FALL 1 (RK): METHODE DER FALLBEARBEITUNG

 
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Öffentliches Recht II & III / Übungen                                               FS 2021

FA L L 1 ( R K ) :
M E T H O D E D E R FA L L B E A R B E I T U N G

Hinweis: Nachstehend finden Sie einen typischen Übungsfall. Es geht bei die-
ser Übung aber nicht darum, den Fall inhaltlich zu lösen; vielmehr soll die
methodische Herangehensweise an eine Fallbearbeitung veranschaulicht
und geübt werden.

Am 12. Februar 2020 bemerkte A., Mieter einer Wohnung an der X-Strasse in
der Gemeinde Y. (im Kanton Y.), einen merkwürdigen, der Wohnung des un-
mittelbar benachbarten B. entströmenden Geruch und benachrichtigte tele-
fonisch die Gemeindepolizei Y. Auf Läuten und Klopfen der ausgerückten Po-
lizisten öffnete B., ein 31-jähriger Mann, die Wohnungstür und gewährte ei-
nige Zeit später Einlass. Die Polizisten stellten überall an der Decke selbstver-
legte und befestigte Kabel sowie an verschiedenen Stellen in der Wohnung
diverse Behältnisse mit undefinierbarem Inhalt (weisses Pulver, Flüssigkei-
ten) fest. B. gab an, Plastik in der Wohnung verbrannt zu haben. Er machte
einen verwirrten und offensichtlich psychisch angeschlagenen Eindruck und
war nicht in der Lage, die Polizisten über den Zweck der Kabel und die Be-
schaffenheit der verschiedenen Substanzen bzw. deren Verwendung aufzu-
klären. Da die Situation in der Wohnung unübersichtlich war und die Polizis-
ten damit rechneten, dass sich eine Substanz durch Berührung entzünden
könnte, wurden verschiedene spezialisierte Einsatzkräfte aufgeboten. Das Ge-
biet um die Wohnung des B. wurde grossräumig abgesperrt, die Hausbewoh-
ner evakuiert und der Strom in der Wohnung des B. abgestellt. B. wurde in
das Gemeindekrankenhaus Y. überführt, wo der behandelnde Arzt wegen
psychischer Störung gleichentags die Fürsorgerische Unterbringung (FU) an-
ordnete. Der Regierungsstatthalter wurde am Abend des 12. Februars 2020
infolge Bombenalarms an die X-Strasse gerufen und über die getroffenen
Massnahmen orientiert.

Am Morgen des 13. Februars 2020 erteilte der Regierungsstatthalter der Ge-
meindepolizei Y. und den von ihr beigezogenen Spezialdiensten schriftlich
den Auftrag, „die Wohnung des B. zu betreten und zu durchsuchen sowie sie
zu räumen“. Zur Begründung führte er aus, aufgrund von polizeilichen Fest-
stellungen sei eine Gefährdung von Dritten bzw. der Öffentlichkeit durch in
der Wohnung aufgefundene, noch unbekannte Substanzen nicht auszu-
schliessen. Die Gemeindepolizei Y. führte diesen Auftrag gleichentags aus.
Spezialisten untersuchten vor Ort diverse Materialien und Gegenstände,
konnten jedoch keinerlei Substanzen finden, die sich bei Berührung hätten
entzünden können oder eine anderweitige Gefahr darstellten. Auch die Ver-
kabelungen bargen keine Gefahren. Die Entschärfungsspezialisten entsorg-
ten verschiedene Behältnisse mit weissem Pulver (vermutlich Scheuerreini-
gungsmittel in Pulverform) bzw. Flüssigkeiten (Speiseöl und weisse Farbe)

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                         1
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sowie ein Fass mit Plastikmüll. Anschliessend räumte die polizeilich beauf-
tragte Umzugsfirma die Wohnung des B. Insgesamt wurden 160 Kehrrichtsä-
cke sowie 157 Kisten mit unterschiedlichstem Inhalt (Vorhänge, Einrichtungs-
gegenstände, alte Bücher, Werkzeug etc.) entsorgt. Die Eltern des B. waren
während der ganzen Aktion anwesend; ihnen wurden vor Ort einige Gegen-
stände gegen Empfangsbescheinigung ausgehändigt (unter anderem Aus-
weise, Wertschriften und eine goldene Taschenuhr).

Am 14. Februar 2020 erhielt B. die Anordnung zugestellt, mit welcher der Re-
gierungsstatthalter am Vortag die Gemeindepolizei Y. und die von ihr beige-
zogenen Spezialisten beauftragt hatte, die Wohnung des B. zu betreten, zu
durchsuchen und zu räumen. Am 20. Februar 2020 erhob B. gegen diese An-
ordnung durch einen von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (vor-
sorglich) bestellten Vertreter Beschwerde und beanstandete sinngemäss ihre
Rechtmässigkeit. Mit Entscheid vom 29. Januar 2021 lehnt das Verwaltungs-
gericht des Kantons Y. die Beschwerde als letzte kantonale Instanz ab. B.
möchte den Entscheid des Verwaltungsgerichts auf Bundesebene anfechten.

1.     Welches ist die Rechtsnatur der Anordnung des Regierungsstatthalters
       vom 13. Februar 2020?

2.     Steht B ein Rechtsmittel im Bund offen und wird die angerufene Behörde
       darauf eintreten?

Fragen

1.         Zum Sachverhalt

a)         Welches sind die Hauptelemente des Sachverhalts?

b)         Auf welcher bundesstaatlichen Ebene spielt sich der Sachverhalt ab?
           Wer sind die am Sachverhalt beteiligten Akteure? Welche Argumente
           werden vorgebracht?

c)         Welches sind die Etappen der Prozessgeschichte? Welcher Hoheitsakt
           ist als letztes ergangen?

2.         Zum Thema

a)         Um welche Frage/n geht es in diesem Fall thematisch?

b)         In welche Rolle sind Sie als Bearbeiter/in dieses Falls versetzt?

3.         Zum Recht

a)         Welche Rechtsgebiete sind angesprochen? Welche Erlasse bzw. Nor-
           men brauchen Sie zur Bearbeitung der aufgeworfenen Fragen?

b)         Welche Rechtsfragen stellen sich? In welcher Reihenfolge sind diese
           sinnvollerweise zu beantworten?

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FA L L 2 ( A B ) :
R E C H T L I C H E E I N O R D N U N G VO N S A C H V E R H A LT E N I

Ordnen Sie die nachstehenden vier Sachverhalte rechtlich ein und legen Sie
dar, wie Sie die Falllösung angehen würden.

                                        1.

Anfang Dezember 2013 meldete sich X. für die Gymnasialaufnahmeprüfun-
gen an der Kantonsschule Schönbühl (Kanton St. Gallen) an. Der Anmeldung
lag ein Gesuch von X.s Vater bei, seinem Sohn sei bei den Prüfungen die
Benützung eines Computers zu gestatten. Das Gesuch stützte sich insbeson-
dere auf einen Bericht des Zentrums für Schulpsychologie und therapeuti-
sche Dienste des Kantons St. Gallen. Darin wird bescheinigt, dass X. visuo-
motorische Schwierigkeiten aufweise; im Sinne eines Nachteilsausgleichs sei
deshalb zu empfehlen, X. bei der Aufnahmeprüfung sowie bei allen künftigen
schriftsprachlichen Prüfungen an der Kantonsschule die Verwendung eines
Computers zu ermöglichen. Wenig später fragte auch der damalige Klassen-
lehrer von X. bei der Kantonsschule nach, ob X. die Aufnahmeprüfung, min-
destens aber den Aufsatz im Fach Deutsch, mit Computer absolvieren könne;
in Stresssituationen sei X.s Schrift dermassen unleserlich, dass niemand sie
entziffern könne.

