Amt und Gemeinde - Evangelische Kirche in Österreich

Die Seite wird erstellt Ulrich Böhme
 
WEITER LESEN
Amt und Gemeinde - Evangelische Kirche in Österreich
Amt und Gemeinde
67. Jahrgang, Heft 3, 2017                                              € 6, –

                              Die Bibel und
                              ihre Übersetzung
                              „Dass das Wort laufe und
                              gepriesen werde …“
                              Siegfried Kreuzer                           152

                              Martin Luther: Schriftsteller –
                              Bibelübersetzer – Medienstar
                              Gottfried Adam                              178

                              Allein durch den Glauben
                              Michael Bünker                              191

                                                   ***

                              Europa mit und ohne Grenzen
                              Marko Kerševan                              198

                              Minderheitenschutz oder Diskriminierung?
                              Karl W. Schwarz                             204

                              Und weitere Beiträge

Evangelischer Presseverband   Herausgeber: Bischof Michael Bünker
INHALT

Editorial .......................................................................................   149
Karl W. Schwarz

                                                      ***

Die Bibel und ihre Übersetzung

„Dass das Wort laufe und gepriesen werde …“.
Beobachtungen zur (neuen) Lutherbibel und zu Fragen
der Bibelübersetzung ................................................................               152
Siegfried Kreuzer

Martin Luther: Schriftsteller – Bibelübersetzer – Medienstar.
Der Reformator – einmal anders betrachtet ...............................                           178
Gottfried Adam

Allein durch den Glauben ............................................................               191
Michael Bünker

                                                      ***

Dokumentation und Diskussion

Europa mit und ohne Grenzen ...................................................                     198
Marko Kerševan

Minderheitenschutz oder Diskriminierung? Zur Karfreitags­-
regelung im österreichischen Arbeitsruhegesetz ........................                             204
Karl W. Schwarz
Rezensionen

Karl W. Schwarz:
Der österreichische Protestantismus im Spiegel
seiner Rechtsgeschichte (2017) .................................................                 212
Michael Bünker

Max Josef Suda:
95 biblische Meditationen (2017) ...............................................                 215
Hannelore Reiner

Welker / Beintker / de Lange (Hg.):
Europa reformata. Reformationsstädte Europas und
ihre Reformatoren (2016) ...........................................................             217
Karl W. Schwarz

                                                     ***

Anhang

AutorInnen ...................................................................................   219
Impressum ...................................................................................    220
 DIE BIBEL UND IHRE ÜBERSETZUNG

Editorial

Das vorliegende dritte Heft von Amt und       Ordinarius berief. Ein früherer Aufsatz
Gemeinde legt den Schwerpunkt auf die         über „tiefenpsychologische Schriftinter­
Bibel und ihre Übersetzung. Herausge­         pretation“ (AuG  1989, 126 ff.) spiegelt
ber und Redaktion grüßen mit diesem           sich in seiner Gastvorlesung anlässlich
Heft den emeritierten Neutestamentler         der Bewerbung um das NT-Ordinariat in
an unserer Wiener Fakultät Professor          Wien (14.12.1996) wider, in der er „Be­
Wilhelm Pratscher, der am 15. August          deutung und Grenzen neuerer methodi­
seinen 70.  Geburtstag gefeiert hat. Er hat   scher Zugänge zum NT“ auslotete (AuG
sowohl in der Wiener Superintendential­       1997, 86 ff.). Hier sind weiters seine Stel­
versammlung als auch in der Synode A. B.      lungnahme zur „Homosexualität in der
und Generalsynode (2006–2011) als Dele­       Bibel“ (AuG 1994, 13 ff.), zum „Amt
gierter mitgearbeitet und als theologischer   der Einheit“ (AuG 1998, 105 ff.), zu den
Fachmann seine Kompetenz eingebracht,         „Leitungsorganen im frühen Christentum“
wofür ihm herzlich zu danken ist.             (AuG 2001, 206 ff.), zu „Maria in der
                                              frühchristlichen Literatur“ (AuG  2007,
Dass Pratscher schon seit vielen Jahren       82 ff.), über das Judasevangelium und den
zu den Autoren von Amt und Gemeinde           historischen Judas (AuG 2008, 186 ff), auf
zählt, verdient hier besonders vermerkt       einer anderen Ebene die Würdigungen des
zu werden: So finden wir zahlreiche           wissenschaftlichen Werkes seiner Vorgän­
Auf­sätze, die seinen wissenschaftlichen      ger Gottfried Fitzer (AuG  2003, 86 ff.)
Werdegang markieren, in dieser Zeit­          und Kurt Niederwimmer (AuG 2015,
schrift: eine Studie über „mythologische      40 ff.) zu erwähnen, schließlich eine Pre­
Vorstellungen als Mittel der Daseinsbe­       digt im Fakultätsgottesdienst (18.6.2012),
wältigung in der gnostischen Jakobus­         die nicht nur erwähnt werden soll, weil
tradition“ (AuG 1987, 76 ff.) verweist        sie in AuG (2012/13, 336 ff.) veröffent­
auf seine international gefeierte Mono­       licht wurde, sondern auch als Hinweis auf
graphie über den Herrenbruder Jakobus         eine reiche Predigtmeditationstätigkeit
und die Jakobustradition (1987), mit der      für homiletische und andere fachtheolo­
er die Lehrbefugnis als Dozent für NT         gische Organe dienen. Sein besonderes
erwarb und die wohl auch die Ursache          Interesse galt den Apostolischen Vätern,
war, warum die Universität Bonn ihn als       dazu verfasste er eine Einleitung (2009),

Amt und Gemeinde                                                                      149
die ins Englische übersetzt wurde (2010);    gewichtigen Publikationen, zumal seine
sein Kommentar zum 2. Clemensbrief           1988 veröffentlichte Habilitationsschrift
(2007) ist hervorzuheben, der in der re­     über die „Frühgeschichte Israels in Be­
nommierten Ergänzungsreihe zum Kri­          kenntnis und Verkündigung des Alten
tisch-exegetischen Kommentar über das        Testaments“ haben ihn an die Kirchli­
NT als Bd. 3 erschienen ist. Ein kleiner     che Hochschule nach Wuppertal geführt
Abschnitt über die „Bedeutung der Ge­        (1991–2015), wo er zu einem der erstran­
bote im 2. Clemensbrief“ ist ebenfalls       gigen Erforscher der Septuaginta aufstieg.
in dieser Zeitschrift (AuG 2004, 208 ff.)    Nach seiner Emeritierung in Wuppertal
nachzulesen.                                 ist er nun wieder ganz nach Österreich
                                             zurückgekehrt und hat mit seiner vorlie­
Prof. Wilhelm Pratscher hat durch seine      genden Untersuchung dargetan, worin der
ruhige und besonnene Arbeit den interna­     große Erfolg der Lutherbibel gründete.
tionalen Ruf der Wiener Fakultät bestätigt
und bestärkt und der Sache, um die es        Auch Gottfried Adam hat zu Luther Eini­
dem wissenschaftlichen Theologen stets       ges zu sagen, er würdigt den Reformator
gegangen ist, der Umsetzung des gelehr­      als „Medienstar“ und fügt seinen Beitrag
ten Wissens in die Praxis des gelebten       in das Themenheft „Bibel-Bibelüberset­
Glaubens, einen großen Dienst erwiesen.      zung“ ein, ebenso der Beitrag des Her­
Dafür darf auch an dieser Stelle herzlich    ausgebers Bischof Michael Bünker, der
gedankt werden.                              am 28. Jänner 2017 in Graz einen Vortrag
                                             über Luthers „sola fide“ hielt und diesen
An der Spitze des Heftes steht der ge­       für das vorliegende Heft zur Verfügung
wichtige Beitrag des Alttestamentlers        stellte.
Siegfried Kreuzer. Er widmet sich aus
Anlass der neuen Revision der Lutherbi­      Einen Blick über die Landesgrenzen hi­
bel der Frage nach der Übersetzung der       naus führt uns nach Laibach / Ljubljana,
biblischen Botschaft in ihrer Geschichte.    wo am 9. Oktober 2016 eines der „Zwölf
Mit diesem Beitrag begrüßen wir einen        Apfelbäumchen für ein klares Wort“ ge­
vertrauten Freund, der in seiner früheren    pflanzt wurde. So lautet das Programm
Tätigkeit als Assistent und Dozent (1987)    des Reformationsgedenkens der Evangeli­
an der Wiener Fakultät, als Direktor der     schen Kirche A. B. in Rumänien, die nach
Evangelischen Frauenschule und Evan­         Laibach einlud, um an Paul Wiener zu er­
gelischen Religionspädagogischen Aka­        innern, den Mitarbeiter von Primus Tru­
demie (1986-1991) immer wieder auch          ber und ersten Bischof der Siebenbürger
Beiträge und Rezensionen für Amt und         Sachsen. Die Veranstaltung, an der auch
Gemeinde (seit 1977) verfasste, etwa über    unsere Kirche durch OKRin Gerhild Her­
hebräische und semitische Wörter in un­      gesell Anteil nahm, stand unter dem Motto
serer Sprache (AuG 1983, 59 ff.). Seine      „Europa mit und ohne Grenzen“. Dazu

