Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment - Marlis Prinzing

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Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment - Marlis Prinzing
Ethik als Schlüssel
für Medienvertrauen
und Empowerment
Marlis Prinzing
Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment - Marlis Prinzing
Impressum
07/2021
Friedrich-Ebert-Stiftung
FES Medienpolitik
Godesberger Allee 149
53175 Bonn
www.fes.de/medienpolitik

Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich
Roland Feicht

Autorin
Marlis Prinzing

Redaktion
Roland Feicht

Fotos
Marco Pahl

Gestaltung und Satz
tigerworx Berlin

Verlag
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

ISBN: 978-3-96250-930-9

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht
notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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4                                    FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    Inhalt

        68                        8 12                          14   18

    5    Einleitung

    6	
      I. Was macht Vertrauen aus und wodurch entsteht es?

    8	
      II. Was beeinflusst Vertrauen, wodurch wird es beschädigt?

14	
   III. Fazit: ethisches Empowerment als Vertrauensbasis

18       Literatur
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ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT                5

 Einleitung
Kann man Journalismus trauen, wenn es um
die Covid-19-Krise geht? Woran erkennt man
Glaubwürdigkeit? Und soll man als Journalist
oder Journalistin über Impfrisiken und schwere
Corona-Verläufe ausführlich berichten? Zu
aktivem Klimaschutz auffordern? Gefahren von
Gesichtserkennungssoftware kleinreden, um
Menschen nicht zu verängstigen? Was tun, was
lassen, warum – und auf welcher Grund­lage?
Für eine digital geprägte, komplexe Medien­
gesellschaft ist ein ethischer Kompass noch
bedeutsamer denn je, um auf Kurs zu bleiben
und zu stärken, was diese in ihrem Inneren
zusammenhält: Vertrauen.

D     ieser Beitrag will ausloten, inwie-
      fern sich Journalismus in der heu-
tigen demokratischen Gesellschaft als
                                            Publikum. Sie befähigt dazu, sich in der
                                            heutigen Gesellschaft zu orientieren
                                            und sie dadurch zu stabilisieren. Diese
Vertrauensinstanz bewährt. Auf ein-         Befähigung erfordert eine Grundbil-
leitende Bemerkungen, was Vertrauen         dung (Literacy), sie muss systematisch
ausmacht und wodurch es entsteht (I),       erworben und gestärkt werden; und sie
folgen, in sechs Punkte gebündelt, aktu-    schließt die Bereitschaft zur (Selbst-)
elle Beispiele und Studienbefunde dazu,     Reflexion ein. Sie braucht zudem Rah-
was speziell das Vertrauen in Journa-       menbedingungen, die an die heutigen
lismus auszeichnet oder beeinträchtigt      Erfordernisse angepasst sind: Werte be-
(II). Daraus ergibt sich als Fazit (III):   dürfen institutioneller Räume, über die
Vertrauen in Journalismus ist gekoppelt     wir in die Pflicht genommen werden.
an seine professionelle Qualität. Diese     Das Lenkungs- und Steuerungssystem
lässt sich zu einem erheblichen Teil be-    (also die Governance-Struktur) für eine
schreiben als Grad der ethischen Qua-       massenmediale Öffentlickeit muss wei-
lität; sie umfasst ein verantwortungs-      terentwickelt werden für eine „plattfor-
orientiertes Publizieren ebenso wie         misierte Öffentlichkeit“.
eine aufmerksame Beziehung zum Pu-
blikum. Ethische Kompetenz ist der ge-
meinsame Schlüssel – für Journalismus
ebenso wie für sein potenziell sowohl
rezipierendes als auch produzierendes
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6                 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    I. Was macht Vertrauen aus und
    wodurch entsteht es?
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ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT                                      7

V     ertrauen ist eine zentrale Kategorie
      für das Miteinander. In einer digi-
tal geprägten, komplexen Medienge-
                                             2.	auf der Abwägung zwischen einer
                                                Folgenperspektive (Rechtfertigen für
                                                die Allgemeinheit erwartbar positive
                                                                                         leistungen hinzuweisen. Auf diese
                                                                                         Weise stützt Journalismus einerseits
                                                                                         das Vertrauen in diese Institutionen
sellschaft ist Vertrauen zudem ein be-          Folgen eines Handelns, auch dann so      und befördert andererseits das Vertrau-
deutender Schlüssel für Empowerment:            zu handeln, wenn dies für einige eine    en in Journalismus selbst und in seine
Die sich verschiebenden Grenzen zwi-            Zumutung ist?) und der pflichtethi-      orientierende Funktion. Indem Jour-
schen Privatem und Öffentlichem ha-             schen Betrachtung (Entspricht mein       nalismus öffentlich macht, wenn Poli-
ben uns an einen Scheideweg geführt.            Handeln der Gesinnung, auf die ich       tik versagt, zeigt er auch, was gelingen-
Werden und wollen wir uns ausgeliefert          mich verpflichtet habe, beziehungs-      de Politik ausmacht. Die Recherchen
fühlen, ausgegrenzt, ahnungslos, was            weise kann es zu einer Maxime von        zu den im März 2021 bekannt gewor-
mit unseren Daten und damit letztlich           allgemeiner Gültigkeit werden?)          denen Covid-19-Maskendeals, mit de-
mit uns geschieht, machtlos, misstrau-       3.	auf dem Respekt vor diskursethi-        nen einzelne deutsche Parlamentari-
isch, also „disempowered“? Oder wol-             schen Prinzipien einer Debatte auf      er sich selbst Vorteile verschafften, für
len wir „empowered“ sein beziehungs-             Augenhöhe, in der mehrere Seiten zu     die sie dann zur Verantwortung gezo-
weise werden, also befähigt zu einer             Wort kommen und in der Wahrheit,        gen wurden, sind ein Beispiel dafür.
souveränen, selbstbestimmten Teilha-             Wahrhaftigkeit und Transparenz stil-    Und wenn es krisenbedingt zu Grund-
be? Ihr Kern ist eine ethische Orientie-         prägend sind und vertrauensbildend      rechtseinschränkungen wie zum Bei-
rung, die dreifach verankert ist: erstens        wirken                                  spiel Lockdowns kommt, dann ist es die
durch einen ethischen Kompass, der           Diese gemeinsame Grundlage wird in          Aufgabe eines kritisch beobachtenden
hilft, auf einer gemeinsamen Werte­          diverse Themenbereiche (als politi-         Journalismus, diese einzuordnen und
basis verantwortungsbewusst zu han-          sche Ethik, als Sozial-, Umwelt-, Wirt-     ins Verhältnis zu setzen. Durch all dies
deln, zweitens durch eine institutionell     schafts-, Medienethik etc.) übertragen,     ­erbringt er eine Vertrauensleistung.
verbindlich gemachte Verankerung die-        für die dann spezifische berufsethische          Der Kommunikationswissenschaft-
ser Grundsätze und drittens durch die        Richtlinien entwickelt werden mit Nor-       ler Matthias Kohring ist Spezialist für
Vertrauensinstanz Journalismus, die          men, die in den jeweiligen Bereichen         die Forschung zum Vertrauen in Jour-
uns ein Forum garantiert für den Aus-        gutes und gerechtes Handeln beschrei-        nalismus (Kohring 2004). Er definier-
tausch über das, was uns als Gesell-         ben. Im Journalismus ist dies beispiels-     te für das Vertrauen des Publikums in
schaft umtreibt.                             weise niedergelegt im Pressekodex.           journalistische Inhalte folgende vier
     Kein Mensch kann alles selbst nach-     Diese Themenbereiche sind freilich           Dimensionen: dass erstens die rele-
prüfen und steuern. Vertrauen in Ins-        nicht hermetisch gegeneinander abge-         vanten Themen aufgegriffen werden,
tanzen und Institutionen ist konstitu-       grenzt: Unternehmensethik beispiels-         dass zweitens die entscheidenden Fak-
tiv für eine demokratische Gesellschaft.     weise gehört zur Wirtschaftsethik. Die       ten genannt werden, dass drittens die
Wie bedeutsam dies ist, erweist sich erst    ethische Ausrichtung von Medienun-           Sachverhalte korrekt dargestellt wer-
recht in Krisen wie gegenwärtig jener        ternehmen oder auch von Tech-Platt-          den und dass man sich viertens auf die
der Pandemie, aber auch in der Klima-        formen ist aber auch ein Teilbereich der     Einordnungen und Bewertungen ver-
krise sowie angesichts noch zu lösender      Medienethik. Zu den weiteren in die-         lassen kann. Diese Kriterien für die
Fragen zu Big Data. Vertrauen erwächst       sem Beitrag adressierten Ebenen der          Qualität der Vertrauensleistung sind
aus Erfahrung und richtet sich auf die       Medienethik zählen die journalistische       im Kern ethische Richtlinien. Sie ver-
Erwartung weiterer Erfahrungen in der        Berufsethik sowie die Publikumsethik,        knüpfen Vertrauen und Verantwor-
Zukunft. Vertrauen adres­siert diverse       deren Blickfeld sich massiv und grund-       tungsbewusstsein zu zwei Eigenschaf-
Institutionen, Ebenen,­gesellschaftliche     legend dadurch erweiterte, dass die Ge-      ten – glaubwürdig und professionell –,
Akteursgruppen (Politiker und Politi-        sellschaft dank digitaler Technik inter-     die Journalismus Ansehen und Erfolg
kerinnen, Fachleute diverser Themen-         aktiv publiziert: Aus Mediennutzenden        zuschreiben. Um Vertrauen fassbar zu
gebiete, Journalisten und Journalistin-      wurden auch Medienschaffende – kurz:         machen, schlug der Journalismusfor-
nen etc.), die alle auf dem Gedankengut      Produser (Producer und User) oder            scher Bernd Blöbaum vor, Vertrauen
der Aufklärung und damit auf dem             Produtzer (Produzenten und Nutzer)           auf viererlei Ebenen zu betrachten: auf
Vernunftprinzip und auf einer gleichen       (vgl. Bruns 2008; zu den philosophi-         der Systemebene (die Medien, der Jour-
ethischen Grundausrichtung gründen.          schen Bezügen auf die heutigen Anfor-        nalismus), auf der Organisations- und
Diese Grundausrichtung basiert auf           derungen vgl. zudem Filipovic & Ro-          Kanalebene (Medium A, Redaktion B,
drei Säulen:                                 berts 2021; Prinzing 2021a, 2020c).          Rundfunk, Print etc.), auf der Akteurs­
1.	auf der Annahme, dass Menschen,               Journalismus übernimmt in demo­         ebene (Journalistin A, Journalist B) und
   die ihre Persönlichkeit und ihre Be-      kratischen Systemen die Kernaufgabe,­        auf der Beitragsebene (Bericht, Kom-
   gabungen in ihrem Beruf entfalten         Regierung, Parlament, Parteien, Ge-          mentar etc.; Themenfeld, Themenfokus
   können, ihre Sache wirklich gut ma-       richte, Polizei etc. kritisch zu beobach­    etc.) (Blöbaum 2016).
   chen wollen                               ten, also auf ihre Leistungen und Fehl-
Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment - Marlis Prinzing
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    II. Was beeinflusst Vertrauen,
    wodurch wird es beschädigt?
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT                                                              9

