"Mehr Stadtmarketing mit Baukultur" - Arbeitsgemeinschaft Deutsche ...
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E DITOR IAL 1 „Mehr Stadtmarketing mit Baukultur” Die Jahreszeit bringt es mit sich: im Schein der Lichter der Themen wie Leerstand und Wohnungsbedarfe, Klima der Weihnachtsmärkte erstrahlen die Fachwerkfassaden und Qualifikation für den Erhalt der baukulturell einzigarti- unserer Mitgliedsstädte und locken viele tausende Be- gen Lebensräume in unseren Fachwerkstädten ist. sucher an. Familien und Freunde treffen sich auf einen Glühwein oder Punsch auf den Plätzen und Straßen in Neben weiteren Höhepunkten wie der diesjährigen Mit- den historischen Zentren unserer Städte. Sie erfreuen sich gliederversammlung in Nehren, unsere erfolgreichen an der Schönheit und Vielfalt der historischen Fassaden Gästeführerseminare und das sehr gut besuchte Seminar und genießen die Geborgenheit der Jahrhunderte alten zur Wirtschaftlichkeit von Fachwerk- und anderen Immo- Fachwerke und Stadtstrukturen. bilien konnten wir mit dem Newsletter der Arbeitsgemein- schaft einen weiteren Schritt hin zu mehr Digitalisierung Die Frage, wie sich die praktische und gewinnbringende umsetzen. Zusammenarbeit von regionaler Baukultur und Tourismus gestaltet, stellt sich aber nicht nur zur Weihnachtszeit. An Viele ausgezeichnete Veranstaltungen und Vorhaben in dieser Fragestellung arbeiten wir in vielen unserer Veran- unseren Mitgliedsstädten haben das Jahr 2019 geprägt staltungen, in denen wir Ideen und Beteiligte vorstellen und sind damit gute Beispiele, wie die Saat für weitere und Erfahrungen diskutieren. Auch der diesjährige bun- erfolgreiche Jahre in unseren Fachwerkstädten gedeihen desweite Baukulturdialog der Bundesstiftung Baukultur kann. Mit dieser Aussicht möchte ich auch das Jahr 2019 hat sich in unserer Mitgliedsstadt Celle mit der Frage aus- verabschieden und grüße Sie und alle Mitarbeiter und einandergesetzt, wie Baukultur dem Stadtmarketing nutzt. Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle in Fulda. Ich wün- sche Ihnen und Ihren Lieben Insgesamt stellt sich das Jahr 2019 nicht nur mit den vie- len erfolgreichen Veranstaltungen der Fachwerktrienna- le für die Arbeitsgemeinschaft positiv dar. Diese großen, Gesegnete Weihnachten und von der Bundesregierung geförderten Projekte erfor- ein frohes neues Jahr! derten dieses Jahr hohen Einsatz. Aber wie bei unserer Abschlussveranstaltung in Berlin erkennbar ist, zeigen die Ihre Ergebnisse wie wichtig dieser Einsatz vor der Aktualität Maren Sommer-Frohms
2 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 Neues Miteinander – Neue Strukturen – Neues Wissen Fachkonferenz „Kommunen innovativ“ vom 11. bis 12. September 2019 in Halle (Saale) Laura Plugge um technische, sondern auch um soziale Prozesse und Innovationen. Bereits zum dritten Mal fand die Fachkonferenz des Forschungsvorhabens „Kommunen innovativ“ des In den darauffolgenden Themenräumen, die den Kern Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) der Veranstaltung über die zwei Tage darstellten, wur- statt. Nach Hamburg und Dortmund ging es nun in den verschiedene Kommunen innovativ Vorhaben the- den Volkspark nach Halle (Saale), um über Projektfort- menspezifisch aufgeteilt und erhielten die Gelegenheit, schritte und Ergebnisse aus den Kommunen innovativ ihre Fortschritte und Ergebnisse vorzustellen. Unter den Vorhaben zu berichten. Rund 180 Teilnehmerinnen und Überschriften „Neues Miteinander“, „Neue Strukturen“ Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltungen und „Neues Wissen“ wurden Räume für neue Impulse und Bürgerinitiativen vermittelten in verschiedenen Vor- und Verantwortungen gesucht, neue Organisations- tragsformaten ihre Erfahrungen aus den einzelnen Pro- und Finanzierungsmodelle entwickelt und der Weg jekten. Vorträge über aktuelle Entwicklungstendenzen vom Datenmanagement zu Verständnis und Entschei- galten dabei als Anstoß für die Diskussionsrunden. dungen vorgestellt. Unter anderem definierte Prof. Dr. Stefan Siedentop vom In der abschließenden großen Diskussionsrunde am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung zu zweiten Tag wurden die Ergebnisse der Themenräume Beginn der Veranstaltung den Begriff der Zukunftsfähig- vorgestellt und vor dem Hintergrund aktueller Entwick- keit. „Zukunftsfähig zu sein, ist schwer“, lautete es bereits lungstendenzen diskutiert. Eva Nemela von der Körber- zu Beginn seines Vortrags, er bat damit die Zuhörer, Stiftung betont die Wichtigkeit der „3 K´s“ – Kommunika- eine zukunftsfähige Entwicklung nicht zu unterschät- tion, Kooperation, Kompetenzen – zwischen städtischen zen. Ohne grundlegende Voraussetzungen, wie zum Verwaltungen, den Bürgern, Institutionen und der Wis- Beispiel die finanzielle Ausstattung und die Bereitschaft senschaft. Die Wissenschaft spielt dabei die Rolle, ak- für Transformation und Innovation, kann es keine Basis tuelle Entwicklungsstände zu diagnostizieren und lang- für langfristige, nachhaltige und zukunftsfähige Pro- fristige Ziele und deren Potentiale und Umsetzbarkeit zu zesse geben. Viele Kommunen leiden unter „extremen definieren. Prof. Dr. Peter Dehne von der Hochschule Instandhaltungsrückständen“, so Siedentop, sodass in Neubrandenburg hält fest, dass viele Projekte und Ini- vielen Fällen zunächst einmal grundlegende Strukturen tiativen bereits erfolgreich umgesetzt worden sind. Aus erneuert und modernisiert werden müssen, bevor lang- diesem Repertoire an Erfahrungen und Ergebnissen, so fristige und zukunftsfähige Entwicklungen in die Wege Dehne, sollten sich neue Projekte und Initiativen bedie- geleitet werden. Dabei, so Siedentop, geht es nicht nur nen und ihren individuellen Ansprüchen anpassen. Reger Betrieb vor dem Bürgerfondsstand bei den Marktplatzführungen. Foto: Laura Plugge
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 3 Bei den Podiumsdiskussionen wurden die Ergebnisse aus den Themenräumen zusammengefasst. Foto: Laura Plugge Katrin Fahrenkrug vom Institut Raum & Energie und Dazu zählt auch der Bürgerfonds, das Projekt unserer auch Dr. Stephanie Bock vom Deutschen Institut für Arbeitsgemeinschaft, denn am 30. März 2020 endet Urbanistik sehen die Kommunen innovativ Vorhaben die Projektlaufzeit. Jedoch soll der Bürgerfonds auch an „vorderster Front“ bei aktuellen Entwicklungsfragen über die Projektlaufzeit hinaus ein dauerhaftes Finan- und Tendenzen in Deutschland. Einige Projekte sind be- zierungsinstrument für Sanierungsmaßnahmen unsere reits erfolgreich abgeschlossen, andere arbeiten auch Bürgergruppen darstellen und wird daher weiterhin noch über ihre Projektlaufzeit hinaus und liefern einen bestehen, neue Projekte und Initiativen sollen sich dem wichtigen Beitrag für die Entwicklung ihrer Region. Bürgerfonds dabei anschließen. Dr. Uwe Ferber, Laura Plugge, Prof. Manfred Gerner und Christian Darr (v. l. n. r.) haben den Bürgerfonds auf der Fachkonferenz vertreten. Foto: Christian Darr
4 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 Es bewegt sich was in Bleicherode! Das erste Fachwerkfest in Bleicherode war ein voller Erfolg Das Haus auf der linken Seite ruft noch nach Hilfe, das rechte Haus präsentiert auf einem großen Plakat seinen Sanie- rungsplan. Laura Plugge niert werden und in naher Zukunft ebenfalls attraktiven Wohn- und Lebensraum bieten. Doch auch weiterhin Schon bei der Ankunft in Bleicherode zum Fachwerk- bestehen Leerstände und Handlungsbedarfe. Welche fest 2019 zeigte sich die Stadt in einem neuen Bild: Aus Mittel und Wege Bleicherode zur Reaktivierung ihrer his- mehreren Leerständen in der historischen Altstadt, die torischen Altstadt bereits begeht und welche Potentiale noch vor wenigen Jahren bestanden, sind sanierte noch gegeben sind, stellte Bürgermeister Frank Rostek und wiederbelebte Fachwerkgebäude geworden. Da- auf dem ersten Fachwerkfest am 23. Oktober 2019 in neben reihen sich ebenso viele Häuser, die aktuell sa- Bleicherode vor. Das Innenstadtcarrée soll im Rahmen des Projekts Bürgerfonds mit neuem Leben gefüllt werden.
