Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...

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Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
Januar / Februar 2022

                     Familien brauchen
                    mehr Verlässlichkeit
                    Längere Kita-Zeiten würden viele Eltern entlasten

Weiterbildung für alle           Mieterhöhung – und nun?      Interview mit Klaus Dörre
Von der Lehre                    Was Mieterinnen und Mieter   Rechtsradikale Einstellungen
an die Hochschule                in Bremen wissen sollten     in der Arbeitswelt
Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
BAM — Januar / Februar 2022                                                               Inhalt

      Galerie der Arbeitswelt                      Verbrauchertipp: Anschlussfinanzierung    Modellprojekt „Rehakompass“
      Seite 16                                     Seite 10                                  Seite 20

                                                                          SERVICE & BERATUNG
      Inhalt                                                              10
                                                                              Verbrauchertipp
                                                                          			 Anschlussfinanzierung – worauf Sie achten
                                                                              müssen

                                                                          11			 Fragen & Antworten
      THEMEN                                                              			 Mieterhöhung – und nun?

      			 Schwerpunkt                                                     22			    Alles, was Recht ist
      6			Familien brauchen mehr Verlässlichkeit                                   Rechtstipp / Rechtsirrtum: In meinem
      			 Längere Kita-Zeiten würden viele                                         ­Minijob habe ich nicht die gleichen Rechte
      			 Eltern entlasten                                                          wie ein Vollzeitbeschäftigter

      14
          „Arbeiter ist heute ein abgewerteter Status“                    23
                                                                            Drei Fragen
      			 Interview mit Klaus Dörre
                                                                            zum Homeoffice

      18		  Von der Lehre an die Hochschule
      			 Weiterbildung für alle                                          IN JEDEM HEFT

      20			 Crash-Kurs für die innere Balance                             3			Editorial
      			   Modellprojekt „Rehakompass“
                                                                          4			Die Bremer Arbeitswelt in Zahlen
                                                                          			 Schichtarbeit – Achtung Gesundheit!

                                                                          5			Kurz gemeldet

                                                                          12			 Tipps & Termine
                                     Aktuelle politische Inhalte
        BAM                          und Service-Informationen            13			 Veranstaltungskalender
       im Abo?                         von uns finden Sie auf
                                    Twitter (@ANK_HB), Facebook,          16			 Galerie der Arbeitswelt
                                e   Instagram, YouTube und Xing.
                                                                            Der Gerüstbauer
                 er.d
  bam@ ehmerkamm
         n
  arbeit                                                                  22			    Impressum

                                                                          23			    Cartoon

                                                                          24			    Beratungsangebote & Öffnungszeiten

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Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
Editorial                                                        BAM — Januar / Februar 2022

                                                               EDITORIAL

                     #first7jobs
                                                               Stärken und
                     Kellner? Babysitter? Oder doch
                      eher Marketing-Hase in der Fuß-
                      gängerzone? Wir haben prominente
                                                               Schwächen
                     ­Bremerinnen und Bremer gefragt,
                     wie sie ihre Berufslaufbahn be­­
                      gonnen haben.

                     „Neugierig bleiben“ – das ist
                       nicht nur der Slogan der Bremer
                     vhs, sondern auch Ralf Perplies‘
                       ­persönliche Haltung. Dem neuen
                     Direktor der Bremer Volkshoch-
                       schule macht es Spaß, sich neuen
                     Herausforderungen und Themen
                     zu stellen.                                                           Peter Kruse
                           Der gebürtige ­Bremer ­studierte                              Präsident der
                     Diplom-Pädagogik mit Schwerpunkt                            Arbeitnehmerkammer
                     Erwachsenen­bil­dung und begleitete                                      Bremen
                        nach ­seinem ­Studium verschiedene
                     Unter­neh­­­men in der Betriebs- und
                      ­Organisationsentwicklung. 2004
                     wechselte er in den ö   ­ ffent­lichen    Liebe Leserinnen und Leser,
                     Dienst des Landes ­Bremen. Dort
                        begann er beim ­Rechnungshof,          die neue Regierung steht – zum ersten Mal gibt es auf Bundesebene ein Dreier-­
                       übernahm anschließend eine              Bündnis aus SPD, Grünen und FDP. Was steht nun drin im Koalitionsvertrag und
                     Referats­leitung beim ­Senator für        was bedeutet das für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?
                     Kultur und machte einen Ab­­
                       stecher als Interimsdirektor der        Eine zentrale und für uns wichtige Entscheidung: Der gesetzliche bundesweite
                     ­Musikschule Bremen. Seit Oktober         Mindestlohn steigt auf zwölf Euro. Damit folgt der Bund dem guten Beispiel
                     führt er die vhs Bremen.                  ­Bremens. Für viele Beschäftigte wird das eine deutliche Lohnerhöhung bringen.
                                                                Allerdings: Langzeitarbeitslose und Jugendliche unter 18 Jahren bleiben von
                        Garten- und Landschaftsbauer            ­dieser Regelung ausgenommen. Hier wurde eine Chance vertan.
                        Zivildienstleistender bei den                    Der Mindestlohn zieht aber nur die untere Haltelinie für besonders
                        Johannitern (Rettungsdienst)             niedrige Verdienste. Letztlich sorgen nur Tarifverträge für faire Arbeitsbe­
                                                                 ­
                        Messebauer                               dingungen und auch für einen fairen Lohn. Beschäftigte in tarifgebundenen
                        Reha- und Altenpflegehelfer              Unternehmen bekommen zehn Prozent mehr Gehalt. Das Problem: Allein im
                        Trauerbegleiter für Kinder               Land Bremen wendet nur noch ein Fünftel der Betriebe einen Tarifvertrag an.
                        Kurierfahrer im Benelux-Gebiet                   Es ist deshalb richtig, dass die neue Bundesregierung die Tarifbindung
                        Trainer, Coach und Existenz-             weiter stärken will. Die Arbeitnehmerkammer setzt sich dafür ein, das Tariftreue-
                        gründungsberater                         und Vergabegesetz auf Landesebene zu reformieren: Damit künftig nur noch
                                                                 ­solche Betriebe öffentliche Aufträge erhalten, die ihre Beschäftigten auch nach
                                                                  Tarif bezahlen.

                                                               Der Koalitionsvertrag hat Stärken, aber auch Schwächen – an einigen Punkten
                                                               hätten wir uns mehr Mut zu sozialer Gerechtigkeit gewünscht. Wo genau? Auf
                                                               unserem YouTube-Kanal haben wir ein paar Themen genauer unter die Lupe
                                                               genommen. Schauen Sie gern vorbei!

                                                               Ihr Peter Kruse
Foto: © VHS Bremen

                                                               ­Kontakt:     bam@arbeitnehmerkammer.de

                           Ralf Perplies

                                                                                                                                                     — 3
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       DIE BREMER ARBEITSWELT IN ZAHLEN

       Schichtarbeit –
       Achtung Gesundheit!
                                                                                                                          23 % der Bremer
                                                                                                                     Beschäftigten arbeiten im
       Im Krankenhaus und Pflegeheim, in der Industrie, im                                                           Schichtdienst. 62 % davon
                                                                                                                       sind Männer. 30 % der
       Gastgewerbe oder in Bus und Bahn: Millionen Menschen
                                                                                                                         Beschäftigten mit
       in Deutschland arbeiten im Schichtdienst. Das                                                                Arbeitsplatz in Bremerhaven
                                                                                                                     arbeiten im Schichtdienst.
       belastet. Unsere Beschäftigtenbefragung für das Land
                                                                                                                    In der Stadt Bremen sind es
       Bremen zeigt: Jeder zweite Schichtarbeitende sieht                                                             mit 22 % etwas weniger.
       einen negativen Einfluss auf die eigene Gesundheit
       Illustration: Marco Agosta, Asja Beckmann

                                                                                                                                                              Quelle: Koordinaten der Arbeit im Land Bremen. Befragung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern 2021, Studie von infas im Auftrag der Arbeitnehmerkammer Bremen
       Schichtarbeit ist sehr
       belastend. Viele                                                 Glauben Sie, dass        „Nein“      sagen Beschäftigte…
       Schichtarbeitende                                                 Sie Ihren Beruf
       können sich nicht vor-                                           oder Ihre Tätigkeit                          ... in Gleitzeit   12%
       stellen, ihre Arbeit bis                                            bis zu Ihrem                 ... mit festen Zeiten für             26 %
       zur Rente auszuüben.                                                 regulären                 Arbeitsbeginn und -ende
       Noch anstrengender ist                                              Rentenalter                                                               37 %
                                                                                                              ... im Schichtdienst
       Sonn- und Feiertags-                                             ausüben können?
                                                                                               ... mit Sonn- und Feiertagsarbeit                     38%
       und Nachtarbeit.
                                                                                                                    ... Nachtarbeit                    44 %

       Wer im Schichtdienst beschäftigt ist, muss häufig lange                     In diesen Branchen ist der Anteil der Menschen in
       arbeiten, hat oftmals schwankende Arbeitszeiten und muss                    Schichtarbeit besonders groß:
       besonders oft auch an Sonn- und Feiertagen und in der
       Nacht arbeiten:                                                               Herstellung von Nahrungs-
                                                                                              und Futtermitteln                                 55%

                                                                                                          Lagerei                              50%
            vertraglich vereinbarte
       Arbeitszeit mehr als 40 Std.    31 %                         SO                                    Verkehr                              49%
                         Arbeitszeit
                    schwankt stark       35%                                                    Krankenhäuser                                  48%

         Sonn- und Feiertagsarbeit          65%                                                   Gastgewerbe                                 45%

                       Nachtarbeit                 78%                                  Pflege- und Altenheime                                45%

                                                                                                     Leiharbeit                               45%

                                                                                  Herstellung Kfz, Fahrzeugbau                            43%

       Beschäftigte ohne Berufsabschluss geben am häufigsten an,
       im Schichtdienst zu arbeiten.

