FAQ - Häufige Fragen zu Klimawandel und Klimaanpassung - Handlungsfeld: Stadtgrün, Naturschutz und Biodiversität
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Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg FAQ – Häufige Fragen zu Klimawandel und Klimaanpassung Handlungsfeld: Stadtgrün, Naturschutz und Biodiversität
IMPRESSUM HERAUSGEBER LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg Postfach 10 01 63, 76231 Karlsruhe, www.lubw.de BEARBEITUNG LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg Postfach 10 01 63, 76231 Karlsruhe, www.lubw.de Abteilung 2 – Nachhaltigkeit und Naturschutz Referat 23 – Medienübergreifende Umweltbeobachtung, Klimawandel Christian Kotremba BEZUG https://pd.lubw.de/10204 STAND Mai 2021 SATZ UND Satzweiss.com Print Web Software GmbH BARRIEREFREIHEIT Mainzer Straße 116 66121 Saarbrücken AUFLAGE 1. Auflage TITELBILD Begrünte Gebäudefassade; Foto: Jordi C/Shutterstock.com ZITIERVORSCHLAG LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (Hrsg., 2021): FAQ – Häufige Fragen zu Klimawandel und Anpassung – Handlungsfeld: Stadtgrün, Naturschutz und Biodiversität Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Zustimmung des Herausgebers unter Quellenangabe und Überlassung von Belegexemplaren gestattet. D-138-00063
FAQ – Häufige Fragen zu Klimawandel und Klimaanpassung Das Kompetenzzentrum Klimawandel und Anpassung der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg errei- chen immer wieder ähnliche Fragen zu grundsätzlichen Hintergründen des Klimawandels und der Klimaanpassung. Im Folgenden haben wir daher unsere Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ) für Sie in Themenblättern zusammen- gestellt. In diesem Themenblatt wird das Handlungsfeld Stadtgrün, Naturschutz und Biodiversität betrachtet. Die 10 wichtigsten FAQ in der Übersicht: Warum ist das Stadtgrün aus Sicht der Klimaanpassung 01 besonders wertvoll? Welche Ökosystemleistungen gehen von Stadtgrün aus 02 und wie hoch ist deren Wertigkeit? 03 Wie können Grünflächen klimagerecht angelegt werden? Sollen gebietsheimische oder nicht-heimische Arten auf 04 Grünflächen gepflanzt werden? 05 Welche Stadtbäume sind zukunftstauglich? Wie können Pflanzgruben für Straßenbäume 06 klimaangepasst gestaltet werden? Schotter ade – 07 Was sind ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternativen? Warum spielen Dach- und Fassadenbegrünungen bei der 08 Klimaanpassung eine so tragende Rolle und © salim138/stock.adobe.com wie können sie gezielt gefördert und ausgebaut werden? Wie können Hinterhöfe aus stadtplanerischer Sicht aufgewertet 09 werden? Welche planerischen Instrumente ermöglichen die Entwicklung 10 grüner Infrastruktur? © LUBW FAQ — Stadtgrün 3
Warum ist das Stadtgrün aus Sicht der Klimaanpassung 01 besonders wertvoll? Der Begriff „Stadtgrün“ bezeichnet die Gesamtheit aller aufgrund von Schattenwurf und Transpiration (vgl. Abbil- Flächen im urbanen Freiraum, die von Vegetation geprägt dung 3) kühlend auf das Stadtklima aus: Durch den städ- sind oder mindestens irgendeine Art von Vegetation ent- tischen Wärmeinseleffekt kann die Temperatur in Städten halten. Diese Flächen bilden so den Gegenpol zu allen ver- um bis zu 10 °C höher liegen als im Umland [DWD o. J.]. siegelten Flächen und der Bebauung einer Stadt [Steidle- Stadtgrün mäßigt diese Temperaturunterschiede, es wird Schwahn 2001]. Begrünte Städte erfüllen vielfältige daher als „natürliche Klimaanlage“ bezeichnet. Durch eine Funktionen für das Stadtklima, die Erholung und Freizeit. Erhöhung des Grünanteils und durch gezieltes Anpflanzen Sie dienen als Wasserspeicher, Kühloasen und Lebens- geeigneter Bäume kann die Lufttemperatur in hitzebelaste- raum. Das Stadtgrün steht vor großen Herausforderungen, ten Stadtbereichen um bis zu 10 °C abgesenkt werden [SSB wie dem Klimawandel mit höheren Temperaturen und 2011]. Allgemein gilt: Je höher der Grünanteil einer Stadt, zunehmender Trockenheit, dem Verlust der Artenvielfalt desto ausgeglichener sein Klima. oder anderen menschlichen Einflüssen (u. a. Platzmangel, Nutzungskonkurrenzen, unsachgemäße Pflege). Leistungen am Fließband: Pflanzen bieten neben der Kli- maleistung weitere zahlreiche urbane Ökosystemleistun- Stadtgrün als Klimaanlage: Stadtgrün wird in der Fach- gen an (u. a.): Produktion von Sauerstoff, Reduzierung der literatur synonym u. a. auch als urbanes Grün, Grünflä- Schadstoffbelastung, Kohlenstoffbindung, Förderung der chen oder Grünraum bezeichnet. Es ist vielfältig und um- Biodiversität bei Ausbringung diverser Arten, Lärmminde- fasst laut [BMUB 2015] und [FLL 2000] u. a. Straßenbäume, rung, Wasserrückhalt oder Verschönerung des Stadtbildes öffentliche Grünflächen (vgl. Abbildung 1), private Gärten, [Mohaupt et al. 2018]. All diese Funktionen kann Stadtgrün Parks, Friedhöfe, Gewerbegrün, Biotopflächen, stadtna- nur bei entsprechender Vitalität (Pflanzengesundheit) bieten. he Wälder, Straßenverkehrsgrün oder Gebäudebegrü- nungen (vgl. Abbildung 2). Städtische Leitbilder, wie die Integrative Lösungsansätze: Das Stadtgrün hat unter grün-blaue Stadtentwicklung beinhalten das Stadtgrün als den Witterungsbedingungen der letzten Sommer jedoch wesentliches Element. Hinsichtlich der Klimaanpassung stark gelitten. Es kämpft mit Trockenstress, Hitze und unserer Städte ist Stadtgrün von essentieller Wichtigkeit, denn alle Grünelemente erfüllen vielfältige Klimafunktio- nen. Stadtgrün und Begrünungsmaßnahmen wirken sich Abbildung 1: kommunale Grünfläche mit gestaffelter Mahd (Foto: Abbildung 2: Fassadenbegrünung eines Parkhauses (Foto: Christian Klaus Ullrich, RLP AgroScience GmbH) Kotremba, LUBW) 4 FAQ — Stadtgrün © LUBW
