Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment - Marlis Prinzing
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Impressum 07/2021 Friedrich-Ebert-Stiftung FES Medienpolitik Godesberger Allee 149 53175 Bonn www.fes.de/medienpolitik Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Roland Feicht Autorin Marlis Prinzing Redaktion Roland Feicht Fotos Marco Pahl Gestaltung und Satz tigerworx Berlin Verlag Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn ISBN: 978-3-96250-930-9 Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung. Creative-Commons-Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0 Die Texte dieses Werks sind unter der Creative-Commons-Lizenz vom Typ „Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz“ lizenziert. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, besuchen Sie https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. Diese Lizenz beinhaltet unter anderem, dass die Texte bei Nennung des/der Autor_innen und dieser Publikation als Quelle ohne Veränderung veröffentlicht und weitergegeben werden dürfen. Ausgenommen von dieser Lizenz sind alle Nicht-Text-Inhalte wie Fotos, Grafiken und Logos. Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung dürfen nicht für Wahlkampfzwecke verwendet werden.
4 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG Inhalt 68 8 12 14 18 5 Einleitung 6 I. Was macht Vertrauen aus und wodurch entsteht es? 8 II. Was beeinflusst Vertrauen, wodurch wird es beschädigt? 14 III. Fazit: ethisches Empowerment als Vertrauensbasis 18 Literatur
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT 5 Einleitung Kann man Journalismus trauen, wenn es um die Covid-19-Krise geht? Woran erkennt man Glaubwürdigkeit? Und soll man als Journalist oder Journalistin über Impfrisiken und schwere Corona-Verläufe ausführlich berichten? Zu aktivem Klimaschutz auffordern? Gefahren von Gesichtserkennungssoftware kleinreden, um Menschen nicht zu verängstigen? Was tun, was lassen, warum – und auf welcher Grundlage? Für eine digital geprägte, komplexe Medien gesellschaft ist ein ethischer Kompass noch bedeutsamer denn je, um auf Kurs zu bleiben und zu stärken, was diese in ihrem Inneren zusammenhält: Vertrauen. D ieser Beitrag will ausloten, inwie- fern sich Journalismus in der heu- tigen demokratischen Gesellschaft als Publikum. Sie befähigt dazu, sich in der heutigen Gesellschaft zu orientieren und sie dadurch zu stabilisieren. Diese Vertrauensinstanz bewährt. Auf ein- Befähigung erfordert eine Grundbil- leitende Bemerkungen, was Vertrauen dung (Literacy), sie muss systematisch ausmacht und wodurch es entsteht (I), erworben und gestärkt werden; und sie folgen, in sechs Punkte gebündelt, aktu- schließt die Bereitschaft zur (Selbst-) elle Beispiele und Studienbefunde dazu, Reflexion ein. Sie braucht zudem Rah- was speziell das Vertrauen in Journa- menbedingungen, die an die heutigen lismus auszeichnet oder beeinträchtigt Erfordernisse angepasst sind: Werte be- (II). Daraus ergibt sich als Fazit (III): dürfen institutioneller Räume, über die Vertrauen in Journalismus ist gekoppelt wir in die Pflicht genommen werden. an seine professionelle Qualität. Diese Das Lenkungs- und Steuerungssystem lässt sich zu einem erheblichen Teil be- (also die Governance-Struktur) für eine schreiben als Grad der ethischen Qua- massenmediale Öffentlickeit muss wei- lität; sie umfasst ein verantwortungs- terentwickelt werden für eine „plattfor- orientiertes Publizieren ebenso wie misierte Öffentlichkeit“. eine aufmerksame Beziehung zum Pu- blikum. Ethische Kompetenz ist der ge- meinsame Schlüssel – für Journalismus ebenso wie für sein potenziell sowohl rezipierendes als auch produzierendes
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT 7 V ertrauen ist eine zentrale Kategorie für das Miteinander. In einer digi- tal geprägten, komplexen Medienge- 2. auf der Abwägung zwischen einer Folgenperspektive (Rechtfertigen für die Allgemeinheit erwartbar positive leistungen hinzuweisen. Auf diese Weise stützt Journalismus einerseits das Vertrauen in diese Institutionen sellschaft ist Vertrauen zudem ein be- Folgen eines Handelns, auch dann so und befördert andererseits das Vertrau- deutender Schlüssel für Empowerment: zu handeln, wenn dies für einige eine en in Journalismus selbst und in seine Die sich verschiebenden Grenzen zwi- Zumutung ist?) und der pflichtethi- orientierende Funktion. Indem Jour- schen Privatem und Öffentlichem ha- schen Betrachtung (Entspricht mein nalismus öffentlich macht, wenn Poli- ben uns an einen Scheideweg geführt. Handeln der Gesinnung, auf die ich tik versagt, zeigt er auch, was gelingen- Werden und wollen wir uns ausgeliefert mich verpflichtet habe, beziehungs- de Politik ausmacht. Die Recherchen fühlen, ausgegrenzt, ahnungslos, was weise kann es zu einer Maxime von zu den im März 2021 bekannt gewor- mit unseren Daten und damit letztlich allgemeiner Gültigkeit werden?) denen Covid-19-Maskendeals, mit de- mit uns geschieht, machtlos, misstrau- 3. auf dem Respekt vor diskursethi- nen einzelne deutsche Parlamentari- isch, also „disempowered“? Oder wol- schen Prinzipien einer Debatte auf er sich selbst Vorteile verschafften, für len wir „empowered“ sein beziehungs- Augenhöhe, in der mehrere Seiten zu die sie dann zur Verantwortung gezo- weise werden, also befähigt zu einer Wort kommen und in der Wahrheit, gen wurden, sind ein Beispiel dafür. souveränen, selbstbestimmten Teilha- Wahrhaftigkeit und Transparenz stil- Und wenn es krisenbedingt zu Grund- be? Ihr Kern ist eine ethische Orientie- prägend sind und vertrauensbildend rechtseinschränkungen wie zum Bei- rung, die dreifach verankert ist: erstens wirken spiel Lockdowns kommt, dann ist es die durch einen ethischen Kompass, der Diese gemeinsame Grundlage wird in Aufgabe eines kritisch beobachtenden hilft, auf einer gemeinsamen Werte diverse Themenbereiche (als politi- Journalismus, diese einzuordnen und basis verantwortungsbewusst zu han- sche Ethik, als Sozial-, Umwelt-, Wirt- ins Verhältnis zu setzen. Durch all dies deln, zweitens durch eine institutionell schafts-, Medienethik etc.) übertragen, erbringt er eine Vertrauensleistung. verbindlich gemachte Verankerung die- für die dann spezifische berufsethische Der Kommunikationswissenschaft- ser Grundsätze und drittens durch die Richtlinien entwickelt werden mit Nor- ler Matthias Kohring ist Spezialist für Vertrauensinstanz Journalismus, die men, die in den jeweiligen Bereichen die Forschung zum Vertrauen in Jour- uns ein Forum garantiert für den Aus- gutes und gerechtes Handeln beschrei- nalismus (Kohring 2004). Er definier- tausch über das, was uns als Gesell- ben. Im Journalismus ist dies beispiels- te für das Vertrauen des Publikums in schaft umtreibt. weise niedergelegt im Pressekodex. journalistische Inhalte folgende vier Kein Mensch kann alles selbst nach- Diese Themenbereiche sind freilich Dimensionen: dass erstens die rele- prüfen und steuern. Vertrauen in Ins- nicht hermetisch gegeneinander abge- vanten Themen aufgegriffen werden, tanzen und Institutionen ist konstitu- grenzt: Unternehmensethik beispiels- dass zweitens die entscheidenden Fak- tiv für eine demokratische Gesellschaft. weise gehört zur Wirtschaftsethik. Die ten genannt werden, dass drittens die Wie bedeutsam dies ist, erweist sich erst ethische Ausrichtung von Medienun- Sachverhalte korrekt dargestellt wer- recht in Krisen wie gegenwärtig jener ternehmen oder auch von Tech-Platt- den und dass man sich viertens auf die der Pandemie, aber auch in der Klima- formen ist aber auch ein