             Universitätsabschluss     7%                   Abschluss

          Fachhochschulabschluss         13 %
             Fortbildungsabschluss
                (Meister/Techniker)         16 %

      betriebliche Berufsausbildung                29 %

       schulische Berufsausbildung                 32 %
             anderer/ausländischer
             Ausbildungsabschluss                    35 %

             ohne Berufsabschluss                           49 %

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Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
BAM — Januar / Februar 2022

Kurz
gemeldet

Steuerterminvergabe
ab 12. Januar
Wenn Sie Hilfe bei der Erstellung Ihrer Steuererklärung
brauchen, hilft die Arbeitnehmerkammer. Vereinbaren
Sie dazu bitte einen Termin. Wegen der Corona-­Pandemie
erfolgt die Erstellung der Einkommensteuererklärung in
der Regel ohne persönliche Beratung. Hier entfällt die
Gebühr von zehn Euro. Für diese „papierförmige“ Be­­
arbeitung der Steuererklärung senden Sie uns Ihre Unter-
lagen zum vereinbarten Termin in einem verschlossenen
Umschlag per Post oder werfen ihn direkt in den Brief­
kasten der Arbeitnehmerkammer.

Terminbuchung ab 12. Januar 2022 ab 8 Uhr unter:
Bremen:   0421 . 3 63 01 - 59
Bremen-Nord:     0421 . 6 69 50 - 0
Bremerhaven:     0471 . 9 22 35 - 59

                                                                                                             Foto: Kay Michalak
Als Mitglied der Arbeitnehmerkammer mit KammerCard
können Sie sich online einen Termin sichern:
   terminvergabe.arbeitnehmerkammer.de
   www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard

                                                           Konzept für die Zukunft
  KammerCard
                                                           der dualen Ausbildung
                                                           Fachkräfte sind knapp und die Zahl der ausbildenden
                                                           Betriebe in Bremen ist rückläufig. Die betrieblichen Aus-
                                                           bildungskapazitäten hängen allein vom Engagement der
  www.arbeitnehmerkammer.de
                                                           Unternehmen und von ihren betriebswirtschaftlichen
                                                           Möglichkeiten ab.

                                                           Eine Sonderabgabe der Arbeitgeber würde die Ausbil-
                                                           dungskosten zwischen den Betrieben solidarisch ver­teilen.
                                                           Zudem könnten aus dem Fonds auch überbetriebliche
                                                           ­Bildung und ausbildungsbegleitende Angebote finanziert
                                                            werden, um Auszubildende und Betriebe während der
                                                            Ausbildung zu unterstützen. Eine solche Umlagefinan-
                                                            zierung kann einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähig-
                                                            keit der dualen Ausbildung leisten, indem sie ausbildende
                                                            Betriebe finanziell entlastet und damit Anreize für weitere
                                                            Ausbildungsplätze schafft.
                                                                   Die Senatorin für Arbeit hat eine wissenschaft­liche
                                                            Kommission eingesetzt, die bis zum Sommer 2022 ein
                                                            Konzept für einen solchen Landesausbildungsfonds ent­
                                                            wickeln soll.

                                                                                                                                  — 5
Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
SCHWERPUNKT

Familien brauchen
mehr Verlässlichkeit
— längere Kita-Zeiten
würden viele Eltern entlasten

Rund ein Drittel der berufstätigen Mütter und Väter in
­Bremen haben Bedarf an zusätzlichen Betreuungszeiten
für ihre ­Kinder, wie eine ­aktuelle Studie zeigt. Mit einer
geringen ­Ausweitung der Kita-Öffnungszeiten ließe sich
viel erreichen

Text: Anne-Katrin Wehrmann – Fotos: Jonas Ginter
Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
Schwerpunkt                                                             BAM — Januar / Februar 2022

                                             zu erledigen“, berichtet Waldemar
                                             ­Letkemann. Insgesamt lasse sich so alles
                                                                                          „Es wäre besonders wichtig,
                                              gut organisieren. Allerdings: „Es würde
                                              uns sehr helfen, wenn wir die Kinder        die Randzeitenbetreuung zu
                                              an einzelnen Tagen ­flexibel auch mal
                                                                                                      erweitern.“
                                              zwei Stunden länger in der Kita lassen
                                              könnten. Wenn dort bis 17 oder 18 Uhr          Studien-Autor René Böhme (iaw)
                                              geöffnet wäre, würde das eine kom-
                                              plette Schicht ab­­decken und einer von
                                              uns könnte die beiden hinbringen und       Betreuungsbedarf Eltern haben, der
                                              auch wieder abholen.“                      von den tatsächlichen Kita-Zeiten
                                                      An den Wochenenden arbeitet        ­aktuell nicht abgedeckt ist. Dabei zeigte

