Europa zuerst oder Mensch & Planet zuerst? - Anders Handeln
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Europa zuerst oder Mensch & Planet zuerst? Die EU Handels- und Investitionspolitik zwischen Multilateralismus, Geopolitik und European Green Deal. Ansatzpunkte für eine Neuausrichtung , Konferenz „Ein gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung“, 11./12.3.2020, Wien Dr. Werner Raza, ÖFSE – Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung 1
Überblick - Inhalte 1. Die EU Handelspolitik – Neomerkantilismus in disguise? 2. Der European Green Deal – langerhoffter sozial- ökologischer Befreiungsschlag? 3. Globale Dimension des Green Deals , 4. Ansatzpunkte für eine alternative Handelspolitik 2
Globale Handelsungleichgewichte Bis 2008: stark steigende HB-Ungleichgewichte ! China, D, JP mit steigenden Überschüssen, USA mit Defizit System funktioniert, weil USA bereit sind, als global buyer of last resort zu fungieren Quelle: Durand (2019) 4
400 400 Güter Primäreinkommen Sekundäreinkommen Dienstleistungen 200 200 0 0 -200 -200 -400 -400 Primäreinkommen Güter 500 Dienstleistungen Sekundäreinkommen Gesamt 300 100 -100 -300 8
Fazit: Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft • Sinkende Bereitschaft der großen Wirtschaftsblöcke, Leistungsbilanzdefizite hinzunehmen ! kein „buyer of last resort“ (wie USA in den letzten 25 Jahren) ! Wachstumsbeitrag des Außenhandels wird tendenziell sinken • Zunehmender Merkantilismus: Außenhandel/internationale Wirtschaftstätigkeit wird aufgrund LB Ungleichgewichte zunehmend als Nullsummenspiel gesehen im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung, man will Überschüsse zulasten Dritter erzielen • Konfliktivität der internationalen Beziehungen wird zunehmen ! multipolare Weltordnung, Krise der Global Governance ! EU droht zwischen die Fronten zu geraten, braucht Neuorientierung ! EU verharrt aber in alten wirtschaftspolitischen Dogmen von Wettbewerbsfähigkeit und Austerität 11
EU Handelspolitik- strategische Ziele (seit 2005) 1. Forum-Shifting: vom Multilateralismus zum Bilateralismus 2. Territoriale/Geopolitische Dimension: a) Marktzugang zu den „Emerging Markets“: Asien (Korea, Indien, ASEAN), Lateinamerika (Mexiko, Mercosur) b) Zugang zu Rohstoffen (Raw-Materials Initiative 2008) c) Afrika Strategie 3. Commercial Substance: „deep and comprehensive“ a) WTO Plus: Goods, Services, Intellectual Property Rights, Investment, Public Procurement, GI-Extension b) Übernahme von EU Standards bzw. regulatorische Anpassung/Vereinfachung 4. „Entwicklungs“ - Dimension: a) Sustainability Chapters (ILO Core Labour Standards, MEAs, Menschenrechtsklausel): Softlaw Ansatz, keine Sanktionen b) Entwicklungsgelder für Aid for Trade/trade facilitation c) Investitionsgarantien für FDI (Afrika Strategie) 12
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Einschätzung der EU Handelspolitik 1) Gemischte Resultate der bilateralen Strategie seit 2005: " Einige bilaterale Abkommen abgeschlossen: EU-CARIFORUM, EU-Korea, EU-Vietnam, EU- SADC, CETA " Bilaterale Abkommen mit Fragezeichen: EU-Mercosur, EPA-ECOWAS " Verhandlungen abgebrochen/ausgesetzt: TTIP, TiSA, EPA-EAC, EU-Marokko ! Kein Abkommen mit USA, China, Indien, Russland, Problem BREXIT, Fragezeichen Post- Cotonou Prozess 2) EU Handelspolitik zunehmend von Geopolitik überlagert: ! Siehe Diskussion zu strategischer