Teilbereich der Einordnungen und Bewertungen ver- krise sowie angesichts noch zu lösender Medienethik. Zu den weiteren in die- lassen kann. Diese Kriterien für die Fragen zu Big Data. Vertrauen erwächst sem Beitrag adressierten Ebenen der Qualität der Vertrauensleistung sind aus Erfahrung und richtet sich auf die Medienethik zählen die journalistische im Kern ethische Richtlinien. Sie ver- Erwartung weiterer Erfahrungen in der Berufsethik sowie die Publikumsethik, knüpfen Vertrauen und Verantwor- Zukunft. Vertrauen adressiert diverse deren Blickfeld sich massiv und grund- tungsbewusstsein zu zwei Eigenschaf- Institutionen, Ebenen,gesellschaftliche legend dadurch erweiterte, dass die Ge- ten – glaubwürdig und professionell –, Akteursgruppen (Politiker und Politi- sellschaft dank digitaler Technik inter- die Journalismus Ansehen und Erfolg kerinnen, Fachleute diverser Themen- aktiv publiziert: Aus Mediennutzenden zuschreiben. Um Vertrauen fassbar zu gebiete, Journalisten und Journalistin- wurden auch Medienschaffende – kurz: machen, schlug der Journalismusfor- nen etc.), die alle auf dem Gedankengut Produser (Producer und User) oder scher Bernd Blöbaum vor, Vertrauen der Aufklärung und damit auf dem Produtzer (Produzenten und Nutzer) auf viererlei Ebenen zu betrachten: auf Vernunftprinzip und auf einer gleichen (vgl. Bruns 2008; zu den philosophi- der Systemebene (die Medien, der Jour- ethischen Grundausrichtung gründen. schen Bezügen auf die heutigen Anfor- nalismus), auf der Organisations- und Diese Grundausrichtung basiert auf derungen vgl. zudem Filipovic & Ro- Kanalebene (Medium A, Redaktion B, drei Säulen: berts 2021; Prinzing 2021a, 2020c). Rundfunk, Print etc.), auf der Akteurs 1. auf der Annahme, dass Menschen, Journalismus übernimmt in demo ebene (Journalistin A, Journalist B) und die ihre Persönlichkeit und ihre Be- kratischen Systemen die Kernaufgabe, auf der Beitragsebene (Bericht, Kom- gabungen in ihrem Beruf entfalten Regierung, Parlament, Parteien, Ge- mentar etc.; Themenfeld, Themenfokus können, ihre Sache wirklich gut ma- richte, Polizei etc. kritisch zu beobach etc.) (Blöbaum 2016). chen wollen ten, also auf ihre Leistungen und Fehl-
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT 9 Z ahlreiche Studien beschäftigen sich mit den Erfahrungen, die Menschen mit Medien machen, und mit ihren Er- unmittelbar auf das in Medien gesetzte Vertrauen auswirken (Dernbach 2005; Dernbach & Meyer 2005). Ein Bei- dern sollen. Dies wiederum zeigt, wie Journalismus insgesamt als Vertrauens- instanz funktionieren kann. wartungen, um herauszufinden, wel- spiel ist der weithin diskutierte Fall des che Faktoren das Vertrauen in Medien „Spiegel“-Redakteurs Claas Relotius, stärken und welche nicht. Die zentra- über den im Dezember 2018 bekannt len Befunde lassen sich sechs Punkten wurde, dass er in vielen seiner Ge- Faktor 2: Transparenz und zuordnen. Bedeutsam sind unter ande- schichten von ihm Erfundenes als wahr Draht zum Publikum rem die konkrete Art, wie berichtet und dargestellt hatte. auf das Publikum eingegangen wird, Erwähnenswert ist ferner die Doku Transparenz ist auch bezogen auf re- die auch durch politische Sozialisation mentation „Lovemobil“ 2021.1 Für daktionelle Abläufe ein Schlüsselan- geprägte Erwartung des Publikums die vom öffentlich-rechtlichen Sender liegen und wurde in der Vergangen- und Krisenkontexte wie etwa die Co- NDR mitproduzierte Dokumentation heit häufig vermisst (Meier & Reimer rona-Pandemie. Vertrauensprägende über Sexarbeiterinnen in Niedersach- 2011). Gerade Menschen, die Medien Faktoren korrespondieren oft mit den sen stellte die Regisseurin Elke Marga- nicht recht trauen, halten Journalistin- ethischen Empfehlungen, wie sie zum rete Lehrenkrauss einige Szenen nach nen und Journalisten oft vor, sie seien Beispiel im Pressekodex des Deutschen oder inszenierte sie und hat beides undurchschaubar, aber auch parteiisch, Presserats niedergelegt sind (Deutscher nicht kenntlich gemacht, also das Pu- unkritisch und einseitig (Prochazka & Presserat s. d.). blikum getäuscht beziehungsweise mit Schweiger 2017). Wichtig ist auch, ob dessen Vertrauen gespielt. sich die Erwartungen, die die Einzelnen Die Art, wie mit solchen das Ver- an Medien knüpfen, mit ihrer Wahr- trauen beschädigenden Fällen umge- nehmung der tatsächlich erbrachten Faktor 1: manifeste Belege gangen wird, kann wiederum vertrau- medialen Leistungen decken (vgl. Tsfati der Berichterstattung ensfördernd wirken: Die am 23. März & Ariely 2014). Das kann individuelle 2021 veröffentlichte Recherche von Erfahrungen betreffen oder breit beob- Journalismus kann über manifest be- „Strg_F“2 hat die „Lovemobil“-Fehl- achtbare Ereignisse und Themen: Wur- legbare Aspekte der Berichterstattung leistung ans Tageslicht gebracht. Das de die Art der Medienberichterstattung Vertrauensbildung mitentwickeln. Grimme-Institut zog die Nominierung über die Geschehnisse in der Silvester- Eine als skandalisierend oder sensati- der Dokumentation für den Grimme- nacht 2015/16 in Köln zum Beispiel als onslüstern empfundene Berichterstat- Preis zurück. Die Filmbranche reagier- große Diskrepanz zu dem empfunden, tung widerspricht der Richtlinie 11 des te auch mit einer Onlinekampagne, die was man selbst dort gesehen hat (vgl. Kodexes des Deutschen Presserats und sich für Transparenz und Ehrlichkeit auch Arendt et al. 2017)? Deckte sich die gilt als vertrauensschädigend (vgl. un- im Dokumentarfilm stark macht und eigene Wahrnehmung der Berichterstat- ter anderem Kepplinger 2012). Eine sich auf die Verantwortung gegenüber tung über Flüchtlinge mit den Erwar- subjektiv empfundene hohe Negativi- der Öffentlichkeit beruft (Erklärung tungen? Oder war man sich im eigenen tät der Berichterstattung erzeugt zwar zur Glaubwürdigkeit des Dokumentar- Umfeld einig, es mit einer „Lügenpres- nicht zwingend einen Vertrauensver- films3). Das Vertrauensdesaster beim se“ zu tun zu haben? Solche Wahrneh- lust, kann aber Menschen veranlas- „Spiegel“ wurde durch eine Art Unter- mungseffekte kann man bei sich selbst sen, sich von Medien und damit vom suchungskommission ebenfalls öffent- oder in der sozialen Gruppe, in der Journalismus abzuwenden, und ist ein lich aufgearbeitet.4 Diese Fälle illustrie- man sich befindet, beobachten. Sie hän- ernst zu nehmendes Verhalten, das of- ren, dass professionelle journalistische gen von der Fehlertoleranz der oder des fenbar insbesondere unter jüngeren Recherche auch journalistische Fehl- Einzelnen ab (vgl. Jackob 2009) und da- Zielgruppen zunimmt (vgl. Schneider leistungen ans Licht bringt und dass von, wie selbstkritisch jemand reflek- & Eisenegger 2019; fög 2019; Newman eine transparente, professionelle Refle- tiert und diskutiert (vgl. Reinemann & et al. 2019, 2020). Mediale Fehlleistun- xion der Fehler zu Vorkehrungen führt, Fawzi 2016). gen und Medienskandale können sich die Vergleichbares in Zukunft verhin- 1 Dokumentation zu „Lovemobil“: https://www.agdok.de/de_DE/debatte-um-lovemobil (abgerufen am 20.4.2021). 2 Strg_F, https://www.funk.net/channel/strgf-11384/lovemobil-dokumentarfilm-ueber-prostitution-gefaelscht-strgf-1740812 (abgerufen am 20.4.2021). 3 Erklärung zur Glaubwürdigkeit des Dokumentarfilms: https://docs.google.com/forms/d/1GJRNCILD9ZIio2-khYn_A0NFjCS0G8P3k3GVAB-XkjY/ viewform?edit_requested=true (abgerufen am 20.4.2021). 4 Dokumentation zur Aufarbeitung der Relotius-Affäre: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/der-fall-claas-relotius-hier-finden-sie-alle-artikel-im- ueberblick-a-1245066.html (abgerufen am 18.4.2021).