D
            as Familienleben von Julia        das Ehepaar nach Möglichkeit komplett       sich: Zwei Drittel der befragten Eltern
            und Waldemar Letkemann            versetzt oder versucht freizubekom-         gaben an, keinen Bedarf an zusätzlicher
            und ihren zwei Kindern ist        men. In den seltenen Fällen, in denen       Kinder­tagesbetreuung zu haben – aber
            durchgetaktet und funktio-        das der Dienstplan nicht zulässt, reisen    immerhin ein Drittel formulierte zusätz-
niert nur mit guter Planung. Wesent­          die mehrere Stunden entfernt lebenden       liche Bedarfe. Am häufigsten genannt
liche Taktgeberin ist die Kita, in die der    Großeltern an, um auf die Kleinen auf-      wurde dabei die Zeit zwischen 16 und
vierjährige Sohn und die zwei­jährige         zupassen. Dass die Kita keine Wochen-       17 Uhr, gefolgt von den Zeitfenstern
Tochter des Ehepaares gehen. Die Ein-         endbetreuung anbiete, finde sie nicht       17 bis 18 Uhr, 14 bis 16 Uhr sowie 7 bis
richtung in Schwachhausen ist von             schlimm, sagt Julia Letkemann. „Man         8 Uhr (Details siehe Info-Kasten). „Damit
8 bis 16 Uhr geöffnet. Für die beiden im      merkt den Kindern an, dass sie sams-       liegt ein Großteil der Zusatzbedarfe
Schichtdienst tätigen Fluglotsen bedeu-       tags und sonntags platt sind“, erzählt     innerhalb eines Zeitfensters zwischen
tet das: Wenn Waldemar ­       Letkemann      sie. „Ich würde sie darum am Wochen-       7 und 18 Uhr“, fasst Studien-Autor
die Kleinen morgens in die Kita bringt,       ende gar nicht dort hinbringen wollen.     René Böhme vom iaw zusammen. „Vor
ist seine Frau meistens schon bei der         Außerdem genießen wir die gemein-          7 Uhr, abends, nachts und am Wochen-
Arbeit. Wenn Julia Letkemann die              same Familienzeit, wir frühstücken         ende haben uns nur jeweils zwei bis
­beiden nachmittags wieder abholt, ist        dann ausgedehnt und machen Aus-            drei Prozent aller Befragten zusätzliche
 ihr Mann noch im Dienst. „An Tagen,          flüge. Auch deswegen haben wir die         Betreuungsbedarfe genannt.“
 an denen wir versetzt arbeiten, sehen        beiden gerne zu Hause.“
 meine Frau und ich uns bei der Arbeit –
 aber nicht privat“, sagt der 34-­jährige                                                Eine Detail-Analyse der
 Familienvater. Sowohl er als auch seine                                                 iaw-Studie lässt folgende
                                             Die Vereinbarkeit von ­Familie
 31-jährige Frau arbeiten ­    aktuell in                                                ­Muster erkennen:
 Elternteilzeit 26,5 Stunden pro Woche.         und Beruf gestaltet sich
 Die früheste Schicht bei den Lotsen am                                                    Alleinerziehende benennen über-
                                               für viele Eltern als tägliche
 Bremer Flughafen fängt um 5.40 Uhr                                                        durchschnittlich oft den Wunsch
 an, die späteste geht von 18.30 bis                ­Herausforderung – ­                   nach einer Betreuung zwischen 6 und
 2 Uhr nachts – dazwischen gibt es je                                                      7 Uhr, einer Abendbetreuung mit
                                                 besonders wenn sie im
 nach Flugaufkommen diverse Anfangs-                                                       Übernachtung sowie einer Betreuung
 zeiten. Ein- bis zweimal im Monat               Schichtdienst tätig sind.                 am Samstag.
 steht außerdem von 22 bis 6 Uhr                                                           Nicht getrennt lebende Paare, bei
 ­Nachtschicht an.                                                                         denen beide Elternteile ­mindestens
         In der Theorie arbeiten die bei-                                                  35 Stunden pro Woche ­arbeiten,
  den vier Tage am Stück und haben dann      Schlusslicht Bremen                           geben überdurchschnittlich oft einen
  vier Tage frei. In der Praxis kommt es     Die Vereinbarkeit von Familie und             zusätzlichen Betreuungsbedarf
  aber auch vor, dass fünf oder sechs        Beruf gestaltet sich für viele Eltern         ­zwischen 16 und 18 Uhr an.
  Arbeitstage aufeinander­folgen. „Unser     als tägliche Herausforderung – beson-         Nicht getrennt lebende Paare, bei
  Glück ist, dass wir einen familien­        ders wenn sie im Schichtdienst tätig           denen ein Elternteil mindestens
  freundlichen Arbeitgeber und eine          sind. Da passt die Situation von Julia         35 Stunden und das andere mindes-
  sehr zuvorkommende Dienst­      planerin   und ­  Waldemar Letkemann ziemlich             tens 25 Stunden pro Woche arbeitet,
  haben“, meint Julia Letkemann. Weil        genau zu den Ergebnissen einer Eltern-         haben überdurchschnittlich oft einen
  bei der Planung der Schichten ihre         befragung, die das Institut Arbeit             Mehrbedarf zwischen 7 und 8 Uhr.
  Wünsche berücksichtigt werden, geht        und Wirtschaft (iaw) der Universität          Haushalte mit Elternteilen in Schicht-
  es meistens auf, dass sie gleich eine      ­Bremen kürzlich im Auftrag der Sena-          arbeit benötigen überdurchschnitt-
  der ersten Schichten bekommt. Ihr           torin für Kinder und Bildung durchge-         lich oft eine ergänzende Betreuung
  Mann fängt dann üblicherweise ­später       führt hat. Für die Studie mit dem Titel       am Morgen, am Abend mit Über-
  an, nachdem er die Kinder wegge-            „Bedarfsanalyse zur Flexibilisierung der      nachtung und am gesamten Wochen-
  bracht hat. „Wenn es gut läuft, kann        Kindertagesbetreuungszeiten für die           ende. Dabei variieren die Bedarfe
  ich danach noch mal eine Stunde nach        Stadtgemeinde Bremen“ untersuchten            oft entsprechend der wechselnden
  Hause fahren, um im Haushalt etwas          die Forschenden, welchen zusätzlichen         ­Schichten.

                                                                                                                                      — 7
Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
BAM — Januar / Februar 2022                                                                    Schwerpunkt

                                                               einzelne Tage benannt habe,
                                                               biete sich hier eine quanti-
                                                                                                            Bremen ist im
                                                               tative und qualitative Aus-
                                                               weitung sowie eine Flexi-              ­Bundesländervergleich
                                                               bilisierung der Früh- und
                                                                                                   ­derzeit Schlusslicht bei den
                                                               Spätdienste an. „Konkret
                                                               heißt das, dass die Zahl der             Kita-Öffnungszeiten.
                                                               Kitas mit längeren Öffnungs-
                                                               zeiten in jedem Stadtteil
                                                               schrittweise erhöht werden
                                                               sollte und dass es darüber
                                                               hinaus auch bedarfsgerech-         Die iaw-Studie mache deutlich, dass
                                                               tere Angebote braucht.“            eine umfangreiche Elternbefragung
                                                               So hätten in der Elternbe­         die Grundlage dafür sei, deren Betreu-
                                                               fragung viele Teilnehmende         ungsbedarfe zu erkennen und dann
                                                               berichtet, dass es sehr ent­       auch entsprechend handeln zu ­können,
                                                               lasten würde, wenn sie             betont Thomas Schwarzer, Referent für
                                                               ihr Kind bei Bedarf auch           kommunale Sozialpolitik bei der Arbeit-
                                                               mal       eine   Viertelstunde     nehmerkammer. „Wir ­brauchen darum
                                                               früher in die Kita bringen
                                                               ­                                  regelmäßig so eine repräsentative
                                                               oder es nachmittags eine           Befragung, am besten alle zwei Jahre.
                                                               ­Viertel­stunde später ab­­holen   Allein die Auswirkungen der Coro-
                                                                ­könnten.                         na-Pandemie zeigen, dass ­solche Daten
                                                                                                  immer wieder aktualisiert ­werden müs-
                                                                Landespolitik ist                 sen.“ Unabhängig davon sei die Politik
                                                                gefordert                         aufgefordert, verlässliche Betreuungs-
                                                                Was in den Gesprächen deut-       strukturen sicherzustellen und paral-
                                                                lich geworden sei, so Böhme:      lel dazu die Betreuungszeiten Schritt
                                                                „Private Lösungen spielen         für Schritt auf einen Zeitraum von 7
                                                    für viele Eltern eine wichtige Rolle und      bis 18 Uhr auszubauen. „Die Landes­
                                                    werden häufig ganz selbstverständ-            regierung hat selbst in ihrem Koaliti-
  „Es würde uns sehr ­helfen,                       lich organisiert. Oft springen Groß­          onsvertrag angekündigt, in den Kitas
                                                    eltern oder Freunde ein, wenn spontan         Früh- und Spätdienste finanziell bes-
        wenn wir die Kinder an                      eine Betreuung gebraucht wird.“ Noch          ser ausstatten zu wollen und in min-
      ­einzelnen Tagen ­flexibel                    wichtiger als Flexibilität bei den Kita-­     destens einer Einrichtung pro Stadtteil
                                                    Öffnungszeiten sei den meisten Befrag-        erweiterte Öffnungszeiten anzubieten“,
      auch mal zwei ­Stunden                        ten denn auch die Verlässlichkeit der         erläutert Schwarzer. „Jetzt müssen den
    ­länger in der Kita lassen                      Betreuung, die angesichts des herr-           Worten Taten folgen.“
                                                    schenden Personalmangels in den Kitas
                      könnten.“                     nicht immer sichergestellt sei. Kritisiert
                     Waldemar Letkemann und         worden seien zudem immer wieder
                   seine Frau Julia arbeiten im     die langen Ferienschließzeiten sowie              „Ich kann nicht Vollzeit
                    Schichtdienst als Fluglotsen.   die fehlende Möglichkeit, auch im lau-
                                                                                                   ­arbeiten, weil mir dafür die
                                                    fenden Jahr bei veränderten beruf­
                                                    lichen Bedingungen neue Betreuungs­                    Betreuung fehlt.“
                                                    zeiten verein­  baren zu können. Hier
                                                                                                    Bianca G., alleinerziehende Mutter
                                                    lasse sich ansetzen, so Böhme. Für
                                                                                                        einer vierjährigen Tochter
      Die Studien-Ergebnisse sind auch              ein gutes Ergänzungs-­      Modell hält
      vor dem Hintergrund zu sehen, dass            der iaw-­ Wissenschaftler das Projekt
      ­Bremen im Bundesländervergleich der-         „MoKi“ (Mobile und ­flexible Kinder­­be­
       zeit Schlusslicht bei den Kita-Öffnungs-     treuung) beim Familien­zentrum Mobile
       zeiten ist: Laut einer Erhebung der          in Hemelingen, das Eltern eine kurz­
       ­Bertelsmann-Stiftung öffnen in keinem       fristige Betreuung ihrer Kinder ermög-        Betreuungszeit reicht nicht
        anderen Bundesland mehr Kitas erst          licht. „Eine Ausweitung von MoKi auf          für Vollzeitjob
        nach 7.30 Uhr und schließen schon vor       weitere Stadtteile würde das An­       ge-    Zu den wenigen Müttern, die sich eine
        16.30 Uhr. „Es wäre darum besonders         bot flexibler Kindertagesbetreuung in         Betreuungsmöglichkeit auch nachts
        wichtig, die Randzeitenbetreuung zu         ­Bremen, zusammen mit einer ­Stärkung         wünschen würden, gehört Franziska
        erweitern“, macht René Böhme deut-           der mobilen ergänzenden Kinder­              Lemnitz. Die Notfallsanitäterin im
        lich. Da ein Großteil der Eltern mit         tagespflege, sehr positiv ergänzen.“         Rettungs­dienst, die ihren Familienall-
        zusätzlichem Betreuungsbedarf die-                                                        tag rund um Bereitschaftsdienste und
        sen vor allem unregelmäßig und für                                                        Zwölf-Stunden-Schichten organisieren

