Evaluation der präventiven Kurse der IKK Baden-Württemberg

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Evaluation der präventiven Kurse der IKK Baden-Württemberg
Veröffentlicht in: Prävention - Zeitschrift für Gesundheitsförderung, Heft 1/2001

 Klaus Riemann
 Kurt Gläser

 Zusammenfassung Die primär- und sekundärpräventiven Angebote der IKK Baden-Württemberg in den Bereichen
 Bewegung und Entspannung wurden in den Jahren 1998 bis 2000 längsschnittlich evaluiert. Für beide inhaltlichen
 Bereiche kamen Fragebogen zu Kursbeginn und zu Kursende zum Einsatz. Zur Beschreibung der Ergebnisqualität
 wurden die Ziele der Teilnehmer/innen zu Kursbeginn und deren Erreichung zu Kursende abgefragt. Darüber hinaus
 wurden eb enfalls zu beid en Zeitpunk ten in Anlehnu ng an den S F-36 Fra geboge n fünf Dimen sionen der gesundhe itli-
 chen Lebensqualität erhoben.
 Die Angebote werden primär von Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen wahrgenommen. Die Teilnehmer
 haben die selbstgesteck ten Ziele übe rwiegend e rreicht. “Besc hwerdenr ückgang” wird allerding s nur von de r Hälfte
 der Befra gten zu Ku rsende ang egeben. A lle Dimensio nen der ges undheitlichen Lebensq ualität verbesse rn sich im
 Kursverlauf - mit unterschiedlichen Schwerpunkten bei Bewegung und Entspannung - zum Teil erheblich.
 Zukünftige Untersuchungen zu späteren Zeitpunkten müssen klären, ob diese Effekte stabil bleiben.
 Schlüsselwörter: Praeven tion, Bewe gungsange bote, Entsp annungsang ebote, W irksamkeit, E valuation, ges undheitli-
 che Lebensqualität
 Summary: The IKK Baden-Württemberg has provided a variety of courses in the fields of physical activity or
 relaxation. Those courses have been evaluated between 1998 and 2000. Questionnaires were used at the beginning
 and at the end of each course. To describe the impact of the preventive activities before entering the course, the
 participants were asked to describe, which effects they personally expected. After finishing the course they were
 asked whether and to which extend their expectations were fulfilled. In addition both questionnaires measured five
 dimensions of health related quality of life, based on the Short Form 36-Questionnaire.
 The participants are mostly of lower education. Most of them were able to reach their aims, although only 50%
 achieved a decrease in their complaints. All dimensions of health related quality of life improved between, some even
 substantially. As would have been expected, the dimensions of health-related quality improving most were different
 depend ing on wethe r the peop le participate d in physical ac tivities or in relaxatio n. Whe ther the particip ation in
 preventive activities will have long-time effects, is to be proved in a follow up evaluation.
 Key-words: prevention , physical activity, rela xation, effectiven ess, evaluation , health related quality of life

1 Anlage der Untersuchung und Methoden

Gegenstand der Untersuchung waren präventive Beratungen und Kurse in den Bereichen Bewegung
und Entspannung der IKK Baden-Württemberg in den Jahren 1998 bis 2000. Diese Maßnahmen
werden im Rahmen des Gesamtkonzeptes "IKKimpuls" für Einzelpersonen oder Gruppen zu den
Themen Bewegung, Entspannung und Ernährung angeboten. Die Teilnahme wurde bis 1999 nur von
der Krankenkasse finanziert, wenn die Teilnehmer/innen auf der Basis einer Präventions-Empfehlung
von ihrem behandelnden Arzt in die Beratungen überwiesen wurden. Ab 2000 bietet die IKK ihren
Mitgliedern auch wieder kostenfreie Kursangebote nach § 20 SGB V an (Primärprävention). Auf der
Basis von § 43 SGB V (Sekundärprävention) gibt es weiterhin reine Gruppen- und reine Einzelbera-

