Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
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Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung www.hessen-biotech.de Personalisierte Medizin in Hessen Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
„Eine Wachstumschance für den Pharmastandort Hessen“ Fünf Fragen an Dieter Posch, hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung Herr Minister, Hessen ist nach wie vor der be- schon heute sehen. Aber nicht umsonst spricht deutendste Pharmastandort in Deutschland. man in diesem Bereich gerne von sogenannten Neben Großunternehmen wie Sanofi-Aventis, Nischenbustern. Je besser es gelingt, die für Merck und CSL Behring sind es vor allem viele einen ganz bestimmten Wirkstoff empfängliche mittelständische Unternehmen, die die Quali- Patientengruppe zu bestimmen, umso höher tät dieses Standortes ausmachen. Mit der per- sind die Absatzchancen für das neue Medika- sonalisierten Medizin gewinnt nun ein neues ment. Den Nutzen davon haben die Patienten, Segment im Pharmamarkt eine immer größere die Krankenkassen und natürlich auch die Phar- Bedeutung. Welche Chancen ergeben sich da- maunternehmen. raus für den Pharmastandort Hessen? Das hessische Wirtschaftsministerium hat Posch: In Hessen gesellt sich zur Vielzahl hoch- frühzeitig auf die Biotechnologie als Wachs- innovativer, forschender Biotech- und Phar- tumstreiber gesetzt und die Aktionslinie maunternehmen eine akademische Spitzenfor- Hessen-Biotech als Anlaufstelle zur gezielten schung. Diese Mischung bildet die Grundlage Unterstützung der Biotechnologiebranche ins für Innovationen. Für einen so hochentwickelten Leben gerufen. Kann die personalisierte Medi Industriestandort wie Hessen sind Innovationen zin von dieser Infrastruktur profitieren? der Motor für Wachstum. Innovationen, die zu Posch: Ich glaube, dass diese Infrastruktur so- einer Effizienzsteigerung in der Medizin führen, gar einer der Erfolgsfaktoren für die hessischen erlauben auch Medikamentenpreise, die den Unternehmen ist. Wir sehen, dass es gerade im Pharmaunternehmen die Deckung ihrer hohen Biotechnologiebereich der pharmazeutischen Entwicklungsaufwendungen ermöglichen. Die Industrie immer mehr auf Zusammenarbeit und Entwicklung personalisierter Therapien bildet „shared development“ ankommt. Mit unserer dies in hervorragender Weise ab. Ich sehe in der Aktionslinie Hessen-Biotech fördern wir die personalisierten Medizin eine erhebliche Wachs- Zusammenarbeit zwischen Industrie und Hoch- tumschance für den Pharmastandort Hessen. schulen sowie unter den Unternehmen selbst. Aber haben denn die Medikamente der per- Wir haben gerade gemeinsam mit der Verei- sonalisierten Medizin überhaupt das Marktpo- nigung der hessischen Unternehmerverbände tenzial, dass die herstellenden Unternehmen eine neue Studie zum Innovationsstandort einen tatsächlichen Wachstumsschub damit Hessen vorgelegt. Sie bestätigt, dass die ent- erreichen können? scheidenden Wettbewerbsvorteile in einer glo- balisierten Wirtschaft aus der Bildung von Netz- Posch: Natürlich wird es in der personalisier- werken kommen. Und da sind wir in Hessen mit ten Medizin nicht mehr im Umfang wie früher unseren Clusterinitiativen ganz weit vorne. Blockbuster mit Milliardenumsätzen bei einem Präparat geben – auch wenn dies für einzelne Aber ist Forschung und Entwicklung am Ende Wirkstoffe weiter möglich sein wird, wie wir nicht doch vor allem eine Domäne der großen
Personalisierte Medizin in Hessen Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien Foto: HA Hessen-Agentur GmbH Band 13 der Schriftenreihe der Aktionslinie Hessen-Biotech Unternehmen? Kommt der hessische Mittel- stand denn hier überhaupt vor? Posch: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Natür- lich erfordert gerade in der pharmazeutischen Industrie die Entwicklung von Innovationen eine Menge Geld und Zeit. Beides haben mit- telständische Unternehmen nicht in dem Maße wie große Konzerne. Aber sie verfügen häufig aufgrund ihrer Spezialisierung über ein sehr Inhalt Seite fokussiertes „Geist- und Expertisen-Kapital“, Der Weg zur personalisierten Medizin 4 das sie in die Waagschale werfen können und auf das die Großunternehmen angewiesen sind. Von der Krankheit zur Therapie 6 Der Erfolg der großen ist ohne die kleinen und mittleren Unternehmen in ihrem Umfeld gar Wo stehen wir heute? Status Quo 8 nicht möglich. Forschung und Markt – Hessen im Fokus 10 Also betrachten Sie die personalisierte Medi- zin auch als weiteres Element der Innovations- Der Weg in die Praxis 20 strategie Hessens? Posch: Unbedingt. Hessen ist ein moderner Impressum 21 Industriestandort. Es ist es auch deshalb, weil wir nicht wie andere Bundesländer stark in sehr traditionellen Industriebereichen verhaftet sind, sondern auf die modernen und neuen Indus- trien setzen können. Das macht diesen Standort aus. Hier kann Innovation sich entfalten, weil sie nicht von Altem gebremst wird. Die persona- lisierte Medizin ist ein weiteres Beispiel dafür. Vor allem auch mit ihrer Fähigkeit zur Quer- vernetzung wird sie noch einiges an Potenzial bringen und zur hohen Wirtschaftsleistung Hessens beitragen. 3
Der Weg zur personalisierten Medizin Seit jeher bemühen sich Ärzte darum, die Psychopharmaka beispielsweise vergeht oft ein medizinische Behandlung auf die Bedürfnisse Jahr, bis das richtige Medikament in der wirk- des einzelnen Patienten zuzuschneiden. Sie samen Dosierung gefunden ist. Nach dem Prin- stützen sich dabei auf etablierte Messgrößen zip „keine Wirkung ohne Nebenwirkung“ sind wie Körpergewicht oder Blutdruck. mit der Gabe von Arzneimitteln zudem Risiken verbunden. Der weiteren Individualisierung waren lange Zeit jedoch Grenzen gesetzt, wusste man doch zu So wird geschätzt, dass jährlich etwa 17.000 wenig über die Ursachen, warum ein und die- Todesfälle in Deutschland auf die Folgen von selbe Diagnose zu sehr unterschiedlichen Krank- Nebenwirkungen zurückzuführen sind. Könnte heitsverläufen führen kann und Medikamente man die Nebenwirkungen reduzieren, würde bei dem einen Patienten wirken, bei einem dies also Menschenleben retten. Die Ursachen anderen aber nicht. Für viele Krankheiten gibt individuell unterschiedlicher Reaktionen stecken es auch heute noch keine Therapien, die allen in den Genen. Doch sie zu finden, war bis vor Patienten helfen. Selbst moderne Arzneimittel wenigen Jahren technisch unmöglich. Das hat zeigen oft nicht die gewünschte Wirkung. Bei sich nun mit der Entwicklung chipbasierter Me- 1866 Der katholische Priester Johann Gregor 1913 Thomas Hunt Morgan erkennt bei Mendel veröffentlicht Regeln der Studien an der Fruchtfliege „Drosophila Vererbung von Merkmalen bei Erbsen. melanogaster“ weitere Regeln der Vererbung. 1879 1902 Walther Fleming beschreibt das „Chromatin“ im Zellkern, das später als die Erbsubstanz DNS Der britische Arzt Archibald Garrod identifiziert wird. beschäftigt sich mit Stoffwechsel- erkrankungen und stellt fest, dass diese in Familien vererbt werden. Garrod erkennt, dass die Vererbungs- gesetze also auch bei Menschen gültig sind, und vermutet, die Erbanlagen 1953 James Watson und Francis Crick seien die Basis für die „chemische veröffentlichen ein helixförmiges Individualität“ von Menschen. Modell der DNS. 4
