Interkulturelle Zeitschrift am Internationalen Studienzentrum der Goethe-Universität Frankfurt 2010 - Magazin der Goethe Uni Frankfurt

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Interkulturelle Zeitschrift am Internationalen Studienzentrum der Goethe-Universität Frankfurt 2010 - Magazin der Goethe Uni Frankfurt
Interkulturelle Zeitschrift am Internationalen Studienzentrum
der Goethe-Universität Frankfurt                                 2010

                                                                Japan
Interkulturelle Zeitschrift am Internationalen Studienzentrum der Goethe-Universität Frankfurt 2010 - Magazin der Goethe Uni Frankfurt
Inhalt

                          Editorial ………………………………………… 3

                          Japan ist für mich … ……………………… 4

                          Sushi, Geisha & Co. ……………………… 5

                          Heinz – Big in Japan ……………………… 6

                          „Es rappelt in der Kiste“ – Theater …… 8

                          Nippon Connection ……………………… 10

                          Kitsune – Japanischer Volksgaube … 15

                          Haiku ………………………………………… 16

                          Das Blütenblatt der Sakura …………… 17

                          Wagner Love ……………………………… 18

                          Sprache ……………………………………… 21

                          Perspektiven ……………………………… 24

                          Der Boom regionaler
                          Maskottchen in Japan …………………… 27

                          Manga aus Deutschland ……………… 28

                          Cosplay ……………………………………… 30

                          Shadowrun ………………………………… 32

                          Japanische Videospiele ………………… 33

                          Migration …………………………………… 34

                          Kulinaritäten ………………………………… 41

2   Goethe D‘A r T 2010
Interkulturelle Zeitschrift am Internationalen Studienzentrum der Goethe-Universität Frankfurt 2010 - Magazin der Goethe Uni Frankfurt
Editorial

von Andrea Meierl

„Niemand von uns war zuvor jemals in Japan. Das ist ein Land, das so        Inselstaat im Pazifik einst zu einer der mächtigsten
weit weg ist“, erzählte uns Tilmann von der Frankfurter Band Wagner         Wirtschaftsnationen der Welt reüssieren würde, wanderten Tausende
Love bei einem Interview kurz nach der ersten Japantournee 2009             von JapanerInnen nach Brasilien aus, um der ländlichen Armut im
(Seite 18). Ähnlich reagierte auch unsere Redaktionsgruppe auf den          eigenen Land zu entfliehen. Viele ihrer Nachkommen leben noch
Vorschlag, eine Zeitschrift über Japan herauszugeben. Schließlich           heute als so genannte Nikkeis in Brasilien. Wie präsent ihre japani-
waren unsere Japankenntnisse vergleichbar mit den rudimentären              schen Wurzeln für sie sind, ist in unserer Reportage auf Seite 34 nach-
Kenntnissen der deutschen Bevölkerung, die wir auf der Straße nach          zulesen.
ihren Vorstellungen von Japan und den JapanerInnen befragten (Seite
5). Frei assoziierend wollte auch uns zunächst nichts Schlaueres einfal-       In Deutschland ist der Anteil der japanischen MigrantInnen zwar
len, als Stereotype wie Sushi, Manga, hohe Technologie, Freundlichkeit      nur verschwindend gering, aber Frankfurt nimmt als deutsche Stadt,
oder Teezeremonie aufzuzählen. Niemand aus unserer international            die nach Düsseldorf die meisten Japanerinnen und Japaner beherbergt,
zusammengesetzten Redaktionsgruppe kam zu diesem Zeitpunkt aus              in diesem Punkt eine besondere Rolle ein. Uns war es daher ein
Japan. Wie also konnten wir auf die aberwitzige Idee kommen, eine           Anliegen, JapanerInnen, die in unserer Region leben, zu Wort kommen
Zeitschrift über ein uns so fernes, fremdes Land herauszugeben?             zu lassen (Seite 39). In ihren Schilderungen erfahren wir, welche
                                                                            Schwierigkeiten und Möglichkeiten AusländerInnen haben, sich der
  Den Anstoß gab die Idee zu einem Artikel über das japanische              fremden, in ihrem Falle deutschen Kultur zu nähern. Ein Problem,
Filmfestival Nippon Connection. Dieses findet jedes Jahr im April in den    dem sich durchaus auch Deutsche zu stellen haben, wenn sie für län-
Gebäuden der Universität statt und gilt mittlerweile als das größte japa-   gere Zeit ins Ausland gehen, wie etwa unsere fiktive Figur Heinz.
nische Filmfestival der Welt. Selbst Besucher aus Japan reisen an, um       Heinz zeigt in seinem Blog (Seite 6), wie ein Europäer mit mangeln-
in Frankfurt japanische Filme zu sehen, die sie in Japan sonst niemals      den interkulturellen Kompetenzen in Japan unter Garantie negativ
zu Gesicht bekommen würden. Ein Ereignis dieses Ausmaßes direkt             auffällt und spiegelt so manche Erlebnisse überspitzt wider, die
vor unserer Haustür? Unser journalistisches Interesse war geweckt,          Japanologiestudierende während ihrer Studienreisen in Japan hatten.
Vorkenntnisse hin oder her.
                                                                              Da die Annäherung an eine fremde Kultur bekanntlich über den
   Dass unser Vorhaben letztendlich in die Tat umgesetzt werden konn-       Gaumen und mittels Sprache stattfindet, geben wir Tipps, an welchen
te, ist Dr. Eike Großmann und Dr. Cosima Wagner vom Fach                    Orten man in Frankfurt gut japanisch speisen oder japanische Zutaten
Japanologie der Universität Frankfurt und ihren Studierenden zu ver-        für die eigene Küche erhalten kann (Seite 42). Natürlich leiten wir
danken. Sie unterstützten uns maßgeblich bei der Konzeption der             auch zu selbstgemachtem Sushi an (Seite 44)! Erste sprachliche
Zeitschrift und durch ihre zahlreichen fundierten Beiträge. Unter ihrer     Kompetenzen lassen sich in unseren Japanisch-Schnellsprachkursen
Mitwirkung entstand eine Zeitschrift, welche Japans kulturelle              Drei x Fell heißt weich und Japanische Lautmalereien (Seite 21 bis 23)
Offenheit und Vielfalt betont. Dies zeigt sich an den Akzenten, die es      erwerben. Wer sich daraufhin berufen fühlt, Japanologie zu studieren,
in Film, Theater, Literatur und Popkultur setzt.                            kann sich weiter im Artikel 1945 Schriftzeichen (Seite 24) über die
                                                                            Anforderungen des Studiengangs informieren.
  Japan wirkt heute weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Vor
über 100 Jahren jedoch, als noch niemand daran dachte, dass dieser            Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre!

                                                                                                             Goethe D‘A r T 2010                 3
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Japan
ist für mich …

     … das OAG-Studienhaus in Kôbe, in
     dem ich drei Monate gelebt habe. Es ist
     ein altes Gebäude, das zwar seinen
     eigenen Charme hat, jedoch muss man
     auch mit allerlei kleinen Tierchen und
     sogar manchmal Wildschweinen im
     Garten rechnen.                                    … der Tôkyô-Tower, der Japans
                                                        stetigen Weg nach oben symbo-
     Christiane Rühle                                   lisiert. Trotz der Zerstörungen im
                                                        Zweiten Weltkrieg entwickelte sich
                                                        Japan zur zweitgrößten
                                                        Wirtschaftsnation der Welt.

                                                        Christiane Mögenburg

… Häuser bis zum Horizont – eine
Aussicht, die mich sehr beeindruckt und
gleichzeitig auch eingeschüchtert hat.
Noch nie zuvor hatte ich so eine weite,
dicht bebaute Fläche gesehen – und
das in alle Himmelsrichtungen!

Jutta Lingelbach
                                               ...nicht nur immer die
                                               Großstadt.

                                               Anna Surawska
4       Goethe D‘A r T 2010
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Sushi, Geisha & Co.

