HOPP YB! - DAS MAGAZIN DER JÜDISCHEN GEMEINDE BERN KINOUNTERNEHMERIN EDNA EPELBAUM IM GESPRÄCH SEITE4 - Kath. Bern
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KINOUNTERNEHMERIN 70 JAHRE ISRAEL UND CJA-PREIS FÜR EDNA EPELBAUM IM SEINE VERBINDUNGEN ZU EVE STOCKHAMMER UND GESPRÄCH SEITE 4 BERN SEITEN 8-17 IRIS RITZMANN SEITE 24 DAS MAGAZIN DER JÜDISCHEN GEMEINDE BERN Nr. 104 02 / 2018 HOPP YB! SEITEN 43-53
INHALT FORUM 104 - 02 / 2018 INTERVIEW KULTUR & WISSEN EDNA EPELBAUM OSKAR WEISS Die Bieler Kinounternehmerin gehört zu den Der Künstler berichtet über seine Polenreise und einflussreichsten Frauen ihrer Branche weltweit. eine Badeente auf dem jüdischen Friedhof. 4 38 BEN-GURION IRRTE SICH 10 AKTUELL KULTUR & WISSEN Der Historiker Michael Brenner über JOM HASCHOAH-FEIER MIT 18 NEUE DEBATTEN ÜBER 36 den Einfluss der Orthodoxie POLENS BOTSCHAFTER ENTARTETE MUSIK UND KUNST BUNDESGELDER FÜR 19 NEUE ENTWICKLUNGEN IN 40 «DIALOGPREIS» IN BERN 20 SICHERHEIT ZUGESAGT DER GEMEINDEBIBLIOTHEK Der SIG und die PLJS prämierten interreligiöse Projekte ISRAELS BOTSCHAFTER ZUM 22 NEUE ANTISEMITISMUS- 42 FASTENBRECHEN IN MOSCHEE STUDIE ÜBER ERSTEN WELTKRIEG ROSALIND FRANKLIN IM 40 GEMEINDE PEOPLE PORTRÄT GEMEINDEVERSAMMLUNG 24 PHILIPPE LÉVY KÄMPFTE FÜR 56 Die britische Biochemikerin starb vor VERLIEF RUHIG EINE LIBERALERE WELT 60 Jahren LIKRATINOS AUS BERN IN 32 JONAS USCHATZ HIELT DIE 50 MOLDAWIEN FÄDEN DES WIZO-BALLS DER RABBI ÜBER FUSSBALL 48 Michael Kohn schreibt über Fussball, AUFFAHRTSMACHANE SETZT 37 FAMILIENNACHRICHTEN 58 Rituale und Religion NEUE MASSSTÄBE IMPRESSUM 59 2 forum – 104 | 02 / 2018
EDITORIAL LIEBE LESERINNEN UND LESER Viel Leidenschaft schwingt mit, wenn es Ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat Berner Bierhübeli in Anwesenheit des um das heilige runde Leder und das Hei- die Bieler Kinounternehmerin Edna Epel- Bundesrates erstmals den Dialogpreis; der lige Land geht. Beide beschäftigen uns baum. Mit 28 Kinosälen in fünf Städten israelische Botschafter gesellte sich zum ausführlich in dieser Ausgabe: Die Berner auf beiden Seiten des Röstigrabens gestaltet Fastenbrechen in der Moschee am Euro- Young Boys sind erstmals seit Jahrzehnten sie in dritter Generation das Kulturleben in paplatz; und im Gemeindehaus erhielten Schweizer Fussballmeister geworden, und der Schweiz mit. Im grossen Interview er- die Schwestern Eve Stockhammer und Israel zelebriert dieses Jahr sein 70-jähriges zählt die Präsidentin des Schweizerischen Iris Ritzmann den Preis der Christlich-Jü- Bestehen. Grund genug, Geschichten und Kinoverbandes und Vizepräsidentin des dischen Arbeitsgemeinschaft (CJA) für ihr Gedanken von JGB-Mitgliedern aus Bern europäischen Branchenverbandes über Buch über Holocaust-Überlebende. und Israel zusammenzutragen. Wir werfen ihre vielseitige Tätigkeit. Die promovierte zudem einen Blick auf die Beziehungen Germanistin nimmt international Einfluss Fast vierzig Personen haben mit Texten und unserer Gemeinde mit der israelischen Bot- und belegt weltweit den 23. Platz der 50 Bildern rege über das Geschehen in der schaft und erfahren von unserem YB-Kip- Top-Frauen in der Kinobranche. Gemeinde, der Kultur und bei der Jugend pa tragenden Rabbiner, was Religionen und berichtet und zum Gelingen dieser Aus- Rituale mit Fussball und Helden zu tun ha- Im interreligiösen Dialog war die jüdische gabe beigetragen. Ihnen allen sei herzlich ben. Einige der hier zusammengetragenen Seite in den vergangenen Monaten sehr ak- gedankt! Texte und Bilder werden am Europäischen tiv: Unter anderem verliehen der Schwei- Tag der Jüdischen Kultur am 2. September zerische Israelitische Gemeindebund und Die Redaktion 2018 ausgestellt und vorgelesen. die Plattform Liberaler Juden Schweiz im ANZEIGE BILDER: PETER ABELIN / SIMON ROM forum – 104 | 02 / 2018 3
AKTUELL HEUTE IST DER STAAT EINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT 70 jahre israel «Wer nicht an Wun- elitischen Kultusgemeinde Bern, Georges Mit 70 Jahren ist Israel immer noch der glaubt, ist kein Realist», sagte einst Brunschvig. Überhaupt entwickelte sich ein junger, aber etablierter Staat. Be- Israels erster Premierminister David Ben zwischen der späteren Botschaft Israels in reits wächst die dritte oder gar vierte Gurion. Und tatsächlich geschah vor 70 Bern und der JGB eine freundschaftliche Generation heran, für die Israel eine Jahren für viele ein Wunder, als am 14. Beziehung, die bis heute in den Synago- Selbstverständlichkeit ist. Und so be- Mai 1948 der Staat Israel ausgerufen wur- genbesuchen des Botschafters, gemeinsa- schreiben denn in diesem «Forum» de, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten men Gedenkanlässen oder den Wohltätig- einige (Ex-)Bernerinnen und Berner Weltkriegs und der Schoah. Das kleine, keitsveranstaltungen von WIZO, KKL und ihr Verhältnis zum Land, zu dem sie von Feinden und vom Meer umzingelte Keren Hajessod ihren Ausdruck findet. in unterschiedlichsten Formen einen Land sollte eine zweite Schweiz werden, Auch ist die JGB an den Unabhängigkeits- emotionalen Bezug haben. (ein) befand der damalige Präsident der Isra- feiern der Botschaft jeweils gut vertreten. 8 forum – 104 | 02 / 2018
AKTUELL ISRAELS VERTRETUNG IN BERN 70 jahre israel Israel rief seine Schweiz haben, zuverlässig, sauber!», se Bestürzung machte sich breit, als Unabhängigkeit im Mai 1948 aus, notierte Georges Brunschvig bereits palästinensische Terroristen im Fe- doch sollte es noch bis März 1949 nach dem UNO-Teilungsplan im No- bruar 1969 eine El Al-Maschine in dauern, bis es von der Schweiz dip- vember 1947 in sein Tagebuch. Zwei Kloten attackierten und die neutrale lomatisch anerkannt wurde und seine Jahre später schrieb er im «Israeliti- Schweiz als Ersatzschauplatz für den erste Gesandtschaft in Bern einrich- schen Wochenblatt»: «Das Bestehen Nahostkonflikt missbrauchten (sie- ten konnte. Bereits im Oktober 1948 des jüdischen Staates wird zweifellos he auch Bericht Seite 17). Mit der liess die Israelitische Kultusgemeinde auch zur Normalisierung der Juden in linken 68er-Bewegung wuchs aber Bern (IKGB) an ihrer 100-Jahr-Fei- der Diaspora gegenüber ihrer Umwelt auch die erste Nachkriegsgeneration er neben der schweizerischen und beitragen». Nach seiner ersten Israel- heran, die sich mit der palästinensi- der bernischen auch die israelische reise 1951, wo auch der Besuch einer sche Seite solidarisierte. Nach dem Fahne an der Kapellenstrasse wehen. Armeebasis auf dem Programm stand, Jom Kippur-Krieg 1973 wurden isra- «Die Schweizerfahne wird unsere tiefe sprach er wiederholt von einem «neu- elkritische Stimmen lauter, und ins- Verbundenheit mit unserem Vaterlan- en jüdischen Typus»1. Als