„Die personalisierte Medizin bietet große Vorteile für die Patienten, die dadurch wirksamer und schonender thoden geändert. Krankheitsauslösende Varian- behandelt werden können. ten in der Erbsubstanz können immer schneller Nonrespondern wird eine und preiswerter identifiziert werden. Damit wur- wirkungslose Therapie erspart und de der Weg bereitet, um gezielt nach zellulären die Kosten für die Behandlung von Foto: Universität Frankfurt am Main Markern – sogenannten Biomarkern – zu suchen, Nebenwirkungen werden vermieden.“ die für eine Krankheit und deren Krankheitsver- lauf spezifisch sind. Auch lassen sich mit ihnen Prof. Theodor Dingermann, Institut für Pharmazeu- Angriffsstellen in und auf den Zellen ausmachen, tische Biologie, Universität Frankfurt am Main, für die gezielt neue Medikamente entwickelt und Biotechnologiebeauftragter des Landes Hessen werden können. 1959 Einführung des Begriffs „Pharma- 1994 Erster kommerziell erhältlicher DNA- kogenetik“ durch Friedrich Vogel. Chip auf dem Markt (HIV). Diese befasst sich mit dem Einfluss der unterschiedlichen genetischen Ausstattung von Patienten auf die Arzneimittelwirkung. Foto: Sanofi-Aventis 1961 Forschergruppen arbeiten an der Ent- 2003 Die Sequenzierung des humanen Genoms schlüsselung des genetischen Codes. ist nach 13 Jahren und Investitionen von 1998 drei Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Herceptin® wird von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) zugelassen, ebenso wie der diagnos- ...2015 Die Sequenzierung des Gesamtgenoms tische HER2-Test zur Identifizierung wird vermutlich für weniger als 1.000 der Zielgruppe. Euro zu haben sein. 5
80 % Bis zu 80 Prozent der Patienten sind auf bestimmte Medikamente Nonresponder, das heißt, sie können aufgrund ihres genetischen Profils nicht von einem bestimmten Medika- ment in der empfohlenen Dosierung profi- tieren oder sind dadurch sogar gefährdet. Von der Krankheit zur Therapie Krankheiten sind so verschieden wie die Men- Personalisierung der Krankheit schen selbst. Nach diesem Prinzip lassen sich Heute besteht bei einer Reihe von Krebser- zwei Ebenen unterscheiden, die bei der per- krankungen die Therapie nicht mehr aus einem sonalisierten Behandlung des Patienten be- physikalischen oder chemischen Streufeuer auf rücksichtigt werden müssen: Die Krankheit alle sich teilenden Zellen, sondern in einem selbst und der Patient mit seiner genetischen gezielten Angriff auf die Tumorzelle selbst. Be- Ausstattung. stimmte Zielstrukturen (Targets), die vornehm- lich auf diesen Tumorzellen vorhanden sind – wie beispielsweise Wachstumsrezeptoren auf der Oberfläche der Zellen –, werden durch hoch- spezifische Arzneimittel blockiert. Eine solche Zielstruktur ist beispielsweise bei Brustkrebs „In der Krebstherapie ist der sogenannte HER2-Rezeptor, der gezielt die personalisierte Medizin durch den Wirkstoff Trastuzumab (Herceptin®) schon heute beim Patienten blockiert wird. Dadurch wird das Tumorwachs- angekommen. Wir geben tum verhindert. nicht mehr allen Patienten das gleiche Medikament, Jedoch ist nur bei etwa 20 Prozent der von sondern setzen gezielt Medikamente Brustkrebs betroffenen Frauen dieser Rezeptor Foto: Universitätsklinik Frankfurt am Main ein, die bestimmte Strukturen der in solchen Mengen zu finden, dass die Behand- Tumorzellen angreifen.“ lung tatsächlich wirksam sein kann. Aus diesem Grund ist vor Beginn der Herceptin®-Therapie Prof. Manfred Kaufmann, Direktor der Klinik für ein Nachweis der Wirksamkeit erforderlich. Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universitäts- Andere Brustkrebszellen sprechen dagegen auf klinik Frankfurt am Main Therapien wie Östrogenentzug an. In spezia- lisierten Zentren wird daher zunächst der Brust- krebssubtyp bestimmt und dann die personali- sierte Therapie begonnen. 6
Personalisierung des Patienten Abhängig von der Arzneimittelgruppe sind einzelne Wirkstoffe bei bis zu 70 Prozent der Patienten wirkungslos oder mit so starken Ne- benwirkungen verbunden, dass die Therapie abgebrochen werden muss. Hierfür ist der individuelle Stoffwechsel verantwortlich. Er be- stimmt, ob ein und dieselbe Arzneimittelkonzen- tration zu hoch ist und daher Nebenwirkungen erzeugt oder zu niedrig ist und dadurch der therapeutische Effekt fehlt. Diese individuellen Unterschiede legen damit fest, ob ein Mensch auf ein Medikament anspricht oder nicht, ob er also Responder oder Nonresponder ist. Wie sein Stoffwechsel funktioniert, ist in den Genen In den Genen ist festgelegt, wie der Stoffwechsel funktioniert des Menschen festgelegt. In der noch recht jungen Disziplin der Pharma- kogenetik werden die Unterschiede im Stoff- wechsel charakterisiert und dazu genutzt, für den einzelnen Patienten eine Vorhersage über therapeutische Wirksamkeit sowie über das Risiko unerwünschter Wirkungen eines Arznei- mittels zu treffen. So kann das geeignete Me- dikament in der richtigen Dosierung ausgewählt werden. Optimale Therapie für jeden individuellen Patienten unerwünschte Responder Nonresponder Arzneimittelwirkung Quelle: Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main 7