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tungen sowie Mischformen, bei denen zunächst einzeln beratene Klienten/innen später in Gruppen
zusammengefasst werden (im Folgenden verwenden wir den Begriff “Kurse”).
Im Bereich Bewegung werden Rückenschulen, Gymnastik- und Ausdauerprogramme angeboten,
teilweise in Mischformen. Im Bereich Entspannung Angebote wie Autogenes Training, Progressive
Muskelentspannung sowie Kurse zu weiteren alltagstauglichen Stressmanagement-Methoden. Die
sekundärpräventiven Angebote richten sich im Bewegungs- wie im Entspannungsbereich nach der
Diagnosestellung des Arztes und berücksichtigen die individuellen Erfordernisse. Im Bereich Bewe-
gung dominieren dabei eindeutig Probleme des Muskel-Skelett-Systems. Es gibt eine strikte Trennung
der primär- und sekundärpräventiven Angebote, so dass eine Vermischung der Teilnehmer mit/ohne
ärztliche Präventionsempfehlung ausgeschlossen ist.
Ziel der Untersuchung war die Überprüfung der Qualität und Wirksamkeit der Angebote. Zum Einsatz
kam das vom IKK-Bundesverband entwickelte Evaluationssystem für präventive Angebote. Es handelt
sich vorerst um eine längsschnittliche Befragung zu zwei Zeitpunkten (Beginn und Ende der Kurse).
Damit können Aussagen über die kurzfristige Wirksamkeit der Kurse gemacht werden, ein drittes
Befragungsmodul ist derzeit in Arbeit. Langfristige Erfolge - insbesondere durch Beratungsinhalte,
welche die Teilnehmer zu weiteren selbständigen Verbesserungen ihres Gesundheitszustandes
befähigen sollen (Lernen von Übungen und Methoden) - können bisher noch nicht beurteilt werden.
Das Evaluationssystem wurde als gemeinsames Verfahren für die Bereiche Bewegung und Ent-
spannung entwickelt. Es hat den Anspruch, mit vertretbarem Aufwand - d.h. unter Beschränkung auf
die wesentlichen Informationen - Daten größtmöglicher Härte zu liefern. Die jeweils nur zweiseitigen
Fragebogen beschränken sich deshalb auf Informationen, die sich in zwei Gruppen unterteilen lassen:
Jeweils nur einmal erhoben werden die folgenden Informationen: Kenntnis des Angebots, Hauptziele
(Rückgang von Beschwerden/Vorbeugung/anderes), Alltags-Beanspruchungen, Beschwerden/Krank-
heiten im Jahr vor der Teilnahme, subjektive Erfolgseinschätzung und Zufriedenheit, Bewertung von
Strukturqualität (Rahmenbedingungen) und Prozessqualität (Berater/innen) sowie Sozialdaten.
Kernstück der Evaluation sind die Inhaltsbereiche zur Ergebnisqualität, die sowohl vor Beginn als
auch nach Beendigung der Kurse abgefragt werden, bei denen also Veränderungen gemessen werden
können. Im Eingangsfragebogen wird eine Liste von 13 möglichen subjektiven Einzelzielen abgefragt,
die mit der Teilnahme an den Kursen möglicherweise verfolgt werden. Die Erreichung dieser 13
Einzelziele wird im Schlussfragebogen in sprachlich leicht modifizierter Form erneut abgefragt. Der
zweite Komplex, mit dem Veränderungen gemessen werden können, sind fünf Dimensionen zur
gesundheitlichen Lebensqualität, die einer anerkannten sozialwissenschaftlichen Skala entnommen
wurden (SF-36). Mit dieser Skala können Informationen zu den folgenden Dimensionen der gesund-
heitlichen Lebensqualität erhoben werden:
• körperliche Rollenfunktion (Einschränkungen aufgrund der körperlichen Gesundheit bei der Arbeit
    oder anderen alltäglichen Tätigkeiten im Beruf bzw. zu Hause),
• körperliche Schmerzen (Stärke und Behinderung),
• Vitalität (Schwung/Energie und Erschöpfung/Müdigkeit),
• emotionale Rollenfunktion (Einschränkungen aufgrund der seelischen Gesundheit bei der Arbeit
    oder anderen alltäglichen Tätigkeiten im Beruf bzw. zu Hause),
• psychisches Wohlbefinden (Nervosität, Niedergeschlagenheit, Entmutigung und Ruhe, Gelas-
    senheit, Glück).