Investitionskontrolle im Kontext China ! Siehe Diskussion zum Verhältnis zur USA bzw. USA-China Handelskonflikt ! Siehe Diskussion zur Ukraine und zum Verhältnis zu Russland ! Siehe Diskussion zur EU Afrikastrategie 3) Einheitliche EU Handelspolitik wird durch divergierende Interessen der EU MS erschwert, externe Handlungsfähigkeit nimmt ab: ! Siehe Diskussion zu TTIP und Landwirtschaft (Frankreich et al) ! Siehe Diskussion zu Positionierung gegenüber China (Griechenland, Italien) ! Siehe Diskussion zu EU Positionierung gegenüber Russland (Northstream, u.a.m) 14
Fazit: EU...between a rock and a hard place 1) Seit 2008 Krise Verstärkung der neo-merkantilistischen Orientierung der EU Politik: • Steigende LB Überschüsse • Strategie des „Wachstums“ durch Exporte & FDI • „Lösung“ von Schuldenkrisen einseitig zulasten Schuldner durch interne Abwertung • Strenge Austeritätsorientierung verhindert öffentliche Investitionsspielräume bzw. sozialpolitische Spielräume • „Flexibilisierung“ des Lohnregimes (Schwächung der Gewerkschaften, rise of the precariate) 2) EU Handelspolitik unterstützt Extraversion des Akkumulationsregime, allerdings mit gemischtem Erfolg 3) EU Politik insgesamt steckt aufgrund zunehmend divergierender Interessen der MS und auch sozialer Kräfte fest 15
2. Der European Green Deal – langerhoffter sozial- , ökologischer Befreiungsschlag? 16
Treibhausgasemissionen - Trends und Prognosen für die EU, 1990 – 2050 17
Der European Green Deal 18
Der EGD Finanzierungsvorschlag 19
Kritik • Finanzielle Dimension: • Finanzrahmen ist zu klein dimensioniert, liegt unter eigenen EK Schätzungen • Hoffnungen auf privaten Sektor sind überzogen • Austeritätsfixierung behindert nötige öffentliche Investitionen • Soziale Dimension: • Soziale Aspekte bleiben unterentwickelt ! im wesentlichen Appell an Verantwortungsethik • Just Transition Fund mit EUR 100 Mrd zu gering dotiert und reaktiv • EGD als politisch inklusives Projekt, das Menschen positive Zukunftsvision gibt und Unterstützung mobilisiert, fehlt völlig • Internationale Dimension bleibt Wettbewerbsfetischismus verhaftet 20
3. Globale Dimension des Green Deals , 21
GHG Emissionen und Verkehr • Transport für 15% der globalen GHG bzw. 25% der CO2 Emissionen verantwortlich, starkes GHG Wachstum im Transport • 72% der globalen Transportemissionen kommen vom Straßenverkehr (2010), Strassenverkehr für 80% des Wachstums an Transportemissionen von 1970-2010 verantwortlich. • Wachstum auch in Luftfahrt, Seeverkehr, einzige Ausnahme: Schiene! 22
Globaler Transport und CO2- Emissionen bis 2015 ! Vervierfachung der Transportemissionen bis 2050! Quelle: International Transport Forum (2015) 23
CO2 Emissionen nach Haupthandels- routen, 2010 - 2050 Quelle: International Transport Forum (2015) 24
Globaler Ressourcenverbrauch stark steigend Abbau seit 1970: +200% Exporte seit 1970: +400% Rohstoffverbrauch Asien seit 1990: +200% Exporte aus Afrika seit 1990: +100% Quelle: www.materialflows.net 25
Ressourcenverbrauch in Europa Stagnation des Verbrauchs auf hohem Niveau! Steigende Importabhängigkeit! Seit 2000: RMEIMP > Dom.Extr. ! Outsourcing von rohstoffintensiver Produktion? 26 Quelle: www.materialflows.net
Rohstoffpreise – finanzialisiert & unreguliert! " Preisbildung erfolgt fast ausschließlich über Rohstoffbörsen, starke Finanzialisierungsprozesse während der letzten 30 Jahre " Rohstoffpreise unterliegen starken Schwankungen " Preise spiegeln – zunehmend verzerrte – kurzfristige Marktsituation, aber sind keine langfristigen Knappheitsindikatoren 27