Z   ahlreiche Studien beschäftigen sich
    mit den Erfahrungen, die Menschen
mit Medien machen, und mit ihren Er-
                                                     unmittelbar auf das in Medien gesetzte
                                                     Vertrauen auswirken (Dernbach 2005;
                                                     Dernbach & Meyer 2005). Ein Bei-
                                                                                                          dern sollen. Dies wiederum zeigt, wie
                                                                                                          Journalismus insgesamt als Vertrauens-
                                                                                                          instanz funktionieren kann.
wartungen, um herauszufinden, wel-                   spiel ist der weithin diskutierte Fall des
che Faktoren das Vertrauen in Medien                 „Spiegel“-Redakteurs Claas Relotius,
stärken und welche nicht. Die zentra-                über den im Dezember 2018 bekannt
len Befunde lassen sich sechs Punkten                wurde, dass er in vielen seiner Ge-                     Faktor 2: Transparenz und
zuordnen. Bedeutsam sind unter ande-                 schichten von ihm Erfundenes als wahr                     Draht zum Publikum
rem die konkrete Art, wie berichtet und              dargestellt hatte.
auf das Publikum eingegangen wird,                       Erwähnenswert ist ferner die Doku­               Transparenz ist auch bezogen auf re-
die auch durch politische Sozialisa­tion             mentation „Lovemobil“ 2021.1 Für                     daktionelle Abläufe ein Schlüsselan-
geprägte Erwartung des Publikums                     die vom öffentlich-rechtlichen Sender                liegen und wurde in der Vergangen-
und Krisenkontexte wie etwa die Co-                  NDR mitproduzierte Dokumentation                     heit häufig vermisst (Meier & Reimer
rona-Pandemie. Vertrauensprägende                    über Sexarbeiterinnen in Niedersach-                 2011). Gerade Menschen, die Medien
Faktoren korrespondieren oft mit den                 sen stellte die Regisseurin Elke Marga-              nicht recht trauen, halten Journalistin-
ethischen Empfehlungen, wie sie zum                  rete Lehrenkrauss einige Szenen nach                 nen und Journalisten oft vor, sie seien
Beispiel im Pressekodex des Deutschen                oder inszenierte sie und hat beides                  undurchschaubar, aber auch parteiisch,
Presserats niedergelegt sind (Deutscher              nicht kenntlich gemacht, also das Pu-                unkritisch und einseitig (Prochazka &
Presserat s. d.).                                    blikum getäuscht beziehungsweise mit                 Schweiger 2017). Wichtig ist auch, ob
                                                     dessen Vertrauen gespielt.                           sich die Erwartungen, die die Einzelnen
                                                         Die Art, wie mit solchen das Ver-                an Medien knüpfen, mit ihrer Wahr-
                                                     trauen beschädigenden Fällen umge-                   nehmung der tatsächlich erbrachten
 Faktor 1: manifeste Belege                          gangen wird, kann wiederum vertrau-                  medialen Leistungen decken (vgl. Tsfati­
   der Berichterstattung                             ensfördernd wirken: Die am 23. März                  & Ariely 2014). Das kann individuelle
                                                     2021 veröffentlichte Recherche von                   Erfahrungen betreffen oder breit beob-
Journalismus kann über manifest be-                  „Strg_F“2 hat die „Lovemobil“-Fehl-                  achtbare Ereignisse und Themen: Wur-
legbare Aspekte der Berichterstattung                leistung ans Tageslicht gebracht. Das                de die Art der Medienberichterstattung
Vertrauensbildung mitentwickeln.                     Grimme-Institut zog die Nominierung                  über die Geschehnisse in der Silvester-
Eine als skandalisierend oder sensati-               der Dokumentation für den Grimme-                    nacht 2015/16 in Köln zum Beispiel als
onslüstern empfundene Berichterstat-                 Preis zurück. Die Filmbranche reagier-               große Diskrepanz zu dem empfunden,
tung widerspricht der Richtlinie 11 des              te auch mit einer Onlinekampagne, die                was man selbst dort gesehen hat (vgl.
Kodexes des Deutschen Presserats und                 sich für Transparenz und Ehrlichkeit                 auch Arendt et al. 2017)? Deckte sich die
gilt als vertrauensschädigend (vgl. un-              im Dokumentarfilm stark macht und                    eigene Wahrnehmung der Berichterstat-
ter anderem Kepplinger 2012). Eine                   sich auf die Verantwortung gegenüber                 tung über Flüchtlinge mit den Erwar-
subjektiv empfundene hohe Negativi-                  der Öffentlichkeit beruft (Erklärung                 tungen? Oder war man sich im eigenen
tät der Berichterstattung erzeugt zwar               zur Glaubwürdigkeit des Dokumentar-                  Umfeld einig, es mit einer „Lügenpres-
nicht zwingend einen Vertrauensver-                  films3). Das Vertrauensdesaster beim                 se“ zu tun zu haben? Solche Wahrneh-
lust, kann aber Menschen veranlas-                   „Spiegel“ wurde durch eine Art Unter-                mungseffekte kann man bei sich selbst
sen, sich von Medien und damit vom                   suchungskommission ebenfalls öffent-                 oder in der sozialen Gruppe, in der
Journalismus abzuwenden, und ist ein                 lich aufgearbeitet.4 Diese Fälle illustrie-          man sich befindet, beobachten. Sie hän-
ernst zu nehmendes Verhalten, das of-                ren, dass professionelle journalistische             gen von der Fehlertoleranz der oder des
fenbar insbesondere unter jüngeren                   Recherche auch journalistische Fehl-                 Einzelnen ab (vgl. Jackob 2009) und da-
Zielgruppen zunimmt (vgl. Schneider                  leistungen ans Licht bringt und dass                 von, wie selbstkritisch jemand reflek-
& Eisenegger 2019; fög 2019; Newman                  eine transparente, professionelle Refle-             tiert und diskutiert (vgl. Reine­mann &
et al. 2019, 2020). Mediale Fehlleistun-             xion der Fehler zu Vorkehrungen führt,               Fawzi 2016).
gen und Medien­skandale können sich                  die Vergleichbares in Zukunft verhin-

1	Dokumentation zu „Lovemobil“: https://www.agdok.de/de_DE/debatte-um-lovemobil (abgerufen am 20.4.2021).

2	Strg_F, https://www.funk.net/channel/strgf-11384/lovemobil-dokumentarfilm-ueber-prostitution-gefaelscht-strgf-1740812 (abgerufen am 20.4.2021).