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Diese Skala zur gesundheitlichen Lebensqualität wurde methodisch außerordentlich sorgfältig und
aufwendig validiert und wird auch in den Nationalen Gesundheitssurveys eingesetzt. Der Bezug zu
einer repräsentativen deutschen Normstichprobe ermöglicht Vergleiche mit hoher Aussagekraft. Die
Auswahl der o.g. fünf Dimensionen (von insgesamt acht im SF-36) erfolgte gezielt für Bewegungs-
und Entspannungsangebote.
Die Daten wurden von der IKK jeweils im ersten bzw. letzten Kurstreffen erhoben und auf der Basis
eines anonymisierten Codes zusammengeführt. Es gelangten 753 Fragebogen-Paare in die Aus-
wertung. Es wurden Grundauszählungen und Kreuztabellen für verschiedene Tabellenköpfe gerechnet.
Für die Daten zur gesundheitlichen Lebensqualität wurden alters- und geschlechtsstandardisierte
Vergleiche mit der deutschen Normstichprobe des SF-36 gebildet, so dass sowohl der Gesundheits-
zustand zu beiden Messzeitpunkten als auch die Veränderungen zu einer alters- und geschlechtsver-
gleichbaren Stichprobe in Beziehung gesetzt werden können.
Im Folgenden werden hauptsächlich Daten zur Ergebnisqualität dargestellt.

2 Ergebnisse

2.1 Beschreibung der Teilnehmer/innen
Die Mehrheit (69%) der 753 Befragten hat an Beratungen auf der Basis des § 43 SGB V, also mit
ärztlicher Präventions-Empfehlung teilgenommen. Die Teilnehmer an primärpräventiven Massnahmen
haben bis Ende 1999 die Kursgebühren eigenfinanziert. Eine differenzierte Ergebnisauswertung dieser
beiden Teilgruppen wurde vorgenommen; aus Gründen der Übersichtlichkeit werden im Folgenden
nur die Gesamtergebnisse dargestellt und es wird lediglich auf markante Unterschiede hingewiesen.
Es beteiligten sich 19 von 30 Regionaldirektionen der IKK Baden-Württemberg an der Evaluation. Es
handelte sich zu zwei Dritteln um reine Gruppenberatungen/Kurse, in 10% um Einzelberatungen und
in 22% um Mischformen. Tabelle 1 zeigt, dass überwiegend Frauen und Personen mit Haupt- und
Realschulabschluss erreicht werden.

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Tabelle 1: Stichprobenbeschreibung
                                                     Gesamt   Bewegung   Entspannung
                weiblich                              69%       66%         86%
                männlich                              31%       34%         14%
                - 24 Jahre                            6%         5%         10%
                25 - 34 Jahre                         17%       16%         26%
                35 - 44 Jahre                         21%       20%         28%
                45 - 54 Jahre                         14%       15%          8%
                55 - 64 Jahre                         26%       27%         20%
                65 Jahre u.m.                         14%       15%          3%
                Durchschnittsalter                    475       485         405
                Hauptschulabschluss                   56%       56%         50%
                Realschulabschluss                    27%       26%         33%
                Abitur                                8%        8%           7%
                anderes/k.A.                          9%        10%         10%
                berufstätig                           56%       56%         50%
                Hausfrau/-mann                        22%       22%         21%
                Rentner/in                            11%       12%          9%
                in Ausbildung                         3%         2%          8%
                k.A.                                  8%         8%         12%
                Basis                                N=753     n=655        n=98

An den Entspannungskursen nehmen mehr Frauen und jüngere Personen teil. Auffällige Unterschiede
ergab die Datenanalyse in Bezug auf die Beteiligung niedergelassener Ärzte. Teilnehmer mit einer
ärztlichen Präventionsempfehlung
• sind durchschnittlich acht Jahre jünger,
• sind häufiger Männer,
• haben häufiger einen Hauptschulabschluss (63%/40%).
Abbildungen 1 und 2 zeigen die Hintergründe der Teilnahme an den Kursen, die aktuellen Alltags-
beanspruchungen und aktuelle Beschwerden/Krankheiten zum Zeitpunkt des Kursbeginns:

                                                                                              4
Abbildung 1: Aktuelle Krankheiten/Beschwerden (Auszug)

                   Abbildung 2: Aktuelle Alltagsbeanspruchungen (Auszug)

Als Motivation für die Teilnahme können überwiegend aktuelle Beschwerden im Rückenbereich bei
beiden Angeboten und Erschöpfungszustände oder psychische Probleme bei den Entspannungs-
angeboten angesehen werden (Abbildung 1). Das wird bestätigt durch die Beantwortung der Frage
nach dem Hauptziel der Teilnahme, das für 77% darin liegt, etwas gegen aktuelle Beschwerden tun zu
wollen (Abbildung 2).

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Hintergrund dafür dürften Alltagsbeanspruchungen wie einseitige Körperhaltung und schwere körper-
liche Arbeit bei den Bewegungsangeboten, sowie Hektik/Zeitdruck und Überforderung bei den
Entspannungsangeboten sein.
Die präventiven Kurse und Beratungen der IKK Baden-Württemberg werden also von der überwiegen-
den Mehrheit der Teilnehmer/innen sekundärpräventiv genutzt, d.h. bei schon manifesten Beschwer-
den/Krankheiten.

