kompetenzzentren entstehen, die aktiven Klimaschutz              der maßgebende Faktor“, so Michael Joost bei seinem
und nachhaltiges Bauen in unseren historischen                   Rückblick auf die vergangenen Jahre. Schmunzelnd
Fachwerkstädten zeigen. Zusätzlich sind Weiterbil-               fügt er hinzu, dass „Geld allein keine historische Altstadt
dungsangebote im Aufbau, mit Webinaren und Semi-
narangeboten soll die breite Bevölkerung zum Thema               Auf einem Stadtrundgang konnten die Gäste die positive Entwick-
Klimaschutz in Fachwerkstädten sensibilisiert werden             lung der Stadt direkt erfassen.
und Möglichkeiten für klimafreundliche Bauweisen an
Fachwerkgebäuden kennenlernen.

In seiner Einleitung hält Prof. Gerner fest, dass bereits vie-
le gute Wege begangen worden sind: Der Trend zeigt,
dass das Thema Klimaschutz und nachhaltiges Bauen,
und auch der Denkmalschutz in den letzten Jahren
deutlich an Relevanz gewonnen hat. Viele Vorhaben
und Maßnahmen haben ihre Programme um eben-
diese Inhalte ergänzt. Zusätzlich wurden zahlreiche
neue energieeinsparende Instrumente und nachhal-
tige Materialien für Bau- und Sanierungsmaßnahmen
entwickelt. Doch besteht an vielen Stellen auch noch
Handlungsbedarf: so sind schätzungsweise 40 % aller
Heizkessel in Deutschland bereits überaltert.
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         rettet“, dennoch natürlich auch ein wichtiger Faktor in      Timo Kuhrau, Projektbearbeiter im Vorhaben „KlimaIn-
         der Entwicklung ist. Es wurden Anreize geschaffen und        noGovernance“ in Wolfhagen sieht zudem den land-
         von der Bevölkerung angenommen, so schaut die ge-            wirtschaftlichen Sektor an einem wichtigen Hebel zur
         samte Stadt nun stolz auf die Ergebnisse der letzten         Produktion nachhaltiger Energiemasse. Für ihn stellt die
         Jahre: Das Forschungsprojekt „Energieeffiziente Stadt“,      Herstellung von Biomasse als Energieträger eine wich-
         die Gründung einer eigenen Bürgerenergiegenossen-            tige Maßnahme dar, die viel mehr Beachtung bedarf.
         schaft und einer Umweltstiftung, die Einrichtung eines       Eine Umsetzung kann jedoch nur stattfinden, wenn die
         Klimaschutzmanagements und die Teilnahme am For-             bestehenden (technischen) Modelle Akzeptanz in der
         schungsprojekt „KlimaInnoGovernance“ sind nur ein            breiten Bevölkerung finden, so Timo Kuhrau. Nahwärme-
         Bruchteil an Maßnahmen, die die Stadt in den letzten         konzepte nicht nur in kleinen Fachwerkquartieren be-
         Jahren ergriffen hat oder auch jetzt noch bearbeitet.        dürfen innovativer Betreiberformen und einer Techno-
         Weitere Maßnahmen für seine Stadt, aber auch für jede        logieoffenheit, die zunächst noch von der Bevölkerung
         andere Kommune sieht Michael Joost nun vor allem in          angenommen werden müssen.
         der Schaffung vieler einzelner, wenn auch kleiner Inno-
         vationen: Als ein Beispiel nennt er hier Alternativen für    Eine weitere vorbildliche Maßnahme entwickelt das
         den innerstädtischen motorisierten Individualverkehr,        Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach: Mit dem
         so sollten neue Konzepte für Fußgänger und Radfahrer         Aufbau eines Musterhauses als Zentrum des Klima-
         geschaffen werden, die, langfristig gedacht, den moto-       schutzprojektes will der Hessenpark „Lust auf Wohnen
         risierten Verkehr in den historischen Stadtkernen weitest-   im Fachwerk schaffen“, so Elke Ungeheuer. Im Hessen-
         gehend ablösen.                                              park werden historische Fachwerkimmobilien mit mo-
                                                                      dernen Bautechniken konfrontiert, das Musterhaus mit
Michael Joost berichtet von der wechselvollen Entwicklung Wolf-       einem „Raum der offenen Bauteile“ soll zeigen, dass His-
hagens in den letzten Jahren.                                         torisches und Modernes keinen Widerspruch darstellen.

                                                                      Zusammenfassend sieht Prof. Manfred Gerner viele po-
                                                                      sitive Beispiele für ein nachhaltiges Leben in unseren
                                                                      historischen Fachwerkstädten. Zur Frage, wie das Wis-
                                                                      sen, das bereits vorhanden ist, unter die Leute bringen
                                                                      zu können, soll das Projekt „Kompetenzzentrum Klima-
                                                                      schutz in Fachwerkstädten“ einen wichtigen Beitrag
                                                                      leisten. Das Projektzentrum im Hessenpark bezeichnet
                                                                      er dafür als eine sehr gute Lösung, da hier bereits vie-
                                                                      le Menschen erreicht werden. Die vier deutschlandweit
                                                                      verteilten Standorte in Wolfhagen, Bleicherode, Schil-
                                                                      tach und Hann. Münden dienen zusätzlich der Generie-
                                                                      rung und Streuung des Wissens. Alle zusammen haben
                                                                      das Ziel, den Klimaschutz in unseren Fachwerkstädten
                                                                      dauerhaft zu einem wichtigen Thema zu machen.

