Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien

 
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Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
Hessisches Ministerium
für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung

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Personalisierte Medizin in Hessen
Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
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    „Eine Wachstumschance für den
               Pharmastandort Hessen“
    Fünf Fragen an Dieter Posch,
    hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung

    Herr Minister, Hessen ist nach wie vor der be-     schon heute sehen. Aber nicht umsonst spricht
    deutendste Pharmastandort in Deutschland.          man in diesem Bereich gerne von sogenannten
    Neben Großunternehmen wie Sanofi-Aventis,          Nischenbustern. Je besser es gelingt, die für
    Merck und CSL Behring sind es vor allem viele      einen ganz bestimmten Wirkstoff empfängliche
    mittelständische Unternehmen, die die Quali-       Patientengruppe zu bestimmen, umso höher
    tät dieses Standortes ausmachen. Mit der per-      sind die Absatzchancen für das neue Medika-
    sonalisierten Medizin gewinnt nun ein neues        ment. Den Nutzen davon haben die Patienten,
    Segment im Pharmamarkt eine immer größere          die Krankenkassen und natürlich auch die Phar-
    Bedeutung. Welche Chancen ergeben sich da-         maunternehmen.
    raus für den Pharmastandort Hessen?
                                                       Das hessische Wirtschaftsministerium hat
    Posch: In Hessen gesellt sich zur Vielzahl hoch-   frühzeitig auf die Biotechnologie als Wachs-
    innovativer, forschender Biotech- und Phar-        tumstreiber gesetzt und die Aktionslinie
    maunternehmen eine akademische Spitzenfor-         Hessen-Biotech als Anlaufstelle zur gezielten
    schung. Diese Mischung bildet die Grundlage        Unterstützung der Biotechnologiebranche ins
    für Innovationen. Für einen so hochentwickelten    Leben gerufen. Kann die personalisierte Medi­
    Industriestandort wie Hessen sind Innovationen     zin von dieser Infrastruktur profitieren?
    der Motor für Wachstum. Innovationen, die zu
                                                       Posch: Ich glaube, dass diese Infrastruktur so-
    einer Effizienzsteigerung in der Medizin führen,
                                                       gar einer der Erfolgsfaktoren für die hessischen
    erlauben auch Medikamentenpreise, die den
                                                       Unternehmen ist. Wir sehen, dass es gerade im
    Pharmaunternehmen die Deckung ihrer hohen
                                                       Biotechnologiebereich der pharmazeutischen
    Entwicklungsaufwendungen ermöglichen. Die
                                                       Industrie immer mehr auf Zusammenarbeit und
    Entwicklung personalisierter Therapien bildet
                                                       „shared development“ ankommt. Mit unserer
    dies in hervorragender Weise ab. Ich sehe in der
                                                       Aktionslinie Hessen-Biotech fördern wir die
    personalisierten Medizin eine erhebliche Wachs-
                                                       Zusammenarbeit zwischen Industrie und Hoch-
    tumschance für den Pharmastandort Hessen.
                                                       schulen sowie unter den Unternehmen selbst.
    Aber haben denn die Medikamente der per-           Wir haben gerade gemeinsam mit der Verei-
    sonalisierten Medizin überhaupt das Marktpo-       nigung der hessischen Unternehmerverbände
    tenzial, dass die herstellenden Unternehmen        eine neue Studie zum Innovationsstandort
    einen tatsächlichen Wachstumsschub damit           Hessen vorgelegt. Sie bestätigt, dass die ent-
    erreichen können?                                  scheidenden Wettbewerbsvorteile in einer glo-
                                                       balisierten Wirtschaft aus der Bildung von Netz-
    Posch: Natürlich wird es in der personalisier-
                                                       werken kommen. Und da sind wir in Hessen mit
    ten Medizin nicht mehr im Umfang wie früher
                                                       unseren Clusterinitiativen ganz weit vorne.
    Blockbuster mit Milliardenumsätzen bei einem
    Präparat geben – auch wenn dies für einzelne       Aber ist Forschung und Entwicklung am Ende
    Wirkstoffe weiter möglich sein wird, wie wir       nicht doch vor allem eine Domäne der großen
Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
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                                                                                    Personalisierte Medizin in Hessen
                                                                                    Neue Technologien für
                                                                                    maßgeschneiderte Therapien
Foto: HA Hessen-Agentur GmbH

                                                                                    Band 13 der Schriftenreihe
                                                                                    der Aktionslinie Hessen-Biotech

                               Unternehmen? Kommt der hessische Mittel-
                               stand denn hier überhaupt vor?
                               Posch: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Natür-
                               lich erfordert gerade in der pharmazeutischen
                               Industrie die Entwicklung von Innovationen
                               eine Menge Geld und Zeit. Beides haben mit-
                               telständische Unternehmen nicht in dem Maße
                               wie große Konzerne. Aber sie verfügen häufig
                               aufgrund ihrer Spezialisierung über ein sehr
                                                                                      Inhalt                                 Seite
                               fokussiertes „Geist- und Expertisen-Kapital“,          Der Weg zur personalisierten Medizin      4
                               das sie in die Waagschale werfen können und
                               auf das die Großunternehmen angewiesen sind.           Von der Krankheit zur Therapie            6
                               Der Erfolg der großen ist ohne die kleinen und
                               mittleren Unternehmen in ihrem Umfeld gar              Wo stehen wir heute? Status Quo           8
                               nicht möglich.
                                                                                      Forschung und Markt – Hessen im Fokus 10
                               Also betrachten Sie die personalisierte Medi-
                               zin auch als weiteres Element der Innovations-
                                                                                      Der Weg in die Praxis                    20
                               strategie Hessens?
                               Posch: Unbedingt. Hessen ist ein moderner              Impressum                                21
                               Industriestandort. Es ist es auch deshalb, weil
                               wir nicht wie andere Bundesländer stark in sehr
                               traditionellen Industriebereichen verhaftet sind,
                               sondern auf die modernen und neuen Indus-
                               trien setzen können. Das macht diesen Standort
                               aus. Hier kann Innovation sich entfalten, weil sie
                               nicht von Altem gebremst wird. Die persona-
                               lisierte Medizin ist ein weiteres Beispiel dafür.
                               Vor allem auch mit ihrer Fähigkeit zur Quer-
                               vernetzung wird sie noch einiges an Potenzial
                               bringen und zur hohen Wirtschaftsleistung
                               Hessens beitragen.