Zehn Tage vor der Prüfung eröffnete der Rektor der Kantonsschule X. und
seinen Eltern anlässlich einer mündlichen Besprechung, X. dürfe weder den
Computer benützen noch bekomme er zusätzliche Zeit für das Lösen der Auf-
gaben. Die prüfenden Lehrpersonen würden jedoch über die Schreibschwä-
che informiert und seien angehalten, das Geschriebene sorgfältig zu entzif-
fern. In der Folge legte X. die Gymnasialprüfungen ab. Am 14. März 2014 ver-
fügte der Rektor der Kantonsschule, mit der erreichten Notensumme von 14
Punkten (Deutsch = 3.0; Französisch = 4.0; Mathematik 1 = 3.5; Mathematik 2
= 3.5) habe X. die Aufnahmeprüfung für den Eintritt in das Gymnasium nicht
bestanden.

X.s Vater ist mit dem negativen Prüfungsentscheid nicht einverstanden und
möchte, dass sein Sohn die Prüfung wiederholen darf. Er ist der Auffassung,
sein Sohn sei behindert und habe Anrecht auf Nachteilsausgleich. Die Auf-
nahmeprüfung sei in einer Art und Weise durchgeführt worden, die es X. ver-
unmöglicht habe, sein intellektuelles Wissen und Können zu beweisen. Die
kantonalen Instanzen weisen seine Rechtsmittel ab. Nun gelangt der Vater
von X. ans Bundesgericht. Ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Ange-
legenheiten zulässig? Angenommen, das Bundesgericht trete auf die Be-
schwerde ein: Wie schätzen sie die materiellen Erfolgsaussichten der Be-
schwerde ein?

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                    3
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Mit Beschluss vom 27. Januar 2020 erliess der Kantonsrat Zürich eine Ver-
ordnung über die Entschädigung der Kantonsratsmitglieder und der Fraktio-
nen (EVKR/ZH; LS 171.13). Die Verordnung wurde am 31. Januar 2020 im
Amtsblatt des Kantons Zürich publiziert und auf den 1. Mai 2020 in Kraft ge-
setzt. Mit der EVKR/ZH wird namentlich die Grundentschädigung, das Sit-
zungsgeld und die Spesenentschädigung für die Mitglieder des Kantonsrates
gegenüber dem bis anhin geltenden einschlägigen Beschluss des Kantonsra-
tes erhöht. Die Grundentschädigung beträgt neu Fr. 12‘000.-- statt Fr.
4‘000.-- (§ 2 Abs. 1 EVKR/ZH), das Sitzungsgeld Fr. 220.-- statt Fr. 200.-- (§ 2
Abs. 2 EVKR/ZH) und die Spesenentschädigung Fr. 8‘100.-- statt Fr. 2‘800.-- (§
5 Abs. 1 EVKR/ZH). Kantonsrat X. findet die neuen Ansätze überhöht. Er focht
die EVKR/ZH deshalb am 13. Februar 2020 beim Verwaltungsgericht des Kan-
tons Zürich an, welches die Beschwerde am 23. Juli 2020 abwies, soweit es
darauf eintrat. Am 14. September 2020 erhebt Kantonsrat X. Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt die Aufhebung des Ur-
teils des Verwaltungsgerichts vom 23. Juli 2020 sowie die Aufhebung der
EVKR/ZH. Tritt das Bundesgericht auf diese Beschwerde ein?

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A. ist nigerianischer Staatsangehöriger. Im Jahr 2013 lernte er über das Inter-
net die Schweizerin T. kennen. Wenig später reiste A. in die Schweiz ein, um
T. zu besuchen. Sie beschlossen, zu heiraten. Nach der Heirat erhielt A. zum
Verbleib bei seiner Ehefrau die Aufenthaltsbewilligung. Die Ehe hielt jedoch
nicht lange: Bereits im Jahr 2014 liessen sich A. und T. wieder scheiden;
Grund dafür waren ständige Streitereien, in deren Rahmen es hin und wieder
auch zu gegenseitigen Tätlichkeiten kam. Kurz nach der Scheidung eröffnete
das Migrationsamt ein Verfahren auf Widerruf der Aufenthaltsbewilligung.
Während dieses Verfahrens meldete sich T. beim Migrationsamt: In verschie-
denen Briefen äusserte sie sich ausgesprochen negativ über ihren ehemali-
gen Ehegatten und dessen sexuelle Vorlieben. Die für das Ausländerrechts-
verfahren zuständige Mitarbeiterin nahm die Briefe zunächst zu den Akten
(und paginiert sie entsprechend). Später gelangte sie aber zur Einsicht, dass
die Briefe für die Entscheidung über die Aufenthaltsbewilligung von A. nicht
von Belang seien. Um zu vermeiden, dass A. von den negativen Äusserungen
seiner ehemaligen Ehefrau erfahren könnte, entfernte sie die Briefe aus den
Akten. Wenig später verfügte sie den Widerruf von A.s Aufenthaltsbewilli-
gung und ordnete dessen Wegweisung an.

A. ergriff in der Folge ein Rechtsmittel und verlangte in diesem Zusammen-
hang Akteneinsicht. Bei der Durchsicht des Aktenverzeichnisses fiel ihm auf,
dass einige Akten entfernt worden seien. Daraufhin verlangte er im Rahmen
des kantonalen Beschwerdeverfahrens die Herausgabe dieser Akten. Die Be-

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schwerdeinstanz lehnte dieses Begehren ab: Selbst wenn man vollumfäng-
lich auf den von A. behaupteten Sachverhalt abstelle, bestünden hinrei-
chende Gründe für den Widerruf seiner Aufenthaltsbewilligung.

A. gelangt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das
Bundesgericht und beschwert sich über das seiner Meinung nach willkürliche
Vorgehen der kantonalen Behörden. Unter der Annahme, dass das Bundes-
gericht auf seine Beschwerde eintrete: Wie wird das Bundesgericht entschei-
den?

                                        4.

X. ist Eigentümerin und Halterin des am 23. Mai 2019 geborenen Schweins
Jack, einer Kreuzung aus den zwei Mastschweinrassen Duroc und Edel-
schwein. Jack ist an beiden Hintergliedmassen gelähmt. Am 10. August 2019
wurde er auf der Abteilung für Schweinemedizin der Universität Zürich
(Vetsuisse Fakultät) klinisch und neurologisch untersucht. Der untersuchende
Tierarzt empfahl X. noch während der Narkose die Euthanasierung Jacks. X.
folgte dieser Empfehlung nicht; stattdessen nahm sie das Schwein wieder mit
auf ihren Bauernhof und brachte es dort mit anderen Mastschweinen unter.

Am 6. September 2019 kontrollierte das Veterinäramt des Kantons Y. die
Schweinehaltung auf dem Betrieb. Weil es dabei diverse Missstände fest-
stellte und der Gesundheitszustand von Jack zu Bedenken Anlass gab, ver-
pflichtete es X. mit Verfügung vom 29. September 2019 dazu, Jack binnen 30
Tagen einschläfern zu lassen und dem Amt in der Folge eine entsprechende
Bescheinigung vorzulegen. Dieser Verpflichtung kam X. nicht nach. Stattdes-
sen liess sie Jack am 30. September 2019 in einer Tierklinik operieren und
brachte ihn dann zur Therapie in ein Tiergesundheitszentrum. Zudem erhob
sie innert Frist Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht (der Be-
schwerde kommt nach dem anwendbaren kantonalen Verfahrensrecht auf-
schiebende Wirkung zu). Mit der Beschwerde reichte X. ein Privatgutachten
einer Tierärztin ein, gemäss welchem Jack in seinem gegenwärtigen Zustand
artgerecht gehalten werden könne