         Das historische Fachwerkrathaus von Wolfhagen war Veranstaltungsort der Klimatagung.         Alle Fotos: Laura Plugge
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13. Bundeskongress
Nationale Stadtentwicklungspolitik in Stuttgart, 18. bis 20. September 2019

Volker Holzberg                                                 Mit den drei Begriffen „smart, solidarisch, resilient“ stan-
                                                                den drei entscheidende Dimensionen der Stadtentwick-
„Smart, solidarisch, resilient: Wie gestalten wir die Zukunft   lungspolitik zur zukünftigen Gestaltung von Stadt und
in Stadt und Land?“ so lautete in diesem Jahr der Titel         Land im Mittelpunkt von Vorträgen, Fachveranstaltungen
des 13. Bundeskongresses Nationale Stadtentwicklungs-           und Arenen. Mit ressourceneffizienter und klimagerech-
politik, der vom 18. bis 20. September in den Stuttgarter       ter Stadtentwicklung, Sicherung der Daseinsvorsorge in
Wagenhallen stattfand.                                          von Abwanderung geprägten ländlichen Regionen bis
                                                                hin zu den Herausforderungen der Digitalisierung befass-
Die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V.            ten sich in verschiedenen Ansätzen die Vorträge und
nutzte auch in diesem Jahr die Gelegenheit, Arbeit und          Diskussionen in einem hochrangigen und fachkompe-
Projekte des Vereins einem fachkundigen und sehr inter-         tenten Referentenkreis.
essierten Publikum vorzustellen.
                                                                Für die Teilnehmer des Bundeskongresses gab es in den
Stadtentwicklungspolitik und wie in der Zukunft damit           vielen Fachveranstaltungen und Arenen hinreichend
umzugehen ist, ist auch für unsere Arbeitsgemeinschaft          Gelegenheit sich über aktuelle und zukünftige Entwick-
und die Mitgliedsstädte ein wichtiges Thema, zu dem der         lungen auszutauschen.
Kongress mögliche Lösungen herausgestellt hat.
                                                                Die nationale Stadtentwicklungspolitik und ihre Struktu-
                                                                ren bietet einen geeigneten Rahmen, um die für Bund,
                                                                Länder und Kommunen gemeinsame Aufgabe, Stadt
                                                                und Land als smarte, solidarische und resiliente Lebens-
                                                                und Arbeitsorte für alle zu gestalten.

                                                                Der Kongress zeigte wieder einmal deutlich, dass die
                                                                Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V. mit
                                                                ihren bisherigen, aber gerade auch mit den aktuellen
                                                                Projekten – Klimakompetenz, Bürgerfonds, Integration
                                                                und Qualifikation – wertvolle Ergebnisse und Anregun-
                                                                gen nicht nur für unsere Mitgliedsstädte gibt, sondern
                                                                auch dazu beiträgt Handlungsempfehlungen für Bun-
Intensive Gespräche wurden auf dem Bundeskongress               des- und Landespolitik zu geben und in den Erfahrungs-
geführt und neue Kontakte geknüpft.                             austausch einzutreten.

Es herrschte reger Betrieb an dem Fachwerktriennale-Marktstand auf dem Kongress.                Alle Fotos: Volker Holzberg
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     Riedlingen – mit dem Pilotprojekt Schwanen
     Zeichen setzen
     10.463 Einwohner und eine Lage in einem dynamisch          Zuzug ist ein weiteres Stichwort für Riedlingen. Bürger-
     wachsenden Wirtschaftsraum des Landkreises Bibe-           meister Schafft hob hervor, dass es wichtig ist, Zuzüge
     rach. Da liegt es auf der Hand, dass es zu einem Mangel    in die Altstadt – in den Ortskern – zu fördern und zu in-
     an Wohnraum und Fachkräften/Arbeitskräften führt.          tegrieren. Wichtig ist für ihn, dass denkmalgeschützte
                                                                Häuser auch genutzt werden. Dabei muss man sicher
     Auf einem Rundgang im Rahmen des Fachwerktrienna-          auch einmal andere Wege gehen, um heutigen An-
     le19 – Workshops am 8. Oktober 2019 mit Teilnehmern aus    sprüchen zu genügen. Migration und Integration wird
     dem Gemeinderat, der Verwaltung, der Geschäftsstelle       in Riedlingen als eine Chance für Stadtentwicklung
     der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V.       und Wirtschaft betrachtet und mit einer kommunalen
     und interessierten Bürgern machten Bürgermeister Mar-      Integrationsstrategie angegangen.
     cus Schafft und Stadtbaumeister Wolfgang Weiss noch
     einmal deutlich und zeigten an Beispielen, dass durch      Ein Modell im Rahmen der Fachwerktriennale19 ist hier-
     die schon seit 1979 laufende Stadtsanierung Impulse ge-    für das Projekt „Schwanen“. Es ist ein gelungenes Bei-
     gen den Einwohnerrückgang und Teilleerstände in der        spiel, Qualifikation und Integration mit den Zielen der
     Altstadt gesetzt wurden. Rund 25 Mio. Euro sind bisher     Stadtentwicklung zu verknüpfen. Das Gebäude mit ca.
     im Rahmen der Stadtsanierung vor allem in den öffent-      900m2 Wohnfläche stand schon mehrere Jahre leer und
     lichen Raum und in kommunale Gebäude geflossen.            war quasi dem Verfall preisgegeben. Zugleich suchte
     Dabei wurde durchaus auch Wert aus einem Mix von           die Stadt Riedlingen nach bezahlbarem Wohnraum,
     Alt und Neu gelegt. Rat und Verwaltung wollen nicht        der sich zunächst als einfache Lösung „auf der grünen
     die Puppenstube als Leitbild, sondern den „Lebens- und     Wiese“ am Stadtrand anbot. Durch die Initiative der loka-
     Erlebnischarakter Stadtraum“. Aber auch das wichtige       len Unternehmergruppe Mark/Henle/Selg entstand eine
     Thema „Nachhaltigkeit“ ist in der Stadt Riedlingen mit     Investorengruppe, die das Fachwerkhaus Schwanen
     vielen Maßnahmen im Leitbild der Stadt verankert.          durch eine neu gegründete GbR saniert hat.