10 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG xion. Er ist nicht die einzige, aber eine stattung, so bemängelte der Presserat, Faktor 3: Selbstreflexion wichtige Selbstregulierungsinstanz sei unangemessen sensationsheischend, und Draufsicht in Deutschland sowie eine bedeutsa- missachte die Wahrheit und könne me Beschwerdestelle für das Publi- letztlich das Ansehen von Journalismus Im Journalismus ist die systematische kum. Wem an einer Berichterstattung beschädigen. Wenn sich die Beschwer- Reflexion über die eigene Arbeit bezie- in Printmedien und daran angeschlos- den auf unterschiedliche Meinungen zu hungsweise das Interesse an der ana- senen Onlinemedien oder in sich dem einem Thema beziehen, dann geht das lytischen Draufsicht anderer auf die Pressekodex freiwillig unterordnen- Gremium darauf nicht ein. Denn seine eigene Arbeit eine Möglichkeit, sich den Onlineplattformen etwas nicht Aufgabe ist es, Verstöße gegen die ethi- seiner Professionalität zu vergewis- passt, der kann formlos und kostenlos schen Richtlinien zu prüfen, also letzt- sern. Orte der Reflexion bietet der Me- eine Beschwerde beim Presserat ein- lich die Vertrauensgrundlage. dienjournalismus, also der Journalis- reichen. Die Zahl der Beschwerden Die hohe Beschwerdezahl ist im mus, der sich mit den Medien selbst wächst seit Jahren, im Pandemiejahr Prinzip ein sehr gutes Zeichen, weil sie befasst – ob in Publikumsmedien oder 2020 war der Presserat gefragt wie nie ein großes Interesse der Bevölkerung in speziellen Formaten wie Meedia, (Deutscher Presserat 2021a: 6). 4.085 an journalistischer Arbeit widerspie- Zapp (NDR), @mediasres (Deutsch- Menschen wandten sich an ihn, fast gelt. Die Diskussion über Presseratsent- landfunk), Uebermedien.de oder in scheidungen lässt sich auch als Training Branchenmagazinen wie „MediumMa- in Medienkompetenz nutzen – in den gazin“ oder „Journalist“ (Letzteres ver- Journalistische Redaktionen und im Diskurs mit dem öffentlicht in der Serie „Mein Blick auf Publikum. Die Reflexion der Entschei- den Journalismus“ vielfältige Verbesse- Professionalität dungen hilft besser einzuschätzen, wo rungsbeispiele für Journalismus), aber durch systema das öffentliche Interesse endet und wel- auch der von einigen Medienhäusern che Verantwortungsdimensionen abzu- mittlerweile systematisch betriebene tische Reflexion wägen sind. In Solingen hat im Septem- Austausch mit der Community (siehe vergewissern. ber 2020 eine Mutter fünf ihrer sechs Punkt 1 im Fazit). Kinder umgebracht. Zweifellos muss Hinzu kommen Untersuchungen über ein solches Verbrechen berichtet aus der Journalismusforschung, auf die doppelt so viele wie im Vorjahr. Die werden. Wägt man dabei zwischen dem auch dieser Text Bezug nimmt. Studi- Dimension des Zuwachses hänge auch berechtigten Informationsinteresse der en zu eher zweifelhaften journalisti- mit einer Massenbeschwerde über eine Allgemeinheit und der Privatsphäre schen Leistungen – wie phasenweise in der „taz“ erschienene Polizei-Ko- der Betroffenen ab, dann gehören man- während der Affäre um den damaligen lumne zusammen, bilanzierte Presse- che Details nicht in die Öffentlichkeit. deutschen Bundespräsidenten Christi- ratssprecher Sascha Borowski. Viele Dementsprechend rügte der Presse- an Wulff – können Diskussionsanstöße Menschen habe die Wahrhaftigkeit der rat „Bild.de“, „Rheinische Post“ und für die künftige Praxis liefern (vgl. Arlt Corona-Berichterstattung umgetrie- „Sueddeutsche.de“. Sie hatten Teile ei- & Storz 2012; Grünberg et al. 2015). ben (Deutscher Presserat 2021a: 3–5). nes privaten Chats veröffentlicht, den Forschung hält mitunter auch aus der 581 Personen vermuteten, Redakti- der elfjährige überlebende Sohn mit Analyse abgeleitete Handlungsempfeh- onen stellten unwahre Tatsachenbe- seinem Freund geführt hatte. Das ver- lungen bereit, wie etwa für eine reflek- hauptungen über Infektionszahlen auf letze die Menschenwürde der Kinder, tierte Berichterstattung über populis- oder sie recherchierten zu wenig; weil argumentierte der Presserat, und stelle tische Parteien (vgl. Gäbler 2017). Die manche Berichte von mehreren Perso- seelisch sehr verletzte Menschen ohne Haltung zählt: Journalismus muss an nen beanstandet wurden, blieben 398 Grund zur Schau (Deutscher Presserat der Analyse seiner Arbeit interessiert Fälle, die das Gremium zu prüfen hat- 2020). sein, weil sich daraus viel Verbesse- te. Bis Jahresende 2020 waren 321 Fäl- Sensationsorientierte Berichter- rungs- und Vergewisserungspotenzial le entschieden, in 225 davon erkannte stattung kann das Vertrauen in Medien schöpfen lässt. Und eine Journalismus- der Presserat keinen Verstoß gegen die insgesamt beschädigen. Das gilt auch forschung, die ihrer gesellschaftlichen Kodexrichtlinien, in vier Fällen nutzte für andere Grenzüberschreitungen. Die Verantwortung nachkommt und sich er sein schärfstes Kritikinstrument und häufig monierte Vermischung von re- als eine auch öffentliche Wissenschaft rügte die betreffenden Redaktionen öf- daktionellen und interessengeleiteten versteht, muss auf der Grundlage ihrer fentlich (Deutscher Presserat 2021a: 9 Inhalten bis hin zur Schleichwerbung Studienbefunde aktiv zum öffentlichen f.). „Bild.de“ erhielt eine Rüge, weil in ist ein Beispiel (Deutscher Presserat Diskurs über Professionalität, Ethik einer Überschrift die Corona-Statis- 2021b): Wenn die Zeitschrift „Merian“ und Vertrauen bereit sein. tik des Robert Koch-Instituts (RKI) als in einem Text über Urlaubsreisen Wer- Der Deutsche Presserat ist ein Bei- sachlich falsch dargestellt wurde (Deut- bung für eine Versicherung versteckt spiel für eine institutionalisierte Refle- scher Presserat 2021b). Die Berichter- oder das „Zeit Magazin“ zu einem re-