Das Japanbild des Abendlandes
Eine Umfrage im Land der untergehenden Sonne

                                                                     von Antje Grzelachowski und Anna Surawska

Am Römer, Frankfurt
  Wir fragten Passanten in der Frankfurter Fußgängerzone, welche Vorstellungen sie von Japan und den JapanerInnen haben. An der Umfrage
nahmen zwanzig Personen teil. Die Befragten waren Teenager, junge Familien mit Kindern, StudentInnen, RentnerInnen und auch
Geschäftsleute mittleren Alters.

Ranking:

                                                                                                               Diese Umfrage ist keine
                                                                                                            quantitative      empirische
                                                                                                            Erhebung, sie ist weder voll-
                                                                                                            ständig noch repräsentativ,
                                                                                                            sondern dient lediglich der
                                                                                                            Unterhaltung.

Einzelne Antworten:

 Japanische Gärten, Essstäbchen, Kultur, Technologie (Klowärmer,     Antworten bereit sind. Hauptsächlich Menschen über 50 dachten bei
TV, Handys), Baseball, roter Punkt auf der japanischen Flagge,       Japan spontan an Sushi oder Geisha. Während für viele Teenager, die
Kundenzufriedenheit, Hiroshima, Capsule Hotels, andere Kultur,       sich in ihrer Freizeit Anime anschauen und Manga lesen, Japan das
Gruppenzwang                                                         „Land der Technologie“ und des „technischen Fortschritts“ ist.

 Wir haben während der kurzen Umfrage vor allem festgestellt, dass     Einige der Jugendlichen konnten sogar auf Japanisch bis 10 zählen
Menschen keine Umfragen in Fußgängerzonen mögen und selten zu        und kannten diverse Begrüßungs- und Abschiedsfloskeln.

                                                                                                    Goethe D‘A r T 2010                5
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Heinz                                                                          Big In Japan
                                                                               Mein Japan-Blog
                                                                               von Jutta Lingelbach, Christiane Rühle

           er folgende Beitrag soll auf eine unterhaltsame Art und Weise das   wunderbar ruhigen Ort zum Entspannen. Es handelte sich um einen
 D         vermitteln, was man am besten schon vor einem Aufenthalt in
           Japan alles wissen oder wenigstens einmal gehört haben sollte. Es
                                                                               Tempel mit einem prächtigen roten Eingangstor. Da heute eine extre-
                                                                               me Hitze war, kam mir auch das dort befindliche Wasserbecken mit
wird eine Art Worst-Case-Scenario beschrieben, d.h. alles, was innerhalb       den bereit liegenden Kellen gerade recht. Ich nahm ein paar kräftige
weniger Tage schief gehen kann, geht auch schief, nicht zuletzt aufgrund der   Schlucke und setzte mich auf eine Bank in der Nähe, um meine
einzigartigen Persönlichkeit unseres Protagonisten Heinz, der in Form eines    Gedanken für das bevorstehende Meeting zu sammeln, schließlich
Blogs seine Erlebnisse direkt aus Tôkyô schildert. (Ähnlichkeiten mit real     wollte ich ja keinen Fauxpas begehen und so eventuell den Vertrag
existierenden Personen sind rein zufällig und nicht von uns beabsichtigt.)     gefährden. Die Zeit verflog und mein Magen, der sich langsam wieder
                                                                               beruhigt hatte, meldete sich zu Wort. Ich machte mich also auf die
Mein Profil:                                                                   Suche nach einem Restaurant und fand in einer Nebenstraße eine sehr
                                                                               gemütlich anmutende Gaststätte. Am Tisch sitzend brachte mir die rei-
   Hallo Leute, erst einmal vielen Dank, dass ihr euch meinen Blog             zende Kellnerin auch sogleich ein kleines Tuch. Eigentlich fand ich das
anschaut! Ich heiße Heinz, bin 35 Jahre alt und arbeite als Manager in         doch sehr unpassend, aber vielleicht ist das hier ja so Brauch und so
einer großen Firma. Ohne arrogant klingen zu wollen, aber ich mache            wischte ich den Tisch selbst damit ab. So wusste ich wenigstens, dass es
mich auch wirklich hervorragend, da ist es also kein Wunder, dass mein         ordentlich gemacht wird. Auf der Speisekarte konnte ich nichts von
Chef MICH dazu auserkoren hat, geschäftlich für einige Tage nach               diesen Hieroglyphen lesen und tippte willkürlich, abenteuerlustig wie
Tôkyô zu reisen, um dort mit potentiellen Geschäftspartnern einen              ich eben bin, auf ein Gericht. Was ich allerdings serviert bekam, war
Vertrag klar zu machen. Aber nun gut, ich werde jetzt noch schnell             unzumutbar: klebriger Reis mit einer undefinierbaren, noch klebrige-
meine Tasche packen und dann geht es morgen schon los! Mein näch-              ren braunen Pampe aus Bohnen, deren Geschmack doch eher an
ster Eintrag wird dann live aus Tôkyô kommen.                                  Batteriesäure erinnerte als an ein essbares Mittagsmahl. Ich konnte
                                                                               gerade noch rechtzeitig die Stäbchen in die Schüssel pfeffern und zur
1.Tag: Ankunft                                                                 Toilette stürzen. Zum Glück fand ich auf dem Weg zur Besprechung
                                                                               noch einen Laden, in dem ich mir ein Sandwich besorgen konnte.
   Ich bin angekommen, mehr oder weniger. Das Flugzeug-Essen hat
mir ein wenig auf den Magen geschlagen und ich freue mich schon auf               Jetzt aber endlich zum Meeting: ich weiß gar nicht, warum ich mir
mein Bett oder besser gesagt auf eine Matte auf dem Boden, denn man            Gedanken über das Treffen gemacht hatte, alles verlief einfach wun-
hat mich doch tatsächlich in einen traditionell japanisch eingerichteten       derbar. Alle Anwesenden übergaben mir zur Beginn ihre Visitenkarten
Raum einquartiert. Aber nun werde ich noch kurz von meiner Fahrt               und ich verteilte natürlich auch meine. Danach dann mein großer
vom Flughafen zum Hotel berichten: Die Fahrt begann doch recht selt-           Auftritt, mein Vortrag! Nach ungefähr 1,5 Stunden war ich auch schon
sam. Als ich mich vorne in das Taxi setzen wollte, habe ich an der             fertig und ich denke, es kam alles Wichtige rüber. Schließlich haben
Beifahrertür gezogen und gezogen, aber die Tür klemmte wohl. Anstatt           einige danach fast meditativ anmutend mit geschlossenen Augen
dass sich der Fahrer von innen bemüht hätte, die Tür aufzustemmen,             dagesessen und über mein Gesagtes nachgedacht… Danach ging es
fuchtelte er nur wie wild mit seinen Armen herum, ich verstand nicht,          dann gemeinsam zu einem diesmal sehr köstlichen Essen und danach
was er mir sagen wollte; aber nun gut, dachte ich mir, setzt du dich halt      zum Karaoke. Der Alkohol floss in Strömen und auch ich ließ mich
hinten hin, denn wie heißt es doch so schön in der einen Auto-                 dazu hinreißen, ein paar Lieder zu schmettern. Meine Interpretation
Werbung: Die wichtigsten Personen sitzen immer hinten. Am Hotel                von Frank Sinatra kam sehr gut an, ich wollte das Mikrofon gar nicht
angekommen wollte ich großzügig sein und steckte dem Herrn Fahrer              mehr abgeben, so gut hat es mir gefallen.
ein deftiges Trinkgeld zu, doch er lehnte es strikt ab, ist das zu fassen?!
Schon ein komischer Kauz… Ach ja, gerade eben habe ich auch eine               3.Tag: Onsen und Einladung
Erfahrung für mein Leben gemacht. Ich habe eine von diesen Hock-
Toiletten benutzt. Mein Rückenproblem und ich können dazu nur                     Nachdem das Geschäftliche nun größtenteils besprochen war, konn-
eines sagen: Eine ähnliche Haltung wie beim Abfahrtsski, nur eben mit          te ich heute die angenehmen Seiten meines Aufenthalts auskosten. Ich
runtergelassenen Hosen. Mit gemütlichem Zeitung lesen ist dann                 bummelte ein wenig durch die Stadt, bis ich dann am späten
natürlich auch nichts, ich wollte mein Schicksal ja nicht noch heraus-         Nachmittag zum ersten Mal einen Onsen in Anspruch nehmen konn-
fordern. Warum macht man daraus nicht einfach Fußbadbecken oder                te. Eine feine Sache! Mit meiner sportlichen Badehose erntete ich viele
ähnliches und stellt stattdessen richtige Toiletten hin?! So, ich werde        anerkennende Blicke. Ich war allerdings sehr überrascht, dass sich die
jetzt Schluss machen und mich hinlegen, ich will ja morgen fit sein für        anderen erst ausgiebig abschrubbten, bevor sie ins Becken stiegen. Ist
meinen Vortrag und die Verhandlungen.                                          das nicht etwas übertrieben? Ich habe mir diesen Vorgang jedenfalls
                                                                               gespart. Sehr viel Platz zum Schwimmen hat man allerdings nicht und
2.Tag: Erkundungstour und Meeting                                              die Wassertemperatur ist auch etwas gewöhnungsbedürftig, aber ich
                                                                               ließ es auf einen Versuch ankommen, mit meinem Schnorchel auf
  Heute war es soweit, das erste Treffen mit unseren japanischen               Tauchstation zu gehen. Kurz darauf kamen zwei seltsame Männer und
Freunden stand an. Da dieses jedoch erst gegen 15 Uhr stattfand, hatte         baten mich, das Bad zu verlassen. Spaßbremsen! Ich war gerade dabei,
ich noch ein wenig Zeit, Tôkyô allein unsicher zu machen. Ich erkun-           richtig Stimmung in den müden Laden zu bringen... Am Abend folgte
dete also ein wenig die Gegend um mein Hotel herum und fand einen              ich der Einladung meines zukünftigen Geschäftspartners, bei ihm zu

