FACTSHEET Ist die deutsche Nachfrage und das Angebot an Rohstoffen resilient? - Prof. Dr. Christoph Hilgers, Prof. Dr. Jochen Kolb, Dr. Ivy Becker ...

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IST DIE DEUTSCHE NACHFRAGE UND DAS ANGEBOT AN ROHSTOFFEN RESILIENT?
               FACTSHEET
                Ist die deutsche Nachfrage und das
                Angebot an Rohstoffen resilient?
                 Prof. Dr. Christoph Hilgers, Prof. Dr. Jochen Kolb,
                 Dr. Ivy Becker und M.Sc. Katharina Steiger

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KIT – Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft
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Notwendigkeit einer resilienten
Ressourcenversorgung
Baden-Württemberg leistet durch seine erfolgreich geführte Wirtschaft einen erheblichen
Beitrag zur nationalen Bruttowertschöpfung. Kernkompetenz ist dabei die Entwicklung und
Produktion innovativer Produkte, welche weltweit exportiert werden. Dieses enorme Außen-
handelsvolumen versetzt Deutschland in den Status einer Nettoexportnation. Die Schwäche
Deutschlands und Baden-Württembergs im Besonderen, ist die Abhängigkeit einer resilien-
ten Versorgung mit Primär- und Sekundärrohstoffen wie auch Halberzeugnissen und den
entsprechenden Lieferketten.

Gerade im Jahr 2020 ließ die COVID-19 Krise das Ausmaß und den Einfluss einer globalen
Pandemie auf die Resilienz der Lieferketten für die deutsche Wirtschaft deutlich werden.
Zusätzlich erschweren zunehmender Protektionismus verschiedener Länder und stark wach-
sende Wirtschaften wie die von China und Indien den Zugang zu Rohstoffen.

Zur Sicherung und Steigerung der internationalen Konkurrenzfähigkeit, der erfolgreichen
Wirtschaftsleistung und folglich der Fortführung des Wohlstands im Land muss die Ver-
sorgung mit Rohstoffen aus dem Ausland widerstandsfähig (aufgebaut) und gewährleistet
werden. Auch wenn Wiederverwertung, Wiederaufbereitung und Recycling zur Deckung des
Rohstoffbedarfs teilweise zu einem erheblichen Teil zur Materialmenge beitragen, kann die
Kreislaufwirtschaft den Rohstoffbedarf für Prozesse und Produktion allein nicht decken.
Primärrohstoffe werden nicht nur langfristig zur Deckung des Rohstoffbedarfs benötigt,
sondern sind auch in der Kreislaufwirtschaft u.a. für saubere Legierungen essentiell.

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Drei Dringlichkeitsthesen
1. Die Konkurrenz um Rohstoffe ist bereits im Gange und
wird weiter zunehmen.

Die Nachfrage nach metallischen Rohstoffen wird sich global bis 2060 mehr als verdoppeln
(Abb.1) [1]. Gründe dafür sind die auch bis 2060 um weitere 2 bis 3 Mrd. Menschen zuneh-
mende Weltbevölkerung sowie das globale Wirtschaftswachstum und die damit einherge-
hende Zunahme des globalen Wohlstands, vor allem außerhalb Europas [2].

                                                               Entwicklung der Bruttowertschöpfung in Baden-Württemberg,
            500

            450

            400

            350

            300
 Mrd. EUR

            250

            200

            150

            100

            50

             0
                  2000      2001      2002     2003     2004     2005     2006     2007     2008     2009      2010     2011      2012      2013      2014      2015     2016      2017      2018   2019   2020
                                                                                                               Jahr

                         Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe                                                Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
                         Baugewerbe                                                                            Handel, Verkehr u. Lagerei, Gastgewerbe, Information u. Kommunikation
                         Finanz-, Versicherungs- u. Unternehmensdienstleister; Grundstücks- u. Wohnungswesen   Öffentliche u. sonst. Dienstleister, Erziehung u. Gesundheit, Private Haushalte

Abbildung 1: O ECD Entwicklungsprognose der Nachfrage nach metallischen Rohstoffen und die UN-Prognose zum
              Wachstum der Weltbevölkerung [1, 2].