— 8
Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
BAM — Januar / Februar 2022

                                                                                       KOMMENTAR
  muss, sagt: „Zurzeit klappt es mit der        die Kita auf dem Weg zur Arbeit
  Betreuung unseres Sohnes und ­unseren         liegt“, berichtet die kaufmänni-
  Arbeitszeiten nur, weil der Arbeitge-         sche Angestellte. „Aber ich suche
  ber meines Partners Gleitzeit ermög-          gerade eine neue Wohnung und
  licht. Unsere Familien wohnen weit            wenn die weiter weg sein sollte,

                                                                                                                                    Foto: Stefan Schmidbauer
  entfernt und können somit nicht unter-        wird das schon knapp.“ Grundsätz-
  stützen. Ich wünsche mir Früh- und            lich würde sie gerne länger arbei-       Elke Heyduck,
  Spätdienste, am liebsten wäre mir eine        ten, am liebsten bis 16 Uhr: „Mit          Geschäfts­
  24-­Stunden-Kita.“                            der bestehenden Betreuungszeit            führerin und
            Für Bianca G. wären erweiter­       funktioniert das aber nicht.“          ­Leitung Politik-
  ­te Öffnungszeiten die Voraussetzung                  Was für die 35-Jährige                beratung
   dafür, ihre Arbeitszeit erhöhen zu           darüber hinaus schwierig ist: Das
   ­können. Momentan arbeitet die allein-       Geschäft, in dem sie arbeitet, hat
    erziehende Mutter einer vierjährigen        bis 17 Uhr geöffnet – und ihr Chef
    Tochter wochentags von 8 bis 13 Uhr         würde sich wünschen, dass sie bei
    und ist froh, dass ihre Kita in Gröpelin-   Bedarf auch mal bis zum Ende
    gen einen Frühdienst ab 7.30 Uhr an­        bleiben kann. Als sie vor einer
    bietet. „Das kommt gerade so hin, weil      Weile eine Kollegin vertrat, die
                                                im Urlaub war, musste sie für die
                                                nachmittags entstandene Betreu-
                                                                                        Da muss
  „Zurzeit klappt es mit der
                                                ungslücke privat eine Baby­sitterin
                                                organisieren und bezahlen. „Ich
                                                bräuchte da schon die Flexibilität,
                                                                                       mehr gehen!­
                                                auch mal spontan einspringen zu
­Betreuung ­unseres Sohnes                      können, wenn die Kollegin krank
 und ­unseren ­Arbeitszeiten                    ist“, macht Bianca G. deutlich.        Gleichstellungs- und familienpolitisch gibt
                                                „Dafür müsste die Kita allerdings      es reichlich Aufholbedarf. Im bundeswei-
   nur, weil der ­Arbeitgeber                   mindestens bis 17.30 Uhr geöff-        ten Vergleich der Länder und Großstädte
  ­meines ­Partners Gleitzeit                   net sein und das ist sie nicht.“ Sie   hat Bremen eine der niedrigsten Erwerbs-
                                                verstehe, dass das mit der aktuel-     quoten von Frauen sowie besonders hohe
                 ­ermöglicht.“                  len Personal­lage nicht einfach sei.   Teilzeit- und Minijob-Anteile.
                       Franziska Lemnitz ist    Fakt sei aber auch: „Ich kann nicht            Um hier Fortschritte zu erzielen,
       Notfall­sanitäterin im Rettungsdienst    Vollzeit ­ar­beiten, weil mir dafür    kann es nicht sein, dass Bremen gleich-
             mit Bereitschaftsdiensten und      die Betreuung fehlt.“                  zeitig das Bundesland mit den kürzesten
                   Zwölf-Stunden-Schichten.                                            Zeitfens­tern in der Kindertagesbetreuung
                                                                                       bleibt. Zumal die Bremer Familien sehr
                                                                                       realistische Betreuungsbedarfe formulie-
                                                                                       ren, wie die detaillierte Elternbefragung
                                                                                       zeigt.

                                                                                       Lediglich jede dritte Familie bräuchte ent-
                                                                                       weder am Morgen einen um eine Stunde
                                                                                       früheren Beginn oder am Nachmittag Be­­
                                                                                       treuungszeiten bis 17 oder 18 Uhr. S ­ olche
                                                                                       Kitaöffnungszeiten in zumindest ein oder
                                                                                       zwei Einrichtungen pro Stadtteil wären
                                                                                       eine große Erleichterung bei der Verein-
                                                                                       barkeit von Familie und Beruf.
                                                                                               Dieser Schritt ist zudem im aktu-
                                                                                       ellen Koalitionsvertrag angekündigt und
                                                                                       muss jetzt auch umgesetzt werden. Zu­
                                                                                       künftig sollte außerdem alle zwei Jahre
                                                                                       eine Eltern­befragung durchgeführt ­werden,
                                                                                       um den Betreuungsbedarfs der Eltern
                                                                                       ­aktuell zu ermitteln – differenziert nach
                                                                                       Stadtteilen.

                                                                                                                              — 9
Familien brauchen mehr Verlässlichkeit - Arbeitnehmerkammer ...
BAM — Januar / Februar 2022                                                               Verbrauchertipp

       GASTBEITRAG
                                                                      Ist der Wechsel der Bank mit Kosten verbunden?
                                                                      Kosten für den Ausstieg aus dem Darlehensvertrag zum
                                                                      Ende der Zinsbindungsfrist entstehen nicht, die Bank darf
                                                                      hierfür nichts in Rechnung stellen. Beim Wechsel der Bank
                                                                      ­fallen aber Kosten für die notarielle Übertragung der Kredit-
                                                                       sicherheiten an. Die bestehenden Grundschulden sollten in
                                                                       Form einer Abtretung notariell beurkundet werden. Dies ist
                                                                       weitaus günstiger als eine Löschung und Neueintragung im
                                                                       Grundbuch.

                                                                      Vergleichen lohnt sich
                                                                      Spätestens drei Monate vor Ablauf der Zinsbindung soll-
                                                                      ten Darlehensnehmer aktiv werden und sich um Angebote
                                                                      und Vergleiche anderer Banken kümmern. Dann ist noch
                                                                      aus­reichend Zeit, den Wechsel des Kreditinstitutes vorzu­
                                                                      nehmen. Ein Vergleich der Konditionen lohnt sich fast
                                                                      immer: ­Mehrere Angebote einholen und für sich das indivi-
                                                                      duell beste Angebot abzuschließen, spart bares Geld.
                                                                              Eine Alternative kann auch das frühzeitige Sichern
                                                                      von günstigen Konditionen durch ein sogenanntes Forward-­
                                                                      Darlehen sein. Heute sichert man sich die Hypothekenzinsen
                                                                      für die Zukunft. Kostenlos ist dieses Angebot nicht. Die Bank
                                                                      nimmt für dieses Angebot Zinsaufschläge auf den Sollzins.
                                                                      Frühestens fünf Jahre vor dem Auslaufen des aktiven Dar­
                                                                      lehens kann ein Forward-Darlehen abgeschlossen ­werden.
       Anschlussfinanzierung –                                        Ein Forward-Zinsaufschlag ist abhängig von der Marktlage
                                                                      und der Vorlaufzeit. Für jeden Monat, der bis zur Auszahlung
       worauf Sie achten müssen                                       des Forward-Darlehens vergeht, berechnen Banken einen
                                                                      Aufschlag von 0,01 bis 0,05 Prozent. Je früher und länger
                                                                      eine Vorlaufzeit für ein Forward-Darlehen vereinbart wird,
       Text: Annabel Oelmann                                          desto höher der Zinsaufschlag. Im heutigen sehr günstigen
       Vorständin der ­Verbraucherzentrale ­Bremen                    Zinsumfeld kann ein Forward-Darlehen eine attraktive Mög-
       Illustration: Anika Falke­                                     lichkeit sein, sich günstige Zinskonditionen für die Zukunft
                                                                      zu sichern.