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Hause zu essen. Natürlich habe ich keine Kosten und Mühen gescheut            meine Mitfahrer nicht sehr positiv, als ich in der Bahn ein paar Mal
und mir für diesen Anlass ein besonderes Geschenk ausgedacht: Edle            kräftig schnäuzte. Ich selbst habe die ganze Zeit über keinen Japaner
bayrische Weißwürste mit Spitzensenf! Aber komischerweise waren               gesehen, der diese Taschentücher tatsächlich benutzt.
seine Gattin und er an meinem Geschenk überhaupt nicht interessiert.
Sie verbeugten und bedankten sich zwar, stellten es aber ungeöffnet in           Als meine Kollegen aus Deutschland anriefen, stand ich auch wieder
die Ecke. Ich war darüber dann doch etwas entrüstet, schließlich ging         im absoluten Mittelpunkt, denn mein i-phone ist schon ein echter
der Überraschungseffekt auf diese Weise völlig flöten. Ich habe mich          Hingucker. Ich konnte die neidischen Blicke selbst von hinten spüren!
dann dazu hinreißen lassen, das Geschenk selbst von seiner                    Und da mit großer Wahrscheinlichkeit niemand meine Sprache verste-
Zeitungspapierverpackung zu befreien, da sie sich partout nicht dazu          hen kann, konnte ich so viel und laut reden, wie ich wollte... ein befrei-
bewegen ließen. Sie schienen etwas irritiert, aber manche Menschen            endes Gefühl! Am Flughafen machte ich dann auch die erste
muss man einfach zu ihrem Glück zwingen! Die Freude war ihnen                 Bekanntschaft mit einer dieser sagenumwobenen Hightech-Toiletten.
letztendlich doch deutlich anzumerken. Ein Volltreffer, meine Idee!           Wahnsinn, was es da für Knöpfe gibt! Ich habe vorsichtshalber mal alle
Das Essen schmeckte übrigens ganz fabelhaft, obwohl ich keine                 gedrückt – und löste damit ein wahres Konzert aus. Klassische Musik,
Ahnung habe, was mir da serviert wurde. Aber ich bin ja anpassungs-           Springbrunnen, rotierende Klobrille…, aber die Spülung habe ich
fähig! Übrigens darf man in japanischen Häusern ja bekanntlich seine          nicht gefunden. Als ich dachte, ich hätte sie, ertönte ein schriller Alarm.
Schuhe nicht anbehalten, aber meine Gastgeber haben wohl bemerkt,             Vielleicht hätte ich den Knopf mit der roten Aufschrift doch lieber
dass ich an den Füßen fror und mir ganz reizende rosafarbene                  ignorieren sollen, aber der panikartige Tumult löste sich bald wieder
Schlappen hingestellt. Ich bemerkte sie, als ich zur Toilette ging – sehr     in Wohlgefallen auf und ich konnte unbehelligt meinen Rückflug
aufmerksam! Und ganz ohne dass ich etwas sagen musste! Ich habe sie           antreten. Abschließend kann ich nur sagen, dass diese Reise nach Japan
natürlich auch die ganze Zeit über anbehalten. Man muss solche klei-          auf jeden Fall eine wunderbare Erfahrung für mich war. Ich habe mich
nen Gesten schließlich würdigen.                                              schnell an die Gepflogenheiten angepasst und kann wohl mit Fug und
                                                                              Recht behaupten, dass ich dort ohne Probleme für längere Zeit leben
4. Tag: Abflug                                                                könnte. Vielleicht habe ich meine Berufung gefunden – denn ich könn-
                                                                              te mir durchaus vorstellen, als „Kulturbotschafter“ einige Workshops
  Leider habe ich mir nun am letzten Tag noch einen                                             für „Interkulturelle Sensibilität“ anzubieten. Etwas
ordentlichen Schnupfen eingefangen. Das ist zwar                                                   sauer stößt mir allerdings schon auf, dass sich
sehr lästig, aber ich bin wenigstens gut mit                                                       meine japanischen Vertragspartner bis jetzt noch
Taschentüchern versorgt worden – die werden                                                        nicht gemeldet haben... naja, man muss ihnen Zeit
einem nämlich unterwegs ständig in die Hand                                                        lassen. Ich bin ja geduldig.
gedrückt. Solche nützlichen Werbegeschenke habe
ich selten gesehen! Aber komischerweise reagierten                                                   In diesem Sinne: Sayonara!

    futon: Japanische Matratze.                                                                    steigt, ist eine gründliche Körperreinigung unerläs-
    Fährt man in Japan Taxi, setzt man sich üblicher-                                               slich, um den hohen Hygienestandard zu gewähr-
   weise auf die hinteren Plätze. Die Tür geht meist                                                leisten. Aufgrund der hohen Wassertemperatur
   automatisch auf.                                                                                kann man sich nicht allzu lange im Becken aufhal-
    In Japan gibt man normalerweise kein Trinkgeld und es wird, jeden-         ten. Die Zeit dient der Entspannung und nicht der Unterhaltung – zwar
   falls fernab internationaler Hotels, als Beleidigung betrachtet. Denn       kann man leise Gespräche miteinander führen, doch gilt ansonsten das
   guter Service wird als selbstverständlich angesehen.                        Gebot der Ruhe.
    Rote Eingangstore, japanisch torii, kennzeichnen meist nur shintoi-        Es gilt als unfein, Geschenke sofort nach ihrem Erhalt zu öffnen. Als
   stische Verehrungstätten, die als ”Schreine“ bezeichnet werden.             Zeichen der Wertschätzung wird das Geschenk unausgepackt auf
   Tempel werden die heiligen Verehrungsstätten des Buddhismus                 einen Tisch oder einer anderen Ablage platziert. Man muss dem
   genannt.                                                                    Geschenk schon an der Verpackung ansehen, dass es viel gekostet
   chôzuya/ temizuya: Kleiner Pavillon mit Wasserbecken zur rituellen          hat. Zeitungspapier ist hier definitiv nicht angebracht. Preis und
   Reinigung der Hände und des Mundes vor dem Betreten eines                   Markenname dürfen auch deutlich erkennbar sein.
   Schreins. Es handelt sich um kein Trinkwasser.                              In japanischen Haushalten gibt es spezielle Schlappen, die nur in dem
   o-shibori: feuchtes Erfrischungstuch oder kleines feuchtes Handtuch,        Raum, in dem sich die Toilette befindet, getragen werden dürfen.
   das dem Gast vor dem Essen gereicht wird, um damit Hände oder               Danach wechselt man in andere Pantoffeln oder läuft wieder auf
   Gesicht zu reinigen.                                                        Socken. Mit Toilettenpantoffeln aus dem Bad zu treten gilt als äußerst
   nattô: japanisches Gericht aus fermentierten Bohnen mit intensivem          unhygienisch und sollte dringend vermieden werden.
   Geschmack. Wird pur oder gemeinsam mit Reis verzehrt.                       Es ist in Japan verpönt, sich in der Öffentlichkeit oder im Beisein ande-
   o-hashi: Stäbchen. Stecken Sie diese bitte nie senkrecht in den Reis        rer die Nase zu putzen. Tatsächlich werden einem in der Fußgänger-
   und geben Sie auch kein Essen von Stäbchen zu Stäbchen weiter, da           zone aber häufig Taschentücher zugesteckt – ein Paradoxon?
   dies feste Rituale sind, die nur bei Trauerzeremonien durchgeführt wer-     Auch in der Bahn ist Ruhe angesagt. Wenn möglich sollte jede Aktivität
   den. Ferner gilt es als unhöflich, mit den Stäbchen auf Personen zu zei-    vermieden werden, die den Mitreisenden stören könnte. Dazu gehört
   gen. Nach dem Essen legt man die Stäbchen wieder auf das Tablett,           auch lautstarkes Telefonieren mit dem Handy.
   nicht quer über Schüssel oder Teller.                                       Moderne japanische Toiletten haben tatsächlich sehr viele
   onsen: Bezeichnung für eine heiße Quelle oder Bäder, die von heißen         Funktionen, die aber nicht alle unbedingt für einen normalen
   Quellen gespeist werden; das mineralienhaltige Wasser gilt als              Toilettengang von Nöten sind. Die vielen Knöpfe mit den unterschiedli-
   gesundheitsfördernd. Im onsen badet man nackt. Badekleidung ist             chen Aufschriften können durchaus zu einem unerwarteten Ergebnis
   nicht üblich und ein typischer Fauxpas. Bevor man in das Becken             führen...