150                                                                 Amt und Gemeinde
hielt der Laibacher Religionssoziologe     Drei Rezensionen von Michael Bünker,
Marko Kerševan, zugleich Vorsitzender      Hannelore Reiner und von mir ergänzen
der dortigen Primus-Truber-Gesellschaft,   das Heft, mit dem wir einen guten Start
den Festvortrag, der in diesem Heft do­    in das neue Arbeitsjahr wünschen.
kumentiert wird.
                                           Nachtrag zu Heft 2/2017. Der dort ab­
Aus meiner Feder stammt eine rechts­       gedruckte Beitrag von Frau Professorin
geschichtlich orientierte Analyse der      Susanne Heine wurde zuerst in einer ita­
Karfreitagsregelung im österreichischen    lienischen Tagungsdokumentation veröf­
Arbeitsruhegesetz, welche die (mögli­      fentlicht: Fabrizio Serra (Hg.), Passegna
cherweise diskriminierenden) finanz­       di Pedagogia, Trimestrale di Cultura Pe­
rechtlichen Aspekte als sekundär von der   dagogica, Pisa-Rom, Januar 2017. Ein
Grundrechtsfrage abkoppelt, die Feier­     diesbezüglicher Hinweis ist in meinem
tagsregelung aber als Schutzmaßnahme       Editorial bedauerlicherweise unterblie­
zugunsten einer Minderheitskirche de­      ben, ich bitte um Entschuldigung.
finiert und die Klage des atheistischen
Arbeitnehmers zurückweist.                                        Karl W. Schwarz

Amt und Gemeinde                                                                151
 DIE BIBEL UND IHRE ÜBERSETZUNG

„Dass das Wort laufe und
gepriesen werde …“.
Beobachtungen zur (neuen) Lutherbibel
und zu Fragen der Bibelübersetzung

Es ist mir eine Freude und Ehre, mit diesem Beitrag meinen Kollegen

und Freund Wilhelm Pratscher zu seinem 70. Geburtstag herzlich

zu grüßen. Die folgenden Ausführungen erscheinen anlässlich der

neuen Revision der Lutherbibel. Sie setzen ein mit einem Blick auf die

ersten Bibelübersetzungen und darauf, dass Ausbreitung der Kirche

und Bibelübersetzung in der Antike Hand in Hand gingen. Es folgt

ein Blick auf die mittelalterliche Spannung zwischen Bibelwunsch

und Bibelverbot und auf den grundlegenden Durchbruch, den die

Reformation bedeutete. Schließlich geht es um die Revisionen der

Lutherbibel (auch in ihrem Verhältnis zur Einheitsübersetzung) und

werden einige Übersetzungsentscheidungen vorgestellt und erörtert.

                                               Von Siegfried Kreuzer

152                                                    Amt und Gemeinde
1.     Vorgeschichte                                    zeigt sich nicht zuletzt darin, dass z. B. Pau­
                                                        lus auf seinen Missionsreisen offensicht­
1.1 Die Septuaginta als „Mutter                         lich überall in den jüdischen Gemeinden
    aller Bibelübersetzungen“                           auf die Heiligen Schriften in griechischer
                                                        Sprache Bezug nehmen und sie in seinen
Bibelübersetzung als Vermittlung der Hei­               Briefen argumentativ einsetzen konnte.
ligen Schriften in ein neues sprachliches               Wie die griechischen Texte aus Qumran
Umfeld begleitete schon früh die Über­                  zeigen, wurden die Heiligen Schriften nicht
lieferung der Bibel. Dabei gab es schon                 nur in der Diaspora sondern auch im Mut­
früh gewisse Grundprobleme, die immer                   terland auch in Griechisch gelesen.
wieder eine Rolle spielen, insbesondere                     Die ältesten Handschriftenfunde aus
die Frage der primären Orientierung an                  Qumran und Umgebung zeigen, dass man
der Ausgangsprache oder an der Zielspra­                im 1. Jh. v. Chr. begann, die griechische
che. Die älteste „Bibel“-Übersetzung ist                Übersetzung formal an das Hebräische an­
bekanntlich die Übersetzung des „Alten                  zupassen, etwa in der Wortstellung oder
Testaments“ in die griechische Sprache,                 durch stets einheitliche Übersetzung e­ ines
die sog. Septuaginta („[Übersetzung der]                bestimmten Begriffs (sog. konkordante Wie­
Siebzig“). Diese begann in der 1.  Hälfte               dergabe). Ein weiteres Problem ist, ob man
des 3. Jh. v. Chr. begonnen wurde war                   einen Begriff funktional wiedergegen soll,
für die meisten Schriften im Lauf des                   oder sozusagen wortwörtlich bzw. „mate­
2. Jh. v. Chr. abgeschlossen.1 Diese Über­              rial“. So hatte z. B. die ursprüngliche Sep­
setzung war zwar von Buch zu Buch etwas                 tuaginta das Wort schofar   = „Horn“ gemäß
unterschiedlich, aber generell lehnte sie               der Funktion mit salpinx = „Posaune“ wie­
sich eng an die hebräische Vorlage an, und              dergegeben, in der Revision wurde dagegen
zugleich nahm sie Bedacht auf die Ver­                  eine materiale Wiedergabe gewählt, nämlich
ständlichkeit im Griechischen. Grundlage                keratine = Horn. Beides ist nicht falsch, son­
der Übersetzung ist nicht einfach der Text              dern hat sein gutes Recht. Es kommt darauf
an sich, sondern wie dieser verstanden                  an, welchen Zweck man verfolgt und welche
wurde. Insofern ist die Septuaginta zu­                 Übersetzungstechnik man wählt.2
gleich ein interessantes Zeugnis für die
damalige frühjüdische Schriftauslegung.                 2   Es ist interessant, dass Hieronymus bzw. die Vulgata
    Wie sehr die Septuaginta eine wichtige                  lateinisch cornu, „Horn“, also die materiale Entspre­
                                                            chung verwendet, während Luther die funktionale
Grundlage für das Leben in der jüdischen                    Entsprechung „Posaune“ wählte. Für beides gibt es
Diaspora des Mittelmeerraumes wurde,                        Anhaltspunkte in der Septuagintaüberlieferung: Hie­
                                                            ronymus bevorzugte hebraisierende Handschriften des
                                                            griechischen Textes, während in der Aldina, d. h. in der
                                                            Septuagintaausgabe, die Luther und seinen Mitarbeitern
1 Das Zeugnis dafür ist die Vorrede des Enkels von          zur Verfügung stand, auch die älteren freieren Wieder­
  Jesus Sirach, der im Prolog von der Übersetzung des       gaben zu finden waren. Mit anderen Worten:
  Gesetzes, der Propheten und der Schriften spricht.        Die in der evangelischen Kirche so beliebten Posaunen­
  Ob dabei schon alle uns als „Schriften“ bekannten         chöre verdanken ihre Existenz nicht nur der Lutherbibel
  Bücher vorlagen, muss allerdings offen bleiben.           sondern indirekt bereits auch der Septuaginta.