Schädlingen. Eine nachhaltige, klimagerechte Entwick- Wasserrückhalt und somit Kühlung in der Fläche, wirken lung von Stadtgrün kann daher nur unter Berücksichti- sich fördernd auf den Grundwasserhaushalt und die Bio- gung klimatoleranter, standortgerechter Arten erfolgreich diversität aus. sein. Zur Erfüllung der Klimafunktionen sollten Begrü- nungsmaßnahmen unter Berücksichtigung naturschutz- fachlicher Aspekte und der Biodiversität stets so geplant sein, dass sie optimale stadtklimatische Effekte bewir- ken. Eine ausreichende Wasserverfügbarkeit sollte auch in Hitzesommern stets gewährleistet sein. Integrative Ansätze zur Förderung des Stadtgrüns werden daher in kommunalen Planungen immer wichtiger. Stadtgrün und Stadtblau (Wasser) müssen in Planungen stets zusammen gedacht werden. Denn Instrumente des dezentralen Re- genwasserrückhalts, wie Versickerungsmulden, Tiefbeete oder Regengärten bieten neben dem eigentlichen Regen- wasserrückhalt, zahlreiche weitere positive Leistungen. Abbildung 3: Thermalaufnahme einer straßenbegleitenden Grünfläche (Foto: Christian Kotremba, LUBW) Sie stellen u. a. wichtige Wasserreservoire (zur Bewässe- rung) in Trockenzeiten dar, ermöglichen einen breiten Quellen: BMUB (2015): BMUB Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Grün in der Stadt – für eine lebenswerte Zu- kunft. Grünbuch Stadtgrün, https://bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bauen/wohnen/gruenbuch-stadtgruen. pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Zugriff: 15.04.2021) DWD (o.J.): DWD Deutscher Wetterdienst (Hrsg.): Stadtklima – die städtische Wärmeinsel, www.dwd.de/DE/klimaumwelt/klimaforschung/ klimawirk/stadtpl/projekt_waermeinseln/projekt_waermeinseln_node.html (Stand: 24.02.2021) FLL (2000): FLL Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsb au e. V. (Hrsg.): Die wertsteigernde Bedeutung von Grün auf Im- mobilien. Bonn. Mohaupt et al. (2018): Mohaupt, F.; Müller, R.; Riouss et, P.; Hitschfeld, J.; Welling, M.; Witzel, M.; Spreter, R.; Wiss el, S.; Biercamp, N.: Grünflä- chenmanagement im Kontext von Klimawandel und Biodiversität. Synthesebericht zum Modul 1 des Projekts STADTGRÜN. Berlin SSB (2011): SSB Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (Hrsg.): Stadtentwicklungsplan Berlin. Berlin, 84 S. Steidle-Schwahn, A. (2001): Management von Stadtgrün. In W. Rothenburger (Hrsg.), Betriebswirtschafts- und Organisationslehre – für Land- schaftsarchitektur, Landschftsbau, Landschaftspflege und Naturschutz (2. Ausg., S. 169 – 191). Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer. © LUBW FAQ — Stadtgrün 5
Welche Ökosystemleistungen gehen von Stadtgrün aus 02 und wie hoch ist deren Wertigkeit? Wertigkeit des Stadtgrüns: Von Stadtgrün werden zahl- reiche positive Ökosystemleistungen erbracht. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) hat durch das Projekt „Stadtgrün wertschätzen“ (vgl. www.ioew.de/pro- jekt/stadtgruen_wertschaetzen) die Wertigkeit von Stadt- grün mittels eines Stadtgrün-Bewertungs-Tools ermittelt. Für die Stadt Leipzig würde sich durch eine durchweg re alistische Einbringung von 15.000 neuen Straßenbäumen, 4 % neuer begrünter Rad- und Fußwege (vgl. Abbildung 4), 10 % mehr Dachbegrünung und ein Plus von 5 % natur naher Pflege ein zusätzlicher jährlicher Nutzen durch urbane Ökosystemleistungen, wie u. a. Luftreinhaltung, Abbildung 5: Kühlende, schattenspendende Baumgruppe (Foto: Christian Kotremba, LUBW) Kohlenstoffspeicherung, Wasserrückhalt und Kühlung von 13 Millionen €/Jahr ergeben. Bei weiterem Ausbau grüner Beachtliche Kühlleistung: Die aus Sicht der Klimaanpas- Infrastruktur könnte ein theoretischer Zusatznutzen von sung zentrale Dienstleistung ist die Kühlwirkung. Diese 65 Millionen €/Jahr durch Ökosystemleistungen generiert ist durch den Klimawandel mit einer Zunahme von Hit- werden [Hirschfeld et al. 2019]. Der ökologische und öko- zetagen und Tropennächten noch bedeutsamer geworden. nomische Stellenwert von Stadtgrün wird in Kommunen In Studien der TU München wurde die Kühlleistung von oft unterschätzt, andere Faktoren (u. a. Unterhaltungskos- Winterlinden mit 2,3 KW beziffert, dies entspricht der ten, Flächenknappheit, Konkurrenzen) höher gewichtet. Leistung einer handelsüblichen Klimaanlage. Stadtbäu- Für Stadtplanungen sollte es unter Berücksichtigung der me können Asphalttemperaturen um bis zu 20 °C (vgl. derzeitigen und zukünftigen Klimaentwicklungen (u. a. Abbildung 5) und die Lufttemperatur um bis zu 2 °C ab- Zunahme der Hitzetage) und des Artenschwunds das vor- kühlen [Rahman 2016]. Ähnlich positive Kühlleistungen dringliche Ziel sein, Stadtgrün entsprechend seiner viel- gehen von weiteren Grünelementen einer Stadt aus. Sie fältigen Leistungen zu erhalten und neu zu entwickeln. schaffen kleine kühlende Wohlfühloasen in versiegelter Hierzu zählt es auch über entsprechende Baumschutzsat- und somit erwärmter Umgebung. zungen das Stadtbauminventar zu erhalten. Vielfältige Ökosystemleistungen: Neben der Kühlwir- kung weist das Stadtgrün bei entsprechender Vitalität zahl- reiche weitere positive Ökosystemleistungen auf (u. a.): ◼ Milderung von Überflutungen durch Regenwasserrückhalt ◼ Verbesserung der Grundwasserneubildung ◼ Reduzierung der Schadstoffbelastung durch Luftrein- haltung ◼ Kohlenstoffspeicherung ◼ Förderung der Biodiversität bei Ausbringung diverser Pflanzen ◼ Biotopvernetzung bei geeigneter Anzahl kleiner und großer über das gesamte Stadtgebiet verteilter Grünflä- Abbildung 4: radwegbegleitende, klimatolerante und schattenspen- dende Amberbäume (Foto: Susanne Böll, LWG) chen (Funktion als Trittsteinbiotope) 6 FAQ — Stadtgrün © LUBW
◼ Verschönerung des Stadtbildes & Verbesserung des ◼ Lärmminderung Stadtimages ◼ positive Effekte auf Unternehmensansiedlung und Tou- ◼ positive Effekte auf den physischen und psychischen rismusförderung [Mohaupt et al. 2018] Gesundheitszustand ◼ Senkung hitzebezogener Erkrankungs- und Sterberaten ◼ Reduktion von durch UV-Strahlung ausgelösten Ge- im Sommer (insbes. Herz-Kreislauf- und Atmungssystem- sundheitsrisiken (Kronenüberschirmung) Erkrankungen) [TEEB 2016] Quellen: Mohaupt et al. (2018): Mohaupt, F.; Müller, R.; Riouss et, P.; Hitschfeld, J.; Welling, M.; Witzel, M.; Spreter, R.; Wiss el, S.; Biercamp, N.: Grünflä- chenmanagement im Kontext von Klimawandel und Biodiversität. Synthesebericht zum Modul 1 des Projekts STADTGRÜN. Berlin TEEB (2016): Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Ökosystemleistungen in der Stadt – Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Hrsg. von Ingo Kowarik, Robert Bartz und Miriam Brenck. Technische Universität Berlin, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ. Berlin, Leipzig. Hirschfeld et al. (2018): Hirschfeld, J.; Mohaupt, F.; Müller, R.; Klein, M.; Riouss et, P.; Welling, M.: Stadtgrün wertschätzen! Städte können vom Ausbau der Grünflächen ökologisch, ökonomisch und sozial profitieren. In: GAIA 28/4(2019): 392 – 393. Rahman M. (2016): Comparing the cooling benefits of different urban tree species at contrasting growth conditions. In: Gesellschaft für Ökologie e. V. (Hrsg.): Verhandlungen der Gesellschaft für Ökologie, Band 46. Jahrestagung der Gesellschaft für Ökologie, 5.-9. Sep. 2016 in Marburg. Görich & Weiershäuser, Marburg, S. 367 – 368. © LUBW FAQ — Stadtgrün 7