                                                                                                                  Goethe D‘A r T 2010                      7
Interkulturelle Zeitschrift am Internationalen Studienzentrum der Goethe-Universität Frankfurt 2010 - Magazin der Goethe Uni Frankfurt
Es rappelt in der

Die freie Theaterszene in Tôkyô kurz nach der Jahrtausendwende
                                                               Kiste
von Lisa Mundt

W          er mit der Odakyu Odawara-Linie von Shinjuku bis
           Umegaoka fährt, den Bahnhof durch den Südausgang verläs-
                                                                         japanischen Theaterpreise gewonnen und war in Europa und Amerika
                                                                         auf Tournee. Er ist als Kommentator der freien Theaterszene in Tôkyô
st, sich nach rechts wendet und den Seven Eleven-Supermarkt passiert,    regelmäßig in den wichtigen Theaterzeitschriften vertreten und seit
gelangt nach wenigen Metern an eine Kreuzung. Dort ducken sich ein       2006 Vorsitzender der Japan Playwright's Association. Die Gruppe
Fahrradparkplatz und ein mehrstöckiges Wohnhaus unter den Gleisen,       Rinkôgun wird sowohl vom Publikum als auch von Kritikern in Japan
über die unentwegt die Züge hinwegdonnern. Dass sich im Keller die-      für ihre Verbindung von hohem ästhetisch-künstlerischem Niveau mit
ses unscheinbaren Gebäudes ein Theaterstudio verbirgt, ist auf den       politischen Stellungnahmen geschätzt und gilt als Aus-
ersten Blick kaum zu erkennen. Erst ein Blick auf die Eingangstür ver-   nahmeerscheinung in der freien Theaterszene: Dramaturgische
rät: Hier befindet sich die Umegaoka BOX, das Studio der                 Virtuosität und Performance lassen rasante Bühnencollagen entstehen.
Theatergruppe Rinkôgun.
                                                                           Dennoch haben Sakate Yôji und Rinkôgun trotz ihres Erfolgs eines
  Gegründet wurde die Gruppe vor mehr als 20 Jahren von Sakate Yôji      mit den meisten anderen freien Theatergruppen gemeinsam: den stän-
(geb. 1963), einem der renommiertesten Dramatiker und                    digen Geldmangel. Gastspiele im Ausland sind nur mit Fördergeldern
Theaterregisseure Japans. Mit seinen Stücken hat er die wichtigsten      möglich, Werbemittel und Miete für das Studio müssen durch

                                                                                                                                                Fotos: Rinkôgun

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Sponsoren finanziert werden, die Mitglieder von Rinkôgun pendeln           Store House in Ekoda auf einer Etage zwischen Supermarkt und
zwischen Theater und Teilzeitjob. Denn in der japanischen                  Mangacafé mit Körpern in Bewegung. Seit ihrer Gründung im Jahr
Kulturpolitik gelten ausschließlich die klassischen Bühnenkünste –         1994 hat die Gruppe unter der Leitung von Kimura Shingo (geb. 1957)
Nô, Kabuki, Kyôgen und Bunraku – als Repräsentanten der japani-            insgesamt sechs Performances erarbeitet, die die wechselseitige
schen Theaterkultur, staatliche Förderung beschränkt sich auf die rund     Beeinflussung von Körper, Bewegung und (Bühnen)Raum erforschen:
2500 öffentlichen Theater und Konzerthallen.                               Die sich immerfort bewegenden Körper erschaffen einen Raum, der
                                                                           wiederum Einfluss auf die Bewegungen der Performer nimmt.
   Und trotzdem: Die Szene boomt und brodelt und setzt unbeein-
druckt von der Konkurrenz des klassischen Theaters und der medialen          Rinkôgun und die Store House Company sind nur zwei Beispiele,
Populärkultur kreative Energie frei. In einem künstlerischen Milieu frei   die stellvertretend für die vielen anderen Theaterschaffenden die
von inhaltlichen und formalen Vorgaben und Einschränkungen hat             Vielseitigkeit der freien japanischen Theaterszene belegen. Die Szene
sich eine Vielzahl von Stilrichtungen und Theaterkonzepten herausge-       präsentiert sich kurz nach der Jahrtausendwende also überaus lebendig
bildet, die von einem ebenso heterogenen Publikum mit Begeisterung         und vielseitig. Gleichzeitig befindet sie sich im Umbruch, Grenzen
rezipiert wird.                                                            zwischen Theater, Tanz und Performance verschwimmen zunehmend.
                                                                           So arbeiten junge Theaterautoren wie Okada Toshiki (geb. 1973) auch
  Viele Gruppen der freien Theaterszene haben für ihre Arbeiten            für das Fernsehen oder verfassen Romane, was sich unmittelbar in ihrer
urbane Nischen in der Megastadt Tôkyô gesucht. Sie stehen damit in         Bühnensprache niederschlägt. Die Kritik spricht infolgedessen kaum
der Aufführungstradition des Untergrundtheaters der 1960er Jahre, das      mehr von Theater, sondern bevorzugt Begriffe wie Bühnenkunst oder
den klassischen Theaterraum verließ und sich in kleinen Theaterboxen       darstellende Künste.
einrichtete.
                                                                             Wenn auch abzuwarten bleibt, wie sich das Theater in den nächsten
 Zu ihnen zählt zum Beispiel die Performancegruppe Store House             Jahren entwickeln wird, ist eines klar: Es rappelt gewaltig in Tôkyôs
Company. Sie experimentiert nicht weit von Ikebukuro in ihrem Studio       Theaterkisten.

                                                                                                            Goethe D‘A r T 2010                9
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Nippon Connection:

Ein Festival nicht                                                                                        Interview mit Holger Ziegler
                                                                                                                von Kristina Hvasti
nur für Japan-Fans                                                                                      und Christiane Mögenburg

     I    n diesem Jahr fand zum neunten Mal das Nippon
          Connection Festival im Studierendenhaus Bockenheim auf
dem Gelände der Goethe-Universität Frankfurt statt. Mittlerweile hat
es sich zum weltweit größten japanischen Filmfestival entwickelt. Uns
hat interessiert, wie es zu dieser phänomenalen Entwicklung kam und
was das Besondere an Nippon Connection ist. Holger Ziegler, Mitglied
der Festivalleitung, hat sich die Zeit genommen und mit uns gespro-
chen.