China hat bereits alle Industrieländer im kaufkraftbereinigten BIP überholt, Indien wird in
den kommenden Jahren folgen [3]. Auch der Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Wandel
hin zur E-Mobilität und die fortschreitende Digitalisierung tragen dazu bei, dass nach mehr
und qualitativ hochwertigen Rohstoffen verlangt wird. So wird beispielsweise der Verbrauch
an Kupfer und Seltenerdoxiden (SEE) pro-Kopf kontinuierlich durch den Ausbau des Strom-
netzes und neue Technologien ansteigen. 2035 werden allein für elektrische Traktionsmo-
toren für die E-Mobilität 5 Mio. t Kupfer benötigt, was ein Viertel der weltweiten Produktion
2019 entspricht [4, 5]. Bei Lithium wird der Bedarf noch höher sein, für Lithium-Ionen-Hoch-
leistungselektrizitätsspeicher werden 128 % der heutigen globalen Produktionsmenge welt-
weit benötigt werden [4, 5]. Die Marktgegebenheiten werden sich durch den stark wach-
senden Rohstoffbedarf der BRIICS-Staaten weiter verlagern und deutsche Unternehmen
werden zunehmende Konkurrenz als Nachfrager nach (kritischen) Rohstoffen bekommen.
Die Aufsuchung und Gewinnung von Primärrohstoffen wie auch die Herstellung von Sekun-
därrohstoffen erfordern große und langfristige Investitionen und Knowhow [6], denen so-
ziale, technologische, ökonomische, ökologische, politische, rechtliche wie auch ethische
Faktoren gegenüberstehen (engl. STEEPLE-Analysis) [7].
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2. Die globalen Rohstoffstrategien sind kompetitiv und werden in
    unterschiedlichem Umfang staatlich unterstützt.
Die Rohstoffstrategien der führenden Produktionsländer (China, Japan, Südkorea, USA und
Deutschland) unterscheiden sich merklich. Deutschland sichert sich den Zugang zu Primär-
rohstoffen ausschließlich durch bilaterale Abkommen der Unternehmen. Andere außereuro-
päische Produktionsländer halten in unterschiedlichen Wirtschaftsmodellen die komplette
Wertschöpfungskette inklusive strategischer Lagerhaltung metallischer Rohstoffe vor, und
sind auch in Europa in Bergbau, Verhüttung und Raffination tätig [8, 9].

Um sich konkurrenzfähig aufzustellen wurde von der EU im Rahmen des Aktionsplans für
kritische Rohstoffe die European Raw Material Alliance (ERMA) im September 2020 ge-
gründet. Weitere Handlungsansätze zur Sicherung der Rohstoffversorgung sind die Be-
schaffung von kritischen Rohstoffen innerhalb der EU, die Diversifizierung der Rohstoffver-
sorgung mit ausgewählten oder die Unterstützung von Recycling und Kreislaufwirtschaft
[10].

Wessen Rohstoffnachfrage umfänglich gedeckt werden kann, wird am Ende die Wettbe-
werbsfähigkeit auf dem internationalen Markt entscheiden.

3. Kreislaufwirtschaft wird nicht ausreichen

Auch wenn Wiederverwertung, Wiederaufbereitung und Recycling zur Deckung des Roh-
stoffbedarfs teilweise zu einem nennenswerten Teil zur Materialmenge beitragen, wie bei-
spielsweise in der deutschen Stahlproduktion 2019 zu 43 % [11], kann die Kreislaufwirtschaft
den Rohstoffbedarf für Prozesse und Produktion allein nicht decken. 2018 betrug der Anteil
an Sekundärkupfer an der Produktion in Deutschland 41 % [12], in der gesamten EU, lag
diese 2017 bei 17 % [13].