804 804 Millionen Euro Umsatz machten die Hersteller im Jahr 2010 allein in Deutsch- Foto: Merck KGaA land mit den Arzneimitteln, die einen begleitenden Diagnostik-Test erfordern. Wo stehen wir heute? Status quo Viel wird über die Zukunft der personalisierten haben ihr Augenmerk dabei auf die Identifizie- Medizin gesprochen, aber aus Teilgebieten rung und Charakterisierung neuer Biomarker als der Medizin wie Onkologie und Virologie ist Basis für neue Therapien gerichtet. sie schon heute nicht mehr wegzudenken. Die Lebenserwartung von HIV-Patienten ist 18 in Deutschland zugelassene heute annähernd so hoch wie in der Normal- Wirkstoffe mit Diagnostik-Test bevölkerung. Dies ist möglich geworden, weil der Medikamentencocktail jedes einzelnen Abacavir* HIV/Aids Patienten regelmäßig der individuellen Krank- Anastrozol Brustkrebs heitsentwicklung angepasst wird. Auch in der Azathioprin* Immunsuppressivum Krebstherapie gibt es immer mehr Indikationen, Cetuximab Darmkrebs, Kopf-/Halstumoren in denen individualisiert Strukturen der Tumor- Dasatinib akute lymphatische Leukämie zellen angegriffen werden, die nur bei einem Exemestan Brustkrebs Teil der Patienten vorhanden sind. Aktuell sind Fulvestrant Brustkrebs 18 Wirkstoffe in Deutschland zugelassen, die in Gefitinib Lungenkrebs Begleitung mit einem Diagnostik-Test einge- Imatinib bestimmte Leukämieformen setzt werden. Lapatinib Brustkrebs Letrozol Brustkrebs Während die personalisierte Medizin beispiels- Maraviroc HIV/Aids weise in der Onkologie schon in der täglichen Mercaptopurin* Onkologie Praxis angekommen ist, ist dies in anderen Teil- Nilotinib chronisch myeloische Leukämie gebieten der Medizin noch nicht so weit. Doch Panitumumab Darmkrebs auch dort ist das Interesse an der personalisier- Tamoxifen Brustkrebs ten Medizin groß. Intensiv wird nach personali- Toremifen Brustkrebs, Magenkrebs sierten Behandlungsansätzen beispielsweise bei Trastuzumab Brustkrebs, Magenkrebs Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie * Nur Test auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen Alzheimer-Erkrankung oder der Stoffwechsel- krankheit Diabetes geforscht. Wissenschaftler Stand April 2011 8
Medikamente wirken nicht bei allen Patienten gleich Asthma-Medikament 40 % Diabetes-Medikament 43 % Arthritis-Medikament 50 % Medikament wirkt Medikament ist wirkungslos Quelle: Ernst & Young, Personalized Medicine Coalition, Mai 2009 Umdenken in der Pharmaindustrie Die Kombination von Diagnostik und Therapie ist wegweisend für eine erfolgreiche personali- Um die aufwendige Suche nach solchen Bio- sierte Medizin. Das zeigt das Beispiel von Hoff- markern effizienter zu gestalten, haben Pharma- mann-La Roche, das die Erforschung und Ent- firmen damit begonnen, ihre Geschäftsstrate- wicklung neuer Medikamente und Diagnostika gien zu verändern. Große Konzerne kooperie- unter einem Dach vereint. Die systematische ren immer häufiger mit Forschungsinstitutionen Verknüpfung der beiden Geschäftsbereiche hat und Biotechfirmen, um Zeit- und Kostenauf- der Konzern bereits im Jahr 2006 als Konzern- wand zu reduzieren. Ein Beispiel hierfür ist das strategie festgelegt. Public Private Partnership zwischen Sanofi-Aven- tis und der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Die Akteure wollen in dieser Kooperation ihr Know-how in Forschung und Entwicklung ge- meinsam nutzen, um Patienten schneller neue „Die personalisierte Me- Medikamente für personalisierte Therapien bei dizin hilft heute schon bei Schlaganfällen und entzündlichen Autoimmun- einigen Krankheiten, die erkrankungen, wie etwa der rheumatoiden Ar- für die Patienten individuell thritis, zur Verfügung zu stellen. beste Therapie zu finden Sogar konkurrierende Pharmariesen bewegen und die Finanzmittel für sich aufeinander zu. Der Darmstädter Konzern Gesundheit effizienter einzusetzen. Merck KGaA etwa will künftig gemeinsam mit In der Zukunft wird das sicher für Sanofi-Aventis U.S. Inc. Wirkstoffkombinationen immer mehr Krankheiten gelten.“ erforschen, die spezifische Signalwege in Krebs- Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung zellen blockieren. Diese Kombinationen – ein des Verbandes der forschenden Pharma-Unter- Wirkstoff von Merck im Test mit zwei Wirk- nehmen (vfa) Foto: vfa stoffen von Sanofi-Aventis – werden in ersten Studien am Menschen auf Sicherheit und Wirk- samkeit geprüft.
50 % Mehr als 50 Prozent aller Biotechnologie- unternehmen in Hessen betreiben eine eigene Forschung und Entwicklung. Dies ist die Basis für die personalisierte Medizin. Forschung und Markt – Hessen im Fokus Ohne Biomarker keine personalisierte Medizin Und noch ein zweiter Punkt wird deutlich: Bei – ohne Tests auf diese Marker keine Vorher- der Breite des Forschungs- und Therapiegebietes sagbarkeit des Erfolgs. Nur wenn Parameter heißt der Erfolgsfaktor der personalisierten existieren, die eine Gruppenzuordnung (Stra- Medizin Interdisziplinarität. Nur die intensive tifizierung) der Patienten ermöglichen, kann Vernetzung von Experten in Grundlagenfor- auch die optimal angepasste Therapie für sie schung und klinischer Forschung in universitären gefunden und eingesetzt werden. Forschungseinrichtungen sowie Pharma- und Biotechunternehmen stellt die Entwicklung der Das Ziel moderner Forschung in der persona- wichtigen Marker, neuer Wirkstoffe sowie die lisierten Medizin ist es, solche Biomarker aus- Entwicklung in der Klinik sicher. findig zu machen und darauf ausgerichtete neue Medikamente zu entwickeln. Biomarker sind am Hessen und hier insbesondere die Rhein-Main- ganzen Prozess einer personalisierten medizi- Region als traditioneller Pharmastandort leistet nischen Behandlung beteiligt. Das beginnt mit auf der gesamten Prozesskette einen wesent- dem Erkennen der Krankheit (diagnostische lichen Beitrag zur Entwicklung der personali- Marker), geht über die Vorhersage des wahr- sierten Medizin. Hier sind bedeutende Player scheinlichen Krankheitsverlaufs (prognostische der Biotechnologie zu Hause. Und wie so häufig Marker) und reicht bis zur Auswahl der richtigen in Spezialgebieten tragen auch hier zur Wert- Therapie in Form der medikamentösen Be- schöpfung nicht nur die großen Pharmakon- handlung und Dosierung. Flankiert wird diese zerne, sondern gerade auch die kleinen und Prozesskette durch die Risikoforschung zur Ent- mittelständischen Biotechunternehmen bei. stehung von Krankheiten sowie zu den Angriffs- punkten für neue Medikamente. Damit wird eines sofort klar: Dreh- und Angel- punkt der personalisierten Medizin sind Tests auf das Vorhandensein bestimmter Biomarker und ihrer Beschaffenheit. Gerade hier sind hessi- sche Biotechunternehmen häufig führend. 10