Herr Ziegler, seit wann gibt es das Festival Nippon Connection, wie
ist es überhaupt entstanden?
Das erste Festival fand im Jahr 2000 statt und entstanden ist es aus einer
simplen Idee. Damals haben wir noch Filmwissenschaften zusammen
studiert. Aus unserer Sicht gab es zum damaligen Zeitpunkt viel zu
wenige Filme auf Festivals zu sehen. Wir sind dann zu dem Ergebnis
gelangt, dass wir uns nicht beschweren dürfen, wenn wir nicht bereit
sind, auch etwas dagegen zu tun, und stießen auf das japanische
Kulturinstitut in Köln, welches eine Filmbibliothek besitzt, wo man
sich Filme kostenlos ausleihen kann. Viele Kommilitonen wollten sich
auch daran beteiligen, also haben wir im Rahmen des Studiums einen
studentischen Workshop ins Leben gerufen. Wir sind nach Köln gefah-
ren, haben uns ein ganzes Auto voller Filme geholt und sie gesichtet.
Wir brauchten auch einen Ort, wo wir die Filmreihe zeigen konnten
und sind auf das Studierendenhaus in Bockenheim gekommen. Was als
kleine Idee begann, hat sich über einen „naiven Größenwahnsinn“
gleich zu einem Festival entwickelt. Wir haben gezittert, weil wir dach-
ten, es kämen vielleicht um die 1000 Leute, wenn wir Glück hätten.           richten den Blick auf uns, schauen was bei uns läuft. Wir haben da
Doch dann waren es beim ersten Festival schon gleich ca. 10.000 Leute.       wirklich eine Plattformfunktion. Nicht wenige Filme haben durch
Das erste Festival war ein riesiger Erfolg, und hat uns darin bestärkt,      ihren Anfang bei Nippon Connection eine internationale Karriere
weiterzumachen.                                                              gemacht. Ein schönes Beispiel sind die sogenannten „Pink“ Filme, die
                                                                             erotischen Filme. Von denen, die uns geschickt werden, wählen wir bis
Haben Sie das Festival rein privat finanziert                                zu zwei Filme aus, welche dann extra für Nippon Connection unterti-
oder sich auch Sponsoren gesucht?                                            telt werden. Indem die Filme bei uns und dann auf anderen Festivals
Wir haben schon erst einmal nach Sponsoren gesucht, aber noch bis            im Ausland laufen, erfahren sie auch in Japan ein größeres Interesse,
heute ist das Festival eklatant unterfinanziert. Im Prinzip trägt es sich    welches sie von alleine nie erhalten hätten. Nippon Connection kann
erst über die Besucher. Da wir nur Privatpersonen waren, haben wir das       hier als Startpunkt gesehen werden. Selbst Japaner kommen zu uns,
Jahr 2001 erst mal dazu genutzt, einen Verein (Nippon Connection             um sich japanische Filme anzusehen.
e.V.) zu gründen und Gemeinnützigkeit zu beantragen, damit wir eine
Rechtsform bekommen und das Festival veranstalten können. Von Jahr           Ist das Projekt sehr zeitintensiv?
zu Jahr wurde das Programm erweitert, und mittlerweile schicken wir          Mittlerweile ist es sehr viel Arbeit geworden, wir verstehen uns nämlich
die Filme sogar auf Tour.                                                    nicht als Studenten-, sondern als professionelles Festival, auch wenn
                                                                             wir uns hier im studentischen Kontext befinden. Die Arbeit an Nippon
Wurde es durch die Touren international bekannt oder war das                 Connection ist für ein halbes Jahr ein Fulltime Job. Wir arbeiten ehren-
Festivalprogramm hauptsächlich in Deutschland vertreten?                     amtlich, werden also nicht bezahlt. Das heißt jedoch, wir haben nor-
Es wurde international bekannt, die Nippon Connection ist mittler-           male Jobs nebenher, über die wir uns finanzieren, das kann schon sehr
weile weltweit das größte japanische Filmfestival, und andere Festivals      belastend sein. Wir platzen jetzt hier schon aus allen Nähten…

10           Goethe D‘A r T 2010
Sie haben dann auch sicher einen gewissen Qualitätsanspruch an              Was ist für Sie das Spezielle am japanischen Film?
das Festival?                                                               Zum einen die visuelle Erzählweise, bei der der Fokus mehr auf die
Ja, natürlich. Wir haben einen absoluten Qualitätsanspruch. Dazu            Bilder als auf die Geschichte gelegt wird. Zum anderen die zeitnahe
gehört, dass wir auch inhaltlich ein Programm bieten wollen, das eine       Herangehensweise, die es aufgrund des kurzen Produktionszeitraums
Bandbreite dessen, was in Japan produziert wird, zeigt. Beispielsweise      ermöglicht, aktuelle gesellschaftliche Strömungen zu integrieren.
wollen wir nicht nur Anime zeigen, weil sie jetzt gerade wirtschaftlich
erfolgreich sind. Wir wollen ein Festival sein, das auch mal gegen den      Wie haben Sie den Namen des Festivals „Nippon Connection“ aus-
Strom schwimmt. Natürlich haben wir auch immer ein paar Anime in            gewählt?
unserem Programm, denn man will ja die Leute mit etwas locken, das          Darüber haben wir lange diskutiert. Der Name sollte gut zu behalten
sie interessiert, damit sie dann vielleicht auch in einen Film gehen, den   sein, aber auch zeigen, wie wir uns präsentieren. Uns war es dabei auch
sie sich normalerweise nicht angesehen hätten. Wir selbst sind keine        wichtig, die Bindung von Deutschland und Japan zum Ausdruck zu
Japanologen, wir haben allerdings ein paar in unserem Team. Wir             bringen. Irgendwann kamen wir dann auf „Nippon Connection“, hat-
haben auch keine Sendungsbotschaft oder eine Idee, was Japan ist, son-      ten aber leichte Bedenken, da dies ebenfalls der Name eines Romans ist
dern wir wollen Diversität bieten. Jeder soll sich sein eigenes Bild von    („Die rote Sonne“), in dem es um die Mafia-Strukturen in Japan geht.
Japan machen können. Deswegen war es uns auch wichtig, eine                 Trotz aller Bedenken haben wir uns aber dafür entschieden, denn den
Bandbreite des Schaffens zu bieten, die Leute auch einmal mit einem         Titel „Nippon Connection“ kann man sich gut merken.
anderen Blickwinkel zu konfrontieren, ihnen das zu zeigen, was sie
noch nicht kannten oder nicht erwartet haben. Es ist auch sehr schön,       Wie würden Sie die Festivalatmosphäre bei Nippon Connection
dass wir ein Publikum haben, welches verschiedene Interessens- und          beschreiben?
Altersgruppen abdeckt, denn darüber gibt es einen vielfältigen              Es ist eine sehr kommunikative, interaktive Atmosphäre, was uns wich-
Austausch.                                                                  tig ist. Die Leute sollen sich nicht nur wohl fühlen, sondern sie sollen
                                                                            auch angeregt werden zu erleben, zu sehen, zu entdecken. Natürlich ist
Wie wichtig sind ehrenamtliche Helfer für Nippon Connection?                es auch wichtig, dass wir immer Gäste dahaben, z.B. japanische
Ehrenamtliche Helfer haben wir von Anfang an aktiv gesucht. Wir             Filmemacher, so dass auch Begegnungen möglich sind und die
organisieren das Festival zwar, aber in der Organisation ist natürlich      Schranken und Hemmschwellen fallen. Man soll etwas Neues erfah-
das ganze Jahr über viel zu tun. Wir haben in den fünf Tagen des            ren, aus seinen Nischen hinauskommen und sich austauschen können.
Festivals mehrere tausend Besucher. Mit nur einer Hand voll Leuten
kann man sie natürlich nicht versorgen. Wir waren also von Anfang an        Nehmen Sie die Auswahl der Filme vor oder kommt es auch immer
darauf angewiesen, dass wir zusätzlich zum Organisationsteam des            darauf an, wer sich jetzt bei Nippon Connection bewirbt oder wer
Festivals auch noch Leute haben, die beim Aufbau helfen und während         gerne seinen Film hier zeigen möchte? Oder ist es vielleicht ein Mix
des Festivals präsent sind. Wir fanden in der Hinsicht auch immer           aus beidem?
Zuspruch. In dem Maß wie das Festival gewachsen ist, ist auch unsere        Es ist Mix aus beidem. Natürlich gibt es ein Auswahlplenum. Wir ent-
Datei mit potentiellen ehrenamtlichen Helfern gewachsen, die von uns        scheiden, welche Filme laufen. Es gibt natürlich auch immer
jedes Jahr neu kontaktiert werden. Viele machen schon seit dem ersten       Einreichungen von Filmen, wir fahren auf Festivals, lassen uns Filme
Festival mit und es kommen stetig neue Leute dazu. Dadurch, dass das        schicken... das heißt, wir versuchen, so viele Filme wie möglich zu
Festival immer an demselben Ort stattfindet, ist es noch sehr familiär.     sehen, aus denen wir auswählen. Auch legen wir Schwerpunktthemen
Wir haben sehr oft erlebt, dass Helfer dem Organisationsteam beitre-        fest. Dieses Jahr haben wir unser Programm auf die japanischen
ten, weil es ihnen bei Nippon Connection so großen Spaß gemacht hat         Regisseurinnen und den Pink Film ausgerichtet.
und sie sich gerne mehr einbringen möchten. Die persönliche kommu-
nikative Ebene, auf der jeder sich auch ein Stück weit einbringen kann,     Glauben Sie, dass das Festival auch bei Besuchern, die erst mal
ist uns wichtig, auch wenn es uns nicht immer gelingt, alles umzuset-       nichts mit Japan zu tun hatten, doch Interesse weckt?
zen. Wir wollen den Helfern klarmachen, dass sie wichtig sind, dass         Ja, auf alle Fälle, allein schon durch die Bandbreite unserer Filme und
das Festival ohne sie nicht stattfinden würde. Wir haben während des        unser Rahmenprogramm ist eigentlich immer für jeden etwas dabei.
Festivals um die 150 Helfer, die in den unterschiedlichsten Bereichen       Das Festival hat einen sehr guten Ruf regional, in Frankfurt, aber auch
mitwirken. Wir können ja planen, was wir wollen, wenn wir nieman-           auf internationaler Ebene.
den haben, der den Einlass am Kino macht, kommt keiner ins Kino.
Ihr kennt ja das Studierendenhaus hier. Wir stecken eine ganze Woche
Arbeit hinein, um es zu renovieren, alles aufzubauen und eine anspre-          Der Erfolg des Filmfestivals Nippon Connection beruht auf
chende Atmosphäre zu schaffen.                                                 dem Engagement seiner ehrenamtlichen Helferinnen und
                                                                               Helfer. Wer das nächste Filmfestival im April tatkräftig unter-
                                                                               stützen möchte, kann sich bewerben unter
                                                                               info@nipponconnection.com.
                                                                               http://www.nipponconnection.com