       Für die Anschlussfinanzierung eines Immobilienkredits gibt     Mehr Infos online unter        www.arbeitnehmerkammer.de/bam
       es meist zwei Gründe. Entweder läuft die Zinsbindung des
       bestehenden Hypothekendarlehens demnächst aus oder das
       laufende Darlehen mit langer Zinsbindung kann bereits nach
       zehn Jahren einseitig durch die Darlehensnehmer gekündigt
       werden.
                                                                                     GEMEINSAM
       Anschlusskredite sind zurzeit besonders günstig. Darlehens-                   GUT BERATEN
       nehmer müssen aber selbst aktiv werden, denn mit dem Aus-
       laufen der Zinsbindungsfrist endet der Kreditvertrag nicht
       automatisch. Unternimmt man nichts, läuft das Darlehen mit                    Beratung bei der Verbraucherzentrale
       einer variablen Verzinsung weiter. Die Zinsen richten sich                    Ermäßigt für Mitglieder der
                                                                                     Arbeitnehmerkammer Bremen
       dann nach den aktuellen Marktzinsen. Wer im jetzigen Zins-
       umfeld seine Anschlussfinanzierung regelt, kann bares Geld
       sparen.
                                                                      Sie haben Fragen zur privaten Vorsorge? Hier hilft
       Zinsersparnis kann sich beim frühen Wechseln lohnen            die unabhängige Beratung der Verbraucherzentrale.
       Wer sein altes Darlehen mit mehr als zehn Jahren Zins­         Beschäftigte im Land Bremen, also alle Kammer-­
       bindung abgeschlossen hat, kann es jederzeit kündigen,         Mitglieder, zahlen bei der Verbraucherzentrale nur
       sobald zehn Jahre seit der Auszahlung vergangen sind. Hier     die Hälfte für eine Beratung zu arbeitnehmernahen
       ist dann nur eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zu         ­Themen wie Altersvorsorge, zusätzliche Krankenver­
       beachten. Viele Haus- und Wohnungsbesitzer können von           sicherung oder Berufsunfähigkeitsrente. Zusätzlich
       den günstigen Konditionen profitieren und sich auch für         gibt es rund 30 Ratgeber zum halben Preis.
       ­längere Zinsbindungen bis hin zu 20 Jahren entscheiden. In
        der Regel sind heutige Anschlusskredite fast immer deutlich   Weitere Infos auf der Rückseite dieses Magazins.
        günstiger als die Konditionen von Altverträgen.

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Fragen & Antworten                                                            BAM — Januar / Februar 2022

Mieterhöhung
— und nun?
Darf mein Vermieter die Miete erhöhen wie
und wann er will? Was gilt bei Neuvermietungen
oder nach Modernisierungen? Wir erläutern,
was Mieterinnen und Mieter in Bremen wissen
sollten

                                            nur um 15 Prozent (Kappungsgrenze).                  Der Mieter kann der Miet­­er­­­
Text: Hanna Mollenhauer                     Das gilt auch dann, wenn die orts­          höhung auch nur zum Teil zustim-
Juristische Beratung: Stephanie Richter     übliche Vergleichsmiete noch nicht          men. Ohne Zustimmung wird die Miet­
Foto: Kay Michalak                          erreicht ist.                               er­höhung nicht wirksam. Stimmt der
                                                                                        ­Mieter der Erhöhung zu, gilt die neue
                                                                                         Miete ab dem dritten Monat nach
                                            4.      Wie wird die ortsübliche
                                                                                         Erhalt des Erhöhungsverlangens des
 1.     Wie muss eine Mieterhöhung
        formal aussehen?
                                                    Miete ermittelt?
                                            Der Vermieter kann sich auf einen            Vermieters. Verweigert der ­   Mieter
Die Mieterhöhung muss in Textform,          Mietspiegel, eine Mietdatenbank, ein         seine Zustimmung bis zum Ablauf des
zum Beispiel per Brief oder E-Mail er­      Sachverständigengutachten oder drei          zweiten Monats nach dem Zugang der
folgen und von allen Vermietern an alle     Vergleichswohnungen berufen. In der          Mieterhöhung, kann der Vermieter
Mieter gesendet werden. Der Vermie-         Stadt Bremen gibt es anders als in           innerhalb von weiteren drei Monaten
ter muss die Erhöhung in Zahlen ange-       Bremer­haven keinen Mietspiegel. Hier        klagen, um die Mieterhöhung durchzu-
ben, Angaben in Prozent gelten nicht.       wird zur Mieterhöhung in der Regel die       setzen.
Und er muss die Erhöhung begründen.         Be­­nennung von drei Vergleichs­mieten               Übrigens: Der Mieter hat bei
Einer der häufigsten Gründe ist eine        herangezogen. Benennt der Ver­mieter         einer Mieterhöhung ein Sonder­
An­­passung an die ortsübliche Miete.       drei Vergleichswohnungen, müssen             kündigungsrecht, das heißt, er kann
Darauf beziehen sich die folgenden
­                                           diese von der Ausstattung, der Lage und      den Mietvertrag bis zum Ende seiner
­Fragen.                                    der Größe her ähnlich sein. Die Ver-         Überlegungsfrist zum Ablauf des über-
                                            gleichswohnungen müssen so bezeich-          nächsten Monats kündigen.
                                            net sein, dass der Mieter hingehen und
2.     Wie oft sind Mieterhöhungen
       möglich?                             klingeln kann. Der Ver­mieter darf aller-   Infos zu Mieterhöhungen wegen
Frühestens ein Jahr, nachdem die            dings nur die niedrigste der drei Ver-      Modernisierung oder Neuvermietung
letzte Mieterhöhung wirksam wurde,          gleichsmieten fordern und ­      keinen     finden Sie auf unserer Website unter
darf eine weitere Mieterhöhung an­­­ge­     Durchschnittswert bilden. Grundlage             www.arbeitnehmerkammer.de
kündigt werden.                             für eine Mieterhöhung ist immer die
                                            tatsächliche Wohnfläche.

3.     Wie stark darf der Vermieter
       die Miete erhöhen?
Bei bestehenden Miet­      verhältnissen    5.      Wie und wann wird die ­
                                                    Mieterhöhung wirksam?               Wenn Mieter eine Mieterhöhung erhal-
darf der Vermieter zum einen die Miete      Der Vermieter kann die Miet­erhöhung        ten, sollten sie sich in der Rechtsbera-
nur gemessen an der orts­      üblichen     nicht einseitig geltend machen. Er          tung der Arbeitnehmerkammer beraten
Miete erhöhen. Zum anderen darf die         darf den Mieter nur zur Zustimmung          lassen. Weitere Infos zur öffentlichen
Kaltmiete innerhalb von drei ­     Jahren   auf­fordern. Hierfür hat der Mieter ab      Rechtsberatung finden Sie auf der
in Bremer­ haven nicht um mehr als          Erhalt der Mieterhöhung bis Monats-         Rückseite dieses Magazins.
20 Prozent steigen, in der Stadt ­Bremen    ende und zwei weitere Monate Zeit.

                                                                                                                                   — 11
BAM — Januar / Februar 2022                                                           Tipps & Termine

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       Selbstoptimierung ist                                  Zurück zum Thema
                                                              10 Minuten
       auch keine Lösung
                                                              Was verändert der Frauenfußball in Saudi-Arabien? Wie lebens-
                                                              nah sollte Schule sein? Wie verhindern Unternehmen Betriebs-
                                                              räte? Wie kann man die Erde vor Asteroiden retten? Braucht die
                                                              EU noch Atomstrom? Wie gerecht ist das Rentensystem? Der
                                                              Podcast widmet sich jeden Tag zehn Minuten einem konkreten
                                                              Thema. Den Deutschen Radiopreis 2021 gab es für die Folge über
                                                              privaten Schusswaffenbesitz in Deutschland.