Biomarker-Tests – Voraussetzung für die individuelle Therapie „Unsere Verantwortung Biomarker klinisch endet nicht bei der Ent- wicklung von innovativen nutzbar machen Tests für Diagnostik und Therapie. Wir sorgen auch durch Schulungen für die Wird ein ausgewählter Wirkstoff auch die ge- Foto: TARGOS Molecular Pathology GmbH richtige Anwendung in Klinik und wünschte Wirkung zeigen? Diese Frage im Praxis, denn erst dann stimmt das Voraus beantworten zu können, spart Zeit, Ergebnis.“ Geld und oftmals viel Leid. An dieser relevanten Aufgabe arbeitet in Hessen Dr. Thomas Henkel, Geschäftsführer die Firma Targos GmbH. Das Kasseler Unterneh- TARGOS Molecular Pathology GmbH, Kassel men verbindet dafür die Bereiche Forschung, Entwicklung und Klinik. Mit seinen Biomarker- Tests hilft es, spezifische Wirkstoffe und Diag nostika zu entwickeln und damit die Erfolgsrate von Therapien zu erhöhen. Targos versteht sich dabei als ganzheitlicher Der Erfolg der noch jungen Firma, die im letz- Dienstleister und Partner. Sind Biomarker-Tests ten Jahr mit der Targos Development AG und entwickelt und zugelassen, muss ihre Anwen- der Targos Advance AG zwei Tochterunterneh- dung noch erlernt werden. Gerade, wenn ein men gegründet hat, kann sich sehen lassen: solcher Test nicht völlig automatisch abläuft und Das Unternehmen war an der Zulassung von die Auswertung schwierig ist, müssen die An- fünf Therapien in der personalisierten Medizin wender geschult werden. Mit ihren Schulungs- in den USA und Europa sowie an sieben Bio- kursen trainiert Targos die Anwender in Klinik marker-Zulassungen (In-vitro-Diagnostika, IvD) und Praxis und beschleunigt damit die Anwen- beteiligt. Mehr als 30.000 Patienten wurden dung der Tests im klinischen Alltag – damit wis- von dem Unternehmen in mehr als 60 weltweit senschaftlicher Fortschritt auch beim Patienten durchgeführten Studien analysiert. Mit seiner ankommt. Expertise sowohl im Bereich der Gewebepatho logie als auch auf dem Gebiet der Molekular biologie leistet das Unternehmen einen wesent- Marktdynamik bei Biomarkern lichen Beitrag auf dem Weg zur Zulassung von Angaben in Milliarden US-Dollar personalisierten Arzneimitteln und Diagnostika. 20 Auch große Konzerne wie Hoffmann-La Roche arbeiten bei der Entwicklung der personalisier- ten Medizin seit Jahren mit Targos zusammen. 15 Dass die Schweizer Firma selbst sowohl in der Pharma- als auch Diagnostikforschung aktiv ist 10 und sich dennoch die Unterstützung der Hessen sichert, unterstreicht deren Leistung auf dem Weg zur personalisierten Medizin. 5 0 2011 2012 2013 2014 2015 Onkologie Herz und Gefäße Zentralnervensystem Infektionen Autoimmunologie / Sonstige Quelle: Ernst & Young 11
Die Energieversorgung Im Fokus der Forschung bei ScheBo Biotech liegt auch die Bestimmung therapeutischer An- macht den Unterschied griffsflächen – sogenannter Targets. Die Gieße- ner, die auch über Tochterunternehmen in den USA und Großbritannien verfügen, haben neue Gleich auf mehreren Gebieten nutzt das in Targets identifiziert und entwickeln dafür jetzt Gießen ansässige Unternehmen ScheBo Bio- auch Wirkstoffe für potenziell neue Medika- tech AG Biomarker für die personalisierte mente. Mehrere Wirkstoffe sind bereits in der Medizin. Das Unternehmen nimmt ins Visier, Pipeline. In einem nächsten Schritt sollen Ko- was Tumorzellen unterschiedlichster Krebser- operationen mit Pharmaunternehmen geschlos- krankungen gemeinsam ist: der Energiestoff- sen werden. Denn für die klinische Entwicklung wechsel. der Kandidatenwirkstoffe bedarf es aufgrund Krebszellen haben im Vergleich zu gesunden des Studienumfangs der Zusammenarbeit mit Zellen eine andere Energieversorgung. M2-PK großen Unternehmen. lautet der Name eines Schlüsselenzyms dieses veränderten Stoffwechselweges. Mit Hilfe eines Testsystems des Unternehmens kann die Menge Lösungen auch für des Enzyms in Blutproben bestimmt werden. Dadurch lässt sich bei verschiedensten Krebser- den Akutfall krankungen die Wirksamkeit der Krebstherapie prüfen. Responder und Nonresponder können Mittelhessen entwickelt sich mehr und mehr so unterschieden werden. zu einem wichtigen Biotech-Standort. Eines der Unternehmen in dieser Region ist Milenia Biotec, das im Jahr 2000 in Bad Nauheim ge- gründet wurde und inzwischen seinen Sitz in Gießen hat. „Wir sind in der Lage, die Milenia Biotec entwickelt Biomarker-Tests, die Wirksamkeit von Krebsthe- Ärzten konkrete und schnelle Entscheidungs- rapien anhand des Tumor- hilfen für die weitere Behandlung bei Opera- stoffwechsels zu prüfen. tionen an die Hand geben. Das Ziel, einfache Die gleichen Kenntnisse und überall handhabbare Tests zur Bestimmung nutzen wir für die Entwick- von Patiententypen verfügbar zu machen, treibt lung neuer Wirkstoffe und potenziell die Forschung bei Milenia Biotec an. Gebraucht neuer Medikamente.“ werden diese Tests für den Akutfall – wie bei- spielsweise im Operationssaal. Die Tests von Foto: ScheBo Biotech AG Milenia sind tatsächlich so einfach in der Hand- Dr. Ursula Scheefers-Borchel, Vorstand habung und Auswertung, dass sie praktisch ScheBo Biotech AG, Gießen Doch nicht nur für Erkrankte sind die Test- systeme von ScheBo Biotech nützlich: Das Unternehmen bietet auch ein System zum Nachweis von M2-PK in Stuhlproben an, mit dem präventiv und nichtinvasiv Darmkrebs- vorsorge gemacht werden kann. Und ein Test, mit dem sich die Funktion der Bauchspeicheldrüse prüfen lässt, hat sich weltweit zum wichtigsten diagnostischen Marker für die nichtinvasive Tes- tung der Bauchspeicheldrüse entwickelt. Testkits werden in der Handhabung immer einfacher 12
„Eine enge Zusammen- arbeit mit Universitäten beschleunigt die Um- setzung von Lösungen in die Praxis. Hier bieten sich uns auch in Mittelhessen einige Möglichkeiten, die wir bereits verfolgen.“ Foto: Milenia Biotec GmbH Dr. Ralf Dostatni, Geschäftsführer Milenia Biotec GmbH, Gießen überall durchgeführt werden können. Als neues Foto: Merck KGaA Anwendungsgebiet entwickelt das Unterneh- men derzeit in Zusammenarbeit mit der Ber- liner Charité einen Test, der nichtgenetische Biomarker für eine personalisierte Therapie bei Auf der Suche nach neuen Biomarkern Patienten mit Knochenbrüchen nutzt. Bei der Operation werden Proben am Knochenspalt entnommen, die auf spezifische Biomarker unter- sucht werden. Aus ihnen lässt sich herauslesen, des Krebsmedikaments Herceptin® sind. Zudem ob der Betroffene zu den 15 Prozent derjenigen arbeitet Abbott mit Pfizer zusammen an der Ent- Patienten gehört, bei denen Knochenbrüche wicklung eines begleitenden Diagnostik-Tests sehr schlecht heilen und in der Regel eine zwei- zur Auswahl von Patienten, die Kandidaten für te Operation notwendig wird. Zeigen die un- die Therapie mit einer neuartigen Therapie ge- tersuchten Parameter an, dass es sich um einen gen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs sind. Von „Schlechtheiler“ handelt, werden ihm sofort der Behandlung können Patienten profitieren, bei der ersten Operation Medikamente verab- bei denen ein bestimmtes Gen (ALK-Gen) ver- reicht, die die Knochenbildung anregen. ändert ist. Den Therapieerfolg sicher prognostizieren „Als einer der Weltmarkt- führer bei In-vitro-Diagnos- In der personalisierten Medizin spielen neben tika entwickeln wir auch Diagnose-Tests vor allem Prüfungen zur Aus- erfolgreich Testsysteme wahl von Patienten für eine bestimmte erfolg- für die personalisierte Me- versprechende Therapie eine wichtige Rolle. dizin. Sowohl die eigene Entwicklung als auch Kooperationen Als eines der weltweit führenden Unterneh- mit anderen großen Unternehmen men in der Entwicklung von In-vitro-Diagnosti- werden intensiv betrieben.“ ka entwickelt Abbott am Standort Wiesbaden auch Testsysteme für die personalisierte Medi- zin. Mit „PathVysion“ bietet das Unternehmen Hubertus Reuter, Regional Director DACH Foto: Abbott einen Test an, mit dem vorhergesagt werden Abbott Molecular, Wiesbaden kann, ob Patienten Kandidaten für den Einsatz 13