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT 11 daktionellen Schwerpunkt rund um das mittlerweile verbessert hat, verglichen Homeoffice ohne erkennbaren Zusam- mit dem Befund, den Eberwein (2020) Faktor 4: politische menhang zum Text Möbel und Aus- für Studien bis 2015 zusammenfasst. Sozialisation stattung mit Herstellernamen platziert, Ähnliches gilt für Studien zur aktuellen dann sind ethische Regeln verletzt. Die Leistung vor allem des Medienjourna- Für die Vertrauensbildung zählen auch Kodexrichtlinien sehen eine klare Tren- lismus in Publikumsmedien. Ihm wur- individuelle Faktoren, beispielswei- nung von redaktionellen und werbli- de vorgehalten, sich vor allem der Kri- se die politische Sozialisation. In Län- chen Inhalten vor. Transparenz ist ein tik von Serien und Fernsehsendungen dern, in denen es große politische Ver- wichtiger Vertrauensfaktor. Auch des- zu widmen, aber selten Hintergrundre- änderungen gab oder die politische halb muss das Publikum auf Anhieb cherchen zum Beispiel zu Entwicklun- Polarisierung zunahm, sank pauschal erkennen, ob ihm interessengeleitete gen der Medienbranche vorzunehmen. das Vertrauen in Medien (Hanitzsch, Auftragskommunikation und Werbung Medienjournalisten und -journalistin- Van Dalen & Steindl 2018). Auch man- oder ein sachgerecht recherchierter Be- nen seien in Loyalitätskonflikten bezo- che Diskussionen etwa über die Höhe richt angeboten wird. gen auf die eigene Branche gefangen. der Gebühren, die öffentlich-recht Es gibt vielerlei etablierte und Und sie seien Begehrlichkeiten von liche Medien für ihren Public Service neuere Medienselbstkontrolleinrich- Arbeitgebern ausgesetzt, die Medien- erheben, bleiben nicht spurlos; pro- tungen und -initiativen im privaten wie journalismus zur Unterstützung der blematisch dabei ist nicht die – sehr im öffentlich-rechtlichen Bereich, na- eigenen Geschäftsinteressen instru- wünschenswerte – kritische Ausein- tional sowie organisationsintern (vgl. mentalisieren wollen (Eberwein 2020). andersetzung mit der Leistungskraft Eberwein 2020). Der Erfolg ihrer Ar- Instrumentalisiert oder nicht: Gera- öffentlich-rechtlicher Medien, sondern beit basiert auf Einsicht und damit auf de aus Printredaktionen fallen kriti- die zuweilen verunglimpfende Art, wie der oben beschriebenen Grundaus- sche Kommentare zu Onlinestrategien manche Politikerinnen und Politiker richtung, seinen Beruf bestmöglich oder Gebühren öffentlich-rechtlicher die Bedeutung des Public Service als ausüben zu wollen, also auf sachliche Rundfunkveranstalter auf, die offen- ein die Demokratie kennzeichnendes Kritik, wie sie zum Beispiel Presserats- bar als Konkurrenz gesehen werden. Solidarprinzip kleinreden oder über- rügen beinhalten, konstruktiv einzu- sehen (Prinzing 2020b, 2020e). Men- gehen (vgl. Prinzing 2020c). Der Eu- schen, die der AfD zugeneigt sind oder ropean Media Accountability Index Die Wahrnehmung generell rechtspopulistischen Auf- klassifiziert die Verbreitung institutio- fassungen anhängen (Schindler et al. nalisierter und nicht institutionalisier- einer wachsenden 2018), sowie jene, die politikverdrossen ter Medienselbstkontrollinstrumente Entfremdung sind (Ariely 2015), neigen besonders und platziert Deutschland im europäi- stark dazu, etablierten journalistischen schen Vergleich gemeinsam mit Öster- muss besonders Medien zu misstrauen (vgl. Neverla reich auf Rang 4 (vgl. Eberwein 2020). alarmieren. 2017; Reinemann et al. 2017; Schultz et Allerdings kommen bestehen- al. 2017; van Eimeren et al. 2017). Der de Einrichtungen nicht nur durch die auch international feststellbare Trend, steigende Beschwerdezahl an Kapazi- Argumentation und Berichterstattung klassischen gesellschaftlichen Eliten zu tätsgrenzen, sondern auch thematisch. vernachlässigen dabei tendenziell ers- misstrauen (Hanitzsch, Van Dalen & Insbesondere digital bedingte Verän- tens die globale Entwicklung, die den Steindl 2018) und eine Abhängigkeit derungen rechtfertigen inhaltliche und Anspruch, den Verlagshäuser gegen- des Journalismus von politischen sowie institutionelle Anpassungen – zum über dem Netz erheben, ad absurdum wirtschaftlichen Eliten anzunehmen Beispiel eine weitere Anlaufstelle spe- geführt hat. Und zweitens wird oft ver- (Prochazka & Schweiger 2017), ver- ziell für digitale Themen (vgl. Prinzing säumt, das Public-Service-Prinzip, also stärkt die Skepsis gegenüber etablierten 2020a) sowie klar benannte Zuständig- den Auftrag, vor allem eine öffentliche Medien. Es bestehen offenbar Korrela- keiten, wie sie zum Beispiel der Me- Informationsdienstleistung zu erbrin- tionen zwischen der Einschätzung der dienstaatsvertrag 20205 (vgl. auch Fazit, gen, als Leitgedanken für eine demo- gesellschaftlichen und der politischen Punkt 4) festlegt. Zudem wären Stu- kratische Gesellschaft einzuordnen und Lage und der Leistung der (etablierten) dien nützlich, die analysieren, ob sich dies zu trennen von der durchaus be- Medien: Wer insgesamt eher zufrieden der Einfluss der Reflexionsinstrumente rechtigten Kritik am Handeln konkre- ist, empfindet Medien eher als glaub- auf konkretes redaktionelles Handeln ter Rundfunkanbieter. würdig (vgl. Meyen 2019). Wer sich für 5 Medienstaatsvertrag 2020: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/ Medienstaatsvertrag_MStV.pdf (abgerufen am 24.5.2021).