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Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
Der Weg zur
           personalisierten Medizin
           Seit jeher bemühen sich Ärzte darum, die                 Psychopharmaka beispielsweise vergeht oft ein
           medizinische Behandlung auf die Bedürfnisse              Jahr, bis das richtige Medikament in der wirk-
           des einzelnen Patienten zuzuschneiden. Sie               samen Dosierung gefunden ist. Nach dem Prin-
           stützen sich dabei auf etablierte Messgrößen             zip „keine Wirkung ohne Nebenwirkung“ sind
           wie Körpergewicht oder Blutdruck.                        mit der Gabe von Arzneimitteln zudem Risiken
                                                                    verbunden.
           Der weiteren Individualisierung waren lange Zeit
           jedoch Grenzen gesetzt, wusste man doch zu               So wird geschätzt, dass jährlich etwa 17.000
           wenig über die Ursachen, warum ein und die-              Todesfälle in Deutschland auf die Folgen von
           selbe Diagnose zu sehr unterschiedlichen Krank-          Nebenwirkungen zurückzuführen sind. Könnte
           heitsverläufen führen kann und Medikamente               man die Nebenwirkungen reduzieren, würde
           bei dem einen Patienten wirken, bei einem                dies also Menschenleben retten. Die Ursachen
           anderen aber nicht. Für viele Krankheiten gibt           individuell unterschiedlicher Reaktionen stecken
           es auch heute noch keine Therapien, die allen            in den Genen. Doch sie zu finden, war bis vor
           Patienten helfen. Selbst moderne Arzneimittel            wenigen Jahren technisch unmöglich. Das hat
           zeigen oft nicht die gewünschte Wirkung. Bei             sich nun mit der Entwicklung chipbasierter Me-

1866
Der katholische Priester Johann Gregor
                                                                                    1913
                                                                                    Thomas Hunt Morgan erkennt bei
Mendel veröffentlicht Regeln der                                                    Studien an der Fruchtfliege „Drosophila
Vererbung von Merkmalen bei Erbsen.                                                 melanogaster“ weitere Regeln der
                                                                                    Vererbung.

1879
                                         1902
Walther Fleming beschreibt das
„Chromatin“ im Zellkern, das
später als die Erbsubstanz DNS
                                         Der britische Arzt Archibald Garrod
identifiziert wird.
                                         beschäftigt sich mit Stoffwechsel-
                                         erkrankungen und stellt fest, dass
                                         diese in Familien vererbt werden.
                                         Garrod erkennt, dass die Vererbungs-
                                         gesetze also auch bei Menschen gültig
                                         sind, und vermutet, die Erbanlagen
                                                                                    1953
                                                                                    James Watson und Francis Crick
                                         seien die Basis für die „chemische         veröffentlichen ein helixförmiges
                                         Individualität“ von Menschen.              Modell der DNS.

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Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
„Die personalisierte Medizin
                                                                                                                                         bietet große Vorteile für
                                                                                                                                         die Patienten, die dadurch
                                                                                                                                         wirksamer und schonender
thoden geändert. Krankheitsauslösende Varian-
                                                                                                                                         behandelt werden können.
ten in der Erbsubstanz können immer schneller
                                                                                                                                         Nonrespondern wird eine
und preiswerter identifiziert werden. Damit wur-
                                                                                                                                wirkungslose Therapie erspart und
de der Weg bereitet, um gezielt nach zellulären
                                                                                                                                die Kosten für die Behandlung von

                                                                                          Foto: Universität Frankfurt am Main
Markern – sogenannten Biomarkern – zu suchen,
                                                                                                                                Nebenwirkungen werden vermieden.“
die für eine Krankheit und deren Krankheitsver-
lauf spezifisch sind. Auch lassen sich mit ihnen                                                                                Prof. Theodor Dingermann, Institut für Pharmazeu-
Angriffsstellen in und auf den Zellen ausmachen,                                                                                tische Biologie, Universität Frankfurt am Main,
für die gezielt neue Medikamente entwickelt                                                                                     und Biotechnologiebeauftragter des Landes Hessen
werden können.

1959
Einführung des Begriffs „Pharma-
                                       1994
                                       Erster kommerziell erhältlicher DNA-
kogenetik“ durch Friedrich Vogel.      Chip auf dem Markt (HIV).
Diese befasst sich mit dem Einfluss
der unterschiedlichen genetischen
Ausstattung von Patienten auf die
Arzneimittelwirkung.
                                                                   Foto: Sanofi-Aventis

1961
Forschergruppen arbeiten an der Ent-
                                                                                                                                             2003
                                                                                                                                             Die Sequenzierung des humanen Genoms
schlüsselung des genetischen Codes.                                                                                                          ist nach 13 Jahren und Investitionen von

                                       1998                                                                                                  drei Milliarden US-Dollar abgeschlossen.

                                       Herceptin® wird von der U.S. Food
                                       and Drug Administration (FDA)
                                       zugelassen, ebenso wie der diagnos-
                                                                                                                                             ...2015
                                                                                                                                             Die Sequenzierung des Gesamtgenoms
                                       tische HER2-Test zur Identifizierung                                                                   wird vermutlich für weniger als 1.000
                                       der Zielgruppe.                                                                                       Euro zu haben sein.

                                                                                                                                                                                     5
Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
80 %
                                                                                                                    Bis zu 80 Prozent der Patienten sind auf
                                                                                                                    bestimmte Medikamente Nonresponder, das
                                                                                                                    heißt, sie können aufgrund ihres genetischen
                                                                                                                    Profils nicht von einem bestimmten Medika-
                                                                                                                    ment in der empfohlenen Dosierung profi-
                                                                                                                    tieren oder sind dadurch sogar gefährdet.

Von der Krankheit
                                                                      zur Therapie
    Krankheiten sind so verschieden wie die Men-                                                       Personalisierung der Krankheit
    schen selbst. Nach diesem Prinzip lassen sich
                                                                                                       Heute besteht bei einer Reihe von Krebser-
    zwei Ebenen unterscheiden, die bei der per-
                                                                                                       krankungen die Therapie nicht mehr aus einem
    sonalisierten Behandlung des Patienten be-
                                                                                                       physikalischen oder chemischen Streufeuer auf
    rücksichtigt werden müssen: Die Krankheit
                                                                                                       alle sich teilenden Zellen, sondern in einem
    selbst und der Patient mit seiner genetischen
                                                                                                       gezielten Angriff auf die Tumorzelle selbst. Be-
    Ausstattung.
                                                                                                       stimmte Zielstrukturen (Targets), die vornehm-
                                                                                                       lich auf diesen Tumorzellen vorhanden sind
                                                                                                       – wie beispielsweise Wachstumsrezeptoren auf
                                                                                                       der Oberfläche der Zellen –, werden durch hoch-
                                                                                                       spezifische Arzneimittel blockiert. Eine solche
                                                                                                       Zielstruktur ist beispielsweise bei Brustkrebs
                                                            „In der Krebstherapie ist
                                                                                                       der sogenannte HER2-Rezeptor, der gezielt
                                                            die personalisierte Medizin
                                                                                                       durch den Wirkstoff Trastuzumab (Herceptin®)
                                                            schon heute beim Patienten
                                                                                                       blockiert wird. Dadurch wird das Tumorwachs-
                                                            angekommen. Wir geben
                                                                                                       tum verhindert.
                                                            nicht mehr allen Patienten
                                                            das gleiche Medikament,                    Jedoch ist nur bei etwa 20 Prozent der von
                                                  sondern setzen gezielt Medikamente                   Brustkrebs betroffenen Frauen dieser Rezeptor
     Foto: Universitätsklinik Frankfurt am Main