strategie. Die Immundiagnostik AG hat bereits mehrere Testsysteme zur personalisierten Medi- zin im Angebot und speist ihr Produktportfolio kontinuierlich aus einer dicht gefüllten Pipe- line eigener Entwicklungen. Das Unternehmen sucht dabei ganz bewusst nach noch „unbesetz- ten Nischen“. Diese Strategie hat aus der 1985 gegründeten Firma ein international agierendes Diagnostikunternehmen mit Vertretungen in über 30 Ländern werden lassen. Typisches Bei- spiel für den Erfolg dieser Strategie ist ein mo- Foto: Sanofi-Aventis lekularbiologischer Test, der nach genetischen Variationen bei Krebspatienten sucht, die auf bestimmte Chemotherapeutika mit schweren Nebenwirkungen reagieren. Patienten, für die Labordiagnostische Tests vermeiden riskante Therapien diese Behandlung sehr gefährlich ist, können so schon vorher erkannt werden und eine riskante Therapie lässt sich vermeiden. Nebenwirkungen Die Immundiagnostik AG nutzt die gesamte weitgehend ausschließen Breite ihrer Nische. So bieten die Bergsträßer auch Testverfahren an, mit denen moderne Therapien chronisch-entzündlicher Darmerkran- Das Verfolgen einer geschickten Nischen- kungen wie Morbus Crohn personalisiert werden strategie, bei der ein sehr spezifisches Know- können. Diese entzündlichen Erkrankungen wer- how aufgebaut und weiterentwickelt wird, den durch den Botenstoff TNF-alpha gesteuert, hat auch schon manches mittelständische Un- dessen Aktivität medikamentös mithilfe von so- ternehmen zum Weltmarktführer gemacht. genannten TNF-alpha-Blockern eingeschränkt Das Diagnostikunternehmen Immundiagnostik wird. Das Testsystem, das seit Kurzem auf dem AG aus Bensheim an der hessischen Bergstra- Markt ist, zeigt den Wirkstoffspiegel von TNF- ße verfolgt seit einigen Jahren diese Nischen- alpha-Blockern an. Ein niedriger Wert deutet frühzeitig auf Probleme mit der Verträglichkeit oder Verstoffwechslung des Medikaments hin. Damit lässt sich die Therapie von CED-Patienten deutlich besser steuern und unerwünschte Ne- „Heute entwickeln wir Tests benwirkungen vermeiden. für Grundlagenforschung Doch das Unternehmen verspricht sich für die und angewandte Forschung, Zukunft noch mehr. TNF-alpha-Blocker wer- die morgen helfen werden, den nicht nur von Gastroenterologen, sondern Krankheiten vorauszusagen auch von Rheumatologen verschrieben. Diese und ihnen vorzubeugen. könnten von der Überwachung des Wirkstoff- Krankheitsrisiken erkennen, genaue spiegels also ebenfalls profitieren. Prognosen erstellen, Präventivmaß- nahmen einleiten und kontinuierlich Foto: Immundiagnostik AG verfolgen – darin liegt die Zukunft.“ Dr. Franz Paul Armbruster, Vorstand Immundiagnostik AG, Bensheim 14
DNA-Tests für das richtige Medikament „Wir brauchen dringend klinische Studien, die zeigen, Ob ein Medikament wirkt oder ob belastende dass ein Patient, der wegen Nebenwirkungen zu erwarten sind, lässt sich einer Genotypisierung indivi- mit Hilfe von DNA-Tests nachweisen. dualisiert therapiert wird, ein besseres klinisches Ergebnis Bei diesen Tests werden die Gene abgelesen, hat als ein Patient, der nicht indivi- die für wichtige Stoffwechselprozesse bedeut- dualisiert therapiert wird. Wichtig ist sam sind und im Hinblick auf „falsche Buchsta- dieser Nachweis auch für die Kosten ben“ in der DNA überprüft. Sie sind ein Hin- übernahme durch die Krankenkassen.“ weis für Mutationen und fehlgeleitete Prozesse Foto: humatrix AG im menschlichen Körper. Solche DNA-Tests Dr. Anna Eichhorn, Vorstandsmitglied bietet das Frankfurter Unternehmen Humatrix humatrix AG, Frankfurt am Main AG an. Das Unternehmen, das vor zehn Jahren bei seiner Gründung mit Vaterschaftstests be- kannt geworden war, hat sich vor fünf Jahren in- tensiv der personalisierten Medizin zugewandt. Inzwischen bietet es beispielsweise Genanaly- und daher unterschiedlich aktiv. Bei stark re- sen an, mit denen bei einem psychisch kranken duzierter Enzymaktivität wird nicht genügend Menschen geprüft werden kann, welches Me- Medikament in die wirksame Form umgewan- dikament bei ihm potenziell wirksam ist. Leid- delt, sodass Betroffene mit Alternativtherapien volle Monate des Ausprobierens und Wechselns behandelt werden sollten. von Psychopharmaka werden so vielen Patien Neben patientenbezogenen Tests führt Huma- ten erspart. trix immer häufiger genetische Analysen für In Kürze bringt Humatrix eine DNA-Untersu- pharmazeutische Unternehmen durch. Diese chung zur Therapiesicherheit von Tamoxifen Tests im Rahmen klinischer Studien sollen ge- auf den Markt. Dieses Medikament wird in der netische Variationen identifizieren, die die Wirk- Brustkrebstherapie eingesetzt. Als „Pro-Drug“ samkeit selbst und die Dauer der Wirksamkeit muss es vom Körper jedoch erst in seine wirk- von Medikamenten beeinflussen. Ziel dieser same Form umgewandelt werden. Das dafür Studien ist es, in Zukunft jedem Patienten das notwendige Enzym ist bei jeder zweiten Frau für ihn wirksamste Medikament in der optima- aufgrund genetischer Variationen verändert len Dosierung geben zu können. Je nachdem, ob der Patient Medikamente langsam oder Antidepressiva-Wirkstoffe: Welche Dosis ist die richtige? schnell verstoffwechselt, Dosisanpassung im Vergleich zu 100 Prozent Standarddosis muss das gleiche Medika 200 ment unterschiedlich dosiert werden, um wirksam und verträglich zu sein. 150 100 50 0 Imipramin Doxepin Maprotilin Trimipramin Desipramin Nortriptylin schlechte Metabolisierer Intermediär-Metab. Schnell-Metab. Ultraschnell-Metab. Quelle: Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main 15