Im Rahmen der Verfahrensinstruktion gab das Verwaltungsgericht beim Amt
für Veterinärwesen des Kantons B. ein Gutachten zum Gesundheitszustand
und Verhalten von Jack in Auftrag. Wie die Privatgutachterin gelangte auch
der Gerichtsgutachter zum Ergebnis, dass es Jack soweit gut gehe und dass
die tierschutzspezifischen Anforderungen an seine Haltung erfüllt seien. Je-
doch könne angesichts der neurologischen Probleme von Jack kaum abge-
schätzt werden, wie sich die Situation weiterentwickle. Auf dieser Grundlage
– und gestützt auf die Feststellung, dass X. eine artengerechte Haltung Jacks
gewährleisten könne – entschied das Verwaltungsgericht am 2. März 2020
gestützt auf Art. 24 des Tierschutzgesetzes vom 16.12.2005 (TSchG; SR 455)
wie folgt:

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     1. Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. Die angefoch-
        tene Verfügung wird aufgehoben. Stattdessen wird angeordnet, dass X. dem
        Veterinäramt jede Änderung der Haltebedingungen unverzüglich mitzuteilen
        hat. Zudem wird X. verpflichtet, dem Veterinäramt erstmals per 31. März
        2020, und dann alle zwei Monate, auf eigene Kosten einen tierärztlichen Be-
        richt über den Gesundheitszustand von Jack einzureichen; der Tierarzt ist
        durch das Veterinäramt zu bezeichnen.

     2. (Kosten- und Entschädigungsfolgen)

Fragen

1. Wie ist der Entscheid des Verwaltungsgerichts materiell zu beurteilen?
   (vgl. dazu Art. 23 und 24 TSchG)?

2.     Kann X. den Entscheid des Verwaltungsgerichts beim Bundesgericht an-
       fechten?

3.     Angenommen, nach Einreichen des Rechtsmittels versterbe Jack: Wie
       wird das Bundesgericht entscheiden?

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FA L L 3 ( R K ) :
AUF DER GASSE

A. ist Filmschaffender. Mit seinem neusten Projekt «Pesche. Auf der Gasse»
will er einen heroinsüchtigen Mann porträtieren. Um sein Projekt verwirkli-
chen zu können, ersuchte er letztes Jahr das Bundesamt für Kultur (BAK) um
einen Herstellungsbeitrag in der Höhe von Fr. 250‘000.-. Das Gesuch wurde
vom BAK allerdings aufgrund der Empfehlung des zuständigen Ausschusses
«Dokumentarfilm» der Fachkommission Filmförderung abgelehnt. Im Sinne
der entsprechenden Verordnung des Eidgenössische Departements des In-
nern (EDI) über die Filmförderung (Art. 53 FiFV) überarbeitete A. das Gesuch
grundlegend und reichte es innert Frist nochmals ein. Der Ausschuss «Doku-
mentarfilm» unterstützte daraufhin an der Sitzung vom 15. Februar 2021 das
Projekt mit 4 zu 1 Stimmen und folgenden Argumenten (Sitzungsprotokoll):

           «Pro: Der Film vermag über den ausgewählten Protagonisten und die Dreh-
           orte das Leben eines randständigen Menschen eindrücklich zu erzählen und
           problematische Aspekte der Drogenpolitik sichtbar zu machen. Das Projekt
           verspricht ein inhaltlich wie auch visuell spannendes Kino».

           «Kontra: Die betroffenen Menschen werden – ethisch fragwürdig – in einer
           schwülstigen Dokumentation zur Schau gestellt».

Allein unter Hinweis auf das Gegenargument im Sitzungsprotokoll teilte das
Bundesamt dem A. mit Schreiben vom 8. März 2021 (eingetroffen am 9. März
2021) mit, dass zwar Mittel zugesprochen würden, aber nur im Umfang von
Fr. 100‘000.- Man bedaure, keinen besseren Bescheid geben zu können. A. fiel
aus allen Wolken, hatte ihm doch ein Sachbearbeiter des Bundesamtes tele-
fonisch noch Mitte Dezember 2020 mitgeteilt, die Zusprache des gesamten
Betrages sei nach der positiven Empfehlung des Ausschusses «eine reine
Formsache». Dem im Schreiben vom 8. März 2021 angehängten Sitzungspro-
tokoll entnahm A. zudem, dass seine ewige Konkurrentin B., die zurzeit ein
ähnliches Projekt mit einer weiblichen Randständigen verfolgt, als Mitglied
der Kommission tätig war – von ihr musste die negative Stimme und das Ge-
genargument stammen.

A. kann das Projekt mit den ihm zugesprochenen Fr. 100‘000.- nicht finanzie-
ren. Er gelangt daher an die Rechtsanwältin, in deren Kanzlei Sie das An-
waltspraktikum absolvieren. Die Anwältin beauftragt Sie mit der rechtlichen
Abklärung des Falls.

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Fragen

1.         Was ist die Rechtsnatur des Schreibens vom 8. März 2021?

2.         Nach welchen verfahrensrechtlichen Regeln und in welchem Verfah-
           ren hat das BAK entschieden?

3.         Welche Argumente soll A. gegen das Schreiben vorbringen und wel-
           che Chancen hat er, damit durchzudringen?

4.         Welche Behörde ist zur Behandlung der Rügen zuständig?

5.         A. möchte insbesondere die Rüge erheben, die Kürzung um Fr.
           150'000.- sei unangemessen; angesichts der geringfügigen Kritik wäre
           – wenn schon – eine Kürzung um Fr. 50'000.- sachgerecht gewesen. Ist
           das zulässig?

Beilagen
Bundesgesetz über Filmproduktion und Filmkultur (FiG) vom 14. Dezember 2001 (SR
443.1)
Art. 14 Entscheide über Finanzhilfen und andere Formen der Unterstützung
1
 Finanzhilfen und andere Formen der Unterstützung werden vom zuständigen Bun-
desamt (BAK) zugesprochen.
2
 Wenn es dem Bundesamt an Sachkenntnis mangelt, lässt es die Gesuche durch
Fachkommissionen oder beauftragte Experten oder Expertinnen begutachten.

Art. 26 Fachkommissionen
1
    Zur Begutachtung von Förderungsgesuchen werden Fachkommissionen eingesetzt.
2
    Das EDI regelt Organisation und Verfahren.

Art. 32 Verfahren und Rechtsmittel
1
 Das Verfahren und die Rechtsmittel richten sich nach den allgemeinen Bestimmun-
gen über die Bundesrechtspflege.
3
 In Beschwerdeverfahren gegen Verfügungen über Finanzhilfen ist die Rüge der Un-
angemessenheit unzulässig.

Verordnung des Eidgenössische Departement des Innern (EDI) über die Filmförde-
rung (FiFV) vom 21. April 2016 (SR 443.113)
Art. 12 Selektive Filmförderung
Finanzhilfen der selektiven Filmförderung werden nach den in Anhang 1 Ziffer 2.1
festgehaltenen Qualitätskriterien vergeben.

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Art. 41 Zuständigkeit
4
 Das BAK informiert die gesuchstellende Person bei der Ausschreibung oder im Ein-
zelfall über das vorgesehene Begutachtungsverfahren und über die Personen, die an
der Begutachtung mitwirken. Es gibt der gesuchstellenden Person Gelegenheit, Aus-
standsgründe geltend zu machen.

Art. 42 Ausstand und Ausschluss von der Mitwirkung an der Expertise
1
 Expertinnen und Experten gelten in Bezug auf ein bestimmtes Gesuch insbesondere
als befangen im Sinne von Artikel 10 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20.
Dezember 1968 (VwVG), wenn sie:
a. von einem zu treffenden Entscheid unmittelbar persönlich betroffen sind;
b. in einer anderen Funktion berechtigt sind, über das Projekt oder die zu fördernde
Aufgabe zu entscheiden; oder
c. bei dem Projekt oder der zu fördernden Aufgabe in einer künstlerischen, techni-
schen oder organisatorischen Funktion mitwirken, mitwirken sollen oder mitgewirkt
haben.
3
 Expertinnen und Experten, die in Bezug auf ein bestimmtes Gesuch als befangen
gelten, treten für die Dauer der Beratung über dieses Gesuch in den Ausstand.