Negativ- besondere seit dem Libanon-Krieg de, der Schweizerischen Eidgenossen- punkt entpuppte sich der aufkommen- 1982 mischen sich in diese Kritik schaft, die Berner Fahne unsere Liebe de latente Verdacht auf die «doppelte auch Stimmen, die zum Boykott und Anhänglichkeit zu unserer Vater- Loyalität». Konnte ein Jude im Zeitalter und zur Zerstörung Israels aufrufen. stadt bekunden», hiess es in der Ein- des Staates Israels noch loyaler Schwei- Nichtsdestotrotz kann die israelische ladung zur damaligen Jubiläumsfei- zer sein? Einem Katholiken wurde die- Botschaft in Bern auf treue Freun- er. «Zum ersten Mal wehen auch die se Frage mit Bezug auf den Vatikan nie de zählen, nicht nur in der JGB und Fahnen Israels von unserem Gottes- gestellt. Noch in den 1950er-Jahren beim Israeli-Club, sondern auch bei hause. Sie zeugen davon, dass wir in wurde manchem Juden mit zionisti- der Gesellschaft Schweiz-Israel, der tiefer Ergriffenheit und Dankbarkeit Is- scher Einstellung die Einbürgerung Christlich-Jüdischen Arbeitsgemein- raels gedenken.» verweigert. schaft, in verschiedenen kirchlichen Kreisen und im Haus der Religionen. Eine prägende Rolle vor allem in den – Hannah Einhaus ersten Jahrzehnten spielte dabei das «DER NEUE JÜDISCHE Ehepaar Georges und Odette Brunsch- vig: Der Berner Anwalt war noch bis STAAT SOLLTE EINE Israel und die Schweiz nahmen im 1948 Präsident der IKGB und bereits ÄHNLICHKEIT MIT DER März 1949 diplomatische Beziehun- seit 1946 Präsident des Schweizeri- SCHWEIZ HABEN.» gen auf. Die ersten beiden israelischen schen Israelitischen Gemeindebundes Staatsvertreter in Bern, Samuel Tolkow- SIG. Vom ersten Tag an wurde er Rechts- sky und Yeshayahu Aviad, kamen noch berater der israelischen Gesandtschaft Nach dem Eichmann-Prozess 1961 im Rang eines Ministers. und späteren Botschaft und blieb es bis wuchs die Israel-Sympathie in der Im Rang eines Botschafters kamen seit zu seinem Tod 1973. Odette Brunsch- Schweiz und erreichte ihren Höhe- 1958: Joseph Isaac Linton, Eliahu Sas- vig engagierte sich bereits vor 1948 in punkt mit Grosskundgebungen in al- son, Shmuel Bentsur, Arye Levavi, Yaa- der Berner Sektion der WIZO, wurde len Schweizer Städten 1967 infolge kov Shimoni, Matitiahu Adler, Yohanan 1950 deren Präsidentin bis 1985 und des Sechstagekrieges. In Bern kam es Meroz, David Rivlin, Yehuda Horam, blieb Ehrenpräsidentin bis zu ihrem unter anderem zu einer Bratwurstak- Raphael Gvir, Yitzchak Meyer, Yigal An- Tod 2017. In dieser Zeit entstand der tion, die der damalige Stadtpräsident tebi, Aviv Shir-On, Ilan Elgar, Shalom berühmte WIZO-Ball im Hotel Belle- und Nationalrat Reynold Tschäppät Cohen, Yigal Caspi, Orly Gir, Jacob Kei- vue, der in seinen besten Jahren zum initiiert hatte, motiviert durch sei- dar. zweitgrössten Ball der Schweiz avan- nen Freund und militärischen Vor- cierte und bis ins 21. Jahrhundert fort- gesetzten Georges Brunschvig. Gros- Quellen: Israelische Botschaft Bern, Historischer bestand. BILD: ZVG 1 Aus der Brunschvig-Biografie «Für Recht und Dienst des EDA «Der neue jüdische Staat (...) soll- te eine gewisse Ähnlichkeit mit der Würde» von Hannah Einhaus forum – 104 | 02 / 2018 9
AKTUELL müssen; dass dadurch nun Zehntausende WO DAVID BEN-GURION vom Armeedienst befreit sind, schien da- SICH IRRTE mals undenkbar. Auch seien die Gebur- tenraten eines der Probleme, auf die sich Israel vorbereiten müsse, so Brenner: Bei den Ultraorthodoxen habe ein Ehepaar vortrag Staatsgründer David Ben-Gurion war überzeugt, dass die jü- durchschnittlich 6,7 Kinder, bei der säku- dische Orthodoxie eine kleine Randgruppe in Israel bleiben werde. In der laren Bevölkerung deren 2,5. Dr. Lutz Zwillenberg-Lecture zum Thema «Was ist ein jüdischer Staat? - Als Indiz für den wachsenden Graben Staat, Nation und Religion in Israel» ging der Historiker Michael Brenner zwischen den religiösen und säkularen auf die Folgen dieses Irrtums ein. – Peter Abelin Bevölkerungsgruppen wies der Referent auf die unterschiedlichen Schulsysteme hin; weniger als die Hälfte der jüdischen Kinder würden öffentliche Lehranstalten besuchen. Dies fördere die Fragmentie- rung und Polarisierung der Gesellschaft. Dass dies auch für das Verhältnis zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung gilt, legte Brenner auf eine Frage aus dem Publikum anhand eines gescheiterten Projekts dar: Mit dem Ziel, das Verständnis zwischen den beiden Gruppen zu fördern, wurde ein gemeinsames Lehrmittel von jüdischen und palästinensischen Autoren erarbeitet. Darin wurde zum Beispiel die Geschichte des Landes nebeneinander aus den beiden Sichtweisen dargestellt. Das Lehrbuch sei aber weder in jüdischen noch in arabischen Schulen zugelassen worden, bedauerte Michael Brenner. Auf eine andere Frage legte der Referent dar, dass sich das Verhältnis zwischen Isra- el und der Diaspora stark verändert habe. Bald werde die Mehrheit der Juden in Israel leben; Europa mit rund zehn Pro- «Bald lebt die Mehrheit der Juden in Israel»: Michael Brenner vor vollem Saal an der Universität Bern. zent der Juden weltweit sei «nicht mehr sehr relevant». In dieser Situation regte Brenner an, dass junge Israelis jüdische Zum zweiten Mal nach 2015 lud das Insti- Herbert Winter und SIG-Generalsekretär Gemeinden in andern Ländern besuchen tut für Judaistik der Universität Bern am Jonathan Kreutner. Einen grossen Platz und kennenlernen würden – wie dies in 14. Mai 2018 zu einem öffentlichen Vor- im Vortrag nahm das Verhältnis von Staat umgekehrter Richtung schon lange ge- trag in Erinnerung an den 2011 verstor- und Religion in Israel ein, gemäss Bren- schehe. benen Biologen, Förderer und JGB-Prä- ner «das vor 70 Jahren am meisten un- sidenten Lutz O. Zwillenberg ein. Und terschätzte Problem». Der erste Mini- bereits hat dieser Anlass eine grosse An- sterpräsident David Ben-Gurion habe die ziehungskraft entwickelt. Im übervollen heutige Spaltung zwischen säkularen, tra- Buchhinweis: Hörsaal an der Universität Bern folgte ein ditionellen und ultraorthodoxen Juden Die neuesten Bücher von Michael Bren- gemischtes Publikum den Ausführungen nicht vorausgesehen – vor allem nicht ner: In Search of Israel. The His- von Michael Brenner, einem in München den stets wachsenden Anteil und den tory of an Idea. Princeton University lehrenden führenden Experten für mo- noch grösseren Einfluss der Orthodoxie. Press, Princeton, 2018. / Israel. Traum, derne jüdische Geschichte. In die engen Deshalb wurde den Talmudschülern bei und Wirklichkeit des Jüdischen Staates. Bänke drängten sich auch der israelische der Unabhängigkeitserklärung zugestan- C.H. Beck Verlag, München, 2016. Botschafter Jacob Keidar, SIG-Präsident den, dass sie keinen Militärdienst leisten 10 forum – 104 | 02 / 2018