Verfügbares Wissen nutzbar machen Gesundheitsrelevante genetische Informatio- nen zu sammeln ist eine Sache, sie allen Men- schen zugänglich zu machen eine andere. Um die Informationen denjenigen zur Verfügung zu stellen, die sie direkt betreffen, arbeitet das Frankfurter Biotech-Unternehmen bio.logis in Kooperation mit IBM an einem Webportal für Privatkunden. Schon länger zeichnet sich ab: Der größte Auf- wand in der personalisierten Medizin ist nicht mehr der genanalytische – der wird immer ge- Informationen richtig interpretieren und klinisch nutzen ringer. Die größte Herausforderung besteht darin, die gewonnenen Informationen zu inter- Bei bio.logis kann sich ein Kunde sein persön- pretieren und klinisch zu nutzen. Die Motivation liches genetisches Profil erstellen lassen. Es für die Gründung von bio.logis im Jahr 2009 wird anschließend in einer geschützten Daten- war daher auch, die Erkenntnisse der Human- bank hinterlegt. Nur er selbst hat Zugriff auf genetik für persönliche Gesundheitsentschei- seine Daten. Bei konkreten Fragestellungen, dungen nutzbar zu machen. Denn auch erfah- beispielsweise zur Verträglichkeit eines Me- renen Humangenetikern ist es nicht möglich, dikaments, kann er seine genetischen Daten die vielen Genvarianten mit ihren klinischen und die dazu gehörenden wichtigen Informa- Konsequenzen ohne den Einsatz von IT-Syste- tionen abrufen. Sein Arzt kann dann außerdem men zu überblicken. einen entsprechenden Befundbericht erhalten und diesen für wichtige Therapieentscheidun- gen nutzen. Bio.logis arbeitet damit an der Entwicklung zweier wichtiger Säulen der personalisierten „Was wir bei Bio.logis Medizin: erstens an der Weiterentwicklung von als personalisierte Medizin Genanalysen, mit denen sich Krankheitsrisiken bezeichnen, ist eine erkennen sowie die Wirksamkeit und Verträg- feinere Subgruppierung, lichkeit von Medikamenten vorhersagen lassen, eine Stratifizierung auf und zweitens an der Entwicklung neuer IT-Instru- Basis der individuellen mente und Systeme zur Bereitstellung der wich- genetischen Varianten. Damit wird tigen Informationen, die in den Genen stecken. es möglich, Medikamententhera- Das Unternehmen, das sich selbst auch als pien sicherer und wirksamer zu „genetics information company“ versteht, trägt machen.“ damit über zwei ganz unterschiedliche Ansätze Foto: Dieter Schwer zur Weiterentwicklung der personalisierten Me- Prof. Daniela Steinberger, Geschäftsführerin dizin bei. bio.logis GmbH, Frankfurt am Main 16
Biomarker in der Medikamentenentwicklung Auf dem Weg „Merck hat sich längst auf stratifizierende Medizin zum Blockbuster eingestellt. In den meisten Entwicklungsprogrammen Biomarker sind nicht nur in der klinischen An- für neue Medikamente ist wendung, bei der Diagnostik und der Bestim- die Suche nach Biomarkern mung von Dispositionen für die Entstehung integriert, in der Onkolo- von Krankheiten von großer Bedeutung. Auch gie sogar zu 100 Prozent.“ in der Medikamentenentwicklung spielen sie eine immer größere Rolle, lassen sich mit ihnen doch geeignete Zielstrukturen für neue Foto: Merck KGaA Prof. Ilhan Celik, Verantwortlicher der Biomarker Medikamente entdecken. Strategy Onkologie, Merck Serono, Darmstadt Bei dieser Form der Medikamentenentwicklung nimmt der Darmstädter Konzern Merck eine Vorreiterrolle ein. Die Suche nach Biomarkern und stratifizierten Patientengruppen hat das konzern geht davon aus, dass das Medikament Unternehmen zur allgemeinen Konzernstrate- ab 2012 den Status eines Blockbusters erreicht gie gemacht und bereits jetzt in 80 Prozent des haben wird. kompletten Medikamentenportfolios Biomar- In Kooperation mit der US-amerikanischen On- ker-Programme integriert. In der Onkologie ist cothyreon Inc., Seattle, führt Merck zwei Phase- es sogar schon zu hundert Prozent implemen- III-Studien für die Krebs-Immuntherapie mit Sti- tiert – sämtliche Entwicklungsprogramme ba- muvax bei Lungenkrebs durch. Das Medikament sieren auf der stratifizierten Medizin. Neben der aktiviert das Immunsystem gegen Krebszellen, Onkologie hat Merck die Funktionseinheit „Bio- die einen bestimmten Rezeptor (Muc 1) produ- marker Strategy“ auch in allen anderen Teilbe- zieren. Dieser Rezeptor ist in vielen Krebsarten, reichen wie Neuroerkrankungen, Entzündungs- wie etwa Lungen-, Brust- und Prostatakrebs ver- krankheiten oder auch Fertilität eingerichtet. mehrt zu finden. Ebenfalls in einer Phase-III-Stu- Sie ist in der klinischen Entwicklung aufgehängt, die und damit weit fortgeschritten in der Ent- um Biomarker möglichst frühzeitig in der Ent- wicklung ist ein Wirkstoff namens Cilengitide. wicklung zu integrieren. Er wird bei Patienten mit neu diagnostiziertem Dass diese Strategie funktioniert, zeigt das Bei- Glioblastom, der aggressivsten Form von Hirn- spiel des monoklonalen Antikörpers Erbitux® tumoren, getestet. (Cetuximab) – ein Medikament, das sowohl zur Behandlung des metastasierenden Dickdarm- krebses als auch bestimmter Tumoren im Kopf und im Halsbereich zugelassen ist. Der Antikör- per blockiert eine als EGF-Rezeptor bezeich- nete Bindungsstelle auf der Krebszelle: eine Therapie, von der viele Tumorpatienten pro- fitieren, aber eben auch nicht alle. Deshalb ist ein Gentest notwendig, bevor das Medikament zum Einsatz kommen kann. Im Test wird nach Veränderungen des sogenannten KRAS-Gens Foto: Merck KGaA geschaut, die bei etwa 40 Prozent der Patienten vorliegen. Die 60 Prozent, die keine Mutationen aufweisen, profitieren mit hoher Wahrschein- lichkeit von Erbitux®. Der Darmstädter Pharma- Herstellung und Abfüllung des Wirkstoffes Erbitux® 17
Zuckerkrankheit – den Schlüssel finden Seit Beginn 2010 wird das weltweite Diabe- tes-Geschäft von Sanofi-Aventis von Frankfurt am Main aus gesteuert. Die große F&E-Ein- heit „Diabetes-Division“ des Unternehmens forscht intensiv an personalisierten Ansätzen. Foto: Sanofi-Aventis Damit engagiert sich Sanofi-Aventis auf einem Gebiet, auf dem die biomarkerorientierte personalisierte Medizin noch keineswegs all- täglich ist. Gentechnische Insulinproduktion Das Team von Sanofi-Aventis beschäftigt sich sowohl mit der Suche nach Biomarkern, mit de- werden. Gleiches gilt für die Entwicklung neuer nen sich der Krankheitsverlauf besser als bisher und effizienterer Wirkstoffe. Auch hier spielen vorhersagen lässt, als auch mit der Entwicklung Biomarker eine entscheidende Rolle. Beides neuer Wirkstoffe. Die Forschungsgruppe wurde wird in Frankfurt parallel vorangetrieben. Dafür im vergangenen Jahr in Frankfurt neu aufge- wird jedoch eine große Zahl an Patientendaten stellt und intensiviert seitdem stetig ihre Akti- benötigt. vitäten in diesem Bereich. Es besteht eine enge Da viele Fragestellungen im vorwettbewerb- Verzahnung mit anderen F&E-Funktionen wie lichen Bereich liegen, bieten sich hier For- beispielsweise dem Biomarker-Imaging. schungskooperationen an. Das Unternehmen ist Im Mittelpunkt steht der Typ-2-Diabetes, der Konsortialführer gleich mehrerer Projekte. Eins früher als Altersdiabetes bezeichnet wurde, heu- davon ist „imidia“, ein Netzwerk innerhalb der te aber immer häufiger auch junge Leute trifft. „Innovative Medicines Initiative“ (IMI). Experten Zu seiner Bekämpfung verfolgt das Unterneh- aus verschiedenen Instituten und Forschungs- men zwei Strategien: Um besser als bisher für organisationen sowie Biotech-Unternehmen be- den einzelnen Diabetespatienten abschätzten fassen sich darin mit der Entwicklung neuartiger zu können, von welcher der vorhandenen Wirk- Biomarker und der Organisation und Funktion stoffklassen er am ehesten profitieren kann, insulinbildender Zellen. müssen entsprechende Biomarker identifiziert Neue Kombinationen gegen Krebs Im Dezember vergangenen Jahres gab Sanofi- Aventis den Beginn einer weltweiten For- schungs- und Entwicklungszusammenarbeit zwi- „Wir arbeiten an einem schen Sanofi-Aventis U.S. Inc. und der Merck maßgeschneiderten KGaA in Darmstadt bekannt. Gemeinsam wollen Biomarker-Programm, um die beiden Unternehmen neuartige, experimen- die Wirksamkeit und Ein- telle Wirkstoffkombinationen gegen Krebs er- satzmöglichkeiten unserer forschen, die spezifische Signalwege in den ent- Wirkstoffe zu ermitteln arteten Zellen blockieren könnten. Oft „retten“ und zu verbessern.