03 Wie können Grünflächen klimagerecht angelegt werden? Der Klimawandel macht ein Umdenken im kommunalen Grünflächen sollten nicht zu stark abgesenkt werden, denn Grünflächenmanagement dringend erforderlich. In erster Kaltluft sammelt sich in Senken und Mulden und kann bei Linie sollte es Ziel einer jeden Kommune sein, Grünflä- zu starker Absenkung weniger intensiv in die bebauten chen unabhängig ihrer Größe zu sichern und auszubauen. Siedlungsgebiete hineinfließen. Solange Parks und Grün- Städte verfügen häufig über ungenutzte, größere Frei- flächen der Stadt genug Wasser haben, kühlen sie nachts flächenpotentiale, welche entsprechend in einem ersten kräftig aus. Von dieser Kühle können Anwohnerinnen und Schritt für Begrünungsmaßnahmen genutzt werden sollten. Anwohner in bis zu dreihundert Metern Entfernung profi- Das städtische Grün leidet insbesondere seit den letzten tieren, im Normalfall aber geht der Kühleffekt nicht über Sommern zunehmend unter großer Trockenheit und Hit- hundert Meter hinaus. Von wenigen großen Parks können ze. Stadtbäume sterben ab, Grünflächen vertrocknen. Um in überwärmten Nächten und am frühen Morgen daher Grünflächen zukunftsfähig zu machen bedarf es Verände- nur die unmittelbaren Anwohnerinnen und Anwohner rungen in Gestaltung, Bewässerung, Pflege und Pflanzen- profitieren. Verteilen sich hingegen viele kleinere Grün- auswahl. flächen mit mindestens 1 Hektar Größe (Fußballplatz – Ausmaß, vgl. Abbildung 6) über das Häusermeer, so kön- Verbesserung der Kühlleistung: Die Gestaltung von nen viele Anwohner vom nächsten Minipark profitieren Grünflächen ist insbesondere hinsichtlich ihrer Klima- [Scherer 2007]. Aber auch kleinere nur mehrere Quadrat- wirkung wichtig. Generell sind naturnah gestaltete Grün- meter große Grüninseln wirken sich positiv auf das Stadt- flächen robuster gegen Trockenheit und Hitze [Kompass klima aus, wenn auch lokal begrenzt. Es gilt: Jede noch so Nachhaltigkeit 2019]. Um für ausreichende Kühlung am kleine Grüninsel trägt einen Teil zur urbanen Kühlung bei. Tage und in der Nacht zu sorgen ist nach einschlägiger Li- teratur eine Mischung aus Großgehölzen, Sträuchern, Stau- klimatolerante Pflanzenauswahl: Das Pflanzensortiment den, Wiesenflächen und frei wachsendem Baumbestand sollte divers sein, sprich keine monotonen, pflegeinten- am besten geeignet (vgl. Abbildung 6). Auf eine durch- siven und zu Vertrocknung tendierenden Rasenflächen, gängige Rahmenbegrünung mit bspw. Hecken oder Sträu- stattdessen Wildblumenwiesen, Kräuter- und Blumen- chern sollte verzichtet werden, um Kaltluftbarrieren zu rasen oder (begehbare) Bodendecker. Zum Schutz vor minimieren, welche den Transport kühler Luft in die Um- Austrocknung und zur Förderung der Biodiversität emp- gebung unterbinden [Mathey et al. 2011]. Klimaangepasste fiehlt es sich die Mäheinsätze zu reduzieren und gezielt Bereiche von der Mahd auszusparen (Staffelmahd, siehe Abbildung 1 & 6). Heimischen Arten ist der Vorzug zu geben. Wechselbeete mit einjährigen Pflanzen sind kos- ten- und pflegeintensiv, sie sollten durch vielfältige, eng bepflanzte Staudenbeete ersetzt werden. Stauden eignen sich aufgrund ihres breiten Sortiments optimal für heutige Klimaanforderungen. Auch unter den heimischen Stauden sind zahlreiche trockenheits- und hitzetolerante Arten zu finden. Dicht gesetzte Staudenbeete verringern zudem den Pflege- und Bewässerungsaufwand. Viele von Ihnen sind zudem wahre Insektenmagneten (vgl. Abbildung 7). Abbildung 6: Vitale Parkfläche mit Staffelmahd und frei wachsendem Rückbau versiegelter Flächen: Versiegelte Flächen in Baum- und Strauchbestand (Foto: Klaus Ullrich, RLP AgroScience GmbH) Grünanlagen sollten möglichst geringgehalten werden, da 8 FAQ — Stadtgrün © LUBW
sie viel Wärme speichern und so der gewünschten Kühl- Ressourcenschonende Bewässerung: Die Bewässerung wirkung entgegenwirken. Versiegelte Flächen sollten auf- sollte ressourcenschonend sein, sprich Tropfbewässerung gebrochen und naturnah gestaltet werden. Wege und Plät- statt großflächiger Wasserregner. Am besten sollte gesam- ze sollten mit wasserdurchlässigen Oberflächenbelägen meltes Regenwasser zur Bewässerung eingesetzt werden. gestaltet werden (z. B. Rasengittersteine, Rasenwaben). Es Eine standortgerechte Pflanzenwahl benötigt außer bei sollten helle Eindeckungen verwendet werden um die Auf- extremer Trockenheit keine Bewässerung [Kompass Nach- heizung zu minimieren [Kompass Nachhaltigkeit 2019]. haltigkeit 2019]. Abbildung 7: dicht bepflanztes, farbenprächtiges Staudenbeet (Foto: Kai Thomas, RLP AgroScience GmbH) Quellen: Kompass Nachhaltigkeit (2019): Naturnahe Grünflächen. Merkblatt Nachhaltige Beschaffung. Kotremba, C. (2021): Grün, Blau, Beige: Klimaangepasste Kommunen zeigen wie’s geht. Abschlussdokumentation des Projektes KlimawandelAn- passungsCOACH RLP. Mathey et al. (2011): Mathey, J.; Rössler, S.; Lehmann, I.; Bräuer, A.; Goldberg, V; Kurbju hn, C.; Westbeld, A.: Noch wärmer, noch trockener? Stadtnatur und Freiraumstrukturen im Klimawandel. - Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 111. Scherer, D. (2007): Besseres Stadtklima durch viele Parks. www.pressestelle.tu-berlin.de/newsportal/forschungsberichte_aus_der_universitaet/2007/ besseres_stadtklima_durch_viele_parks (Stand 24.02.2021) © LUBW FAQ — Stadtgrün 9
Sollen gebietsheimische oder nicht-heimische Arten 04 auf Grünflächen gepflanzt werden? An dieser Stelle muss die freie Natur, also die „Landschaft Verwendung finden. Die jeweiligen zertifizierten Saatgut außerhalb der besiedelten Bereiche“ und der städtische anbieter haben hierfür je nach Grünlandtypus (u. a. Ma- Raum unterschieden werden. Für die freie Natur gelten gerrasen, Feuchtwiese, Böschung, Feldrain und Säume) anderweitige Regelungen und Rahmenbedingungen. Laut unterschiedliche standortspezifische Mischungen zusam- § 40 (4) BNatSchG wird die Ausbringung gebietsfremden mengestellt. Auch für den städtischen Bereich werden Saatguts (Arten, die in einem betreffenden Gebiet in der ästhetische und hochwertige Mischungen für bspw. Park- freien Natur nicht oder seit mehr als 100 Jahren nicht mehr anlagen, Verkehrsinseln, Säume (vgl. Abbildung 8) oder vorkommen, siehe § 7 Abs. 2 Ziff. 8 BNatSchG) hier unter- zur Dachbegrünung angeboten. Sie stellen eine preiswerte sagt, da diese die Florenverfälschung sowie die Ausbrei- Alternative zu Wechselbepflanzungen dar. Hierdurch kann tung invasiver Arten fördern und zu einem Rückgang der den heimischen Tier- und Pflanzenarten wieder mehr Le- biologischen Vielfalt führen. Dementsprechend ist in der bensraum geboten werden, die natürliche regiotypische freien Natur gebietseigenes Saatgut zu verwenden, dieses Diversität wird gefördert. stammt aus dem Ursprungsgebiet, in dem es ausgebracht werden soll. Die Verwendung von gebietseigenem