12 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG Politik interessiert, vertraut ihnen eher, ziell medienkritischer sind (etwa AfD lässt sich manches ableiten für den ge- als dies die politisch Desinteressierten und Pegida-Milieus), werden auch so- sellschaftlichen Zusammenhalt und tun (vgl. Tsfati & Ariely 2014; Prinzing genannte „alternative Medien“, die oft für den Journalismus. Solche Beobach- 2021a; Prochazka 2020). extremen Positionen und Verschwö- tungen und Differenzierungen geben rungserzählungen zugeneigt sind, ver- auch Aufschluss darüber, dass es neben gleichsweise intensiv genutzt (Jackob Hardlinern auch etliche Skeptiker und et al. 2017). Auch umgekehrt sind die Skeptikerinnen gibt, die sich nicht völ- Faktor 5: Gratifikation, Korrelationen auffällig: Wer etablierte lig vom etablierten Journalismus ab- Differenzierung und Medien relativ häufig nutzt, hält Jour- gewendet haben und teilweise erreich- Entfremdung nalismus insgesamt für relativ vertrau- bar sein dürften, wenn Journalistinnen enswürdig (vgl. Jackob 2010; Schranz und Journalisten sich die konkreten Um zu verstehen, was Menschen an- et al. 2016). Interessant wäre, ob sich Vorwürfe bewusst machen, die offen- treibt, Medien zu vertrauen, ist auch Ursächlichkeiten nachweisen lassen. bar das Vertrauen in sie destabilisieren. wichtig, sich vor Augen zu halten, wes- Wenden sich Menschen ab, weil sie eta- Zusätzlich zu den bereits erwähnten halb Menschen Medien nutzen. Die blierten Angeboten misstrauen? Oder Vorhaltungen, die Berichterstattung in Kommunikationswissenschaft bedient misstrauen sie diesen, weil durch alter- etablierten Medien sei tendenziös, ein- sich hierfür seit Langem des sogenann- native Medien Zweifel gesät wurden? seitig und intransparent, wurde hier ten „Uses-and-Gratification-Ansatzes“ Inwiefern verstärkt sich beides gegen- noch genannt, man habe das Gefühl, (Nutzen-und-Belohnungs-Ansatz): seitig? Zumindest sind mir hierzu keine erzogen zu werden, und es störten die Menschen wollen demnach durch Me- Studien bekannt. Faktenfehler (Blöbaum et al. 2020). Das dien vielerlei Bedürfnisse befriedigen. Radikalisierung und Medienskep- vertieft Befunde, die Vertrauensentzug Am wichtigsten sind ihnen die kogni- sis sind ernst zu nehmen. Aber sie sind und Qualitätsversprechen verknüpfen: tiven, also die Orientierung durch In- auch ins Verhältnis zu setzen zu dem Wer findet, Medien berichteten nicht formiertsein, und die affektiven, also zahlenmäßig viel größeren Teil der Be- verständlich, nicht das Relevante oder sich zu unterhalten und dabei zu ent- völkerung, der Journalismus vertraut. ließen es an Vielfalt missen, verliert spannen. Hinzu kommen soziale Be- Man muss genau hinschauen, und es das Vertrauen in sie (vgl. Voigt 2016; dürfnisse (mitreden können) und die spielt offenbar auch eine Rolle, ob man Schultz et al. 2017). Identitätsbildung (vgl. Schweiger 2007). sich in als besonders krisenhaft emp- Die Wahrnehmung einer wachsen- Es müssen und können nicht immer fundenen Zeiten befindet. den Entfremdung muss besonders alar- alle Bedürfnisse befriedigt werden. Die Kommunikationswissenschaft- mieren (Jackob et al. 2019: 215). In ei- Viele akzeptieren das oder nehmen es ler Bernd Blöbaum, Thomas Hanitzsch ner Mainzer Studie gaben mehr als die hin. Jene Menschen hingegen, die eta- und Laura Bandura (2020) organisier- Hälfte der Befragten an, dass Medien blierte Medien bereits kritisch beäu- ten rund um Vertrauensfragen ein Pro- den Kontakt zu ihresgleichen verloren gen, reagieren oft sehr wütend, wenn jekt aus Masterarbeiten, für das sie den hätten und Themen übersähen, die ih- sich ihre Erwartungen nicht erfüllen Blickwinkel auf den Begriff „Mediens- nen wichtig seien: Sie selbst – so fanden (Schindler et al. 2018), und wenden kepsis“ erweiterten. Im Rahmen des 75 Prozent – nähmen gesellschaftliche sich Medienangeboten zu, in denen sie Projekts wurden leitfadengestützte In- Zustände meistens oder zumindest teil- sich bestätigt fühlen. Manche von ih- terviews mit 100 Skeptikerinnen und weise ganz anders wahr, als sie in den nen verunglimpfen zum Beispiel bei Skeptikern geführt. Auf dieser Grund- Medien dargestellt würden (Jackob et „Querdenker“-Demonstrationen gegen lage wurden medienskeptische Men- al. 2019: 216). Ob die Differenz wirk- Covid-19-Maßnahmen stereotyp Jour- schen typologisiert: Manche von ih- lich zutrifft, ist zweitrangig; entschei- nalisten und Journalistinnen als Lüg- nen sind ambivalent und haben noch dend ist, dass viele Menschen dies so ner und attackieren sie auch körperlich ein wenig Vertrauen; es gibt welche, empfinden. Zumal dies Folgen hat für (Reporter ohne Grenzen 2021). Der So- die notorisch zweifeln, und „Hardli- die Einstellung zur Demokratie: Nur zialwissenschaftler Sebastian Koos prä- ner“, die völlig misstrauisch sind; man- wer Medien einigermaßen traut, infor- sentierte in dem Beitrag „Querdenken- che Skeptikerinnen und Skeptiker sind miert sich über sie über das, was auf der Demos: Gewalt gegen Journalist*innen“ sehr differenziert; andere sind pauschal Welt passiert, beteiligt sich an Wahlen des NDR-Medienmagazins „Zapp“ vom ablehnend und sehen etablierte Medi- und ist bereit, demokratisch getroffene 21. April 2021 einen Befund aus sei- en nur als verlängerten Arm der Poli- Entscheidungen zu akzeptieren (Jackob ner Befragung von Demonstrierenden. tik; oft ist an diese Einstellung auch ein et al. 2019: 216). In diesen Kreisen, so seine Diagno- Misstrauen gegenüber der Politik ge- Vielfältige Meinungen nicht zu se, betrachten auch die eher bürgerli- koppelt. Manche nutzen ihre Skepsis, adres s ieren, wirkt kontraproduktiv, chen Teilnehmenden Journalisten und um sich mit anderen auszutauschen, weisen Marcus Maurer und sein Team Journalistinnen zunehmend als Fein- einige wollen andere überzeugen, eini- am Beispiel von Flüchtlingsthemen de. In der Gruppe jener, die tenden ge sind resigniert. Aus den Befunden nach, über die Medien nicht nur re-
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT 13 lativ ähnlich berichteten, sondern bei durch die insgesamt erstarkenden po- blierter Medien vermutet das Mainzer denen sie oft Standpunkte wegließen, pulistischen Strömungen und verun- Team darin, dass sich infolge der Kri- die im P ublikum sehr verbreitet wa- sicherte viele Redaktionen (Jackob et se mehr Menschen als zuvor ihnen zu- ren. Die Forscher und Forscherinnen al. 2019). Auch im Publikum nahm die wandten und sich so offenbar vom Wert leiten hieraus einen klaren Auftrag ab: Polarisierung zu. Eine Publikumsbe- ihrer journalistischen Qualität über- „Gesellschaftlich betrachtet können fragung im Jahr 2018 ergab, dass zwar zeugten. Das Projekt „Austrian Coro- Massenmedien folglich vor allem dann 44 Prozent der Menschen Medien „bei na Panel“ liefert aber Befunde, dass nur Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wichtigen Dingen“ vertrauten (Jack- das Vertrauen in die Corona-Berichter- wenn sie bei kontroversen Themen viel- ob et al. 2019: 210), sich aber das gene- stattung deutlich wuchs, nicht jedoch fältige Standpunkte vertreten“ (Mau- relle Misstrauen bei einer insbesonde- bei ebenso neuralgischen Themen wie rer et al. 2018: 316). Zudem impliziert re an den linken wie rechten Rändern Klima, Zuwanderung, Asyl (Jakobs et dies die Aufforderung, Rückgrat zu zei- des politischen Spektrums angesiedel- al. 2021: 156). gen. Denn das Ziel kann es nicht sein, ten Minderheit verfestigte (Jackob et Gegenüber Internetquellen sind die dem Publikum nach dem Mund zu be- al. 2019: 215). Sich öffentlich