                                                  ein, die bestimmte Strukturen der                    in solchen Mengen zu finden, dass die Behand-
                                                  Tumorzellen angreifen.“                              lung tatsächlich wirksam sein kann. Aus diesem
                                                                                                       Grund ist vor Beginn der Herceptin®-Therapie
                                                  Prof. Manfred Kaufmann, Direktor der Klinik für
                                                                                                       ein Nachweis der Wirksamkeit erforderlich.
                                                  Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universitäts-
                                                                                                       Andere Brustkrebszellen sprechen dagegen auf
                                                  klinik Frankfurt am Main
                                                                                                       Therapien wie Östrogenentzug an. In spezia-
                                                                                                       lisierten Zentren wird daher zunächst der Brust-
                                                                                                       krebssubtyp bestimmt und dann die personali-
                                                                                                       sierte Therapie begonnen.

6
Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
Personalisierung des Patienten
Abhängig von der Arzneimittelgruppe sind
einzelne Wirkstoffe bei bis zu 70 Prozent der
Patienten wirkungslos oder mit so starken Ne-
benwirkungen verbunden, dass die Therapie
abgebrochen werden muss. Hierfür ist der
individuelle Stoffwechsel verantwortlich. Er be-
stimmt, ob ein und dieselbe Arzneimittelkonzen-
tration zu hoch ist und daher Nebenwirkungen
erzeugt oder zu niedrig ist und dadurch der
therapeutische Effekt fehlt. Diese individuellen
Unterschiede legen damit fest, ob ein Mensch
auf ein Medikament anspricht oder nicht, ob
er also Responder oder Nonresponder ist. Wie
sein Stoffwechsel funktioniert, ist in den Genen           In den Genen ist festgelegt, wie der Stoffwechsel funktioniert
des Menschen festgelegt.
In der noch recht jungen Disziplin der Pharma-
kogenetik werden die Unterschiede im Stoff-
wechsel charakterisiert und dazu genutzt, für
den einzelnen Patienten eine Vorhersage über
therapeutische Wirksamkeit sowie über das
Risiko unerwünschter Wirkungen eines Arznei-
mittels zu treffen. So kann das geeignete Me-
dikament in der richtigen Dosierung ausgewählt
werden.

                   Optimale Therapie für jeden individuellen Patienten

                                                                                              unerwünschte
                     Responder                        Nonresponder
                                                                                           Arzneimittelwirkung
                Quelle: Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

                                                                                                                            7
Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
804
                                                                                     804 Millionen Euro Umsatz machten die
                                                                                     Hersteller im Jahr 2010 allein in Deutsch-

                                                                  Foto: Merck KGaA
                                                                                     land mit den Arzneimitteln, die einen
                                                                                     begleitenden Diagnostik-Test erfordern.

Wo stehen wir heute?
                                    Status quo
    Viel wird über die Zukunft der personalisierten     haben ihr Augenmerk dabei auf die Identifizie-
    Medizin gesprochen, aber aus Teilgebieten           rung und Charakterisierung neuer Biomarker als
    der Medizin wie Onkologie und Virologie ist         Basis für neue Therapien gerichtet.
    sie schon heute nicht mehr wegzudenken.
    Die Lebenserwartung von HIV-Patienten ist
                                                            18 in Deutschland zugelassene
    heute annähernd so hoch wie in der Normal-
                                                            Wirkstoffe mit Diagnostik-Test
    bevölkerung. Dies ist möglich geworden, weil
    der Medikamentencocktail jedes einzelnen                Abacavir*                      HIV/Aids
    Patienten regelmäßig der individuellen Krank-           Anastrozol                     Brustkrebs
    heitsentwicklung angepasst wird. Auch in der            Azathioprin*                   Immunsuppressivum
    Krebstherapie gibt es immer mehr Indikationen,          Cetuximab                      Darmkrebs, Kopf-/Halstumoren
    in denen individualisiert Strukturen der Tumor-         Dasatinib                      akute lymphatische Leukämie
    zellen angegriffen werden, die nur bei einem            Exemestan                      Brustkrebs
    Teil der Patienten vorhanden sind. Aktuell sind         Fulvestrant                    Brustkrebs
    18 Wirkstoffe in Deutschland zugelassen, die in         Gefitinib                       Lungenkrebs
    Begleitung mit einem Diagnostik-Test einge-             Imatinib                       bestimmte Leukämieformen
    setzt werden.                                           Lapatinib                      Brustkrebs
                                                            Letrozol                       Brustkrebs
    Während die personalisierte Medizin beispiels-
                                                            Maraviroc                      HIV/Aids
    weise in der Onkologie schon in der täglichen
                                                            Mercaptopurin*                 Onkologie
    Praxis angekommen ist, ist dies in anderen Teil-
                                                            Nilotinib                      chronisch myeloische Leukämie
    gebieten der Medizin noch nicht so weit. Doch
                                                            Panitumumab                    Darmkrebs
    auch dort ist das Interesse an der personalisier-
                                                            Tamoxifen                      Brustkrebs
    ten Medizin groß. Intensiv wird nach personali-
                                                            Toremifen                      Brustkrebs, Magenkrebs
    sierten Behandlungsansätzen beispielsweise bei
                                                            Trastuzumab                    Brustkrebs, Magenkrebs
    Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie
                                                            * Nur Test auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen
    Alzheimer-Erkrankung oder der Stoffwechsel-
    krankheit Diabetes geforscht. Wissenschaftler       Stand April 2011

8
Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
Medikamente wirken nicht bei allen Patienten gleich

                    Asthma-Medikament 40 %

                    Diabetes-Medikament 43 %

                    Arthritis-Medikament 50 %

                   Medikament wirkt        Medikament ist wirkungslos
                Quelle: Ernst & Young, Personalized Medicine Coalition, Mai 2009