                                                                                                              Goethe D‘A r T 2010                11
Nippon Connection:
pinku eiga
                                                                                                             von Martina Lenhardt

B          eim diesjährigen Nippon Connection Festival vom 15.-19.
           April stand neben vielerlei kinematografischen
                                                                        ten pinken Farbfilme [!]. Viele spätere Mainstream-Filmemacher sam-
                                                                        melten ihre ersten Regieerfahrungen im Pink Film-Genre, so etwa
Neuproduktionen und (pop-)kulturellen Themen im reichhaltigen           Kiyoshi Kurosawa, der mittlerweile internationale Erfolge mit Feature-
Rahmenprogramm auch ein hierzulande eher unbekannter                    Filmen wie BRIGHT FUTURE (2003) oder TOKYO SONATA
Schwerpunkt der japanischen Filmlandschaft im Zentrum: pinku eiga.      (2008) feiert.
Die Bezeichnung pinku eiga, zu englisch „Pink Film“, charakterisiert
ein filmisches Genre, das keine genaue Entsprechung im Westen kennt.       Der Frage, ob es sich im Pink Film nun um „Kunst oder
Es steht für unabhängig produzierte pornografische Filme, die mit       (S)Exploitation“ handelt, wurde sich während des Nippon Connection
Minimalbudget auf 35mm gedreht werden und zudem häufig ästhe-           Festivals auf vielfache Weise angenähert. So belegen einmal die ausge-
tisch experimentell arbeiten – mitunter sogar politisch agitativ sein   wählten Filmbeispiele die große Heterogenität des Genres, wie auch
können. Sowohl politische Statements als auch sichtbar gemachte         die Unterschiedlichkeit der teilweise nach Frankfurt gereisten und für
Sexualität unterliegen in Japan äußerst strengen Auflagen und sind      Gespräche zur Verfügung stehenden Regisseure, dass sich „der“ Pink
nach wie vor im Mainstream-Film kaum zu finden. Selten länger als 70    Film nun wirklich nicht auf mehr als einen kleinsten gemeinsamen
Minuten, gehen auch Filme des pinku eiga über bestimmte                 Nenner zusammendefinieren lässt. Somit wird eine grundsätzliche
Zensurmargen nicht hinaus – oder finden vielmehr Grauzonen, in          Beantwortung der Frage zwar nicht gänzlich umgangen, jedoch umso
denen das Zeigen von Genitalien durch uneindeutige Einstellungen        stärker auf die einzelne BetrachterIn zurückgeworfen: So erhält das
pro forma auch als Aufnahme eines unproblematischen Körperteils         Publikum des Films PARTING PRESENT (2008), der – anders als das
verkauft werden kann.                                                   eigentliche Pink Film-Programm – nicht im Deutschen Filmmuseum,
                                                                        sondern im Festivalzentrum gezeigt wird, mitunter ungewollte
   1962 läutet die Geburtsstunde des Pink Film mit NIKUTAI NO           Einblicke in die Welt des Softpornos.
ICHIBA (MARKET OF FLESH) von Kobayashi Satoru. Daran
anschließend setzt ein Boom der Pink-Produktionen ein, deren Filme         Frau Izumi findet nach dem Tod ihres Mannes heraus, dass er sie mit
sich vor allem an das heterosexuelle männliche Publikum richten.        einer anderen Frau betrogen hat. Beim Versuch, nach dieser Frau zu
Angesichts der rasanten Verbreitung des Fernsehens und des damit ver-   fahnden und Rache zu üben, entwickelt Izumi eigene sexuelle
bundenen Rückzugs vom Kino in den privaten Raum, hat auch die           Phantasien über die normierten Grenzziehungen des monogamen
japanische Filmindustrie mit einer rapide abflauenden Konjunktur zu     Eheversprechens hinaus und erlebt sie – zunächst und immer wieder
kämpfen. Der Vorteil der unabhängig arbeitenden Kleinststudios, in      als eben Imaginiertes, mehr und mehr jedoch aus als ausgelebte Praxis.
denen die Pink Filme entstehen, verhilft pinku eiga inmitten dieser     Während sich traumhafte Sequenzen und spielerische Phantasieräume
schwierigen 60er Jahre, sich zum quantitativ größten Genre in Japan     mit alltäglichen Szenen in Izumis Wohnung oder im öffentlichen
zu entwickeln, und diesen Status bis zum heutigen Tage halten zu kön-   Alltag abwechseln, gerät die ordentliche Trennung zwischen Wunsch
nen. Damals wie heute werden Pink Filme in speziellen, nicht-kom-       und Wirklichkeit ins Wanken – auch und gerade auf der Ebene der
merziellen Kinos gezeigt und sind nach wie vor als nicht-jugendfrei     Bilderzählung. Gleich zu Beginn konfrontiert PARTING PRESENT
gekennzeichnet.                                                         die ZuschauerInnen mit pornografischen Sequenzen, die in unerwart-
                                                                        barer Schnittfolge in die Narration „auf der Straße“ hineinragen.
   Unter dem thematischen Feld „NIPPON RETRO – SEXPLOITA-               Mamoru Watanabe, der zur Internationalen Premiere seines Films in
TION AND EXPERIMENTATION: THE MANY SHADES OF                            Frankfurt persönlich anwesend war, gilt als Veteran des Pink Films und
PINK FILM“ stellte die Programmkoordination des Festivals einen         ist zur Zeit seiner aktuellen Produktion bereits 78 Jahre alt.
vielfältigen Einblick in das Genre zusammen, und man hatte während
der vollen fünf Festivaltage Gelegenheit, mehr über den Pink Film zu      Beim Schauen der Filme steht die Vermischung von Künstlerischem
erfahren. Die Forcierung des künstlerischen Anspruchs innerhalb des     und Pornografischem jedes Mal erneut auf dem Spiel. Und diese
pinku eiga wird beispielsweise an der 1995er Produktion TEARS OF        Vermischungen zeigen sich – manchmal komisch, bisweilen schockie-
ECSTASY von Hiroyuki OKI augenscheinlich: OKIs einziger hetero-         rend und erotisch, oft befremdlich – als sich gegenseitig hervorbrin-
sexueller Pink Film besteht wie eine mathematisch anmutende             gende Kräfte desselben Kinoereignisses. Und das will vielleicht einfach
Schnittform aus 60 Einstellungen von jeweils genau 60 Sekunden.         nur heißen, dass die Frage nicht beantwortet werden muss, mit der das
   Aber auch frühere Vertreter aus den Jahren 1969 (BLUE FILM           diesjährige Scheinwerferthema im Programmheft des Festivals proble-
WOMAN von Kan MUKAI), 1970 (SECRET HOT SPRING                           matisiert ist. So entsteht jenes Changieren zwischen Erotisch-
RESORT: STARFISH AT NIGHT von Mamoru WATANABE) und                      Anziehendem und komplexer Erzählung, zwischen Abstraktion und
1971 (GUSHING PRAYER von Masao ADACHI) waren im                         intimer Geste letztlich immer während des Betrachtens selbst, und ist
Programm zu sehen – BLUE FILM WOMAN war dabei einer der ers-            nicht als im Film bereits Festgeschriebenes zu verstehen.