Art. 47 Entscheid auf Grund der Begutachtung
1
 Das BAK folgt in der Regel der Empfehlung der begutachtenden Ausschüsse oder
der als Experte oder Expertin beauftragten Person. Eine abweichende Entscheidung
hat es zu begründen.
2
 Das BAK teilt der gesuchstellenden Person zusammen mit seinem Entscheid das
Resultat der Begutachtung mit.

Art. 51 Form des Entscheids
1
 Ein befürwortender Entscheid ergeht in Form einer Verfügung. Ist die Gutheissung
des Gesuchs an keine Bedingungen und Auflagen gebunden, so wird gemäss Artikel
35 Absatz 3 VwVG auf die Begründung und Rechtsmittelbelehrung verzichtet.
2
 Heisst das BAK das Gesuch nur teilweise gut oder lehnt es dieses ab, so kann die
gesuchstellende Person innert 30 Tagen ab Erhalt der Mitteilung den Erlass einer
Verfügung verlangen.

Art. 53 Erneute Einreichung eines abgelehnten Gesuchs
1
 Abgelehnte Gesuche um eine Finanzhilfe der selektiven Filmförderung an das Dreh-
buchschreiben, die Projektentwicklung oder die Herstellung eines Filmprojektes kön-
nen ein zweites Mal eingereicht werden, wenn sie namentlich in den beanstandeten
Punkten grundlegend überarbeitet worden sind.
2
 Überarbeitete Gesuche sind innerhalb von 18 Monaten nach Mitteilung der Ableh-
nung einzureichen. Auf begründetes Gesuch hin kann das BAK die Frist zur Einrei-
chung um bis zu sechs Monate verlängern.

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Anhang 1:
2.1.3.7 Dokumentarfilmprojekte können unabhängig von Länge und Auswertungs-
medium gefördert werden. Dokumentarfilmprojekte mit Kinopotenzial werden be-
vorzugt. Bei Dokumentarfilmprojekten sind insbesondere folgende Kriterien massge-
blich:
a. künstlerische Qualität der Drehvorlage;
b. Entwicklungsstand des Projekts;
c. Kohärenz des Produktionsdossiers;
d. künstlerische und technische Kohärenz des Projekts;
e. Auswertungspotenzial;
f. Zielgruppenorientierung der geplanten Auswertung;
g. Beitrag zur Angebotsvielfalt;
h. Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit des beantragten Beitrags;
i. Produktionelle Erfahrung des Produktionsteams, wenn der beantragte Bundesbei-
trag höher ist als 400 000 Franken.

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FA L L 4 ( A B ) :
DER TIBETISCHE FLÜCHTLING UND SEIN SOHN

Der tibetische Aktivist Tenzin Norgay flüchtete im Jahr 2004 aus Furcht vor
den chinesischen Sicherheitsbehörden aus China nach Nepal. Der Fussweg
von China nach Nepal - die einzige Möglichkeit für eine Ausreise ohne Reise-
pass - ist sehr beschwerlich und mit verschiedenen Gefahren verbunden. Sei-
nen 2002 geborenen Sohn Gesar liess Tenzin Norgay deshalb bei seiner
Schwiegermutter zurück, die sich in den folgenden Jahren um ihn sorgte.
Tenzin Norgay seinerseits erhielt nach der Weiterreise in die Schweiz die
Flüchtlingseigenschaft zugesprochen, und ihm wurde Asyl gewährt. Er wies
schon während des Asylverfahrens darauf hin, dass sein Sohn Gesar in China
zurückgeblieben sei und dass er ihn sobald wie möglich zu sich in die Schweiz
holen wolle. Am 22. Januar 2008 ersuchte er deshalb beim damaligen Bun-
desamt für Migration (heute Staatssekretariat für Migration [SEM]) um Ertei-
lung einer Einreisebewilligung für seinen Sohn Gesar. Mit Verfügung vom 23.
Juni 2008 wurde dieses Gesuch gutgeheissen und eine Einreisebewilligung
ausgestellt, die ihrem Wortlaut nach keine Befristung enthielt. In der Bewilli-
gung wies das Bundesamt darauf hin, dass die Einreisebewillligung lediglich
zur Durchführung des Asylverfahrens in der Schweiz erteilt werde, jedoch
nicht zwangsläufig zur Folge habe, dass auch Gesar Asyl erhalte.

Zwar suchte Tenzin Norgay in den darauf folgenden Jahren immer wieder
nach Wegen, seinen Sohn Gesar in die Schweiz zu holen; alle Möglichkeiten
erwiesen sich aber als zu gefährlich. Erst im Mai 2016 gelang Gesar mit Hilfe
eines Schleppers die Ausreise aus China. In Nepal angekommen, wandte sich
Gesar an die schweizerische Vertretung in Kathmandu und ersuchte unter
Vorweisung der Einreisebewilligung um Ausstellung eines Visums. Die
Schweizer Vertretung beschied ihm jedoch, die Einreisebewilligung sei zu alt
und es müsse ein neuer Antrag gestellt werden. Am 7. Juli 2016 gelangte
Tenzin Norgay deshalb an das SEM und fragte nach, wie weiter vorzugehen
sei, um seinem Sohn die Einreise in die Schweiz zu ermöglichen. Die Eingabe
blieb bis am 2. November 2016 unbeantwortet, weshalb er das SEM ein wei-
teres Mal anschrieb und um Mitteilung des Verfahrensstands ersuchte. In
dem Schreiben vom 2. November 2016 führte Tenzin Norgay unter anderem
aus, sein Sohn habe Nepal im Oktober 2016 verlassen und halte sich mit einer
Gruppe tibetischer Leute in Indien auf.

Mit Schreiben vom 30. November 2016 teilte das SEM Tenzin Norgay mit, es
stelle sich aufgrund der langen Zeitdauer seit Ausstellung der Einreisebewil-
ligung die Frage, ob die asylrechtlichen Voraussetzungen für die Einreise in
die Schweiz noch gegeben seien und ob sein Sohn weiterhin ein rechts-
genügliches Interesse an einer Einreise in die Schweiz vorweisen könne.

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Möglicherweise seien die Voraussetzungen gegeben, um auf die Einreisebe-
willigung aus dem Jahr 2008 zurückzukommen. Im Hinblick auf eine solche
Massnahme forderte das SEM Tenzin Norgay auf, sich zur Beziehung zu sei-
nem Sohn, dessen Aufenthaltsort und dem späten Ausreisezeitpunkt verneh-
men zu lassen.

Mit Eingabe vom 12. Dezember 2016 kam Tenzin Norgay dieser Aufforderung
nach; er legte dar, er habe sich trotz der grossen Distanz immer finanziell um
seinen Sohn gekümmert und - soweit dies angesichts der grossen Distanz
zwischen der Schweiz und Tibet und der eingeschränkten Kommunikations-
mittel möglich gewesen sei - auch den Kontakt aufrecht erhalten. Im Jahr
2011 sei er unter Inkaufnahme grosser persönlicher Risiken heimlich nach
China zurückgereist, um zu versuchen, seinen Sohn in die Schweiz zu brin-
gen. Der Versuch habe sich jedoch als zu gefährlich erwiesen, und er habe
ihn deshalb abgebrochen.

Mit Verfügung vom 22. Dezember 2016 - eröffnet am 23. Dezember 2016 -
widerrief das SEM die Einreisebewilligung vom 23. Juni 2008 und verwei-
gerte die Einreise und den Familiennachzug von Gesar. Das SEM begründet
die Verfügung unter anderem damit, es sei davon auszugehen, dass ange-
sichts der langen Zeitdauer seit der Ausreise von Tenzin Norgay die Famili-
engemeinschaft mit Gesar aufgegeben worden sei; es bestünden damit be-
sondere Gründe im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG, die der Erteilung einer
Einreisebewilligung entgegenstünden. Es sei nicht glaubhaft, dass Tenzin
Norgay im Jahr 2010 nach Tibet zurückgereist sei.