2.2 Struktur- und Prozessqualität
Zur Erfassung der Strukturqualität wurden die Teilnehmer/innen gebeten, die folgenden Aspekte der
Kurse zu benoten: Räumlichkeiten, Wochentag/Uhrzeit, Organisation, Atmosphäre in der Gruppe und
schriftliche Materialien. Zur Bewertung der Prozessqualität wurden Bewertungen der Berater/innen zur
Durchführung der Kurse abgefragt: Eingehen auf Fragen, Verständlichkeit, Fachkenntnis und Freund-
lichkeit.
Sowohl Struktur- als auch Prozessqualität wurden hervorragend bewertet. Der Notendurchschnitt
(Schulnoten-System von 1 bis 6) liegt bei 1,6 (Strukturqualität) bzw. 1,2 (Prozessqualität).

2.3 Ergebnisqualität I: Ziele und Erfolge der Kurse
Die subjektiven Ziele und Erfolge der Teilnahme wurden zum Teil allgemein formuliert (“Beschwer-
den gehen zurück/verschwinden”) zum Teil aber auch speziell für die Angebote formuliert (“besserer
Umgang mit körperlichen Belastungen” bzw. “besserer Umgang mit nervlichen Belastungen”). Alle
Ziele bzw. Erfolge wurden aber in einem einheitlichen Fragebogen für beide Präventionsbereiche
abgefragt. Grundsätzlich handelt es sich bei dieser Form der Frage um eine “weiche Evaluation”, die
Beantwortung unterliegt möglicherweise dem Effekt sozialer Erwünschtheit.
In Tabelle 2 werden die Ziele zu Kursbeginn und die Erfolge zu Kursende nebeneinandergestellt.
Dabei ist zu beachten, dass in allen Fällen - also auch bei den Erfolgen - auf die Grundgesamtheit aller
Teilnehmer prozentuiert wird.
Die Ergebnisse in Tabelle 2 liegen auf verschiedenen Ebenen:
• Die meisten Probanden haben ihre ursprünglich gesetzten Ziele erreicht.
• Das Ziel des Rückgangs von Beschwerden wird bei Kursende nur von etwa der Hälfte dieser
   Befragten erreicht. Andererseits gibt es Ziele, die unerwartet erreicht werden: der Wissenszuwachs
   und die bessere Einschätzung der eigenen Bedürfnisse.
• Je nachdem, um welches Angebot es sich handelt, werden unterschiedliche Zielschwerpunkte
   gesetzt (z.B. nervliche Belastungen bei Entspannungs-, körperliche Belastungen bei Bewegungs-
   angeboten), aber diese spezifischen Ziele werden von kleinen Gruppen auch bei den jeweils anderen
   Kursen angeführt und zum Teil auch erreicht.

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Tabelle 2: Ziele und Erfolge
                                                            Gesamt   Bewegung   Entspannung
             besserer Umgang mit körperlichen Belastungen    49%       51%         39%
             Ziel nach Kursende erreicht                     54%       57%         34%
             besserer Umgang mit nervlichen Belastungen      19%       14%         53%
             Ziel nach Kursende erreicht                     16%       10%         58%
             Lernen von Übungen/Meth. zur Vorbeugung         67%       72%         37%
             Ziel nach Kursende erreicht                     61%       65%         36%
             beweglicher werden                              34%       37%         11%
             Ziel nach Kursende erreicht                     30%       34%          4%
             bessere Körperhaltung                           47%       52%         17%
             Ziel nach Kursende erreicht                     40%       44%         16%
             eigene Bedürfnisse besser erkennen              10%        8%         18%
             Ziel nach Kursende erreicht                     18%       17%         26%
             besser entspannen können                        33%       28%         70%
             Ziel nach Kursende erreicht                     33%       28%         66%
             Beschwerden gehen zurück                        56%       55%         61%
             Ziel nach Kursende erreicht                     27%       27%         28%
             mehr Wissen                                     34%       35%         23%
             Ziel nach Kursende erreicht                     49%       52%         32%
             Basis                                          N=753     n=655        n=98

Die genauere Analyse zeigt, dass vor den Kursen durchschnittlich 4.0 angestrebte Ziele, nach Kursen-
de 3.6 erreichte Erfolge genannt werden. Die geäußerten Erfolge sind größtenteils erwartet worden
(Ziel wurde vor dem Kurs genannt), treten aber auch unerwartet ein. Die Zahlen der nicht erreichten
Ziele und der unerwarteten Erfolge halten sich in etwa die Waage.
Teilnehmer mit Präventions-Empfehlung haben häufiger Erfolge in den Bereichen "Wissen", "Lernen
von Übungen und Methoden" und "Umgang mit Belastungen".