Saatgut Ausbringung Mahd- und Druschgut: Eine weitere Mög- ist für die freie Natur ab dem 1. März 2020 gesetzlich vorge- lichkeit zur Entwicklung artenreicher, naturnaher Grün- schrieben. Diese gesetzliche Vorgabe trifft für die Verwen- flächen ist die Übertragung von naturraumtreuem Mahd- dung im Siedlungsbereich nicht zu, aber auch hier wäre es oder Druschgut auf Rohböden und bestehende, artenarme aus naturschutzfachlicher Sicht wünschenswert, wenn das Grünflächen. Bei der Mahdgutübertragung wird frisches Saatgut aus demselben Ursprungsgebiet stammt. Regio-Saatgut einsetzen: Es sollte daher stets gebiets eigenes Saatgut (Gewinnung innerhalb festgelegter Ur sprungsgebiete, siehe: udo.lubw.baden-wuerttemberg.de/ public/pages/map/default/index.xhtml?mapId=4df6591d-811a- 4ac0-876e-de6ef4dd9855&mapSrs=EPSG%3A25832&mapExte nt=225148.92000000004%2C5253079.409473685%2C773257.0800 000001%2C5535697.679473684&overviewMapCollapsed=false) Abbildung 8: verkehrsbegleitender Blühsaatstreifen (Foto: Klaus Abbildung 9: Straßenbäume in durchgängigem Pflanzstreifen (Foto: Ullrich, RLP AgroScience GmbH) Christian Kotremba, LUBW) 10 FAQ — Stadtgrün © LUBW
Schnittgut einer artenreichen Wiese (sog. Spenderfläche) Sonderstellung Straßenbäume: Den Straßenbäumen auf eine aufzuwertende Fläche (sog. Empfängerfläche) kommt in diesem Kontext eine Sonderstellung zu. Aus Sicht übertragen. Die Mahdgutspenderfläche muss in einem des Naturschutzes sind generell heimische Arten zu bevor- nahen räumlichen Zusammenhang zur Mahdgutempfän- zugen. Aufgrund der spezifischen Standortbe dingungen gerfläche stehen, sodass es u. a. keine Qualitätsverluste des und der klimatischen Veränderungen hin zu mehr Trocken- Mahdguts gibt (weniger als eine Stunde Fahrzeit), auch heit und Hitze wird es zukünftig notwendig sein, das Pflan- aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu § 40 (4) zensortiment auf ausgewählte, nicht-heim ische Straßen- BNatSchG. Beerntet wird, wenn möglichst viele Kräuter bäume auszuweiten. Häufig wird ein möglicher Rückgang und Gräser der Spenderfläche samenreif sind, sodass die der Artenvielfalt bei nicht-einheimischen Stadtbäumen als gesamte wertgebende Biomasse auf die Empfängerfläche Argument für heimische Arten aufgeführt. Untersucht und übertragen werden kann. belegt wurden diese Aussagen bisher nur sehr wenig. Bei der Druschgutübertragung wird auch eine Spender- Die LWG Veitshöchheim hat diese Fragestellung daher im fläche beerntet, allerdings werden die reifen Samen im Projekt „Stadtgrün 2021 – Neue Bäume braucht das Land“ Dreschverfahren (Mähdrescher mit diversen Sieben) ge- näher untersucht und festgestellt, dass sich die Biodiversi- erntet und unter Umständen getrocknet und als ungerei- tät heimischer und nicht-heimischer Baumarten in Baum- nigtes Druschgut gelagert. Dieser Umstand ermöglicht den kronen nicht wesentlich unterscheidet. Über 40 % von 200 Transport über weitere Strecken und minimiert den Zeit- bis zur Art bestimmter Insekten kamen demnach sowohl druck bei der Ausbringung. Bei der Ernte wird nur reife auf heimischen, als auch nicht-heimischen Baumarten vor, Saat gewonnen, sodass die Wahl des Erntezeitpunkts bei ein Drittel nur auf heimischen, ein Viertel nur auf südost- der Gewinnung von Arten maßgeblich ist [Stiftung Na- europäischen Baumarten. turschutz Schleswig-Holstein 2020]. Von größerer Bedeutung für die Artenvielfalt ist die Pflanz- Eignung berücksichtigen: Zu den geeigneten Flächen umgebung. Diese sollte als durchgängiger Pflanzstreifen zählen: Parkflächen, Friedhöfe, Grünflächen in Wohn- und zwischen den Bäumen angelegt werden (vgl. Abbildung 9). Gewerbegebieten, Straßenextensivbereiche, Ausgleichsflä- Pflanzstreifen dienen Wildbienen, Zikaden und anderen chen, Abstandsgrün und Grünflächen mit Leitfunktionen Insekten als Lebensraum. Die Förderung der Artenvielfalt (bedingt) und Straßenbankette (bedingt) [MELUND SH kann durch Mischalleen in Pflanzstreifen am besten geför- 2020]. Nicht geeignete Flächen sind z. B. Sport- und Spiel- dert werden [Böll et al. 2019]. flächen. Quellen: MELUND SH (2020): MELUND SH Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig- Holstein (Hrsg.): Artenreiche Grünflächen. Handreichung zur Anlage und Pflege artenreicher Grünflächen an Straßen, Wegen und Plätzen Böll et al. (2019): Böll, S.; Albrecht, R.; Mahsberg, D.: Stadtklimabäume – geeignete Habitate für die urbane Insektenvielfalt? Veitshöchheim. Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein (2020): Praxisleitfaden BlütenMeer 2020. © LUBW FAQ — Stadtgrün 11
05 Welche Stadtbäume sind zukunftstauglich? Der Klimawandel führt bei Stadtbäumen immer häufiger Tabelle 1: Kriterien zur Auswahl zukunftsträchtiger Stadtbaumarten zu Trockenstress (vgl. Abbildung 10) und dadurch zu einer Trockenstresstoleranz Hitzetoleranz Zunahme von Krankheiten und Schädlingen. Straßen Frosthärte Spätfrosthärte bäume unterliegen zudem häufig weiteren Stressoren, wel- natürlicher Lebensbereich Standortansprüche (z. B. pH-Toleranz) (Kiermeier) che direkt durch den Menschen verursacht werden: u. a. Krankheitsanfälligkeit Schädlingsanfälligkeit (EPPO-Liste) Urin- und Salzeintrag, Schadstoffemissionen, Bodenver- Wuchsform Bewertung aus der Praxis dichtung und Platzmangel. Baumarten am Limit? Die LWG Veitshöchheim unter- sucht in einem aktuellen Projekt „Stadtgrün 2021: Neue Bäume braucht das Land!“ die Klimaeignung etablierter und neu eingeführter Baumarten an 3 Extremstandorten in Bayern (Würzburg, Hof und Kempten) (vgl. www.lwg. bayern.de/landespflege/urbanes_gruen/085113/index.php). Die Ergebnisse sind auf Baden-Württemberg übertragbar und zeigen, dass die üblichen Straßenbaumarten, wie bspw. die Sommer- und Winterlinde (Trockenstress, Zweigster- ben), Spitzahorn (Trockenstress, Vertillicum), Bergahorn (Trockenstress, Rußrindenkrankheit), Platane (Massaria), Esche (Eschentriebsterben) und Rosskastanie (Kastanien- miniermotte) immer häufiger aufgrund von Trockenstress, Krankheiten und Schädlingsbefall ihre Toleranzgrenzen erreichen. Heimische Bäume, welche gut mit Trockenheit und Winterhärte auskommen sind bspw. der Feldahorn (Acer campestre) oder die Traubeneiche (Quercus petraea) [mündliche Auskunft K. Ullrich, RLP AgroScience]. Einen guten Überblick über heimische und nicht-heimische Zu- kunftsbäume bietet die Klima-Arten-Matrix (KLAM) [nach Abbildung 10: vertrocknete Stadtbäume (Foto: Christian Kotremba, LUBW) Roloff 2013] Erweiterung des Stadtbaumsortiments: Das Ziel nach- Nicht heimische Bäume: Nicht-heimische Baumarten aus haltiger und zukunftsfähiger Pflanzungen von Straßen- und