Amt und Gemeinde                                                                                               153
Diese formal hebraisierende Überarbei­                    Übersetzungen, die sog. Targume, über­
tung existierte bereits zur Zeit des Neuen                   rtrugen den Text in die aktuelle Volks­
Testaments. Beide Textformen, die ur­                        sprache. Eine frühe syrische Übersetzung
sprüngliche Septuaginta und die formal                       entstand wahrscheinlich im Zusammen­
hebraisierende Bearbeitung kommen in den                     hang der Bekehrung des Königshauses
Schriftzitaten vor. Es ist klar, dass eine sol­              von Adiabene (im Nordosten des heutigen
che formal-hebraisierende Übersetzung in                     Irak) zum Judentum.
der Zielsprache nicht mehr so gut verständ­                      Die Septuaginta wurde zur Mutter
lich ist, dafür hat sie den Anschein der Nähe                vieler Tochterübersetzungen. Die älteste
zum Ursprung. Gerade durch die Fremdheit                     Tochterübersetzung aus der Septuaginta
wirkt sie sozusagen „biblischer“. Ein mo­                    ist die lateinische Übersetzung, deren An­
dernes Vergleichsbeispiel wäre die Überset­                  fänge vielleicht noch in das Judentum
zung von Buber und Rosenzweig,3 bei der                      zurückreichen. Ab dem 2. Jh. scheint sie
ebenfalls durch die oft merkwürdige und                      jedenfalls dann weitgehend vorhanden
fremdartige Wiedergabe der Eindruck einer                    gewesen zu sein und wurde ca. 200 von
größeren Ursprünglichkeit und besonderer                     den lateinische Kirchschriftstellern zitiert.
Nähe zum heiligen Original erweckt wer­                          Jedenfalls hatte die lateinischsprachige
den soll. Diese formalistische Bearbeitung                   Kirche im Westen des römischen Reiches
war eine noch rein innerjüdische Revision,                   damit ihren Bibeltext in der Landesspra­
die sich dann in den Revisionen bzw. neuen                   che. Aber auch die Missionskirchen im
jüdischen Übersetzungen des 2. Jh. n. Chr.                   Osten und Süden des römischen Reiches
fortsetzte.                                                  hatten bald ihre Bibelübersetzungen: In
                                                             Ägypten die koptische Bibel mit ihrem
1.2 Glaubensgemeinschaft                                     älteren oberägyptischen (ab dem 3. Jh.)
    und Bibelverbreitung                                     und jüngeren unterägyptischen (ab dem
                                                             4./5  Jh.) Zweig. Im Osten entstand die sy­
Das andere interessante Phänomen aus                         rische Übersetzung. Jenseits der Grenzen
der Antike ist, dass Ausbreitung des Glau­                   des römischen Reiches entstand die äthio­
bens und Übersetzung der Bibel immer                         pische Übersetzung, die gotische Überset­
Hand in Hand gingen. Das gilt nicht nur                      zung durch Wulfila, die georgische sowie
für die Septuaginta, sondern auch für die                    die armenische Übersetzung.
weiteren Übersetzungen, teils noch aus                           Insgesamt zeigt sich, dass in der Re­
dem Hebräischen, vor allem aber dann                         gel die Entstehung einer Kirche und die
aus dem Griechischen. Die aramäischen                        Übersetzung der Bibel Hand in Hand gin­
                                                             gen, wobei die Bibelübersetzung nicht
3   Die Schrift. Aus dem Hebräischen verdeutscht von         selten auch der erste größere literarische
    Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig,
    1926–1938; danach von Martin Buber bearbeitet und        Text in der betreffenden Sprache war oder
    fertiggestellt. 1954–1962 in fünf Bänden erschienen,
    zuerst in Berlin, später in Heidelberg; zuletzt Stutt­
                                                             überhaupt erstmals zu ihrer Verschriftung
    gart 1992 (= 2016) und Gütersloh 2007.                   führte.

154                                                                                   Amt und Gemeinde
1.3 Die Bibel in deutscher                               darunter eine Übersetzung des Matthäu­
    Sprache                                              sevangeliums.5 Diese entstand vermutlich
                                                         so wie die Handschrift selbst um 810.
Im Westen des römischen Reiches                          Das missionarische Anliegen zeigt sich
herrschte die lateinische Sprache und mit                auch darin, dass in der Handschrift auch
ihr die lateinische Bibel vor. Diese wurde               Predigten und weitere Abhandlungen ent­
bekanntlich um 400 n. Chr. von Hierony­                  halten sind. Ob das Matthäusevangelium
mus revidiert. Diese Revision verbreitet                 übersetzt wurde, weil es das erste ist, oder
sich dann in Verbindung mit der karo­                    weil es mit dem Missionsbefehl endet,
lingischen Renaissance um 800  n. Chr.                   muss offen bleiben.6
und wurde so zur „Vulgata“, zur in den                       Etwas jünger und auch umfangreicher
Kirchen West- und Südeuropas allgemein                   ist das althochdeutsche Bibelepos „Liber
verbreiteten Bibelübersetzung.                           evangeliorum“ des Otfrid von Weissen­
   Ähnlich wie in den Kirchengebieten des                burg (im Elsaß), das 7104 Zeilen umfasst
Orients gab es dann auch im Westen schon                 und um 840 entstand. Im Unterschied zur
bald Bemühungen, die Heilige Schrift bzw.                genauen Übersetzung des Mondseer Mat­
deren Inhalt in der Landessprache zu ver­                thäustextes ist der „Liber evangeliorum“
mitteln. Bekannt ist der um 830 entstan­                 so wie der „Heliand“ ein literarischer Text.
dene Heliand. Dieses Epos ist keine Bibel­                   Die Texte zeigen, dass mit den Anfän­
übersetzung im engeren Sinn, aber doch                   gen der althochdeutschen Sprache schon
das Bemühen, den Inhalt des Evangeliums,                 früh auch deutsche Übersetzungen der
das Christusgeschehen, in der Landesspra­                Bibel entstanden. Im Grunde entspricht
che darzustellen und zu vermitteln.                      das dem auch bei den vorhin genannten
   Schon früh gab es aber auch Anfänge                   Bibelübersetzungen genannten Anliegen
einer richtiggehenden Bibelübersetzung,                  und Bedürfnis, die heiligen Schriften bzw.
interessanter Weise auf österreichischem                 zumindest die Jesuserzählungen in der
bzw. damals noch bajuwarischem bzw.
ostfränkischem Gebiet. Zwar schon länger
                                                         5   Klaus Matzel, Der lateinische Text des Matthäus-
bekannt aber immer noch wenig erforscht                      Evangeliums der Monseer Fragmente, in: Beiträge
                                                             zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur
sind die sog. „Mon(d)seer Fragmente“                         (PBB) 87, Tübingen 1965, S. 289–363, wieder in:
aus dem ehemaligen Kloster in Mondsee.                       ders., Gesammelte Schriften, hg. v. Rosemarie Lühr
                                                             u. a., Heidelberg 1990, S. 252–326. Die Schreibung
Neben anderen Schriften, insbesondere                        des Ortnamens Mondsee wechselte im Lauf der Zeit.
Texten des Isidor von Sevilla,4 findet sich                  Die ca. 220 Fragmente enthalten 5 Texte, die jeweils
                                                             lateinisch (linke Seite) und deutsch (rechte Seite) ge­
                                                             schrieben sind. Das Matthäusevangelium ist der erste
4   Wegen der Isidor-Schriften, die auch an anderen          Text. Die Übersetzung folgt genau der Vulgata. Nach
    Orten überliefert sind, werden die Texte in der          der Auflösung des Klosters im Jahr 1791 kamen die
    Forschung teilweise unter dem Stichwort Isidor-          Fragmente nach Wien, weshalb sie auch manchmal
    Schriften erörtert; siehe etwa: Elke Krotz: Isidor       als Wiener Fragmente bezeichnet wurden.
    von Sevilla ‘De fide catholica’, Althochdeutsche     6   Auffallend und befremdlich ist, dass zum Isisdor-
    Übersetzung und ‘Mon(d)seer Fragmente’, in: Rolf         Komplex auch antijüdische Schriften (mit dem Streit
    Bergmann (Hrsg.): Althochdeutsche und altsächsi­         um den wahren Messias) gehörten.
    sche Literatur, Berlin 2013, S. 203–213.