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 5 Der Bürgermeister begrüßte seine Gäste im Kulturhaus Zudem ist die Stadt auch den Schritt gegangen, rück- und Bürgerhof der Stadt, selbst ein erst kürzlich fertigge- wärtige und ruinöse Fachwerkgebäude abzureißen, stelltes Sanierungsprojekt und mittlerweile bürgerschaft- um Platz für Neubauten zu schaffen, die sich dennoch lich organisiert und verwaltet. Allem voran begrüßte er sehr gut in das historische Bild der Stadt einreihen. als besonderen Gast Frau Birgit Keller, thüringische Mi- nisterin für Infrastruktur und Landwirtschaft. „Ich kenne Neben den laufenden Vorhaben, die überwiegend die Sorgen und Nöte in der Region“ betont Frau Keller der Schaffung moderner Wohnräume und Ferienunter- und freut sich sehr über die Aktivitäten und die positi- künfte dienen, sticht vor allem der Dreiseithof im Zent- ve Entwicklung der Stadt. Und sowohl Frank Rostek als rum der Altstadt hervor: Hier soll die JugendFachwerk- auch Birgit Keller sind sich einig: es bedarf eine enge statt, ein gemeinsames Projekt der Stadt unter anderem Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Land, mit dem JugendSozialwerk Nordhausen, etabliert wer- um langfristig eine solide Entwicklung und den Erhalt den. Es wird das Ziel verfolgt, verschiedene öffentliche des Fachwerks als historisches Kulturgut garantieren zu und soziale Einrichtungen in dem Fachwerkensemble können. zusammenzuführen. Als ein Vorhaben im Rahmen des „Kompetenzzentrum Klimaschutz in Fachwerkstädten“ Ohne viele Worte lud er seine Gäste direkt dazu ein, die werden bei der Sanierung besonders klimafreundliche abgeschlossenen oder noch laufenden Sanierungsvor- und nachhaltige Baustoffe und Installationen ange- haben in der Stadt auf einem Stadtrundgang selbst er- wendet. So betont Frank Rostek, dass es „längst nach- leben und erfahren zu können. Und schnell bestätigten gewiesen ist, dass Wohnen und Leben im Fachwerk sich die Eindrücke von der Ankunft in der Stadt: An jeder gesund und klimafreundlich ist“. Unterstützung erhält Ecke stellte Bürgermeister Rostek ein neues Fachwerk- die Stadt dabei von der Hochschule in Nordhausen: gebäude vor, welches entweder fertig saniert ist oder Dort beschäftigen sich die Studierenden des Master- noch im Bau steckt. Dabei konnte er zu jedem Haus Studiengangs „Energetisch-Ökologischer Stadtumbau“ eine Geschichte erzählen – zum Beispiel von den ehe- im Rahmen eines interdisziplinären Projektes mit dem maligen Bewohnern, die die Immobilie aus unterschied- Dreiseithof und entwickeln ein integriertes Quartiers- lichsten Gründen nicht sanieren konnten, oder von den konzept. Sanierungsphasen, die teilweise nach mehreren Jahren Stillstand wieder ins Laufen gekommen sind, oder auch Zurück im Bürgerhof von Bleicherode lobt Michael Krü- von Fachwerkgebäuden, die nach dutzenden Jahren ger von der DSK die solide Grundlagenarbeit der Stadt: Leerstand wiederbelebt werden konnten. Neben einem Integrierten Stadtentwicklungskonzept garantieren das Energetische Quartierskonzept und Rostek sieht dabei einen ganz bedeutenden Effekt in der „Sanierungsfahrpläne“ für einzelne Gebäude eine gute Stadt: „Wenn 1-2 Gerüste stehen, ziehen die nächsten konzeptionelle Basis für die Entwicklung der Stadt. Und nach“ und betont damit die regelrechte „Ansteckungs- bereits erfolgreiche Projekte wie die „Alte Kanzlei“ zeu- gefahr“ bei Sanierungsvorhaben. Besonders erfreulich gen von den Möglichkeiten der Stadt und der Bürger- ist seiner Sicht nach das große Interesse ansässiger In- schaft, die konzeptionellen Planungen in die Tat umset- vestoren, die sich für die Fachwerkgebäude einsetzen. zen zu können. Die thüringische Ministerin Birgit Keller nahm mit am Fachwerkfest in Bleicherode teil und freut sich über die positive Entwicklung in der Stadt.
6 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 Zum Abschluss bedankt sich Bürgermeister Rostek bei Dr. Uwe Ferber, Ministerin Birgit Keller und Prof. Manfred Gerner (v. l. n. r.) für die Erfolge, die er mit den Fachwerktriennalen in den letzten Jahren erreichen konnte. Alle Fotos: Laura Plugge Wie wichtig das Fachwerk als landschaftsprägen- an einem Fachwerkgebäude ausgemacht werden. de Bauweise nicht nur in Deutschland ist, betont Prof. „Man darf das Fachwerk dabei nicht als Last ansehen“ Manfred Gerner in seiner Rede. Er zeigte zahlreiche betont Prof. Gerner und weist damit auch auf die mit Fachwerkbeispiele aus aller Welt, unter anderem in dem Fachwerk verbundenen Handwerksberufe hin, Frankreich, Spanien, Dänemark und Norwegen, aber die – wie die Fachwerkhäuser selbst – erhalten und ge- auch in Russland und Bhutan. Aber auch gute Beispie- pflegt werden müssen. le, wie Fachwerkgebäude auch heutzutage noch neu errichtet werden und sich an das jeweilige historische Am Ende des Fachwerkfestes steht fest: Es ist schon viel Stadtbild anpassen, stellte er vor. So wird der Fachwerk- in Bleicherode geschaffen worden! Es ist aber auch bau auch heute noch international geschätzt und an- noch ein genauso langer Weg, bis alle Vorhaben und gewendet, doch vor allem in Deutschland prägt das Projekte in die Tat umgesetzt werden können. Dennoch Fachwerk die gesamte Kulturlandschaft. So verfügt ist Frank Rostek zuversichtlich, dass die Stadt diesen Weg auch Bleicherode über ein großes Fachwerkkapital, erfolgreich begeht und das Fachwerkkapital der Stadt die Entwicklung jedes Jahrzehnt seit 1700 kann jeweils und der Region wieder „schmackhaft“ macht.