Umdenken in der Pharmaindustrie                             Die Kombination von Diagnostik und Therapie
                                                            ist wegweisend für eine erfolgreiche personali-
Um die aufwendige Suche nach solchen Bio-
                                                            sierte Medizin. Das zeigt das Beispiel von Hoff-
markern effizienter zu gestalten, haben Pharma-
                                                            mann-La Roche, das die Erforschung und Ent-
firmen damit begonnen, ihre Geschäftsstrate-
                                                            wicklung neuer Medikamente und Diagnostika
gien zu verändern. Große Konzerne kooperie-
                                                            unter einem Dach vereint. Die systematische
ren immer häufiger mit Forschungsinstitutionen
                                                            Verknüpfung der beiden Geschäftsbereiche hat
und Biotechfirmen, um Zeit- und Kostenauf-
                                                            der Konzern bereits im Jahr 2006 als Konzern-
wand zu reduzieren. Ein Beispiel hierfür ist das
                                                            strategie festgelegt.
Public Private Partnership zwischen Sanofi-Aven-
tis und der Charité-Universitätsmedizin Berlin.
Die Akteure wollen in dieser Kooperation ihr
Know-how in Forschung und Entwicklung ge-
meinsam nutzen, um Patienten schneller neue
                                                                                               „Die personalisierte Me-
Medikamente für personalisierte Therapien bei
                                                                                               dizin hilft heute schon bei
Schlaganfällen und entzündlichen Autoimmun-
                                                                                               einigen Krankheiten, die
erkrankungen, wie etwa der rheumatoiden Ar-
                                                                                               für die Patienten individuell
thritis, zur Verfügung zu stellen.
                                                                                               beste Therapie zu finden
Sogar konkurrierende Pharmariesen bewegen                                                      und die Finanzmittel für
sich aufeinander zu. Der Darmstädter Konzern                                         Gesundheit effizienter einzusetzen.
Merck KGaA etwa will künftig gemeinsam mit                                           In der Zukunft wird das sicher für
Sanofi-Aventis U.S. Inc. Wirkstoffkombinationen                                      immer mehr Krankheiten gelten.“
erforschen, die spezifische Signalwege in Krebs-
                                                                                     Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung
zellen blockieren. Diese Kombinationen – ein
                                                                                     des Verbandes der forschenden Pharma-Unter-
Wirkstoff von Merck im Test mit zwei Wirk-
                                                                                     nehmen (vfa)
                                                                         Foto: vfa

stoffen von Sanofi-Aventis – werden in ersten
Studien am Menschen auf Sicherheit und Wirk-
samkeit geprüft.

                                                                                                                                      
Personalisierte Medizin in Hessen - Neue Technologien für maßgeschneiderte Therapien
50 %
                                                                      Mehr als 50 Prozent aller Biotechnologie-
                                                                      unternehmen in Hessen betreiben eine
                                                                      eigene Forschung und Entwicklung. Dies ist
                                                                      die Basis für die personalisierte Medizin.

Forschung und Markt –
                      Hessen im Fokus
     Ohne Biomarker keine personalisierte Medizin        Und noch ein zweiter Punkt wird deutlich: Bei
     – ohne Tests auf diese Marker keine Vorher-         der Breite des Forschungs- und Therapiegebietes
     sagbarkeit des Erfolgs. Nur wenn Parameter          heißt der Erfolgsfaktor der personalisierten
     existieren, die eine Gruppenzuordnung (Stra-        Medizin Interdisziplinarität. Nur die intensive
     tifizierung) der Patienten ermöglichen, kann        Vernetzung von Experten in Grundlagenfor-
     auch die optimal angepasste Therapie für sie        schung und klinischer Forschung in universitären
     gefunden und eingesetzt werden.                     Forschungseinrichtungen sowie Pharma- und
                                                         Biotechunternehmen stellt die Entwicklung der
     Das Ziel moderner Forschung in der persona-
                                                         wichtigen Marker, neuer Wirkstoffe sowie die
     lisierten Medizin ist es, solche Biomarker aus-
                                                         Entwicklung in der Klinik sicher.
     findig zu machen und darauf ausgerichtete neue
     Medikamente zu entwickeln. Biomarker sind am        Hessen und hier insbesondere die Rhein-Main-
     ganzen Prozess einer personalisierten medizi-       Region als traditioneller Pharmastandort leistet
     nischen Behandlung beteiligt. Das beginnt mit       auf der gesamten Prozesskette einen wesent-
     dem Erkennen der Krankheit (diagnostische           lichen Beitrag zur Entwicklung der personali-
     Marker), geht über die Vorhersage des wahr-         sierten Medizin. Hier sind bedeutende Player
     scheinlichen Krankheitsverlaufs (prognostische      der Biotechnologie zu Hause. Und wie so häufig
     Marker) und reicht bis zur Auswahl der richtigen    in Spezialgebieten tragen auch hier zur Wert-
     Therapie in Form der medikamentösen Be-             schöpfung nicht nur die großen Pharmakon-
     handlung und Dosierung. Flankiert wird diese        zerne, sondern gerade auch die kleinen und
     Prozesskette durch die Risikoforschung zur Ent-     mittelständischen Biotechunternehmen bei.
     stehung von Krankheiten sowie zu den Angriffs-
     punkten für neue Medikamente.
     Damit wird eines sofort klar: Dreh- und Angel-
     punkt der personalisierten Medizin sind Tests
     auf das Vorhandensein bestimmter Biomarker
     und ihrer Beschaffenheit. Gerade hier sind hessi-
     sche Biotechunternehmen häufig führend.

10
Biomarker-Tests – Voraussetzung
für die individuelle Therapie

                                                                                                                 „Unsere Verantwortung
Biomarker klinisch                                                                                               endet nicht bei der Ent-
                                                                                                                 wicklung von innovativen
nutzbar machen                                                                                                   Tests für Diag­nostik und
                                                                                                                 Therapie. Wir sorgen auch
                                                                                                                 durch Schulungen für die
Wird ein ausgewählter Wirkstoff auch die ge-

                                                               Foto: TARGOS Molecular Pathology GmbH
                                                                                                       richtige Anwendung in Klinik und
wünschte Wirkung zeigen? Diese Frage im
                                                                                                       Praxis, denn erst dann stimmt das
Voraus beantworten zu können, spart Zeit,
                                                                                                       Ergebnis.“
Geld und oftmals viel Leid.
An dieser relevanten Aufgabe arbeitet in Hessen
                                                                                                       Dr. Thomas Henkel, Geschäftsführer
die Firma Targos GmbH. Das Kasseler Unterneh-
                                                                                                       TARGOS Molecular Pathology GmbH, Kassel
men verbindet dafür die Bereiche Forschung,
Entwicklung und Klinik. Mit seinen Biomarker-
Tests hilft es, spezifische Wirkstoffe und Diag­
nostika zu entwickeln und damit die Erfolgsrate
von Therapien zu erhöhen.
                                                   Targos versteht sich dabei als ganzheitlicher
Der Erfolg der noch jungen Firma, die im letz-     Dienstleister und Partner. Sind Biomarker-Tests
ten Jahr mit der Targos Development AG und         entwickelt und zugelassen, muss ihre Anwen-
der Targos Advance AG zwei Tochterunterneh-        dung noch erlernt werden. Gerade, wenn ein
men gegründet hat, kann sich sehen lassen:         solcher Test nicht völlig automatisch abläuft und
Das Unternehmen war an der Zulassung von           die Auswertung schwierig ist, müssen die An-
fünf Therapien in der personalisierten Medizin     wender geschult werden. Mit ihren Schulungs-
in den USA und Europa sowie an sieben Bio-         kursen trainiert Targos die Anwender in Klinik
marker-Zulassungen (In-vitro-Diagnostika, IvD)     und Praxis und beschleunigt damit die Anwen-
beteiligt. Mehr als 30.000 Patienten wurden        dung der Tests im klinischen Alltag – damit wis-
von dem Unternehmen in mehr als 60 weltweit        senschaftlicher Fortschritt auch beim Patienten
durchgeführten Studien analysiert. Mit seiner      ankommt.
Expertise sowohl im Bereich der Gewebepatho­
logie als auch auf dem Gebiet der Molekular­
biologie leistet das Unternehmen einen wesent-        Marktdynamik bei Biomarkern
lichen Beitrag auf dem Weg zur Zulassung von          Angaben in Milliarden US-Dollar
personalisierten Arzneimitteln und Diagnostika.
                                                      20
Auch große Konzerne wie Hoffmann-La Roche
arbeiten bei der Entwicklung der personalisier-
ten Medizin seit Jahren mit Targos zusammen.          15
Dass die Schweizer Firma selbst sowohl in der
Pharma- als auch Diagnostikforschung aktiv ist
                                                      10
und sich dennoch die Unterstützung der Hessen
sichert, unterstreicht deren Leistung auf dem
Weg zur personalisierten Medizin.                      5