Amt und Gemeinde                                                                                               155
Landessprache zur Verfügung zu haben.                     in der Zugänglichkeit der Bibel für die
Nur dass nun der lateinische Bibeltext in                 Laien. Im Rahmen einer wechselhaften
Form der Vulgata der Muttertext war und                   Geschichte widerrief 1080 Papst Gregor
der deutsche Text die Tochterübersetzung.                 VII. die Erlaubnis für den Gebrauch der
   In der Folgezeit gab es verschiedent­                  slawischen Sprache im Gottesdienst, wo­
lich Übersetzungen oder literarische Ge­                  bei es insbesondere um den Gebrauch der
staltungen biblischer Texte, vor allem der                Bibel ging, und zwar mit der doch recht
Evangelien. Zu nennen sind u. a. neben                    fadenscheinigen Begründung, dass „es
der Vorauer Handschrift aus der Mitte                     dem allmächtigen Gott nicht ohne Grund
des 12. Jh.s, die neben einem Genesis­                    gefallen habe, dass die Heilige Schrift in
text ein Lob Salomos, einen Judithtext                    gewissen Gegenden verhüllt sei, damit
und aus dem Danielbuch die Geschichte                     sie nicht bei allseitiger Zugänglichkeit
der drei Jünglinge im Feuerofen enthält,                  gewöhnlich werde und der Verachtung
insbesondere die gut 50 sog. Wien-Mün­                    anheimfalle oder von mittelmäßigen Men­
chener Evangelienfragmente aus der Zeit                   schen falsch verstanden werde und so in
um 1200.7                                                 Irrtum führe.“8
                                                             Besonders virulent wurden Bibelver­
1.4 Bibelinteresse und                                    bote angesichts der Reformbewegungen,
    Bibelverbot                                           insbesondere der Katharer und der Wal­
                                                          denser, später auch der Hussiten, die ih­
Insgesamt zeigt sich ein beachtliches In­                 rerseits landessprachliche Übersetzun­
teresse an den biblischen Erzählungen                     gen für Laien anfertigten. 1199 verbot
und insbesondere an den Evangelien,                       Innozenz III. in einem Schreiben an den
auch wenn diese Texte nicht der breiten                   Bischof von Metz das Lesen der Bibel
Bevölkerung, sondern wohl vor allem                       in privaten Zusammenkünften. Zur Un­
etwa Nicht-Latein-Kundigen Laienbrü­                      terstützung des Verbots wurde aus Rom
dern in Klöstern und anderen gebilde­                     eine Delegation entsandt, die französi­
ten Personen, etwa in den Städten, zu­                    sche Bibelübersetzungen aufspüren und
gänglich waren. Neben diesen deutschen                    verbrennen sollte, was zugleich auf das
Übersetzungen gab es ähnliche Ansätze                     nicht seltene Vorhandensein solcher Über­
auch im Bereich anderer Sprachen. Al­                     setzungen hinweist. Auf der Synode von
lerdings zeigten sich in dieser Zeit auch                 Toulouse (1229) wurde den Laien der Be­
erste Gegenreaktionen im Sinne eines Ver­                 sitz von Bibelübersetzungen untersagt,
bots der Bibel in der Landessprache bzw.                  auf der Synode von Tarragona (1234)
                                                          wurde, in Verbindung mit einem könig­
7   Siehe dazu u. a. Horst Kriedte, Deutsche Bibelfrag­
    mente in Prosa des XII. Jahrhunderts, Halle a. d.
    Saale 1930; und Karin Schneider, Gotische Schriften   8   Adolf Adam: Deutsch oder Latein? In: Adolf Adam:
    in deutscher Sprache, I. Vom späten 12. Jahrhundert       Erneuerte Liturgie – Eine Orientierung über den
    bis um 1300, Text- und Tafelband, Wiesbaden 1987.         Gottesdienst heute, Herder-Verlag, 1972.

156                                                                                    Amt und Gemeinde
lichen Dekret, generell der Besitz einer     lien sondern eine Evangelienharmonie
romanischsprachigen (also einer landes­      plus Apg  1-5). In Verbindung damit sind
sprachlichen) Bibel verboten. Solche Bi­     weitere Schriften, vor allem apologetische
beln mussten innerhalb von acht Tagen        Abhandlungen, des unbekannten Verfas­
nach Bekanntmachung des Dekrets zum          sers erhalten, die auf eine Entstehung im
Verbrennen abgegeben werden. 1202 er­        Raum von Krems schließen lassen.9
ließ ein päpstlicher Gesandter bei einer        Der Verfasser bezeichnet sich selbst als
Visitation in Löwen die Bestimmung, dass     ungelernter Laie („vngelernt layn“), der
alle französischen und deutschen Bücher,     nicht geweiht und ordiniert ist („wann ih
die sich auf die Bibel beziehen, bei den     niht geweiht pin vnd geordent gots wort
Bischöfen abzugeben seien, die über die      zu predigen“). Er kannte aber die Postillen
weitere Verwendung entscheiden sollen.       des Nikolaus von Lyra und war offensicht­
1210 erließ der Erzbischof von Sens ein      lich auch sonst keineswegs ungebildet.
Dekret, dass alle theologischen Schriften    In den Vorreden zu den Büchern vertei­
in romanischer Sprache mit Ausnahme der      digt der Autor sein Bemühen, die Heilige
Heiligenlegenden den Diözesanbischöfen       Schrift den Gläubigen in der Volksspra­
abzugeben seien.                             che nahezubringen. Offensichtlich wollte
    Bibelverbote wurden in der Folgezeit     er die Bibel und mit ihr die Kirche den
immer wieder erlassen und waren ein we­      Menschen nahebringen und andererseits,
sentlicher Teil des Kampfes der römischen    wie die weiteren Schriften erkennen las­
Kirche gegen Reformbestrebungen, wobei       sen, auch Ketzer bekämpfen.10 Trotz des
auch immer wieder der weltliche Arm zu       durch Karl IV. erneuerten Bibelverbotes
Hilfe genommen wurde. So erließ 1369         ließ sein Sohn Wenzel IV. die berühmte
Kaiser Karl IV., der immerhin die Univer­    Wenzelsbibel anfertigen. Der Text der sehr
sität in Prag gegründet hatte, auf Bitten    schön gestalteten und kostbaren Hand­
Papst Urbans V. ein Edikt gegen deutsche     schrift war natürlich wieder eine Über­
Auslegungen der Heiligen Schrift.            setzung aus der Vulgata. Die für die Wen­
    Die Spannung, in der Bibelüberset­       zelsbibel verwendete Übersetzung geht
zung und Bibelverbreitung erfolgten, zeigt
sich auch im Werk des sog. „Österreichi­     9   Auch hier fällt wieder auf, dass sich die Abhandlun­
schen Bibelübersetzers“ aus der Zeit um          gen nicht nur gegen „Ketzer“ sondern auch gegen die
                                                 Juden wenden.
1350. Diese Übersetzung erfasste erst­
                                             10 Zur Sache und für weitere Literatur siehe den Artikel
mals auch größere Teile des Alten Testa­        „Österreichischer Bibelübersetzer“ in Wikipedia
ments (Genesis, Exodus, Tobias, Daniel,         (https://de.wikipedia.org/wiki/Österreichischer_
                                                Bibelübersetzer; 4.6.2017). Siehe auch: Freimut
Hiob, sowie Proverbia und Ecclesiastes).        Löser: Neues vom Österreichischen Bibelübersetzer.
Sie ist erhalten im Schlierbacher Alten         In: Ralf Plate / Martin Schubert (Hrsg.): Mittelhoch­
                                                deutsch. Beiträge zur Überlieferung, Sprache und
Testament (weitere Teile wurden im Stift        Literatur, Berlin 2011. Unter der Leitung von Löser
                                                läuft seit 2016 ein großes Forschungsprojekt, aller­
Melk gefunden) und im Klosterneuburger          dings nicht bei der Österreichischen sondern bei der
Evangelienwerk (nicht die vier Evange­          Bayrischen Akademie der Wissenschaften.