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 7 Das Klima betrifft uns alle! Fachlehrgang zum Klimaschutz in unseren historischen Altstädten in Wolfhagen Laura Plugge Dr. Swen Klauß von der Universität Kassel nimmt dabei ein Gefälle im Gefüge vom städtischen und ländlichen Kein anderes Thema ist in den aktuellen Medien so prä- Raum wahr: Er sieht einen großen Wandlungsbedarf sent wie der Klimaschutz. Ob es sich dabei um die wö- der Maßnahmen und Förderkulissen vor allem in ländli- chentlichen „Fridays for Future“-Aktionen oder um regel- chen Räumen und kleinen Städten, da hier der Großteil mäßige politische Debatten handelt: der Klimaschutz der historischen Fachwerkgebäude steht. Hier sollten bedarf dringend der Aufmerksamkeit, damit Maßnah- neue Konzepte entwickelt und umgesetzt werden, eine men ergriffen werden, um langfristig klimafreundlich Förderung des ländlichen Raumes würde auch die und ressourcenschonend zu leben, zu arbeiten und zu Vitalität des Raumes erwecken und einen wichtigen wohnen. Doch mit der Masse an Medien stumpft die Beitrag für die demographische Entwicklung leisten. Bevölkerung gegenüber der Thematik auch mehr und Wichtig dabei ist eine enge Zusammenarbeit zwischen mehr ab. Daher ist es wichtig, „das Bewusstsein dau- der Verwaltung und der Bürgerschaft, so können nur ernd wachzuhalten“. langfristig angelegte partizipative Maßnahmen eine Veränderung garantieren. Dabei sollte der Blick über den Tellerrand hinausgehen, bereits erfolgreich umgesetzte Vorhaben in anderen Städten und Kommunen sollten als Vorbild und Grundlage für die eige- ne Entwicklung dienen, so Dr. Klauß. Ein herausragendes Vorbild ist da- bei die Stadt Wolfhagen selbst: Mit der Gebietsreform 1972 und dem Verlust des Status als Kreisstadt verlor die Stadt nach und nach zahlreiche Institutionen, die Bevölkerungszah- len sanken und die wirtschaftliche Bürgermeister Reinhard Schaake begrüßt die Gäste im Kraft der Stadt nahm ab. Michael Saal des historischen Rathauses. Joost, Leiter der Energie und Stadtentwicklung in Wolf- hagen, erinnert sich noch gut an die zähen Jahre der Mit diesen Worten eröffnet Prof. Manfred Gerner den Stagnation, aber auch an den Weg zurück zu einer vita- Fachlehrgang zum Projekt „Kompetenzzentrum Klima- len Stadt. Dabei waren besonders die Vorhaben erfolg- schutz in Fachwerkstädten“ am 24. Oktober in Wolfha- reich, bei denen die Stadt und die Bevölkerung Hand gen. Im Projekt sollen an fünf Standorten bundeweit in Hand aktiv geworden sind. „Die Kraft der Vielen ist Kompetenzzentren entstehen, die aktiven Klimaschutz der maßgebende Faktor“, so Michael Joost bei seinem und nachhaltiges Bauen in unseren historischen Rückblick auf die vergangenen Jahre. Schmunzelnd Fachwerkstädten zeigen. Zusätzlich sind Weiterbil- fügt er hinzu, dass „Geld allein keine historische Altstadt dungsangebote im Aufbau, mit Webinaren und Semi- narangeboten soll die breite Bevölkerung zum Thema Auf einem Stadtrundgang konnten die Gäste die positive Entwick- Klimaschutz in Fachwerkstädten sensibilisiert werden lung der Stadt direkt erfassen. und Möglichkeiten für klimafreundliche Bauweisen an Fachwerkgebäuden kennenlernen. In seiner Einleitung hält Prof. Gerner fest, dass bereits vie- le gute Wege begangen worden sind: Der Trend zeigt, dass das Thema Klimaschutz und nachhaltiges Bauen, und auch der Denkmalschutz in den letzten Jahren deutlich an Relevanz gewonnen hat. Viele Vorhaben und Maßnahmen haben ihre Programme um eben- diese Inhalte ergänzt. Zusätzlich wurden zahlreiche neue energieeinsparende Instrumente und nachhal- tige Materialien für Bau- und Sanierungsmaßnahmen entwickelt. Doch besteht an vielen Stellen auch noch Handlungsbedarf: so sind schätzungsweise 40 % aller Heizkessel in Deutschland bereits überaltert.
8 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 rettet“, dennoch natürlich auch ein wichtiger Faktor in Timo Kuhrau, Projektbearbeiter im Vorhaben „KlimaIn- der Entwicklung ist. Es wurden Anreize geschaffen und noGovernance“ in Wolfhagen sieht zudem den land- von der Bevölkerung angenommen, so schaut die ge- wirtschaftlichen Sektor an einem wichtigen Hebel zur samte Stadt nun stolz auf die Ergebnisse der letzten Produktion nachhaltiger Energiemasse. Für ihn stellt die Jahre: Das Forschungsprojekt „Energieeffiziente Stadt“, Herstellung von Biomasse als Energieträger eine wich- die Gründung einer eigenen Bürgerenergiegenossen- tige Maßnahme dar, die viel mehr Beachtung bedarf. schaft und einer Umweltstiftung, die Einrichtung eines Eine Umsetzung kann jedoch nur stattfinden, wenn die Klimaschutzmanagements und die Teilnahme am For- bestehenden (technischen) Modelle Akzeptanz in der schungsprojekt „KlimaInnoGovernance“ sind nur ein breiten Bevölkerung finden, so Timo Kuhrau. Nahwärme- Bruchteil an Maßnahmen, die die Stadt in den letzten konzepte nicht nur in kleinen Fachwerkquartieren be- Jahren ergriffen hat oder auch jetzt noch bearbeitet. dürfen innovativer Betreiberformen und einer Techno- Weitere Maßnahmen für seine Stadt, aber auch für jede logieoffenheit, die zunächst noch von der Bevölkerung andere Kommune sieht Michael Joost nun vor allem in angenommen werden müssen. der Schaffung vieler einzelner, wenn auch kleiner Inno- vationen: Als ein Beispiel nennt er hier Alternativen für Eine weitere vorbildliche Maßnahme entwickelt das den innerstädtischen motorisierten Individualverkehr, Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach: Mit dem so sollten neue Konzepte für Fußgänger und Radfahrer Aufbau eines Musterhauses als Zentrum des Klima- geschaffen werden, die, langfristig gedacht, den moto- schutzprojektes will der Hessenpark „Lust auf Wohnen risierten Verkehr in den historischen Stadtkernen weitest- im Fachwerk schaffen“, so Elke Ungeheuer. Im Hessen- gehend ablösen. park werden historische Fachwerkimmobilien mit mo- dernen Bautechniken konfrontiert, das Musterhaus mit Michael Joost berichtet von der wechselvollen Entwicklung Wolf- einem „Raum der offenen Bauteile“ soll zeigen, dass His- hagens in den letzten Jahren. torisches und Modernes keinen Widerspruch darstellen. Zusammenfassend sieht Prof. Manfred Gerner viele po- sitive Beispiele für ein nachhaltiges Leben in unseren historischen Fachwerkstädten. Zur Frage, wie das Wis- sen, das bereits vorhanden ist, unter die Leute bringen zu können, soll das Projekt „Kompetenzzentrum Klima- schutz in Fachwerkstädten“ einen wichtigen Beitrag leisten. Das Projektzentrum im Hessenpark bezeichnet er dafür als eine sehr gute Lösung, da hier bereits vie- le Menschen erreicht werden. Die vier deutschlandweit verteilten Standorte in Wolfhagen, Bleicherode, Schil- tach und Hann. Münden dienen zusätzlich der Generie- rung und Streuung des Wissens. Alle zusammen haben das Ziel, den Klimaschutz in unseren Fachwerkstädten dauerhaft zu einem wichtigen Thema zu machen. Das historische Fachwerkrathaus von Wolfhagen war Veranstaltungsort der Klimatagung. Alle Fotos: Laura Plugge