AKTUELL GESCHICHTE, POLITIK, KULTUR UND HÄPP- CHEN IM «BELLEVUE» 70 Jahre seit der Staatsgründung Is- raels wollen gefeiert sein. Hunder- te Personen aus Politik, Diplomatie, Starkoch Shaul Ben-Aderet (r.) Rabbiner David Polnauer (l.) mit einem Kultur und Medien sowie offizielle mit Israels Botschafter Jacob Keidar Botschaftsvertreter Ungarns Vertreter des Schweizer Judentums drängen ins ehrwürdige «Bellevue Palace» in Bern, wo die israelische Botschaft am 23. April zur offiziellen Jom Ha’azmaut-Feier geladen hat. 70 fühle sich an wie 40, sagt Bot- schafter Jacob Keidar in seiner An- sprache. Israel sei nach wie vor jung und energiegeladen. Keidar zeichnet die Geschichte nach, wie sich das Land in nur 70 Jahren von quasi null zu einer globalen technologischen Macht entwickelt habe. Darauf dür- fe man durchaus stolz sein. Zugleich Rabbiner Michael Kohn (3.v.l.) mit Familie und Gästen würdigt der Botschafter die Bezie- hungen Israels zur Schweiz, die in diesen 70 Jahren sehr eng gewor- den seien und ihre besten Zeiten erst noch vor sich hätten. Den Auf- tritt Keidars untermalt der für die humanitäre Organisation «Tikkun Olam» tätige Aktivist und Musiker Nir Brand mit einer kunstvollen Per- formance am Piano. Und, wie es zu einem solchen Anlass gehört, darf auch das Kulinarische nicht fehlen. Daniel Eisner (l.) und Ralph Eli Simone Reich (l.) und Bracha Lejeune Für Israelis sei eine Feier ohne gu- tes Essen keine richtige Feier, ruft BILD LINKS: PETER ABELIN | BILDER RECHTS: MICHAEL ROM Botschafter Keidar den inzwischen hungrigen Gästen zu. Extra für den Anlass eingeflogen hat die Botschaft den international bekannten Chef- koch Shaul Ben-Aderet, der zusam- men mit Schalom Catering Zürich ein Buffet auftischt, das die Vielfalt der israelischen Küche gekonnt ab- bildet. Er wünsche sich nur eines, sagt der Chef in wenigen Worten, nämlich dass am Schluss des Abends nichts übrig bleibe. Diesem Wunsch sind die Geladenen mit Begeisterung nachgekommen. (dei) Georges Hill (l.) mit Ehepaar Evelyn und José Kaufmann forum – 104 | 02 / 2018 11
AKTUELL EINSATZ GEGEN VERHEERENDE BRÄNDE kkl Dieses Jahr feiert der Staat Israel seine 70 Jahre, und dertengerechten Umgebung. Kinder mit Behinderungen erleben der KKL wird 117. Es erfüllt mich mit grosser Freude dort eine Sinneserfahrung in einem Obstgarten. Mit diesem soll und Stolz zu sehen, wie der KKL massgeblich dazu den Kindern eine Erfahrung in der Natur ermöglicht werden, beigetragen hat, Israel zu begrünen und der israelischen bei der sie alles über den Anbau und die Pflege von Obstbäumen Bevölkerung Natur- und Erholungsinseln zur Verfügung erfahren, und deren Früchte geniessen können. zu stellen. – Ralph Eli, Präsident KKL-Sektion Bern Der KKL prägt den Wandel und Schutz von Israels Natur ent- Bis in die 1990er-Jahre wurden vor allem Baumpflanzungen, scheidend mit. So ist es für mich eine grosse Genugtuung zu Haine und Parks angelegt. In der Zwischenzeit entstanden neue sehen, wie der KKL zur bedeutendsten grünen Organisation Projekte, welche die Umwelt Israels nachhaltig schützen und Israels geworden ist. Heute ist der KKL aus Israel nicht mehr pflegen sollen. So sind in den vergangenen Jahren auch grosse wegzudenken. Es ist auch die Aufgabe des KKL, in Krisensitua- Schweizer Projekte wie Wasserreservoirs, Picknickplätze, die Vo- tionen das Aufgebaute zu schützen. So konnten durch KKL-Lö- gelwarte am Hula-See, Velo- und Mountainbike-Wege entstan- schfahrzeuge die verheerenden Brände, ausgelöst durch Drachen den. Dank der Berner Unterstützung konnte im April 2010 der mit Brandsätzen aus Gaza, eingedämmt und noch schlimmerer Berner Hain mit 1000 Bäumen im Schweizer Wald im Beisein Schaden verhindert werden. Der Aufbau der niedergebrannten von Jana und Marcel Marcus (ehemaliger Rabbiner von Bern) Erde – rund 400 Hektaren Wald und 500 Hektaren Landwirt- eingeweiht werden. Der Zweck des Hains ist die Vermeidung schaftsfläche – wird Jahre brauchen. der Bodenerosion. Es ist deshalb von grosser Wichtigkeit, dass der KKL weiterhin Das Kinderdorf «Jordan River» in Givat Avni liegt zwischen Unterstützung erhält, um das Erreichte nachhaltig zu schützen Tiberias und Nazareth in Untergaliläa. Mit dem Jordan River und zukünftige Projekte zu ermöglichen. Möge die Natur Israels Village Projekt unterstützt der KKL die Schaffung einer behin- weiter gedeihen und den Bewohnern Freude bereiten. HOCHKARÄTIGES KONZERT FÜR EINEN OBSTGARTEN willkommen. Mit seinen 70 Jahren sei Israel eine «junge Nation mit alter Geschichte», sagte er und zeichnete nach, wie der Jüdische Nationalfonds bereits am fünften Zionis- tenkongress 1901 gegründet wurde, um die Bewässerung, die Begrünung und die Lebensqualität im damaligen Pa- lästina und heutigen Israel zu fördern. Der jüdische Na- tionalfonds Keren Kayemet Leisrael (KKL) habe in seiner Geschichte 240 Millionen Bäume gepflanzt und viel dafür getan, «dass im modernen Staat Milch und Honig fliessen», lobte der Botschafter. Mit einem Film präsentierte Ralph Eli, KKL-Präsident in Bern, das Projekt eines geplanten behin- dertengerechten Obstgartens im Dorf Jordan River, welches seit 30 Jahren behinderten Kindern erlebnisreiche Urlaube und Betreuung anbietet. Das «Olive Ensemble» (v.l.) mit Irit Rub (Piano), Revital Raviv (So- Das für die KKL-Konzerte hochkarätig zusammengesetzte, pran), Yossi Arnheim (Flöte), Yinon Muallem (Perkussion), Michael sechsköpfige «Olive Ensemble» (ver-)führte das Publikum Maroun (Oud/arabische Laute) und Sami Khsheiboun (Violine) in eine Klangwelt klassischer und israelischer Kompositi- onen. Durch die arabische Laute (Oud) von Michael Ma- kkl Mit einem gekonnten «Grüessech» hiess der israeli- roun und neue Arrangements des Komponisten und Per- sche Botschafter Jacob Keidar am 7. Juni 2018 die rund 80 kussionisten Yinon Muallem gewannen zahlreiche Dur- und Gäste am KKL-Konzert im Berner Yehudi-Menuhin-Forum Moll-Stücke eine moderne orientalische Note. (ein.) 12 forum – 104 | 02 / 2018