Tenzin Norgay ist entrüstet und wendet sich Anfang Januar an Sie, um juris-
tischen Rat zu erhalten. Er hat verschiedene Beweismittel dabei, die dem SEM
nicht vorlagen, jedoch dokumentieren, dass er 2010 tatsächlich heimlich nach
Tibet zurückgereist ist, um seinen Sohn zu besuchen. Zudem führt er Ihnen
gegenüber glaubhaft aus, dass es für seinen Sohn nach der illegalen Ausreise
zu gefährlich sei, nach China zurückzukehren; die chinesischen Behörden
würden ihn als Dissidenten anschauen. Gesar sei damit zwischen Stuhl und
Bank gefangen: Er könne weder nach China zurück, noch könne er in die
Schweiz einreisen. Er bittet Sie, für ihn alle rechtlichen Möglichkeiten auszu-
schöpfen und erteilt Ihnen zu diesem Zweck eine Vollmacht.

Fragen

1.     Steht Tenzin Norgay gegen die Verfügung des SEM ein Rechtsmittel zur
       Verfügung und wird die angerufene Behörde darauf eintreten? Was müs-
       sen Sie bezüglich der Frist beachten?

2.     Welche Rügen würden Sie als Vertreterin bzw. Vertreter von Tenzin Nor-
       gay vorbringen und wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten der einzel-
       nen Rügen?

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Rechtsgrundlagen: BV, VGG, VwVG

Beilagen
Asylgesetz (AsylG) vom 26. Juni 2008 (SR 142.31)
Art. 17 Besondere Verfahrensbestimmungen
1
 Die Bestimmung des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 über
den Fristenstillstand findet keine Anwendung auf das Asylverfahren.

Art. 51 Familienasyl
1
 Ehegatten von Flüchtlingen und ihre minderjährigen Kinder werden als Flüchtlinge
anerkannt und erhalten Asyl, wenn keine besondere Umstände dagegen sprechen.
[…]
4
  Wurden die anspruchsberechtigten Personen nach Absatz 1 durch die Flucht ge-
trennt und befinden sie sich im Ausland, so ist ihre Einreise auf Gesuch hin zu bewil-
ligen.

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FA L L 5 ( R K ) :
EINBÜRGERUNG

Der in der Schweiz geborene B. und seine in die Schweiz zugezogene Ehefrau
A. sind italienische Staatsangehörige und führen seit 2001 erfolgreich ein ei-
genes Gipsergeschäft. Beide verfügen über gültige Niederlassungsbewilli-
gungen und wohnen seit 1993 im Kanton D. Vor zwei Jahren reichte B. in der
Gemeinde Frohdorf ein Gesuch um ordentliche Einbürgerung ein. Kurz da-
rauf fand ein erstes Gespräch zwischen B. und der Präsidentin sowie dem
Protokollführer der Einbürgerungsbehörde statt. Den gleichentags durchge-
führten Test über die gesellschaftlichen und politischen Kenntnisse bestand
B. erfolgreich. In einem zweiten Einbürgerungsgespräch wurde das geografi-
sche und kulturelle Wissen von B. überprüft. Dabei konnte er die Mehrheit
der Fragen nur teilweise oder gar nicht beantworten. Nach weiteren Abklä-
rungen beschloss die kommunale Einbürgerungsbehörde, das Einbürge-
rungsgesuch von B. abzuweisen. Zur Begründung führte sie aus, dass B. nicht
ausreichend in die schweizerischen und lokalen Verhältnisse eingegliedert
sei. So habe er nicht gewusst, dass im nahe gelegenen Tierpark Bären und
Wölfe im gleichen Gehege leben, ebenso wenig sei ihm der Name des kom-
munalen Altersheims bekannt gewesen. In Bezug auf die Schweizer Volks-
musik habe ihm weder der Begriff «Ländler» etwas gesagt, noch konnte er
das «Alphorn» als traditionelles Instrument der Schweiz als solches bezeich-
nen.

Die von ihm konsultierte Anwältin stutzt; vor kurzem war sie von Frau X. kon-
sultiert worden, deren Gesuch die Einbürgerungsbehörde der Gemeinde
Frohdorf ebenfalls abgewiesen hatte.

Die tschechische Staatsangehörige X. war 2005 in die Schweiz eingereist, um
den Schweizer Bürger Y. zu heiraten. Aufgrund dieser Ehe verfügt sie über
eine gültige Niederlassungsbewilligung. Im Jahr 2010 liessen sich X. und Y.
scheiden. X. arbeitete nach der Scheidung als Reinigungsangestellte und
Fabrikarbeiterin in verschiedenen, teils temporären Anstellungen im Niedrig-
lohnbereich. Zu ihrem Exmann hielt sie auch nach der Scheidung sporadisch
Kontakt; 2014 wurde sie von ihm schwanger. Der gemeinsame Sohn B. wurde
durch Y. anerkannt und erhielt dadurch das Schweizer Bürgerrecht. Y. kommt
seiner Unterhaltspflicht nach und nimmt sein Besuchsrecht regelmässig
wahr. Da Sohn B. an einer schweren Lungenerkrankung (chronisch-obstruk-
tive Bronchitis) leidet, betreute ihn X. während seiner ersten drei Lebensjahre
zu Hause. Sie musste deswegen ihre Erwerbstätigkeit aufgeben und bezog
Leistungen der Sozialhilfe. Nachdem sich der Gesundheitszustand von B. ge-
bessert hat, wird er an drei Tagen pro Woche in der örtlichen Kindertages-
stätte betreut. X. arbeitet seither wieder zu 40% in sechs verschiedenen Teil-
zeitanstellungen. Sie bezieht weiterhin Sozialhilfe, konnte aber aufgrund ihrer

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Erwerbstätigkeit den monatlichen Unterstützungsbeitrag auf Fr. 360.— sen-
ken. Ihr Gesuch um Zusicherung des Gemeindebürgerrechts der Gemeinde
Frohdorf wurde abgewiesen, weil X. Sozialhilfe bezogen und nicht zurückbe-
zahlt hatte und weiterhin sozialhilfeabhängig ist.

Fragen

1.     Welches Rechtsmittel steht B. bzw. X. auf Ebene Bund zur Verfügung?

2.     Wird die angerufene Instanz auf das von B. bzw. X erhobene Rechtsmittel
       eintreten?

3.     Unabhängig von der Beantwortung von Frage 2): Welche Rügen würden
       Sie als Anwältin bzw. Anwalt für B. bzw. X. vorbringen und wie beurteilen
       Sie die Erfolgsaussichten der einzelnen Rügen?

Beilagen
Bundesgesetz über das Schweizer Bürgerrecht vom 20. Juni 2014, SR 141.0 (BüG)
Ordentliche Einbürgerung

Art. 9 Formelle Voraussetzungen
1
 Der Bund erteilt die Einbürgerungsbewilligung nur, wenn die Bewerberin oder der
Bewerber:
a. bei der Gesuchstellung eine Niederlassungsbewilligung besitzt; und
b. bei der Gesuchstellung einen Aufenthalt von insgesamt zehn Jahren in der
Schweiz nachweist, wovon drei in den letzten fünf Jahren vor Einreichung des Ge-
suchs.
[…]

Art. 11 Materielle Voraussetzungen
1
 Der Die Erteilung der Einbürgerungsbewilligung des Bundes erfordert, dass die Be-
werberin oder der Bewerber:
a. erfolgreich integriert ist;
b. mit den schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut ist; und
c. keine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz darstellt.