wärmeren und trockeneren Regionen vermögen mit den Parkbäumen muss in einer Erhöhung der Baumartenviel- heutigen und zukünftigen Klimaextremen möglicherweise falt liegen. Das Stadtbaumsortiment sollte in jeder Kom- besser klar zu kommen. Hierbei haben sich aus dem eura- mune um klimaadaptive Arten und Sorten erweitert wer- sischen Raum folgende Stadtbäume bewährt (u. a.): Unga- den [Roloff 2013]. Im übertragenen Sinne brauchen wir rische Silberlinde (Tilia tomentosa), Ölweiden ( Eleagnus die Idee eines gesunden Mischwaldes auch bei der Pflan- angustifolia), Europäischer Zürgelbaum (Celtis australis), zenauswahl im kommunalen Raum, denn der für Stadtbäu- Ungarische Eiche (Quercus frainetto), Europäische Hopfen- me „Extremstandort Siedlungsraum“ wird in Zukunft noch buche (Ostrya carpinifolia), Blumenesche (Fraxinus ornus, in extremer werden. Die Kriterien besonders stressresistenter Pflanzstreifen pflanzen) oder die Zerreiche (Quercus zerris). Baumarten sind laut der LWG Veitshöchheim: Die Ungarische Silberlinde bspw. dreht ihre auf der Blatt- 12 FAQ — Stadtgrün © LUBW
unterseite silbrig glänzende Oberfläche bei zu intensiver senbaum (Gleditsia triacanthos) oder der Pflaumenblättrige Sonneneinstrahlung in den oberen Kronenbereichen nach Weißdorn (Crataegus prunifolia) bewährt. Nähere Hinter- oben und kann so mehr Sonneneinstrahlung reflektie- gründe zur Klimaeignung nicht-einheimischer Baumarten, ren, die Überhitzung bleibt aus (vgl. Abbildung 11). Aus siehe aufgelistet: www.lwg.bayern.de/mam/cms06/landes- dem asiatischen Raum sind der Japanische Schnurbaum pflege/dateien/stadtgruen_falzflyer_in.pdf (Sophora japonica) (vgl. Abbildung 12), Persischer Eisen- holzbaum (Parrotia persica) oder die Kobushi-Magnolie Weiterführende Informationen: (Magnolia kobus) zu nennen. Aus dem nordamerikanischen ◼ GALK-Straßenbaumliste (www.galk.de) Raum haben sich in den letzten trocken-heißen Sommern ◼ citree – Gehölzdatenbank urbane Räume (www.citree.de) der Amberbaum (Liquidambar styraciflua), der Lederhül- Abbildung 11: Ungarische Silberlinde – perfekte Klimaanpassung Abbildung 12: Japanischer Schnurbaum (Foto: Susanne Böll, LWG) (Foto: Susanne Böll, LWG) Quelle: Roloff, A. (2013): Stadt- und Straßenbäume der Zukunft: Welche Arten sind geeignet? In: ProBaum 3/2013, S. 6 – 11. © LUBW FAQ — Stadtgrün 13
Wie können Pflanzgruben für Straßenbäume 06 klimaangepasst gestaltet werden? In unseren Siedlungsräumen steht aufgrund von Nut- verbessern, nur in geringem Maße erfüllen. Ziel von Kom- zungskonkurrenzen (u. a. Leitungsträger, Verkehrssicher- munen sollte es daher sein, bestmögliche Voraussetzungen heit, Wasserwirtschaft) häufig kein ausreichender Platz für für Straßenbäume zu schaffen. Wie kann dies erfolgreich angemessen dimensionierte Baumscheiben zur Verfügung. umgesetzt werden? Der Wurzelraum ist daher oft auf ein Minimum bemessen [BBSR 2015]. Dies führt häufig zu einem Vitalitätsverlust Berücksichtigung von Mindeststandards: Mindeststan- der Straßenbäume. Hinzu kommen weitere Faktoren, wie dards für Baumscheiben und Pflanzgruben existieren be- die Verdichtung der Böden und der hohe Versiegelungs- reits, werden aber allzu oft nicht umgesetzt. Vorgaben für grad. Diese führen ebenfalls zu einem gestörten Wasser- die Gestaltung der Pflanzgruben von Straßenbäumen sind haushalt des Bodens [Fellmer et al. 2016]. Zusammen mit durch die DIN-Norm „DIN 18916 - Vegetationstechnik im der klimawandelbedingten Zunahme von Sommertrocken- Landschaftsbau; Pflanzen und Pflanzarbeiten“ sowie die heit führt dies immer häufiger zu Trockenstress bin hin Empfehlungen der Forschungsgesellschaft Landschaftsent- zum Absterben der Stadtbäume. Untersuchungen der TU wicklung Landschaftsbau (FLL) definiert [FLL 2010, 2015]. Dresden zeigen, dass Straßenbäume aufgrund der beson- Als Mindeststandard gelten für Pflanzgruben Mindesttiefen deren Belastungssituation im direkten Straßenraum nur von 1,5 m und 12 m³ Fläche. Es gilt die Faustregel, dass etwa 25 % ihres möglichen Lebensalters erreichen [Roloff der zur Verfügung stehende Wurzelraum etwa so groß sein 2013]. Unter diesen Bedingungen können sie ihr Potential, sollte wie die Krone des ausgewachsenen Baumes. Dazu das Klima durch Beschattung und Verdunstung lokal zu gehört eine mindestens 6 m² große Baumscheibe (vgl. Ab- bildung 13). Genauso wichtig sind entsprechende Pflanz- substrate, die eine gute Luft-, Nährstoff- und Wasserver- sorgung gewährleisten [FLL 2015]. Selbst bei Einhaltung dieser Empfehlungen können entsprechende Baumgruben wüchsigen Bäumen nur in den ersten Jahren ausreichend pflanzenverfügbares Wasser zur Verfügung stellen [Fellmer et al. 2016]. Gezielte Niederschlagszuführung: Die Situation vor Ort kann durch die gezielte Zuführung von Niederschlagswas- ser verbessert werden. Daher ist es sinnvoll Baumscheiben mit Maßnahmen der dezentralen Regenwasserrückhaltung zu kombinieren [Fellmer et al. 2016]. Für die technische Umsetzung gibt es drei Möglichkeiten: ◼ Große Pflanzgruben, die mehr Wurzelraum bieten und dadurch eine verbesserte Versickerung sowie ein größe- res Wasserspeichervolumen ermöglichen ◼ wasserdurchlässige Baumscheiben und Beläge oder eine gezielte Einleitung von Niederschlagswasser in die Pflanzgrube, um die Versickerung von Niederschlags- Abbildung 13: ausreichend dimensionierte Pflanzgrube (Foto: wasser in den Wurzelraum zu fördern Christian Kotremba, LUBW) 14 FAQ — Stadtgrün © LUBW
◼ eine Substratzusammensetzung, die eine gute Wasserspei- sein, so dass auch verunreinigtes Wasser von Straßen cherung in der Pflanzgrube unterstützt [Dickhaut et al. 2018] in die Pflanzgrube eingeleitet werden kann. Die Baum- scheibe kann in diesem Fall nahezu komplett versie- Pflanzgrubentypen: Es können drei Pflanzgrubentypen gelt sein. Durch diesen Typ kann auch Dachflächen- unterschieden werden, die gute Voraussetzungen zur wasser, bspw. über offene Rinnen auf dem Gehweg in Pflanzengesundheit bieten. Sie unterscheiden sich darin, die Pflanzgrube geleitet werden (Vorbild Stockholm) wie Niederschlagswasser in die Pflanzgruben zugeleitet [Embrem et al. 2009]. Als Best-Practice Beispiel können wird: Baumrigole in Hamburg-Harburg (Hölertwiete) ge- nannt werden. Bei diesen wird den Baumgruben von (1) Pflanzgrube mit oberirdischem Wasserzufluss – benachbarten Dächern Regenwasser über einen Be- Hierbei wird Wasser über die Oberfläche (Straße, Geh- wässerungsschacht zugeführt. In die Baumgrubensohle weg, Parkplatz) in eine offene oder wasserdurchlässige wurde eine dichtende Schicht eingebracht, wodurch (z. B. Baumroste) Baumscheibe eingeleitet (vgl. Abbil- etwa 1.000 L Wasser für Trockenzeiten gespeichert wer- dung 14 : Baumrigole mit Straßenzufluss). Überflüssiges den [BlueGreenStreets 2020]. Wasser wird über Drainagerohre abgeführt (Gutes- (3) Pflanzgruben mit oberirdischem Wasserzufluss und Praxis-Beispiel „Große Domsfreiheit“ in der Innenstadt Einstau – Straßenbäume sind in diesem Fall Teil von Osnabrücks [Fellmer et al. 2016]. Tiefbeeten und Mulden, die der Versickerung von (2) Pflanzgrube mit unterirdischem Wasserzufluss – Niederschlagswasser dienen. Das Niederschlagswas- Über einen Luft- und Bewässerungsschacht gelangt das ser wird oberirdisch in die Gruben hineingeleitet. Das Wasser von der Oberfläche in die Pflanzgrube. Dieser Wasser wird bei stärkeren Niederschlägen in den be- kann mit einem Filter zur Vorreinigung ausgestattet pflanzten Mulden oder Tiefbeeten eingestaut. Bei die- Abbildung 14: Baumrigole mit Straßenzufluss (Foto: Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH) © LUBW FAQ — Stadtgrün 15