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 9 13. Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik in Stuttgart, 18. bis 20. September 2019 Volker Holzberg Mit den drei Begriffen „smart, solidarisch, resilient“ stan- den drei entscheidende Dimensionen der Stadtentwick- „Smart, solidarisch, resilient: Wie gestalten wir die Zukunft lungspolitik zur zukünftigen Gestaltung von Stadt und in Stadt und Land?“ so lautete in diesem Jahr der Titel Land im Mittelpunkt von Vorträgen, Fachveranstaltungen des 13. Bundeskongresses Nationale Stadtentwicklungs- und Arenen. Mit ressourceneffizienter und klimagerech- politik, der vom 18. bis 20. September in den Stuttgarter ter Stadtentwicklung, Sicherung der Daseinsvorsorge in Wagenhallen stattfand. von Abwanderung geprägten ländlichen Regionen bis hin zu den Herausforderungen der Digitalisierung befass- Die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V. ten sich in verschiedenen Ansätzen die Vorträge und nutzte auch in diesem Jahr die Gelegenheit, Arbeit und Diskussionen in einem hochrangigen und fachkompe- Projekte des Vereins einem fachkundigen und sehr inter- tenten Referentenkreis. essierten Publikum vorzustellen. Für die Teilnehmer des Bundeskongresses gab es in den Stadtentwicklungspolitik und wie in der Zukunft damit vielen Fachveranstaltungen und Arenen hinreichend umzugehen ist, ist auch für unsere Arbeitsgemeinschaft Gelegenheit sich über aktuelle und zukünftige Entwick- und die Mitgliedsstädte ein wichtiges Thema, zu dem der lungen auszutauschen. Kongress mögliche Lösungen herausgestellt hat. Die nationale Stadtentwicklungspolitik und ihre Struktu- ren bietet einen geeigneten Rahmen, um die für Bund, Länder und Kommunen gemeinsame Aufgabe, Stadt und Land als smarte, solidarische und resiliente Lebens- und Arbeitsorte für alle zu gestalten. Der Kongress zeigte wieder einmal deutlich, dass die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V. mit ihren bisherigen, aber gerade auch mit den aktuellen Projekten – Klimakompetenz, Bürgerfonds, Integration und Qualifikation – wertvolle Ergebnisse und Anregun- gen nicht nur für unsere Mitgliedsstädte gibt, sondern auch dazu beiträgt Handlungsempfehlungen für Bun- Intensive Gespräche wurden auf dem Bundeskongress des- und Landespolitik zu geben und in den Erfahrungs- geführt und neue Kontakte geknüpft. austausch einzutreten. Es herrschte reger Betrieb an dem Fachwerktriennale-Marktstand auf dem Kongress. Alle Fotos: Volker Holzberg
10 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 Riedlingen – mit dem Pilotprojekt Schwanen Zeichen setzen 10.463 Einwohner und eine Lage in einem dynamisch Zuzug ist ein weiteres Stichwort für Riedlingen. Bürger- wachsenden Wirtschaftsraum des Landkreises Bibe- meister Schafft hob hervor, dass es wichtig ist, Zuzüge rach. Da liegt es auf der Hand, dass es zu einem Mangel in die Altstadt – in den Ortskern – zu fördern und zu in- an Wohnraum und Fachkräften/Arbeitskräften führt. tegrieren. Wichtig ist für ihn, dass denkmalgeschützte Häuser auch genutzt werden. Dabei muss man sicher Auf einem Rundgang im Rahmen des Fachwerktrienna- auch einmal andere Wege gehen, um heutigen An- le19 – Workshops am 8. Oktober 2019 mit Teilnehmern aus sprüchen zu genügen. Migration und Integration wird dem Gemeinderat, der Verwaltung, der Geschäftsstelle in Riedlingen als eine Chance für Stadtentwicklung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V. und Wirtschaft betrachtet und mit einer kommunalen und interessierten Bürgern machten Bürgermeister Mar- Integrationsstrategie angegangen. cus Schafft und Stadtbaumeister Wolfgang Weiss noch einmal deutlich und zeigten an Beispielen, dass durch Ein Modell im Rahmen der Fachwerktriennale19 ist hier- die schon seit 1979 laufende Stadtsanierung Impulse ge- für das Projekt „Schwanen“. Es ist ein gelungenes Bei- gen den Einwohnerrückgang und Teilleerstände in der spiel, Qualifikation und Integration mit den Zielen der Altstadt gesetzt wurden. Rund 25 Mio. Euro sind bisher Stadtentwicklung zu verknüpfen. Das Gebäude mit ca. im Rahmen der Stadtsanierung vor allem in den öffent- 900m2 Wohnfläche stand schon mehrere Jahre leer und lichen Raum und in kommunale Gebäude geflossen. war quasi dem Verfall preisgegeben. Zugleich suchte Dabei wurde durchaus auch Wert aus einem Mix von die Stadt Riedlingen nach bezahlbarem Wohnraum, Alt und Neu gelegt. Rat und Verwaltung wollen nicht der sich zunächst als einfache Lösung „auf der grünen die Puppenstube als Leitbild, sondern den „Lebens- und Wiese“ am Stadtrand anbot. Durch die Initiative der loka- Erlebnischarakter Stadtraum“. Aber auch das wichtige len Unternehmergruppe Mark/Henle/Selg entstand eine Thema „Nachhaltigkeit“ ist in der Stadt Riedlingen mit Investorengruppe, die das Fachwerkhaus Schwanen vielen Maßnahmen im Leitbild der Stadt verankert. durch eine neu gegründete GbR saniert hat. Foto links: Die Teilnehmer des Workshops wurden nicht nur über das Triennale-Projekt der Stadt informiert, sondern konnten auf dem Stadtrundgang auch die Fachwerksubstanz der Stadt erleben. Foto rechts: Die Teilnehmer des Workshops begutachten den Projektfortschritt am Gasthaus „Schwanen“.