3	Erklärung zur Glaubwürdigkeit des Dokumentarfilms: https://docs.google.com/forms/d/1GJRNCILD9ZIio2-khYn_A0NFjCS0G8P3k3GVAB-XkjY/
   viewform?edit_requested=true (abgerufen am 20.4.2021).

4	Dokumentation zur Aufarbeitung der Relotius-Affäre: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/der-fall-claas-relotius-hier-finden-sie-alle-artikel-im-
   ueberblick-a-1245066.html (abgerufen am 18.4.2021).
10                                                  FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

                                             xion. Er ist nicht die einzige, aber eine   stattung, so bemängelte der Presserat,
     Faktor 3: Selbstreflexion               wichtige Selbstregulierungsinstanz          sei unangemessen sensationsheischend,
         und Draufsicht                      in Deutschland sowie eine bedeutsa-         missachte die Wahrheit und könne
                                             me Beschwerdestelle für das Publi-          letztlich das Ansehen von Journalismus
Im Journalismus ist die systematische        kum. Wem an einer Berichterstattung         beschädigen. Wenn sich die Beschwer-
Reflexion über die eigene Arbeit bezie-      in Printmedien und daran angeschlos-        den auf unterschiedliche Meinungen zu
hungsweise das Interesse an der ana-         senen Onlinemedien oder in sich dem         einem Thema beziehen, dann geht das
lytischen Draufsicht anderer auf die         Pressekodex freiwillig unterordnen-         Gremium darauf nicht ein. Denn seine
eigene Arbeit eine Möglichkeit, sich         den Onlineplattformen etwas nicht           Aufgabe ist es, Verstöße gegen die ethi-
seiner Professionalität zu vergewis-         passt, der kann formlos und kostenlos       schen Richtlinien zu prüfen, also letzt-
sern. Orte der Reflexion bietet der Me-      eine Beschwerde beim Presserat ein-         lich die Vertrauensgrundlage.
dienjournalismus, also der Journalis-        reichen. Die Zahl der Beschwerden               Die hohe Beschwerdezahl ist im
mus, der sich mit den Medien selbst          wächst seit Jahren, im Pandemiejahr         Prinzip ein sehr gutes Zeichen, weil sie
befasst – ob in Publikumsmedien oder         2020 war der Presserat gefragt wie nie      ein großes Interesse der Bevölkerung
in speziellen Formaten wie Meedia,           (Deutscher Presserat 2021a: 6). 4.085       an journalistischer Arbeit widerspie-
Zapp (NDR), @mediasres (Deutsch-             Menschen wandten sich an ihn, fast          gelt. Die Diskussion über Presseratsent-
landfunk), Uebermedien.de oder in                                                        scheidungen lässt sich auch als Training
Branchen­magazinen wie „MediumMa-                                                        in Medienkompetenz nutzen – in den
gazin“ oder „Journalist“ (Letzteres ver-        Journalistische                          Redaktionen und im Diskurs mit dem
öffentlicht in der Serie „Mein Blick auf                                                 Publikum. Die Reflexion der Entschei-
den Journalismus“ vielfältige Verbesse-
                                                Professionalität                         dungen hilft besser einzuschätzen, wo
rungsbeispiele für Journalismus), aber          durch syste­ma­                          das öffentliche Interesse endet und wel-
auch der von einigen Medienhäusern                                                       che Verantwortungsdimensionen abzu-
mittlerweile systematisch betriebene
                                                tische Reflexion                         wägen sind. In Solingen hat im Septem-
Austausch mit der Community (siehe              vergewissern.                            ber 2020 eine Mutter fünf ihrer sechs
Punkt 1 im Fazit).                                                                       Kinder umgebracht. Zweifellos muss
    Hinzu kommen Untersuchungen                                                          über ein solches Verbrechen berichtet
aus der Journalismusforschung, auf die       doppelt so viele wie im Vorjahr. Die        werden. Wägt man dabei zwischen dem
auch dieser Text Bezug nimmt. Studi-         Dimension des Zuwachses hänge auch          berechtigten Informationsinteresse der
en zu eher zweifelhaften journalisti-        mit einer Massenbeschwerde über eine        Allgemeinheit und der Privatsphäre
schen Leistungen – wie phasenweise           in der „taz“ erschienene Polizei-Ko-        der Betroffenen ab, dann gehören man-
während der Affäre um den damaligen          lumne zusammen, bilanzierte Presse-         che Details nicht in die Öffentlichkeit.
deutschen Bundespräsidenten Christi-         ratssprecher Sascha Borowski. Viele         Dementsprechend rügte der Presse-
an Wulff – können Diskussionsanstöße         Menschen habe die Wahrhaftigkeit der        rat „Bild.de“, „Rheinische Post“ und
für die künftige Praxis liefern (vgl. Arlt   Corona-Berichterstattung umgetrie-          „Sued­deutsche.de“. Sie hatten Teile ei-
& Storz 2012; Grünberg et al. 2015).         ben (Deutscher Presserat 2021a: 3–5).       nes privaten Chats veröffentlicht, den
Forschung hält mitunter auch aus der         581 Personen vermuteten, Redakti-           der elfjährige überlebende Sohn mit
Analyse abgeleitete Handlungsempfeh-         onen stellten unwahre Tatsachenbe-          seinem Freund geführt hatte. Das ver-
lungen bereit, wie etwa für eine reflek-     hauptungen über Infektionszahlen auf        letze die Menschenwürde der Kinder,
tierte Berichterstattung über populis-       oder sie recherchierten zu wenig; weil      argumentierte der Presserat, und stelle
tische Parteien (vgl. Gäbler 2017). Die      manche Berichte von mehreren Perso-         seelisch sehr verletzte Menschen ohne
Haltung zählt: Journalismus muss an          nen beanstandet wurden, blieben 398         Grund zur Schau (Deutscher Presserat
der Analyse seiner Arbeit interessiert       Fälle, die das Gremium zu prüfen hat-       2020).
sein, weil sich daraus viel Verbesse-        te. Bis Jahresende 2020 waren 321 Fäl-          Sensationsorientierte Berichter-
rungs- und Vergewisserungspotenzial          le entschieden, in 225 davon erkannte       stattung kann das Vertrauen in Medien
schöpfen lässt. Und eine Journalismus-       der Presserat keinen Verstoß gegen die      insgesamt beschädigen. Das gilt auch
forschung, die ihrer gesellschaftlichen      Kodexrichtlinien, in vier Fällen nutzte     für andere Grenzüberschreitungen. Die
Verantwortung nachkommt und sich             er sein schärfstes Kritikinstrument und     häufig monierte Vermischung von re-
als eine auch öffentliche Wissenschaft       rügte die betreffenden Redaktionen öf-      daktionellen und interessengeleiteten
versteht, muss auf der Grundlage ihrer       fentlich (Deutscher Presserat 2021a: 9      Inhalten bis hin zur Schleichwerbung
Studienbefunde aktiv zum öffentlichen        f.). „Bild.de“ erhielt eine Rüge, weil in   ist ein Beispiel (Deutscher Presserat
Diskurs über Professionalität, Ethik         einer Überschrift die Corona-Statis-        2021b): Wenn die Zeitschrift „Merian“
und Vertrauen bereit sein.                   tik des Robert Koch-Instituts (RKI) als     in einem Text über Urlaubsreisen Wer-
    Der Deutsche Presserat ist ein Bei-      sachlich falsch dargestellt wurde (Deut-    bung für eine Versicherung versteckt
spiel für eine institutionalisierte Refle-   scher Presserat 2021b). Die Berichter-      oder das „Zeit Magazin“ zu einem re-
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT                                            11

