FAKTOR - Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB)
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Euro 6,- [SPORT ] DAS MAGAZIN DES DEUTSCHEN OLYMPISCHEN SPORTBUNDES FAKTOR 3 I 2013 EVI SACHENBACHER-STEHLE UND ANDREA ESKAU SUCHEN DEN ANDEREN ERFOLG DUALE KARRIERE STEILE HAARE, STEILES WACHSTUM [ BBL-Chef Jan Pommer im Interview ] IMPORT, EXPORT [ Über Trainer, die von außen kommen ] ECHOLOS [ Sport-PR findet selten Gehör, sagt Experte Michael Schaffrath ]
Faktor Sport [ Editorial ] 3 „Der Rundblick von der Basis bis zum Profisport zeigt, dass widrige Bedingungen beherrschbar bleiben Marcus Meyer, Redaktionsleitung „Faktor Sport“ können“ LIEBE FREUNDE DES SPORTS, Sie werden in dieser Ausgabe von „Faktor Sport“ drei Themen fin- den, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich sind und auf den zweiten erstaunliche Parallelen aufweisen: das Interview mit dem Chef der Beko Basketball Bundesliga (BBL), Jan Pommer, die Reportage über den Deutschen Badminton-Verband (DBV) und eine Ortsbesichtigung beim TV Jahn-Rheine, der mit 5700 Mitglie- dern zu den großen Vereinen in diesem Land gehört. Eine Profiliga, ein Spitzenverband und eine Breitensportor- ganisation: Was also haben sie gemein? Die Antwort: eine bemer- kenswerte Entwicklung unter schwierigen Bedingungen – und die unisono vertretene Haltung ihrer jeweiligen Protagonisten: „Wir jammern nicht.“ Bei aller notwendigen Differenzierung: Der Rundblick von der Basis bis zum Profisport zeigt, dass widrige Bedingungen be- herrschbar bleiben können, wenn man ihnen mit strategischer Konsequenz begegnet statt mit Schicksalsergebenheit. Im Basket- ball etwa, wo die BBL Liga Nummer eins in Europa werden will, differierende Interessen geschickt moderiert und Fortschritte macht im Aufmerksamkeitsgerangel des Profisports. Oder im Bad- minton, das im vergangenen Jahrzehnt eine imposante Entwick- lungsgeschichte hingelegt hat, ohne ausreichende Finanzausstat- tung, aber mit probatem sportlichen Konzept. Und schließlich beim Verein, der abseits des Leistungssports kluge Antworten auf die Herausforderungen einer sich rasant verändernden Gesell- schaft gefunden hat. Widrigen Bedingungen erfolgreich zu trotzen, das könnte im Übrigen auch das Leitmotiv für die Titelgeschichte dieses Hef- tes sein. Wir stellen Evi Sachenbacher-Stehle und Andrea Eskau vor, Athletinnen, die mit über 30 Jahren noch einen sportlichen Spurwechsel vorgenommen haben und sich derzeit auf die Olym- Credit: picture-alliance, Dr. Claudia Pauli, TV Jahn-Rheine pischen und Paralympischen Spiele in Sotschi vorbereiten. Zwei eindrucksvolle Porträts, die zunächst sehr unterschiedlich wirken und dann ihre Parallelen offenbaren. Ungleiche Welten: das Play-off- Halbfinale 2013 in der Basketball- Bundesliga zwischen Bamberg und Oldenburg, Marc Zwiebler beim olympischen Badminton-Wettbewerb in London 2012 und das Ferienpro- gramm beim TV Jahn-Rheine
4 [ Inhaltsverzeichnis ] Faktor Sport Das Magazin des Deutschen Olympischen Sportbundes Inhalt Große Ziele für Sotschi: Paralym- Strammer Wurf: Die Basket- Vereinspolitik: Wenn die Basis Maximilian Levy, der RSC Cottbus pionikin Andrea Eskau Seite 08 ball-Liga im Aufwind Seite 22 auf Mitsprache pocht Seite 27 und das Grüne Band Seite 30 AUGENBLICK, VERWEILE 56|Ungewohnte Aufmerksamkeit Großer Medienandrang bei der Rollstuhlbasketball-EM 06|Panoramablick in Frankfurt Raphael Holzdeppe holt als erster Deutscher WM-Gold im Stabhochsprung ZEITGEIST FLUTLICHT 26|Literatur Hamid Rahimi – Die Geschichte eines Kämpfers 08|Zweiter Bildungsweg: Evi Sachenbacher-Stehle und Andrea Eskau vor den 42|Bewegte Worte Olympischen und Paralympischen Spielen in Sotschi Ein Literat, ein Kabarettist und eine Journalistin zum Verhältnis von Sprache und Sport 15|TOP-Teams Sotschi: Wer kommt rein, wer ist drin? SPIEGELBILD TRIBÜNE 27|Lästige Mitbestimmung Über basisdemokratische Vereinsmodelle in Zeiten 22|Forsches Vorhaben zunehmender Kommerzialisierung BBL-Boss Jan Pommer spricht über ehrgeizige Liga-Pläne Credit: picture-alliance und „Luft nach oben“ bei TV-Übertragungen 40|Ohne Training läuft nix NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und das Sportabzeichen
Faktor Sport [ Inhaltsverzeichnis ] 5 Dafni Bouzikou gründete den Be- Fliegt gut: Badminton mit schma- PR im Sport: Ein Star hilft mehr Die Rollstuhlbasketball-EM als rufsverband für Trainer Seite 33 lem Budget erfolgreich Seite 48 als tausend Worte Seite 54 Medienhighlight Seite 56 58|Freie Wahl VERMITTLUNGSKUNST Der TV Jahn-Rheine richtet das Vereinsangebot konsequent nach seinen Mitgliedern aus 54|Und wer hört zu? Medienprofessor Michael Schaffrath über seine Studie PROFILE zur Sport-PR 32|Grenzerlebnisse WECHSELSPIEL Vier Trainer und ihre Erfahrungen in fachfremden Sportarten 62|Von Hand gezählt Carsten Hüfner schmeißt beim Sportreiseveranstalter METER X SEKUNDE Dertour das Geschäft mit Olympiatickets 48|Auf Kante genäht Wenig Geld, aber gutes Konzept: Das deutsche Badminton hat zur Weltspitze aufgeschlossen BEWEGUNGSMELDER AUSZEIT 20|30|38|46|60 – 61 52|Langer Anfang 61| Impressum Die Europäischen Makkabi-Spiele kommen 2015 nach Berlin, als erstes jüdisches Großevent in der Geschichte der Bundesrepublik
Landung ganz oben ie ist es wohl da oben, wie fühlt es sich an, wie sieht es aus? Das möchte man Raphael Holzdeppe fragen, aber er kann nicht antworten. Noch nicht. Er spürt, dass er gleich die Latte quert, die auf 5,89 Meter liegt. Aber er weiß nicht, wo er landen wird an diesem 1 2. August. Dass es ganz oben sein wird, der erste Platz bei der Leichtathletik- W WM in Moskau, ist dann doch unerwartet. Man hatte dem 23-jähri- gen Olympia-Dritten von London schon Gold zug etraut. Aber sein Teamkollege Björn Otto schien näher dran, eher dran: den franzö- 6 [ Augenblick, verweile ] Faktor Sport sischen Titelverteidiger und Olympiasieger und ewigen Ersten Ren- aud Lavillenie zu schlagen, Stabhochsprung-Weltmeister zu wer- den, der erste deutsche. Der Moskauer Moment hat P erspektiven verschoben: Holzdeppe ist ein Sieger, Lavillenie ein Besiegbarer, Otto, in Moskau Dritt er, nicht mehr dessen g roßer Konkurrent – vorerst. Und wie findet Holzdeppe nun seine Perspektive? „Jetzt bin ich Weltmeister und alles ist geil.“ nr ] Credit: picture-alliance
Faktor Sport [ Flutlicht ] 9 Auf ein Neues Diese Chance kommt nie wieder? Diese sicher nicht, aber vielleicht eine ande- re, da muss man nur Evi Sachenbacher-Stehle und Andrea Eskau fragen. Beide streben in Sotschi 2014 nach Ruhm, die eine nach olympischem, die andere nach paralympischem. Zwei grundverschiedene Frauen, zwei grundverschiedene Ge- schichten von Athletinnen auf dem zweiten Bildungsweg. Text: Johannes Schweikle und Peter Stützer
10 [ Flutlicht ] Faktor Sport Schulterblick beim Schießen: 12.000 Schuss, 2000 mehr als die Kolleginnen, verfeuert Evi Sachenbacher-Stehle pro Jahr – vor den Augen von Trainer Ricco Groß Im Moment 1. Der Weg nach Sotschi führt für Evi Sachenbacher-Steh- le über ein sch warzes Laufband. An e inem Mittwoch- morgen um acht beginnt es sich zu drehen. Dr außen ist Hochsommer, die Sonne brennt aus einem wolken- losen Himmel auf die Berge rund um Ruhpolding. Aber im Ricco-Groß-Haus des Ol ympiastützpunkts schnallt Evi Sachenbacher-Stehle die Skiroller an. Mit den Hän- den schlüpft sie in die Schlauf en der Langlaufstöcke, dann beginnt die Leistungskontrolle. In lockerem Tempo skatet sie über das schwarze Band. Flüssiger Zweitaktschritt, Puls 125, ihre weißen Zähne strahlen. Mit diesem Lächeln hat Evi Sachen- bacher-Stehle vor elf Jahren Deutschland verzaubert. Bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City gewann sie Gold und Silber im Skilanglauf. Der Wintersport hatte ein neues Gesicht: jung, fröhlich, hübsch. Bei drei Olympischen Spielen hat Sachenbacher- Stehle fünf Medaillen gewonnen. Jetzt bereitet sie sich auf ihre vierten Spiele vor. In Sotschi will sie in einer neuen Disziplin an den Start gehen: im Biathlon. Nach ein paar Minut en hält da s Laufband an. Der wissenschaftliche Leiter des Stützpunkts fingert an ihrem Ohrläppchen her um und nimmt Blut ab.