AKTUELL EIN REICHHALTIGER WIZO-SHUK Was das Herz begehrt: religiöse Gegenstände... ...sowie Hüte, Kleider und Schmuck wizo Bei strahlendem Sommerwetter zu danken: Jaron Illés und seine Familie Die WIZO Bern dankt allen Spenderinnen fanden die Besucherinnen und Besu- haben leckere Falafel zubereitet. Ihre Ar- und Spendern für ihre treue Unterstüt- cher in den hellen Räumlichkeiten der beit und Ausgaben haben sie der WIZO zung anlässlich unserer Spendenaufrufe «Rotonda», wo der WIZO-Shuk am 6. als Spende geschenkt! und Aktionen. Nur dank dieser Beiträge Mai dieses Jahres zum ersten Mal statt- ist es uns möglich, unsere Ziele zu er- fand, (fast) alles, was ihr Herz begehrte. Es war schön für Gross und Klein. An reichen, und nur so können wir wichti- So mancher konnte am Flohmarkt ein Unterhaltung hat es auch für die Kin- ge Erziehungsprogramme und Projekte Schnäppchen jagen, Bilder kaufen, sei- der nicht gefehlt. Die Madrichim der weiterhin finanzieren. Dabei liegt uns ne Espressotassensammlung erweitern, Dubim konnten draussen ein tolles unsere WIZO-Kindertagesstätte Hadera ein neues Geschirr dazukaufen. Bei- Programm durchführen, und so ver- besonders am Herzen. Sowohl 2017 als BILD LINKS: CHRISTOPH KNOCH | BILDER RECHTS: SIMON ROM spielsweise wurden am Israelstand eine brachten gut 15 Kinder einen lustigen auch dieses Jahr finanzieren wir in dieser Menora, eine Mesusa, diverse Schabbat- Nachmittag. Danke allen, die vorbei- Kindertagesstätte ein Sommercamp. Nicht leuchter oder Keramik angeboten. Auch geschaut haben. Und last but not least alle Eltern können sich Ferien leisten und Honig, Konfitüren und Wein aus Israel gebührt allen freiwilligen Helferinnen müssen auch im Hochsommer arbeiten. fehlten nicht. Leseratten konnten sich und Helfern vor und hinter den Stän- Die Kindertagesstätten sind im August am Bücherstand mit neuem Stoff einde- den unser Riesendank: allen, die Ku- normalerweise geschlossen. Damit die cken, und am Spielwarenstand verkauf- chen gebacken, Tee gebraut, Salate zu- betroffenen Kinder trotzdem liebevoll ten Yael Bloch und ihre Freundin alles, bereitet und aufgeräumt haben. Ohne und professionell betreut werden, müs- was ein Kinderherz höherschlagen lässt. sie hätte unser Shuk nicht durchgeführt sen temporär Betreuerinnen eingestellt Für das kulinarische Wohl war natürlich werden können. werden. Das ist dank der zahlreich ein- ebenfalls gesorgt. Falafel, feine Salate, Dem Securityteam mit Isi Mandel, gegangenen Spenden anlässlich unserer eine Getränkebar, Kaffee und leckere Gabriel Rom und dessen Wachhund Sommeraktion möglich. Herzlichen Dank Kuchen standen zur Auswahl. Es ist uns Chayenne verdanken wir, dass wir uns an alle, die die WIZO unterstützen – auch ein grosses Anliegen, dem Paprika-Team an diesem Anlass in Sicherheit wiegen im Namen der Kinder in Israel. – Muriel Eli von ganzem Herzen für seinen Einsatz konnten! forum – 104 | 02 / 2018 13
AKTUELL «ES IST KEINE FRAGE MEHR: ISRAEL IST MEIN ZUHAUSE» Was sich im Gazastreifen abspielt, bedarf Wir leben in einem Kibbuz des Schomer nicht vieler Worte und ist beängstigend, Haza’ir, also Religion wird hier nicht wenn man liest und im Fernsehen sieht, grossgeschrieben. Zwar habe ich dadurch wie mit dem Feuer gespielt wird. Die nicht mehr so oft die Gelegenheit, eine Methoden der Feinde sind fies. Brände Synagoge zu besuchen, aber die Traditio- zu legen ist heimtückisch und sehr ge- nen, sprich die Feiertage, werden hier ganz fährlich, da diese sich bei der trockenen gross gefeiert. Am schönsten ist Schawuot, Jahreszeit schnell ausbreiten können. das auf unserer Festwiese stattfindet. Dort Obwohl ich immer wieder beunruhigt gibt es einen Traktorenumzug. Die land- bin, wenn ich die Nachrichten höre, so wirtschaftlichen Errungenschaften werden gerate ich doch nicht in Panik, denn ich gezeigt, und das schönste ist, wenn jun- habe grosses Vertrauen in die israelische ge Eltern, die in den vergangenen zwölf Armee und deren Soldaten. Die sind bes- Monaten ein Kind geboren haben, auf die tens ausgerüstet und ausgebildet, und Bühne gerufen werden, um ihre Babies zu ich fühle mich durch sie beschützt. präsentieren. Das ist derart rührend, weil man veranschaulicht bekommt, dass es Nach wie vor ist Israel führend in der eine Kontinuität gibt, und mir kommen Forschung und Entwicklung. Immer dabei immer die Tränen. Es geht weiter… Doris Etsiony wieder werden neue Dinge entdeckt und In einem Rekordjahr waren es 17 Babies. kommen teilweise auch auf den Markt. Ende Mai, Anfang Juni waren wir in der Vieles ist made in China, aber auch vieles Schweiz. Wir flogen mit EasyJet nach und erfahrung Die zehn Jahre seit mei- ist made in Israel. Um nur wenige Bei- von Basel. In der Speedy Boarding Reihe ner Alija sind wie im Fluge vergangen. spiele zu nennen: Rummikub, Epilady, hinter uns standen zwei ältere Basler, die Wenn ich zurückblicke und die Zeit Tröpfchenbewässerung, Roboter-Staub- sich im schönsten Basler Dialekt unterhiel- von damals mit heute vergleiche, so sauger, Roboter-Rasenmäher, Cherry To- ten. Ich hielt in meiner Hand den israeli- kann ich nicht behaupten, dass sich maten, USB-Stick, um nur einige wenige schen Pass und die Boarding Papiere. Dann viel verändert hat. Für mein Empfin- zu nennen. Ich bin stolz über diese und mischte ich mich in deren Gespräch ein, den ist es immer noch sehr heiss von unzählige weitere Errungenschaften. und wir redeten eine Weile. Dann sagte der April bis September, und nach wie eine zu mir «woher können Sie denn so vor macht mir die Luftfeuchtigkeit zu Kulturell bietet Israel enorm viel. gut Schweizerdeutsch?» Ich konnte mir schaffen. Ich erlebe es immer noch so, Nebst den unzähligen interessanten ein Lachen nicht verkneifen und erklärte dass «Sawlanut» (Geduld) sehr gefragt Museen in den grösseren Städten gibt ihm, dass ich auch Schweizerin sei. Nor- ist, sei es an der Kasse im Supermarkt, es auch sehr gute Theatergruppen, die malerweise ist es umgekehrt, und die Leute an der Busstation, bei der Bank oder dann mit ihren Aufführungen auch zu fragen mich, woher ich denn so gut Iwrit beim Arzt. uns in den Norden gelangen: Habima, spreche. Das jedenfalls war lustig und kam Beit Lessing und Cameri, um nur eini- völlig unerwartet. Damit ich beim Verkehr auf den Stras- ge zu nennen. Mein Mann Amitay und sen die Nerven nicht verliere, mache ich haben ein Abonnement für das Ich bin nach wie vor sehr glücklich, in Is- ich am besten ein Nickerchen – als Theatron haZafon in Kiriat Chaim und rael zu sein. Nach zehn Tagen Schweiz-Auf- Beifahrerin natürlich nur! Hier fährt besuchen während einer Saison rund enthalt war ich happy, wieder «nach Hau- man m.E. völlig unzivilisiert. Man acht Aufführungen. Es kommt ganz se» nach Israel zurückkehren zu können. wird von links und von rechts über- selten vor, dass wir eine Aufführung Denn es ist längst keine Frage mehr: Israel holt, der Blinker wird von vielen gar nicht gut finden. Im Auditorium von ist mein Zuhause! nicht oder falsch benützt, und man Haifa haben wir auch schon Konzerte lässt ihn aus Vergesslichkeit an, ohne besucht mit den Philharmonikern un- – Doris Etsiony, Kibbuz Ein haMifratz, Region Akko je in die entsprechende Richtung ab- ter Zubin Mehta und mit dem Stargei- (ehemals Bern) zuzweigen. So erlebe ich das! ger David Garrett. Ein seltener Genuss! 14 forum – 104 | 02 / 2018