sem Pflanzgrubentyp sollten Bäume gewählt werden, der Verdichtung feiner Substratanteile vorzubeugen, kön- die größere Wassermengen tolerieren können. Beispie- nen sog. Strukturböden eingesetzt werden. Diese weisen le der Umsetzung finden sich in Melbourne, Portland einen hohen Anteil an grobkörnigem Material auf. Durch oder New York. dieses grobkörnige Material wird ein nicht weiter verdicht- bares Gerüst gebildet. In die Zwischenräume werden fei- Ein weiterer Sondertyp stellen Pflanzgruben mit Zister- nere Substrate eingebracht, welche als durchwurzelbares nen zur Bewässerung dar. Diese kann in Trockenzeiten Substrat zur Verfügung stehen. Die Feinbodenanteile in die Bewässerung unterstützen. Hierbei wird das Wasser den Zwischenräumen können sandige oder lehmig-tonige der angrenzenden Flächen (Dächer, Straßen, Gehwege) Substrate sein und mit Beimischungen von organischem über einen Einlauf mit Filter in eine unterirdische Zisterne Materialien (z. B. Humus, Pflanzenkohle) versehen wer- geleitet. Dort wird das Wasser zwischengespeichert und den [BlueGreenStreets 2020]. Durch die gegebene Poro dient in Trockenphasen der Bewässerung (automatisch sität werden neben der Durchwurzelbarkeit auch die Was- über spezielle Pumpen oder manuell) [Fellmer et al. 2016]. ser- und Sauerstoffverfügbarkeit sowie eine ausreichende Durchlässigkeit sichergestellt [CRWSA 2009]. Die Aus- Verwendung von Strukturböden: Bei der Anlage von breitung der Wurzeln kann dadurch gezielt gelenkt wer- Pflanzgruben ist es zudem wichtig eine Substratzusammen- den. Andere Bereiche, in die Bäume nicht hineinwurzeln setzung zu wählen, die eine gute Wasserspeicherung unter- sollen, werden dadurch von Wurzeln freigehalten [BBSR stützt, denn Baumscheiben sind häufig stark verdichtet. Um 2015]. Quellen: BlueGreenStreets (2020): BlueGreenStreets als multicodierte Strategie zur Klimafolgenanpassung – Wissenstand 2020, April 2020, Hamburg. Statusbericht im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahme „Ressourceneffiziente Stadtquartiere für die Zukunft“ (RES:Z). BBSR (2015): BBSR Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.): Überflutungs- und Hitzevorsorge durch die Stadtentwicklung. Strategien und Maßnahmen zum Regenwassermanagement gegen urbane Sturzfluten und überhitzte Städte. Bonn CRWSA (2009): CRWSA Charles River Watershed Stromwater Association (Hrsg): Stormwater, Trees an the Urban Environment: A Comapartive Analysis of Conventional Street Tree Pits and Stormwater Tree Pits for Stormwater Management in Ultra Urban Enviroments. Dickhaut et al. (2018): Dickhaut, W.; Fellmer, M., Lauer, J.; Winkelmann, A.: Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung an Baumstandorten – Chan- cen und Risiken. Ausarbeitung im Projekt Stadtbäume im Klimawandel (SiK). HafenCity Universität Hamburg, 56 S. Embren et al. (2009): Embrén, B.; Alvem, B. M.; Stål, A.; Orvesten, A.: Planting Beds In The City Of Stockholm: A Handbook. Fellmer at al. (2016): Fellmer, M.; Kruse, E.; Dickhaut, W.: Pflanzgrubengestaltung in Kombination mit dezentraler Regenwasserbewirtschaftung. FLL (2010): FLL Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V.: Empfehlungen für Baumpflanzungen – Teil 2: Standort vorbereitung für Neupflanzungen; Pflanzgruben und Wurzelraumerweiterung, Bauweisen und Substrate. Bonn. FLL (2015): FLL Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V.: Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil: Planung, Pflanz- arbeiten, Pflege. FLL, 2. Ausgabe. Bonn. Roloff, A. (2013): Bäume in der Stadt – Besonderheiten, Funktion, Nutzen, Arten, Risiken. Ulmer. Stuttgart. 16 FAQ — Stadtgrün © LUBW
Schotter ade – 07 Was sind ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternativen? In vielen Kommunen ist es gängige Praxis Grünflächen, Staudenbeete – ökologische Alternative: Staudenbeete insbesondere Straßenbegleitflächen (vgl. Abbildung 15) auf- bieten Kommunen einen ökologisch und ökonomisch grund vermeintlicher Pflegeleichtigkeit und optischer Ord- sinnvollen Gegenentwurf zu Schotterflächen. Ob durch- nung zu schottern. Ein Modetrend dem in den letzten Jah- lässig und locker mit heimischen Stauden durchsetzt, ren immer mehr Kommunen gefolgt sind und aktuell folgen. welche natürliche Rohbodenstandorte nachahmen und so eine hohe ökologische Wertigkeit besitzen oder dicht Schotter – Modetrend mit Nebenwirkungen: bepflanzte Staudenbeete, welche klimatisch größere Kühl- Schotter- und Kiesflächen haben zahlreiche negative Aus- wirkungen entfalten (vgl. Abbildung 16). Stauden sind wirkungen auf die Natur und das Klima. Sie heizen das mannigfaltig und daher für alle klimatischen Gegebenhei- Stadtklima auf, in dem sie verstärkt (abhängig von Farb- ten geeignet. Zahlreiche heimische Stauden kommen gut gebung) Sonneneinstrahlung absorbieren und diese als mit Hitze, Trockenheit und intensiver Sonneneinstrahlung Wärmestrahlung tagsüber und nachts an die Umgebung aus. Sie fördern die Biodiversität und locken durch ihre abgeben. Bei eingebrachtem wasserundurchlässigem Vlies Blüten zahlreiche Insekten an. Auch ökonomisch rechnen oder Beton kann zudem weniger Regenwasser versickern. sich Staudenbeete. Die Kosten für Stauden (Einzelpreis Der Oberflächenabfluss bei Starkregen wird gefördert, 2 – 5 Euro) liegen bei empfohlenen 6 Stauden pro Quadrat- Hochwasser und Sturzfluten verstärkt. Das Niederschlags- meter (dichte Staudenbepflanzung) zwischen 12 – 30 Euro. wasser steht zudem nicht zur Grundwasserneubildung zur Eine Fläche von 100 m² würde so zwischen 1200 – 3000 Euro Verfügung. Das natürliche Bodengefüge wird durch eine kosten, zuzüglich