Faktor Sport [ Flutlicht ] 11 „WENN MAN MIT IHR ARBEITET, FÜHLT SICH DAS AN WIE IM FRÜHLING“ Ricco Groß Während eine Assistentin den Lactatwert bestimmt, drea Eskau. Hat ja noch alles g ewonnen, was sie ge- läuft das Band wieder – mit höherem Tempo. So geht winnen wollte. das eine Stunde lang: alle paar Minut en Blut abneh- Die Graurheindorfer Straße in Bonn sieht etwa men, dann wird’s schneller. so aus, wie der Name es vermuten lässt. Das Innenmi- Irgendwann ist der Puls v on Evi Sachenbacher- nisterium hat hier noch einen Sitz. Merkt man g ar Stehle bei 175. Sie lächelt nicht mehr. Schaut konzent- nicht. Jeden Tag kommt Andrea Eskau vorbei, schaut riert, setzt die Skistöcke in einem harten Stakkato wie in ihrem Büro nach dem R echten, spricht ei n biss- im Endspurt. Der Trainer Ricco Groß, der bislang ne- chen zu sich selbst. „Hier ist ja sonst keiner.“ Das gilt ben dem Laufband seine Mails abgearbeitet hat, beob- für ihren Flur, sie ist da ein Eine-Frau-Betrieb. achtet die Athletin jetzt genau. Später wird er sagen, Ein Büröchen, winzig, mit dem Rollstuhl tän- dass sie unter Belastung den rechten Fuß zu gerade zelt sie durch die wenigen Möbel, zierlich ist sie und setzt. Der muss mehr Schwung nach v orn bringen. geschickt. Redet recht gerne und ganz schnell. In- Die Sportlerin, die seit einem Dutzend Jahren zur stitut für Sportwissenschaf t, Leiterin des Bereichs Weltklasse gehört, hört so konzentriert zu, als käme Behindertensport, das heißt v or allem: Wer dazu- sie frisch aus dem Nachwuchskader. gehören will, mit Handicap Sport betreiben, gerne Leistungssport, gefordert werden und gefördert, der Andrea Eskaus letzte Chance liegt rund 3100 Kilome- kommt mit seinem Antr ag unweigerlich über den ter und gut ein halbes Jahr weit weg. Nur in Sotschi Tisch von Andrea Eskau. Sie entscheidet über A uf- wird sie es noch v ersuchen, Gold im Wint er zu ge- nahme oder A ufgabe, vormittags ist die Lag e ent- winnen. Nach 2014, nach den P aralympischen Spie- spannter, die Fr au auch. Am N achmittag trainiert len an der r ussischen Schwarzmeerküste, will sie sie und zwar jeden T ag, meist ganz alleine, es gibt sich ganz auf das Sommerprogramm konzentrieren. halt in der Gegend nicht noch jemanden, der sich so „Das müsste doch mit dem Teufel zugehen“, sagt An- etwas antun will. --›
12 [ Flutlicht ] Faktor Sport
Faktor Sport [ Flutlicht ] 13 Irdische Freude: Nach nur ein halbem Jahr Vorbereitung holte Andrea Eskau Silber über fünf Kilo- meter Langlauf bei den Paralympischen Spielen in Vancouver 2. Die Hingabe Andrea Eskau ist auf dem Weg Richtung Spiele, wie eigentlich immer, das kommt davon, wenn jemand eine Gummimatte auf den Asphalt. Rechts und links knallt und scheppert es, zwei Dutzend Biathleten trai- so einen Antrieb hat, so eine Begeisterung. Sotschi ist nieren heute in der Chiemg au-Arena. Es riecht nach die nächste Station, eine Zwischenstation, eine ganz Schwefel und Sixtuf it. Wo im Winter Schnee liegt, wichtige, das schon, aber es geht dann weiter, Abfahrt blühen gelbe Wiesenblumen. Auf der Zuschauerter- Bonn, Ankunft Rio de Janeiro, das ist der Plan. Fahrt- rasse stehen Urlauber und machen F otos von den zeit: gut drei Jahre von hier aus, zweieinhalb von Sot- Wintersportlern, die in kurzen Hosen schwitzen. schi. Ankunft: im Sommer 2016. Die Paralympischen „Zwei liegend, zwei stehend“, sagt Rudi Schöll- Sommerspiele, die Perspektive: Goldmedaille, eine, mann, der heute das Schießtraining leitet. Sachenba- zwei, womöglich drei. Zwei, das war auch ihre Bilanz cher-Stehle schultert ihr Gewehr und skatet mit den im Vorjahr, in London. Skirollern davon. Nach drei Minuten ist sie zurück Mögliche Konkurrenz nimmt die Eskau mit links. von der Runde, bremst und geht in den liegenden An- Frohen Mutes, exakt nach Plan. Sie rett et überall die schlag – fünf Treffer. Bilanzen, und wie. Natürlich zählt auch, und zualler- So geht das Runde um Runde. Von 20 Schuss ge- erst, die persönliche Bilanz, überall, wo sie hinkommt, hen zwei daneben. Der Tr ainer schaut angestrengt erntet sie Bewunderung für das, was sie g eleistet hat. durch sein Spektiv. „Links tief“, sagt er und mei nt An dem Unfall damals habe sie nicht lang e zu knap- einen Fehlschuss. Irgendwann ziehen drei Kollegin- sen gehabt, am eigenen Schopf hat sie sich aus diesem nen ihre Skatingstiefel aus, legen sich barfuß auf Schlamassel rausgezogen, ihre Zähigkeit, ihr Trotz, ihr die Gummimatten und dehnen ihre Musk eln. Evi Mut und ihr unbändiger Ehrgeiz waren geblieben. Und Sachenbacher-Stehle läuft und schießt immer noch. wenn es darauf ankommt, sind sowieso die meisten Ihr Training sieht konzentriert aus, aber nicht ver- Helfer weg. Ist ihr auch viel lieber so, Selbstverantwor- bissen. tung, Eigenregie, Respekt, sie pflegt hochrangige Kon- Beim stehenden Anschlag korrigiert der Trai- takte, erobert neues Terrain, probiert, bloß k ein Mit- ner den Haltearm. Bei den nächsten Schüssen will er leid, lasst mich mal machen, im Zw eifelsfall bin ich sie bewusst irritieren: Sie zielt, er redet auf sie ein. allein schneller, flexibler, und überhaupt: Woran sehe „Wenn sie das nicht ausblenden kann, muss sie gar ich, dass einer wirklich helfen will. nicht erst zum Wettkampf antreten“, sagt er. Rudi Schöllmann nimmt einen S traßenbesen „Wir haben hier eine Athletin, die eigentlich im Spät- und kehrt Patronenhülsen von der Matte. In einem sommer ihrer Karriere ist“, sagt Ricco Groß über Evi Jahr feuert Evi Sachenbacher-S tehle bis zu 1 2.000 Sachenbacher-Stehle. „Aber wenn man mit ihr arbei- Schuss ab – das sind 2000 mehr als bei anderen Bi- tet, fühlt sich das an wie im Frühling.“ athletinnen. Viele Stunden investiert sie ins Trocken- 32 Jahre alt is t sie jetzt. Der W echsel der Sport- training: stellt sich zu Hause mit dem Gewehr in den art hat sie verjüngt. Als Biathletin strahlt sie die Fri- Keller und zielt auf ganz kleine Scheiben, die in fünf sche des Karrierebeginns aus. „Im Langlauf hat mir Metern Entfernung an der Wand hängen. So trainiert am Ende die Motivation g efehlt“, sagt sie, „aber im sie die Haltefähigkeit. „Durch ihre beharrliche Arbeit Biathlon hat alles komplett neu angefangen: Die Ab- ist sie eine sichere und stabile Schützin geworden“, läufe sind neu, und das Team ist neu.“ sagt Schöllmann. Zuallererst ist die zw eite Disziplin neu. N ach Im Juli muss ten alle Biat hletinnen zur sog e- dem Laufbandtest wechselt Evi Sachenbacher-S teh- nannten Sommerleistungskontrolle antreten. Evi Sa- le ihr durchg eschwitztes Oberteil. Dann holt sie chenbacher-Stehle gewann diesen internen Vergleich. ihr Gewehr und legt am Schießs tand Nummer acht Von 60 Schuss gingen nur drei daneben. --›