AKTUELL sein. Dass die strengen Schweizer Konven- «QUERSCHLÄGER SIND DIE tionen plötzlich nicht mehr galten («Das macht man so», «das macht man nicht» NORM. DAS GEFÄLLT MIR» oder «das hat man schon immer so ge- macht»). Dass es eben anders ging und man auch anders durfte. Was mir auch gefiel, war die Gleichberechtigung der Frauen, die selbstverständlich war. Heute würde ich es eher die «Gleichverpflich- tung» nennen: die normale Erwartung, dass Frauen arbeiten und mitanpacken. Ebenso wichtig war das Klima in Israel, das mir gefiel (auch wenn ich gerne bis heute für eine Woche in die Schneeferien in die Schweiz komme). Ich fand nicht ein Land mit bestimmten Merkmalen vor, sondern einfach «unser» Land für viele Menschen, die ein zusam- mengewürfeltes Volk darstellen, das nicht Nadine Blumberg Doron mit ihrem Mann Gil und ihren Söhnen (v.l.) Neria (22), sehr viel gemeinsam hat ausser der Reli- Nathan (18) und Noach (26). gion. Viele Menschengruppen haben ver- schiedene Werte, unterschiedliche kultu- relle Hintergründe und Traditionen, die erfahrung Seit über 30 Jahren schon wusst, dass wir in Bezug auf unsere Reli- sich auch im Essen veranschaulichen. Man lebe ich in Israel. 1985 habe ich Alija ge- gion irgendwie anders waren. Ich erinnere unterscheidet sich durch das Herkunfts- macht, habe hier Mathematik studiert und mich an eine Episode, als ich in der zwei- land, und doch ist man verbunden durch arbeitete anschliessend über 20 Jahre als ten Klasse war. Wir hatten eine Theaterauf- ein gemeinsames Selbstverständnis. Versicherungsmathematikerin in diversen führung, zu der auch unsere Eltern als Zu- Firmen. Heute bin ich Produktemanage- schauer eingeladen waren. Als Belohnung Der Staat funktioniert relativ schlecht, und rin bei einer Firma, die Software für Ver- erhielt jedes Kind ein Weggli, in das ich es gibt viele Schlupflöcher, die es einem sicherungen entwickelt. 1991 haben mein natürlich wie alle Kinder herzhaft biss. Ich ermöglichen, seinem Leben nachzugehen, Mann Gil und ich geheiratet. Wir haben werde den leicht bestürzten und amüsier- ohne sich strikt an Regeln zu halten. Man drei Söhne, die heute 18, 22 und 26 Jahre ten Blick meiner Eltern nicht vergessen, als lebt und lässt leben: die Ungezwungen- alt sind. mir plötzlich einfiel, dass Pessach war und heit, mit der sich jemand in etwas einmi- ich mit Essen sofort aufhörte. schen kann, das in der Schweiz als sehr Dass ich einmal in Israel leben würde, hät- privat gelten würde. Dazu ein Witz zum te ich mir noch in meinen Teenager-Jahren Als ich 16 war, wurde die Israelreise zum Thema: «Warum ist es nicht zu empfeh- nicht vorstellen können. Meine Kindheit in Thema. Ich hatte überhaupt kein Interes- len, in Israel in aller Öffentlichkeit Ge- Bern verlief typisch für die damalige Zeit se und wurde regelrecht dazu überredet, schlechtsverkehr zu haben? Weil Dir jeder und ähnlich wie bei meinen Nichten und mich anzuschliessen. Es war mir zuwi- Eitzes geben würde, wie man es besser Neffen in der Schweiz heute: wohlbehü- der, weil wir nur wenige Teilnehmer aus machen könnte». tet und wohlgenährt mussten wir nichts Bern waren, aber auch, weil ich mir keine entbehren und waren in der Gesellschaft konkrete Vorstellung zum Begriff «Israel» Es ist üblich, sich leicht zu verspäten, et- integriert. Mein Vater (Eric Blumberg, machen konnte. Ich liess mich also wider- was anders zu machen als ursprünglich s.A.) hatte eine gute Stelle. Während er für strebend zur Reise überreden. Als ich einen geplant. Was in der Schweiz ein «nicht er- die finanzielle Versorgung verantwortlich Monat später wieder zuhause eintrudelte, füllt» einbringen würde, heisst hier «ach, war, trug meine Mutter (Daisy Blumberg stand für mich der Entscheid fest: Nach eine interessante Idee». Querschläger sind Bloch, wohnt heute in Zürich) lange Jahre der Matur werde ich auswandern. die Norm. All das gefällt mir, auch nach trotz Ausbildung den Titel Hausfrau. über 30 Jahren in Israel. BILDER: ZVG Was mir in Israel damals gefiel war, dass Obschon wir kaum mit offenem Antisemi- man niemandem erklären musste, was ein – Nadine Blumberg Doron, Herzliya (früher Bern) tismus in Berührung kamen, war uns be- Jude ist und was es bedeutet, jüdisch zu forum – 104 | 02 / 2018 15
AKTUELL Gebäude erstellt von Gabis Grossvater MEINE ERSTE ISRAEL-REISE anfangs des 20. Jahrhunderts, und seine riesige Dattelplantage wurden für uns und unsere drei Kinder die israelische Heimat, die wir in den folgenden Jahren immer wieder besuchen sollten. Bei Gabi und Ofra und ihren drei Kindern lernten wir «Israel live» kennen. Den schweigsa- men Bauer Gabi, der bei der Bestäubung seiner Dattelpalmen auf dem Traktor je- weils Musik von J.S. Bach via Transistor- radio hörte; Ofra, die kluge, tapfere und begeisterte Lehrerin, die auch in den schwierigsten Momenten ihres Lebens die Familie zusammenhielt; ihre drei Kinder, die, gleichaltrig wie die unsrigen, aber aufgewachsen unter schwierigeren Bedingungen, uns reifer und selbständi- ger erschienen als ihr Alter erwarten liess. Manchen Sommer verbrachten wir ge- Das alte Steinhaus der Familie Treidel in Moshava Kinneret, «home base» der meinsam, u.a. auf unvergesslichen Reisen Familie Eisner in Israel. in den Sinai (damals noch israelisch), auf endlos langer Autofahrt (ohne Klima-An- erfahrung Erew Rosch Haschana lung eines neuen Bewässerungssystems lage!) durch die glühend heisse Wüste 1968. Eben angereist aus dem nebli- beschäftigt, das später als «hors sol» Arava, mit nassen Laken als Hitzeschutz gen Bern, noch warm angezogen und bekannt werden sollte. In Tel Aviv waren für die Kinder, auf dem Autodach eine übermüdet von der Reise und der Hitze, wir bei einem anderen Cousin eingela- Ladung Wassermelonen als Wasserspen- setzen mein Mann Georg und ich uns den, dessen malende Ehefrau ein einziges der. Wir erlebten jedoch auch die mate- als letzte Gäste zu Tisch im Kibbuz-Er- Mal pro Woche zu kochen pflegte, im- riellen Sorgen und die schweren Schick- holungsheim, wo wir die erste Nacht mer denselben gefillten Fisch, der dann salsschläge, die unsere Freunde trafen. All unserer ersten Israelreise verbringen für eine ganze Woche ausreichen sollte diese Erlebnisse waren und bleiben für werden. Die Suppe wird aufgetischt, die (was wir allerdings erst hinterher reali- unsere ganze Familie prägend, untrenn- ältere Dame an meiner Seite seufzt ver- sierten!). In Jerusalem erlebten wir als bar mit dem Begriff Israel verbunden, klärt «Kreplach!» und streckt ihren Tel- Gäste von Gerschom und Fanya Scholem, wie auch die persönlichen Kontakte bis ler über den Tisch. Auf ihrem Unterarm alten Freunden meiner Eltern, die «jekki- in die Enkelgeneration, was