zu äußern Menschen seit geraumer Zeit vorsichti- richten, sondern in der B evölkerung ger. Schon 2017 ließen der Datenskan- vorhandene Positionen aufzugreifen dal rund um Facebook und Cambridge und sie einzuordnen – zum Beispiel in- Analytica sowie das zunehmende Pro- dem die vermuteten Anteile von nicht Das Publikum blem der Hassreden das Vertrauen in deutschen Straffälligen den tatsächli- beachten. aus den sozialen Netzwerken entnom- chen Zahlen gegenübergestellt werden. mene Nachrichten sinken (Jackob et al. Ein ähnliches Vorgehen wird (Media Wer das nicht 2019: 211). Die Corona-Krise hat die- Manipulation Casebook 2020) in zu- versteht, verliert sen Trend verstärkt. Das Vertrauen in gespitzter Form auch im Umgang mit Social-Media-Quellen ging nochmals Verschwörungserzählungen empfoh- dessen Vertrauen. deutlich zurück; auch der Medienzynis- len: aufgreifen, aber nur kurz, um nicht mus („Lügenpresse“) sowie die Zustim- noch selbst zur Verstärkung manipula- mung zu Verschwörungsvorstellungen tiver Falschinformation beizutragen. wurde ambivalent gesehen: als unpro- (zum Beispiel von Medien und Politik) Gratifikation ist auch eine Gefühls- blematisch wie etwa beim Dieselskan- schwächten sich ab. sache. Das legen Untersuchungen nahe dal, als heikel – so jeder dritte Befragte Krisen sind Vertrauenstreiber, ins- (zusammengestellt bei Prinzing 2021c), – bei Themen rund um den Islam oder besondere wenn nicht primär politi- die nicht bei der Skepsis ansetzten, son- Flüchtlinge (2019: 215). sche Themen wie in der „Flüchtlings- dern die Menschen fragten, was ihr Die Pandemiekrise markiert eine krise“ im Vordergrund stehen, sondern Vertrauen weckt. Für viele zählt: Füh- Wende. Das Vertrauen in etablierte ein letztlich alle betreffendes Gesund- len sie sich vertraut mit einer bestimm- Medien und vor allen Dingen in den heitsproblem. Journalismus ist ein Ver- ten Quelle? Welches Ansehen hat sie in öffentlich-rechtlichen Rundfunk stieg trauensgut. In Demokratien sind jour- ihren Augen? Wirkt die Art, wie Nach- deutlich. Diese Befragung im Rahmen nalistische Medien systemrelevant richten aufbereitet werden, journalis- der „Mainzer Langzeitstudie Medien- als Informationsübermittler, Warner, tisch anziehend (oder abschreckend)? vertrauen“ erfolgte im November und Widersprecher, Erklärer. Die Covid- Dezember 2020. Eine darin abgefrag- 19-Pandemie hat diese Systemrelevanz te Feststellung lautete: „Wenn es um wieder bewusst gemacht. wirklich wichtige Dinge geht – etwa Öffentlich-rechtliche Medien er- Faktor 6: Vertrauen in Umweltprobleme, Gesundheitsgefah- wiesen sich zwar in besonderem Maße Krisenzeiten ren, politische Skandale und Krisen als Vertrauensinstanzen, aber im Kern –, kann man den Medien vertrauen.“ richtet sich die Vertrauenszuschrei- Krisen können Vertrauen in Journa- Die Feststellung erhielt die mit 56 Pro- bung auf alle etablierten Medien, die lismus beeinträchtigen oder stabilisie- zent höchste Zustimmung seit der ers- für relevanten Journalismus stehen. ren. Die „Flüchtlingskrise“ 2015 kos- ten Befragungswelle im Jahr 2008. Die Ob der Vertrauenszuwachs von Dau- tete Vertrauen (Jackob et al. 2019), die Vertrauenswerte insgesamt schwankten er ist, lässt sich freilich nicht vorhersa- Corona-Krise 2020 steigerte es (Jakobs in der Krise bezogen auf Medien, Re- gen, auch nicht, worauf er genau beruht et al. 2021). Die Bedeutung von Ver- gierung, Gesundheitsbereich und Be- – auf der Informationsleistung, der Kri- trauensfragen rückte zudem durch die hörden; kontinuierlich hoch war nur tik- oder der Warnerrolle etc. Aber die ebenfalls im Jahr 2015 aufgekommenen das Vertrauen in die Weltgesundheits- Studien liefern Hinweise auf vier zen- Vorwürfe in den Vordergrund, etab- organisation und in die Wissenschaft trale Ansatzpunkte, wie Journalismus lierte Medien seien eine „Lügenpresse“. (COSMO 2020a, 2020b, 2020c). Einen Vertrauen stabilisieren kann und sollte. Diese Polarisierung vertiefte sich auch Grund für die Imageverbesserung eta- Sie werden nun als Fazit dargestellt.
14 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG III. Fazit: ethisches Empowerment als Vertrauensbasis
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT 15 fen und wenn ja, warum? Warum ist und unterstützten, doch Journalisten 1. Den Draht ein Thema wichtig? Wie lief die De und Journalistinnen lasen genau das zum Publikum stärken batte, wie war das Für und Wider in Gegenteil aus den Zahlen heraus; vgl. der Redaktionskonferenz? Herausra- Reinemann 2020; vgl. auch Prinzing Entscheidend ist die Haltung, die Jour- gende Beispiele für eine systematisch 2020d; Prinzing & Meißner 2021). Pro- nalismus gegenüber seinem Publikum gepflegte Beziehung zur Community fessionelle und gute Arbeit zu leisten ist einnimmt: Das Publikum will und sind das Audience Development der auch ein unternehmensethisches The- muss beachtet werden. Das ist vielfach „Rheinischen Post“ sowie die Commu- ma: Wenn Geschäftsleitungen ihre Re- belegt. Wer das nicht versteht, verliert nities, die neuere Journalismusplattfor- daktionen unter dauernden Spar-, Kos- den Draht zum Publikum und damit men aufgebaut haben6, aber auch auf ten- und Zeitdruck setzen sowie freie auch dessen Vertrauen. In der digital lösungsorientierten Journalismus aus- Journalistinnen und Journalisten auch geprägten Mediengesellschaft spielt das gerichtete Plattformen7. dadurch in prekäre Verhältnisse rut- eine noch größere Rolle als bislang. Die schen, dann ist Qualität kaum noch zu Ansatzpunkte und Zielrichtungen sind erwarten. bekannt: zu den Menschen hingehen, Das schlägt sich im Vertrauen nie- dorthin, wo sie wohnen und arbeiten; 2. Mit Professionalität auch der. Und das Risiko wächst, dass immer hinhören, was sie umtreibt; die Lokal- im Digitalen überzeugen mehr qualifizierte Menschen Journalis- und Regionalberichterstattung entspre- mus nicht mehr als Beruf ausüben und chend ausrichten; der Gemeinwohl- Vertrauensbeziehungen gründen auch die Seite wechseln – mit nicht absehba- orientierung hohe Aufmerksamkeit auf klassischen, ins Digitale übertra- ren Folgen für das Rückgrat, das Jour- schenken; auf Handlungsmöglichkei- genen professionellen Skills. Beispie- nalismus für unsere Demokratie sein ten und Lösungen hinweisen, wo dies le sind Faktencheck-Initiativen, die muss, damit sie funktionieren kann möglich ist – also letztlich das Reper- sowohl Checks bereithalten, die hohe (vgl. auch Albrecht & Bühler 2021; toire des journalistischen Handwerks Versiertheit verlangen, als auch Checks, Prinzing 2020c). und der professionellen Vermittlung mit denen die Menschen ganz schnell besser ausschöpfen: mal investigativ, selbst prüfen können, ob jemand sie mal anwaltschaftlich, mal konstruktiv, bewusst manipuliert.8 Sorgfalt, Fak- mal informierend, meinungsbildend, tenprüfung sowie verantwortungsori- 3. Bewusstsein für unterhaltend, warnend, zugeschnitten entierte Recherche und Klarheit (Was Literacy vermitteln: darauf, wie es die Situation oder der ist gesichert, was weiß man noch nicht Wer publiziert, muss wissen, Zugang zu einem Thema nahelegt (vgl. genau?) markieren ethisch begründe- was er tut Prinzing & Meißner 2021). te Orientierungslinien und gewannen Wie wichtig ein guter Draht zum immense Bedeutung als Gegenmittel Ein publizierendes Publikum benötigt Publikum ist, dringt zwar allmählich gegen über soziale Medien in Windes- ein Basiswissen, um seiner Publizier- ins Bewusstsein, aber die Intensität, mit eile und massiv verbreitete manipula- verantwortung nachkommen zu kön- der dies umgesetzt wird, ist