14 [ Flutlicht ] Faktor Sport 3. Der Einschnitt Vor Jahren sagte Evi Sachenbacher-Stehle über ihre Karriereplanung: „Mit 30 hab ich schon alle meine aktuellen Maße für den Bau eines passgenau gefertig- ten Rollstuhls einzuholen. Doch da kannten die Herr- Kinder.“ Mit 24 heiratete sie den alpinen Skirennläu- schaften die junge Frau Eskau schlecht. „Raus!“ Das fer Johannes Stehle. Aber sie lief w eiter. Mit 29 g e- war deutlich. „Ich brauche keinen Rollstuhl!“ Der Vor- wann sie Gold und Silber in Vancouver, mit 30 berei- gang soll sich dem V ernehmen nach vier- oder fünf- tete sie sich auf den nächsten Langlauf-Winter vor. mal wiederholt haben, bis der Fachmann befand, Doch der Körper hatte nach den dritten Olym- dann müsse der Augenschein reichen, sein Augen- pischen Spielen genug. Er funktionierte nicht mehr schein, wohlgemerkt. Das Ergebnis passte ihr wieder hochleistungsgemäß. Ein Spezialist stellte Nahrungs- gar nicht in den Kram, „grelle Farben“, und: „Aua! Sah mittelunverträglichkeiten fest – die Langläuf erin aus wie ein Krankenwagen.“ Warum auch nicht, Roll- musste Weizen und Eier meiden. Im Sommer 20 11 stühle müssen auf sich aufmerksam machen, da sind stieg sie aus und legte eine Trainingspause ein. Aber grelle Farben ein probates Mittel. --› richtig. „Da hab ich mich nicht aufs Rad g esetzt und bin nicht mal ‘ne halbe Stunde gejoggt“, sagt sie. Sie ging in den bayerischen Seen baden, spielte ein biss- chen Golf und pflegte alte Freundschaften, die unter dem Leistungssport gelitten hatten. „Das war schön: Abends einfach sitzen bleiben zu können und nicht „OHNE DIESE ans Training des nächsten Tages zu denken.“ Evi Sachenbacher-Stehle ist 1,62 Meter groß und PAUSE WÄRE hat ein Wettkampfgewicht von 52 Kilo. Im Sommer ICH NICHT ohne Sport nahm sie nicht etwa zu. Im Geg enteil: Sie verlor Muskelmasse und Gewicht. Heute, vor ih- MEHR DABEI. ren vierten Olympischen Spielen, sagt sie: „Ohne die- se Pause wäre ich nicht mehr dabei. Ich hab sie ge- ICH HAB SIE braucht für den Körper und den Kopf.“ Nach einem halben Jahr war die Nahrungsmitte- GEBRAUCHT lunverträglichkeit weg. Jetzt sitzt Evi Sachenbacher- Stehle im „Café Biathlon“ von Ruhpolding. Nach zwei FÜR DEN Trainingseinheiten isst sie mit herz haftem Appetit KÖRPER UND einen großen Teller Nudeln. „Die Zeit im Sport v er- ging viel zu schnell“, sagt sie und lacht, „ich war ein- DEN KOPF“ fach noch nicht bereit aufzuhören.“ Evi Sachenbacher-Stehle Andrea Eskaus Unfall, man kann es nicht fassen. Ein Sturz mit dem Fahrrad 1998, die erfolgreiche Triath- letin und Radrennsportlerin war noch und wieder Schülerin damals, machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, das hieß Reifeprüfung mit 27. Das hieß auch; jeden Tag mit dem Rad zum Gymnasium. Der Traum von den Spielen war schon etwas ält er, und es glaube keiner, sie habe ihn nur eine Sekunde in- frage gestellt. Nicht einmal, als die Ärzt e ihr die nie- derschmetternde Wahrheit sagten: Querschnittsläh- mung, Behinderung der Klasse 4. Jetzt lagen all die Wünsche und Hoffnungen mit ihr in einem drecki- gen Straßengraben und konnten nicht mehr: Sie hat- te eine überfrorene Pfütze übersehen, war mit dem Rückgrat direkt auf einen Bordstein geprallt, die Läh- mung ließ nicht lang e auf sich wart en, ihr nächstes Zweirad würde ein Rollstuhl sein. Die kleine P erson hat sich g roßartig gewehrt, was gleich mal der freundliche jung e Mann vom Sa- nitätshaus um die Ecke zu spüren bekam. Es galt, die
Faktor Sport [ Flutlicht ] 15 Skeptischer Blick: Evi Sachenbacher- Stehle, 2012 in Antholz, in ihrer ersten Weltcup- Saison als Biathletin ZWEIMAL SOTSCHI, ZWEIMAL TOP-TEAM Andrea Eskau ist drin, Evi Sachenbacher- Stehle auch: im TOP-Team für die Paralym- pischen respektive Olympischen Winter- spiele 2014 in Sotschi. Beiden Athletinnen traut man eine Medaille zu, beide bereiten sich entschlossen-systematisch vor – zwei zentrale Kriterien für die Aufnahme in das zwölfköpfige Team des Deutschen Behin- dertensportverbandes (DBS) als auch in das des DOSB mit etwa 120 Sportlern. Letzteres wird dynamisch besetzt: Der auch aus Talen- ten mit Spitzenperspektive und Staffelmit- gliedern bestehende Kader nimmt immer wieder neue Mitglieder auf, während bishe- rige ausscheiden, je nach Leistungsentwick- lung. Beide TOP-Teams sollen ihren Mitglie- dern beste Bedingungen beim Anlauf auf 2014 bieten. Der DOSB stimmt sich dabei mit diversen Partnern ab, von den Fachver- bänden und dem Bundesinnenministerium über die Stiftung Deutsche Sporthilfe und die Olympiastützpunkte bis hin zu Wissen- schaft – Partnerhochschulen des Sports, In- stitut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES), Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) – und Arbeitge- bern: Bundeswehr, Bundespolizei, Zoll. Der DBS, dessen Sportler zunächst finanzielle Absicherung brauchen, wird von der Alli- anz und der Deutschen Telekom unterstützt. Seine TOP-Team-Mitglieder bekommen bis zu 1500 Euro monatlich über einen Förder- zeitraum von 21 Monaten.