     Foto links: Die Teilnehmer des Workshops wurden nicht nur über das Triennale-Projekt der Stadt informiert, sondern
     konnten auf dem Stadtrundgang auch die Fachwerksubstanz der Stadt erleben.
     Foto rechts: Die Teilnehmer des Workshops begutachten den Projektfortschritt am Gasthaus „Schwanen“.
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Neben dem Gasthaus Schwanen wurde eine zum                 Axel Henle aus der Investorengruppe Mark/Henle/Selg
Grundstück gehörende Scheune, die vom Verfall be-          stellte im Rahmen der Diskussion die Rechtssicherheit
droht war, abgerissen. Der hierdurch mögliche Neu-         bei der Bemessungsgrundlage für Abschreibungen
bau mit einem Blockheizkraftwerk und barrierefreien        und Zuschüsse als wichtige Forderung der Investoren
Wohnungen in guter Wohnlage konnte das historische         und Eigentümer heraus.
Gebäude funktional ergänzen. Durch die Initiative
der Unternehmensgruppe gelang es, das Gasthaus             Geschäftsführerin Maren Sommer-Frohms – Arbeitsge-
Schwanen für den Standort und eine gemischte Ziel-         meinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V. – wird die-
gruppe – Flüchtlinge, Senioren und Menschen, die von       ses Thema unter anderem auf der Abschlussversamm-
Obdachlosigkeit bedroht sind, ins Gespräch zu brin-        lung der Fachwerktriennale am 25. November 2019 in
gen. Mit der Sanierung des Objektes wurde ein starkes      Berlin, bei der auch Vertreter aus Bundes- und Landes-
Zeichen für die Innenentwicklung gesetzt. Gleichzeitig     politik teilnehmen, aufgreifen.
konnte ein nachhaltiges Angebot im Wohnungsmarkt
und ein hoher Integrationsgrad erreicht werden.            Die Triennale bedarf einen intensiven Austausch zwischen allen
                                                           Beteiligten, um an die Erfolge der Triennalestädte anknüpfen zu
Die Investorengruppe hat das Objekt ohne Zuschüsse         können.                               Alle Fotos: Volker Holzberg
und Fördermittel saniert. Die Stadt Riedlingen über-
nimmt eine Mietgarantie für den Zeitraum von 12 Jah-
ren, um in dem sanierten Fachwerkgebäude Men-
schen mit erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt
unterzubringen. Danach kann die Investorengruppe
frei über den Wohnraum verfügen. Im Rahmen der
Sanierung des Gebäudes wurden Flüchtlinge aus Af-
ghanistan in die Fachwerksanierung erfolgreich ein-
gebunden.

Vorteile dieses Beispiels einer privaten Unternehmer-
initiative liegen in der flexiblen privaten Entwicklung,
Sanierung und Trägerschaft ohne Einsatz von Förder-
mitteln. Ein altes denkmalgeschütztes Fachwerkhaus in
der Innenstadt konnte durch einen wirtschaftlich ren-
tablen Mietertrag denkmalgerecht saniert und wieder
Wohnzwecken zugeführt werden.
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     Fachwerkkompetenz wird spürbar
     Die Fachwerk Triennale 19 macht Potentiale sichtbar und gibt Hinweise an die Politik

     Diana Wetzestein                                            Region seien. „Ein großes und wertvolles Pfund unserer
                                                                 Stadt sind viele engagierte Bürgerinnen und Bürger,
     Die einen machen es vor, andere machen es nach, und         zu der auch „ein.münden“ mit dem Baucamp für jun-
     können vom Mut der Initiatoren lernen. Ein altes Prinzip,   ge Menschen zählt“, so Wegener. Dieses Integrations-
     das auch heute funktioniert. Der niedersächsischen          projekt sollte geflüchteten Jugendlichen die Baukultur
     Fachwerkstadt Hann. Münden kann eine wichtige Rolle         der Region näherbringen, sie sprachlich fördern und
     als Initiatorin zugeschrieben werden. Bürger dieser Stadt   ihnen den Mut für ein Leben in einem fremden Land
     haben es geschafft, das Fachwerk in der gesamten            leichter machen. Zudem sei das Projekt ein wichtiger
     Region bekannter zu machen. Seit vielen Jahren ste-         Baustein im Konzept der Fachwerk-Lernwerkstatt, die
     hen sie aktiv für die Erhaltung und Nutzung historischer    in einem historischen Gebäude an der Werra Einzug hal-
     Fachwerkhäuser ein und werden dabei auch von der            ten könnte.
     Stadtverwaltung unterstützt. Bekannt sind vor allem das
     Denkmalkunstfestival, das Fachwerkprojekt 9x24 und die      Die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Deut-
     Destination „Fachwerkfünfeck“ in Südniedersachsen. All      sche Fachwerkstädte, Maren Sommer-Frohms, berichte-
     das hat den Fachwerktourismus in der Region nach-           te rückblickend über die im Format der Fachwerk Trien-
     weislich gefördert.                                         nalen seit 2009 von der Arbeitsgemeinschaft begleiten
                                                                 Städte. Unzählige Projekte und Initiativen seien dadurch
     Die Teilnahme dieser Stadt an der Fachwerk Triennale        ins Leben gerufen worden, die alle einen signifikanten
     der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e. V.       Beitrag zur Reaktivierung der Innenstädte liefern konn-
     (ADF) mit dem Arbeitstitel „Hann. Münden: Baucamp als       ten. Ihr kurzer Überblick über die Triennale-Themen
     Integrations-Projekt“ macht deutlich, dass dort ein gutes   „Fachwerk-Klima“, „Bürgerfonds“ sowie der „Integration
     Fundament steht, auf dem nun viele weitere Projekte für     und Qualifikation“ und die 14 Veranstaltungen in den
     die Fachwerkstadt aufgebaut werden können.                  Mitgliedsstädten der ADF, unterstrich diese Aussage.