sehr unter- tive Desinformation. Hinzu kommen: nen; eine Art reduzierter Pressekodex schiedlich. Die Publikumsbeziehung einordnen (Was bedeutet das?), Kor- als Publizierkompass bewahrt davor, ist ein klassischer Ansatzpunkt für relation und Kausaliät unterscheiden schlicht aus Unkenntnis andere in das Vertrauen in Journalismus; einst (Was passiert gleichzeitig, was steht in Posts zu brüskieren, zu verletzen oder „Leser-Blatt-Bindung“ genannt, wird einem ursächlichen Zusammenhang?), zu triggern. Wer postet oder twittert, daraus durch die digitale Interaktivität differenzieren (Wer ist skeptisch gegen- muss verstehen, inwiefern man sozia- ein „Gesprächsverhältnis auf Augen über Impfungen, wer lehnt sie katego- len Medien trauen kann und inwiefern höhe“. Ein Schlüssel für eine gelingende risch ab und behauptet, dunkle Mächte nicht, also wissen, dass soziale Medien Publikumsbeziehung ist Transparenz: seien am Werk?), Zahlen korrekt wie- als Emotionsmedien funktionieren: Ihr Warum wird so berichtet, warum wird dergeben (eine Studie zeigte, dass die Geschäftsmodell basiert auf dem Han- Person A interviewt, Position B einge- meisten Menschen in Deutschland die del mit aus Gefühlsreaktionen produ- nommen? Wird bewusst Partei ergrif- Lockdown-Maßnahmen verstanden zierten Daten. 6 Zum Beispiel https://www.riffreporter.de/de, https://www.correctiv.org, http://www.republik.ch (abgerufen am 24.5.2021). 7 Zum Beispiel https://perspective-daily.de/ (abgerufen am 24.5.2021). 8 Vgl. als Beispiele https://www.br.de/nachrichten/faktenfuchs-faktencheck,QzSIzl3; https://www.tagesschau.de/faktenfinder/; https://correctiv.org/ faktencheck/, aber auch https://datajournalism.com/read/handbook/verification-3; http://verificationhandbook.com/ sowie https://mediamanipulation. org/, https://rsf.org/en/news/launched-may-18-jti-online-platform-represents-new-dawn-media-integrity-transparency-and, https://www. journalismtrustinitiative.org/ (jeweils abgerufen am 24.5.2021).
16 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG Anders gesagt: Wir sollen möglichst relevant sind“ (Deutsches PISA-Kon- gung der Presse (2020) zeigt, dass eine rasch und möglichst oft reagieren, da- sortium 2000: 13). Allerdings wurde große Zahl der Lehrkräfte in Deutsch- mit möglichst häufig Daten entstehen das Verhältnis dieser übergreifenden land zunächst selbst dringend nachsit- und damit letztlich Cash in die Kassen Kompetenzen zu den fächerbezoge- zen müsste, um Medien-und Digital- des Plattformbetreibers fließt. Deshalb nen Kompetenzen nicht näher erör- kunde zu pauken und Wissenslücken werden uns häufig Aufreger-Inhalte tert. Auch dies zählt zu den gegenwär- zu füllen. Die befragten Lehrkräfte fan- gezeigt. Denn sie erzeugen besonders tigen Herausforderungen. Vieles ist den zwar Nachrichtenkompetenz wich- schnell Reaktionen. Um zu steuern, schon lange erkannt, doch es fehlt ein tig, richteten aber ihr Augenmerk auf welche Inhalte angezeigt werden, bauen schlüssiges Konzept, um wirklich syste- die gedruckte Zeitung, obwohl sozia- Plattformbetreiber Algorithmen. Das matisch und generationenübergreifend le Medien in der Schülerschaft deutlich sind letztlich Muster-Erkenner, die da- eine medienkompetente Gesellschaft stärker genutzt werden. Die meisten raus Wahrscheinlichkeiten errechnen zu entwickeln und ihr eine kommuni- Lehrkräfte fühlten sich kundig genug, für eine bestimmte Reaktion. Algorith- kative Grundbildung zuteilwerden zu um den Schülern und Schülerinnen men steuern unter Einbezug individu- lassen aus einem Set von Schlüsselqua- Nachrichtenkompetenz beizubringen, eller Nutzerdaten, was jeden von uns lifikationen (Trültzsch-Wijnen 2020), aber die Studie offenbart, wie trügerisch aufregt, interessiert etc. Uns wird vor- durch die die Menschen in einer ver- diese Selbstwahrnehmung ist. Denn je- gegaukelt, die Welt sei genau so, wie sie netzten und sich ständig wandelnden der zehnte Befragte hat nie etwas vom wäre, wenn sie unseren Likes entspre- Gesellschaft aufgeklärt funktionieren öffentlichen Auftrag der Medien ge- chend gebaut wäre, was natürlich nicht und teilhaben können (Oydemi 2018; hört. 38 Prozent sind sich nicht sicher, stimmt. Prinzing 2021a). Im Kern geht es da- ob Medien in Deutschland wirklich die Aber das führt dazu, dass wir uns zu bei um Ethikkompetenz. Die ethische „Mächtigen“ kritisch beobachten und Hause fühlen und den Eindruck haben, Dimension ist in vielen vorhandenen kontrollieren sollen. Und jede zehnte andere dächten ähnlich, was uns aus Richtlinien oder Empfehlungen bereits Lehrkraft ist davon überzeugt, dass Me- der Reserve treiben kann, vielleicht so- enthalten, teils ergibt sie sich aus dem dien die Meinungsbildung im Sinne der gar Dinge zu äußern, die wir sonst nie Bezug auf die Menschenrechte, wie Regierung lenken sollen (Stiftervereini- zu äußern gewagt hätten. Solches Wis- etwa den Schutz der Privatheit, teils ist gung der Presse 2020). sen muss Teil werden einer Literacy, sie noch abzuwägen. eines Kompetenzportfolios für selbst- Ethik- und damit auch Medienkom- bestimmt in einem digitalen Umfeld petenz fördert Vertrauen in Medien. agierende Bürgerinnen und Bürger. Es Sie heranzubilden, müsste daher im In- 4. Für den Rahmen bedarf eines ganzen Straußes an Liter- teresse des Journalismus selbst liegen, sorgen: Werte bedürfen acies – Platform Literacy, Digital Lite- aber auch der Politik, der Schulen, der institutioneller Räume und racy, Media and Ethics Literacy. Nota- Gesellschaft insgesamt. „Wir haben ge- Schutz durch Regulierung bene: Der Begriff „Literacy“ soll hier dacht, unser Publikum kennt uns so verdeutlichen, dass es um mehr als um lange, dass es weiß, was wir machen“, Plattformen haben riesigen Einfluss so- ein themenspezifisches oder anwen- erklärte Christian Hümmeler, Lokal- wohl auf die öffentliche Meinung als dungspraktisches Wissen geht, näm- chef und Mitglied der Chefredakti- auch auf das Wohl einer Gesellschaft. lich um Grundbildung. So wird auch on des „Kölner Stadt-Anzeigers“.9 Man Sie vereinnahmen die Menschen indi- im bildungspolitischen Diskurs argu- habe aber festgestellt, dass dies gar nicht viduell, weil diese viel über private Mes- mentiert: Grundbildung beziehungs- stimme, und erkläre seither kontinuier- saging-Apps und Facebook-Gruppen weise Literacy umfasse fächerbezoge- lich die eigene Arbeit und die Bedeu- kommunizieren. Und sie vereinnah- nes Wissen und fächerübergreifende tung von Journalismus für die Gesell- men Journalismus, der Plattformbe- Fähigkeiten, wie beispielsweise „Kom- schaft. Nötig ist aber eine systematische treiber kritisch beobachten soll, unter munikationsfähigkeit, Anpassungs- Qualifizierung. Eine Studie zur digitalen anderem durch Journalismus-Förder- fähigkeit, Flexibilität, Problemlösefä- Kompetenz Erwachsener in Deutsch- programme oder als Ausspielkanäle für higkeit“ (Deutsches PISA-Konsortium land illustriert, wie schlecht sich auch journalistische Inhalte (vgl. Dachwitz & 2000: 11); Humankapital verstehe sich Jüngere in einer digitalen Medienwelt Fanta 2020). Journalistinnen und Jour- als „Wissen, Fähigkeiten, Kompeten- zurechtfinden und glaubwürdige Quel- nalisten müssen dieses Verhältnis sorg- zen und sonstige Eigenschaften von len erkennen können etc. (Meßmer et fältig reflektieren, haben aber auch die Individuen, die für das persönliche, so- al. 2021). Ein Problem ist auch, wie eine Aufgabe, die Zusammenhänge zu be- ziale und wirtschaftliche Wohlergehen alarmierende Studie der Stiftervereini- richten und einzuordnen. 9 In einem Vorlesungsbesuch am 15.4.2021.