 daktionellen Schwerpunkt rund um das             mittlerweile verbessert hat, verglichen
 Homeoffice ohne erkennbaren Zusam-               mit dem Befund, den Eberwein (2020)                       Faktor 4: politische
 menhang zum Text Möbel und Aus-                  für Studien bis 2015 zusammenfasst.                          Sozialisation
 stattung mit Herstellernamen platziert,          Ähnliches gilt für Studien zur aktuellen
 dann sind ethische Regeln verletzt. Die          Leistung vor allem des Medienjourna-              Für die Vertrauensbildung zählen auch
 Kodexrichtlinien sehen eine klare Tren-          lismus in Publikumsmedien. Ihm wur-               individuelle Faktoren, beispielswei-
 nung von redaktionellen und werbli-              de vorgehalten, sich vor allem der Kri-           se die politische Sozialisation. In Län-
 chen Inhalten vor. Transparenz ist ein           tik von Serien und Fernsehsendungen               dern, in denen es große politische Ver-
 wichtiger Vertrauensfaktor. Auch des-            zu widmen, aber selten Hintergrundre-             änderungen gab oder die politische
 halb muss das Publikum auf Anhieb                cherchen zum Beispiel zu Entwicklun-              Polarisierung zunahm, sank pauschal
 erkennen, ob ihm interessengeleitete             gen der Medienbranche vorzunehmen.                das Vertrauen in Medien (Hanitzsch,
 Auftragskommunikation und Werbung                Medienjournalisten und -journalistin-             Van Dalen & Steindl 2018). Auch man-
 oder ein sachgerecht recherchierter Be-          nen seien in Loyalitätskonflikten bezo-           che Diskussionen etwa über die Höhe
 richt angeboten wird.                            gen auf die eigene Branche gefangen.              der Gebühren, die öffentlich-recht­
     Es gibt vielerlei etablierte und             Und sie seien Begehrlichkeiten von                liche Medien für ihren Public Service
­neuere Medienselbstkontrolleinrich-              Arbeitgebern ausgesetzt, die Medien-              erheben, bleiben nicht spurlos; pro-
 tungen und -initiativen im privaten wie          journalismus zur Unterstützung der                blematisch dabei ist nicht die – sehr
 im öffentlich-rechtlichen Bereich, na-           eigenen Geschäftsinteressen instru-               wünschenswerte – kritische Ausein-
 tional sowie organisationsintern (vgl.           mentalisieren wollen (Eberwein 2020).             andersetzung mit der Leistungskraft
 Eberwein 2020). Der Erfolg ihrer Ar-             Instrumentalisiert oder nicht: Gera-              öffentlich-­rechtlicher Medien, sondern
 beit basiert auf Einsicht und damit auf          de aus Printredaktionen fallen kriti-             die zuweilen verunglimpfende Art, wie
 der oben beschriebenen Grundaus-                 sche Kommentare zu Onlinestrategien               manche Politikerinnen und Politiker
 richtung, seinen Beruf bestmöglich               oder Gebühren öffentlich-rechtlicher              die Bedeutung des Public Service als
 ausüben zu wollen, also auf sachliche            Rundfunkveranstalter auf, die offen-              ein die Demokratie kennzeichnendes
 Kritik, wie sie zum Beispiel Presserats-         bar als Konkurrenz gesehen werden.                Solidarprinzip kleinreden oder über-
 rügen beinhalten, konstruktiv einzu-                                                               sehen (Prinzing 2020b, 2020e). Men-
 gehen (vgl. Prinzing 2020c). Der Eu-                                                               schen, die der AfD zugeneigt sind oder
 ropean Media Accountability Index                   Die Wahrnehmung                                generell rechtspopulistischen Auf-
 klassifiziert die Verbreitung institutio-                                                          fassungen anhängen (Schindler et al.
 nalisierter und nicht institutionalisier-           einer wachsenden                               2018), sowie jene, die politikverdrossen
 ter Medienselbstkontrollinstrumente                 Entfremdung                                    sind (Ariely 2015), neigen besonders
 und platziert Deutschland im europäi-                                                              stark dazu, etablierten journalistischen
 schen Vergleich gemeinsam mit Öster-                muss besonders                                 Medien zu misstrauen (vgl. Neverla
 reich auf Rang 4 (vgl. Eberwein 2020).              alarmieren.                                    2017; Reinemann et al. 2017; Schultz et
     Allerdings kommen bestehen-                                                                    al. 2017; van Eimeren et al. 2017). Der
 de Einrichtungen nicht nur durch die                                                               auch international feststellbare Trend,
 steigende Beschwerdezahl an Kapazi-              Argumentation und Berichterstattung               klassischen gesellschaftlichen Eliten zu
 tätsgrenzen, sondern auch thematisch.            vernachlässigen dabei tendenziell ers-            misstrauen (Hanitzsch, Van Dalen &
 Insbesondere digital bedingte Verän-             tens die globale Entwicklung, die den             Steindl 2018) und eine Abhängigkeit
 derungen rechtfertigen inhaltliche und           Anspruch, den Verlagshäuser gegen-                des Journalismus von politischen sowie
 institutionelle Anpassungen – zum                über dem Netz erheben, ad absurdum                wirtschaftlichen Eliten anzunehmen
 Beispiel eine weitere Anlaufstelle spe-          geführt hat. Und zweitens wird oft ver-           (Prochazka & Schweiger 2017), ver-
 ziell für digitale Themen (vgl. Prinzing         säumt, das Public-Service-Prinzip, also           stärkt die Skepsis gegenüber etablierten
 2020a) sowie klar benannte Zuständig-            den Auftrag, vor allem eine öffentliche           Medien. Es bestehen offenbar Korrela-
 keiten, wie sie zum Beispiel der Me-             Informationsdienstleistung zu erbrin-             tionen zwischen der Einschätzung der
 dienstaatsvertrag 20205 (vgl. auch Fazit,        gen, als Leitgedanken für eine demo-              gesellschaftlichen und der politischen
 Punkt 4) festlegt. Zudem wären Stu-              kratische Gesellschaft einzuordnen und            Lage und der Leistung der (etablierten)
 dien nützlich, die analysieren, ob sich          dies zu trennen von der durchaus be-              Medien: Wer insgesamt eher zufrieden
 der Einfluss der Reflexionsinstrumente           rechtigten Kritik am Handeln konkre-              ist, empfindet Medien eher als glaub-
 auf konkretes redaktionelles Handeln             ter Rundfunkanbieter.                             würdig (vgl. Meyen 2019). Wer sich für