Art. 12 Integrationskriterien
1
    Eine erfolgreiche Integration zeigt sich insbesondere:
a. im Beachten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung;
b. in der Respektierung der Werte der Bundesverfassung;
c. in der Fähigkeit, sich im Alltag in Wort und Schrift in einer Landessprache zu ver-
ständigen;

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d. in der Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung; und

e. in der Förderung und Unterstützung der Integration der Ehefrau oder des Eheman-
nes, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners oder der minder-
jährigen Kinder, über welche die elterliche Sorge ausgeübt wird.
2
 Der Situation von Personen, welche die Integrationskriterien von Absatz 1 Buchsta-
ben c und d aufgrund einer Behinderung oder Krankheit oder anderen gewichtigen
persönlichen Umständen nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erfüllen
können, ist angemessen Rechnung zu tragen.
3
    Die Kantone können weitere Integrationskriterien vorsehen.

Verordnung über das Schweizer Bürgerrecht vom 17. Juni 2016, SR 141.01 (BüV)
2. Kapitel: Integrationskriterien und weitere Voraussetzungen

Art. 7 Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung
1
  Die Bewerberin oder der Bewerber nimmt am Wirtschaftsleben teil, wenn sie oder
er die Lebenshaltungskosten und Unterhaltsverpflichtungen im Zeitpunkt der Ge-
suchstellung und der Einbürgerung deckt durch Einkommen, Vermögen oder Leis-
tungen Dritter, auf die ein Rechtsanspruch besteht.
[…]

Art. 9 Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse

Die zuständige Behörde berücksichtigt die persönlichen Verhältnisse der Bewerberin
oder des Bewerbers angemessen bei der Beurteilung der Kriterien nach den Artikeln
[…] 7 […]. Eine Abweichung von den Kriterien ist möglich, wenn die Bewerberin oder
der Bewerber diese nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erfüllen können
aufgrund:
a. einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung;
b. einer schweren oder lang andauernden Krankheit;
c. anderer gewichtiger persönlicher Umstände, namentlich wegen:
    1. einer ausgeprägten Lern-, Lese- oder Schreibschwäche,
    2. Erwerbsarmut,
    3. der Wahrnehmung von Betreuungsaufgaben,
    4. Sozialhilfeabhängigkeit, zu der es wegen einer erstmaligen formalen Bildung in
       der Schweiz kam, sofern die Sozialhilfeabhängigkeit nicht durch persönliches
       Verhalten herbeigeführt wurde.

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Verfassung des Kantons D.
Allgemeine Grundsätze

Art. 7 Bürgerrecht
1
 Erwerb und Verlust des Kantons- und des Gemeindebürgerrechts werden im Rah-
men des Bundesrechts durch die Gesetzgebung unter Vorbehalt folgender Grunds-
ätze geregelt.
2
    Das Kantonsbürgerrecht beruht auf dem Gemeindebürgerrecht.
3
    Nicht eingebürgert wird namentlich, wer:
a. wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist oder wer für eine
Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren rechtskräftig verurteilt
worden ist;
b. Leistungen der Sozialhilfe bezieht oder bezogene Leistungen nicht vollumfänglich
zurückbezahlt hat;
c. nicht nachweislich über gute Kenntnisse einer Amtssprache verfügt;

d. nicht nachweislich über ausreichende Kenntnisse des schweizerischen und kanto-
nalen Staatsaufbaus und seiner Geschichte verfügt;
e. nicht über eine Niederlassungsbewilligung verfügt.
4
    Es besteht kein Anspruch auf Einbürgerung.

Bürgerrechtsgesetz des Kantons D.
3 Erwerb durch behördlichen Beschluss (ordentliche Einbürgerung)

3.2 Ausländerinnen und Ausländer

Art. 11 Formelle Voraussetzungen
1
  Wer das Einbürgerungsgesuch einreicht, muss im Besitz der Niederlassungsbewil-
ligung sein und seit mindestens fünf Jahren ununterbrochenen Wohnsitz in der be-
treffenden Gemeinde haben.
2
    Sie müssen eine Niederlassungsbewilligung besitzen.

Art. 12 Materielle Voraussetzung
1
    Eine erfolgreiche Integration liegt vor, wenn die Ausländerinnen und Ausländer
a. die entsprechenden Vorgaben des Bundesrechts erfüllen,
b. in die kommunalen, kantonalen und schweizerischen Verhältnisse eingegliedert
sind,
c. mit den Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen in der Schweiz, im Kanton
und in der Gemeinde vertraut ist,
d. zehn Jahre vor der Gesuchseinreichung und während des Einbürgerungsverfah-
rens keine Leistungen der Sozialhilfe bezogen haben, ausser die bezogenen Leistun-
gen wurden vollständig zurückbezahlt,

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e. über gute mündliche und schriftliche Kenntnisse der Amtssprache des Verwal-
tungskreises der Einbürgerungsgemeinde verfügen, wobei die Gemeinden durch
Reglement entsprechende Kenntnisse der anderen Amtssprache zulassen können.
2
 Der Situation von Ausländerinnen und Ausländern, welche die Voraussetzungen
nach Absatz 1 Buchstabe b bis e aufgrund einer Behinderung oder andauernden
Krankheit oder aus anderen gewichtigen persönlichen Umständen nicht oder nur un-
ter erschwerten Bedingungen erfüllen können, ist in klar begründeten Fällen ange-
messen Rechnung zu tragen.

Bürgerrechtsverordnung des Kantons D.
2 Ordentliche Einbürgerungen

2.2 Ausländerinnen und Ausländer – Materielle Voraussetzungen

Art. 6 Gesellschaftliche und politische Grundkenntnisse
1
  Der Gesuchsteller muss über Grundkenntnisse der gesellschaftlichen und politi-
schen Verhältnisse in der Schweiz, im Kanton D. und in der Gemeinde verfügen. Dazu
gehören Grundkenntnisse insbesondere in den Bereichen:
a. Geschichte und Geographie;
b. Demokratie und Föderalismus;
c. politische Rechte;
d. soziale Sicherheit;
e. Schule und Ausbildung.
2
 Die Einbürgerungsbehörde beurteilt die Grundkenntnisse im Rahmen der persönli-
chen Anhörung oder verpflichtet den Gesuchsteller, auf seine Kosten bei 2 110.111
einer vom Departement des Innern anerkannten Bildungseinrichtung eine Prüfung
über die Grundkenntnisse abzulegen.

Art. 13 Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung
1
 Die persönlichen Verhältnisse der Ausländerinnen und Ausländer nach Artikel 9
Buchstabe a, b und c Ziffer 4 BüV sind in klar begründeten Fällen angemessen zu
berücksichtigen. Die persönlichen Verhältnisse nach Artikel 9 Buchstabe c Ziffer 2
und 3 BüV sind nur insoweit zu berücksichtigen, als sie eine Einbürgerung unange-
messen lange verunmöglichen, so dass damit eine besondere Härte verbunden ist.
2
 Leistungen der Sozialhilfe, die für minderjährige Familienmitglieder bezogen wur-
den, werden nicht im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d Bürgerrechtsgesetz
berücksichtigt.

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                         18
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FA L L 6 ( R K ) :
R E C H T L I C H E E I N O R D N U N G VO N S A C H V E R H A LT E N I I
Frage:

Welche Rechtsfrage steht bei den nachstehenden Sachverhalten im Zent-
rum? Wie würden Sie die Lösung methodisch angehen?

Hinweis: Die Fälle werden inhaltlich nicht gelöst.

                                        1.