Amt und Gemeinde                                                                                157
wohl in die Mitte des 14. Jh. zurück, ihre                 noch im 14. Jh. entstanden war. Diese
Herkunft ist jedoch unbekannt. Sie war                     Übersetzung, die manchmal als Vorläufe­
etwas freier als die spätere Mentelinbibel                 rin der Lutherbibel betrachtet wird, was
und war wohl auch dem Übersetzer der                       allerdings nur im chronologischen Sinn
Kobergerbibel bekannt. Die Wenzelsbi­                      und im Sinn einer gedruckten Bibel, aber
bel entstand zwischen 1390 und 1400.                       nicht im sachlichen Sinn gelten kann, war,
In Folge der zeitweisen Absetzung ihres                    so wie die bisher genannten Bibeln, aus
Auftraggebers wurde die Arbeit unterbro­                   der Vulgata übersetzt. Sie ist beinahe eine
chen. Zwar wurde sie 1441 unter Friedrich                  Wort-für-Wort Übersetzung, was sie na­
III. wieder aufgenommen, das Werk blieb                    türlich im Deutschen schwer lesbar macht.
aber unvollständig. Es fehlen die Kleinen                  Diese beschwerliche Übersetzungsweise
Propheten, 1. und 2. Makkabäer und das                     geht wohl nicht auf ein Unvermögen des
ganze Neue Testament. Insofern handelt                     Autors zurück, sondern auf das Bemühen,
es sich um keine Vollbibel. Für die 1441                   allfällige Kritik oder gar die Verurteilung
Blätter sollen 607 Kalbshäute verwendet                    als Ketzer hintanzuhalten: Man konnte sie
worden sein. Die 654 Miniaturen sind                       damit verteidigen, dass sie sich ja eng an
zum Teil mit Gold ausgelegt. Diese An­                     die Vulgata hält und fast nur eine interli­
gaben machen nicht nur den Wert deut­                      neare Verstehenshilfe für das lateinische
lich, sondern auch, dass diese Bibel ein                   Original ist.
Prunkobjekt und nicht für einen breiteren                     Die Mentelinbibel war die erste ge­
Gebrauch ausgelegt war.11                                  druckte deutsche Bibel und die erste in
    Die Spannung zwischen Bibelüberset­                    einer Volkssprache gedruckte Bibel über­
zung und Bibelverbot zeigt sich deutlich                   haupt (die berühmte Gutenbergbibel von
bei der sog. Mentelinbibel (gedruckt 1466                  1452-1454 war eine Ausgabe der Vulgata
bei Mentelin in Straßburg). 12 Die Grund­                  gewesen). Sie wurde zwar bis zum Er­
lage dieser Ausgabe war eine Übersetzung                   scheinen der Lutherbibel mehrfach nach­
der Bibel aus dem Nürnberger Raum, die                     gedruckt, ihre Wirkung blieb aber doch
                                                           gering.13
11 Zur Wenzelsbibel siehe u. a.: Horst Appuhn:
   Wenzelsbibel: König Wenzels Prachthandschrift der
   deutschen Bibel. Harenberg, Dortmund 1990; Rudolf
   Hopmann: König ohne Kaiserkrone oder Eine Bibel         13 Das lag wohl nicht nur an der schwierigen Sprache,
   für den Papst – Die (Bilder)Sprache der Wenzelsbi­         sondern auch am Preis: Im Exemplar der Bayeri­
   bel. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2015 (dass         schen Staatsbibliothek findet sich die Notiz, dass das
   diese Bibel den Papst zur Verleihung der Kaiserwür­        Buch vom Augsburger Chronisten Hektor Mülich,
   de an Wenzel motivieren sollte, bleibt allerdings an­      um den Preis von 12 Gulden gekauft wurde:
   gesichts der deutschen Sprache und des Bibelverbost        „1466 27 Junio ward ditz buch gekaft vneingepun­
   eine wenig wahrscheinliche Vermutung).                     den vmb 12 gulden“. Das entsprach angeblich etwa
12 Zur Mentelinbibel siehe: Wilhelm Walther: Die              dem Wert von vier Ochsen. – Bedenkt man, dass ein
   deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters,                ausgewachsener Ochse ca. 500 kg Fleisch ergeben
   Braunschweig 1889–1892, Sp. 306–320; Michael               konnte, und dass Fleisch damals wertvoller war als
   Landgraf, Henning Wendland: Biblia deutsch. Bibel          heute, so ergibt für heutigen Wert ein Preis von ca.
   und Bibelillustration in der Frühzeit des Buchdrucks,      500 kg × ca. 20,– / kg = ca. 10.000,– Euro pro Ochse
   Speyer, Evangelischer Presseverlag Pfalz, 2005.            und damit ca. 40.000,– Euro.

158                                                                                        Amt und Gemeinde
Von den insgesamt 14 vor der Luther­                 sich seinerseits in höchsten Kreisen, wo­
bibel gedruckten deutschen Bibeln ist                   bei er die nationalen Ansprüche des Kö­
vor allem die 1483 in Nürnberg bei dem                  nigs gegen Rom unterstützte. Zugleich
sehr erfolgreichen Buchdrucker Kober­                   trat er für eine Kirchreform eine und übte
ger erschienene Kobergerbibel zu erwäh­                 u. a. Kritik an Reliquienverehrung und
nen. Diese mit reichem Bildmaterial aus                 Zölibat. Dafür und insbesondere für die
der Kölner Bibel von 1478 ausgestat­                    auf ihn zurückgehende Predigerbewe­
tete Ausgabe erschien in fünf Auflagen.                 gung der sog. Lollarden war natürlich
Auf Grund der üblichen Anzahl von                       wiederum die Bibel in der Landesspra­
200 bis 300 Exemplaren pro Auflage                      che von großer Bedeutung. Wycliff war
schätzt man eine Gesamtzahl von 1000 bis                nicht der erste englische Bibelübersetzer,
1.500 Exemplaren, von denen bis heute ca.               sondern er sammelte Bibelübersetzun­
150 Exemplare erhalten sind.14                          gen in der Landessprache. Die auf ihn
                                                        zurückgehende zusammenfassende Be­
1.5 Bibelübersetzung                                    arbeitung, die 1383 erschien, wird dann
    in anderen Ländern                                  gerne als erste englische Bibelüberset­
                                                        zung betrachtet.
Das Bemühen um Bibelübersetzung gab                        Erwähnt sei auch noch, dass um 1360
es natürlich auch in anderen Ländern,                   eine vollständige Übersetzung der Bibel
typischer Weise auch da immer wieder                    ins Tschechische entstand, und zwar im
in Verbindung mit Reformbestrebun­                      Augustinerkloster Rudnice (an der Elbe).
gen. Für die auf Petrus Valdes aus Lyon                 Sie wurde später von Jan Hus revidiert
(ca.  1150 – ca. 1215) zurückgehenden                   und 1488 zum ersten Mal gedruckt (Pra­
Waldenser, die sich in Südfrankreich, im                ger Bibel). Diese war die erste tschechi­
Piemont, in Italien und auch in Öster­reich             sche und zugleich die erste in einer sla­
(vor allem im Donauraum, mit einem                      wischen Sprache gedruckte Bibel. Auf
wichtigen Zentrum in Steyr) ausbreite­                  dieser Basis entstand später die (auch an
ten, waren neben einem Leben in Armut                   Hand des hebräischen und griechischen
die Predigt des Evangeliums und persön­                 Urtextes und – wie sich u. a. aus der An­
liches Bibelstudium von großer Bedeu­                   ordnung der Apokryphen zwischen AT
tung. Beides setzt Bibelübersetzungen in                und NT ergibt – gewiss auch in Kennt­
die jeweilige Landessprache voraus. Für                 nis der Lutherbibel gearbeitete) Kralitzer
England ist die Tätigkeit von John Wyc­                 Bibel (1579–93), gedruckt in der gehei­
liff (vor 1330-1384) bekannt. Er bewegte                men Druckerei der Böhmischen Brüder
                                                        in Kralitz, westlich von Brünn.
14 Virtueller Katalog: ‚Mit schönen figuren‘ – Buch­
   kunst im deutschen Südwesten. Eine Ausstellung der
   Universitätsbibliothek Heidelberg und der Württem­
   bergischen Landesbibliothek Stuttgart:
   www.ub.uni-heidelberg.de/ausstellungen/buch­
   kunst2014/sektion1/I_01.html (abgerufen 6.6.2017).