16 [ Flutlicht ] Faktor Sport Die neue Gier 4. Vom Unfall und dem bunten Untersatz halbwegs gene- sen, las sie in der Zeitung v om Köln-Marathon, besorg- te sich ein richtiges Handbike und wurde auf Anhieb Dritte. So langsam bekam ihr neues Leben Strukturen, sie liebte den Sport und nicht nur den einen, probierte sich im Rennrollstuhlfahren und Rollstuhlbasketball. Jetzt bekamen andere Bilder wieder Konturen, Olym- pia vor Augen, das größte Sportfest der Welt, oder dann halt die Paralympics. „Da wollte ich unbedingt hin.“ staunte sie schon selber. Kann sie etwas dafür, dass die anderen nicht nachkamen? K ann sie nicht. Seit 2002 bestreitet sie ihre ers ten Wettkämpfe im Handbiken, 2003 ist sie schon Vize-Europameis terin, 2008 in P e- king holt sie die erste Goldmedaille im Straßenrennen. Als Evi Sachenbachers zweite Chance kam, sah sie sie erst gar nicht. Damals, nach dem Sommer ohne Sport, machte der Langlauftrainer Jochen Behle seiner A th- Das Handbike war schnell ihre Paradedisziplin ge- letin a. D. einen V orschlag: Sie solle doch mit den Bi- worden, fast genauso schnell gingen ihr in Deutsch- athleten ins Trainingslager nach Finnland gehen und land die Gegner aus, also beschloss sie eines sonnigen locker mitlaufen. Also nahm sie im November 2011 in Tages zu den Bes tzeiten der Konkurrenz im Ausland Muonio, 200 Kilometer nördlich des Polarkreises, zum mal ihre persönlichen Machbarkeitsstudien zu erstel- ersten Mal ein Biathlongewehr in die Hand. Ohne Hin- len. Ein Beispiel, ein W ahnsinn: Beim Hamburg-Ma- tergedanken, wie sie sagt, aus reiner Neugier. rathon 2011 unterbot sie den damalig en Weltrekord „Eine Waffe hat halt ihre eig ene Faszination“, der Französin Monique van der Vorst um fast acht Mi- so sieht Ricco Groß das, der Biathlontrainer. Evi Sa- nuten. Überall nahm sie jetzt Fahrt auf, das Tempo er- chenbacher-Stehle hat da einen w eiblicheren Blick,
Faktor Sport [ Flutlicht ] 17 Erfolgreiches Finish: Zwei Goldmedaillen im Handbike räumte Andrea Eskau in London ab ERFOLG HOCH ZWEI EVI SACHENBACHER-STEHLE, gebürtige Traunsteinerin des Jahrgangs 1980; Sportsoldatin und Biathletin, im Langlauf aufgewachsen. Erstes Weltcuprennen 1998, erster Weltcupsieg 2001, dem zwei weite- re folgen. Ganz groß die Saisons 2002 und 2003: Staffelgold bei Olympia in Salt Lake City respektive der WM in Val di Fiemme; dazu jeweils Silber in Einzelrennen. ANDREA ESKAU, 1971 in Thüringen geboren, sportliches Mul- titalent und Diplom-Psychologin, bis zu einem Unfall 1998 Rennradlerin und Triathletin. Denkwürdiger Erstverein: Obertrikotagen Apolda, heute USC Magdeburg. Seit 2002 Serienproduktion von WM-Titeln, sieben mit dem Handbike, zwei auf Skiern, je einer in Langlauf und Biathlon: dazu fünf Paralympische Medaillen. Die Erwartungen sie nennt das Ge wehr „ein spannendes Tr ainingsge- rät“. Vor dem Biathlon hat sie nur mal aus Jux auf dem Jahrmarkt geschossen. Ihr Schwager ist Jäger, aber die Jagd hat sie nie gereizt. „Ich will nicht auf Tiere schießen.“ Als Sportsoldatin der Bundeswehr bekam sie na- türlich eine Schießausbildung mit dem Sturmgewehr G36. „Das ist etwas ganz anderes. Da sind die Ziele so groß, dass du dich blöd anstellen musst, wenn du da- 5. Noch weiß niemand, ob sie sich für Sotschi q ualifi- zieren kann. Aber eins ist klar: Wenn sie dort antritt, wird man Evi Sachenbacher-Stehle an ihren Erfolgen als Langläuferin messen. „Das ist mir egal“, sagt sie, „ich hab wieder so viel Spaß am Sport. Und für mich geht keine Welt unter, wenn ich ohne Medaille nach Hause komme.“ Auch wenn die Oberbayerin das mit entwaf f- nend fröhlichen Augen sagt, klingt es wie die Flos- neben schießen willst.“ Mit einem vier Kilo schweren kel einer Sportlerin, die routiniert die Erwartun- Kleinkalibergewehr eine 50 Meter entfernte Zielschei- gen von Medien und Öffentlichkeit abfedert. Aber be zu treffen, deren Durchmesser nicht größer ist als Stefan Schwarzbach, der PR -Chef des Deutschen ein Eierbecher, das empfand die Langläuferin als He- Skiverbands, kennt die Athletin seit vielen Jahren. rausforderung. Er hat sie in den Höhen und Tief en ihrer Karriere Und dann war da eben die N eugier. „Sie hinter- begleitet. Und er sagt: „Ich erlebe die Evi gerade un- fragte alles“, erinnert sich Ricco Groß. Am Ende des glaublich konzentriert und so in sich ruhend wie Winters 2011/2012 gab Evi Sachenbacher-Stehle be- seit Jahren nicht mehr. Sie hat wieder richtig Spaß kannt, künftig im Biathlon starten zu wollen. am Sport.“ --›
18 [ Flutlicht ] Faktor Sport Die Vorzeichen für Olympia sind gut: Im März 20 13, Aber der Wintersport ist auch keine Nebensache, wo- am Ende ihres ersten Biathlonwinters, belegte Sachen- her denn, sie hat halt viele T alente, das sah man da- bacher-Stehle beim Weltcup in Sotschi Platz sechs mals ja gleich, als sie 2009 Ernst machte mit den Ski- und siegte mit der Staffel. Ricco Groß erklärt das un- ern. Nach nur einem halben Jahr Tr aining trat sie ter anderem mit der Streckenführung in Sotschi: „Der 2010 in Vancouver gleich in zwei Disziplinen an, Er- harte Anstieg liegt der Evi. Der kommt zwar auch ih- gebnis: Bronze über zehn Kilometer Biathlon und Sil- ren Konkurrentinnen Tora Berger und Darja Domra- ber über fünf Kilometer Skilanglauf. Das war der An- tschewa entgegen – aber dann ist ja immer noch ein lauf zum Gold, zum Projekt Sotschi. Platz auf dem Treppchen frei.“ Und der Druck des Ge- Ein Denkmal müssten sie ihr eig entlich setzen, messenwerdens? Der Trainer kehrt es um: „Wer ein- so viel hat sie für den Behindert ensport getan und mal eine olympische Medaille geholt hat, will sich die bewiesen, dass es sich auch dabei um Leis tungssport Siegerehrung nicht im Fernsehen anschauen.“ handelt. Ihr Ehrgeiz ist ungebrochen, ihr Fleiß legen- där, gleich siebenmal will sie bei den Spielen 2014 an Das Handbike, der Sommer, die goldenen Medaillen, den Start gehen. Heißt: sieben gut e Medaillenchan- Brasilien 2016, da steckt die ganze Andrea Eskau drin. cen für ihr Land. ] In Sotschi will sie wieder fliegen: Sieben Starts peilt Andrea Eskau bei den Paralympischen Spielen 2014 an „SO VIEL HAT SIE FÜR DEN BEHINDERTENSPORT GETAN UND BEWIESEN, DASS Credit: picture-alliance ES SICH AUCH DABEI UM LEISTUNGSSPORT HANDELT“
Die Running Revolution BOOST™ bietet mehr Energierückgewinnung als jedes andere schaumbasierte Dämpfungsmaterial in der Laufschuhindustrie. Es kombiniert hohen Komfort mit dynamischer Energie – für das ultimative Running-Erlebnis. #boost Go all in auf adidas.com/boostyourrun © 2013 adidas AG. adidas, the 3-Bars logo and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.