einmaliger Kosten für Einpflanzung und Schotter- und Kieseindeckung vernichtet oder zumindest Gestaltung (mündliche Auskunft Ollig, W. Gartenakademie stark beeinträchtigt, der Boden verliert seine natürlichen des DLR Rheinpfalz). Standortgerechte Stauden sind gene- Funktionen. Die Biodiversität wird durch Schotter und rell sehr pflegearm (Gießen beim Anwachsen, später nur Kies stark dezimiert, da diese Flächen keinen Lebensraum noch in Trockenzeiten, 1 – 2-maliger Rückschnitt pro Jahr), für Insekten, Vögel und Kleintiere bieten. In Privatgärten sodass hier in den Folgejahren nur wenig Arbeit und Kos- sind Schotterungen nach §21a NatSchG unzulässig. Kom- ten auf die Kommune zukommen. Schotter- und Kiesab- munale Flächen unterliegen diesen rechtlichen Beschrän- deckungen sind abhängig von Material und Schichtdicke kungen nicht. Eine Schotterung sollte aufgrund der Vor- deutlich teurer in der Erstanschaffung. Es werden zudem bildfunktion von Kommunen dennoch nicht oder nur in große Mengen an CO2 bei deren Herstellung freigesetzt. Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden. Vor allem Eine naturnahe Bepflanzung mit Stauden, ggf. in Kombi- vor dem Hintergrund, dass es pflegeleichte, kostengünsti- nation mit Sträuchern und Gräsern ist daher aus jeglicher ge, klimafreundliche und biodiversitätsfördernde Alternati- Sicht eine lohnenswerte Alternative für die kommunale ven gibt [Kotremba 2021]. Flächengestaltung. Weiterführende Tipps zur Gestaltung von kommunalem und privatem Grün können bspw. unter „www.naturgarten.org“ eingesehen werden. Wildpflanzeneinsaaten – Alternative Nr. 2: Immer häufi- ger sind Städte und Kreise an der Verwendung von regio- nalem Saatgut zur Umsetzung von Natur- und Artenschutz- maßnahmen in Siedlungsbereichen interessiert. Bunte, artenreiche und blühende Wiesen sind im Siedlungs- und Verkehrsbereich ein echter Blickfang. Eine weitere öko- Abbildung 15: Schotterkreisel (Foto: Christian Kotremba, LUBW) logisch sinnvolle und klimataugliche Alternative ist daher © LUBW FAQ — Stadtgrün 17
Stauden-Exkurs: Stauden sind mehrjährige, krautige Pflanzen, die aus der Wurzel ausschlagen. Im Unter- schied zu Gehölzen (Bäume, Sträucher) verholzen sie oberirdisch nicht. Sie sind stattdessen krautig weich. Die oberirdischen Teile sterben in der Regel nach jeder Vegetationsperiode im Herbst ab. Die Über- winterung der meisten Stauden erfolgt durch Sproß- Ausläufer, Knollen, Rhizome oder Zwiebeln. In der neuen Vegetationsperiode, meist im Frühjahr, treiben die Staudenpflanzen von neuem aus. Man unterschei- det frühjahrs-, sommer- und herbstblühende Stauden (www.de.wikipedia.org/wiki/Staude). der Einsatz von Wildpflanzensaatgut, sprich von Pflanzen, die in dem Gebiet in dem sie wachsen natürlicher Weise verbreitet sind. Es sollte daher auch bei der städtischen Be- grünung besonderer Wert auf regionale, zertifizierte und standortgerechte Regiosaatgut-Mischungen gelegt werden (vgl. FAQ 4). Einfache Rasenflächen hingegen sind in Zei- ten des Klimawandels mit zunehmender Trockenheit auf- Abbildung 16: dicht bepflanztes Staudenbeet (Foto: Eva Hofmann, grund ihres hohen Wasserbedarfs längst Auslaufmodelle. DLR Rheinpfalz) Sie sollten ebenso, wie Schotter- und Kiesbeete nicht mehr als Gestaltungsvarianten von Grünflächen eingesetzt werden. Quellen: Kotremba, C. (2021): Grün, Blau und Beige. Klimawandelangepasste Kommunen zeigen wie’s geht. Abschlussdokumentation des Projektes Klima wandelAnpassungsCOACH RLP. 18 FAQ — Stadtgrün © LUBW
Warum spielen Dach- und Fassadenbegrünungen bei der Klima 08 anpassung eine so tragende Rolle und wie können sie gezielt gefördert und ausgebaut werden? In vielen dicht besiedelten urbanen Räumen besteht am die Verschattung bewirkt, ein geringerer Teil durch die Boden nur noch wenig Freiraum für Grünflächen. Zur Transpirationsleistung [Hoelscher et al. 2016]. Schaffung innerstädtischer Grünflächen stellen Gebäude- begrünungen daher eine wichtige Option dar, da sie kaum No-Regret-Maßnahme: Dachbegrünungen können zu- zusätzlichen Raum benötigen. Sie werden unterschieden in dem Niederschlagswasser speichern und reduzieren so Dach- und Fassadenbegrünungen. Sturzfluten und Hochwasser nach Starkregenereignissen. Grüne Dächer haben gleichzeitig positive Aspekte auf Natürliche Klimaanlagen: Für Kommunen sind sie be- die lokale Luftqualität, verbessern die Situation bei der deutend, da sie aufgrund von Schattenwurf (Fassade) und Abwasserversorgung und haben zudem eine energiespa- Verdunstungskühlung (Dach/Fassade) zu einer Reduzie- rende Wirkung [UBA 2012]. Zahlreiche weitere positive rung des Wärmeinseleffekts beitragen. Die Zahl an hitze- Ökosystemleitungen sprechen für Gebäudegrün. Sie zäh- bedingten Todesfällen kann laut dem [UBA 2012] durch len zu den sogenannten No-regret-Maßnahmen (deutsch: Dachbegrünungen reduziert werden. [Heusinger & Weber Maßnahme ohne Bedauern). Hierunter sind Maßnahmen 2015] zeigten bei ihren Messungen in Braunschweig an zu verstehen, die auch unabhängig vom Klimawandel einem Sommertag eine um durchschnittlich 11 °C niedri- ökonomisch (u. a. bei Dachbegrünungen: Verlängerung gere Oberflächentemperatur auf einem extensiv begrünten der Lebensdauer von Dächern und Erhöhung der Leis- Dach im Vergleich zu einem konventionellen Dach. Die tung von Photovoltaikanlagen aufgrund kühlerer Tem- maximale gemessene Verringerung betrug sogar 17,4 °C. peraturen) und ökologisch (Förderung der Biodiversität) Auch für begrünte Fassaden zeigen zahlreiche Studien sinnvoll sind. Zusätzlich zur Kühlung haben sie einen eine Reduktion der Oberflächentemperatur. Diese betru- gesellschaftlichen Nutzen (zahlreiche Ökosystemdienst- gen bei [Eumorfopoulou & Kontoleon 2009] 1,9 – 8,3 °C leitungen, geringere Sterbefälle bei starker/extremer Hit- bei [Mazzali et al. 2013] 12 – 20 °C bzw. bis zu 15,5 °C bei zebelastung), der den gesellschaftlichen Kosten gleich- [Hoelscher et al. 2016]. Die unterschiedlichen Ausprägun- kommt oder diese übersteigt. gen der Effekte sind auf die örtlichen klimatischen Bedin- gungen sowie die verwendete Begrünung zurückzuführen. Kommunale Förderansätze: Kommunen sollten laut dem Der Haupteffekt der Oberflächenabkühlung wird durch UBA verstärkt Anreize für private Dachbegrünungen schaf- fen und entsprechende Förderungen anbieten. Dies wird in Abbildung 17: extensive Dachbegrünung (Foto: Optigrün internatio- Abbildung 18: Intensive Dachbegrünung als multifunktionaler Raum nal AG) (Foto: Optigrün international AG) © LUBW FAQ — Stadtgrün 19