Amt und Gemeinde                                                                              159
2.    Die Lutherbibel                        auch wenn Luther ihn der Sache nach
                                             gewiss weithin gut kannte.15
2.1 Die Übersetzung des                         Ein wesentlicher neuer Aspekt war,
    Neuen Testaments und                     dass Luther nicht aus der lateinischen Vul­
    ihre Textgrundlage                       gata übersetzte, sondern aus dem griechi­
                                             schen Neuen Testament. Ein wichtiger
Martin Luther war auf Grund seiner           Grund war die Erkenntnis, dass im Streit
Studien wie auf Grund seiner Aufgabe         um die Wahrheit nicht eine Übersetzung
als Professor für (wie man heute sagen       ausschlaggebend sein konnte, sondern nur
würde) Bibelwissenschaft mit der Bibel       der Urtext.16 Damit kam Luther aus einem
bestens vertraut, und zwar zunächst und      anderen Grund zum Anliegen der Huma­
in erster Linie natürlich mit der lateini­   nisten mit ihrem Grundsatz „ad fontes“.
schen Bibel. Seine Vorlesungen zeigen           Es traf sich gut, dass erst wenige
aber, dass er sich auch schon früh mit       Jahre zuvor, nämlich 1516, die griechi­
dem griechischen und auch mit dem he­        sche Ausgabe des Neuen Testaments von
bräischen Text beschäftigte.                 Erasmus erschienen war. Das Interesse an
   Der äußere Anlass für die Überset­        originalsprachlichen Ausgaben des bibli­
zung der Bibel bzw. zunächst des Neuen       schen Urtextes war schon älter und hatte
Testaments war bekanntlich seine am          bereits erste Früchte getragen: 1494 war
4. Mai 1521 bei Altenstein in Thüringen      in Brescia eine Ausgabe des hebräischen
erfolgte „Entführung“ auf dem Rückweg
vom Reichstag in Worms und sein un­          15 Für dieses „Kennen“ markant ist die Bemerkung
                                                in seinem Rückblick auf die reformatorische
freiwilliger Aufenthalt auf der Wartburg.       Entdeckung, dass die Gerechtigkeit Gottes nicht sein
Nach den Ereignissen der vorangegan­            richterliches sondern sein rettendes Handeln bezeich­
                                                net: „Bis ich dank Gottes Erbarmen unablässig Tag
genen Jahre und Wochen war es nahelie­          und Nacht darüber nachdenkend auf den Zusammen­
gend, im Sinn der reformatorischen Ent­         hang der Worte aufmerksam wurde, nämlich ‚Gottes
                                                Gerechtigkeit wird darin offenbart wie geschrieben
deckung und dem grundlegenden Bezug             steht: Der Gerechte lebt aus Glauben.‘ Da begann
auf die Bibel, der Bibel bzw. zunächst          ich die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen als die,
                                                durch die als durch Gottes Geschenk der Gerechte
dem Neuen Testament eine weitere Ver­           lebt, nämlich aus Glauben … Da zeigte mir sofort
                                                die ganze Schrift ein anderes Gesicht. Ich durchlief
breitung zu geben.                              dann die Schrift nach dem Gedächtnis[! S. K.] und
   Luther übersetzte das Neue Testament         sammelte entsprechende Vorkommen auch bei ande­
                                                ren Vokabeln, z. B. Werk Gottes, d. h. was Gott in uns
in knapp drei Monaten bzw. in knapp             wirkt, Kraft Gottes, durch die er uns kräftig macht,
90 Tagen. Da das Neue Testament 259             Weisheit Gottes, durch die er uns weise macht …“.
                                                Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe
Kapitel hat, sind das knapp drei Kapitel        der lateinischen Schriften Luthers (1545). Zitat nach
pro Tag bzw., da er gewiss den Sonntag          der Ausgabe Karin Bornkamm / Gerhard Ebeling
                                                (Hg.), Martin Luther. Ausgewählte Schriften, Bd. 1.
arbeitsfrei hielt, etwas mehr als drei Ka­      Luther, 1982, 22 f.
pitel pro Werktag. Das ist eine beachtli­    16 Siehe dazu Karl Holl, Luthers Bedeutung für den
                                                Fortschritt der Auslegungskunst, in: ders., Gesam­
che Leistung für diesen schwierigen Text,       melte Aufsätze zur Kirchengeschichte I., Tübingen
                                                1921, 414–450.

160                                                                         Amt und Gemeinde
Alten Testaments erschienen. Eine noch                   Theologen und andere Gelehrte. Interes­
größere Leistung war die in Complutum                    santer Weise spricht aber auch Erasmus
bei Madrid erstellte Ausgabe der gesam­                  im Vorwort von Widerständen gegen die
ten Bibel in Hebräisch, Griechisch und                   Verbreitung der Bibel. 1519 erschien eine
Latein, die sog. Complutensische Poly­                   neue Auflage, die vor allem Fehler, die in
glotte, die in 6 Bänden von 1514 bis 1520                der Hektik der Konkurrenz mit dem spa­
gedruckt wurde und die neben dem Al­                     nischen Projekt entstanden waren, ver­
ten Testament auch das Neue Testament                    besserte. Ein Nachdruck dieser Auflage
und eine Wörterbuch umfasste.17 Abge­                    stand Luther für seine Übersetzung zur
sehen davon, dass diese Ausgabe wohl                     Verfügung. Die Ausgabe des Erasmus ist
nicht allzu schnell in Deutschland zur                   zweisprachig, Griechische mit lateini­
Ver­fügung gestanden hätte, war es Eras­                 scher Übersetzung. Erasmus bot beides,
mus gelungen, ein kaiserliches Privileg                  im humanistischen Sinn von ad fontes
zu erwirken, dass für sechs Jahre nur das                eine Ausgabe in der Originalsprache und
Neue Testament des Erasmus verkauft                      dazu eine lateinische Übersetzung, die im
werden durfte. Dieses Privileg ist auf dem               Grunde eine verbesserte Vulgata darstel­
Titelblatt (im unteren Teil) erwähnt. Eras­              len sollte. – Ein Nachdruck dieses „No­
mus hatte schon seit etwa 1506 an dieser                 vum Instrumentum“ in der Auflage von
Ausgabe gearbeitet und im Lauf der Zeit                  1519 stand für Luther auf der Wartburg
auch zwischen Nähe und Distanz zum                       zur Verfügung. Durch Luther wurde es
überkommenen Vulgatatext geschwankt.                     in der Tat ein „Instrument“, nämlich der
    Erasmus nannte seine Ausgabe nicht                   Kirchenreform.
Novum Testamentum sondern „­ Novum                          Nach der im März erfolgten Rück­
In­stru­
       mentum“, wohl im Sinn von                         kehr Luthers von der Wartburg wurde die
Instrument zur Verbesserung des lateini­                 Übersetzung im Sommer 1522 zum Druck
schen Textes. Im Prinzip war auch er an                  vorbereitet. Nicht zuletzt wurde sie auch
einer Reform der Kirche interessiert. Al­                von Melanchthon durchgesehen, der seit
lerdings dachte er – so wie zunächst auch                1518 in Wittenberg war. Die Übersetzung
Luther bei der lateinischen Abfassung                    wurde in der beachtlichen Auflage von
seiner Thesen – an eine Reform durch die                 3.000 Exemplaren gedruckt und erschien
                                                         im September. Dieses Septembertesta­
                                                         ment von 1522 war bereits im Dezember,
17 Diese Ausgabe ist sowohl von der textlichen Seite
   (d. h. bezügliche der zu Grunde gelegten Hand­        also nach nur drei Monaten ausverkauft
   schriften) her als auch in ihrer drucktechnischen     und musste nachgedruckt werden.
   Gestaltung eine großartige Leistung. Bezeichnend
   für die dogmatische Bindung an den lateinischen
   Text und die Ambivalenz gegenüber den älteren
   Sprachen ist aber doch die im Vorwort gegebene
   Erklärung der Anordnung der Spalten in der Rei­
   henfolge hebräisch-lateinisch-griechisch, womit der
   lateinische Text wie Christus am Kreuz zwischen den
   Schächern[!] stehe.