20 [ Bewegungsmelder ] Faktor Sport Keller tritt ab Sie hat den letzten Schritt getan, sie hat das Feld verlassen: Natascha Keller, deutsche Rekordnational- spielerin im Hockey, hat ihre Bundesliga-Karriere be- endet. Schon im vergangenen Jahr war die 36-Jähri- ge aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, nach den sportlich enttäuschenden Olympischen Spielen von London (Platz 7), die dennoch einen Höhepunkt ihrer Karriere markierten: Als erste Hockey-Akteurin über- haupt trug sie die Fahne der deutschen Delegation ins Olympiastadion. Ihre 20-jährige Liga-Karriere beende- te sie als Double-Gewinnerin mit dem Berliner Hockey Club. Keller, 425 Länderspiele mit 209 Toren, besitzt ei- nen A-Trainerschein. Sie brauche etwas Abstand, sagte sie dem SID nach ihrer Entscheidung, schließe ein wei- teres Engagement im Hockey aber nicht aus. Felix Schoeller wird DOSB-Partner D ie Felix Schoeller Group, ei- Darstellung der Deutschen Olym- ner der international größten piamannschaft bei den Spielen Anbieter von Spezialpapieren, 2014 und 2016 maßgeblich beein- ist neuer Co Partner der Deut- flussen. Felix Schoeller gilt als Welt- schen Olympiamannschaft. marktführer von Digital-Imaging- Das Familienunternehmen mit Sitz Papieren, auf denen unter anderem in Osnabrück einigte sich mit dem Fotos, Poster und Bildbände ge- Deutschen Olympischen Sportbund druckt werden. Auch für Broschü- (DOSB) und seiner Vermarktungs- ren und Einladungen des DOSB und agentur Deutsche Sport-Marketing für Dekoroberflächen liefert das DBB lanciert Hybrid-App auf eine Zusammenarbeit bis 2016. Der Premiumhersteller wird den Traditionsunternehmen – Grün- dungsjahr 1895 – die Basis. Die Felix Verband also mindestens bei den Schoeller Group machte 2012 mit Immer hip halt, diese Basketballer: Mit seiner neuen Spielen von Sotschi und Rio mit knapp 2300 Mitarbeitern 732 Milli- App ermöglicht es der Deutsche Basketball Bund (DBB) seinen Produkten ausstatten – und onen Euro Umsatz und hat Kunden als zweiter nationaler Sportverband überhaupt, Termine damit zum Beispiel die bildliche in 53 Ländern. und Spielpaarungen aller seiner Ligen mobil abzurufen. Natürlich bietet das Programm, das in den kostenlosen Versionen iOS für das iPhone, Android und als speziel- ler View für Tablets erhältlich ist, unter anderem auch Nachrichten, Videos, Live-Spielstände von Länderspie- len und Infos zu den Nationalteams sowie ihren Akteu- HBL erneuert Onlinepräsenz ren. Die sogenannte hybride App, die die Aktualität und Die Adresse bleibt, anderes ändert sich – vor allem technisch. Denn der neue Onlineauf- Funktionalität webbasierter Inhalte mit den Vorzügen tritt der DKB Handball-Bundesliga (HBL) passt sich in seiner Darstellung dem jeweiligen nativer Apps verbindet, wurde von DOSB New Media Endgerät (Computer, Tablet, Smartphone) an: Das Responsive Webdesign optimiert die konzipiert und umgesetzt, selbstredend in Abstimmung Website im Stile einer App. Inhaltlich setzt die HBL einen Schwerpunkt auf Bewegtbilder: mit dem DBB. Technisch wurde das Projekt vom Ham- Eine Video-Plattform erlaubt den Zugriff auf Formate mit teils aktuellem (etwa Interviews burger Dienstleister Njiuko unterstützt. und eigene Berichte), teils hintergründigem Charakter (Spielerporträts etc.). Sie sind ebenso kostenfrei abrufbar wie das weitere Informationsangebot inklusive Livedaten, Sta- tistiken und Downloads. Zum Saisonstart ersetzt Þ www.dkb-handball-bundesliga.de auch die bisherige iPhone-App der Liga. Hier geht’s zu den Stores von Apple und Google: Credit: picture-alliance Þ https://itunes.apple.com/us/app/dbb/ id652095890?mt=8 Þ https://play.google.com/store/apps/ details?id=com.njiuko.dbb
Wann ist ein Geldinstitut gut für Deutschland? Wenn es nicht nur in Geld- anlagen investiert. Sondern auch in junge Talente. Sparkassen unterstützen den Sport in allen Regionen Deutschlands. Sport fördert ein gutes gesellschaftliches Mit- einander durch Teamgeist, Toleranz und fairen Wettbewerb. Als größter nichtstaatlicher Sportförderer Deutschlands engagiert sich die Sparkassen-Finanzgruppe im Breiten- und Spitzensport besonders für die Nachwuchsförderung. Das ist gut für den Sport und gut für Deutschland. www.gut-fuer-deutschland.de Sparkassen. Gut für Deutschland.
22 [ Tribüne ] Faktor Sport Viel Spannung trotz Dominanz: Jan Pommer (l.) gratuliert Casey Jacobson von den Brose Baskets Bamberg, den Serien- siegern von 2010 bis 2013, zur Meisterschaft „Wir sind nicht hilfs- bedürftig“ Interview: Marcus Meyer und Nicolas Richter In der Zentrale der Beko Basketball- Bundesliga (BBL) in Köln, Neustadt-Süd, springt dem Besucher die Zukunf t ins Auge. Als Leitbild pr angt sie in jedem Raum an der Wand: „2020 die beste nati- onale Liga in Europa“. Die Vergangenheit ist weniger aufdringlich, sie ist abseits in einem kleinen Spind verstaut: Devotiona- lien und F otos aus der Lig a-Geschichte. Der Blick fällt auf Dirk Nowitzki, Bubige- sicht und schmächtiger Körper, ein Doku- ment aus den 90er-Jahren. U nd auf seine Schuhe, schon damals Größe 54. BBL-Geschäftsführer Jan P ommer zeigt diesen Spind gern. So viel Geschichte hat Basketball in Deut schland ja nicht. Die Zukunft? Gegenwärtig sieht sie ganz gut aus. Es beginnt ein Gespräch über die Be- deutung der Nationalmannschaft als Zugpferd für die Sportart, die Gesprächs- kultur mit Ba yern München und über die gesellschaftliche Verantwortung des Profisports.
Faktor Sport [ Tribüne ] 23 Das sind Vermarktungsargumente. Aber womit locken Sie neue Zuschauer? Es ist ein wahnsinnig kreativ es, wechsel- haftes, spektakuläres Spiel. Oft hört man den Vergleich zum Jazz. Dann wäre Eisho- ckey vielleicht Rock und Handball im bes- ten Sinne vielleicht Volksmusik. Bei allem größten Respekt vor anderen: Es gibt ei- nen Flow im Spiel, eine hohe ästhetische Komponente, es mutet nicht so konfronta- tiv an, sondern ist spielerischer. Im Sommer gab es eine Europameister- schaft Ihrer Sportart in Frankfurt, die Das hört sich nach dem alten Clinch an: der Rollstuhlbasketballer. Hat’s Ihnen Wer ist die Sportart Nummer zwei nach gefallen? Fußball ... Ich finde Rollstuhlbasketball großartig. Wir freuen uns, w enn wir in der media- Vielleicht ist das der Behindert ensport, len Diskussion hier und da punkten, aber bei dem am bes ten erkennbar ist, dass es ganz offen: Es hilft uns für die Basketball um richtigen Leistungssport geht – und Bundesliga kaum w eiter, festzustellen, nicht um körperlich gehandicapte Men- dass wir Nummer zwei sind. Das bietet kei- schen, die sich aufg erappelt haben, ein nen Erkenntnisgewinn. bisschen Sport zu machen. Das is t wahn- sinnig actionreich. Die Ligen kooperieren ja auch: in der Ini- tiative „Profisport“ und der Vereinigung Haben Sie es live erlebt? der Sponsoring-Anbieter (VSA). Wie weit Nein, leider habe ich es nicht geschafft. reichen gemeinsame Interessen, wo be- Aber ich war schon oft dabei. ginnt die Konkurrenz? Wir haben in der „Initiativ e Profisport“ Unterstützt die Liga den paralympischen festgestellt, dass die Lig en im Fußball, Sport? Handball, Eishockey und Basketball letzt- Wir helfen ein wenig in der PR-Arbeit, bei lich vor sehr ähnlichen Her ausforderun- Kontakten. Wir sprechen auch mit den Sehen Sie eine gesellschaftliche Verant- gen stehen – natürlich in unt erschiedli- Vereinen, um die V erbreitung von Roll- wortung des Profisports? cher ökonomischer Größenordnung. Ein stuhlbasketball zu vergrößern. Alba Ber- Christian Seifert (Vorstand der Deutschen Beispiel: Die Berufsgenossenschaft für Ar- lin und Bayern München haben eigene Ab- Fußball Liga, d. Red.) betont immer, Brei- beitnehmer, also auch für Prof i-Spieler – teilungen, das Spitzenteam in Wetzlar hat te braucht Spitze , aber eben au ch Spitze ist grundsätzlich eine famose Sache, v er- zuweilen 2000 Zuschauer. die Breite. Wir haben deshalb Verantwor- ursacht aber ganz erhebliche Kosten. Die tung, weil wir schlicht wollen, dass mehr Klubs der BBL haben bei einem Gesamt- Bei der EM war das nicht so, da gab‘s teil- Leute Basketball spielen. Es ist ein großar- umsatz von gut 80 Millionen Euro im ver- weise keine zehn. tiger Sport, mit großer integrativer Kraft, gangenen Jahr w eit über vier Millionen Die Teams hätten es v erdient gehabt, die im Behindert ensport genauso wirkt Euro BG-Beiträge bezahlt. Mit den ande- ein gutes Thema auch für Schulen. Mein wie bei Menschen mit Mig rationshinter- ren Ligen, auch mit der Hilf e des DOSB, Sohn zum Beispiel is t 2011 mit seinen grund. Basketball ist nicht nur „Müller , ist eine weitere Erhöhung dieser Beiträge Schulkameraden im Bus zur Fr auenfuß- Meier, Schulze“. Das zeigt auch die N atio- abgewendet worden. Da haben wir von der ball-WM von Köln nach Bochum gefahren nalmannschaft. Zusammenarbeit profitiert. --› worden. Ich hätte es mehr begrüßt, wenn er dieses Jahr von Köln nach Frankfurt ge- Sie wollen den Sport populärer machen. fahren wäre, um t ollen Rollstuhlbasket- Was macht ihn so besonders? ball zu sehen. Natürlich werden wir dafür bezahlt, dass wir Basketball für die bes te Sportart der Welt halten, aber wir ha ben auch schlag- kräftige Argumente: zum Beispiel eine Zielgruppe mit überdurchschnittlicher Bildung, mit überdurchschnittlichem Haushaltseinkommen. Und das Produkt selbst ist werblich nicht überlas tet, son- dern präsentiert sich aufgeräumt, sauber, vergleichsweise reduziert.