ETHIK ALS SCHLÜSSEL FÜR MEDIENVERTRAUEN UND EMPOWERMENT 17 Die Regulierung von Plattformen formchefs haben das geschehen lassen. Landes medienanstalten die Betreiber ist nötig, um bestimmte Werte zu si- Eine Studie zum Overblocking (Fielitz, zum Beispiel von KenFM oder des AfD- chern und zu institutionalisieren (vgl. Hitzinger & Schwarz 2020) belegt zu- orientierten „Deutschland-Kuriers“, die Prinzing 2020a; Jarren 2020). Doch ge- dem eine ebenfalls paradoxe Neigung bekannt dafür sind, Desinformation zu nau deshalb wollen globale Tech-Un- großer sozialer Netzwerke wie Face verbreiten und öffentlich-rechtliche Me- ternehmen ihre Plattformen weiterhin book, Twitter und YouTube, legitime dien sowie generell „Mainstream- oder als Vertriebskanäle sehen. Sie möch- Meinungsäußerungen auf ihren Kanälen Systemmedien“ als Feindbild abzustem- ten sich nicht – wie Medienunterneh- zu blockieren und zu entfernen. Sie wol- peln. Wichtig ist, dass hierüber auch men – in der Verantwortung für die len so einerseits Bußgelder vermeiden öffentlich gesprochen wird, um den Inhalte berufs- und unternehmens und sich andererseits den hohen Auf- Menschen, die oft Mühe haben, profes- ethischen Regeln unterziehen müssen. wand sparen, Inhalte wirklich zu prüfen; sionellen Journalismus zu erkennen, zu Paradoxerweise agieren aber die glo- das mag auch erklären, weshalb die An- erläutern, worauf es ankommt. Es geht balen Tech-Unternehmen zugleich im- laufstellen, bei denen man Fehlleistun- auch hier um Literacy. mer dezidierter auch als Verleger und gen melden könnte, für Nutzer und Nut- Medien-, Ethik-, Digital- und Platt- verstärken die Schieflage weiter. App- zerinnen schwer auffindbar sind. formliteracy, letztlich die Kenntnis phi- le (Apple News), Google (News Show- Basis hierfür ist in Deutschland das losophischer Entscheidungsgrundla- case) und Facebook (Facebook News) Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das ge- gen und unveräußerbarer Grundrechte steigen zum Beispiel gegenwärtig in das rade geändert wird. Wegweisend kann (etwa des Menschenrechts auf Privat- Geschäft mit Medieninhalten ein. Face- hier auch der Gesetzesentwurf (Digital sphäre), bewirken Empowerment. Sie book ist (Stand Mai 2021) in den USA, Services Act)10 sein, den die EU-Kom- befähigen also auch in den Kanälen so- in Großbritannien sowie in Deutsch- mission Ende 2020 vorgelegt hat, um di- zialer Medien zu einem selbstbestimm- land am Start (Facebook 2021, Sagatz gitale Dienste zu regulieren. Die Inter- ten, kundigen Handeln in einer digital 2021). Das heißt, Facebook kooperiert netregulierung ist noch in den Anfängen geprägten Gesellschaft und schützen mit Medienunternehmen, offeriert ge- (vgl. Reda 2021; Fichter & Jones 2021). uns davor, uns ihnen bedenkenlos aus- gen Bezahlung deren Inhalte in einem Die Beispiele belegen aber, wie wichtig zuliefern. Ethik ist für Journalisten und separaten News-Feed, editiert und ku- es ist, dass die Politik hier einen Rahmen Journalistinnen ebenso wie für Bür- ratiert sie, entscheidet also über die setzt, der den Plattformriesen nicht län- ger und Bürgerinnen ein Schlüssel für Auswahl, Reihenfolge, Reichweite, ger erlaubt, den Zugang zu Informatio- Vertrauen in Medienschaffen und für Dauer der Verfügbarkeit der Medien- nen zu kontrollieren und Redefreiheit institutionalisiertes Empowerment. angebote und personalisiert sie über zuzulassen oder einzuschränken. Die Werte bedürfen institutioneller Räu- entsprechend programmierte Algorith- Betreiber zeigen zurzeit zumindest eine me, über die wir in die Pflicht genom- men entlang selbst ermittelter persönli- gewisse Bereitschaft, sich regulieren zu men werden (vgl. Honneth 2011). Das cher Vorlieben. lassen. Denn nicht nur in Deutschland Governance-Modell der massenmedia- Untragbar ist auch die eigenmächti- waren, wie beschrieben, die Glaubwür- len Gesellschaft muss an eine „plattfor- ge Blocking-Policy. Facebook und Twit- digkeitswerte von Pandemieinformatio- misierte Öffentlichkeit“ angepasst wer- ter haben im Januar 2021 die Konten des nen, die via soziale Medien kamen, sehr den, also eine europäische und globale zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden niedrig. Selektive Kontrollen ermöglicht Rechtsentwicklung vorsehen, die pro- US-amerikanischen Präsidenten Do- der in Deutschland seit Ende 2020 gel- fessionelle sowie nicht professionelle nald Trump gesperrt. Nach dem Sturm tende neue Medienstaatsvertrag. Er gibt Akteure und Akteurinnen ins Blickfeld auf das Kapitol am 6. Januar 2021, so die den Landesmedienanstalten11 die Auf- rückt, neben der Massenkommunika- Begründung, bestünde sonst das Risiko sicht über Inhalte auf Plattformen, die tion auch die Sozial- und Individual- weiterer Anstiftung zur Gewalt; zudem weder der Selbstregulierung des Pres- kommunikation im öffentlichen Raum behaupte Trump weiterhin fälschlich, serats unterliegen noch sich einer an- betrachtet und auch Plattformbetreiber die Wahl sei manipuliert. Allerdings hat erkannten Einrichtung der Freiwilligen reguliert. Das neue Governance-Modell Trump jahrelang in Tweets mit Nuklear Selbstkontrolle angeschlossen haben. muss sich an einem ethischen Kompass schlägen gedroht, Lügen und Verschwö- Im Fokus sind insbesondere Inhalte, die ausrichten, der auf Kurs hält in einer di- rungserzählungen verbreitet, Gewalt journalistisch gemacht scheinen, aber gital geprägten Mediengesellschaft und relativiert, gegen Medien und Minder- berufsethische Sorgfaltspflichten miss- institutionell sichert, was diese zusam- heiten gehetzt – und dieselben Platt- achten. Im Februar 2021 verwarnten die menhält: Vertrauen. 10 https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age/digital-services-act-ensuring-safe-and-accountable-online-environment_ de (abgerufen am 24.5.2021). 11 Medienstaatsvertrag 2020: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/ Medienstaatsvertrag_MStV.pdf (abgerufen am 24.5.2021).
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