Globale Dimension der GD Vorschläge: gewollter Mut zur Lücke? # Vorweg: es gibt (i) keine globale Regulierung der GHG Emissionen aus dem internationalen Transport (insb. See- und Luftverkehr), sowie (ii) keine globale Regulierung des Rohstoffhandels # EK EGD sieht vor: # Ausweitung des European Emission Trading System auf Schiff- und Luftfahrt, möglicherweise auch auf Straßenverkehr # „Carbon Border Adjustment“ zur Vermeidung von „carbon leakage“, ! ist aber keine Lösung des Transportproblems # EU transport policy paper (EC 2011) will 30% des Straßengüterverkehrs (über 300 km) bis 2030 auf Schiene verlagern, und über 50% bis 2050. Anteil des Schienengüterverkehrs am EU Frachtaufkommen ist 2012 – 2017 um 1,2% auf 17,3% weiter gesunken. # US Green New Deal Pläne von Ocasio-Cortez, Sanders et al.: " Carbon Border Adjustment " Phase-out of ISDS-based trade and investment agreements " WTO Agreement on green subsidies " Green Marschall-Plan, USD 100 billion, softloans for „just transition“ in LDCs # Zum Vergleich - bisherige multilaterale Maßnahmen: " Green Climate Fund: Verpflichtung USD 100 Milliarden p.a. ab 2020, bisherige Dotierung 10 Mrd. USD (Ende 2019), Österreich EUR 30 Mio. 28
Was fehlt? - Globale Politik zur Regulierung und mengenmäßigen Beschränkung des internationalen Transports (Schiffverkehr, Flugverkehr), z.B. # Kohlenstoffbepreisung (Steuer, Zertifikate) # Beschränkung der Geschwindigkeit von Frachtschiffen - Global koordinierte Rohstoffpolitik mit Zielen: # Preisstabilisierung für Produzenten (z.B. über FTT) # Reduktion des Verbrauchs von Rohstoffen als Anreiz zur Kreislaufwirtschaft (Verteuerung z.B. über Steuern) # Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Kosten des Rohstoff- verbrauchs 29
4. Ansatzpunkte für eine alternative EU Handelspolitik , 30
„Demokratischer Regionalismus“ als EU Leitbild: 1. Wirtschaftliche Entwicklung durch Innovation (Entrepreneurial State) und sozial-ökologische Transformation (Green New Deal) 2. Fokus auf faire Verteilung, Ausbau des Sozialstaats, , Förderung des dritten Sektors 3. Veränderung der Prioritäten der internationalen Zusammenarbeit: Schwerpunkte auf Steuerkooperation, Umwelt/Klima, Gesundheit, Migration, Entwicklung 4. Alternative Handelspolitik 31
Alternative Handelspolitik – Bausteine Materielle Aspekte: • Flexibler Ansatz statt DCFTA Programmatik ! weniger ist mehr • Stärkung des asymmetrischen Ansatzes in bilateralen FHAs mit LDCs • Förderung regionaler Integration zwischen Partnerländern (z.B. in Afrika) • Verbindliche und sanktionsbewährte Nachhaltigkeitskapitel • Umbau von Investitionsabkommen (kein ISDS, Möglichkeit für , Performance requirements, Menschenrechtsverpflichtungen für Unternehmen) Prozedurale Aspekte: • Aufwertung der Rolle des EU Parlaments (insb. Mitentscheidung bei Verhandlungsmandat) • Institutionalisierte Beteiligung der Zivilgesellschaft in allen Phasen • Regulatorische Kooperation nur unter demokratischer Kontrolle durch zuständige Regulatoren, keine Entscheidungen durch HandelsdiplomatInnen) 32
Meine Kontaktdaten: Dr. Werner Raza , 1090 Wien, Sensengasse 3 T +43 1 3174010, E w.raza@oefse.at I www.oefse.at www.centrum3.at 33
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