2.4 Ergebnisqualität II: Gesundheitliche Lebensqualität
In Anlehnung an den SF-36 wurden auch zwei Fragen zur allgemeinen Gesundheitswahrnehmung
übernommen, die zu Kursbeginn und zu Kursende gestellt wurden. Die Ergebnisse sind für beide
Angebotsarten ähnlich und können daher gemeinsam dargestellt werden (Teilnehmer/innen der
Entspannungskurse haben in beiden Fällen etwas schlechtere Werte).
Abbildung 3 zeigt, dass der Anteil der Teilnehmer/innen, die ihren Gesundheitszustand als “schlecht”
und “weniger gut” bezeichnet, sich von 43% zu Kursbeginn auf 22% zu Kursende halbiert.
Interessanter für eine längsschnittliche Befragung ist die zweite Frage “Im Vergleich zum vergangenen
Jahr, wie würden Sie Ihren derzeitigen Gesundheitszustand bezeichnen?”. Zu beiden Befragungszeit-
punkten wird also ein “individuelles Benchmarking” mit dem vergangenen Jahr verlangt. Da Kurse
üblicherweise nicht über den Jahreswechsel hinaus durchgeführt werden, kann also davon ausgegangen
werden, dass es sich in etwa um den gleichen zeitlichen Orientierungspunkt handelt. Abbildung 4
zeigt, dass dieser Vergleich positiv ausfällt. Vor dem Kurs war die Bilanz der Befragten mit besserem
(20%) und schlechterem (33%) Gesundheitszustand als vor einem Jahr leicht negativ, nach Kursende
geben 54% eine Verbesserung im Vergleich zum letzten Jahr an, nur noch 13% eine Verschlechterung.

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Abbildung 3: Aktueller Gesundheitszustand

                   Abbildung 4: Gesundheitszustand im Vergleich letztes Jahr

In Anlehnung an den SF-36 wurden nur fünf der insgesamt acht Dimensionen der gesundheitlichen
Lebensqualität in beide Fragebogen aufgenommen. Die Ergebnisse werden getrennt für Bewegungs-
(Abbildung 5) und Entspannungskurse (Abbildung 6) und als Abweichungen von der deutschen
Normstichprobe dargestellt, gemessen in Standardabweichungen (die Null-Linie entspricht den Werten
einer alters- und geschlechtsgleichen Teilstichprobe der deutschen Normstichprobe):

                                                                                                8
Abbildung 5: Gesundheitliche Lebensqualität (Bewegung)

                   Abbildung 6: Gesundheitliche Lebensqualität (Entspannung)

Die Dimensionen der gesundheitlichen Lebensqualität zeigen ein ähnliches Bild bei beiden Kurs-
angeboten: vor dem Kurs z.T. erheblich schlechtere Werte im Vergleich zur Normstichprobe, die sich
nach dem Kurs verbessert haben.
Für den Bewegungsbereich sind diese Verbesserungen am deutlichsten in den Dimensionen
"Schmerz", "Vitalität" und "psychisches Wohlbefinden". Nur schwach ausgeprägt ist dieser Trend in
der Dimension körperliche Rollenfunktion. Das bedeutet, dass die körperlichen Beschwerden - trotz
stark ausgeprägter Schmerzwerte - nur selten zu Einschränkungen bei der Erfüllung alltäglicher