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 11 Neben dem Gasthaus Schwanen wurde eine zum Axel Henle aus der Investorengruppe Mark/Henle/Selg Grundstück gehörende Scheune, die vom Verfall be- stellte im Rahmen der Diskussion die Rechtssicherheit droht war, abgerissen. Der hierdurch mögliche Neu- bei der Bemessungsgrundlage für Abschreibungen bau mit einem Blockheizkraftwerk und barrierefreien und Zuschüsse als wichtige Forderung der Investoren Wohnungen in guter Wohnlage konnte das historische und Eigentümer heraus. Gebäude funktional ergänzen. Durch die Initiative der Unternehmensgruppe gelang es, das Gasthaus Geschäftsführerin Maren Sommer-Frohms – Arbeitsge- Schwanen für den Standort und eine gemischte Ziel- meinschaft Deutsche Fachwerkstädte e.V. – wird die- gruppe – Flüchtlinge, Senioren und Menschen, die von ses Thema unter anderem auf der Abschlussversamm- Obdachlosigkeit bedroht sind, ins Gespräch zu brin- lung der Fachwerktriennale am 25. November 2019 in gen. Mit der Sanierung des Objektes wurde ein starkes Berlin, bei der auch Vertreter aus Bundes- und Landes- Zeichen für die Innenentwicklung gesetzt. Gleichzeitig politik teilnehmen, aufgreifen. konnte ein nachhaltiges Angebot im Wohnungsmarkt und ein hoher Integrationsgrad erreicht werden. Die Triennale bedarf einen intensiven Austausch zwischen allen Beteiligten, um an die Erfolge der Triennalestädte anknüpfen zu Die Investorengruppe hat das Objekt ohne Zuschüsse können. Alle Fotos: Volker Holzberg und Fördermittel saniert. Die Stadt Riedlingen über- nimmt eine Mietgarantie für den Zeitraum von 12 Jah- ren, um in dem sanierten Fachwerkgebäude Men- schen mit erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt unterzubringen. Danach kann die Investorengruppe frei über den Wohnraum verfügen. Im Rahmen der Sanierung des Gebäudes wurden Flüchtlinge aus Af- ghanistan in die Fachwerksanierung erfolgreich ein- gebunden. Vorteile dieses Beispiels einer privaten Unternehmer- initiative liegen in der flexiblen privaten Entwicklung, Sanierung und Trägerschaft ohne Einsatz von Förder- mitteln. Ein altes denkmalgeschütztes Fachwerkhaus in der Innenstadt konnte durch einen wirtschaftlich ren- tablen Mietertrag denkmalgerecht saniert und wieder Wohnzwecken zugeführt werden.
12 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 Fachwerkkompetenz wird spürbar Die Fachwerk Triennale 19 macht Potentiale sichtbar und gibt Hinweise an die Politik Diana Wetzestein Region seien. „Ein großes und wertvolles Pfund unserer Stadt sind viele engagierte Bürgerinnen und Bürger, Die einen machen es vor, andere machen es nach, und zu der auch „ein.münden“ mit dem Baucamp für jun- können vom Mut der Initiatoren lernen. Ein altes Prinzip, ge Menschen zählt“, so Wegener. Dieses Integrations- das auch heute funktioniert. Der niedersächsischen projekt sollte geflüchteten Jugendlichen die Baukultur Fachwerkstadt Hann. Münden kann eine wichtige Rolle der Region näherbringen, sie sprachlich fördern und als Initiatorin zugeschrieben werden. Bürger dieser Stadt ihnen den Mut für ein Leben in einem fremden Land haben es geschafft, das Fachwerk in der gesamten leichter machen. Zudem sei das Projekt ein wichtiger Region bekannter zu machen. Seit vielen Jahren ste- Baustein im Konzept der Fachwerk-Lernwerkstatt, die hen sie aktiv für die Erhaltung und Nutzung historischer in einem historischen Gebäude an der Werra Einzug hal- Fachwerkhäuser ein und werden dabei auch von der ten könnte. Stadtverwaltung unterstützt. Bekannt sind vor allem das Denkmalkunstfestival, das Fachwerkprojekt 9x24 und die Die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Deut- Destination „Fachwerkfünfeck“ in Südniedersachsen. All sche Fachwerkstädte, Maren Sommer-Frohms, berichte- das hat den Fachwerktourismus in der Region nach- te rückblickend über die im Format der Fachwerk Trien- weislich gefördert. nalen seit 2009 von der Arbeitsgemeinschaft begleiten Städte. Unzählige Projekte und Initiativen seien dadurch Die Teilnahme dieser Stadt an der Fachwerk Triennale ins Leben gerufen worden, die alle einen signifikanten der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. Beitrag zur Reaktivierung der Innenstädte liefern konn- (ADF) mit dem Arbeitstitel „Hann. Münden: Baucamp als ten. Ihr kurzer Überblick über die Triennale-Themen Integrations-Projekt“ macht deutlich, dass dort ein gutes „Fachwerk-Klima“, „Bürgerfonds“ sowie der „Integration Fundament steht, auf dem nun viele weitere Projekte für und Qualifikation“ und die 14 Veranstaltungen in den die Fachwerkstadt aufgebaut werden können. Mitgliedsstädten der ADF, unterstrich diese Aussage. „Die Fachwerk Triennale 19 wird von der NSP gefördert. Wir haben uns in diesem Rahmen kritisch und dezidiert damit auseinandergesetzt, wie es gelingen kann, die Sanierung von Fachwerkhäusern, die Qualifikation von Migranten und die Wohneigentumsbildung der Neubür- ger miteinander zu verknüpfen“, so Dr. Uwe Ferber. Aus diesem Grund wurde Hartmut Teichmann vom Bund eingeladen, an der Begleitforschung der Nationalen Entwicklungspolitik (NSP) teilzunehmen. Der Workshop in Hann. Münden soll deshalb auch ein Blick in die Zukunft sein, der bewusst die Verbindungen des Projektes „ein. münden“ mit einer angedachten Fachwerk-Lernwerk- statt herausarbeitet. Bürgermeister Harald Wegener ist stolz auf die Hann. Mündener Fachwerkbauten und betont, wie wichtig die Denn hinter dem Titel „FachwerkLernwerkstatt“ steht Pflege und Erhaltung dieser Gebäude ist. erst einmal „nur“ eine Machbarkeitsstudie. Vom Fach- werkfünfeck in Auftrag gegeben, soll sie der gesamten Region zugutekommen. Im leerstehenden historischen Mitte Oktober begrüßte Bürgermeister Harald Wegener Packhof könnten verschiedene Fachwerk-Angebote Vertreter der Bürgerinitiativen, der Arbeitsgemeinschaft, entstehen. Darunter Ausstellungen zum Thema Fach- des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpfle- werk und Handwerk, Lern- und Mitmachprojekte, Be- ge, einer Grundschule, der Wirtschaftsförderung, des ratung sowie berufliche Weiterbildungs- und Qualifizie- Job-Centers und des Deutschen Fachwerkzentrums rungsangebote. „Wir denken an eine Lernwerkstatt als Quedlinburg e. V. im Geschwister-Scholl-Haus der Drei- Fachwerklabor, die eine Strahlkraft weit über die Gren- flüssestadt. Der Workshop wurde von Dr. Uwe Feber, zen des Fachwerkfünfecks hinaus entwickeln kann“, StadtLand GmbH aus Leipzig, moderiert, der Schwer- sagte Burkhard Klapp, Fachdienst Denkmalschutz und punkt lag auf der Arbeit der Initiative „ein.münden“ und Stadtbildpflege. der FachwerkLernwerkstatt im Packhof Hann. Münden, für den eine Machbarkeitsstudie erarbeitet werden soll. Das Konzept beinhalte Vorschläge zum Ausbau und zur Nutzung als Werkstatt, für die Gastronomie, mit Gast- und Wegener betonte, dass ehrenamtliche Initiativen aus- Schulungsräumen. Interesse sei bereits von verschiede- schlaggebend für die Entwicklung der Stadt und der nen Seiten bekundet worden, doch die Umsetzung sei