                                                                 „Die Fachwerk Triennale 19 wird von der NSP gefördert.
                                                                 Wir haben uns in diesem Rahmen kritisch und dezidiert
                                                                 damit auseinandergesetzt, wie es gelingen kann, die
                                                                 Sanierung von Fachwerkhäusern, die Qualifikation von
                                                                 Migranten und die Wohneigentumsbildung der Neubür-
                                                                 ger miteinander zu verknüpfen“, so Dr. Uwe Ferber. Aus
                                                                 diesem Grund wurde Hartmut Teichmann vom Bund
                                                                 eingeladen, an der Begleitforschung der Nationalen
                                                                 Entwicklungspolitik (NSP) teilzunehmen. Der Workshop in
                                                                 Hann. Münden soll deshalb auch ein Blick in die Zukunft
                                                                 sein, der bewusst die Verbindungen des Projektes „ein.
                                                                 münden“ mit einer angedachten Fachwerk-Lernwerk-
                                                                 statt herausarbeitet.
     Bürgermeister Harald Wegener ist stolz auf die Hann.
     Mündener Fachwerkbauten und betont, wie wichtig die
                                                                 Denn hinter dem Titel „FachwerkLernwerkstatt“ steht
     Pflege und Erhaltung dieser Gebäude ist.
                                                                 erst einmal „nur“ eine Machbarkeitsstudie. Vom Fach-
                                                                 werkfünfeck in Auftrag gegeben, soll sie der gesamten
                                                                 Region zugutekommen. Im leerstehenden historischen
     Mitte Oktober begrüßte Bürgermeister Harald Wegener         Packhof könnten verschiedene Fachwerk-Angebote
     Vertreter der Bürgerinitiativen, der Arbeitsgemeinschaft,   entstehen. Darunter Ausstellungen zum Thema Fach-
     des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpfle-          werk und Handwerk, Lern- und Mitmachprojekte, Be-
     ge, einer Grundschule, der Wirtschaftsförderung, des        ratung sowie berufliche Weiterbildungs- und Qualifizie-
     Job-Centers und des Deutschen Fachwerkzentrums              rungsangebote. „Wir denken an eine Lernwerkstatt als
     Quedlinburg e. V. im Geschwister-Scholl-Haus der Drei-      Fachwerklabor, die eine Strahlkraft weit über die Gren-
     flüssestadt. Der Workshop wurde von Dr. Uwe Feber,          zen des Fachwerkfünfecks hinaus entwickeln kann“,
     StadtLand GmbH aus Leipzig, moderiert, der Schwer-          sagte Burkhard Klapp, Fachdienst Denkmalschutz und
     punkt lag auf der Arbeit der Initiative „ein.münden“ und    Stadtbildpflege.
     der FachwerkLernwerkstatt im Packhof Hann. Münden,
     für den eine Machbarkeitsstudie erarbeitet werden soll.     Das Konzept beinhalte Vorschläge zum Ausbau und zur
                                                                 Nutzung als Werkstatt, für die Gastronomie, mit Gast- und
     Wegener betonte, dass ehrenamtliche Initiativen aus-        Schulungsräumen. Interesse sei bereits von verschiede-
     schlaggebend für die Entwicklung der Stadt und der          nen Seiten bekundet worden, doch die Umsetzung sei
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019                                   13

Hann. Münden vereint im Triennaleprojekt eine Vielzahl an Personen und Institutionen, alle mit dem Ziel, einen wichti-
gen Beitrag für die Stadt zu leisten.