                                                       0   2011                                        2012      2013     2014      2015

                                                     Onkologie                                         Herz und Gefäße      Zentralnervensystem
                                                     Infektionen                                       Autoimmunologie / Sonstige   Quelle: Ernst & Young

                                                                                                                                                      11
Die Energieversorgung                                               Im Fokus der Forschung bei ScheBo Biotech
                                                                         liegt auch die Bestimmung therapeutischer An-
     macht den Unterschied                                               griffsflächen – sogenannter Targets. Die Gieße-
                                                                         ner, die auch über Tochterunternehmen in den
                                                                         USA und Großbritannien verfügen, haben neue
     Gleich auf mehreren Gebieten nutzt das in
                                                                         Targets identifiziert und entwickeln dafür jetzt
     Gießen ansässige Unternehmen ScheBo Bio-
                                                                         auch Wirkstoffe für potenziell neue Medika-
     tech AG Biomarker für die personalisierte
                                                                         mente. Mehrere Wirkstoffe sind bereits in der
     Medizin. Das Unternehmen nimmt ins Visier,
                                                                         Pipeline. In einem nächsten Schritt sollen Ko-
     was Tumorzellen unterschiedlichster Krebser-
                                                                         operationen mit Pharmaunternehmen geschlos-
     krankungen gemeinsam ist: der Energiestoff-
                                                                         sen werden. Denn für die klinische Entwicklung
     wechsel.
                                                                         der Kandidatenwirkstoffe bedarf es aufgrund
     Krebszellen haben im Vergleich zu gesunden                          des Studienumfangs der Zusammenarbeit mit
     Zellen eine andere Energieversorgung. M2-PK                         großen Unternehmen.
     lautet der Name eines Schlüsselenzyms dieses
     veränderten Stoffwechselweges. Mit Hilfe eines
     Testsystems des Unternehmens kann die Menge                         Lösungen auch für
     des Enzyms in Blutproben bestimmt werden.
     Dadurch lässt sich bei verschiedensten Krebser-                     den Akutfall
     krankungen die Wirksamkeit der Krebstherapie
     prüfen. Responder und Nonresponder können                           Mittelhessen entwickelt sich mehr und mehr
     so unterschieden werden.                                            zu einem wichtigen Biotech-Standort. Eines
                                                                         der Unternehmen in dieser Region ist Milenia
                                                                         Biotec, das im Jahr 2000 in Bad Nauheim ge-
                                                                         gründet wurde und inzwischen seinen Sitz in
                                                                         Gießen hat.
                                         „Wir sind in der Lage, die
                                                                         Milenia Biotec entwickelt Biomarker-Tests, die
                                         Wirksamkeit von Krebsthe-
                                                                         Ärzten konkrete und schnelle Entscheidungs-
                                         rapien anhand des Tumor-
                                                                         hilfen für die weitere Behandlung bei Opera-
                                         stoffwechsels zu prüfen.
                                                                         tionen an die Hand geben. Das Ziel, einfache
                                         Die gleichen Kenntnisse
                                                                         und überall handhabbare Tests zur Bestimmung
                                         nutzen wir für die Entwick-
                                                                         von Patiententypen verfügbar zu machen, treibt
                                lung neuer Wirkstoffe und potenziell
                                                                         die Forschung bei Milenia Biotec an. Gebraucht
                                neuer Medikamente.“
                                                                         werden diese Tests für den Akutfall – wie bei-
                                                                         spielsweise im Operationssaal. Die Tests von
      Foto: ScheBo Biotech AG

                                                                         Milenia sind tatsächlich so einfach in der Hand-
                                Dr. Ursula Scheefers-Borchel, Vorstand   habung und Auswertung, dass sie praktisch
                                ScheBo Biotech AG, Gießen

     Doch nicht nur für Erkrankte sind die Test-
     systeme von ScheBo Biotech nützlich: Das
     Unternehmen bietet auch ein System zum
     Nachweis von M2-PK in Stuhlproben an, mit
     dem präventiv und nichtinvasiv Darmkrebs-
     vorsorge gemacht werden kann. Und ein Test, mit
     dem sich die Funktion der Bauchspeicheldrüse
     prüfen lässt, hat sich weltweit zum wichtigsten
     diagnostischen Marker für die nichtinvasive Tes-
     tung der Bauchspeicheldrüse entwickelt.                             Testkits werden in der Handhabung immer einfacher

12
„Eine enge Zusammen-
                                          arbeit mit Universitäten
                                          beschleunigt die Um-
                                          setzung von Lösungen
                                          in die Praxis. Hier
                                          bieten sich uns auch in
                             Mittelhessen einige Möglichkeiten,
                             die wir bereits verfolgen.“
 Foto: Milenia Biotec GmbH

                             Dr. Ralf Dostatni, Geschäftsführer
                             Milenia Biotec GmbH, Gießen

überall durchgeführt werden können. Als neues

                                                                                                                                          Foto: Merck KGaA
Anwendungsgebiet entwickelt das Unterneh-
men derzeit in Zusammenarbeit mit der Ber-
liner Charité einen Test, der nichtgenetische
Biomarker für eine personalisierte Therapie bei
                                                                     Auf der Suche nach neuen Biomarkern
Patienten mit Knochenbrüchen nutzt. Bei der
Operation werden Proben am Knochenspalt
entnommen, die auf spezifische Biomarker unter-
sucht werden. Aus ihnen lässt sich herauslesen,                      des Krebsmedikaments Herceptin® sind. Zudem
ob der Betroffene zu den 15 Prozent derjenigen                       arbeitet Abbott mit Pfizer zusammen an der Ent-
Patienten gehört, bei denen Knochenbrüche                            wicklung eines begleitenden Diagnostik-Tests
sehr schlecht heilen und in der Regel eine zwei-                     zur Auswahl von Patienten, die Kandidaten für
te Operation notwendig wird. Zeigen die un-                          die Therapie mit einer neuartigen Therapie ge-
tersuchten Parameter an, dass es sich um einen                       gen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs sind. Von
„Schlechtheiler“ handelt, werden ihm sofort                          der Behandlung können Patienten profitieren,
bei der ersten Operation Medikamente verab-                          bei denen ein bestimmtes Gen (ALK-Gen) ver-
reicht, die die Knochenbildung anregen.                              ändert ist.