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 13 Hann. Münden vereint im Triennaleprojekt eine Vielzahl an Personen und Institutionen, alle mit dem Ziel, einen wichti- gen Beitrag für die Stadt zu leisten. nur mit zusätzlichen Fördermitteln möglich. Denkmal- zwei Kurden und drei Eritreer) machten mit. Die anderen pfleger Klapp hält die stärkere Verbreitung des Themas konnten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, zwei Fachwerk für wichtig. „Eine regionale Identifikation mit Wochen ohne Handynetz und WLan-Zugang in einer dem Fachwerk in Südniedersachsen kann sich nur durch Waldjugendherberge zu verbringen“, so Teichmann. das Verstehen und Begreifen von Fachwerk als Archi- tektur, als Baukonstruktion, als Handwerk, Wissenschaft, Seinem Vortrag schloss sich Claudia Christina Hennrich, Tradition und Therapie für gesundes Wohnen und Ent- Geschäftsführerin des Deutschen Fachwerkzentrums schleunigung entwickeln“, sagte er. Wenn es einer Stadt Quedlinburg e. V., mit ihrem Bericht über 18 Jahre Arbeit, gelänge, in diesen Punkten über ihre Fachwerk-Identität neun Projekte und die Qualifizierung und Bildung von aufzuklären, sei es möglich, mehr Aufmerksamkeit und internationalen jungen Menschen. „An der Goldstraße Akzeptanz für die Erhaltung historischer Bausubstanz bei 25 waren 80 Jugendliche der Jugendbauhütte aus aller den Bürgern zu erreichen. Welt beteiligt. Der interkulturelle Austausch ist von größter Bedeutung für unsere Projekte“, sagte sie. Als im Jahr 2015 auch in Hann. Münden viele unbeglei- tete geflüchtete Jugendliche ankamen, wurden Hart- mut Teichmann und viele andere in der Initiative „ein. münden“ aktiv. „Unser Schwerpunkt bei der Begleitung und Hilfe für diese jungen Menschen lag beim Deutsch- unterricht“, so Teichmann. Als zwei Jahre später die ers- ten dieser Jugendlichen die Schule beendet hatten, musste „ein.münden“ wieder aktiv werden, damit den Jugendlichen der Weg in den Beruf gelingen kann. Eine Orientierungshilfe wollte man geben, Praktikumsplätze anbieten und etwas bauen, was bleiben kann. Ein Jahr dauerte die Planung für das Baucamp in Steinrode, wo der Fachwerkbau für ein Küchengebäude anstand. „Wir wollten gern 25 Jugendlichen aus unserer türkischen Hann. Münden vereint im Triennaleprojekt eine Vielzahl Bevölkerung, aus Geflüchteten und Deutschen in einer an Personen und Institutionen, alle mit dem Ziel, einen Gruppe zusammenbringen und gemeinsam das Haus wichtigen Beitrag für die Stadt zu leisten. aufstellen“, so Teichmann, der diese Idee bereits als die erste Hürde bezeichnete, denn am Ende kam kein türki- Maren Sommer-Frohms bedankte sich am Ende für ei- scher Jugendlicher dazu. nen interessanten Workshop. „Das übergeordnete Ziel dieser Triennale ist, die lokalen Herausforderungen der Die zweite Hürde stellte die Finanzierung dar. Das Ein- einzelnen Städte darzustellen und zu einem bundes- werben von Fördergeldern für das mit 25.000 Euro veran- weiten Netzwerk zusammenzuschließen. So können wir schlagte Projekt habe zu viel Zeit und hohen Aufwand gemeinsame Wege und Lösungen finden, die übertrag- gekostet. „Wir haben auch darum am Ende nur wenige bar sind“, sagte Maren Sommer-Frohms. Die Ergebnisse Plätze besetzen können, weil wir keine Planungssicher- werden dokumentiert, ausgewertet und aufbereitet und heit hatten und erst sehr spät dafür werben konnten“, im November auf der Abschlussveranstaltung in der sagte er. Hier wünsche er sich eine einfachere Förder- Niedersächsischen Landesvertretung präsentiert. Damit politik und Antragsverfahren. „Siebzehn Jugendliche am Ende möglichst viele der 140 Mitgliederstädte davon waren angemeldet, elf (fünf Deutsche, ein Afghane, profitieren können.
14 14 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 Fachwerk als Schwerpunkt der Ausbildung Triennale 19 in Eschwege widmet sich der Integration durch Handwerk Diana Wetzestein Dieses Projekt ist der vierte Triennale-Beitrag aus der Fachwerkstadt Eschwege. „Handwerk und Fachwerk Das Handwerk hat noch immer nicht den Stellenwert in prägen das Bild und die Identität dieser Region, die für der Gesellschaft, den es haben sollte. Dabei ist der Fach- geflüchtete ihre neue Heimat werden könnte“, sagte der kräftemangel bereits zu einem gesellschaftlichen Prob- Bürgermeister Alexander Heppe. Die Ausbildungsstätte lem geworden. Schon jetzt gibt es nicht ausreichend Aus- als ein Projekt in die Triennale 19 aufzunehmen, hält er für zubildende und Gesellen. Das Ausbildungszentrum der äußerst wichtig. Bauwirtschaft in Eschwege (ABZ), als wichtiger Standort für die Ausbildung und Qualifikation im Handwerk, kann „Die Fachwerklandschaft prägt die Ortsbilder der ge- dieser Entwicklung entgegenwirken. samten Region“, so Bürgermeister Heppe. Umso besser, dass das Projekt dem Lehrgang 2019/2020 das Fachwerk Die Kreissäge läuft auf Hochtouren. Es wird gemessen, noch exklusiver vermitteln will, als das bisher innerhalb angezeichnet und aufgebaut. Aus den Zuschnitten fer- der Ausbildung der Fall war. „Wir sind froh, dass wir das tigen die 25 Auszubildenden erstmals in ihrem Berufsle- ABZ für das Bauhandwerk in dieser Qualität am Standort ben schulterhohe Schalungen. Ihr erstes Ausbildungsjahr Eschwege haben. Mir sind Fälle aus der Region bekannt, haben sie im August begonnen. Und obwohl sie aus ver- wo Betriebe vor der Schließung stehen, weil sie keinen schiedenen Handwerksberufen kommen, arbeiten sie Nachwuchs finden. Aufträge sind vorhanden, aber die im 1. Ausbildungsjahr hier zusammen, erleben, was ein Arbeitskräfte fehlen. Darum schätze ich das Angebot des Maurer, Zimmerer, Betonbauer, Fliesenleger oder Stra- ABZ sehr und hoffe, dass wir noch mehr junge Menschen ßenbauer macht und was er kann. finden, die ihren Berufsweg im Handwerk sehen“, so der Bürgermeister. Diese 25 jungen Menschen sind die Protagonisten in der Fachwerk Triennale 19 der Fachwerkstadt Eschwege. In Eschwege und dem gesamten Kreis müssen sich Schu- Ausbildungsleiter Heiko Schilling stellte Mitte Oktober in len und Ausbildungszentren den immer neuen Heraus- den Räumen und Werkshallen des ABZ eine dafür konzi- forderungen durch Zuwanderung stellen. Sie wollen die pierte Lerneinheit „Fachwerk und Qualifizierung“ vor. „Sie Chancen nutzen, habe dafür viele Hürden aus dem Weg geht vom Rohstoff Holz bis zur Oberflächenbehandlung geräumt. Was immer dableiben wird, sind die Hindernis- mit ökologischen Materialien, wobei die Schwerpunkte se durch mangelnde Deutschkenntnisse. Klar ist: nur wer bei Fachwerkkonstruktion, Holzverbindungen, Entwurf, die Sprache versteht, kann eine Ausbildung erfolgreich Abbund und Verzimmern eines Fachwerkgebäudes lie- abschließen. Das ABZ bietet speziell für das Bauhand- gen. Vor allem die Exkursionen werden für die Auszubil- werk einjährige Ausbildungskurse für Migranten an, um denden einen echten Mehrwerk haben“, sagte Ausbil- sie für den Einstieg in die Ausbildung zu qualifizieren, so dungsleiter Heiko Schilling. Dokumentationen und eine Schilling. Abschlusspräsentation im Sommer 2020 sollen das bele- gen. Für den Werra-Meißner-Kreis ist die Nähe zu Thüringen ebenfalls eine Herausforderung. „Der Werra-Meißner- Im Ausbildungszentrum passt man sich an die individuellen Vor- Kreis ist, was die Verdienstmöglichkeiten angeht, schlecht aussetzungen der Auszubildenden an. So gibt es separate Program- aufgestellt. Die Tarife sind immer noch nicht angeglichen, me zur Qualifikation der Migranten, alle mit dem Ziel, eine abge- unsere Nachbarschaft mit Thüringen macht unseren Be- schlossene Ausbildung als Ergebnis zu haben. trieben das Leben schwer“, so Schilling. Darum stellt er das Besondere des ABZ heraus: Die Trägerschaft durch die Bau-Innung Werra-Meißner. Mit etwa 35 Betrieben aus dem Bauhauptgewerbe der Region sei sie für die Finan- zierung der überbetrieblichen Ausbildung zuständig. Die gute Qualität der Ausbildung käme den Betrieben somit direkt zugute. Eschwege nimmt bereits zum vierten Mal an einer Fach- werk Triennale teil. Das Interesse der Arbeitsgemein- schaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. am ABZ ist nicht nur dem Zeitgeist geschuldet, vielmehr arbeitet die Ar- beitsgemeinschaft seit Jahrzehnten an diesen Themen und hat damit sicherlich schon viel erreicht. „Wir haben in Eschwege ein gutes Beispiel dafür, wie in der prakti- schen Berufsausbildung das Thema Fachwerk mit der Integrations- und Migrationsthematik objektiv verknüpft