nur mit zusätzlichen Fördermitteln möglich. Denkmal-        zwei Kurden und drei Eritreer) machten mit. Die anderen
pfleger Klapp hält die stärkere Verbreitung des Themas      konnten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, zwei
Fachwerk für wichtig. „Eine regionale Identifikation mit    Wochen ohne Handynetz und WLan-Zugang in einer
dem Fachwerk in Südniedersachsen kann sich nur durch        Waldjugendherberge zu verbringen“, so Teichmann.
das Verstehen und Begreifen von Fachwerk als Archi-
tektur, als Baukonstruktion, als Handwerk, Wissenschaft,    Seinem Vortrag schloss sich Claudia Christina Hennrich,
Tradition und Therapie für gesundes Wohnen und Ent-         Geschäftsführerin des Deutschen Fachwerkzentrums
schleunigung entwickeln“, sagte er. Wenn es einer Stadt     Quedlinburg e. V., mit ihrem Bericht über 18 Jahre Arbeit,
gelänge, in diesen Punkten über ihre Fachwerk-Identität     neun Projekte und die Qualifizierung und Bildung von
aufzuklären, sei es möglich, mehr Aufmerksamkeit und        internationalen jungen Menschen. „An der Goldstraße
Akzeptanz für die Erhaltung historischer Bausubstanz bei    25 waren 80 Jugendliche der Jugendbauhütte aus aller
den Bürgern zu erreichen.                                   Welt beteiligt. Der interkulturelle Austausch ist von größter
                                                            Bedeutung für unsere Projekte“, sagte sie.
Als im Jahr 2015 auch in Hann. Münden viele unbeglei-
tete geflüchtete Jugendliche ankamen, wurden Hart-
mut Teichmann und viele andere in der Initiative „ein.
münden“ aktiv. „Unser Schwerpunkt bei der Begleitung
und Hilfe für diese jungen Menschen lag beim Deutsch-
unterricht“, so Teichmann. Als zwei Jahre später die ers-
ten dieser Jugendlichen die Schule beendet hatten,
musste „ein.münden“ wieder aktiv werden, damit den
Jugendlichen der Weg in den Beruf gelingen kann. Eine
Orientierungshilfe wollte man geben, Praktikumsplätze
anbieten und etwas bauen, was bleiben kann. Ein Jahr
dauerte die Planung für das Baucamp in Steinrode, wo
der Fachwerkbau für ein Küchengebäude anstand. „Wir
wollten gern 25 Jugendlichen aus unserer türkischen         Hann. Münden vereint im Triennaleprojekt eine Vielzahl
Bevölkerung, aus Geflüchteten und Deutschen in einer        an Personen und Institutionen, alle mit dem Ziel, einen
Gruppe zusammenbringen und gemeinsam das Haus               wichtigen Beitrag für die Stadt zu leisten.
aufstellen“, so Teichmann, der diese Idee bereits als die
erste Hürde bezeichnete, denn am Ende kam kein türki-       Maren Sommer-Frohms bedankte sich am Ende für ei-
scher Jugendlicher dazu.                                    nen interessanten Workshop. „Das übergeordnete Ziel
                                                            dieser Triennale ist, die lokalen Herausforderungen der
Die zweite Hürde stellte die Finanzierung dar. Das Ein-     einzelnen Städte darzustellen und zu einem bundes-
werben von Fördergeldern für das mit 25.000 Euro veran-     weiten Netzwerk zusammenzuschließen. So können wir
schlagte Projekt habe zu viel Zeit und hohen Aufwand        gemeinsame Wege und Lösungen finden, die übertrag-
gekostet. „Wir haben auch darum am Ende nur wenige          bar sind“, sagte Maren Sommer-Frohms. Die Ergebnisse
Plätze besetzen können, weil wir keine Planungssicher-      werden dokumentiert, ausgewertet und aufbereitet und
heit hatten und erst sehr spät dafür werben konnten“,       im November auf der Abschlussveranstaltung in der
sagte er. Hier wünsche er sich eine einfachere Förder-      Niedersächsischen Landesvertretung präsentiert. Damit
politik und Antragsverfahren. „Siebzehn Jugendliche         am Ende möglichst viele der 140 Mitgliederstädte davon
waren angemeldet, elf (fünf Deutsche, ein Afghane,          profitieren können.
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         Fachwerk als Schwerpunkt der Ausbildung
         Triennale 19 in Eschwege widmet sich der Integration durch Handwerk

         Diana Wetzestein                                             Dieses Projekt ist der vierte Triennale-Beitrag aus der
                                                                      Fachwerkstadt Eschwege. „Handwerk und Fachwerk
         Das Handwerk hat noch immer nicht den Stellenwert in         prägen das Bild und die Identität dieser Region, die für
         der Gesellschaft, den es haben sollte. Dabei ist der Fach-   geflüchtete ihre neue Heimat werden könnte“, sagte der
         kräftemangel bereits zu einem gesellschaftlichen Prob-       Bürgermeister Alexander Heppe. Die Ausbildungsstätte
         lem geworden. Schon jetzt gibt es nicht ausreichend Aus-     als ein Projekt in die Triennale 19 aufzunehmen, hält er für
         zubildende und Gesellen. Das Ausbildungszentrum der          äußerst wichtig.
         Bauwirtschaft in Eschwege (ABZ), als wichtiger Standort
         für die Ausbildung und Qualifikation im Handwerk, kann       „Die Fachwerklandschaft prägt die Ortsbilder der ge-
         dieser Entwicklung entgegenwirken.                           samten Region“, so Bürgermeister Heppe. Umso besser,
                                                                      dass das Projekt dem Lehrgang 2019/2020 das Fachwerk
         Die Kreissäge läuft auf Hochtouren. Es wird gemessen,        noch exklusiver vermitteln will, als das bisher innerhalb
         angezeichnet und aufgebaut. Aus den Zuschnitten fer-         der Ausbildung der Fall war. „Wir sind froh, dass wir das
         tigen die 25 Auszubildenden erstmals in ihrem Berufsle-      ABZ für das Bauhandwerk in dieser Qualität am Standort
         ben schulterhohe Schalungen. Ihr erstes Ausbildungsjahr      Eschwege haben. Mir sind Fälle aus der Region bekannt,
         haben sie im August begonnen. Und obwohl sie aus ver-        wo Betriebe vor der Schließung stehen, weil sie keinen
         schiedenen Handwerksberufen kommen, arbeiten sie             Nachwuchs finden. Aufträge sind vorhanden, aber die
         im 1. Ausbildungsjahr hier zusammen, erleben, was ein        Arbeitskräfte fehlen. Darum schätze ich das Angebot des
         Maurer, Zimmerer, Betonbauer, Fliesenleger oder Stra-        ABZ sehr und hoffe, dass wir noch mehr junge Menschen
         ßenbauer macht und was er kann.                              finden, die ihren Berufsweg im Handwerk sehen“, so der
                                                                      Bürgermeister.
         Diese 25 jungen Menschen sind die Protagonisten in der
         Fachwerk Triennale 19 der Fachwerkstadt Eschwege.            In Eschwege und dem gesamten Kreis müssen sich Schu-
         Ausbildungsleiter Heiko Schilling stellte Mitte Oktober in   len und Ausbildungszentren den immer neuen Heraus-
         den Räumen und Werkshallen des ABZ eine dafür konzi-         forderungen durch Zuwanderung stellen. Sie wollen die
         pierte Lerneinheit „Fachwerk und Qualifizierung“ vor. „Sie   Chancen nutzen, habe dafür viele Hürden aus dem Weg
         geht vom Rohstoff Holz bis zur Oberflächenbehandlung         geräumt. Was immer dableiben wird, sind die Hindernis-
         mit ökologischen Materialien, wobei die Schwerpunkte         se durch mangelnde Deutschkenntnisse. Klar ist: nur wer
         bei Fachwerkkonstruktion, Holzverbindungen, Entwurf,         die Sprache versteht, kann eine Ausbildung erfolgreich
         Abbund und Verzimmern eines Fachwerkgebäudes lie-            abschließen. Das ABZ bietet speziell für das Bauhand-
         gen. Vor allem die Exkursionen werden für die Auszubil-      werk einjährige Ausbildungskurse für Migranten an, um
         denden einen echten Mehrwerk haben“, sagte Ausbil-           sie für den Einstieg in die Ausbildung zu qualifizieren, so
         dungsleiter Heiko Schilling. Dokumentationen und eine        Schilling.
         Abschlusspräsentation im Sommer 2020 sollen das bele-
         gen.                                                         Für den Werra-Meißner-Kreis ist die Nähe zu Thüringen
                                                                      ebenfalls eine Herausforderung. „Der Werra-Meißner-
Im Ausbildungszentrum passt man sich an die individuellen Vor-        Kreis ist, was die Verdienstmöglichkeiten angeht, schlecht
aussetzungen der Auszubildenden an. So gibt es separate Program-      aufgestellt. Die Tarife sind immer noch nicht angeglichen,
me zur Qualifikation der Migranten, alle mit dem Ziel, eine abge-     unsere Nachbarschaft mit Thüringen macht unseren Be-
schlossene Ausbildung als Ergebnis zu haben.                          trieben das Leben schwer“, so Schilling. Darum stellt er
                                                                      das Besondere des ABZ heraus: Die Trägerschaft durch
                                                                      die Bau-Innung Werra-Meißner. Mit etwa 35 Betrieben aus
                                                                      dem Bauhauptgewerbe der Region sei sie für die Finan-
                                                                      zierung der überbetrieblichen Ausbildung zuständig. Die
                                                                      gute Qualität der Ausbildung käme den Betrieben somit
                                                                      direkt zugute.