“ sich Tumorzellen, wenn ihnen ein Signalweg abgeschnitten wird, über die Nutzung anderer Signalwege. Werden aber gleich mehrere dieser Dr. Mark Brönstrup, Forschung & Entwicklung zentralen Wege in der Zelle blockiert, könnten Foto: Sanofi-Aventis der Diabetes-Division, Sanofi-Aventis Deutschland so Tumorzellen möglicherweise wirksamer als GmbH, Frankfurt am Main zuvor behandelt werden. Schon in Kürze wollen die Unternehmen in Phase-I-Studien Kombina- tionen ihrer Wirkstoffe erproben. 18
CI3 – Netzwerk für die Medizin der Zukunft Großes Potenzial innerhalb der individualisier- weitere Akteure der Gesundheitswirtschaft aus ten Medizin hat die Beeinflussung des Immun- Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen. Ziel der systems zur Behandlung von ernsten Erkran- Akteure ist es, die Region Rhein-Main auf dem kungen. Immuntherapeutika haben eine sehr Gebiet der individualisierten immuntherapeu- hohe Spezifität und Affinität für ihr Target. Sie tischen Arzneimittel und Behandlungsansätze an werden bei Patienten eingesetzt, die das Target die internationale Spitze zu führen. Dazu schafft tatsächlich tragen, sodass antigenspezifische CI3, das seinen Sitz in Mainz hat, ein Netzwerk Immuninterventionen einen erfolgversprechen von Akteuren aus Wirtschaft, Forschung, Kran- den Therapieansatz darstellen. Doch sind neue, kenversorgung und Politik und bildet das inte- kooperative Wege in Forschung, Entwicklung, grative Element über die gesamte Innovations- Produktion und Vertrieb erforderlich, um das und Wertschöpfungskette. Zu den hessischen komplexe Immunsystem als Waffe gegen Krank- Projektpartnern gehören beispielsweise die TU heiten auch wirklich klinisch nutzbar zu machen. Darmstadt und die Frankfurter Goethe-Univer- Das Cluster Individualisierte ImmunIntervention sität, das Langener Paul-Ehrlich-Institut, das (CI3) bringt darum länderübergreifend wich- Georg-Speyer-Haus, Abbott, Biotest, Sanofi- tige Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Aventis und Merck. Klinische Studien für die personalisierte Medizin „Krebserkrankungen beruhen nicht auf einer einzelnen, son- Um den Nachweis zu erbringen, dass neue dern auf einer Kombination Medikamente auch tatsächlich wirksam und vieler Mutationen. Gleichzei- verträglich sind, müssen sie in klinischen Stu- tig wird es immer mehr neue dien erprobt werden. Medikamente geben, um die Folgen einzelner Mutationen zu neutra- Gerade in der personalisierten Medizin, bei der lisieren. Es wird es entscheidend darauf gezielt Subgruppen bestimmter Erkrankungen ankommen, die neuen Medikamente Foto: UCT, Frankfurt am Main behandelt werden sollen, ist die Suche nach ei- richtig und individuell zu kombinieren.“ ner ausreichenden Zahl von Studienteilnehmern oft schwierig. Länderübergreifende Kooperatio Prof. Dr. Hubert Serve, wissenschaftlicher Direktor nen sind daher die Regel. Doch auch innerhalb des UCT, Frankfurt am Main Deutschlands wird nach Lösungen gesucht. Ein Beispiel hierfür ist ein regionales translationales Krebskonsortium, das Professor Hubert Serve trie und Epidemiologie federführend in einem am Universitären Centrum für Tumorerkrankun Verbundprojekt mit den Universitäten Gießen gen (UCT) in Frankfurt am Main aufgebaut hat. und Frankfurt am Main an neuen Designs für Neben den Unikliniken Frankfurt am Main und klinische Studien in der personalisierten Me- Mainz beteiligen sich daran acht weitere hessi dizin. Der beantragte Forschungsschwerpunkt sche Krankenhäuser, um die Studienlage für so- ADAMED (Adaptive statistische Methoden für lide Tumoren zu verbessern. Serve erhofft sich die individualisierte Medizin) versucht unter an- von seiner hessischen Initiative eine bundesweite derem eine flexible Anpassungsfähigkeit an die Signalwirkung, zumal das Modellprojekt vom Daten zu erreichen, um gewonnene Erkennt- Bundesforschungsministerium als einer der Part nisse noch während der Studie auf eine beson- ner für das Nationale Konsortium für Translatio- ders aussichtsreiche Subgruppe fokussieren zu nale Krebsforschung ausgewählt wurde. können. Dank ADAMED könnten sich Phase- In Marburg forscht derweil Professor Helmut II-Studien erübrigen und benötigte Patienten- Schäfer vom Institut für Medizinische Biome- zahlen reduzieren lassen. 19
Der Weg in die Praxis Zukunftsstudien bescheinigen der persona- mit seinem Arzt, von dem er Mitsprache bei lisierten Medizin, ein wichtiger Trend, wenn den Therapieoptionen statt bloßer Verordnung nicht gar ein Megatrend zu sein. Es wird er- erwartet. Mit der personalisierten Medizin geht wartet, dass sie das Gesundheitssystem von die Aufklärung einen Schritt weiter. Sie gibt morgen entscheidend prägen wird. Der Weg Menschen erstmals die Chance, Informatio- von der Forschung in die Praxis bringt aller- nen zu ihrem persönlichen genetischen Profil dings zahlreiche Veränderungen für alle Be- zu erhalten, aus dem sich Gesundheitsrisiken teiligten mit sich, vor allem für Patienten und oder bestehende Krankheiten herauslesen las- Ärzte. sen. Das wiederum ermöglicht ihnen, über das Verständnis für die eigene Behandlung hinaus, Der moderne Patient gilt als ein aufgeklärter Verantwortung für die eigene Gesundheit zu Patient, der sich über seine Krankheiten und die übernehmen und im Zweifel ihren Lebensstil möglichen Behandlungsmethoden informiert. entsprechend ihren individuellen Risiken um- Mit diesem Hintergrund geht er in das Gespräch zustellen. Das sind im Hinblick auf die Volksge- sundheit wichtige Effekte einer personalisierten Medizin. Die Ansätze der personalisierten Medizin ver- stärken also auch die beratende Rolle der Medi- ziner. Denn die Interpretation der genetischen Daten erfordert Expertenwissen. Das setzt allerdings fundierte genetische und pharmako- logische Kenntnisse seitens der Ärzte voraus, worauf diese in ihrer Ausbildung heute noch nicht ausreichend vorbereitet werden. Nicht auszuschließen also, dass es in Zukunft neben patientenorientiert arbeitenden Ärzten auch analytisch arbeitende Mediziner geben wird, die quasi als genetische Berater fungieren und Die beratende Rolle der Mediziner nimmt zu behandelnde Ärzte wie Patienten unterstützen. 20