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 15 Hand in Hand wird im Ausbildungszentrum gearbeitet, die Auszubildenden freuen sich auf das Fachwerkprojekt. Alle Fotos: Diana Wetzestein werden kann. Es gibt eine klare Perspektive für Jugend- Die Ergebnisse aller Teilnehmerstädte wurden auf der liche, die sich hier einbringen, damit längerfristig beruf- Abschlussveranstaltung am 25. November in der Nie- lich in einer Qualifikation befinden und hoffentlich hier dersächsischen Landesvertretung in Berlin präsentiert. auch heimisch werden“, sagte Dr. Ferber am Ende des Informationen erhalten sie unter: Gespräches. www.fachwerk-triennale.de
16 FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 Wie läuft Integration bei euch? Die Triennale-Workshops machen Halt in Seligenstadt Der imposante Marktplatz zeigt die wertvolle Fachwerksubstanz in Seligenstadt. Foto: Laura Plugge Laura Plugge ihre Neubürger ein und leisten eine herausragende und vorbildliche Integrationsarbeit. Dr. Uwe Ferber vom Die räumliche Lage Seligenstadts ist geprägt durch die Begleitbüro StadtLand GmbH bezeichnet Seligenstadt Nähe zu Bayern und die Lage im sogenannten Speck- nicht umsonst als einen „wichtigen Baustein im Baukas- gürtel Frankfurts. Dennoch finden sich auch in Seligen- ten der Fachwerktriennale“. stadt zahlreiche leere (Fachwerk)häuser wieder, wäh- rend gleichzeitig die Nachfrage nach bezahlbaren Trotz der herausragenden Leistungen und den Erfah- Wohnraum ansteigt. Besonders aufgrund den hohen rungen, die der Arbeitskreis in seinen Bestandjahren er- Flüchtlingszahlen der letzten Jahre wird händeringend bringen konnte, ist und bleibt die Flüchtlingsarbeit eine nach Wohnkapazitäten gesucht. Gleichzeitig müssen große Aufgabe. „Integration ist kein Prozess von ein aber auch Angebote zur Weiterbildung und Qualifizie- paar Wochen“ mahnt Jürgen Schneider, Mitglied des rung geschaffen werden, um aus den Flüchtlingen in- Arbeitskreises. Er betont, dass viel Geduld, Einfallsreich- tegrierte Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu machen. tum und Überzeugungsarbeit gegenüber den Flücht- lingen selbst, aber auch gegenüber den Seligenstäd- Welche Möglichkeiten die Stadt im Rahmen der Fach- ter Bürgern und vor allem gegenüber der städtischen werktriennale 19 geschaffen hat, um ebendieser Nach- Verwaltung nötig waren und sind, um aus den Flüchtlin- frage entgegenzukommen, haben die Verantwortli- gen integrierte Bürger zu machen. chen auf dem Triennale-Workshop am 22. Oktober im Seligenstädter Rathaus vorgestellt. Und schnell stellte Und die Arbeit trägt mittlerweile Früchte: Die ersten sich heraus: für die Seligenstädter Bürgerschaft, vor al- Flüchtlinge sind in regulären Berufsausbildungen an- lem für den Arbeitskreis „Willkommen in Seligenstadt“ gekommen. Und auch die Zwischenbilanz des Arbeits- ist die Flüchtlingsarbeit und Integration schon sehr lan- kreises sieht gut aus: Am 18. November 2014 gegründet ge ein wichtiges Thema. Nicht erst mit der Flüchtlings- zählt die Initiative heute rund 300 Mitglieder, die sich welle 2015 setzen sich die Bürgerinnen und Bürger für auf die Arbeitsgruppen „Versorgung, Beratung, Beglei-
FACHWE R K-TR I E N NALE 2019 17 tung“, „Kurse“, „Arbeit“ und „Begegnung“ aufteilen. haltserlaubnis, nun gilt es, diese Menschen in Wohnun- Zwei Einrichtungen, das FUNDUS, in dem die Neuan- gen und Arbeitsverhältnisse unterzubringen. kömmlinge eine Grundausstattung erhalten, und das FLIDUM, in dem vor allem die deutsche Sprache ver- Maruschka Güldner vom Landesprogramm „WIR im mittelt wird, wurden eröffnet. In den rund fünf Jahren Kreis Offenbach“ stellt dazu ein landesweites Projekt Flüchtlingsarbeit hat sich dabei viel verändert: mittler- vor, das die Integration deutlich vereinfachen soll. Im weile ist man an die Arbeit gewöhnt, es wird weniger Vordergrund der Arbeit steht vor allem die Förderung Erstausstattung abgefragt, das Kursangebot ist deutlich der Willkommens- und Anerkennungskultur, Integrations- besser geworden und auch die Flüchtlingsarbeit durch stellen vor Ort sollen als Ansprechpartner für lokale Be- die städtischen Behörden hat sich verbessert, sodass lange dienen. Frau Güldner betont, wie wichtig dabei viele Aufgaben heute von der städtischen Verwaltung auch die Integration der örtlichen Bevölkerung ist, damit übernommen werden können. Langfristig will man vor gemeinsam mit der Stadt, den Einheimischen und den allem die regelmäßigen Angebote wie das Begeg- Neubürgern Mittel und Wege gefunden werden, eine nungscafé und kulturelle Veranstaltung für die (Neu-) Integration zu ermöglichen. Sie schlägt vor, neue Wohn- Bürger anbieten. Die Arbeit ist insgesamt also weniger konzepte wie Mehrgenerationen- oder multikulturelles geworden, „wir befürchten jedoch, dass wir auch in Wohnen in Betracht zu ziehen, um den noch vorhande- Zukunft wieder gebraucht werden“, so Jürgen Schnei- nen Wohnraum optimal nutzen zu können. der, der besorgt auf die internationale Entwicklung schaut. Zum Abschluss lobt Maren Sommer-Frohms, Geschäfts- führerin der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerk- städte die Stadt Seligenstadt für ihre herausragende Integrationsarbeit und freut sich, dass „Willkommen in Seligenstadt“ ein Teil der Fachwerktriennale 19 ist. Die Beteiligten sind sich einig: Seligenstadt liefert einen wichtigen Beitrag zur Integration von Neubürgern im städtischen Leben. Foto: Maren Sommer-Frohms Jürgen Schneider von „Willkommen in Seligenstadt“ ist stolz auf die Ergebnisse des Arbeitskreises. Foto: Laura Plugge Bürgermeister Dr. Daniell Bastian macht noch einmal deutlich und unterstreicht den unermüdlichen Einsatz der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die sich in unterschiedlichster Art mit ihren individuellen Stärken, Fähigkeiten und Möglichkeiten im Arbeitskreis „Will- kommen in Seligenstadt“ einbringen und bringt es auf den Punkt: Zusammenleben in Seligenstadt geht alle an! Erster Stadtrat Michael Gerheim erinnert sich noch gut an die Flüchtlingswelle, die auch Seligenstadt traf. Die zunächst nur vereinzelt angemieteten kleinen Wohn- einheiten waren schnell voll, 2015 wurde dann zusätz- Die Triennale als ein „Marathon durch Deutschland“ lich das „rote Haus“ für 80 Menschen errichtet, später vereint zahlreiche Ansätze unterschiedlicher Städte fasste das Gebäude 120 Menschen. Mittlerweile hat und Gemeinden. Am Ende entsteht ein Netzwerk, in sich die Situation beruhigt, die Stadt konnte gute Erfah- dem Erfahrungen und Instrumente zur Integrationsar- rungen mit vielen kleinen und stadtweit verteilten Unter- beit vermittelt werden können. Denn alle Beteiligten künften machen, die die Integration in das städtische sind sich einig: Integration bedeutet viel Arbeit und Ge- Leben deutlich einfacher gestaltet haben. Viele der duld, doch gemeinsam kann diese Aufgabe bewältigt 2015 Angekommenen haben mittlerweile eine Aufent- werden!