                                                                      Eschwege nimmt bereits zum vierten Mal an einer Fach-
                                                                      werk Triennale teil. Das Interesse der Arbeitsgemein-
                                                                      schaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. am ABZ ist nicht
                                                                      nur dem Zeitgeist geschuldet, vielmehr arbeitet die Ar-
                                                                      beitsgemeinschaft seit Jahrzehnten an diesen Themen
                                                                      und hat damit sicherlich schon viel erreicht. „Wir haben
                                                                      in Eschwege ein gutes Beispiel dafür, wie in der prakti-
                                                                      schen Berufsausbildung das Thema Fachwerk mit der
                                                                      Integrations- und Migrationsthematik objektiv verknüpft
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Hand in Hand wird im Ausbildungszentrum gearbeitet, die Auszubildenden freuen sich auf das Fachwerkprojekt.
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werden kann. Es gibt eine klare Perspektive für Jugend-       Die Ergebnisse aller Teilnehmerstädte wurden auf der
liche, die sich hier einbringen, damit längerfristig beruf-   Abschlussveranstaltung am 25. November in der Nie-
lich in einer Qualifikation befinden und hoffentlich hier     dersächsischen Landesvertretung in Berlin präsentiert.
auch heimisch werden“, sagte Dr. Ferber am Ende des           Informationen erhalten sie unter:
Gespräches.                                                   www.fachwerk-triennale.de
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     Wie läuft Integration bei euch?
     Die Triennale-Workshops machen Halt in Seligenstadt

     Der imposante Marktplatz zeigt die wertvolle Fachwerksubstanz in Seligenstadt.                     Foto: Laura Plugge