uns zutiefst blau tätowiert eine Nummer. Es war ein schen» Geistesgrössen, ehrwürdige Pro- freut und bewegt. Schock. fessoren, die, trotz Sommerhitze angetan mit Veston und Krawatte, sich auf ihren Rückblickend scheint mir das Land, ein Aufgewachsen in einem säkularen, dem morgendlichen Spaziergängen durch Jahr nach dem Sechstagekrieg, förm- Zionismus gegenüber kritisch einge- Rechavia höchst formell und mit schwe- lich vibriert zu haben, geladen mit Op- stellten Elternhaus, war mir Israel mehr rem deutschem Akzent «Boker tov» zu timismus, Energie und Phantasie seiner Chiffre als Realität gewesen. Jetzt aber wünschen pflegten. In Netanya, Herzliya Bewohner, und ich hätte mir damals, lernte ich die Menschen und ihre Ge- und anderswo gab es ungarische Bäcke- als junge Frau, durchaus vorstellen kön- schichten kennen, die mir bis anhin reien mit leckeren Mohnkuchen, die nen, dort zu leben. Der Berufsweg mei- meistenteils nur vom Hörensagen be- mich an meine Grossmama erinnerten – nes Mannes verlief anders, und anders kannt waren, die Onkel, Tanten und jetzt findet man dort wohl eher nordafri- ist auch die jetzige Stimmung im Lan- Cousins unserer beiden Familien, die kanische Süssigkeiten. de. Israels Geschichte bleibt für mich Freunde. In Pardes Hannah lebte Ge- persönlich verbunden mit Geschichten, orgs Onkel, ein früher hochangesehener Besonders prägend war für uns alle das unbelastet von Ideologie und Politik. Ich Rostocker Anwalt, der nun ein ebenso Haus in Moshava Kinneret, das Heim von wünsche dem Land und uns allen von angesehener Orangenproduzent und Georgs Jugendfreund Gabi Treidel und Herzen eine Zukunft in Frieden. Mitglied des Citrus Board war. In Beer- seiner Familie. Das Haus aus Stein am See – Susanne Eisner sheva war ein Cousin mit der Entwick- Genezareth, als allererstes zweistöckiges 16 forum – 104 | 02 / 2018
AKTUELL DER RETTER DER EL AL-MASCHINE VON 1969 IM GESPRÄCH begegnung mit dem « held von kloten » Anlässlich des 70-Jahr-Ju- seine brillante juristische Begabung, biläums des Staates Israel lud die Swiss Community Israel (SCI) Ende April welche schliesslich auch zur höchst an- den ehemaligen Sicherheitsbeamten der El Al, Mordechai Rachamim, zu ei- spruchsvollen Verteidigung Mordechai nem Gespräch mit JGB-Mitglied und Historikerin Hannah Einhaus ein. In Rachamims vor dem Schwurgericht ihrer Biografie über den ehemaligen SIG-Präsidenten Georges Brunschvig Winterthur führte. hatte sie Rachamim und dem Flugzeugattentat in Kloten von 1969 ein Ka- pitel gewidmet. – Erich Bloch (SCI), Netanya, IL EIN WAGHALSIGER SPRUNG AUS DEM FLUGZEUG Mordechai Rachamim, auch «Motti» genannt, schilderte in lockeren, an- schaulichen Worten seinen völlig un- erwarteten Einsatz beim Anschlag auf «seine» El Al-Maschine, damals im Fe- bruar 1969. Noch sei man zu jener Zeit nicht für einen Einsatz ausserhalb eines Flugzeuges trainiert gewesen, berichte- te Rachamim. Trotzdem bewies er hel- denhaften Mut mit einem waghalsigen Sprung nach draussen und «beendete» die terroristische Aktion der damaligen Volksbefreiungsfront Palästinas (PFLP). Einer der Attentäter kam ums Leben. Georges Brunschvig erwirkte vor dem Schwurgericht in Winterthur im De- zember 1969 einen Freispruch für Rachamim. Seine lange Verteidigungs- rede wurde zur Berühmtheit in der Mordechai Rachamim und Hannah Einhaus im Gespräch in Tel Aviv Schweiz wie auch in Israel. Rachamim kehrte nach Israel zurück, lebt in einem Moschaw und arbeitet noch heute als Zu einer Begegnung der Berner His- zinstudenten David Frankfurter, wel- Trainer und Berater für die Flugsiche- torikerin und des ehemaligen israeli- cher 1936 in Davos den Nazi-Gaulei- rung. BILD LINKS: ZVG | BILD RECHTS: RAPHAEL STEIGRAD schen Sicherheitsbeamten hatte die SCI ter Wilhelm Gustloff erschossen hatte; am 29. April 2018 ins Goethe-Institut als Rechtsberater der israelischen Bot- Im altersmässig sehr durchmischten in Tel Aviv geladen. In groben Zügen schaft erwirkte Brunschvig 1963 eine Publikum sassen sowohl Personen, die skizzierte Hannah Einhaus das Leben Entlassung des Mossad-Agenten Joseph das Ereignis von Kloten vor fast 50 Jah- und Wirken von Georges Brunsch- Ben Gal und 1969 den Freispruch Mor- ren als junge Erwachsene noch plas- vig als SIG-Präsident und Anwalt. Wie dechai Rachamims, der damals in Klo- tisch in Erinnerung hatten, als auch die Autorin der Biografie «Für Recht ten als Sicherheitsbeamter der israeli- Jüngere, die Rachamim bisher nur aus und Würde» berichtete, war Brunsch- schen Fluggesellschaft El Al einen der den Geschichtsbüchern kannten. Eine vig Kläger gegen die antisemitischen palästinensischen Attentäter erschossen angeregte Unterhaltung mit dem «Hel- «Protokolle der Weisen von Zion» und und somit ein blutiges Massaker ver- den von Kloten» und ein von anony- Vordenker des heutigen Antirassismus- hindert hatte. Hannah Einhaus schil- mer Seite gespendeter Apéro sorgten gesetzes; zudem erreichte er 1945 eine derte sehr einfühlend und kompetent für eine Abrundung des Abends. Begnadigung für den jüdischen Medi- den jüdischen Menschen Brunschvig, forum – 104 | 02 / 2018 17
YOUNG BOYS WIE YB UND GELB-SCHWARZ DIE JGB BEWEGEN young boys Wissen Sie, warum David Loeb willigt ein, unter der Be- spirieren liessen. Das steht auf der die Clubfarben der Young Boys gelb- dingung, dass YB in den Farben des YB-Website. Deshalb habe man auch schwarz sind, fragt mich verschmitzt Loeb-Logos spielen würde. Die Far- gleich die Farben von den Old Boys der frühere YB-Präsident Ralph Zloc- ben waren gelb-schwarz. So wie sie übernommen. Und auch Charles Be- zower. Er verweist auf François Loeb, es auch heute noch sind. uret, Leiter des YB-Museums im Stade den ehemaligen Chef des traditions- de Suisse und quasi YB-Vereinshisto- reichen gleichnamigen Berner Wa- Überliefert sei diese Geschichte riker, erklärt, er habe keine Kenntnis renhauses. François Loeb, der heute mehrfach, jedoch nur mündlich, er- von einer Verbindung zwischen YB in Deutschland lebt, erzählt eine Ge- zählt François Loeb. Dokumentiert ist und Loeb. schichte, in der sein Urgrossvater Da- sie leider nicht. Auch Nicole Loeb, die vid Loeb eine zentrale Rolle spielt. Tochter von François Loeb und heute Schön ist die Geschichte trotzdem. Chefin der Loeb-Gruppe, findet auf Auch wenn die Herkunft der Farben Im Jahr 1898, dem Gründungsjahr Nachfrage in ihren Archiven keinen nicht definitiv geklärt werden kann, des Berner Fussballclubs Young Boys, schriftlichen Hinweis. ist eines sicher: Der gelb-schwarze fragt jemand von YB den Unterneh- Verein hat endlich Farbe bekannt und mer David Loeb an, ob er einen finan- Die Berner Young Boys erzählen die ist in diesem Jahr Meister geworden. ziellen Beitrag an den Verein leisten Geschichte ihrer Farben anders. YB Erstmals seit mehr als 30 Jahren. Die- würde. David Loeb ist zu jener Zeit spiele in gelb-schwarz, weil sich ses sporthistorische Ereignis hat auch Geschäftsführer eines Textilgeschäfts die Gründer des Vereins, vier Berner viele Mitglieder der JGB bewegt. Viel an der Spitalgasse in Bern, das we- Gymnasiasten, vom damals sehr po- Vergnügen beim Lesen der farbenfro- nig später zum Warenhaus Loeb wird. pulären Basler Verein Old Boys in- hen Geschichten. - Daniel Eisner 44 forum – 104 | 02 / 2018