                               Augner, Christoph
                                                               Auf detektor.fm und auf allen Podcast-Plattformen und in allen
                               Selbstoptimierung ist
                                                              ­Podcast-Apps
                               auch keine Lösung
                               Patmos Verlag, 2020,
                               152 Seiten
                                                              Eine Stunde History
       Wir leben im Zeitalter der Selbstoptimierung: alles    30 – 40 Minuten
       wird perfektioniert – der eigene Körper, die Arbeit,
       das Familienleben, die Freizeit. Aber je mehr wir      Wie Tetanus zur ersten Massenimpfung führte, wie sich die olym-
       nach dem Motto „schneller, besser, effizienter“        pischen Spiele seit der Antike entwickelt haben, was das inter-
       leben, desto unzufriedener werden wir.                 nationale Abkommen gegen Frauenhandel bedeutet – wie Ver-
                                                              gangenheit und Zukunft miteinander zusammenhängen, erklärt
       Der Psychologe Christoph Augner erklärt, warum         dieser Podcast jeden Freitag. Die Deutschlandfunk-Redakteure
       das so ist und wie wir uns der Fremdbestimmung         Meike Rosenplänter und Markus Dichmann bereiten jede Folge
       entziehen können: Wenn wir unsere Individualität       wie ein Hörspiel auf.
       entwickeln, Erfolg selbst definieren und eigene Pri-
       oritäten setzen.                                       www.deutschlandfunknova.de

       Ein Buch, das zu einem perfekt unperfekten Leben
       ermutigt.
                                                              Zeig mir Deinen Job!
                                                              Der Berufe-Podcast
                                                              Ob Metzger, Kosmetikerin, E-Commerce-Kauffrau, Industrie­
                                                              mechaniker oder Sozialarbeiter: Katha und Alex begleiten
                                                              ­Menschen in ihren ganz alltäglichen Traumjobs – und arbeiten
                                                               mit. Sie fragen: Was ist toll am Job, was nicht und wie hoch
                                                               ist das Gehalt?
       Beschäftigte mit KammerCard erhalten auf
       die ­BIBCARD der Stadt­bibliothek zehn Prozent
                                                              www.zeig-mir-deinen-job.de
       Ermäßigung!
          www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard

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Veranstaltungskalender                                                            BAM — Januar / Februar 2022

Veranstaltungen
                                                                                                                    Online
                                                                                                                    Veranstaltungen
    ONLINE                                                                                                              möglich

12. Januar     Betriebsratskandidatur? Na klar!
                                                                                                                                       demie
17 – 19 Uhr    Aufgaben, Pflichten und Rechte von zukünftigen Betriebsräten                                         r Corona-­Pan
                                                                                                      Aufgrund de                         l-
                                                                                                                     sere Veransta
13. Januar     Vierter Umsetzungsworkshop: „Kollaborative Dienstplangestaltung“                       gelten für un               tu el le n
                                                                                                                      weils   ak
10 – 17 Uhr    in der Reihe „Pflegekräfte zurückgewinnen"                                             tungen die je                or m  ie ren
                                                                                                                      . Bitt e i
                                                                                                                               ­ nf
                                                                                                       Bedingungen                       auf
                                                                                                                     dem Besuch
    BREMEN & BREMEN-NORD                                                                               Sie sich vor
                                                                                                                      site unter
                                                                                                       ­unserer Web                            e/
                                                                                                                             merkammer.d
               Ihr Recht – einfach erklärt                                                                   www.arbeitneh
                                                                                                                        . Dort finden
8. Februar         Mutterschutz, Elterngeld, Elternzeit – Infos für werdende Eltern                     veranstaltungen                   Veran­
                                                                                                                      n Link, wenn
15. Febr.          Infos zum Homeoffice                                                                  Sie auch de                         en.
                                                                                                                         line stattfind
               Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen                                                        staltungen on
15. Febr.          Jobwechsel – Kündigung
               Lindenstraße 8, Bremen-Vegesack
22. Febr.          Grundrente: Altersarmut adé?
je 18 –        Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen
19.30 Uhr

9. Februar     Fünfter Umsetzungsworkshop: „Jüngere Beschäftigte im Beruf ­halten“
10 – 15 Uhr    in der Reihe „Pflegekräfte zurückgewinnen"
               Gewerkschaftshaus Bremen, Bahnhofsplatz 22 – 28, Bremen

bis Ende       Ende gut, Anfang gut: Individueller Teamtag für Betriebsräte
Februar        frei wählbare Termine bis Ende Februar möglich /
               Infos: mitbestimmung@arbeitnehmerkammer.de /           0421.3 63 01-957

                                                                                                                Ausstellung Katrin
    BREMERHAVEN
                                                                                                                Schütte – „umgeben“,
                                                                                                                20. Jan. – 7. April
bis            Foto-Ausstellung: Ostwärts in den Westen – Die Flucht von
                                                                                                                Galerie der Arbeitnehmer-
14. Januar     ­DDR-Bürger*innen über die bundesdeutsche Botschaft in der CSSR
                                                                                                                kammer, Bremerhaven
                im September 1989.
                Forum der Arbeitnehmerkammer, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

17. Jan. bis   Ausstellung „100 Jahre für eine gerechte Arbeitswelt“
28. Febr.      Arbeitnehmerkammer Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

20. Januar     Ausstellung: Katrin Schütte – „umgeben“
bis 7. April   Eröffnung am 20.1. um 18.30 Uhr
               Arbeitnehmerkammer Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

               Kabarett im Capitol
28. Januar        „Schwamm drüber? – Best of 2011 – 2020“ – Anny Hartmann
4. Februar        „Stark am Limit“ – Benni Stark
18. Februar       „aber witzig“ – HG Butzko
je 20 Uhr      Capitol, Hafenstraße 156, Bremerhaven                                                            Kabarett „Stark
                                                                                                                am Limit“ von
22. Febr.      Ihr Recht – einfach erklärt: Infos zum Homeoffice
                                                                                                                Benni Stark, 4. Febr.
17 –           Arbeitnehmerkammer Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven
                                                                                                                Capitol, Bremerhaven
18.30 Uhr

Weitere Veranstaltun­gen und ­Informationen unter         www.arbeit­nehmer­kammer.de/veranstaltungen

                    = für alle      = für Politikinteressierte     = für Betriebs- und Personalräte
                                                                                                                                        — 13
BAM — Januar
             November
                    / Februar
                        / Dezember
                              2022 2021

                                                                                                                                        Foto: iStock
                 „Arbeiter ist heute ein
                  abgewerteter Status“
                Klaus Dörre ist seit 2005 Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der
            ­Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er gilt als angesehener Experte seines Fachgebiets,
              der öffentliche Debatten anstößt: zu prekärer Beschäftigung, der zukünftig digitalen
            Arbeitswelt, zu Klassismus und rechtsradikalen Einstellungen. In seinem Buch „In der
             ­Warteschlange: Arbeiter*innen und die radikale Rechte“ schreibt er über das Gefühl
                                   des Abgehängtseins und rechtsradikale Tendenzen

                                                                      allerdings auch unterrepräsentiert, das muss man dazu
       Fragen: Anna Zacharias                                         sagen. Aber ja, die radikale Rechte mobilisiert Unterstützung
                                                                      aus allen Klassen und Schichten der Gesellschaft. Innerhalb
       BAM: Es heißt, es seien vor allem männliche Arbeiter, die      der Arbeiterschaft gibt es aber überdurchschnittlich starke
       rechte Positionen vertreten. Sie zeichnen ein komplexe-        ­Sympathien für die AfD.
       res Bild, in dem es sowohl gering verdienende Prekäre
       gibt, die einen rebellischen Rechtspopulismus ver­treten       Sie sagen, die sozioökonomische Lage sei dabei ­weniger
       sowie gewerkschaftlich abgesicherte Facharbeiter und           entscheidend als vielmehr ein Gefühl der Abwertung.
       auch gut verdienende Ingenieure, die AfD wählen.               Woher kommt das?
               Klaus Dörre: Zunächst einmal möchte ich festhalten,           Beides ist wichtig. Arbeiter ist heute ein abge­werteter
       dass die Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter immer         Status. „Das wird man nur, wenn man es muss, wer kann,
       noch nicht rechts ist, insbesondere bei Frauen ist das nicht   studiert oder arbeitet im Büro“, heißt es. Man gründet auf
       der Fall. Im engeren Sinne sind Frauen in der Arbeiterschaft   den Arbeiterstatus keine kollektive Aufstiegshoffnung mehr,

— 14
Arbeitssoziologie                                                         BAM — Januar / Februar 2022

  wie es noch am Ende der 1950er-Jahre der Fall war. Im Zuge ist die Situation noch mal eine andere, da sind die rechts­
  der 1968-Bewegungen wurde die Arbeiterklasse zwar kurz- radikalen Tendenzen unter den Gewerkschaftsmitgliedern
  zeitig neu entdeckt, doch zahlreiche Studien zeugten alsbald noch stärker ausgeprägt als im Westen.
  von einem individualisierten Arbeiterleben. Von gemein­
  samer Aufstiegshoffnung war nichts mehr zu spüren. Heute
  sagt man ungern, dass man Arbeiter ist, man bezeichnet sich
  lieber als Mittelschicht, das heißt, man verleugnet im Grunde
  seine eigene Klassenposition. Manche kompensieren ihren als
                                                                „Manche kompensieren ihren als
  abgewertet empfundenen Status mittels Abwertung anderer. ­abgewertet empfundenen Status
  Sie setzen Ressentiments gegen Migranten oder Hartz-IV-­
  Bezieher als Mittel im Kampf um Statusverbesserungen oder
                                                                mittels Abwertung anderer.“
  Statuserhalt ein.