24 [ Tribüne ] Faktor Sport Das hört sich sehr harmonisch an. Die Vereine sehen, dass unsere gemein- sam erarbeitete Strategie verfängt. In der vergangenen Saison sind deutsche Spieler auf Einsatzzeiten von rund 30 Prozent an der Gesamtspieldauer g ekommen. Und das Nationalteam besteht zunehmend aus einer jungen, in Deutschland ausg ebilde- ten Generation, nehmen wir Maik Zirbes, Dennis Schröder oder Daniel Theis. Heute ist die Basis der Spieler, aus denen der Na- tionaltrainer auswählen kann, viel breiter. Dass ARD und ZDF zur EM sechs Spiele live übertragen und damit auf breit er Front Werbung für Basketball machen, liegt si- cher auch daran. Lässt sich das durchhalten? Ein anderes erklärtes Ziel von Ihnen lautet, bis 2020 die stärkste europäische Basketball-Liga Sie haben einiges unternommen, um den zu sein. deutschen Nachwuchs zu stärken, ein Es ist ein Wert an sich, an einmal g etroffe- Stichwort ist die 6+6-Regel (mindestens nen Beschlüssen festzuhalten; die 6+6-Regel sechs Deutsche auf dem Spielberichtsbo- gilt bis zur Saison 2014/15, das ist ja durch- gen, d. Red.). Würden fertige Stars nicht aus überschaubar. Aber natürlich disku- mehr beim Aufbau einer attraktiven Liga tieren wir offen mit den Clubs, falls etwas helfen? nicht funktioniert. Und die Vereine wissen, Das wäre kurzsichtig. Wir w ollen Basket- dass sie frühzeitig in die Überlegungen ein- ball mittel- und langfris tig noch besser bezogen werden. Nächstes Frühjahr ma- positionieren. Also beobacht en wir, was chen wir einen Zw ei-Tages-Workshop zur andere machen, etwa die europäischen Strategie und Entwicklung der Liga ab 2015. Partnerligen oder Handball und Eisho- Wir lassen also nicht etwa den Hammer fal- ckey. Stichwort „Wintermärchen“ der len, sondern nehmen uns gemeinsam et- Handball-Nationalmannschaft 2007. Auch was verbindlich und ehrgeizig vor. Wir werden natürlich kein schlechtes das hat uns damals bes tärkt, das Thema Wort hören, aber was bedeutet Uli Hoeneß „Nationalmannschaft und deutscher Nach- Stellt Bayern München eine Gefahr für die für die von Ihnen gepriesene Gesprächs- wuchs“ zu forcieren. Wir haben g elernt, sportliche Ausgeglichenheit der Liga dar? kultur in der Liga? welche Wucht so eine WM im eig enen Natürlich will Bayern mit seinem Erfolgs- Er ist eine Hilfe und Bereicherung. Dass Land entfalten kann und dass die N atio- anspruch, und der is t Kern der Mark e, wir uns in Einzelfragen mal konfronta- nalmannschaft das Zugpferd für die Sport- auch im Basketball ganz vorn sein. Letz- tiv begegnen, ist normal. Das war und art ist. te Saison Viertelfinale, diese Saison Halb- ist bei den Kollegen aus Berlin oder Bam- finale, da braucht man nicht viel F anta- berg zum Beispiel nicht anders. Wichtig Aber gerade im Handball zieht die Liga sie, sich den Anspruch für die kommende ist das Grundverständnis eines Systems daraus ganz andere Schlüsse: Ausländi- Spielzeit vorzustellen. Bei den anderen der kommunizierenden Röhren. Clubs sche Top-Spieler dominieren nach wie vor. wird der Ehrgeiz aber nicht geringer, dem wie Liga wird es immer geben. Wir sind Denken Basketball-Vereine langfristiger? etwas entgegenzusetzen. Ihre Frage kön- aufeinander angewiesen, das wissen alle Natürlich stehen unsere Clubs unter täg- nen wir also g etrost mindestens drei Jah- Beteiligten. lichem Leistungsdruck: Sie müssen Spiele re zurückstellen. gewinnen. Aber wir sind uns einig, dass Es gibt den Plan, mehr BBL-Standpunkte man auch vorausschauend investieren in den Metropolen zu entwickeln. muss. Das haben wir zuers t mit einer Ab- Wir haben drei Millionen Menschen in gabe versucht: Jeder Verein sollte acht Pro- Deutschland, die sagen, sie seien stark an zent seines Etats für Nachwuchsarbeit ver- Basketball interessiert, und r und zwölf wenden. Wir haben aber festgestellt, dass Millionen zumindest ein w enig Interes- das auf Dauer zu starr ist. Jetzt regeln wir sierte. Da klafft also eine große Lücke, die das flexibler und deutlich k omplexer. wir schließen wollen. Metropolen bieten Credit: picture-alliance Es geht weniger um den Königsw eg als einfach das größte Potenzial. um das Ergebnis, sprich: deutsche N ach- wuchsspieler zu fördern.
Faktor Sport [ Tribüne ] 25 Trotz der Partnerschaft mit SPORT1 wird immer wieder die geringe Medienprä- senz von Basketball kritisiert, etwa beim den diesjährigen Play-offs. Wie stehen Sie zu dem gebetsmühlenartig geforderten Sportkanal? Wir verbessern uns bemerkbar und fühlen uns nicht benachteiligt. Vielmehr glauben wir, dass unser P otenzial noch nicht v on allen erkannt wird. Also kein Bedarf? Sind Fußballstädte Ihre erste Wahl? Klar, ein solcher K anal wäre gut. Profes- Es ist deutlich zu beobachten: Der FC Bay- sioneller Sport in all seiner Vielfalt hät- ern ist eine so s tarke Marke, dass er der te es verdient, noch mehr angeboten zu ganzen Liga einen Schub gibt und neue werden. Wenn es zum Beispiel einen The- Zuschauer lockt.. Und der FC Bayern kann aterkanal gibt, is t doch nur schw er zu Die Zuschauer sind an Fußball gewöhnt. so seinen Partnern und Fans ein weiteres verstehen, warum es k einen Sportkanal Kann man sie einfach für Basketball ge- tolles Angebot machen. Das is t bemer- gibt. Aber ich möcht e mir ausdrücklich winnen oder müssen da Regeln und Ka- kenswert und unseres Erachtens vielleicht Nörgeln versagen und auch den V erweis meraführung angepasst werden? auch für Fußballclubs int eressant. Des- auf einen quasi gebührenrechtlichen An- Da treffen Sie einen Punkt: Wir müssen halb sprechen wir mit Vereinen wie Schal- spruch auf Übertragung. Wir müssen wei- unseren Sport besser erklären, denn er ke, HSV oder Dortmund. ter daran arbeiten, dass unsere Attraktivi- ist vom Regelwerk her k omplizierter als tät gerade von den öffentlich-rechtlichen etwa Fußball. Bask etball wird für mei- Was haben Sie ihnen erzählt? Sendern noch s tärker wahrgenommen nen Geschmack auch deutlich zu of t un- Wir haben bericht et, welche Überlegun- und abgebildet wird. terbrochen. Das mag in den USA, wo man gen wir v om FC Ba yern aufgenommen dann Popcorn holen oder einen W erbe- haben: Verlängerung der Marketingplatt- spot schalten kann, Anklang f inden. Bei form, Schaffung eines weiteren Angebo- uns ist es eher störend. Ein Fußballspiel tes, Ergänzung der Erfolgsmarke FC Bay- stoppt nur einmal, in der Halbzeit. U nd ern, Stützung des sportlichen Erfolges. die Zuschauer sind verwöhnt, hohe Auf- lösung, gute Analysen. Da haben wir bei Und wie ist die Rückmeldung aus- den SPORT1-Übertragungen trotz aller gefallen? Qualität noch Luft nach oben. kabel eins Sehr verhalten, aber doch höf lich interes- hat in der vergangenen Saison gezeigt, wie siert. Für uns als Lig a ist es einfach wich- es mit sehr hohem Aufwand gehen kann. tig, dass wir solche Möglichk eiten aufzei- Am Ende ist es aber wie immer: Qualität gen, um zu expandieren. ist auch eine ökonomische Frage. ] DER STRATEGE Jan Pommer betrachtet Themen gern grundsätzlich, strukturell und strategisch, zu Schnellschüssen und un- vorsichtigen Äußerungen neigt er nicht. Unklar ist, ob diese Neigung eher seiner juristischen Ausbildung oder seinem Naturell zuzuschreiben ist. Seit 2005 steht der 43-Jährige der BBL als Geschäfts- führer vor, sein Vertrag läuft bis Ende Juni 2015. Der eloquente Liga-Boss ist in vielen Organisationen und Gremien vertreten, unter anderem als Vizepräsident der Vereinigung der Sponsoring-Anbieter (VSA) und Vorstandsmitglied des europäischen Ligenverbandes (ULEB). In der „Initiative Profisport Deutschland“ ver- tritt Pommer seit 2009 die BBL-Interessen. 2010 kürte ihn die Fachzeitschrift „Horizont“ zum Sport- manager des Jahres. Dafür ausschlaggebend: der Er- folg bei der Akquisition des Liga-Sponsors Beko sowie die Etablierung eines festen Sendeplatzes bei SPORT1. 2016/2017 feiert die BBL 50-jähriges Bestehen.