5	Medienstaatsvertrag 2020: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/
   Medienstaatsvertrag_MStV.pdf (abgerufen am 24.5.2021).
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Politik interessiert, vertraut ihnen eher,   ziell medienkritischer sind (etwa AfD        lässt sich manches ableiten für den ge-
als dies die politisch Desinteressierten     und ­Pegida-Milieus), werden auch so-        sellschaftlichen Zusammenhalt und
tun (vgl. Tsfati & Ariely 2014; Prinzing     genannte „alternative Medien“, die oft       für den Journalismus. Solche Beobach-
2021a; Prochazka 2020).                      extremen Positionen und Verschwö-            tungen und Differenzierungen geben
                                             rungserzählungen zugeneigt sind, ver-        auch Aufschluss darüber, dass es neben
                                             gleichsweise intensiv genutzt (Jackob        Hardlinern auch etliche Skeptiker und
                                             et al. 2017). Auch umgekehrt sind die        Skeptikerinnen gibt, die sich nicht völ-
     Faktor 5: Gratifikation,                Korrelationen auffällig: Wer etablierte      lig vom etablierten Journalismus ab-
      Differenzierung und                    Medien relativ häufig nutzt, hält Jour-      gewendet haben und teilweise erreich-
          Entfremdung                        nalismus insgesamt für relativ vertrau-      bar sein dürften, wenn Journalistinnen
                                             enswürdig (vgl. Jackob 2010; Schranz         und Journalisten sich die konkreten
Um zu verstehen, was Menschen an-            et al. 2016). Interessant wäre, ob sich      Vorwürfe bewusst machen, die offen-
treibt, Medien zu vertrauen, ist auch        Ursächlichkeiten nachweisen lassen.          bar das Vertrauen in sie destabilisieren.
wichtig, sich vor Augen zu halten, wes-      Wenden sich Menschen ab, weil sie eta-       Zusätzlich zu den bereits erwähnten
halb Menschen Medien nutzen. Die             blierten Angeboten misstrauen? Oder          Vorhaltungen, die Berichterstattung in
Kommunikationswissenschaft bedient           misstrauen sie diesen, weil durch alter-     etablierten Medien sei tendenziös, ein-
sich hierfür seit Langem des sogenann-       native Medien Zweifel gesät wurden?          seitig und intransparent, wurde hier
ten „Uses-and-Gratification-Ansatzes“        Inwiefern verstärkt sich beides gegen-       noch genannt, man habe das Gefühl,
(Nutzen-und-Belohnungs-Ansatz):              seitig? Zumindest sind mir hierzu keine      erzogen zu werden, und es störten die
Menschen wollen demnach durch Me-            Studien ­bekannt.                            Faktenfehler (Blöbaum et al. 2020). Das
dien vielerlei Bedürfnisse befriedigen.           Radikalisierung und Medienskep-         vertieft Befunde, die Vertrauensentzug
Am wichtigsten sind ihnen die kogni-         sis sind ernst zu nehmen. Aber sie sind      und Qualitätsversprechen verknüpfen:
tiven, also die Orientierung durch In-       auch ins Verhältnis zu setzen zu dem         Wer findet, Medien berichteten nicht
formiertsein, und die affektiven, also       zahlenmäßig viel größeren Teil der Be-       verständlich, nicht das Relevante oder
sich zu unterhalten und dabei zu ent-        völkerung, der Journalismus vertraut.        ließen es an Vielfalt missen, verliert
spannen. Hinzu kommen soziale Be-            Man muss genau hinschauen, und es            das Vertrauen in sie (vgl. Voigt 2016;
dürfnisse (mitreden können) und die          spielt offenbar auch eine Rolle, ob man      Schultz et al. 2017).
Identitätsbildung (vgl. Schweiger 2007).     sich in als besonders krisenhaft emp-            Die Wahrnehmung einer wachsen-
Es müssen und können nicht immer             fundenen Zeiten befindet.                    den Entfremdung muss besonders alar-
alle Bedürfnisse befriedigt werden.               Die Kommunikationswissenschaft-         mieren (Jackob et al. 2019: 215). In ei-
Viele akzeptieren das oder nehmen es         ler Bernd Blöbaum, Thomas Hanitzsch          ner Mainzer Studie gaben mehr als die
hin. Jene Menschen hingegen, die eta-        und Laura Bandura (2020) organisier-         Hälfte der Befragten an, dass Medien
blierte Medien bereits kritisch beäu-        ten rund um Vertrauensfragen ein Pro-        den Kontakt zu ihresgleichen verloren
gen, reagieren oft sehr wütend, wenn         jekt aus Masterarbeiten, für das sie den     hätten und Themen übersähen, die ih-
sich ihre Erwartungen nicht erfüllen         Blickwinkel auf den Begriff „Mediens-        nen wichtig seien: Sie selbst – so fanden
(Schindler et al. 2018), und wenden          kepsis“ erweiterten. Im Rahmen des           75 Prozent – nähmen gesellschaftliche
sich Medienangeboten zu, in denen sie        Projekts wurden leitfadengestützte In-       Zustände meistens oder zumindest teil-
sich bestätigt fühlen. Manche von ih-        terviews mit 100 Skeptikerinnen und          weise ganz anders wahr, als sie in den
nen verunglimpfen zum Beispiel bei           Skeptikern geführt. Auf dieser Grund-        Medien dargestellt würden (Jackob et
„Querdenker“-Demonstrationen gegen           lage wurden medienskeptische Men-            al. 2019: 216). Ob die Differenz wirk-
Covid-19-Maßnahmen stereotyp Jour-           schen typologisiert: Manche von ih-          lich zutrifft, ist zweitrangig; entschei-
nalisten und Journalistinnen als Lüg-        nen sind ambivalent und haben noch           dend ist, dass viele Menschen dies so
ner und attackieren sie auch körperlich      ein wenig Vertrauen; es gibt welche,         empfinden. Zumal dies Folgen hat für
(Reporter ohne Grenzen 2021). Der So-        die notorisch zweifeln, und „Hardli-         die Einstellung zur Demokratie: Nur
zialwissenschaftler Sebastian Koos prä-      ner“, die völlig misstrauisch sind; man-     wer Medien einigermaßen traut, infor-
sentierte in dem Beitrag „Querdenken-        che Skeptikerinnen und Skeptiker sind        miert sich über sie über das, was auf der
Demos: Gewalt gegen Journalist*innen“        sehr differenziert; andere sind pauschal     Welt passiert, beteiligt sich an Wahlen
des NDR-Medienmagazins „Zapp“ vom            ablehnend und sehen etablierte Medi-         und ist bereit, demokratisch getroffene
21. April 2021 einen Befund aus sei-         en nur als verlängerten Arm der Poli-        Entscheidungen zu akzeptieren (Jackob
ner Befragung von Demonstrierenden.          tik; oft ist an diese Einstellung auch ein   et al. 2019: 216).
In diesen Kreisen, so seine Diagno-          Misstrauen gegenüber der Politik ge-             Vielfältige Meinungen nicht zu
se, betrachten auch die eher bürgerli-       koppelt. Manche nutzen ihre Skepsis,         adres­ s ieren, wirkt kontraproduktiv,
chen Teilnehmenden Journalisten und          um sich mit anderen auszutauschen,           weisen Marcus Maurer und sein Team
Journalistinnen zunehmend als Fein-          einige wollen andere überzeugen, eini-       am Beispiel von Flüchtlingsthemen
de. In der Gruppe jener, die tenden­         ge sind resigniert. Aus den Befunden         nach, über die Medien nicht nur re-
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT                                        13