Den Therapieerfolg
sicher prognostizieren                                                                                   „Als einer der Weltmarkt-
                                                                                                         führer bei In-vitro-Diagnos-
In der personalisierten Medizin spielen neben                                                            tika entwickeln wir auch
Diagnose-Tests vor allem Prüfungen zur Aus-                                                              erfolgreich Testsysteme
wahl von Patienten für eine bestimmte erfolg-                                                            für die personalisierte Me-
versprechende Therapie eine wichtige Rolle.                                                              dizin. Sowohl die eigene
                                                                                                Entwicklung als auch Kooperationen
Als eines der weltweit führenden Unterneh-
                                                                                                mit anderen großen Unternehmen
men in der Entwicklung von In-vitro-Diagnosti-
                                                                                                werden intensiv betrieben.“
ka entwickelt Abbott am Standort Wiesbaden
auch Testsysteme für die personalisierte Medi-
zin. Mit „PathVysion“ bietet das Unternehmen                                                    Hubertus Reuter, Regional Director DACH
                                                                                 Foto: Abbott

einen Test an, mit dem vorhergesagt werden                                                      Abbott Molecular, Wiesbaden
kann, ob Patienten Kandidaten für den Einsatz

                                                                                                                                          13
strategie. Die Immundiagnostik AG hat bereits
                                                                                              mehrere Testsysteme zur personalisierten Medi-
                                                                                              zin im Angebot und speist ihr Produktportfolio
                                                                                              kontinuierlich aus einer dicht gefüllten Pipe-
                                                                                              line eigener Entwicklungen. Das Unternehmen
                                                                                              sucht dabei ganz bewusst nach noch „unbesetz-
                                                                                              ten Nischen“. Diese Strategie hat aus der 1985
                                                                                              gegründeten Firma ein international agierendes
                                                                                              Diagnostikunternehmen mit Vertretungen in
                                                                                              über 30 Ländern werden lassen. Typisches Bei-
                                                                                              spiel für den Erfolg dieser Strategie ist ein mo-

                                                                       Foto: Sanofi-Aventis
                                                                                              lekularbiologischer Test, der nach genetischen
                                                                                              Variationen bei Krebspatienten sucht, die auf
                                                                                              bestimmte Chemotherapeutika mit schweren
                                                                                              Nebenwirkungen reagieren. Patienten, für die
     Labordiagnostische Tests vermeiden riskante Therapien
                                                                                              diese Behandlung sehr gefährlich ist, können so
                                                                                              schon vorher erkannt werden und eine riskante
                                                                                              Therapie lässt sich vermeiden.
     Nebenwirkungen                                                                           Die Immundiagnostik AG nutzt die gesamte
     weitgehend ausschließen                                                                  Breite ihrer Nische. So bieten die Bergsträßer
                                                                                              auch Testverfahren an, mit denen moderne
                                                                                              Therapien chronisch-entzündlicher Darmerkran-
     Das Verfolgen einer geschickten Nischen-
                                                                                              kungen wie Morbus Crohn personalisiert werden
     strategie, bei der ein sehr spezifisches Know-
                                                                                              können. Diese entzündlichen Erkrankungen wer-
     how aufgebaut und weiterentwickelt wird,
                                                                                              den durch den Botenstoff TNF-alpha gesteuert,
     hat auch schon manches mittelständische Un-
                                                                                              dessen Aktivität medikamentös mithilfe von so-
     ternehmen zum Weltmarktführer gemacht.
                                                                                              genannten TNF-alpha-Blockern eingeschränkt
     Das Diagnostikunternehmen Immundiagnostik                                                wird. Das Testsystem, das seit Kurzem auf dem
     AG aus Bensheim an der hessischen Bergstra-                                              Markt ist, zeigt den Wirkstoffspiegel von TNF-
     ße verfolgt seit einigen Jahren diese Nischen-                                           alpha-Blockern an. Ein niedriger Wert deutet
                                                                                              frühzeitig auf Probleme mit der Verträglichkeit
                                                                                              oder Verstoffwechslung des Medikaments hin.
                                                                                              Damit lässt sich die Therapie von CED-Patienten
                                                                                              deutlich besser steuern und unerwünschte Ne-
                                          „Heute entwickeln wir Tests                         benwirkungen vermeiden.
                                          für Grundlagenforschung
                                                                                              Doch das Unternehmen verspricht sich für die
                                          und angewandte Forschung,
                                                                                              Zukunft noch mehr. TNF-alpha-Blocker wer-
                                          die morgen helfen werden,
                                                                                              den nicht nur von Gastroenterologen, sondern
                                          Krankheiten vorauszusagen
                                                                                              auch von Rheumatologen verschrieben. Diese
                                          und ihnen vorzubeugen.
                                                                                              könnten von der Überwachung des Wirkstoff-
                                 Krankheitsrisiken erkennen, genaue
                                                                                              spiegels also ebenfalls profitieren.
                                 Prognosen erstellen, Präventivmaß-
                                 nahmen einleiten und kontinuierlich
      Foto: Immundiagnostik AG

                                 verfolgen – darin liegt die Zukunft.“
                                 Dr. Franz Paul Armbruster, Vorstand
                                 Immundiagnostik AG, Bensheim

14
DNA-Tests für das
richtige Medikament                                                                                         „Wir brauchen dringend
                                                                                                            klinische Studien, die zeigen,
Ob ein Medikament wirkt oder ob belastende                                                                  dass ein Patient, der wegen
Nebenwirkungen zu erwarten sind, lässt sich                                                                 einer Geno­typisierung indivi-
mit Hilfe von DNA-Tests nachweisen.                                                                         dualisiert therapiert wird, ein
                                                                                                            besseres klinisches Ergebnis
Bei diesen Tests werden die Gene abgelesen,
                                                                                                 hat als ein Patient, der nicht indivi-
die für wichtige Stoffwechselprozesse bedeut-
                                                                                                 dualisiert therapiert wird. Wichtig ist
sam sind und im Hinblick auf „falsche Buchsta-
                                                                                                 dieser Nachweis auch für die Kosten­
ben“ in der DNA überprüft. Sie sind ein Hin-
                                                                                                 übernahme durch die Krankenkassen.“
weis für Mutationen und fehlgeleitete Prozesse