26 [ Zeitgeist ] Faktor Sport LIT E R AT U R Es ist ein Spiel mit Vorurteilen und Ahnungen, das die beiden Autoren treiben. Sie nutzen die Autorität von Schaubildern und Diagrammen, um die gefühl- te Welt quasi-wissenschaftlich aufzubereiten und Vermutete aufzuschlüsseln: „Warum sind die Sitznachbarn im Flugzeug das Schlimmste am Fliegen?“ „Das gibt es laut ZDF-Filmen in Afrika“, „Wo werden die meisten Gewissheiten Leichen im Tatort gefunden?“ Und so geht es weiter – auch für den Sport. K Die Schaubilder sind frei erfunden, aber extrem un- ann das sein? Korrespondieren bei der bekann- terhaltsam, etwa bei der Frage, „Wofür Heimtrainer ten chauvinistischen Frage, „was Frauen beim benutzt werden“ oder „Gehe ich joggen?“. Kannten Fußball nicht verstehen“, die Erwartungen mit wir sie nicht schon immer, die Hürden, die sich ei- harten statistischen Fakten? Nein, eher nicht, nem selbst organisierten Bewegungsprogramm in den aber man kann den Eindruck bekommen, Weg stellen? Vermutete Gewissheiten präsentieren wenn man das Buch von Katja Berlin und Peter Grün- sich manchmal eben unspektakulär, genauso wie in lich in die Hand nimmt: „Was wir tun, wenn der Auf- einer Tortengrafik zur Antwort auf die Frage: „Wer zug nicht kommt. Die Welt in überwiegend lustigen ist der Idiot am Steuer?“ Ich – oder die anderen? mm Grafiken“. Ë Das Buch ist im Heyne Verlag erschienen (208 Seiten, 9,99 Euro), demnächst folgt die Fortsetzung: „Was wir tun, wenn es an der Haustür klingelt“. Ð ... vielleicht doch keinen Sport? Ê Ê Þ www.randomhouse.de/Taschenbuch/ Was-wir-tun-wenn-der-Aufzug-nicht- kommt/Katja-Berlin/e380885.rhd Die Friedensfaust Hamid Rahimi weiß, wovon er redet: „Sportler sind bessere Vor- den würde. Als er vor 20 Jahren als Flüchtling nach Deutschland bilder als Soldaten.“ Und so kämpft der Profiboxer auf seine Art kam, verlief sein Weg bald auf üblen Pfaden: Drogenabhängigkeit, dafür, Frieden nach Afghanistan zu bringen. Regelmäßig verfol- Kriminalität, schließlich Jugendgefängnis in Hamburg. Über das Credit: Osburg Verlag GmbH, RANDOM HOUSE GmbH gen Millionen Landsleute via TV seine Auftritte im Ring. Im Herbst Boxen, dem er sich seit 2006 intensiv widmet, fand er einen neuen vergangenen Jahres gewann er beim ersten professionellen Box- Weg – und seine Aufgabe: Frieden für die Heimat. Sein Leben ist kampf im kriegsgeplagten Land den WBO-Weltmeistertitel. Der nun als Buch erschienen, aufgeschrieben von Mariam Noori. mm Fight in Kabul hatte Missionscharakter: „Unglaublich. Es gab kei- Hamid Rahimi – Die Geschichte ne Schüsse an diesem Abend. Es war Frieden“, sagt Rahimi. Erschienen im August 2013 im Osburg Verlag, eines Kämpfers. 320 Seiten, 19,95 Euro Eine Biografie. Es war nicht abzusehen, dass der 30-Jährige zum Idol für Millionen Noch mehr über Hamid Rahimi erfahren Sie hier: Afghanen und Sendbote für ein einträchtiges Miteinander wer- Þ www.hamid-rahimi.com/leben-und-person.html
Faktor Sport [ Spiegelbild ] 27 Schatten Vereinsmitglieder fordern mehr Mitbestimmung, viele Vereinsmanager fürchten sich davor. Im Spannungsfeld zwischen digitaler Schwarmkommunikation und den Auswüchsen einer professionalisierten Vermarktung stoßen basisdemokratische Ansätze in Vereinen schnell an Grenzen. Daran erinnert nicht zuletzt ein ambitioniertes Projekt aus Köln. Text: Roland Karle
28 [ Spiegelbild ] Faktor Sport C lemens Tönnies sah mitg enommen aus. „Wir haben Prü- nate später war Hoffmanns Abschied vom Club beschlossen. „De- gel bekommen, wie ich es in meinen 19 Jahren noch nicht mokratie will gelernt sein“, titelte „Die Zeit“. erlebt habe“, sagt e der A ufsichtsratsvorsitzende des FC Schalke 04 nach der Jahreshauptversammlung Ende Juni. Ein Großteil der Mitglieder hatte sich über die Zusammen- Das Scheitern der Fußballpiraten arbeit mit dem Tickethändler Viagogo beschwert – und die Club- chefs leidenschaftlich beschimpft. Und direkte Demokratie erst recht. Trotz oder g erade wegen all Zu deren Unverständnis, denn sie meint en, einen richtig der digitalen Instrumente und Netzwerke, die sie vereinfachen. guten Deal für den Verein gemacht zu haben: Mehrmals pro Jahr deinfussballclub.de (DFC), das v on Fortuna Köln initiierte und durfte Viagogo maximal 300 K arten zum Doppelten des eigent- bundesweit wohl ehrgeizigste Projekt auf diesem F eld, ist letzt- lichen Preises verkaufen, Schalke sollte dafür 1,2 Millionen Euro lich daran gescheitert. kassieren. Doch für die Fans war dieses „Kartenverscherbeln“ ein Das Vorhaben war im April 2008 verheißungsvoll gestartet. Tabubruch, sie plädierten für „viaNOgo“. Zunächst setzte sich die Der ziemlich nor male und ziemlich g ebeutelte Fußballverein Vereinsführung durch, und Tönnies wurde mit beachtlichen 78 Fortuna Köln sollte sich in eine basisdemokr atische Ballgesell- Prozent der Stimmen wiedergewählt. Ein paar Tage später aber schaft verwandeln. Ausgerechnet die Fortuna, die jahrzehnte- kündigte der Club den taufrischen Vertrag – wegen angeblicher lang vom inzwischen verstorbenen Jean Löring geführt, geprägt Verstöße des Unternehmens gegen die Absprachen. und finanziert wurde, während einer Saison sogar ganz oben, in Das Beispiel Viagogo zeigt zw eierlei. Erstens: Mitglieder der Bundesliga (siehe Faktor Sport 1/2013). Inzwischen war die fordern mehr Mitspracherecht und widersetzen sich Entschei- Fortuna zu einem sportlichen Pflegefall geworden, spielte in der dungen, mit denen sie nicht einv erstanden sind. Zweitens: Ver- Verbandsliga, also in der sechsten Klasse. einsmanager tun sich schw er, mehr Mitbestimmung zuzu- lassen, vor allem wenn es um „Es gibt Themen, da wird das operative Geschäft und wirtschaftliche Beschlüsse geht – füg en sie sich, tun sie es in der R egel gezwungener- maßen. Zwar sehe die S truk- tur der deutschen Vereine vor, dass sich Mitglieder einmi- Transparenz schnell zum Eigentor“ schen und mitwirken, konsta- tiert Professor Ulrich Wagner Dirk Daniel Stoeveken, Mitinitiator des Projektes rojektes von der U niversität Marburg. „Doch die Bemühungen man- cher Fangruppen um Mitspra- che wird von den Vereinen und der Öffentlichkeit oft als Be- drohung dargestellt.