X. war Eigentümer eines Hirten- und Schutzhundes. Während er in den Ferien
weilte, kümmerte sich seine von ihm getrenntlebende Ehefrau Y. um den
Hund. Als sie diesen an der Leine ausführte, griff der Hund unvermittelt eine
Velofahrerin an und biss diese in den Oberschenkel sowie in den rechten
Oberarm; sie musste im Spital ärztlich behandelt werden. Die Ehefrau konnte
den Hund in das Haus zurückbringen. Der Polizei gelang es - der Aggressivität
und des Gewichts (60 kg) des Hundes wegen - erst nach mehreren Versuchen
unter Beizug ihres Hundespezialisten, das Haus zu betreten und ihn in ein
Tierheim zu bringen. Der beigezogene stellvertretende Kantonstierarzt ord-
nete dort die sofortige Einschläferung des Hundes an; diese wurde umge-
hend vollzogen. Eine gesetzliche Grundlage ist nicht erkennbar.

                                        2.

A. will in der Wohnzone ein dreigeschossiges Haus bauen. Nach den Vor-
schriften der betreffenden Gemeinde dürfen in der Wohnzone nur zweige-
schossige Häuser gebaut werden. Trotzdem erteilt die Gemeinde dem A. eine
Bewilligung, da auch andere Baugesuchsteller regelmässig trotz Überschrei-
tens der gesetzlichen Höchstgeschosszahl Bewilligungen erhielten. Nachbar
B. will die Bewilligung anfechten - was kann er der Argumentation der Ge-
meinde entgegenhalten?

                                        3.

Das Disziplinarverfahren gegen Oberrichter X. führte die in der Sache zustän-
dige Justizkommission des Kantonsrats nicht selber durch, sondern beauf-
tragte den emeritierten Rechtsprofessor A. Zwei Tage später verfügte Profes-
sor A., dass die von X. beauftragte Anwältin aufgrund einer Interessenkolli-
sion nicht als Vertreterin zugelassen werde. X. ist konsterniert, dass die Jus-
tizdirektion das Verfahren nicht selber durchführt.

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                      19
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                                            4.

Die Einwohnergemeinde X. erlässt ein Bestattungs- und Friedhofreglement.
Dessen § 30 lautet:

           «Als Materialien für Grabmäler sind Eisen, Guss, Bronze, Holz und Kupfer zu-
           gelassen. Grabmäler aus Stein sind verboten».

                                            5.

An der Bürotüre von Richter R. findet sich folgende Mitteilung:

           «Eintreten erst nach vorherigem Anklopfen».

A. tritt ohne vorheriges Anklopfen ein, worauf ihm der Richter R. schlechtes
Benehmen vorwirft. A. zeigt sich entrüstet und weist darauf hin, dass nach
seinem Demokratieverständnis an Türen von Amtsräumen während der
Dienstzeit niemals anzuklopfen sei. Richter R. äusserte dahin, dass es ihm
egal sei, an welchen anderen Zimmern A. unhöflicherweise nicht klopfe, an
seinem Dienstzimmer jedenfalls sei anzuklopfen.

                                            6.

Gegen X. wurde im Kanton Y. ein Strafverfahren wegen Betruges durchge-
führt. Anlässlich der Einvernahme bezeichnete Richter Z. den Angeklagten als
„Lugihund“.

                                            7.

Die mittlerweile aufgehobene Verordnung I des Bundesrates zum Arbeitsge-
setz enthielt in Art. 71b folgende Regelung:

           «Für weibliche Arbeitnehmer darf Sonntagsarbeit dann bewilligt werden,
           wenn sie im betreffenden Beruf üblich ist».

A. will die Norm auf ihre Verfassungskonformität überprüfen lassen.

                                            8.

In der früheren Strafprozessgesetz des Kantons B. fand sich eine Bestim-
mung, wonach die Berufung als zurückgezogen gilt, wenn die rekurrierende
Partei nicht vor Gericht erscheint. Bisher hat das Kantonsgericht die Bestim-
mung jeweils dahingehend ausgelegt, es werde kein Rückzug angenommen,
wenn der Anwalt der angeklagten Person vor Gericht erscheine. W. wurde
durch das Bezirksgericht verurteilt. Gegen das Urteil legt er Berufung beim
Kantonsgericht ein. Das Kantonsgericht änderte seine publizierte Praxis und
tratt auf die Berufung von W. nicht ein, weil bloss dessen Anwalt vor Gericht
erschienen war. Was brachte W. gegen den Nichteintretensentscheid vor?

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                              20
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                                              9.

Während einer friedlichen Demonstration in der Stadt X. randalieren einzelne
Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Regierungsgebäude und
werfen Eier und Farbbeutel auf das Gebäude. Die Polizei löst die Demonstra-
tion auf und auferlegt die Kosten für den Einsatz den Veranstalterinnen.

                                              10.

Student A. erkundigte sich bei der Abteilung Ausbildungsbeiträge des Kan-
tons B. über die Fristen für die Einreichung eines Stipendiengesuchs. Telefo-
nisch wird ihm mitgeteilt, er habe nach Beginn der Ausbildung ein halbes
Jahr Zeit, um sein Gesuch einzureichen. Sechs Monate nach Studienanfang
reichte A. ein Gesuch ein. Kurz darauf erhielt er eine Stipendienverfügung.
Die Abteilung Ausbildungsbeiträge teilte ihm mit, sein Schreiben sei zwei
Monate zu spät eingegangen. Deshalb würden ihm gemäss Stipendiengesetz
nur Beiträge ab Anfang April 2007 zugesprochen.

           Stipendiengesetz des Kantons B.
           Art. 1 Gesuchseinreichung
           1
            Wer einen Ausbildungsbeitrag beanspruchen will, hat bei Beginn einer Aus-
           bildung innerhalb von vier Monaten nach Beginn der Beitragsperiode ein Ge-
           such auf den amtlichen Gesuchsunterlagen einzureichen.
           2
               Das Gesuch ist für jedes weitere Ausbildungsjahr zu erneuern.
           3
            Verspätet eingereichte Gesuche gelten nur noch für den ab Gesuchseinrei-
           chung verbleibenden Rest des Ausbildungsjahres. Beiträge für weniger als
           einen Monat werden nicht bewilligt.

                                              11.

Clubbetreiberin Frau A. erhält folgendes Schreiben:

                                                                     Frau A.
                                                                     Weberstrasse 5
                                                                     6000 Luzern

  Sehr geehrte Frau A.

  Aufgrund verschiedener Vorkommnisse und Beschwerden in den letzten
  Monaten müssen wir Ihnen leider Ihre Bewilligung zur Führung eines gast-
  gewerblichen Betriebs per 10. Januar 2008 entziehen.

  Mit freundlichen Grüssen
  Amt für das Gastgewerbe Kt. Luzern

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                            21
Öffentliches Recht II & III / Übungen                                                 FS 2021

                                         12.

Die Gemeinde D. hat ihr Abfallreglement revidiert und eine Abfallgebühr ein-
geführt. Zum einen wird eine mengenabhängige Gebühr (Abfallmarken) er-
hoben, zum andern sieht das Reglement eine pauschale Grundgebühr pro
Person für die separat eingesammelten Abfälle (Altpapier, Altglas usw.) vor,
welche für alle Einwohner gleich hoch ist. Einwohnerin G. fühlt sich durch
diese neue Grundgebühr benachteiligt, da sie viel weniger separat zu entsor-
gende Abfälle verursache als andere.

                                         13.

X. war von 2003 bis 2008 als Primarlehrer im Kanton A. tätig. Von 2008 bis
2017 arbeitete er in einem anderen Schweizer Kanton und an einer Schweizer
Schule im Ausland. 2020 nahm er seine Lehrtätigkeit im Kanton A. wieder
auf. Für die Besoldung wurde er gestützt auf die kantonale Besoldungsver-
ordnung dem System der Anlaufstufen unterstellt. X. ist mit der Einreihung
nicht einverstanden, der Staatsrat (Exekutive) sei zum Erlass der Verordnung
gar nicht zuständig gewesen.