lativ ähnlich berichteten, sondern bei      durch die insgesamt erstarkenden po-         blierter Medien vermutet das Mainzer
denen sie oft Standpunkte wegließen,        pulistischen Strömungen und verun-           Team darin, dass sich infolge der Kri-
die im P ­ ublikum sehr verbreitet wa-      sicherte viele Redaktionen (Jackob et        se mehr Menschen als zuvor ihnen zu-
ren. Die Forscher und Forscherinnen         al. 2019). Auch im Publikum nahm die         wandten und sich so offenbar vom Wert
leiten hieraus einen klaren Auftrag ab:     Polarisierung zu. Eine Publikumsbe-          ihrer journalistischen Qualität über-
„Gesellschaftlich betrachtet können         fragung im Jahr 2018 ergab, dass zwar        zeugten. Das Projekt „Austrian Coro-
Massenmedien folglich vor allem dann        44 Prozent der Menschen Medien „bei          na Panel“ liefert aber Befunde, dass nur
Glaubwürdigkeit zurückgewinnen,             wichtigen Dingen“ vertrauten (Jack-          das Vertrauen in die Corona-Berichter-
wenn sie bei kontroversen Themen viel-      ob et al. 2019: 210), sich aber das gene-    stattung deutlich wuchs, nicht jedoch
fältige Standpunkte vertreten“ (Mau-        relle Misstrauen bei einer insbesonde-       bei ebenso neuralgischen Themen wie
rer et al. 2018: 316). Zudem impliziert     re an den linken wie rechten Rändern         Klima, Zuwanderung, Asyl (Jakobs et
dies die Aufforderung, Rückgrat zu zei-     des politischen Spektrums angesiedel-        al. 2021: 156).
gen. Denn das Ziel kann es nicht sein,      ten Minderheit verfestigte (Jackob et             Gegenüber Internetquellen sind die
dem Publikum nach dem Mund zu be-           al. 2019: 215). Sich öffentlich zu äußern    Menschen seit geraumer Zeit vorsichti-
richten, sondern in der ­B evölkerung                                                    ger. Schon 2017 ließen der Datenskan-
vorhandene Positionen aufzugreifen                                                       dal rund um Facebook und Cambridge
und sie einzuordnen – zum Beispiel in-                                                   Analytica sowie das zunehmende Pro-
dem die vermuteten Anteile von nicht
                                               Das Publikum                              blem der Hassreden das Vertrauen in
deutschen Straffälligen den tatsächli-         beachten.                                 aus den sozialen Netzwerken entnom-
chen Zahlen gegenübergestellt werden.                                                    mene Nachrichten sinken (Jackob et al.
Ein ähnliches Vorgehen wird (Media
                                               Wer das nicht                             2019: 211). Die Corona-Krise hat die-
Manipulation Casebook 2020) in zu-             versteht, verliert                        sen Trend verstärkt. Das Vertrauen in
gespitzter Form auch im Umgang mit                                                       Social-Media-Quellen ging nochmals
Verschwörungserzählungen empfoh-               dessen Vertrauen.                         deutlich zurück; auch der Medienzynis-
len: aufgreifen, aber nur kurz, um nicht                                                 mus („Lügenpresse“) sowie die Zustim-
noch selbst zur Verstärkung manipula-                                                    mung zu Verschwörungsvorstellungen
tiver Falschinformation bei­zutragen.       wurde ambivalent gesehen: als unpro-         (zum Beispiel von Medien und Politik)
    Gratifikation ist auch eine Gefühls-    blematisch wie etwa beim Dieselskan-         schwächten sich ab.
sache. Das legen Untersuchungen nahe        dal, als heikel – so jeder dritte Befragte        Krisen sind Vertrauenstreiber, ins-
(zusammengestellt bei Prinzing 2021c),      – bei Themen rund um den Islam oder          besondere wenn nicht primär politi-
die nicht bei der Skepsis ansetzten, son-   Flüchtlinge (2019: 215).                     sche Themen wie in der „Flüchtlings-
dern die Menschen fragten, was ihr              Die Pandemiekrise markiert eine          krise“ im Vordergrund stehen, sondern
Vertrauen weckt. Für viele zählt: Füh-      Wende. Das Vertrauen in etablierte           ein letztlich alle betreffendes Gesund-
len sie sich vertraut mit einer bestimm-    Medien und vor allen Dingen in den           heitsproblem. Journalismus ist ein Ver-
ten Quelle? Welches Ansehen hat sie in      öffentlich-rechtlichen Rundfunk stieg        trauensgut. In Demokratien sind jour-
ihren Augen? Wirkt die Art, wie Nach-       deutlich. Diese Befragung im Rahmen          nalistische Medien systemrelevant
richten aufbereitet werden, journalis-      der „Mainzer Langzeitstudie Medien-          als Informationsübermittler, Warner,
tisch anziehend (oder abschreckend)?        vertrauen“ erfolgte im November und          Widersprecher, Erklärer. Die Covid-
                                            Dezember 2020. Eine darin abgefrag-          19-Pandemie hat diese Systemrelevanz
                                            te Feststellung lautete: „Wenn es um         wieder bewusst gemacht.
                                            wirklich wichtige Dinge geht – etwa               Öffentlich-rechtliche Medien er-
     Faktor 6: Vertrauen in                 Umweltprobleme, Gesundheitsgefah-            wiesen sich zwar in besonderem Maße
         Krisenzeiten                       ren, politische Skandale und Krisen          als Vertrauensinstanzen, aber im Kern
                                            –, kann man den Medien vertrauen.“           richtet sich die Vertrauenszuschrei-
Krisen können Vertrauen in Journa-          Die Feststellung erhielt die mit 56 Pro-     bung auf alle etablierten Medien, die
lismus beeinträchtigen oder stabilisie-     zent höchste Zustimmung seit der ers-        für relevanten Journalismus stehen.
ren. Die „Flüchtlingskrise“ 2015 kos-       ten Befragungswelle im Jahr 2008. Die        Ob der Vertrauenszuwachs von Dau-
tete Vertrauen (Jackob et al. 2019), die    Vertrauenswerte insgesamt schwankten         er ist, lässt sich freilich nicht vorhersa-
Corona-Krise 2020 steigerte es (Jakobs      in der Krise bezogen auf Medien, Re-         gen, auch nicht, worauf er genau beruht
et al. 2021). Die Bedeutung von Ver-        gierung, Gesundheitsbereich und Be-          – auf der Informationsleistung, der Kri-
trauensfragen rückte zudem durch die        hörden; kontinuierlich hoch war nur          tik- oder der Warnerrolle etc. Aber die
ebenfalls im Jahr 2015 aufgekommenen        das Vertrauen in die Weltgesundheits-        Studien liefern Hinweise auf vier zen-
Vorwürfe in den Vordergrund, etab-          organisation und in die Wissenschaft         trale Ansatzpunkte, wie Journalismus
lierte Medien seien eine „Lügenpresse“.     (COSMO 2020a, 2020b, 2020c). Einen           Vertrauen stabilisieren kann und sollte.
Diese Polarisierung vertiefte sich auch     Grund für die Imageverbesserung eta-         Sie werden nun als Fazit dargestellt.
14                  FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

     III. Fazit: ethisches Empowerment
     als Vertrauensbasis
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT                                                    15

                                                    fen und wenn ja, warum? Warum ist                    und unterstützten, doch Journalisten
         1. Den Draht                               ein Thema wichtig? Wie lief die De­                  und Journalistinnen lasen genau das
     zum Publikum stärken                           batte, wie war das Für und Wider in                  Gegenteil aus den Zahlen heraus; vgl.
                                                    der Redaktionskonferenz? Herausra-                   Reinemann 2020; vgl. auch Prinzing
Entscheidend ist die Haltung, die Jour-             gende Beispiele für eine systematisch                2020d; Prinzing & Meißner 2021). Pro-
nalismus gegenüber seinem Publikum                  gepflegte Beziehung zur Community                    fessionelle und gute Arbeit zu leisten ist
einnimmt: Das Publikum will und                     sind das Audience Development der                    auch ein unternehmensethisches The-
muss beachtet werden. Das ist vielfach              „Rheinischen Post“ sowie die Commu-                  ma: Wenn Geschäftsleitungen ihre Re-
belegt. Wer das nicht versteht, verliert            nities, die neuere Journalismusplattfor-             daktionen unter dauernden Spar-, Kos-
den Draht zum Publikum und damit                    men aufgebaut haben6, aber auch auf                  ten- und Zeitdruck setzen sowie freie
auch dessen Vertrauen. In der digital               lösungs­orientierten Journalismus aus-               Journalistinnen und Journalisten auch
geprägten Mediengesellschaft spielt das             gerichtete Plattformen7.                             dadurch in prekäre Verhältnisse rut-
eine noch größere Rolle als bislang. Die                                                                 schen, dann ist Qualität kaum noch zu
Ansatzpunkte und Zielrichtungen sind                                                                     erwarten.
bekannt: zu den Menschen hingehen,                                                                           Das schlägt sich im Vertrauen nie-
dorthin, wo sie wohnen und arbeiten;                 2. Mit Professionalität auch                        der. Und das Risiko wächst, dass immer
hinhören, was sie umtreibt; die Lokal-                im Digitalen überzeugen                            mehr qualifizierte Menschen Journalis-
und Regionalberichterstattung entspre-                                                                   mus nicht mehr als Beruf ausüben und
chend ausrichten; der Gemeinwohl-                   Vertrauensbeziehungen gründen auch                   die Seite wechseln – mit nicht absehba-
orientierung hohe Aufmerksamkeit                    auf klassischen, ins Digitale übertra-               ren Folgen für das Rückgrat, das Jour-
schenken; auf Handlungsmöglichkei-                  genen professionellen Skills. Beispie-               nalismus für unsere Demokratie sein
ten und Lösungen hinweisen, wo dies                 le sind Faktencheck-Initiativen, die                 muss, damit sie funktionieren kann
möglich ist – also letztlich das Reper-             sowohl Checks bereithalten, die hohe                 (vgl. auch Albrecht & Bühler 2021;
toire des journalistischen Handwerks                Versiertheit verlangen, als auch Checks,             Prinzing 2020c).
und der professionellen Vermittlung                 mit denen die Menschen ganz schnell
besser ausschöpfen: mal investigativ,               selbst prüfen können, ob jemand sie
mal anwaltschaftlich, mal konstruktiv,              bewusst manipuliert.8 Sorgfalt, Fak-
mal informierend, meinungsbildend,                  tenprüfung sowie verantwortungsori-                        3. Bewusstsein für
unterhaltend, warnend, zugeschnitten                entierte Recherche und Klarheit (Was                      Literacy vermitteln:
darauf, wie es die Situation oder der               ist gesichert, was weiß man noch nicht                Wer publiziert, muss wissen,
Zugang zu einem Thema nahelegt (vgl.                genau?) markieren ethisch begründe-                            was er tut
Prinzing & Meißner 2021).                           te Orientierungslinien und gewannen
    Wie wichtig ein guter Draht zum                 immense Bedeutung als Gegenmittel                    Ein publizierendes Publikum benötigt
Publikum ist, dringt zwar allmählich                gegen über soziale Medien in Windes-                 ein Basiswissen, um seiner Publizier-
ins Bewusstsein, aber die Intensität, mit           eile und massiv verbreitete manipula-                verantwortung nachkommen zu kön-
der dies umgesetzt wird, ist sehr unter-            tive Desinformation. Hinzu kommen:                   nen; eine Art reduzierter Pressekodex
schiedlich. Die Publikumsbeziehung                  einordnen (Was bedeutet das?), Kor-                  als Publizierkompass bewahrt davor,
ist ein klassischer Ansatzpunkt für                 relation und Kausaliät unterscheiden                 schlicht aus Unkenntnis andere in
das Vertrauen in Journalismus; einst                (Was passiert gleichzeitig, was steht in             Posts zu brüskieren, zu verletzen oder
„Leser-­Blatt-Bindung“ genannt, wird                einem ursächlichen Zusammenhang?),                   zu triggern. Wer postet oder twittert,
daraus durch die digitale Interaktivität            differenzieren (Wer ist skeptisch gegen-             muss verstehen, inwiefern man sozia-
ein „Gesprächsverhältnis auf Augen­                 über Impfungen, wer lehnt sie katego-                len Medien trauen kann und inwiefern
höhe“. Ein Schlüssel für eine gelingende            risch ab und behauptet, dunkle Mächte                nicht, also wissen, dass soziale Medien
Publikumsbeziehung ist Transparenz:                 seien am Werk?), Zahlen korrekt wie-                 als Emotionsmedien funktionieren: Ihr
Warum wird so berichtet, warum wird                 dergeben (eine Studie zeigte, dass die               Geschäftsmodell basiert auf dem Han-
Person A interviewt, Position B einge-              meisten Menschen in Deutschland die                  del mit aus Gefühlsreaktionen produ-
nommen? Wird bewusst Partei ergrif-                 Lockdown-Maßnahmen verstanden                        zierten Daten.