YOUNG BOYS DIE YB-KIPPA TRENNT UND VERBINDET In Norwegen sind die Berner Young zur grossen Attraktion geworden. Ich Teil der Berner und der Schweizer Kul- Boys ein Begriff. Auch für mich trage sie überall in Bern. Negative Re- tur teile. Die jüdische Kopfbedeckung, und meine Jugendfreunde in den aktionen hat es keine einzige gegeben, ursprünglich eingeführt, um ein 1990er-Jahren. Denn damals spielten ganz im Gegenteil. Leute, die ich nicht Gruppengefühl unter Juden zu schaf- gleich mehrere norwegische Fussbal- kenne, rufen mir ein «Hopp YB» zu, fen und sich gegenseitig zu erkennen, ler für YB, wie Mini Jacobsen oder Lars andere lächeln oder wollen sich so- funktionierte als Trennung zwischen Bohinen. Wir wussten zwar nicht, wo- gar mit mir fotografieren lassen. Aber Juden und Nichtjuden. So gesehen ist her das Team kam und wo es spielte, wahrscheinlich nicht, weil ich einer die Kippa ein Fremdkörper, der mich aber wir fanden es cool. der Rabbiner der JGB bin... von meiner Umgebung trennt, aber ich hoffe, dass sie mit dem YB-Logo Heute lebe ich in der YB-Stadt und bin Inzwischen sind schon einige JGB-Mit- einen Teil dieser Trennung auflöst. vor einem Jahr auf die Idee gekom- glieder mit der feinen gelbschwarzen men, in Jerusalem eine YB-Kippa an- Kopfbedeckung unterwegs. Die Kippa fertigen zu lassen. Sie ist inzwischen zeigt auch, dass ich einen wichtigen michael kohn ALS ZÜRCHERIN UNTER YB-FANS Vor etwa 15 Jahren trat mein Sohn siehe da – es wurden Samariter ge- Gabriel in den Fussballclub FC Weis- sucht für den Sanitätsdienst während senstein ein. Was blieb mir als Mutter der Spiele im Stade de Suisse. Natürlich übrig, mich nun auch mit Fussball habe ich mich sofort gemeldet und zu beschäftigen? Von nun an hiess es, bin nun Teil der Sanitätscrew als Sa- Teamtrikots, Hosen und Stulpen zu mariterin. Das Stade de Suisse hat drei waschen, mich fast jedes Wochenende Sanitätszimmer und ein ausgeklügeltes mit anderen Müttern und Vätern auf Sanitätskonzept. Was ebenfalls immer den Fussballplätzen im Kanton Bern zu Freude macht, sind die YB-Fussball- treffen, um die Kids bei den Matches Kindercamps in den Schulferien. Da anzufeuern und auch noch nebenbei spielen die Kinder mit Begeisterung über YB und die Ergebnisse zu berich- Fussball, auch mit den YB-Stars, und ten. Von da an hat sie mich gepackt, wir sind da mit Blasenpflaster, welche BILD LINKS: LEO MATKOVIC | BILD RECHTS: KARIN ROM die YB-Leidenschaft. Wie stolz sass ich ziemlich viel gebraucht werden. im Sektor A in der vordersten Reihe, als Gabriel mit den grossen YB-Stars An der Meisterfeier konnte ich leider ins Stade de Suisse einlaufen durfte! nicht dabei sein, habe sie aber aus Is- Ich bin fast geplatzt vor Freude. Später rael genau verfolgen können. ging ich oft mit den Kids an die Fuss- ballmatches ins Stade de Suisse und Kurz und gut: Auch eine Zürcherin habe die Mannschaft angefeuert. Nach kann YB-Fan sein. Da kann ich nur sa- sechs jehren hat Gabriel mit dem Fuss- gen: Einmal YB, immer YB und hopp ballspielen aufgehört und sich dem YB, guter Start in die neue Saison... Bogenschiessen zugewandt. Vor vier Jahren trat ich in den Samari- Karin Rom im Stadion karin rom terverein Lorraine-Breitenrain ein und forum – 104 | 02 / 2018 45
YOUNG BOYS Wer mit Ralph Zloczower (85) über YB ALS YB-PRÄSIDENT NICHT VIEL spricht, spricht nicht über die Meister- saison 2018 und die Gegenwart. Prak- VON FUSSBALL VERSTANDEN tisch alles dreht sich um die Zeit, als der bekannte Berner Anwalt Präsident des Berner Fussballvereins war. Von 1972 bis 1980. Das ist lange her. Eine Anekdote reiht sich an die andere. Es fallen Namen von Spielern, Trainern und Funktionä- ren, die insbesondere den nicht mehr ganz jungen Fussballinteressierten ge- läufig sein dürften. Ralph Zloczower zitiert eigene Aussa- gen von damals, die er in jugendlichem Leichtsinn von sich gegeben habe und heute so nicht mehr machen würde. «Der General Manager von GM muss auch nichts von Autos verstehen». Eine Anspielung darauf, dass er nicht viel von Fussball verstanden habe, als er Präsi- dent wurde, und dies in einer Zeit, als bei YB Chaos geherrscht habe. Ralph Zloczower ist bei seinen Erzählungen kaum zu bremsen. Er sei gut vernetzt ge- wesen und habe zugesagt unter der Be- dingung, dass er einen neuen Vorstand zusammenstellen und die alte Garde entlassen könne. Spitzbübisch bilanziert er: «Ich habe mir damals viele Freunde gemacht». Ralph Zloczower blickt mit einer Prise Ironie auf eine Zeit zurück, die er in guter Erinnerung habe. Immer- hin sei er, im Gegensatz zu vielen Spie- lern oder Trainern, nie entlassen worden oder vorzeitig gegangen. Ein paar Worte zu YB in der Gegenwart dürfen dann trotzdem nicht fehlen. Er sei nicht im Stadion gewesen bei der Meisterfeier, erzählt Ralph Zloczower. Er habe sich aber vor dem Fernseher enorm gefreut, dass es mit dem Titel endlich geklappt hat. Der Verein sei heu- te vorbildlich aufgestellt, lobt er. Mit professionellen Strukturen und kom- petentem Personal, was in der übrigen Fussball-Schweiz Eindruck mache. Kein Vergleich zu den Zeiten, wie Ralph Zloc- YB und sein Captain Walter Eichenberger feiern 1977 den Cupsieg. Hinten links mit zower sie damals erlebt hat. Sonnenbrille: Ralph Zloczower, der damalige YB-Präsident. Neben ihm Bundesrat Kurt Furgler. daniel eisner 46 forum – 104 | 02 / 2018