     Laura Plugge                                                ihre Neubürger ein und leisten eine herausragende
                                                                 und vorbildliche Integrationsarbeit. Dr. Uwe Ferber vom
     Die räumliche Lage Seligenstadts ist geprägt durch die      Begleitbüro StadtLand GmbH bezeichnet Seligenstadt
     Nähe zu Bayern und die Lage im sogenannten Speck-           nicht umsonst als einen „wichtigen Baustein im Baukas-
     gürtel Frankfurts. Dennoch finden sich auch in Seligen-     ten der Fachwerktriennale“.
     stadt zahlreiche leere (Fachwerk)häuser wieder, wäh-
     rend gleichzeitig die Nachfrage nach bezahlbaren            Trotz der herausragenden Leistungen und den Erfah-
     Wohnraum ansteigt. Besonders aufgrund den hohen             rungen, die der Arbeitskreis in seinen Bestandjahren er-
     Flüchtlingszahlen der letzten Jahre wird händeringend       bringen konnte, ist und bleibt die Flüchtlingsarbeit eine
     nach Wohnkapazitäten gesucht. Gleichzeitig müssen           große Aufgabe. „Integration ist kein Prozess von ein
     aber auch Angebote zur Weiterbildung und Qualifizie-        paar Wochen“ mahnt Jürgen Schneider, Mitglied des
     rung geschaffen werden, um aus den Flüchtlingen in-         Arbeitskreises. Er betont, dass viel Geduld, Einfallsreich-
     tegrierte Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu machen.       tum und Überzeugungsarbeit gegenüber den Flücht-
                                                                 lingen selbst, aber auch gegenüber den Seligenstäd-
     Welche Möglichkeiten die Stadt im Rahmen der Fach-          ter Bürgern und vor allem gegenüber der städtischen
     werktriennale 19 geschaffen hat, um ebendieser Nach-        Verwaltung nötig waren und sind, um aus den Flüchtlin-
     frage entgegenzukommen, haben die Verantwortli-             gen integrierte Bürger zu machen.
     chen auf dem Triennale-Workshop am 22. Oktober im
     Seligenstädter Rathaus vorgestellt. Und schnell stellte     Und die Arbeit trägt mittlerweile Früchte: Die ersten
     sich heraus: für die Seligenstädter Bürgerschaft, vor al-   Flüchtlinge sind in regulären Berufsausbildungen an-
     lem für den Arbeitskreis „Willkommen in Seligenstadt“       gekommen. Und auch die Zwischenbilanz des Arbeits-
     ist die Flüchtlingsarbeit und Integration schon sehr lan-   kreises sieht gut aus: Am 18. November 2014 gegründet
     ge ein wichtiges Thema. Nicht erst mit der Flüchtlings-     zählt die Initiative heute rund 300 Mitglieder, die sich
     welle 2015 setzen sich die Bürgerinnen und Bürger für       auf die Arbeitsgruppen „Versorgung, Beratung, Beglei-
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tung“, „Kurse“, „Arbeit“ und „Begegnung“ aufteilen.           haltserlaubnis, nun gilt es, diese Menschen in Wohnun-
Zwei Einrichtungen, das FUNDUS, in dem die Neuan-             gen und Arbeitsverhältnisse unterzubringen.
kömmlinge eine Grundausstattung erhalten, und das
FLIDUM, in dem vor allem die deutsche Sprache ver-            Maruschka Güldner vom Landesprogramm „WIR im
mittelt wird, wurden eröffnet. In den rund fünf Jahren        Kreis Offenbach“ stellt dazu ein landesweites Projekt
Flüchtlingsarbeit hat sich dabei viel verändert: mittler-     vor, das die Integration deutlich vereinfachen soll. Im
weile ist man an die Arbeit gewöhnt, es wird weniger          Vordergrund der Arbeit steht vor allem die Förderung
Erstausstattung abgefragt, das Kursangebot ist deutlich       der Willkommens- und Anerkennungskultur, Integrations-
besser geworden und auch die Flüchtlingsarbeit durch          stellen vor Ort sollen als Ansprechpartner für lokale Be-
die städtischen Behörden hat sich verbessert, sodass          lange dienen. Frau Güldner betont, wie wichtig dabei
viele Aufgaben heute von der städtischen Verwaltung           auch die Integration der örtlichen Bevölkerung ist, damit
übernommen werden können. Langfristig will man vor            gemeinsam mit der Stadt, den Einheimischen und den
allem die regelmäßigen Angebote wie das Begeg-                Neubürgern Mittel und Wege gefunden werden, eine
nungscafé und kulturelle Veranstaltung für die (Neu-)         Integration zu ermöglichen. Sie schlägt vor, neue Wohn-
Bürger anbieten. Die Arbeit ist insgesamt also weniger        konzepte wie Mehrgenerationen- oder multikulturelles
geworden, „wir befürchten jedoch, dass wir auch in            Wohnen in Betracht zu ziehen, um den noch vorhande-
Zukunft wieder gebraucht werden“, so Jürgen Schnei-           nen Wohnraum optimal nutzen zu können.
der, der besorgt auf die internationale Entwicklung
schaut.                                                       Zum Abschluss lobt Maren Sommer-Frohms, Geschäfts-
                                                              führerin der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerk-
                                                              städte die Stadt Seligenstadt für ihre herausragende
                                                              Integrationsarbeit und freut sich, dass „Willkommen in
                                                              Seligenstadt“ ein Teil der Fachwerktriennale 19 ist.

                                                              Die Beteiligten sind sich einig: Seligenstadt liefert einen wichtigen
                                                              Beitrag zur Integration von Neubürgern im städtischen Leben.
                                                                                                     Foto: Maren Sommer-Frohms

Jürgen Schneider von „Willkommen in Seligenstadt“ ist
stolz auf die Ergebnisse des Arbeitskreises.
                                         Foto: Laura Plugge

Bürgermeister Dr. Daniell Bastian macht noch einmal
deutlich und unterstreicht den unermüdlichen Einsatz
der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die sich in
unterschiedlichster Art mit ihren individuellen Stärken,
Fähigkeiten und Möglichkeiten im Arbeitskreis „Will-
kommen in Seligenstadt“ einbringen und bringt es auf
den Punkt: Zusammenleben in Seligenstadt geht alle
an!

Erster Stadtrat Michael Gerheim erinnert sich noch gut
an die Flüchtlingswelle, die auch Seligenstadt traf. Die
zunächst nur vereinzelt angemieteten kleinen Wohn-
einheiten waren schnell voll, 2015 wurde dann zusätz-         Die Triennale als ein „Marathon durch Deutschland“
lich das „rote Haus“ für 80 Menschen errichtet, später        vereint zahlreiche Ansätze unterschiedlicher Städte
fasste das Gebäude 120 Menschen. Mittlerweile hat             und Gemeinden. Am Ende entsteht ein Netzwerk, in
sich die Situation beruhigt, die Stadt konnte gute Erfah-     dem Erfahrungen und Instrumente zur Integrationsar-
rungen mit vielen kleinen und stadtweit verteilten Unter-     beit vermittelt werden können. Denn alle Beteiligten
künften machen, die die Integration in das städtische         sind sich einig: Integration bedeutet viel Arbeit und Ge-
Leben deutlich einfacher gestaltet haben. Viele der           duld, doch gemeinsam kann diese Aufgabe bewältigt
2015 Angekommenen haben mittlerweile eine Aufent-             werden!
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     Fachwerk in Niedersachsen
     Wichtiger Baustein des Kulturkapitals