12          Goethe D‘A r T 2010
Genius Party &
                                                               Genius Party Beyond
– Der Name ist Programm                                                                                                   von Kyra Jäger

 F       ilmfestivals wie Nippon Connection geben Künstlern die
         Möglichkeit, ihre Werke abseits vom Massenmarkt einem
                                                                            Der Titel Genius Party Beyond lässt zunächst vermuten, dass die
                                                                          Regisseure noch tiefer in ihre Materie eingestiegen waren als beim
größeren Publikum zugänglich zu machen. Dieses Jahr wurde das             ersten Teil. Überraschenderweise erfuhr das Publikum jedoch nach der
Festival durch zwei ganz besondere Anime-Kurzfilm-                        Präsentation von einem der Regisseure, dass Beyond sich eher auf den
Zusammenstellungen verschiedener namhafter Regisseure bereichert,         verpassten Abgabetermin bezog als auf die Fortsetzung des ersten Teils.
nämlich durch Genius Party und Genius Party Beyond.                       Dennoch ist der zweite Teil ebenso abwechslungsreich wie der erste
                                                                          Teil, wenn auch etwas kürzer:
   Zu Beginn der Reihe Genius Party wird der Zuschauer langsam und
bedächtig in die phantasievollen und manchmal auch grotesk anmu-             Gala ist ein Mix aus Magie, Völkern, einem alten phantasievollen
tenden Welten gesogen. Im gleichnamigen Einführungsfilm scheint           Japanbild und der Liebe zur Natur. Die musikalische Untermalung
ein großer Vogel seine Liebe zum Film in die Hirne und Herzen von         reißt den Zuschauer ebenso mit in schwindelerregende Höhen wie die
Steinen einzupflanzen, die sich letztlich in Projektoren verwandeln       Helden und ringt ihm am Ende geradezu ein friedliches Lächeln ab.
und die Wüste, in der sie leben, in gleißendes Licht tauchen. Weiter      Überaus witzig und derb geht es dagegen in Moon Drive zu. Eine krimi-
geht es mit einer spaßigen Hommage an die Phantasie bei Shanghai          nelle, unglaublich schräge Truppe versucht, einen Schatz zu ergattern
Dragon: In einer ärmlichen und dystopischen Zukunft kann nur ein klei-    und stürzt dabei regelrecht vom Regen in die Traufe. Vor allem das
ner Rotzbengel aus China die Welt retten, weil er noch weiß, wie man      Design und die alles andere als klischeereiche Chefin bleibt einem
träumt und wünscht. Gerade er zeigt übermenschlich starken Cyborgs        unwillkürlich im Gedächtnis. Bei Wanwa werden wir ähnlich wie im
eine ihnen längst vergessen geglaubte Welt der Phantasie.                 ersten Teil der Genius-Party-Reihe in eine Kindheitswelt entführt, die
                                                                          allein schon durch die Wahl des Designs hervorragend umgesetzt wird:
  In Deathtic 4 stromert eine kleine Gruppe von netten Zombiekindern      Alles sieht aus, als wäre es mit Straßenkreide gemalt. Scheint die
durch die stilistisch an Nightmare Before Christmas erinnernde Stadt      Botschaft des Films lange Zeit zumindest tendenziell vorhersehbar zu
und versucht das einzig lebendige Wesen, einen Frosch, wieder nach        sein, überrumpelt den Zuschauer doch das etwas seltsame Ende, das
Hause zu schicken. Dabei gerät sie in abstruse Situationen. In Doorbell   die Szenen des Filmes unvermittelt in ein anderes Licht rückt. Dimension
geht es ernster zu, der sehr normal anmutende Hauptcharakter wird         Bomb ist ein Film, den man sehr aufmerksam verfolgen muss, da er pha-
von einem verschmitzten Doppelgänger verfolgt, der ihn so lange ver-      senweise nicht chronologisch bzw. überlappend ist. Es fällt anfangs
einsamen lässt, bis er fast paranoid wird. Doch eine Türklingel ver-      schwer so etwas wie einen roten Faden zu erkennen. Kurz: Technisch
spricht Hoffnung.                                                         sehr gut umgesetzt, inhaltlich dem Titel des Werks sehr treu, (mehr-
                                                                          maliges Anschauen) empfehlenswert!
  Limit Cycle überwältigt mit einem gekonnten Mix aus brillanten
Animationstechniken und philosophischen Fragestellungen. Aufgrund           Den Abschluss bildet der Beitrag Toujin Kit, bei dem wir einer jungen
der Sprachbarrieren und der ständigen Wechsel der Denkansätze fällt       Frau dabei zusehen, wie sie ihr tristes, graues Leben führt- Die einzige
es aber schwer, gleichzeitig dem Bild und der Sprache zu folgen.          Farbenpracht geht von einer Art Lebewesen aus, das sie illegal züchtet.
Dennoch ist dieser Film ein Muss und bringt die nötige Ernsthaftigkeit    Die Präsentation wirkt gelungen, die Stilmittel gut eingesetzt, manch-
in das Projekt. Bei Happy Machine fällt der Zuschauer regelrecht in die   mal aber vielleicht etwas zu gut, wirkt der Film doch ab und an etwas
zuweilen alptraumhafte Welt eines Kleinkindes und verliert sich zwi-      langsam und dröge. Trotzdem eine gut inszenierte Mahnung an eine
schen Filmrealität und Traumwelt. Die oberflächliche Darstellung der      konforme Gesellschaft ohne Lebenssinn und Lebensbejahung.
Welt kontrastiert wunderbar die eigentlich nachdenklich stimmende
Geschichte.                                                                 Abschließend kann ich sagen, dass das Projekt Genius Party seinem
                                                                          Namen durchaus gerecht wird. Selten hat man die Chance, die tech-
  Baby Blue führt uns wieder etwas zurück in die Realität und zu den      nisch als auch inhaltlich herausragenden Anime solch namhafter
Abenteuern, die es im wahren Leben zu bestehen gilt. Der Film spielt      Regisseure (die u. a. bei Nausicaä - Aus dem Tal der Winde, Animatrix,
mit dem allseits bekannten Problem, wie man gleichzeitig die eigene       Cowboy Bebop usw. mitwirkten) zu sehen. Aufgrund der Vielfalt der
Zuneigung für jemanden selbst anerkennt, mit Veränderungen umge-          Beiträge fällt es mir schwer, ein Fazit zu ziehen, reicht doch das
hen muss und seinen Charakter stärkt. Der Film ist ein gekonnter          Beschreibungs-Repertoire von apokalyptisch bis hin zu zynisch. Aber
Abschluss des ersten Projekts, der uns nach all den kuriosen Welten       es gibt zwei wichtige Vorrausetzungen, die bei jedem Beitrag erfüllt
wieder aus dem Kinosaal hinaus in die Realität entlässt.                  werden: Kreativität und Leidenschaft.