Noch fehlt es der Bewegung an Breite Um eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit zu erhalten, müssen die datenschutzrechtlichen Um die personalisierte Medizin in weiten Teilen Fragen geklärt werden, die die Speicherung, der Gesundheitsversorgung zu etablieren und Übertragung und Nutzung von genetischen Da- auch für den niedergelassenen Arzt zur Realität ten mit sich bringen. Dies gilt umso mehr, als werden zu lassen, müssen noch mehr Biomarker auch bei der personalisierten Medizin neben und Wirkstoffe gefunden werden. Heute liegt dem Arzt und Patienten noch weitere Parteien der Schwerpunkt der personalisierten Medizin am Diagnose- und Therapiesystem beteiligt sind eindeutig auf der Tumorbehandlung. Je mehr und damit in Kontakt mit sensiblen genetischen Indikationsgebiete jedoch durch maßgeschnei- Daten kommen. Doch Hessen ist auch ein füh- derte Therapien abgedeckt werden, desto leich- render IT-Standort. Und so verwundert es nicht, ter wird das Konzept Fuß im klinischen Alltag dass auch für diese Aufgabenstellung in Hessen der Mediziner und im Bewusstsein der Patien- bereits Antworten entwickelt werden. ten fassen. Und erst wenn die personalisierte Medizin eine kritische Masse erreicht hat, kön- nen auch die genannten Zusatznutzen zum Tra- gen kommen. Hessen ist mit seinen kleinen und mittelstän- dischen Biotech-Unternehmen und den Global Playern der Pharmabranche gut aufgestellt, um diesen Ansatz weiter voranzutreiben. Es ge- schieht viel in diesem Land, das eine reiche me- dizinisch-pharmazeutische Tradition hat. Doch Forschung und Entwicklung sind nicht alles. Foto: Sanofi-Aventis Mehr denn je geht es heute bei allem Fortschritt immer auch um die gesellschaftliche Akzeptanz. Im Bereich der personalisierten Medizin liegt das Misstrauenspotenzial vor allem im Datenschutz. Stärkere Vernetzung der Biobanken Vernetzung braucht Standards Die erfolgreiche Entwicklung maßgeschnei- Qualitätsstandards im Bereich der Biobanken derter Therapien ist nicht ohne sogenannte unverzichtbar. Heute hat jede Uniklinik ihre Bio(material)banken möglich, in denen Körper- eigene Biobank und ihre eigenen Verfahren für substanzen wie Zellen, Gewebe und Blut so- das Einfrieren der Proben, ihre Lagerung und wie klinische Daten von Patienten gesammelt Verschickung. Auch die Abfrage der Patienten werden. Das im Aufbau befindliche Nationale zur Sammlung der klinischen Daten und die Biobanken-Register soll die Vielzahl kleiner und Zeiträume, in denen sie gespeichert werden, größerer deutscher Biobanken national und in- erfolgt noch nicht standardisiert – weder na- ternational zugänglich machen und vernetzen, tional noch international. Das soll sich mit der um die deutsche Spitzenforschung in der Auf- neuen Plattform ändern. Auf ihr können die klärung molekularer Krankheitsursachen voran- Wissenschaftler Informationen, Erfahrungen und zutreiben. Bei allen verteilten Ressourcen, die Proben austauschen und nicht zuletzt For- dezentral genutzt werden sollen, ist die einheit- schungskooperationen anstoßen. Das Nationale liche Standardisierung, Codifizierung und Qua- Biobanken-Register wird also einen entschei- litätssicherung eine alles entscheidende Bedin- denden Meilenstein in der Entwicklung der per- gung. So ist auch die Einführung einheitlicher sonalisierten Medizin darstellen. 21
Foto: Anne Grauenhorst, CASED Auch bezüglich der Regelungen des Daten- schutzes innerhalb der Biobanken zeigt Hessen Flagge. Bislang gibt es lediglich ein von einem unabhängigen Datenschutzzentrum in Schles- wig-Holstein vergebenes Gütesiegel zum Da- Die Security Engineering-Gruppe der TU Darmstadt tenschutz für Biobanken. Der hessische Daten- schutzbeauftragte Professor Michael Ronellen- fitsch will das ändern. Sein Ziel für das Jahr 2011 ist, eine entsprechende Beurteilung durch die Hessen Vorreiter auch im Datenschutz oberste Landesbehörde einzuführen. Sicher- Wissenschaftler des Sicherheitszentrums CASED heitstestate sollen also nicht länger nur als pri- und der TU Darmstadt haben Lösungen für vate, sondern als hoheitliche Leistung erbracht dieses Problem aufgezeigt. Die Professoren werden mit dem Ergebnis einer höheren Glaub- Stefan Katzenbeisser und Kay Hamacher ent- würdigkeit. Der Datenschützer sieht das Land wickelten ein mathematisches Verfahren, das es Hessen beim Datenschutz im Gesundheitsbe- erlaubt, die bereits entschlüsselten Genomda- reich in einer Leitbildfunktion, die er im Interes- ten zu nutzen und gleichzeitig zu schützen. se der Bürger wahrnehmen möchte. Ausblick Moderne Messverfahren machen Schritt für sie revolutioniert. Die fehlgeleitete Verteilung Schritt Biomarker wie einzelne Puzzlestücke finanzieller Ressourcen, wie sie heute aufgrund sichtbar. Immer mehr dieser Puzzlesteine wer- fehlender Einsichten in die Wirkzusammen- den entdeckt. Vor allem kleine und mittelstän- hänge zur Tagesordnung im Gesundheitssystem dische Unternehmen mit ihrer starken Speziali- gehören, könnte deutlich reduziert werden. sierung sorgen für die notwendige Dynamik. Und vor allem – kranken Menschen kann noch besser geholfen werden. Bereits in einigen Jahren werden wir diese Puzzle- steine zu einem umfassenden Bild zusammen- Hessen ist als Standort von innovativen und setzen können und das komplexe Krankheits- wettbewerbsstarken Biotech-Unternehmen ent- geschehen auf molekularer Ebene verstehen. lang der gesamten Wertschöpfungskette der Dann tritt die Medizin tatsächlich in eine neue stratifizierenden Medizin schon heute sehr gut Ära ein und erfährt einen Quantensprung. Denn aufgestellt: von der Erforschung und Entwick- dieses umfassende Wissen, das molekulare und lung neuer Biomarker und Wirkstoffe über die biologische Prozesse zur Deckung bringen Schaffung notwendiger Voraussetzungen für kann, erlaubt die breite Anwendung der perso- effiziente Studien bis hin zur Lösungsfindung nalisierten Medizin mit ihrem therapeutischen, für gesellschaftliche Fragen. Für die Wirtschafts- aber auch volkswirtschaftlichen Nutzen. Vor- politik dieses Landes ist das Bestätigung und sorge, Diagnose und Therapie werden durch Verpflichtung zugleich. 22
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