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Pflichten im Beruf oder zu Hause führen. Auch die Dimension emotionale Rollenfunktion (Ein-
schränkungen aufgrund der seelischen Gesundheit) zeigt bei schon zu Kursbeginn unauffälligen
Werten keine interpretierbaren Veränderungen.
Teilnehmer/innen der Entspannungskurse weisen in allen Dimensionen zu Kursbeginn schlechtere
Werte auf als die der Bewegungskurse. Die Verbesserungen nach den Kursen sind ebenfalls in allen
Bereichen erheblich. Im Gegensatz zu den Bewegungskursen zeigen sich diese Ergebnisse auch in den
auf den psychischen Zustand bezogenen Dimensionen “emotionale Rollenfunktion” und “psychisches
Wohlbefinden”.
Es fällt auf, dass sowohl die Schmerzwerte als auch die der körperlichen Rollenfunktion bei Teilneh-
mern/innen der Bewegungskurse unauffälliger ausgeprägt sind, obwohl Rückenbeschwerden bei ihnen
häufiger sind.
Teilnehmer/innen mit Präventionsempfehlung, die also von einem Arzt in die Kurse überwiesen
wurden, haben deutlich schlechtere Anfangswerte in allen Dimensionen der gesundheitlichen Lebens-
qualität und ebenso deutlich größere Verbesserungen. Dies belegt eine gesonderte Auswertung, in der
die "freiwilligen" Kursteilnehmer den Personen mit ärztlicher Empfehlung gegenübergestellt wurden
(ohne Abbildung).

3 Diskussion

Der Ansatz, mit dem IKK-Evaluationssystem gemeinsame Instrumente für Bewegungs- und Ent-
spannungsangebote zu erarbeiten, wurde bestätigt. Bei den Zielsetzungen und Erfolgen aus subjektiver
Sicht der Teilnehmer/innen werden zwar angebotsspezifische Schwerpunkte gesetzt, aber es gibt auch
Gruppen, welche die Ziele von Entspannungsangeboten mit Bewegungskursen erreichen und umge-
kehrt. Das ist darin begründet, dass es kaum noch Kurse gibt, die nicht Elemente des jeweils anderen
Themas enthalten.
Die Evaluation von Prävention ist äußerst schwierig und mit erheblichen methodischen Problemen
belastet. Unser Evaluationsinstrumentarium baut darum darauf, zwar möglichst nur die notwendigsten
Daten zu erheben, dies aber aus unterschiedlichen Perspektiven: neben der retrospektiven Angabe
subjektiver Erfolge durch die Befragten wurden darum in Anlehnung an den SF-36 Dimensionen der
gesundheitlichen Lebensqualität in die Fragebögen übernommen, bei denen Item-Listen abgefragt
werden. So kann ein Effekt sozialer Erwünschtheit weitgehend ausgeschlossen werden.
Ein Auswertungskriterium ist vor diesem Hintergrund, dass die Ergebnisse der verschiedenen Fragen-
komplexe in die gleiche Richtung deuten. Das ist bei den vorliegenden Daten der Fall: die subjektiven
Erfolge der Befragten hängen in hohem Maße mit den Veränderungen der gesundheitlichen Lebens-
qualität zusammen. Es müssen jedoch zunächst noch Fragen offen bleiben:
• Tragen die kurzfristigen Erfolge bei Kursende auch in der Zukunft?
• Wie wird die Entwicklung bei den Teilnehmern/innen aussehen, die bei Kursende noch keine
   nennenswerten Verbesserungen des Gesundheitszustands erreichen, aber das “Rüstzeug” erhalten
   haben, um selbständig weiterzumachen?
• Die dargestellten Veränderungen in Dimensionen der gesundheitlichen Lebensqualität sind Grup-
   penmittelwerte, hinter denen auch Teilgruppen stehen, die nur wenig Veränderungen oder auf

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einzelnen Dimensionen auch Verschlechterungen aufweisen. Hier sind weitere Datenanalysen und
   gegebenenfalls auch Modifikationen der Angebote oder Zielgruppenansprache erforderlich.
Bereits jetzt können aber abschließende Aussagen zur Zielgruppenerreichung gemacht werden. Die
Angebote erreichen Personen mit Haupt- und Realschulabschluss. Von zentraler Bedeutung scheint der
Zugang über die Vereinbarung mit niedergelassenen Ärzten zu sein, die ihre Patienten in die Kurse
überweisen: Dadurch werden deutlich noch mehr Hauptschulabsolventen, mehr Männer und jüngere
Personen erreicht, also Zielgruppen, die üblicherweise schwer zu erreichen sind.
Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die Evaluation präventiver Angebote anhand von
Elementen einer Skala zur gesundheitlichen Lebensqualität eine hohe Hürde ist. Dass diese Hürde bei
Kursende von einem erheblichen Anteil der Teilnehmer genommen wird, legt eine positive Bewertung
der Angebote nahe.

 Anschriften der Autoren:
 Klaus Riemann                                    Kurt Gläser
 GESOMED                                          IKK Baden-Württemberg
 St.-Erentrudis-Str. 14                           Schlachthofstr. 3
 79112 Freiburg                                   71636 Ludwigsburg

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