“ Ein Konflikt, der sich vermutlich eher v erschärft als abschwächt. Der V orwurf der Bedrohung (des V ereins- wohls) wird g egenseitig erho- ben, tendenziell umso lauter, je weiter die Vermarktung des betroffenen Clubs fortschrei- tet. Einstweilen ist vor allem der Fußball betrof fen: Was VEREIN ZUM SELBERMACHEN die eine Seite als notwendige Die Idee zu deinfussballclub.de stammt aus Großbritannien, Professionalisierung forciert, wo der Sportjournalist Will Brooks 2007 „MyFootballClub“ (MyFC) fürchtet ein Teil der anderen gründete und die Mehrheit am damaligen Fünftligisten Ebbsfleet United übernahm. Es sollte ein Gegenmodell werden zu der als entwurzelnde Kommer- im englischen Fußball um sich greifenden Sitte, wonach sich zialisierung. Man denk e an Milliardäre aus aller Welt Clubs kaufen, um sie dann – aus Sicht den Hamburger SV: Die A us- der Fans – wie aufgepumptes Spielzeug zu behandeln. einandersetzung zwischen dem früheren Vorstandschef Wer Mitglied bei MyFC werden will, zahlt 50 Pfund (umgerechnet knapp 60 Euro) im Jahr. Die Idee, die Geschicke Bernd Hoffmann und der in- des Vereins per Klick mitgestalten zu können, fand in der ternen Opposition lief schon fußballinteressierten Web-Gemeinde schnell Anhänger. Doch die Credit: picture-alliance, corbis Jahre, als die Clubmitglieder Euphorie ließ fast genauso zügig nach. Von den anfangs 30.000 Anfang 2011 vier der F anorga- Mitgliedern sind lediglich 1350 am Ball geblieben. nisation „The Supporters“ na- hestehende Kandidaten in den Aufsichtsrat wählten. Zwei Mo-
Faktor Sport [ Spiegelbild ] 29 promisse: Gehaltsklassen wurden f estge- legt, und die Mitglieder k onnten abstim- men, ob ein Prof i zu diesen Konditionen verpflichtet werden solle oder nicht. Aber die Wünsche reicht en weiter, bis zur di- rekten Einflussnahme der Community auf die Mannschaftsaufstellung. „Das ging zu Einer unter 12.000: Filmregisseur Sönke Wortmann war Mitglied weit“, sagt Stoeveken, dem anfangs ebenso Nummer eins und Schirmherr von wie dem Anwalt Peter Josef Felden 40 Pro- deinfussballclub.de, geholfen hat‘s zent an deinfussballclub.de g ehörten; die leider nicht. Im vergangenen Jahr restlichen Anteile hielt der Internetunter- wurde das basisdemokratische Projekt bei Fortuna Köln abgewickelt nehmer (Finanzportal Onvista) und Inves- tor Michael Schwetje, bis heute wichtigster Geldgeber des Clubs. Fans wollen mitreden: klingt plausi- bel. Aber das auch: Weder Trainer, Spieler noch Sponsoren wollen sich permanent einem Vereinsplebiszit stellen. Stoeveken sagt, es gebe Themen, „da wird Tr anspa- renz schnell zum Eig entor“. Die Realität habe mit den Erwartungen nicht Schritt halten können. Das demokratische Dilemma Dass Interessen von Fans, Mitgliedern und Vereinsführung öfter auseinanderdriften, lässt sich nicht ändern. Aber man braucht einander. Die Anhänger eines Clubs „bil- den oft die einzig e Konstante, während Spieler, Trainer und Stadionnamen dau- ernd wechseln“, heißt es im Befund der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie an der Uni Marburg. Die Wissenschaf tler schla- gen vor, „ernst, intensiv und dauerhaft auf Augenhöhe miteinander zu verhandeln“. Doch die großen Trends scheinen die Su- Die Not war groß genug, um sich auf das Experiment einzulas- che nach Konsens zu erschw eren. Siehe Köln, siehe Hamburg, sen, Mitglieder zu Mitbestimmern zu machen, sie direkt und im siehe Schalke – siehe Stuttgart. Der VfB hatte schon vor Schalke Tagesgeschäft an Entscheidungen zu beteiligen. Wie viel die Sta- einen Vertrag mit Viagogo geschlossen. Auf den Gelsenkirchener dionwurst kostet, wie die Trikots aussehen, wer Trainer wird – Aufruhr hin versprach der neue VfB-Präsident Ber nd Wahler im darüber sollte via Internet abgestimmt werden. Finanzielle Ge- Juli, genau hinzuschauen, ob der Partner die Vereinbarung kor- genleistung: ein Jahresbeitrag von 39,95 Euro. rekt umsetze. Nun soll der Vertrag zum Jahresende auslauf en. Prominente Unterstützer wie Filmemacher Sönke Wort- Konsens? Immerhin. mann, der als Mitglied N ummer eins und Schir mherr beitrat, Vielleicht lassen sich die Konf likte zwischen Clubführung und der als Berater verpflichtete Ex-Nationalspieler Jens Nowotny und Clubanhängern unter anderem so erklären: Bei den F ans steigerten das Interesse an Deinfussballclub.de (DFC). Zu Spitzen- herrscht das diffuse (und oftmals konkrete) Gefühl, in den v on zeiten waren rund 12.000 Mitglieder registriert – davon ist For- Vermarktung, Marketing und PR g eprägten, unübersichtlichen tuna Köln weniger als die Hälfte geblieben, nachdem das Projekt Vereinsstrukturen zunehmend gegängelt oder übergangen zu 2012 abgewickelt worden ist. Als Premium-Mitglieder bekommen werden. Auf der anderen Seite sehen sich die Verantwortlichen, sie für ihren Jahresbeitrag heute unter anderem Live-Übertragun- lange Zeit eher mit einer schweigenden Mehrheit vertraut, der gen der Fortuna-Spiele, Chats mit Tr ainern und Spielern sowie Dynamik einer digitalisierten Kommunikation ausgesetzt. Der Freikarten geboten. schnelle Austausch in den sozialen Netzwerken erschwert die Un- Dirk Daniel Stoeveken, Mitinitiator des Projektes und bis terscheidung: Was ist einzelne Unmutsbekundung, was berech- zum Ende der vergangenen Saison Geschäftsführer der Fortuna tigtes Anliegen? Überreaktionen auf beiden Seiten sind die Folge. Köln Spielbetriebsgesellschaft, sagt: „Vielleicht ist der Fußball zu Das Dilemma scheint unauf löslich. Die Fortuna breiträu- emotional für eine breit ang elegte und direkte Mitwirkung der mig zu demokratisieren, hat in Köln dazu geführt, an starren Mitglieder. Es gab immer wieder Interessenkonflikte.“ Zum Bei- Mauern zu rütteln. Durchaus mit Gewinn, wie Stoeveken bilan- spiel wenn es um Werbepartner ging. „Einige potenzielle Geldge- ziert. „Wir haben uns auch dank deinfussballclub.de zu einem ber haben abgewinkt, weil sie die Verträge nicht öffentlich ma- modernen Verein entwickelt und damals eine A ufbruchsstim- chen wollten“, sagt Ex-DFC-Sprecher Burkhard Mathiak. mung erzeugt, ohne die wir v ermutlich nicht den A ufstieg in Können oder sollt en Verhandlungen über Spielergehälter die Regionalliga geschafft hätten.“ Und doch: Das Experiment als oder Ablösesummen öf fentlich sein? In Köln sucht e man Kom- Ganzes ist gescheitert. ]
Sie können auch lesen