18 AUS U NSE R E N M ITGLI E DSSTÄDTE N Fachwerk in Niedersachsen Wichtiger Baustein des Kulturkapitals Prof. Dipl.-Ing. Manfred Gerner mal auch nur an die „Wilden Seeräuber“. Die Wikinger waren aber mehr bedeutende Schiffbauer, gute Hand- Niedersachsen ist bis heute, trotz großer Verluste im werker und vor allem blendende Kaufleute, die vom und nach dem Zweiten Weltkrieg eine herausragende wichtigen Handelsplatz Haithabu in Niedersachsen zwi- Fachwerkkulturlandschaft. Die weiträumigen flachen schen dem 8. und 11. Jahrhundert ein Handelsnetz von Landschaften der Küste und küstennahen Regionen rei- Schottland im Westen bis zum Zweistromland im Osten chen bis zu Hunderten von Kilometern ins Binnenland. betrieben. Die Wikinger bauten mit handwerklichem Wiesen, Marschland, Heideland, Ackerflächen, Weiden Geschick eine Sonderform des Hallenhauses mit Flecht- und kleinere, dichte Buchen- und Eichenbestände prä- werkwänden. gen das Land, das von den Einzelgehöften, Weilern und Ackerbürgerstädten mit großen Hofreiten und den Der Wandaufbau und die Holzkonstruktionen, besonders herausragenden Hallenhäusern, den sog. Haupthäu- die Holzverbindungen waren dabei hoch entwickelt und sern strukturiert wird. zeigen auch Entwicklungsstufen zur Fachwerktechnik in Niedersachsen. Diese – heute meist als niederdeutsche - Hallenhäuser bezeichneten Einhäuser wurden bereits in der Steinzeit Insbesondere in Niedersachsen wurde das Hallenhaus entwickelt, zahlreiche historische Befunde wie in Haitha- als Standardhaustyp bis ins 19. Jahrhundert fortentwi- bu belegen dies. ckelt und Niedersachsen ist bis heute die Heimat dieses Haustyps, wenn auch seine Verbreitung weit über die Exkurs: Grenzen des Bundeslandes reicht. Zu Recht kann man Haithabu bei Schleswig war eine Wikingerstadt. Denkt deshalb auch vom niedersächsischen Hallenhaus spre- man an die Wikinger, so denkt man zuerst und manch- chen. Frontansicht eines typischen 2-Ständer-Baus aus dem alten Land. Foto: Manfred Gerner
AUS U NSE R E N M ITGLI E DSSTÄDTE N 19 Niedersächsische Hallenhäuser haben die Zimmermeister ihr handwerkliches Können und den Stolz der Bauherren ausgedrückt. Die Hallen- In seiner Entwicklung zu höchster Vollkommenheit und häuser sind wie die Pferde ein Markenzeichen Nieder- großer Funktionsvielfalt ist das niedersächsische Hallen- sachsens. haus einmalig. Dabei hat sich der Hallenhaustyp als Einhaus, d. h. mit allen wesentlichen Funktionen: Woh- Das schönste Fachwerkhaus Europas nen, Viehhaltung und Ernte unter einem Dach als auch die Grundrissstruktur von ca. 2.500 vor Christus bis zur in- In den Städten wurden die Hallenhäuser für städtische dustriellen Revolution des 19. Jahrhunderts nicht geän- Funktionen weiterentwickelt: Sie erhielten zusätzliche dert. Zur Straße ist mit einem großen Tor der Stall mit der Stockwerke und die Wohnungen wurden mit „Utluch- mittigen großen Diele und den seitwärts aufgereihten ten“, Vorbauten, an den straßenseitigen Giebel gerückt. Kühen und Pferden angeordnet. Im hinteren Raumteil, In den Erdgeschossen waren hier neben den Wohnun- dem „Flett“, ist die Feuerstelle und wiederum dahinterlie- gen Lager, Räume zum Bierbrauen, Werkstätten und gend der Wohnteil des Bauern. Unter dem großen Dach später auch Läden angeordnet. Diese Fachwerkge- wird die Ernte gelagert. bäude wurden nochmals größer und stattlicher wie die ländlichen Hallenhäuser und weitergehend wurden sie Die Anordnung der Funktionen basiert auf der meist aus von den Zimmermeistern mit zusätzlichen Hölzern wie kräftigen Eichenhölzern verzimmerten Konstruktion: ein Kopf- und Fußwinkelhölzern, Andreaskreuzen sowie von Innengerüst als Zwei-, Drei- oder Vierständerhaus, drei- den Schnittgern, den Holzschnitzern, mit oft bedeuten- schiffig und von der Straße aus durch das große Dielen- dem Schnitzschmuck versehen. Diese städtischen Ge- tor erschlossen. Das Zweiständerhaus besteht aus hinter- bäude verkörpern insgesamt Urbanität, Wohlstand und einander gesetzten Gebinden mit je zwei Ständern und handwerkliches Können gepaart mit dem Repräsentati- einem Balken darüber. Diese Grundkonstruktion trägt onsanspruch wohlhabender Bürger. So ist es nur selbst- das Dach und an diese sind auch die Kübbungen, die verständlich, dass der französische Architekt Eugène niedrigen Seitenschiffe, angehängt. Emmanuel Viollet-le-Duc das 1529 errichtete und 1989 nach Kriegszerstörung rekonstruierte Knochenhauer- Insbesondere in den stattlichen Giebeln mit Stock- amtshaus in Hildesheim als das schönste Fachwerkhaus werksauskragungen und harmonischen Proportionen gepriesen hat. Das imposante Knochenhaueramtshaus in Hildesheim. Foto: Tobias1983 [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)])
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