Amt und Gemeinde                                                                               161
2.2 Vom Neuen Testament                                    Die Übersetzung wie auch die Re­
    zur Gesamtbibel und                                 vision war immer eine Teamarbeit. Ab
    zu den Revisionen                                   1531 wurde die Arbeit durch die Proto­
                                                        kolle von Georg Rörer detailliert fest­
Mit der Rückkehr Luthers von der Wart­                  gehalten. Neben Luther und Melanch­
burg setzen zwei Dinge ein, die auch in                 thon bildeten Caspar Cruciger und der
weiterer Folge die Luther Bibel bestimm­                Hebraist Matthäus Aurogallus den en­
ten, nämlich die Überarbeitung bzw. Revi­               geren Kern der Arbeitsgruppe, zu dem
sion und die Arbeit in einem Team. Wie er­              zeitweise weitere Personen dazukamen.
wähnt war schon das Septembertestament                  Die Arbeit wurde später auch von Johan­
von Melanchthon durchgesehen worden.                    nes Mathesius beschrieben, der 1540 bis
Der erste Nachdruck, das sog. Dezem­                    1542 in Wittenberg weilte: „Kam Doc­
bertestament, wurde an einzelnen Stellen                tor [Martin Luther] inn das Consisto­
aber auch in der Bildausstattung verbessert.            rium mit seiner alten Lateinischen und
1529 wurde eine gründliche Revision des                 newen Deutschen Biblien, dabei er auch
Neuen Testaments durchgeführt.                          stettigs den Hebräischen text hatte. Herr
   Das Alte Testament entstand sukzessive:              Philippus [Melanchthon] bracht mit sich
1524 waren der Pentateuch und einzelne                  den Greckischen text, Doctor Creutziger
historische und poetische Bücher über­                  neben dem Hebreischen die Chaldeische
setzt. 1531 wurde der Psalter umfassend                 Bibel. Die Professoren hatten bey sich
revidiert und für den Druck fertiggestellt,             jre Rabbinen, D. Pommer [Bugenhagen]
1532 waren die Propheten fertiggestellt,                het auch lateinischen Text für sich, dar­
1534 schließlich die Gesamtbibel, für die               inn er sehr wol bekannt war. Zuvor hat
nochmals alles durchgesehen wurde. Die                  sich ein jeder auff den text gerüst, dauon
Gesamtbibel erschien im Herbst 1534 in                  man ratschlagen solte. Greckisch vnnd
sechs Teilen (Pentateuch, historische Bü­               Lateinische neben den Jüdischen außle­
cher, Poetische Bücher, Propheten, Apokry­              gern vbersehen. Darauff proponirt dieser
phen, Neues Testament) mit insgesamt 900                President [= Luther, S. K.] ein text ynd
Blättern. Die letzte Ausgabe, die unter der             ließ die stimm herumb gehen vnd höret
Ägide Luthers erschien, wurde ab 1541 re­               was ein jeder darzu zu reden hette, nach
vidiert und erschien 1545 in Wittenberg. Sie            eygenschafft der sprache oder nach der
gilt daher als die Ausgabe letzter Hand.18              alten Doctoren außlegung.
                                                           Wunder schöne und lehrhafftige re­
                                                        den sollen bey diser arbeyt gefallen sein,
18 Diese Ausgabe letzter Hand ist in vielen Nachdru­
   cken und Faksimileausgaben nachgedruckt, z. B.:      welcher M. Georg [Rörer] etliche auffge­
   D. Martin Luther, Die gantze Heilige Schrift Deu­    zeichnet vnd die hernach als kleine glöß­
   dsch, Wittenberg 1545. Letzte zu Luthers Lebzeiten
   erschienene Ausgabe; in zwei Bänden und mit diver­
   sen Beigaben herausgegeben von Hans Volz unter
   Mitarbeit von Heinz Blanke, München 1972 (diverse
   Nachdrucke und Lizenzausgaben).

162                                                                            Amt und Gemeinde
lein vnd außlegung auff den rand zum text                Bedürfnis nach Orientierung an der Bibel,
gedruckt sein.“19                                        insbesondere dem Neuen Testament ver­
   Diese Beschreibung zeigt u. a., dass                  bunden. Das Anliegen der Kirchenreform
nicht nur in der damals bestmöglichen                    und auch das Bedürfnis nach grundlegen­
Weise am Urtext und den alten Überset­                   der Orientierung an der Bibel waren durch
zungen gearbeitet wurde, sondern dass                    die Steigerung der Missstände durch den
auch die Auslegungsgeschichte („nach                     Ablasshandel und durch Luthers Thesen
der alten Doctoren Auslegung“) der grie­                 und die folgenden Disputationen und
chischen und lateinischen Tradition und                  die reformatorischen Schriften Luthers
nicht zuletzt auch die jüdische Auslegung                in eine neue Phase getreten. Die Situation
berücksichtigt wurde. Für letzteres wurde                hatte sich mit dem Reichstag zu Worms
wohl vor allem die 1524/25 in Venedig                    nocheinmal zugespitzt und zugleich war
erschienene Bombergiana des aus Tunis                    Luther durch seinen Widerstand vor dem
vertriebenen Jacob ben Chajim verwen­                    Kaiser noch bekannter geworden.
det. Diese enthielt neben dem hebräischen                   Ein weiterer Faktor war, dass durch
Text auch Targume und rabbinische Aus­                   die Entwicklung im Buchdruck Bücher
legungen.                                                billiger geworden waren. Auch wenn das
                                                         Neue Testament noch immer mehr als
2.3 Gründe für den Erfolg                                ein durchschnittliches Monatseinkommen
    der Lutherbibel                                      kostete, so war es doch für weitere Kreise
                                                         erschwinglich geworden.
Was trug zu diesem überwältigenden Er­                      Die eigentliche Motivation lag aber
folg der Übersetzung Martin Luthers bei?                 in der Sache selbst, nämlich einerseits
Gewiss war es zunächst und vor allem die                 in dem Bedürfnis, die Bibel selber lesen
seit 1517 in ganz neuer Weise angelaufene                und damit die Kirche mit ihrer Grund­
Diskussion um die Kirchenreform. Wie                     lage vergleichen und nachprüfen zu kön­
die oben dargestellte Vorgeschichte bis hin              nen, und andererseits doch auch an der
zum Novum Instrumentum des Erasmus                       Sprachgestalt und Sprachgewalt dieser
zeigt, war die Kirchenreform – und zwar                  Übersetzung, die einen Zugang zu den
nicht nur in organisatorischer Hinsicht                  Inhalten der biblischen Schriften und da­
sondern auch im Sinn des geistlichen Le­                 mit eine neue Gestaltung der Frömmigkeit
bens und der Gestaltung der Frömmigkeit                  ermöglichte.
– seit langem mit dem grundsätzlichen                       Mit dem zugleich humanistischen und
                                                         theologischen Prinzip, ad fontes, zu den
19 Zitat nach: Stefan Michel, Die Revision der Luther­   Quellen bzw. zur Grundlage zurückzuge­
   bibel zwischen 1531 und 1545. Beobachtungen in        hen, hatte sich Luther auch vom Zwang
   den Protokollen von Georg Rörer, in: Melanie Lange
   und Martin Rösel, Was Dolmetschen für Kunst und       der Nähe zum Lateinischen befreit. Bi­
   Arbeit sei. Die Lutherbibel und andere deutsche
   Übersetzungen. Beiträge der Rostocker Konferenz
                                                         belverbot und Zwang zum Lateinischen
   2013, Leipzig und Stuttgart 2014, 83–106: 87.         oder zumindest eine möglichst große