Die Herausforderungen des Recyclings liegen beispielweise beim Downcycling und dem
Vorhalten notwendiger Kapazitäten von Hütten und Raffination zur Rückgewinnung und
Innovation [14]. Primärrohstoffe werden nicht nur langfristig zur Deckung des Rohstoffbe-
darfs benötigt, sondern sind auch in der Kreislaufwirtschaft u.a. für reine Legierungen es-
sentiell. Die wirtschaftliche Gewinnung von Sekundärrohstoffen kann nach einer ausrei-
chenden Marktdurchdringung und dem Vorhandensein ausreichender, wettbewerbsfähiger
Recyclingtechnologien erfolgen.
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Drei Strategieansätze zur
resilienten Rohstoffversorgung
1. Investitionen entlang der Wertschöpfungskette fördern.

Eine investitionsintensive Strategie stellt die Gründung, der anteilige Erwerb oder die lang-
fristige vertragliche Bindung mit einem international tätigen Explorations- und Bergbau-
unternehmen dar. Heimische Unternehmen im Bereich Rohstoff erhöhen die Sicherheit von
Lieferketten und tragen zur Entwicklung neuer, umweltschonender Exporttechnologien bei.
Der Erhalt bzw. der Ausbau von Hütten und Raffination stellt nicht nur die Weiterverarbeitung
von Rohstoffkonzentraten nach höchsten Umweltstandards sicher, sondern ermöglicht Re-
cycling und erweitert die Gewinnung kritischer Rohstoffe. Durch die Erweiterung des Spek-
trums an Verhüttung und Raffination können auch spezielle Trägerelemente wie Seltene
Erden verarbeitet und neue Technologien entwickelt werden. Dadurch wird auch die Recy-
clingkapazität sichergestellt. Der anteilige Erwerb oder langfristig vereinbarte Geschäfts-
beziehungen mit Unternehmen der Verhüttung und Raffination stellen eine weitere Möglich-
keit dar, Rohstoffmengen zu sichern. Die Bedürfnisse, insbesondere der regionalen
mittelständischen Unternehmen, sind zu erfassen und die Bedingungen für international
tätige, in Europa ansässige Unternehmen im Bereich Bergbau, Verhüttung und Raffination
zu evaluieren

2. Technologische Innovationen und weitere bilaterale Abkommen
    fördern.

Die Förderung von technologischen Prozess- wie auch Produktinnovationen ermöglicht es,
die Rohstoffmenge zu verringern und manche Rohstoffe zu ersetzten. Gleichzeitig kann die
Wiederverwendung, die Wiederaufbereitung und das Recycling erhöht werden. Das Recy-
cling ist allerdings materialspezifisch unter Berücksichtigung der ökonomischen und öko-
logischen Kosten zu betrachten. Anwendungen wie die Blockchaintechnologie können den
Informationstransfer über die gesamte Wertschöpfungskette sicherstellen und Wissens-
verlust des operativen Geschäfts reduzieren.

Die Fähigkeit innovative, marktführende Technologien im Bereich der Explorations-, Bohr-,
Fördertechnik von primären Rohstoffen, und der Aufbereitungs- und Raffinationstechnik
von primären und sekundären Rohstoffen anbieten zu können, stellt einen wichtigen Zugang
zu Rohstoffen her. Eine Technologieführerschaft kann durch Demonstratoren unterstützt
werden.

Ebenso erlaubt das Fördern etablierter Wissensstrukturen und interdisziplinärer Einrichtun-
gen Synergieeffekte zu nutzen. Der Ausbau bestehender nationaler bilateraler Abkommen
fördert zudem die internationalen Beziehungen und kann die Zugänglichkeit zu Primärroh-
stoffen vereinfachen. Wie bilaterale Abkommen von der Wirtschaft zielgerichteter in kon-
krete Projekte umgesetzt werden können ist genau zu analysieren.
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Ein Schritt für die Sicherung der Rohstoffversorgung durch Innovation und multilateralen
Austausch in Europa ist mit der Gründung der Europäischen Rohstoff Allianz (ERMA, European
Raw Material Alliance) 2020, im Rahmen des Aktionsplans für kritische Rohstoffe bereits
getan worden [10].