                                                                                                            Goethe D‘A r T 2010                13
Nippon Connection:
Wenn die Kirschblüte
nach Westen fliegt
                                                                                    – Der japanische Film in seiner Entwicklung
 von Anna Surawska

 D         er moderne japanische Film erlangt eine immer größere
           Aufmerksamkeit in der westlichen Filmbranche und erzeugt
                                                                               Nachkriegszeit zwischen 1950 und 1960 sehen. Nach den langen
                                                                               Jahren des Kriegs und der Besatzungsjahre unter US-amerikanischer
ein immer größeres Publikum. Das in Frankfurt seit dem Jahr 2000               Führung fand der Staat seine lang erhoffte Unabhängigkeit. Durch die
jährlich stattfindende Film-Festival „Nippon Connection“, das sich             Aufhebung der Zensur war ein Durchbruch des Verbotenen und
weltweit als das größte Festival des japanischen Films bezeichnen kann,        Tabuisierten auch in der Kunst möglich. Während in der Kriegs- und
ist ein Zeugnis des wachsenden Interesses auch hierzulande.                    Nachkriegszeit vermehrt Historiendramen gezeigt wurden, wurde das
   Die Geschichte des japanischen Films setzt fast zeitgleich mit den          Kino nun zu einem Ort der Massenaufklärung. Es bot damit zugleich
westlichen Filmproduktionen ein. Im Jahr 1896, nur drei Jahre nach             die Möglichkeit einer Wiederbelebung des Nationalstolzes.
der Erfindung des Kinetoskops von Thomas Edison, gelangt ein sol-                 In den 1950er Jahren erhielt der japanische Film wieder internatio-
ches Gerät zum ersten Mal nach Japan, genauer gesagt, nach Kôbe.               nale Aufmerksamkeit. Durch mehrere Auszeichnungen auf weltweiten
Unter größtem Aufsehen fand am 25. November 1896 eine erste                    Filmfestivals wurden die Regisseure in ihrer Arbeit bestätigt. Als
Vorführung im Kreise der kaiserlichen Familie und weniger ausge-               Beispiele dafür können u.a. „Das Ergebnis der Atombombe: Hiroshima
wählter Persönlichkeiten statt. Einen Monat später wurde er der                und Nagasaki“, 1946 (Genshi bakudan no kôka: Hiroshima, Nagasaki)
Öffentlichkeit präsentiert.                                                    von Iwasaki Akira, „Hört, die Stimme des Meeres!“, 1950 (Kike, wadat-
   1897 importierte Inahata Katsutarô den Kinematograph der                    sumi no koe) von Sekigawa Hideo sowie „Das Kriegsschiff Yamato“,
Gebrüder Lumiére nach Ôsaka. Ein dafür speziell eingeladener                   1953 (Senkan yamato) von Yutaka Abe gelten.
Kameramann aus Frankreich nahm in Kyôto mehrere kurze Filme auf,                  In den 1970er, 80er und 90er Jahren geriet das Kino jedoch durch
die danach in Tôkyô vorgeführt wurden. Doch mochte man nicht                   eine rapide Abnahme der Kinobesucher in eine schwere Krise. Obwohl
immer nur ausländische Kameramänner bestellen, um in Japan die                 sich im Zuge der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre viele
Geräte zu benutzen. Asano Shirô war schließlich der erste Japaner, aus         Filmgesellschaften auflösen mussten, überlebte der japanische Film.
dessen Hand die ersten Aufnahmen eines Landsmanns stammen. 1898                Denn Japan registrierte immer mehr ausländische Regisseure im Land,
nahm er zwei Kurzfilme auf: „Die verhexte Schutzgottheit“ (Bakejizô)           verlegte häufiger die Dreharbeiten ins Ausland und ging
und „Wiederbelebung eines Toten“ (Shinin so sosei).                            Kooperationen auf dem internationalen Filmmarkt ein. Japanische
   Obwohl der Import der Aufnahmegeräte bis dato noch die technolo-            Filmproduktionen erlangten große Erfolge auf den bedeutenden
gische Überlegenheit Amerikas und Europas gegenüber Japan wider-               europäischen Filmfestivals. Besonders hervor trat die Verfilmung von
spiegelte, wurde die Filmproduktion in Japan aufgenommen, wenn                 Abe Kôbô’s „Die Frau in den Dünen (Suna no onna) durch
auch nur auf niedrigem Niveau. Denn trotz des großen Erfolgs von               Teshigahara Hiroshi, der schon bei den Filmfestspielen von Cannes im
Onoue Matsunosuke, dem ersten männlichen japanischen Filmstar                  Jahr 1956 den Spezialpreis der Jury bekam; oder „Die Ballade von
(Hauptrolle in 1.000 Filmen innerhalb von 14 Jahren), und trotz einer          Narayama“ (Narayama Bushiko) von Imamura Shohei. Er wurde 1983
maßgeblichen Weiterentwicklung der Filmtechnologie war der Film                bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem höchsten Preis, „Die
der Literatur und dem Theater nachgestellt. Literatur und Theater gal-         Goldene Palme“, ausgezeichnet. Japanische Journalisten sprachen gar
ten weiterhin als primäre Träger der hohen Kultur, während der Film            von einer „Renaissance des japanischen Films“.
ein Massenmedium mit niedrigem Ansehen blieb. Die Künstler des                    Vor allem seit den 1990er Jahren stellt man sich berechtigterweise die
Theaters, vor allem die des traditionellen Nô-Theaters, grenzten sich          Frage, was heute unter einem japanischen Film noch zu verstehen ist.
stark vom Filmgeschäft ab, dessen Publikum vorwiegend aus Kindern              Zählen hierzu auch die Produktionen der in Japan lebenden Ausländer
und mittellosen Arbeitern bestand.                                             oder auch die Werke, die in Japan nicht vor Ort gedreht wurden? Wie
   Mit dem Aufkommen des Tonfilms in den 1920er Jahren setzte dann             „japanisch“ sind etwa Filme, die zwar auf der zu Japan zählenden süd-
schließlich auch die so genannte „goldene Ära“ des japanischen Films           lichen Insel Okinawa gedreht wurden, allerdings in der Sprache der
ein, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs anhielt. Als erster reiner        dort lebenden Bevölkerung, nämlich der Ryûkyû-Sprache, die sich
Tonfilm gilt der 1931 von Gosho Heinosuke gedrehte Film „Madame                wesentlich vom Standard-Japanischen unterscheidet, weswegen bei der
und meine Frau“ (Madamu to nyôbô). Er handelt von einem                        landesweiten Ausstrahlung Untertitel eingeblendet werden müssen.
Schriftsteller, dessen gesteigertes Interesse für Jazz die Vorbildhaftigkeit
des amerikanischen Lebensstils für die japanische Bevölkerung wider-              Die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft, der Kulturen und
spiegelt. Dank der Vertonung der Filme ab den 1930er Jahren kam es             die zunehmende Vergleichbarkeit der Lebensstile und der gesellschaft-
zu einer Welle neuer Schauspielerkarrieren, die sich auch auf die musi-        lichen Probleme in den Industrieländern sind ein wichtiges Stichwort
kalischen Gattungen, wie zum Beispiel die Operette auswirkte.                  in diesem Zusammenhang. Nicht nur im Falle Japans fällt eine
   Als eine weitere Hochphase des japanischen Films kann man die               Definition des „typisch Nationalen“ zunehmend schwerer.

14           Goethe D‘A r T 2010
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