           Besoldungsgesetz des Kt. W.
           Art. 4ter Anlaufstufen
           Der Staatsrat kann auf dem Verordnungswege bei der Anstellung Anlaufstu-
           fen festlegen, die eine Verminderung der Besoldung gemäss den ordentli-
           chen Bestimmungen zur Folge haben, und zwar um sechs Prozent im ersten,
           vier Prozent im zweiten und zwei Prozent im dritten Jahr.

                                         14.

X. verlangt die Auszahlung ihrer Freizügigkeitsleistung aus beruflicher Vor-
sorge, weil sie beabsichtigt, ihren Wohnsitz (definitiv) nach Italien zu verle-
gen. Die Vorsorgeeinrichtung lehnt eine Barauszahlung ab, weil X. keine Ab-
meldebestätigung der Behörden ihres Schweizer Wohnorts beibringen kann.
X. hat zwar bei der Einwohnergemeinde Y. eine solche verlangt, diese hat
sich jedoch geweigert, ein entsprechendes Dokument auszustellen. Die Ein-
wohnerkontrolle begründet ihre Haltung mit Steuerschulden von X.

                                         15.

Bei einer bauerrechtlichen Streitigkeit möchte ein kantonales Gericht Fr.
13‘000.- als Gerichtsgebühr erheben. In kantonalen Beschwerdeverfahren be-
treffend bauerrechtliche Fragen werden im Normalfall Gebühren zwischen Fr.
5‘000.- und Fr. 8‘000.- erhoben. Unter welchen Voraussetzungen ist dies zu-
lässig?

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                          22
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                                          16.

Eine Assistentin des Instituts für öffentliches Recht der Universität X. publi-
zierte auf der Institutshomepage folgenden Text:

           Übungen im öffentlichen Recht I FS 2021
           Gruppeneinteilung

           Gruppe A1 Donnerstag, 8-10 Uhr, Hörsaal 105, Buchstaben A bis M:
           Anna Beispiel
           Céline Echantillon
           Hans Muster
           etc.

           Gruppe B1 Donnerstag, 10-12 Uhr, Hörsaal 115, Buchstaben N bis Z:
           Robert Ohnesorg
           Xavier Parexample
           Susanne Sicher
           etc.

Céline Echantillon ist mit der Einteilung nicht glücklich, da sie am frühen Mor-
gen weniger aufnahmefähig sei und möchte die Gruppeneinteilung anfech-
ten.

Prof. R. Kiener / Dr. A. Brunner                                                       23
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FA L L 7 ( A B ) :
Ä G Y P T I S C H E R FA H R A U S W E I S

X. ist ägyptischer Staatsangehöriger. Er hat in seiner Heimat die Autoprüfung
abgelegt, lebt jedoch seit 2018 in der Schweiz. Im Frühling 2019 wurde X.
vom Strassenverkehrsamt des Kantons Z. gestützt auf Art. 42 Abs. 3bis lit. a
der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum
Strassenverkehr (VZV, SR 741.51) aufgefordert, seinen ägyptischen Fahraus-
weis in einen schweizerischen Fahrausweis umzutauschen. Zu diesem Zweck
bot das Strassenverkehrsamt ihn gestützt auf Art. 44 Abs. 1 VZV für den 20.
Juni 2019 zu einer Kontrollfahrt auf. Aufgrund eines Vorkommnisses beim
Befahren eines Kreisels gelangte der für diese Kontrollfahrt beigezogene Ex-
perte zum Schluss, dass X. die Kontrollfahrt nicht bestanden habe. In der
Folge verweigerte das Strassenverkehrsamt des Kantons Z. mit Verfügung
vom 27. Juni 2019 die Umschreibung des ägyptischen Führerausweises und
aberkannte X. das Recht zu dessen Verwendung in der Schweiz.

Ein paar Tage später erfuhr X., dass sein tunesischer Kumpel T. seinen tune-
sischen Fahrausweis vor ein paar Monaten in einen schweizerischen Fahr-
ausweis umtauschen konnte, ohne dass er hierfür eine Kontrollfahrt hätte ab-
solvieren müssen. X. fragte deshalb beim Strassenverkehrsamt des Kantons
Z. nach, warum man ihn im Gegensatz zu seinem Kollegen zu einer Kontroll-
fahrt verpflichtet habe. Das Strassenverkehrsamt wies ihn darauf hin, dass
das Bundesamt für Strassen (ASTRA) gestützt auf Art. 150 Abs. 5 lit. e VZV
eine Länderliste betreffend Ausnahme von der Kontrollfahrt führe. Auf dieser
Liste befinde sich Tunesien, nicht aber Ägypten.

X. mochte sich mit dieser Auskunft nicht zufrieden geben. Insbesondere
störte er sich daran, dass er als Ägypter schlechter behandelt werde, als sein
tunesischer Kumpel. Er mandatierte deshalb eine Anwältin. Diese kam im
Rahmen einer Kurzanalyse zum Schluss, dass es neben den gleichheitsrecht-
lichen Bedenken von X. zudem möglicherweise gegen das Legalitätsprinzip
verstosse, dass das ASTRA eine Länderliste führe, welche die Inhaber be-
stimmter Fahrausweise gegenüber anderen Autofahrern privilegiere. X. ent-
schloss sich deshalb, den Rechtsweg zu beschreiten. Das (kantonal letztin-
stanzlich urteilende) Verwaltungsgericht des Kantons Z. wies seine Be-
schwerde freilich mit Urteil vom 15. Januar 2021 (eröffnet am 22. Januar
2021) ab. X. forderte seine Anwältin auf, den Rechtsmittelweg auszuschöp-
fen.

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Fragen

1.       Steht X. gegen das Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichts ein weite-
         res Rechtsmittel zur Verfügung?

2.       Falls ja: Welche Rügen wird er mittels dieses Rechtsmittels erheben?

3.       Wie sind die rechtlichen Einwände von X. und seiner Anwältin materiell
         zu beurteilen?

Rechtsgrundlagen: BV, BGG

Beilagen (neben den im Sachverhalt bereits erwähnten Rechtsgrundlagen):
Strassenverkehrsgesetz (SVG) vom 19. Dezember 1958 (SR 741.01)
Art. 25 Ergänzung der Zulassungsvorschriften
1
  Der Bundesrat kann die nachstehenden Fahrzeugarten und deren Anhänger sowie
ihre Führer ganz oder teilweise von den Bestimmungen dieses Titels ausnehmen und
nötigenfalls ergänzende Vorschriften für sie aufstellen:
a. Fahrräder mit Hilfsmotor, Motorhandwagen und andere Fahrzeuge von geringer
Motorkraft oder Geschwindigkeit sowie solche, die selten auf öffentlichen Strassen
verwendet werden;
b. Motorfahrzeuge im Dienste des Militärs;
c. Landwirtschaftstraktoren mit beschränkter Geschwindigkeit sowie landwirtschaft-
liche Anhängewagen;
d. Arbeitsmaschinen und Motorkarren.
2
    Der Bundesrat erlässt Vorschriften über:
a. Lichter und Rückstrahler der motorlosen Strassenfahrzeuge;

b. ausländische Motorfahrzeuge und Fahrräder und ihre Führer sowie internationale
Fahrzeug- und Führerausweise;
c. die Fahrlehrer und ihre Fahrzeuge;

d. Ausweise und Kontrollschilder, inbegriffen kurzfristig gültige für geprüfte oder
nicht geprüfte Motorfahrzeuge und Anhänger sowie für Unternehmen des Motor-
fahrzeuggewerbes;
e. Kennzeichnung besonderer Fahrzeuge;
f. besondere Warnsignale, die den Fahrzeugen der Feuerwehr, der Sanität, der Polizei
und des Zolls, sofern diese für polizeiliche Aufgaben eingesetzt werden, vorbehalten
sind, sowie Warnsignale der Fahrzeuge der konzessionierten Transportunternehmen
auf Bergpoststrassen;
g. Reklamen an Motorfahrzeugen;

h. ...

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