3. Die Lagerhaltung evaluieren.

Die Lagerhaltung von kritischen Rohstoffen kann staatlich wie auch privatwirtschaftlich
erfolgen. Die Möglichkeiten Rohstoffe zu sichern erstrecken sich vom Eigentum natürlicher
Lagerstätten, beim Verhüttung-Raffination-Recyclingprozess, in der Produktion oder einer
strategischen Lagerhaltung von Industrie und / oder Land.

Lagerhaltung stellt eine Möglichkeit dar, der Volatilität des Rohstoffangebots entgegenzu-
wirken. In Deutschland ist eine Rohstofflagerung weder der Industrie vorgeschrieben noch
wird sie von Seiten der Regierung, bis auf gewisse Mengen an Rohöl, Diesel, Benzin und
Heizöl, betrieben.

In welchem Szenario es strategische Gründe für den Bund oder wirtschaftliche Gründe für
eine Lagerhaltung für die deutsche Wirtschaft geben könnte, ist zu eruieren.

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Literatur
[1] OECD (2019): Global Material Outlook to 2060. Economic Drivers and Environmental
Consequences, OECD Publishing, Paris.

[2] UN (2019): World population prospects 2019. –
URL: https://population.un.org/wpp/Download/Standard/Population/

[3] Internationaler Währungsfond (2020): World Economic Outlook Database.
URL: https://www.imf.org/en/Publications/WEO/weo-database/2020/October/download-
entire-database

[4] DERA (2016): Rohstoffe für Zukunftstechnologien, p. 253 ff.

[5] USGS (2021): Mineral Commodity Summaries 2021.
URL: https://pubs.usgs.gov/periodicals/mcs2021/mcs2021.pdf

[6] Wellmer FM, Dahlheimer M, Wagner M (2008): Economic evaluations in exploration.
Springer, p. 250.

[7] Hilgers, C., Becker, I., Dehn, F. (2020): Geologische- und STEEPLE-Aspekte zur über­regionalen
Verfügbarkeit von Rohstoffen zur Herstellung von Beton.

[8] Hilgers, C., Becker, I. (2020): Local availability of raw materials and increasing global
demand – aspects of resilient resource strategies in World of Mining No. 5.

[9] Bartekova E, Kemp R. (2016): Critical raw material strategies in different world regions.
Working Paper Series, Maastricht University, p. 52.

[10] EU Kommission (2020): Action Plan on Critial Raw Materials.

[11] Wirtschaftsvereinigung Stahl (2020): Fakten zur Stahlindustrie in Deutschland.

[12] BGR (2019): Rohstoffsituation Deutschland, p. 21 ff.

[13] Talens Peiro, L., Nuss, P., Mathieux, F. and Blengini, G., Towards Recycling Indicators based
on EU flows and Raw Materials System Analysis data, EUR 29435 EN, Publications Office of
the European Union, Luxembourg, 2018, ISBN 978-92-79-97247-8 (online), doi:10.2760/092885
(online), JRC112720.

[14] Reuter, M (2018): Von der Utopie der Kreislaufwirtschaft in ESKP-Themenspezial Roh-
stoffe in der Tiefsee – Metalle aus dem Meer für unsere High-Tech-Gesellschaft, Deutsches
GeoForschungsZentrum GFZ. doi: 10.2312/eskp.2018.2.
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Kontakt und weitere Informationen
Dr. Christian Kühne
Geschäftsführer
THINKTANK Industrielle Ressourcenstrategien
angesiedelt am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Campus West • Gebäude 6.36
Hertzstraße 16 • 76187 Karlsruhe

T +49 721 608-41368 • M +49 157 35711946
E christian.kuehne@kit.edu
www.thinktank-irs.de

Sitz der Körperschaft
Kaiserstraße 12, 76131 Karlsruhe
KIT – Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft

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