  Und dann kommen die Geflüchteten.
          Bei denen, die zur radikalen Rechten neigen, ­finden      Das Land Bremen ist nicht grade für seinen Wohlstand
  wir Variationen einer immer gleichen Tiefengeschichte. Man        bekannt, trotzdem hat die radikale Rechte kaum eine
  selbst sieht sich in einer Warteschlange am Fuße des B  ­ erges   Chance – wie erklären Sie sich das?
  der Gerechtigkeit. Ständig werden die Wartenden ver­tröstet,              Ich habe vor einiger Zeit in Bremerhaven eine Studie
  denn es gibt immer neue Gründe, die den Aufstieg ver­zögern.      zu Hartz IV gemacht und mein Eindruck war, dass anders als
  Dann kommen die Geflüchteten und ziehen an einem vor-             in anderen Gegenden die Arbeiterschaft in Bremen nicht so
  bei, ohne dafür etwas leisten zu müssen – so das Empfinden.       aus dem Blickfeld geraten ist. Dabei greifen einige Besonder-
  Dabei geht es vielen nicht pauschal um die Ausländer all-         heiten ineinander: Es ist ein Stadtstaat, es gibt noch immer
  gemein, sondern um die, „die kommen, weil es grade einen          Großbetriebe, das Gewerkschaftsmilieu ist resistenter, es
  Krieg gibt“ oder die aus wirtschaftlicher Not ihr Land ver­       gibt Einrichtungen wie die Arbeitnehmerkammer, das Ab­­
  lassen. „In unserem Dorf ist kein Arzt mehr, der Zug hält         wertungsempfinden ist nicht so stark ausgeprägt und der
  nicht mehr, der letzte Supermarkt schließt, aber die be­kom-      antifaschistischen Grundkonsens ist in der Zivilgesellschaft
  men alles und wir schauen in die Röhre“ – dieses Bild hat sich    stark verankert und mobilisierungsfähig. Ich will das nicht
  verfestigt. Dabei sind die Stadt-Land-Unterschiede nicht zu       idealisieren, aber die Ansprache von links ist stärker als im
  vernachlässigen. Vor allem in Gegenden mit w  ­ eniger Migran-    Osten. Dort fühlt man sich als Arbeiter, Mann und „Ossi“
  ten reicht eine Messerstecherei oder ein Fall einer deutschen     mehrfach abgewertet. Die Gewerkschaftssekretäre sind zum
  Familie, die für ein Geflüchtetenquartier um­­ziehen muss, um     Teil ­Wessis und es prallen unterschiedliche Weltsichten auf-
  das Narrativ zu bedienen, das natürlich dann von der radi-        einander.
  kalen Rechten befeuert wird. Und je geringer die Zahl der
  Migranten, desto stärker die Hetze und die Ablehnung. Wenn
  aber direkte Kontakte im Betrieb und der Nachbarschaft da         Klaus Dörre

                                                                                                                                    Foto: © Pressestelle FSU
  sind, werden aus abgelehnten Fremden auf einmal Kollegen          ist seit 2005 Professor
  und Bekannte.                                                     für Arbeits- und Wirt-
                                                                    schaftssoziologie an
                                                                    der Friedrich-Schiller-­
                                                                    Uni­versität Jena.
   „Innerhalb der Arbeiterschaft gibt es
überdurchschnittlich starke Sympathien
                             für die AfD.“
                                                                    Unter    www.arbeitnehmerkammer.de/bam können Sie
                                                                    das Interview in voller Länge lesen.

  Sind rechte Tendenzen unter Betriebsräten und in Ge­­
  werkschaften Ihren Erkenntnissen nach mehr ver­treten
  als in der breiten Masse?
          Nein, die Mehrheit ist tatsächlich eher links im
  Vergleich mit der Gesamtgesellschaft. Aber gewisse Res-
  sentiments hat es trotzdem immer schon gegeben. Eine
  empfundene Schwächung der eigenen Position als Arbeit-
  nehmervertretung durch billigere ausländische Arbeitskräfte,
  zum Beispiel durch befristet Beschäftigte bei der Post, die
  sich nicht organisieren wollen, liefert den Problem­rohstoff.
  Während in der Automobilbranche eine multi­           nationale
  Arbeiterschaft schon lange Realität ist, ist sie in ehemaligen
  Staatsunternehmen wie der Post, der Telekom oder der Bahn
  relativ neu, da sind noch dicke Bretter zu bohren. Im Osten

                                                                                                                                          — 15
BAM — Januar / Februar 2022   Galerie der Arbeitswelt

       Die Arbeit auf dem Bau ist
       körperlich anstrengend –
        inzwischen gibt es aber
       viele Hilfsmittel wie etwa
               Seilzüge

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BAM — Januar / Februar 2022

                                              GALERIE DER ARBEITSWELT

                     Job mit Aussicht
        Als Gerüstbaumeister errichtet Dennis Samiec Arbeitsplattformen
       für Handwerker. Er schätzt die guten Perspektiven in seinem Gewerk
                       und setzt auf motivierte Mitarbeiter

                                         Text: Frauke Janßen – Foto: Kay Michalak

D
          ennis Samiec ist noch jung. Dennoch kann der          Planung, Baustellenabwicklung, Kalkulation und insbeson-
          27-Jährige bereits auf einen ansehnlichen Werde­      dere der Umgang mit Mitarbeitern gehören zur Meister­
          gang zurückblicken. Dabei begann seine Handwer-       ausbildung, die Dennis Samiec nun in diesem Jahr ab­­
          ker-Karriere eher zufällig. „Ich bin über ­meinen     geschlossen hat. Letztere sind das wohl wertvollste Gut im
älteren Bruder im Gerüstbau gelandet. In dem Betrieb, in        vom Fach­­kräfte­mangel gebeutelten Handwerk. „Ich behan-
dem er damals gearbeitet hat, habe ich ein Schülerpraktikum     dele die Leute so wie ich selbst behandelt werden möchte –
gemacht und weil es mir so gut gefiel, habe ich mir in den      das gilt auch für den kleinen Hilfsarbeiter“, sagt Samiec und
Ferien dort gleich etwas dazuverdient.“ Weiter die Schulbank    drückt damit auch aus, wie wichtig Wertschätzung in ­seinem
zu drücken, kam für den 17-Jährigen nicht infrage. Er wusste    Beruf ist.
bereits, was er werden will. So begann Dennis Samiec nach               Dabei braucht es keinen Meisterbrief, um sich als
dem Realschulabschluss seine Aus­bildung bei der ­Bremer        Gerüstbauer weiterzubilden. Man könne sich zum Beispiel
Firma ARA Gerüstbau, die er nach drei Jahren als bester Bre-    zum Kolonnenführer hocharbeiten, die Ausbildereignung
mer seines Jahrgangs abschloss. In seinem damaligen Ausbil-     erwerben, den Stapler- oder Radladerführerschein machen
dungsbetrieb arbeitet er weiter.                                oder Sicherheitsbeauftragter werden, zählt Samiec einige
                                                                der Möglichkeiten auf. „Das Tolle am Handwerk ist, dass
Als Gerüstbauer betrachtet Dennis Samiec seine Umgebung         weniger der Bildungsgrad, sondern vielmehr die Motivation
oft von oben, auch wenn er inzwischen die Bauleitung über-      zählt“, sagt er. Weiterbilden könne man sich den Interessen
nommen hat und überwiegend die Arbeiten seiner Mitar­           ent­sprechend. Auch für Dennis Samiec ist noch lange nicht
beiter koordinieren muss. „Ich bin trotzdem jeden Tag woan-     Schluss. Irgendwann möchte er sich vielleicht selbstständig
ders, lerne neue Leute kennen und gehe zum Beispiel bei         machen und einen Betrieb übernehmen.
komplizierten Baustellen auch immer noch mit aufs Gerüst.“
Samiec liebt die Abwechslung. Wind und Wetter stören ihn
nicht. Dennoch ist die Arbeit auf dem Bau körperlich anstren-
gend. „Damit die Leute nicht mit 50 in Rente gehen müssen,
gibt es inzwischen aber viele Hilfsmittel“, erzählt der Hand-
werker. Er meint damit zum Beispiel Seilzüge, die die Arbeit
erleichtern. Arbeitsschutz und Unterweisungen in rücken-        Der Gerüstbauer / die Gerüstbauerin
freundlichem Heben und Tragen von Bauteilen gehören be­­
reits zu den Ausbildungsinhalten. Zudem seien die Materia-      Die Gerüstbauausbildung dauert drei Jahre. Nähere Infos zu
lien leichter geworden, so Samiec: „Die meisten Teile sind      Ausbildung und Beruf gibt es bei der Bundesinnung Gerüst-
aus Alu und nicht wie früher aus Holz. Sie werden außerdem      bau unter www.geruestbauhandwerk.de
stetig weiterentwickelt.“

                                                                                                                                — 17
BAM — Januar / Februar 2022

                              Von der Lehre
                            an die Hochschule
                          Mehr Berufstätige für lebenslanges Lernen begeistern, so steht es
                 im Wissenschaftsplan 2025 des Landes Bremen. Doch wie durchlässig ist das
                    Bildungssystem? Welche Möglichkeiten gibt es für Arbeitnehmerinnen und
                       Arbeitnehmer mit einem Lehrabschluss an die Hochschule zu gehen?