     Prof. Dipl.-Ing. Manfred Gerner                              mal auch nur an die „Wilden Seeräuber“. Die Wikinger
                                                                  waren aber mehr bedeutende Schiffbauer, gute Hand-
     Niedersachsen ist bis heute, trotz großer Verluste im        werker und vor allem blendende Kaufleute, die vom
     und nach dem Zweiten Weltkrieg eine herausragende            wichtigen Handelsplatz Haithabu in Niedersachsen zwi-
     Fachwerkkulturlandschaft. Die weiträumigen flachen           schen dem 8. und 11. Jahrhundert ein Handelsnetz von
     Landschaften der Küste und küstennahen Regionen rei-         Schottland im Westen bis zum Zweistromland im Osten
     chen bis zu Hunderten von Kilometern ins Binnenland.         betrieben. Die Wikinger bauten mit handwerklichem
     Wiesen, Marschland, Heideland, Ackerflächen, Weiden          Geschick eine Sonderform des Hallenhauses mit Flecht-
     und kleinere, dichte Buchen- und Eichenbestände prä-         werkwänden.
     gen das Land, das von den Einzelgehöften, Weilern
     und Ackerbürgerstädten mit großen Hofreiten und den          Der Wandaufbau und die Holzkonstruktionen, besonders
     herausragenden Hallenhäusern, den sog. Haupthäu-             die Holzverbindungen waren dabei hoch entwickelt und
     sern strukturiert wird.                                      zeigen auch Entwicklungsstufen zur Fachwerktechnik in
                                                                  Niedersachsen.
     Diese – heute meist als niederdeutsche - Hallenhäuser
     bezeichneten Einhäuser wurden bereits in der Steinzeit       Insbesondere in Niedersachsen wurde das Hallenhaus
     entwickelt, zahlreiche historische Befunde wie in Haitha-    als Standardhaustyp bis ins 19. Jahrhundert fortentwi-
     bu belegen dies.                                             ckelt und Niedersachsen ist bis heute die Heimat dieses
                                                                  Haustyps, wenn auch seine Verbreitung weit über die
     Exkurs:                                                      Grenzen des Bundeslandes reicht. Zu Recht kann man
     Haithabu bei Schleswig war eine Wikingerstadt. Denkt         deshalb auch vom niedersächsischen Hallenhaus spre-
     man an die Wikinger, so denkt man zuerst und manch-          chen.

     Frontansicht eines typischen 2-Ständer-Baus aus dem alten Land.                                Foto: Manfred Gerner
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Niedersächsische Hallenhäuser                                  haben die Zimmermeister ihr handwerkliches Können
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In seiner Entwicklung zu höchster Vollkommenheit und           häuser sind wie die Pferde ein Markenzeichen Nieder-
großer Funktionsvielfalt ist das niedersächsische Hallen-      sachsens.
haus einmalig. Dabei hat sich der Hallenhaustyp als
Einhaus, d. h. mit allen wesentlichen Funktionen: Woh-         Das schönste Fachwerkhaus Europas
nen, Viehhaltung und Ernte unter einem Dach als auch
die Grundrissstruktur von ca. 2.500 vor Christus bis zur in-   In den Städten wurden die Hallenhäuser für städtische
dustriellen Revolution des 19. Jahrhunderts nicht geän-        Funktionen weiterentwickelt: Sie erhielten zusätzliche
dert. Zur Straße ist mit einem großen Tor der Stall mit der    Stockwerke und die Wohnungen wurden mit „Utluch-
mittigen großen Diele und den seitwärts aufgereihten           ten“, Vorbauten, an den straßenseitigen Giebel gerückt.
Kühen und Pferden angeordnet. Im hinteren Raumteil,            In den Erdgeschossen waren hier neben den Wohnun-
dem „Flett“, ist die Feuerstelle und wiederum dahinterlie-     gen Lager, Räume zum Bierbrauen, Werkstätten und
gend der Wohnteil des Bauern. Unter dem großen Dach            später auch Läden angeordnet. Diese Fachwerkge-
wird die Ernte gelagert.                                       bäude wurden nochmals größer und stattlicher wie die
                                                               ländlichen Hallenhäuser und weitergehend wurden sie
Die Anordnung der Funktionen basiert auf der meist aus         von den Zimmermeistern mit zusätzlichen Hölzern wie
kräftigen Eichenhölzern verzimmerten Konstruktion: ein         Kopf- und Fußwinkelhölzern, Andreaskreuzen sowie von
Innengerüst als Zwei-, Drei- oder Vierständerhaus, drei-       den Schnittgern, den Holzschnitzern, mit oft bedeuten-
schiffig und von der Straße aus durch das große Dielen-        dem Schnitzschmuck versehen. Diese städtischen Ge-
tor erschlossen. Das Zweiständerhaus besteht aus hinter-       bäude verkörpern insgesamt Urbanität, Wohlstand und
einander gesetzten Gebinden mit je zwei Ständern und           handwerkliches Können gepaart mit dem Repräsentati-
einem Balken darüber. Diese Grundkonstruktion trägt            onsanspruch wohlhabender Bürger. So ist es nur selbst-
das Dach und an diese sind auch die Kübbungen, die             verständlich, dass der französische Architekt Eugène
niedrigen Seitenschiffe, angehängt.                            Emmanuel Viollet-le-Duc das 1529 errichtete und 1989
                                                               nach Kriegszerstörung rekonstruierte Knochenhauer-
Insbesondere in den stattlichen Giebeln mit Stock-             amtshaus in Hildesheim als das schönste Fachwerkhaus
werksauskragungen und harmonischen Proportionen                gepriesen hat.

Das imposante Knochenhaueramtshaus in Hildesheim.
                               Foto: Tobias1983 [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)])
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