vielen Kommunen schon mit Finanzierungs- und Anreiz- geringen Lastreserven (z. B. Garagen, Industriebauten, Ge- instrumenten praktiziert [Ansel 2008]. Bei niedrigen För- werbeimmobilien, Wohnhäuser, Carports, Haltestellen). dersätzen von 5 €/m² hat die Maßnahme in fast allen Fällen ein positives Nutzen-Kosten Verhältnis [UBA 2012]. Intensive Dachbegrünungen sind deutlich komplexer so- wohl was den Substrataufbau angeht, wie auch die Gestal- Extensiv-/Intensive Dachbegrünungen: Bei Grün tung. Sie verfügen über eine deutlich mächtigere Substrat- dächern unterscheidet man extensive und intensive Be- auflage aus mehreren Schichten. Die Bepflanzung erfolgt grünungsformen. Das Retentionsvermögen liegt je nach über Sträucher, Rasen, Stauden bis hin zu Bäumen. Als Ausführung zwischen 10 und 70 %, das heißt, dass circa Dachgarten ausgebaut kommen weitere Elemente der Ge- 30 – 90 % des Jahresniederschlags verdunsten können staltung, wie Wege, Sitzplätze, Spielbereiche und Teiche in [Freie und Hansestadt Hamburg 2006]. Extensiv begrünte Betracht (vgl. Abbildung 18). Dächer weisen meist dünne Substratschichten bis zu 20 cm auf. Sie werden mit Moosen, Kräutern oder Sedumgewäch- Die Dächer sind häufig multifunktional angelegt und wer- sen bepflanzt, sind kostengünstig und leicht zu pflegen. den entsprechend häufig begangen. Aufgrund der einge- Aus ökologischer Sicht wäre es wichtig eine hohe Struktur- brachten Elemente müssen bestimmte Voraussetzungen an vielfalt zu ermöglichen. Extensivbegrünungen (vgl. Abbil- die Statik erfüllt werden. Der Kühlungseffekt und Wasser- dung 17) eignen sich besonders für alle Gebäudetypen mit rückhalt ist entsprechend größer als bei extensiven Dach- begrünungen [StMUV 2020]. Grundsätzlich werden bei begrünten Dächern schnellwachsende Pflanzen eingesetzt, so dass die Wirkung der grünen Dächer schnell einsetzt [UBA 2012]. Vorteile Fassadenbegrünungen: Fassadenbegrünungen haben gegenüber Dachbegrünungen den großen Vorteil, dass sie zur deutlichen Kühlung des Straßenraums beitra- gen. Der Kühlungseffekt ist in verhältnismäßig schmalen Straßen größer als bei breiteren Straßen, da hier die Luft- temperatur zunehmend von der horizontalen, versiegelten Straßenfläche beeinflusst wird [Alexandri & Jones 2008]. Sie können zudem Luftschadstoffe mittels trockener De- position binden und tragen so zu einer Verbesserung der Luftqualität bei. Sie schützen die Fassade zudem vor nega- tiven Wettereinflüssen und werten die meist graue Bau- struktur in Städten optisch auf. Die Potentiale zum Regen- wasserrückhalt sind hingegen gering, sofern sie nicht mit anderen Elementen der Starkregenvorsorge (z. B. Rückhal- tekörpern) kombiniert werden [StMUV 2020]. Boden-/wandgebundene Systeme: Bei den Fassadenbe- grünungen werden boden- und wandgebundene Systeme unterschieden. Bodengebundene Begrünungen erfolgen je nach Klettermodus mit oder ohne Kletterhilfe. Sie sind dadurch charakterisiert, dass die verwendeten Pflanzen „Kletterpflanzen” sind und direkt mit dem Boden verbun- Abbildung 19: Fassadenbegrünung mit Efeu (Hedera helix) (Foto: den sind. Sie sind Selbstklimmer (z. B. wilder Wein, Trom- Christian Kotremba, LUBW) petenwinde, Kletterhortensie, Efeu (vgl. Abbildung 19) 20 FAQ — Stadtgrün © LUBW
oder benötigen geeignete dauerhafte Kletterhilfen (z. B. für innerstädtische Bereiche. Ihre Vorteile liegen in einer echter Wein, Clematis, Knöterich, Winterjasmin). Die sofortigen Wirksamkeit, große Gestaltungsspielräumen Wasser- und Nährstoffversorgung findet meist über natür- („vertikale Gärten”) sowie in einem großen Spektrum liche Einträge statt. Eine regelmäßige fachgerechte Pflege verwendbarer Pflanzen. Die Versorgung mit Wasser und ist notwendig, jedoch in geringerem Maße als bei wand- Nährstoffen wird über eine automatische Anlage geregelt. gebundenen Begrünungssystemen. Die Kosten für boden- Der Aufwand für Pflege und Wartung ist von der Art der gebundene Fassadenbegrünungen (mit Kletterhilfe) be- Gestaltung und dem verwendeten System abhängig. Die laufen sich je nach Aufbau und Größe auf etwa 100 bis Kosten liegen insgesamt höher als bei bodengebunde- 300 Euro/m². Wandgebundene Begrünungssysteme benö- nen Begrünungen (400 Euro/m² bis über 1.000 Euro/m²) tigen keinen Bodenanschluss und eignen sich daher gut [BuGG 2020]. Quellen: Alexandri, E. & Jones, P. (2008): Temperature decreases in an urban canyon due to green walls and green roofs in diverse climates. Building and Environment 43, 480 – 493. Ansel, W. (2008): Gründach-Förderung in Deutschland – Bewährte Verfahren und aktuelle Trends, in: Kommunalwirtschaft, 07-08/2008, S. 495 – 496. StMUV (2020): StMUV Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (Hrsg.): Wassersensible Siedlungsentwicklung Empfeh- lungen für ein zukunftsfähiges und klimaangepasstes Regenwassermanagement in Bayern, www.bayika.de/bayika-wAssets/docs/aktuelles/2021/ Leitfaden_Wassersensible_Siedlungsentwicklung.pdf (Zugriff: 29.03.2020) BuGG (2020): BuGG Bundesverband GebäudeGrün e. V.: Grüne Innovation Fassadenbegrünung, https://www.gebaeudegruen.info/fileadmin/ website/downloads/bugg-fachinfos/Fassadenbegruenung/Innovation_Fassadenbegruenung_2020_09_30_kl.pdf (Zugriff 07.04.2021) Eumorfopoulou, E. A. & Kontoleon, K. J. (2009): Experimental approach to the contribution of plant-covered walls to the thermal behaviour of building envelopes. Building and Environment 44, 1024 – 1038. Freie und Hansestadt Hamburg (2006): Dezentrale naturnahe Regenwasserbewirtschaftung. Ein Leitfaden für Planer, Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer, www.hamburg.de/contentblob/135118/4bab847f13e77cbfba5cfa1cbeaa22ab/data/regenwasserbroschuere.pdf (Zugriff: 29.03.2021) Heusinger, J. & Weber, S. (2015): Comparative microclimate and dewfall measurements at an urban green roof versus bitumen roof. Building and Environment 92, 713 – 723. doi:10.1016/j.buildenv.2015.06.002. Hoelscher et al. (2016): Hoelscher, M. T.; Nehls, T.; Jänicke, B.; Wessolek, G.: Quantifying cooling effects of facade greening: Shading, transpiration and insulation. Energy and Buildings 114, 283 – 290. Mazzali et al. (2013): Mazzali, U.; Peron, F.; Romagnoni, P.; Pulselli, R. M.; Bastianoni, S.: Experimental investigation on the energy performance of Living Walls in a temperate climate. Building and Environment 64, 57 – 66. UBA (2012): UBA Umweltbundesamt (Hrsg.): Kosten und Nutzen von Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel. Analyse von 28 Anpas- sungsmaßnahmen in Deutschland, www.umweltbundesamt.de/publikationen/kosten-nutzen-von-anpassungsmassnahmen-an-den (Zugriff: 24.02.2021) © LUBW FAQ — Stadtgrün 21
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