YOUNG BOYS blatt» noch zwei jüdische Publikationen MEIN FUSSBALLERISCHES gab, teilten wir uns in die Berichterstattung aus dem jüdischen Bern. COMING-OUT In die Fussstapfen von Robert Blum trat ich auch als Präsident des Jüdischen Turnver- eins Bern. Zwar huldigten wir aus Tradi- tion und Personalknappheit dem Basket- ballsport (fünf Spieler genügen da für eine Mannschaft), doch initiierte und organi- sierte ich, zusammen mit einem kleinen Team, das Fussball-Grümpelturnier, das zwischen 1970 und 1998 in Bern stattfand (seither in Zürich oder Basel). Vor diesem Hintergrund war für mich das Interview, das ich – zusammen mit Daniel Eisner – 1985 mit Robert Blum für das «JGB-Fo- rum» führte, ein nachhaltiges Erlebnis. Während Blum den Journalismus nebst seiner Arbeit als Vertreter im Nebenbe- ruf betrieb, war ich bei der «Berner Zei- tung» fest angestellt. So konnte ich die Peter Abelin und sein Vorbild Robert Blum beim «Forum»-Interview 1985. verschiedenen Anläufe zum Neubau des YB-Stadions im Kontakt mit Club-Verant- wortlichen, Investoren, Architekten und Das Interesse am Fussball wurde mir buch- eines Knopfes einen zwölfeckigen Ball in auch kritischen Quartierbewohnern aus stäblich in die Wiege gelegt: Der Garten Bewegung setzt). Dabei identifizierte ich nächster Nähe verfolgen. Das heutige Sta- BILD LINKS: STAATSARCHIV DES KANTONS BERN, PBA BZ, ANDREAS BLATTER | BILD RECHTS: GEORGES HILL meines Elternhauses grenzte an einen Aus- mich jeweils mit damaligen Fussball-Grös- de de Suisse bietet einen Komfort, wie er senplatz des Stadions Neufeld; immer wie- sen wie etwa YB-Mittelstürmer Geni Mei- in meiner Jugendzeit unvorstellbar war. der mal flog ein Ball über den hohen Zaun er. Als Gymnasiast und Student standen Ich schätze besonders den Ticketkauf über und landete neben unseren Brombeerstau- dann wieder Wankdorf-Besuche auf dem Internet, der es mir erlaubt, je nach Wet- den. Von der Mansarde aus verfolgte ich Programm. Dass sich auch der bekannte ter und Laune kurzfristig einen passenden per Feldstecher die Spiele des FC Bern, Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti im Platz zu reservieren, ohne dass der Match- und bald schon durfte ich mit meinem gleichen Sektor aufzuhalten pflegte, ver- besuch durch eine Saisonkarte quasi zur Vater auch Partien des BSC Young Boys auf lieh meinem Hobby eine Art intellektueller Pflicht wird. Die Kehrseite dieser Entschei- einer Stehrampe im Wankdorf besuchen. Absolution. dung erlebte ich, als es im letzten Frühling Einsamer Höhepunkt war dabei der Eu- unvermittelt «um die Wurst» ging. Bevor ropacup-Halbfinal gegen Stade Reims am Eine Konstante gehörte für mich zu jedem ich mich versah, war das Stadion für das 15. April 1959. Obschon ich zu klein war, YB-Match: Der anschliessende Bericht von entscheidende Spiel gegen Luzern ausver- um – auch auf den Zehenspitzen – vom «rb.» im «Bund». Dass sich hinter dem kauft. Ich zögerte keinen Augenblick und Spielfeld mehr als paar grüne Flecken zu Kürzel das angesehene JGB-Mitglied Ro- beschaffte mir ein Ticket über die umstrit- erkennen, gehört der legendäre 1:0-Sieg bert Blum verbarg, war kein Geheimnis. Er tene Online-Plattform «Viagogo» – und von YB zu den bleibenden Erinnerungen gehörte zu den Pionieren der Sportjourna- habe keinen der dafür ausgelegten gut 200 aus jener Zeit. listen in der Schweiz und wurde später Eh- Franken bereut. Das intensive Spiel und renmitglied der Vereinigung Berner Sport- die überbordende spontane Meisterfeier Meine eigene fussballerische Betätigung journalisten. Für mich, der gerade erste weckten in mir Emotionen, wie ich sie im konzentrierte sich weitgehend auf den journalistische Gehversuche unternahm, Sport zuletzt fast genau 49 Jahre zuvor er- Fussboden meines Zimmers. Zum Entset- war der imposante Herr mit der tiefen lebt hatte. Mit dem Unterschied, dass dies- zen meiner Mutter «verzierte» ich den Stimme ein Vorbild. Wie er begann ich mit mal auch kleine Kinder freie Sicht auf das Teppich mit Kreide-Linien und spielte da- kleinen Sportberichten, und meine erste Spielfeld hatten. rauf ganze Meisterschaften per Tipp-Kick Stellenbewerbung galt einem Job als Sport- (ein heute noch bestehendes Spiel mit redaktor bei der NZZ. Als es mit «Jüdischer peter abelin Figuren, deren Fuss durch das Antippen Rundschau» und «Israelitischem Wochen- forum – 104 | 02 / 2018 47
YOUNG BOYS «YB GEHÖRT ZU FREUDE MEINEM LEBEN» HERRSCHT IN TEL AVIV Auch in Tel Aviv wurde die Schwei- zer Fussball Meisterschaft verfolgt. Und die Freude bei mir war natür- lich ausserordentlich riesig, als die Berner Young Boys Schweizermeister wurden. Schon während der ganzen Saison freute ich mich darüber, dass YB Sieg an Sieg reihte, und insgeheim hatte auch ich die Hoffnung, dass es diese Saison mit dem ersten Meistertitel seit 32 Jahren klappen könnte. Sogar eine der grossen israelischen Tageszeitun- gen widmete den Young Boys einen Beitrag, als es immer wahrscheinli- cher wurde, dass die Dominanz des FC Basel nach Jahren ein Ende finden würde. Dank einer Internet Streaming Website, auf welcher ich das Schwei- zer Fernsehen schauen kann, habe ich einige Partien verfolgt. Blöd war für mich, wenn die Spiele jeweils am YB-Fan Jakob Bass in gelb-schwarzer Ausrüstung Sonntagnachmittag stattfanden, denn dann heisst es hier in Israel arbeiten. YB war in meiner Familie schon immer Heimspiele auf die altehrwürdige Tribü- Dann musste ich eben beim Job in ein ganz grosses Thema. Das hat mit ne im Wankdorf mit. Zu jener Zeit spielte regelmässigen Abständen die erfreu- meinem Vater angefangen, der während YB sehr schlecht, und so hatte es dement- lichen Resultate auf meinem Handy vierzig Jahren (1948-1988) im Platzaus- sprechend wenig Zuschauer. checken. schuss war, also dem Ordnungsdienst, der die offiziellen Karten der Spieler, Bis heute gehören die Young Boys zu mei- ERHÖHTER PULS... Schiedsrichter oder Funktionäre kontrol- nem Leben. Und so freue ich mich im- So kam es also im April dazu, dass YB lierte. Während meiner Jugend war ich mer wieder, an einen YB-Match zu gehen, in diesem Spiel gegen Luzern Mei- mit meinen Eltern bei jedem Heimspiel um mit allen Zuschauern mitzufiebern ster werden konnte. Glücklicherweise von YB dabei. Für meine Schwester und und schlussendlich stolz und freudig den lief das Spiel an einem Samstagabend mich waren dies immer schöne Famili- YB-Sieg zu feiern. und somit perfekt, um ein Wochen- enausflüge, ja Highlights, die wir sehr ende ausklingen zu lassen. Ich hatte genossen und schätzten. Des Öfteren fuh- Es ist schön, mit ehemaligen YB-Cracks gerade Gäste aus der Schweiz in Tel ren wir auch mit der Eisenbahn zu die- zu diskutieren und zu fachsimpeln. Die Aviv. Da diese aber nicht an Fussball sen Spielen. So durfte ich zwischen 1957 Zeiten haben sich inzwischen natürlich interessiert waren und ich keine Bar und 1960 vier Mal miterleben, wie YB verändert, die Spiele sind viel rasanter fand, welche das Spiel am TV über- Schweizer Meister wurde. geworden und die Spieler technisch viel trug, setzte ich mich alleine aufs Sofa besser. Aber trotzdem: Einmal YB, immer vor meinen Laptop. Mein Puls schlug In den 1980er-Jahren wurde das YB-Virus YB. höher, als das Spiel los ging. Rege war auf die nächste Generation übertragen. auch ein WhatsApp-Kontakt mit ei- jakob bass Damals kam mein Sohn Jayr öfters an die nem Schweizer Freund, der auch in 48 forum – 104 | 02 / 2018
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