                                                 Text: Insa Lohmann – Foto: Kay Michalak

       B
                 erufliche und hochschulische Bildung stehen sich     Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, der immer mehr wissen
                 in Deutschland traditionell getrennt gegenüber,      wollte.“ Und es gab noch einen w   ­ eiteren Aspekt: „Ich wollte
                 nur wenigen Menschen mit einer abgeschlosse-         einen Abschluss, der international anerkannt ist.“
                 nen Lehre gelingt der Übergang an die Hoch-                  Der Wunsch nach Neuorientierung und besseren Auf-
       schule – oder umgekehrt. Dabei verlangt die Arbeitswelt        stiegschancen seien häufige Gründe, warum Berufs­tätige
       nach höher (aus-)gebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-      ihre Weiterbildungsberatung aufsuchen, berichtet Hella
       nehmern. „Im Hinblick auf den Fachkräftemangel, aber auch      Grapenthin von der Arbeitnehmerkammer Bremen. „Ein
                                                                      ­
       auf Chancen­gleichheit wird das Thema Durchlässigkeit zwi-     ­Studium ist für viele ein Weg, sich besser aufzustellen.“ Auch
       schen beruf­licher und akademischer Bildung immer wich-         Pascal Krebs studiert nun seit vier Jahren in Bremer­haven in
       tiger“, sagt Franziska Raab, Referentin für Bildungs- und       Vollzeit Lebensmitteltechnologie, hat bereits ­seinen ­Bachelor
       Hochschul­  politik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen.          abgeschlossen und ist in den letzten Zügen seines Masters.
       Doch wie gelingt der Sprung vom Beruf an die Hochschule         Als Zugangsvoraussetzung konnte sich der Student die bishe-
       und w ­ elche Erfahrungen haben Menschen gemacht, die           rige Berufserfahrung anrechnen lassen, einen ­Meister hätte
       ­diesen Weg gegangen sind?                                                                   er dafür nicht benötigt. Und
                                                                                                    im Werde­gang des 31-­Jährigen
       „Irgendwann hatte ich den                                                                    ­findet sich eine weitere
       Wunsch nach mehr Verant-                                                                      Besonder­  heit: Krebs hat kein
       wortung“, erinnert sich Pascal           „Das Studieren ohne Abitur spielt                    Abitur. „Das S
                                                                                                     ­                ­tudieren ohne
       Krebs. Der 31-Jährige aus Bre-                                                                Abitur spielt bei der Durchläs-
                                                bei der Durchlässigkeit zwischen
       merhaven absolvierte nach der                                                                 sigkeit zwischen beruflicher
       Realschule eine Aus­     bildung     ­beruflicher und akademischer Bildung                    und akademischer Bildung eine
       zum Brauer und Mälzer, doch                                                                   große Rolle“, sagt Bildungs­
                                                          eine große Rolle.“
       nach seiner Lehre wollte er                                                                   referentin ­Franziska Raab. Der
       mehr. Es zog den gebürtigen                    Franziska Raab, Referentin für ­­              Hochschulzugang für beruflich
       Schwarzwälder nach Darmstadt                   Bildungs- und Hochschulpolitik                 Quali­fizierte ohne Abitur wurde
       zu einem internationalen Kon-                                                                 bereits 2009 durch die Kultus-
       zern, wo er Einblicke in die Her-                                                             ministerkonferenz erleichtert.
       stellung und Vermarktung von                                                                  Dennoch liegt der Anteil der
       Systemen für die Lebensmittelbranche bekam. Seine Leiden­ Studierenden ohne Hochschulzugangsberechtigung auch
       schaft war geweckt, gleichzeitig kam der Wunsch nach einer mehr als zehn Jahre danach noch immer im einstelligen
       höheren Qualifizierung auf. „Das bedeutet, auch bessere Jobs Bereich.
       zu bekommen“, ist Krebs überzeugt. Er suchte und wurde auf
       den Industriemeister Lebensmittel aufmerksam, der in der Im Wissenschaftsplan 2025 wurde für das Land Bremen
       Hansestadt vom Weiterbildungszentrum IQ Bremen ange- eine weitere Verbesserung der Durchlässigkeit angekün-
       boten wird. Ein Dozent aus der Qualifizierung zum Lebens- digt, die nun aufgrund von Finanzierungsproblemen infolge
       mittel-Meister berichtete ihm schließlich vom Studiengang der Corona-Krise auf der Kippe steht. Das ursprüngliche
       Lebensmitteltechnologie/Lebensmittel­wirtschaft an der Ziel: Die wissenschaftliche Bildung in den Hochschulall-
       Hochschule Bremerhaven. Der 31-Jährige war sofort Feuer tag zu etablieren und mehr Berufstätige für lebenslanges
       und Flamme: „Ich wusste gleich, dass ich das machen möchte. ­Lernen zu begeistern. Dafür sollten unter anderem bisherige

— 18
Arbeit und Bildung                                                           BAM — Januar / Februar 2022

                        „Das bedeutet, auch bessere Jobs zu bekommen.“ Pascal Krebs ist ausgebildeter
                             Brauer und Mälzer ohne Abitur und studiert Lebensmitteltechnologie

Anerkennungsverfahren geprüft und Unterstützungsange- Anders sieht es bei den kostenpflichtigen Masterstudien­
bote geschaffen werden. Die geplante Erhöhung der Grund- gängen aus: An der Universität Bremen haben Berufs­tätige
finanzierung von 350 auf 540 Millionen bis 2025 wird auf- an der Akademie für Weiterbildung die Wahl z­ wischen drei
grund der Pandemie nun nicht erfolgen. Ein Rückschlag berufsbegleitenden Weiterbildungsmastern. Auch die Hoch-
für viele, die sich neben ihrem Beruf für eine akademische schule Bremen bietet fünf berufsbegleitende ­       Master an.
Weiterbildung interessieren: Denn bislang ist vor allem das Zudem wurde dort die HSB Professional School ins Leben
berufsbegleitende Studium noch immer eine Randerschei- gerufen, die Seminare und Zertifikatsprogramme für Berufser-
nung an öffentlichen Hoch-                                                               fahrene anbietet, die sich in
schulen. „Um Chancengleich-                                                              einem speziellen Fachgebiet
heit zu gewährleisten, sollten                                                           weiter­bilden ­möchten, ohne ein
öffentliche Hochschulen ihren                                                            komplettes Studium zu absol-
                                                 „Die Finanzierung einer
Bildungs­auftrag des lebenslan-                                                          vieren. Doch es gibt eine große
gen ­ Lernens er­­
                 füllen und dies         ­berufsbegleitenden Maßnahme ist                Hürde: „Die Finanzierung einer
nicht den privaten Hochschu-                                                             berufs­begleitenden Maßnahme
                                               für viele nicht machbar.“
len überlassen“, sagt Kammer-­                                                           ist für viele nicht machbar“, be­­
Expertin ­Franziska Raab.                   Weiterbildungsberaterin Hella Grapenthin     richtet Weiter­bildungsberaterin
         Im Zuge des zwischen                                                            Hella ­  Grapenthin. Immerhin
2011 und 2020 durchgeführ-                                                               kostet ein berufsbegleitender
ten Bund-Länder-Wettbewerbs                                                              Master zwischen 10.000 und
„Aufstieg durch Bildung“ wurden zwar berufsbegleitende 20.000 Euro. Hochschulstudent Pascal Krebs bekommt als
­Bachelor- und Masterstudiengänge erprobt, die bis zum Aus- finanzielle Unterstützung elternunabhängiges BAföG, doch
 laufen der Förderung kostenlos angeboten wurden. Doch für Studierende, die nicht Vollzeit studieren, gibt es wenig
 weiter­bildende Bachelorangebote sind im Bremer Landes- staatliche Finanzierungsmöglichkeiten. Grapenthin rät Be­­
 hochschulgesetz nicht klar vorgesehen. Da in der Hanse- rufs­­tätigen, die sich für akademische Weiterbildung interes-
 stadt auf das Erststudium kein Entgelt erhoben werden darf, sieren daher, sich vorab zu den Möglichkeiten und Studien­
 entsteht eine Finanzierungslücke an den öffentlichen Hoch­ formen beraten zu lassen.
 schulen. Besonders im Bachelorbereich sind es in ­Bremen
 daher überwiegend private Hochschulen, die berufsbe­
 gleitende Studiengänge anbieten.

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