                                                                             Foto: humatrix AG
im menschlichen Körper. Solche DNA-Tests                                                         Dr. Anna Eichhorn, Vorstandsmitglied
bietet das Frankfurter Unternehmen Humatrix                                                      humatrix AG, Frankfurt am Main
AG an. Das Unternehmen, das vor zehn Jahren
bei seiner Gründung mit Vaterschaftstests be-
kannt geworden war, hat sich vor fünf Jahren in-
tensiv der personalisierten Medizin zugewandt.
Inzwischen bietet es beispielsweise Genanaly-                   und daher unterschiedlich aktiv. Bei stark re-
sen an, mit denen bei einem psychisch kranken                   duzierter Enzymaktivität wird nicht genügend
Menschen geprüft werden kann, welches Me-                       Medikament in die wirksame Form umgewan-
dikament bei ihm potenziell wirksam ist. Leid-                  delt, sodass Betroffene mit Alternativtherapien
volle Monate des Ausprobierens und Wechselns                    behandelt werden sollten.
von Psychopharmaka werden so vielen Patien­
                                                                Neben patientenbezogenen Tests führt Huma-
ten erspart.
                                                                trix immer häufiger genetische Analysen für
In Kürze bringt Humatrix eine DNA-Untersu-                      pharmazeutische Unternehmen durch. Diese
chung zur Therapiesicherheit von Tamoxifen                      Tests im Rahmen klinischer Studien sollen ge-
auf den Markt. Dieses Medikament wird in der                    netische Variationen identifizieren, die die Wirk-
Brustkrebstherapie eingesetzt. Als „Pro-Drug“                   samkeit selbst und die Dauer der Wirksamkeit
muss es vom Körper jedoch erst in seine wirk-                   von Medikamenten beeinflussen. Ziel dieser
same Form umgewandelt werden. Das dafür                         Studien ist es, in Zukunft jedem Patienten das
notwendige Enzym ist bei jeder zweiten Frau                     für ihn wirksamste Medikament in der optima-
aufgrund genetischer Variationen verändert                      len Dosierung geben zu können.

Je nachdem, ob der Patient
Medikamente langsam oder          Antidepressiva-Wirkstoffe: Welche Dosis ist die richtige?
schnell verstoffwechselt,         Dosisanpassung im Vergleich zu 100 Prozent Standarddosis
muss das gleiche Medika­
                                  200
ment unterschiedlich dosiert
werden, um wirksam und
verträglich zu sein.              150

                                  100

                                   50

                                     0
                                            Imipramin        Doxepin   Maprotilin Trimipramin Desipramin Nortriptylin

                                  schlechte Metabolisierer      Intermediär-Metab.                 Schnell-Metab.    Ultraschnell-Metab.
                               Quelle: Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

                                                                                                                                           15
Verfügbares Wissen
     nutzbar machen
     Gesundheitsrelevante genetische Informatio-
     nen zu sammeln ist eine Sache, sie allen Men-
     schen zugänglich zu machen eine andere. Um
     die Informationen denjenigen zur Verfügung
     zu stellen, die sie direkt betreffen, arbeitet das
     Frankfurter Biotech-Unternehmen bio.logis
     in Kooperation mit IBM an einem Webportal
     für Privatkunden.
     Schon länger zeichnet sich ab: Der größte Auf-
     wand in der personalisierten Medizin ist nicht
     mehr der genanalytische – der wird immer ge-                          Informationen richtig interpretieren und klinisch nutzen
     ringer. Die größte Herausforderung besteht
     darin, die gewonnenen Informationen zu inter-                         Bei bio.logis kann sich ein Kunde sein persön-
     pretieren und klinisch zu nutzen. Die Motivation                      liches genetisches Profil erstellen lassen. Es
     für die Gründung von bio.logis im Jahr 2009                           wird anschließend in einer geschützten Daten-
     war daher auch, die Erkenntnisse der Human-                           bank hinterlegt. Nur er selbst hat Zugriff auf
     genetik für persönliche Gesundheitsentschei-                          seine Daten. Bei konkreten Fragestellungen,
     dungen nutzbar zu machen. Denn auch erfah-                            beispielsweise zur Verträglichkeit eines Me-
     renen Humangenetikern ist es nicht möglich,                           dikaments, kann er seine genetischen Daten
     die vielen Genvarianten mit ihren klinischen                          und die dazu gehörenden wichtigen Informa-
     Konsequenzen ohne den Einsatz von IT-Syste-                           tionen abrufen. Sein Arzt kann dann außerdem
     men zu überblicken.                                                   einen entsprechenden Befundbericht erhalten
                                                                           und diesen für wichtige Therapieentscheidun-
                                                                           gen nutzen.
                                                                           Bio.logis arbeitet damit an der Entwicklung
                                                                           zweier wichtiger Säulen der personalisierten
                                      „Was wir bei Bio.logis               Medizin: erstens an der Weiterentwicklung von
                                      als personalisierte Medizin          Genanalysen, mit denen sich Krankheitsrisiken
                                      bezeichnen, ist eine                 erkennen sowie die Wirksamkeit und Verträg-
                                      feinere Subgruppierung,              lichkeit von Medikamenten vorhersagen lassen,
                                      eine Stratifizierung auf             und zweitens an der Entwicklung neuer IT-Instru-
                                      Basis der individuellen              mente und Systeme zur Bereitstellung der wich-
                            genetischen Varianten. Damit wird              tigen Informationen, die in den Genen stecken.
                            es möglich, Medikamententhera-                 Das Unternehmen, das sich selbst auch als
                            pien sicherer und wirksamer zu                 „genetics information company“ versteht, trägt
                            machen.“                                       damit über zwei ganz unterschiedliche Ansätze
      Foto: Dieter Schwer

                                                                           zur Weiterentwicklung der personalisierten Me-
                            Prof. Daniela Steinberger, Geschäftsführerin
                                                                           dizin bei.
                            bio.logis GmbH, Frankfurt am Main

16
Biomarker in der
Medikamentenentwicklung
Auf dem Weg                                                                                 „Merck hat sich längst auf
                                                                                            stratifizierende Medizin
zum Blockbuster                                                                             eingestellt. In den meisten
                                                                                            Entwicklungsprogrammen
Biomarker sind nicht nur in der klinischen An-                                              für neue Medikamente ist
wendung, bei der Diagnostik und der Bestim-                                                 die Suche nach Biomarkern
mung von Dispositionen für die Entstehung                                                   integriert, in der Onkolo-
von Krankheiten von großer Bedeutung. Auch                                        gie sogar zu 100 Prozent.“
in der Medikamentenentwicklung spielen sie
eine immer größere Rolle, lassen sich mit
ihnen doch geeignete Zielstrukturen für neue