Amt und Gemeinde                                                                               163
Nähe auch der deutschen Übersetzung                      derten Nachdrucks des Septembertesta­
zum Lateinischen zählten für ihn nicht                   ments beifügte und das wiederholt nach­
mehr. Luthers gern zitierte Äußerung,                    gedruckt wurde.
dass man dem Volk aufs Mauls schauen                        Luther verwendete die regionale Kanz­
müsse und darauf achten, wie „die Mutter                 leisprache von Meissen. Er ergänzte aber
im Haus, die Kinder auf der Gasse und                    deren Bestand durch eine Reihe von Wör­
der gemeine Mann auf dem Markt“ reden,                   tern, die er tatsächlich vom Volk aufnahm,
ist auf diesem Hintergrund zu verstehen,                 dem er „auf’s Maul schaute“, aber auch
zumal Luther seine Bemerkung genau mit                   durch eine ganze Reihe von Neuschöp­
diesem Kontrast zur lateinischen Sprache                 fungen, die er erfand, um die biblischen
einleitet.20                                             Sachverhalte zum Ausdruck zu bringen.22
    Ein gewisser Vorteil war auch die                       Während Luthers Orthographie wie
Sprache Luthers, die man als (ost)mit­                   damals üblich zunächst noch ziemlich
teldeutsch bezeichnen kann. Diese war                    unregelmäßig war, wurde sie allmählich
sowohl im Oberdeutschen als auch im                      regelmäßiger. Das hatte schon bei den
Niederdeutschen einigermaßen gut ver­                    reformatorischen Schriften Luthers be­
ständlich. Allerdings waren damit kei­                   gonnen und setzte sich in der Deutschen
neswegs alle Regionen des deutschen                      Bibel fort. Das ergab sich einerseits aus
Sprachraums erfasst. Es entstanden so­                   der Revisionsarbeit, andererseits auch von
wohl nieder (/nord-) deutsche als auch                   Seiten der Buchdrucker, die im Sinn ei­
süddeutsche Ausgaben, die faktisch den                   ner möglichst großen Auflage und weiten
Text Luthers boten, in denen aber weni­                  Verbreitung eine möglichst konsistente
ger gebräuchliche oder unbekannte Wör­                   Schreibweise haben wollten.
ter durch regional gebräuchliche ersetzt                    Luther verwendete intensiv die da­
wurden.21 Ein beliebtes Hilfsmittel für den              mals noch kaum gebräuchliche Groß­
oberdeutschen Raum wurde das Glossar,                    schreibung. Sie diente der Hervorhebung
das der Baseler Buchdrucker Adam Petri                   wichtiger Wörter („Hauptwörter“ im ur­
1523 der zweiten Auflage seines unverän­                 sprünglichen Sinn), und zwar nicht nur
                                                         von Nomina sondern auch von anderen
20 „man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen
                                                         sinntragenden Wörtern. Auch diese prak­
   sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie       tische Erfindung zeigt die Orientierung
   diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm
   hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man
   auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff
   das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetz­
   schen, so verstehen sie es den und mercken, das man   22 Siehe dazu u. a. die Beiträge im Internet:
   Deutsch mit jn redet.“ Martin Luther, Sendbrief vom      www.die-bibel.de/ueber-uns/unsere-uebersetzungen/
   Dolmetschen, 1530.                                       lutherbibel-2017/reformationsjubilaeum/rede
21 Zur Geschichte der deutschen Sprache siehe etwa:         wendungen-der-lutherbibel (20.6. 2017) und
   Peter von Polenz: Geschichte der deutschen Sprache,      www.luther2017.de/de/reformation/und-gesellschaft/
   De Gruyter Studienbuch, 10. völlig neu bearbeitete       deutsche-sprache/wem-hat-luther-aufs-maul-
   Auflage von Norbert Richard Wolf, Berlin / New York      geschaut-luthers-einfluss-auf-die-sprache (Interview
   2009.                                                    mit Hartmut Günther; abgerufen 20.6.2017)

164                                                                                    Amt und Gemeinde
an den Lesenden und an dem Anliegen,                       Die Kodizes platzierten die Apokryphen
die Botschaft des Textes zu vermitteln.23                  durchaus unterschiedlich und variierten
   So waren insgesamt durchaus verschie­                   auch im Umfang. So hat z. B. der be­
dene Faktoren wirksam, aber entschei­                      rühmte Kodex Vaticanus aus dem 4.  Jh.
dend war doch, dass es um eine deutsche                    keine Makkabäerbücher, dagegen bietet
Bibel ging, d. h. eine Übersetzung, die                    erstmals der aus dem 5.  Jh. stammende
sich an der Zielsprache orientierte und                    Kodex Alexandrinus die Oden und mit ih­
den alten Bann des Lateinischen brach,24                   nen erstmals das Gebet des Manasse, das
und die zugleich sorgfältig am Urtext ori­                 sich dann auch in der Vulgata findet und
entiert war.                                               mit dem dann Luther die Apokryphen und
                                                           damit das ganze Alte Testament abschloss.
2.4 Zur Stellung der                                       Von den Kirchschriftstellern der Antike
    Apokryphen                                             wurden Unterschiede und Abstufungen
                                                           erörtert, auch die altkirchlichen Ka­
Bis in neueste Zeit findet sich die Behaup­                nonslisten sind nicht einheitlich. Gerade
tung, dass Luther die sog. Apokryphen aus                  Hieronymus, der Übersetzer und Gestal­
der Bibel entfernt hätte. Diese Behauptun­                 ter der Vulgata, machte einen deutlichen
gist in zweierlei Hinsicht falsch, einerseits              Unterschied zwischen den Schriften mit
werden Diskussionen des 19. Jh.s in das                    hebräischem Text und den nur Griechisch
16. Jh. zurückprojiziert, und andererseits                 geschriebenen bzw. erhaltenen. Festzu­
werden Entscheidungen des Tridentinums                     halten ist, dass auch in der lateinischen
in die Zeit Luthers zurückprojiziert.                      Tradition die Zahl und die Zuordnung
   Zunächst ist festzuhalten, dass die                     der Apokryphen schwankte und dass die
Stellung der sogenannten Apokryphen                        Vulgata weniger „apokryphe“ Schriften
in der mittelalterlichen und vortridenti­                  enthält als die Septuaginta.
nischen Zeit keineswegs einheitlich war.                       Luther blieb mit seiner Einstufung der
                                                           einzelnen sog. Apokryphen durchaus im
                                                           Rahmen der Tradition. So schreibt Luther
                                                           in der Vorrede zu Jesus Sirach: Das Buch
23 Dass die Großschreibung später auf Nomina und no­
   minale Fügungen bezogen wurde, ist eine Sache der
                                                           ist „von den alten Vetern nicht in der Zal
   weiteren Entwicklung. Dass sich die Großschreibung      der heiligen Schrifft / sondern als sonst
   trotz diverser Anläufe zu ihrer Abschaffung (siehe
   z. B. das große Wörterbuch der Brüder Grimm) nicht
                                                           ein gut / fein Buch eins weisen Mannes
   abgeschafft werden konnte, zeigt, dass sie zum Lesen    gehalten / Da bey wirs auch lassen blei­
   und Erfassen eines Textes äußerst hilfreich ist.
                                                           ben.“ Luther nimmt hier klar auf die Tra­
24 Diese Freiheit vom lateinischen Sprachduktus ist
   zu unterscheiden davon, dass Luther an manchen          dition Bezug und sagt ausdrücklich, dass
   Stellen der Sache nach dem Wortlaut der Vulgata         er es dabei belassen will. Ähnliches gilt
   folgte, etwa mit der Übersetzung von Phil 4,7 als
   Wunsch: „Der Friede Gottes … bewahre eure Herzen        auch für die anderen Schriften, die Luther
   und Sinne …“ (gegenüber „wird bewahren“, wie es
   im Griechischen lautet und jetzt in der neuen Luther­
                                                           durchaus loben und auch tadeln kann, aber
   bibel wiedergegeben ist).                               zu denen sein Urteil, dass sie nicht der

Amt und Gemeinde                                                                                 165
Sie können auch lesen