6   Zum Beispiel https://www.riffreporter.de/de, https://www.correctiv.org, http://www.republik.ch (abgerufen am 24.5.2021).

7   Zum Beispiel https://perspective-daily.de/ (abgerufen am 24.5.2021).

8	Vgl. als Beispiele https://www.br.de/nachrichten/faktenfuchs-faktencheck,QzSIzl3; https://www.tagesschau.de/faktenfinder/; https://correctiv.org/
   faktencheck/, aber auch https://datajournalism.com/read/handbook/verification-3; http://verificationhandbook.com/ sowie https://mediamanipulation.
   org/, https://rsf.org/en/news/launched-may-18-jti-online-platform-represents-new-dawn-media-integrity-transparency-and, https://www.
   journalismtrustinitiative.org/ (jeweils abgerufen am 24.5.2021).
16                                                     FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

     Anders gesagt: Wir sollen möglichst       relevant sind“ (Deutsches PISA-Kon-           gung der Presse (2020) zeigt, dass eine
 rasch und möglichst oft reagieren, da-        sortium 2000: 13). Allerdings wurde           große Zahl der Lehrkräfte in Deutsch-
 mit möglichst häufig Daten entstehen          das Verhältnis dieser übergreifenden          land zunächst selbst dringend nachsit-
 und damit letztlich Cash in die Kassen        Kompetenzen zu den fächerbezoge-              zen müsste, um ­Medien-­und Digital-
 des Plattformbetreibers fließt. Deshalb       nen Kompetenzen nicht näher erör-             kunde zu pauken und Wissenslücken
 werden uns häufig Aufreger-Inhalte            tert. Auch dies zählt zu den gegenwär-        zu füllen. Die befragten Lehrkräfte fan-
 gezeigt. Denn sie erzeugen besonders          tigen Herausforderungen. Vieles ist           den zwar Nachrichtenkompetenz wich-
 schnell Reaktionen. Um zu steuern,            schon lange erkannt, doch es fehlt ein        tig, richteten aber ihr Augenmerk auf
 welche Inhalte angezeigt werden, bauen        schlüssiges Konzept, um wirklich syste-       die gedruckte Zeitung, obwohl sozia-
 Plattformbetreiber Algorithmen. Das           matisch und generationenübergreifend          le Medien in der Schülerschaft deutlich
 sind letztlich Muster-Erkenner, die da-       eine medienkompetente Gesellschaft            stärker genutzt werden. Die meisten
 raus Wahrscheinlichkeiten errechnen           zu entwickeln und ihr eine kommuni-           Lehrkräfte fühlten sich kundig genug,
 für eine bestimmte Reaktion. Algorith-        kative Grundbildung zuteilwerden zu           um den Schülern und Schülerinnen
 men steuern unter Einbezug individu-          lassen aus einem Set von Schlüsselqua-        Nachrichtenkompe­tenz beizubringen,
 eller Nutzerdaten, was jeden von uns          lifikationen (Trültzsch-Wijnen 2020),         aber die Studie offenbart, wie trügerisch
 aufregt, interessiert etc. Uns wird vor-      durch die die Menschen in einer ver-          diese Selbstwahrnehmung ist. Denn je-
gegaukelt, die Welt sei genau so, wie sie      netzten und sich ständig wandelnden           der zehnte Befragte hat nie etwas vom
wäre, wenn sie unseren Likes entspre-          Gesellschaft aufgeklärt funktionieren         öffentlichen Auftrag der Medien ge-
chend gebaut wäre, was natürlich nicht         und teilhaben können (Oydemi 2018;            hört. 38 Prozent sind sich nicht sicher,
stimmt.                                        Prinzing 2021a). Im Kern geht es da-          ob Medien in Deutschland wirklich die
     Aber das führt dazu, dass wir uns zu      bei um Ethikkompetenz. Die ethische           „Mächtigen“ kritisch beobachten und
Hause fühlen und den Eindruck haben,           Dimension ist in vielen vorhandenen           kontrollieren sollen. Und jede zehnte
andere dächten ähnlich, was uns aus            Richtlinien oder Empfehlungen bereits         Lehrkraft ist davon überzeugt, dass Me-
der Reserve treiben kann, vielleicht so-       enthalten, teils ergibt sie sich aus dem      dien die Meinungsbildung im Sinne der
gar Dinge zu äußern, die wir sonst nie         Bezug auf die Menschenrechte, wie             Regierung lenken sollen (Stiftervereini-
zu äußern gewagt hätten. Solches Wis-          etwa den Schutz der Privatheit, teils ist     gung der Presse 2020).
sen muss Teil werden einer Literacy,           sie noch abzuwägen.
eines Kompetenzportfolios für selbst-               Ethik- und damit auch Medienkom-
bestimmt in einem digitalen Umfeld             petenz fördert Vertrauen in Medien.­
agierende Bürgerinnen und Bürger. Es           Sie heranzubilden, müsste daher im In-              4. Für den Rahmen
bedarf eines ganzen Straußes an Liter-         teresse des Journalismus selbst liegen,          sorgen: Werte bedürfen
acies – Platform Literacy, Digital Lite-       aber auch der Politik, der Schulen, der        institutioneller Räume und
racy, Media and Ethics Literacy. Nota-         Gesellschaft insgesamt. „Wir haben ge-          Schutz durch Regulierung
bene: Der Begriff „Literacy“ soll hier         dacht, unser Publikum kennt uns so
verdeutlichen, dass es um mehr als um          lange, dass es weiß, was wir machen“,         Plattformen haben riesigen Einfluss so-
ein themenspezifisches oder anwen-             erklärte Christian Hümmeler, Lokal-           wohl auf die öffentliche Meinung als
dungspraktisches Wissen geht, näm-             chef und Mitglied der Chefredakti-            auch auf das Wohl einer Gesellschaft.
lich um Grundbildung. So wird auch             on des „Kölner Stadt-Anzeigers“.9 Man         Sie vereinnahmen die Menschen indi-
im bildungspolitischen Diskurs argu-           habe aber festgestellt, dass dies gar nicht   viduell, weil diese viel über private Mes-
mentiert: Grundbildung beziehungs-             stimme, und erkläre seither kontinuier-       saging-Apps und Facebook-Gruppen
weise Literacy umfasse fächerbezoge-           lich die eigene Arbeit und die Bedeu-         kommunizieren. Und sie vereinnah-
nes Wissen und fächerübergreifende             tung von Journalismus für die Gesell-         men Journalismus, der Plattformbe-
Fähigkeiten, wie beispielsweise „Kom-          schaft. Nötig ist aber eine systematische     treiber kritisch beobachten soll, unter
munikationsfähigkeit, Anpassungs-              Qualifizierung. Eine Studie zur digitalen     anderem durch Journalismus-Förder-
fähigkeit, Flexibilität, Problemlösefä-        Kompetenz Erwachsener in Deutsch-             programme oder als Ausspielkanäle für
higkeit“ (Deutsches PISA-Konsortium            land illustriert, wie schlecht sich auch      journalistische Inhalte (vgl. Dachwitz &
2000: 11); Humankapital verstehe sich          Jüngere in einer digitalen Medienwelt         Fanta 2020). Journalistinnen und Jour-
als „Wissen, Fähigkeiten, Kompeten-            zurechtfinden und glaubwürdige Quel-          nalisten müssen dieses Verhältnis sorg-
zen und sonstige Eigenschaften von             len erkennen können etc. (Meßmer et           fältig reflektieren, haben aber auch die
­Individuen, die für das persönliche, so-      al. 2021). Ein Problem ist auch, wie eine     Aufgabe, die Zusammenhänge zu be-
 ziale und wirtschaftliche Wohlergehen         alarmierende Studie der Stiftervereini-       richten und einzuordnen.

9    In einem Vorlesungsbesuch am 15.4.2021.
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT                                                       17

    Die Regulierung von Plattformen                 formchefs haben das geschehen lassen.               Landes­ medienanstalten die Betreiber
ist nötig, um bestimmte Werte zu si-                Eine Studie zum Overblocking (Fielitz,              zum Beispiel von KenFM oder des AfD-
chern und zu institutionalisieren (vgl.             Hitzinger & Schwarz 2020) belegt zu-                orientierten „Deutschland-Kuriers“, die
Prinzing 2020a; Jarren 2020). Doch ge-              dem eine ebenfalls paradoxe Neigung                 bekannt dafür sind, Desinformation zu
nau deshalb wollen globale Tech-Un-                 großer sozialer Netzwerke wie Face­                 verbreiten und öffentlich-rechtliche Me-
ternehmen ihre Plattformen weiterhin                book, Twitter und YouTube, legitime                 dien sowie generell „Mainstream- oder
als Vertriebskanäle sehen. Sie möch-                Meinungsäußerungen auf ihren Kanälen                System­medien“ als Feindbild abzustem-
ten sich nicht – wie Medienunterneh-                zu blockieren und zu entfernen. Sie wol-            peln. Wichtig ist, dass hierüber auch
men – in der Verantwortung für die                  len so einerseits Bußgelder vermeiden               öffentlich gesprochen wird, um den
Inhalte berufs- und unternehmens­                   und sich andererseits den hohen Auf-                Menschen, die oft Mühe haben, profes-
ethischen Regeln unterziehen müssen.                wand sparen, Inhalte wirklich zu prüfen;            sionellen Journalismus zu erkennen, zu
Paradoxerweise agieren aber die glo-                das mag auch erklären, weshalb die An-              erläutern, worauf es ankommt. Es geht
balen Tech-Unternehmen zugleich im-                 laufstellen, bei denen man Fehlleistun-             auch hier um ­Literacy.
mer dezidierter auch als Verleger und               gen melden könnte, für Nutzer und Nut-                  Medien-, Ethik-, Digital- und Platt-
verstärken die Schieflage weiter. App-              zerinnen schwer auffindbar sind.                    formliteracy, letztlich die Kenntnis phi-
le (Apple News), Google (News Show-                      Basis hierfür ist in Deutschland das           losophischer Entscheidungsgrundla-
case) und Facebook (Facebook News)                  Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das ge-                gen und unveräußerbarer Grundrechte
steigen zum Beispiel gegenwärtig in das             rade geändert wird. Wegweisend kann                 (etwa des Menschenrechts auf Privat-
Geschäft mit Medieninhalten ein. Face-              hier auch der Gesetzesentwurf (Digital              sphäre), bewirken Empowerment. Sie
book ist (Stand Mai 2021) in den USA,               ­Services Act)10 sein, den die EU-Kom-              befähigen also auch in den Kanälen so-
in Großbritannien sowie in Deutsch-                 mission Ende 2020 vorgelegt hat, um di-             zialer Medien zu einem selbstbestimm-
land am Start (Facebook 2021, Sagatz                gitale Dienste zu regulieren. Die Inter-            ten, kundigen Handeln in einer digital
2021). Das heißt, Facebook kooperiert               netregulierung ist noch in den Anfängen             geprägten Gesellschaft und schützen
mit Medienunternehmen, offeriert ge-                (vgl. Reda 2021; Fichter & Jones 2021).             uns davor, uns ihnen bedenkenlos aus-
gen Bezahlung deren Inhalte in einem                Die Beispiele belegen aber, wie wichtig             zuliefern. Ethik ist für Journalisten und
separaten News-Feed, editiert und ku-               es ist, dass die Politik hier einen Rahmen          Journalistinnen ebenso wie für Bür-
ratiert sie, entscheidet also über die              setzt, der den Plattformriesen nicht län-           ger und Bürgerinnen ein Schlüssel für
Auswahl, Reihenfolge, Reichweite,                   ger erlaubt, den Zugang zu Informatio-              Vertrauen in Medienschaffen und für
Dauer der Verfügbarkeit der Medien-                 nen zu kontrollieren und Redefreiheit               institutionalisiertes Empowerment.
angebote und personalisiert sie über                zuzulassen oder einzuschränken. Die                 Werte bedürfen institutioneller Räu-
entsprechend programmierte Algorith-                Betreiber zeigen zurzeit zumindest eine             me, über die wir in die Pflicht genom-
men entlang selbst ermittelter persönli-            gewisse Bereitschaft, sich regulieren zu            men werden (vgl. Honneth 2011). Das
cher Vorlieben.                                     lassen. Denn nicht nur in Deutschland               Governance-­Modell der massenmedia-
    Untragbar ist auch die eigenmächti-             waren, wie beschrieben, die Glaubwür-               len Gesellschaft muss an eine „plattfor-
ge Blocking-Policy. Facebook und Twit-              digkeitswerte von Pandemieinformatio-               misierte Öffentlichkeit“ angepasst wer-
ter haben im Januar 2021 die Konten des             nen, die via soziale Medien kamen, sehr             den, also eine europäische und globale
zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden                niedrig. Selektive Kontrollen ermöglicht            Rechtsentwicklung vorsehen, die pro-
US-amerikanischen Präsidenten Do-                   der in Deutschland seit Ende 2020 gel-              fessionelle sowie nicht professionelle
nald Trump gesperrt. Nach dem Sturm                 tende neue Medienstaatsvertrag. Er gibt             Akteure und Akteurinnen ins Blickfeld
auf das Kapitol am 6. Januar 2021, so die           den Landesmedienanstalten11 die Auf-                rückt, neben der Massenkommunika-
Begründung, bestünde sonst das Risiko                sicht über Inhalte auf Plattformen, die            tion auch die Sozial- und Individual-
weiterer Anstiftung zur Gewalt; zudem                weder der Selbstregulierung des Pres-              kommunikation im öffentlichen Raum
behaupte Trump weiterhin fälschlich,                 serats unterliegen noch sich einer an-             betrachtet und auch Plattformbetreiber
die Wahl sei manipuliert. Allerdings hat             erkannten Einrichtung der Freiwilligen             reguliert. Das neue Governance-Modell
Trump jahrelang in Tweets mit Nukle­ar­              Selbstkontrolle angeschlossen haben.               muss sich an einem ethischen Kompass
schlägen gedroht, Lügen und Verschwö-                Im Fokus sind insbesondere Inhalte, die            ausrichten, der auf Kurs hält in einer di-
rungserzählungen verbreitet, Gewalt                  journalistisch gemacht scheinen, aber              gital geprägten Mediengesellschaft und
relativiert, gegen Medien und Minder-                berufsethische Sorgfaltspflichten miss-            institutionell sichert, was diese zusam-
heiten gehetzt – und dieselben Platt-                achten. Im Februar 2021 verwarnten die             menhält: Vertrauen.

10	
   https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age/digital-services-act-ensuring-safe-and-accountable-online-environment_
   de (abgerufen am 24.5.2021).

11	Medienstaatsvertrag 2020: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/
    Medienstaatsvertrag_MStV.pdf (abgerufen am 24.5.2021).
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