                                                               Foto: Merck KGaA
                                                                                  Prof. Ilhan Celik, Verantwortlicher der Biomarker
Medikamente entdecken.
                                                                                  Strategy Onkologie, Merck Serono, Darmstadt
Bei dieser Form der Medikamentenentwicklung
nimmt der Darmstädter Konzern Merck eine
Vorreiterrolle ein. Die Suche nach Biomarkern
und stratifizierten Patientengruppen hat das        konzern geht davon aus, dass das Medikament
Unternehmen zur allgemeinen Konzernstrate-          ab 2012 den Status eines Blockbusters erreicht
gie gemacht und bereits jetzt in 80 Prozent des     haben wird.
kompletten Medikamentenportfolios Biomar-
                                                    In Kooperation mit der US-amerikanischen On-
ker-Programme integriert. In der Onkologie ist
                                                    cothyreon Inc., Seattle, führt Merck zwei Phase-
es sogar schon zu hundert Prozent implemen-
                                                    III-Studien für die Krebs-Immuntherapie mit Sti-
tiert – sämtliche Entwicklungsprogramme ba-
                                                    muvax bei Lungenkrebs durch. Das Medikament
sieren auf der stratifizierten Medizin. Neben der
                                                    aktiviert das Immunsystem gegen Krebszellen,
Onkologie hat Merck die Funktionseinheit „Bio-
                                                    die einen bestimmten Rezeptor (Muc 1) produ-
marker Strategy“ auch in allen anderen Teilbe-
                                                    zieren. Dieser Rezeptor ist in vielen Krebsarten,
reichen wie Neuroerkrankungen, Entzündungs-
                                                    wie etwa Lungen-, Brust- und Prostatakrebs ver-
krankheiten oder auch Fertilität eingerichtet.
                                                    mehrt zu finden. Ebenfalls in einer Phase-III-Stu-
Sie ist in der klinischen Entwicklung aufgehängt,
                                                    die und damit weit fortgeschritten in der Ent-
um Biomarker möglichst frühzeitig in der Ent-
                                                    wicklung ist ein Wirkstoff namens Cilengitide.
wicklung zu integrieren.
                                                    Er wird bei Patienten mit neu diagnostiziertem
Dass diese Strategie funktioniert, zeigt das Bei-   Glioblastom, der aggressivsten Form von Hirn-
spiel des monoklonalen Antikörpers Erbitux®         tumoren, getestet.
(Cetuximab) – ein Medikament, das sowohl zur
Behandlung des metastasierenden Dickdarm-
krebses als auch bestimmter Tumoren im Kopf
und im Halsbereich zugelassen ist. Der Antikör-
per blockiert eine als EGF-Rezeptor bezeich-
nete Bindungsstelle auf der Krebszelle: eine
Therapie, von der viele Tumorpatienten pro-
fitieren, aber eben auch nicht alle. Deshalb ist
ein Gentest notwendig, bevor das Medikament
zum Einsatz kommen kann. Im Test wird nach
Veränderungen des sogenannten KRAS-Gens
                                                                                                                                      Foto: Merck KGaA

geschaut, die bei etwa 40 Prozent der Patienten
vorliegen. Die 60 Prozent, die keine Mutationen
aufweisen, profitieren mit hoher Wahrschein-
lichkeit von Erbitux®. Der Darmstädter Pharma-               Herstellung und Abfüllung des Wirkstoffes Erbitux®

                                                                                                                                      17
Zuckerkrankheit –
     den Schlüssel finden
     Seit Beginn 2010 wird das weltweite Diabe-
     tes-Geschäft von Sanofi-Aventis von Frankfurt
     am Main aus gesteuert. Die große F&E-Ein-
     heit „Diabetes-Division“ des Unternehmens
     forscht intensiv an personalisierten Ansätzen.

                                                                                                                               Foto: Sanofi-Aventis
     Damit engagiert sich Sanofi-Aventis auf einem
     Gebiet, auf dem die biomarkerorientierte
     personalisierte Medizin noch keineswegs all-
     täglich ist.
                                                                                Gentechnische Insulinproduktion
     Das Team von Sanofi-Aventis beschäftigt sich
     sowohl mit der Suche nach Biomarkern, mit de-                              werden. Gleiches gilt für die Entwicklung neuer
     nen sich der Krankheitsverlauf besser als bisher                           und effizienterer Wirkstoffe. Auch hier spielen
     vorhersagen lässt, als auch mit der Entwicklung                            Biomarker eine entscheidende Rolle. Beides
     neuer Wirkstoffe. Die Forschungsgruppe wurde                               wird in Frankfurt parallel vorangetrieben. Dafür
     im vergangenen Jahr in Frankfurt neu aufge-                                wird jedoch eine große Zahl an Patientendaten
     stellt und intensiviert seitdem stetig ihre Akti-                          benötigt.
     vitäten in diesem Bereich. Es besteht eine enge
                                                                                Da viele Fragestellungen im vorwettbewerb-
     Verzahnung mit anderen F&E-Funktionen wie
                                                                                lichen Bereich liegen, bieten sich hier For-
     beispielsweise dem Biomarker-Imaging.
                                                                                schungskooperationen an. Das Unternehmen ist
     Im Mittelpunkt steht der Typ-2-Diabetes, der                               Konsortialführer gleich mehrerer Projekte. Eins
     früher als Altersdiabetes bezeichnet wurde, heu-                           davon ist „imidia“, ein Netzwerk innerhalb der
     te aber immer häufiger auch junge Leute trifft.                            „Innovative Medicines Initiative“ (IMI). Experten
     Zu seiner Bekämpfung verfolgt das Unterneh-                                aus verschiedenen Instituten und Forschungs-
     men zwei Strategien: Um besser als bisher für                              organisationen sowie Biotech-Unternehmen be-
     den einzelnen Diabetespatienten abschätzten                                fassen sich darin mit der Entwicklung neuartiger
     zu können, von welcher der vorhandenen Wirk-                               Biomarker und der Organisation und Funktion
     stoffklassen er am ehesten profitieren kann,                               insulinbildender Zellen.
     müssen entsprechende Biomarker identifiziert
                                                                                Neue Kombinationen gegen Krebs
                                                                                Im Dezember vergangenen Jahres gab Sanofi-
                                                                                Aventis den Beginn einer weltweiten For-
                                                                                schungs- und Entwicklungszusammenarbeit zwi-
                                      „Wir arbeiten an einem
                                                                                schen Sanofi-Aventis U.S. Inc. und der Merck
                                      maßgeschneiderten
                                                                                KGaA in Darmstadt bekannt. Gemeinsam wollen
                                      Biomarker-Programm, um
                                                                                die beiden Unternehmen neuartige, experimen-
                                      die Wirksamkeit und Ein-
                                                                                telle Wirkstoffkombinationen gegen Krebs er-
                                      satzmöglichkeiten unserer
                                                                                forschen, die spezifische Signalwege in den ent-
                                      Wirkstoffe zu ermitteln
                                                                                arteten Zellen blockieren könnten. Oft „retten“
                             und zu verbessern.“
                                                                                sich Tumorzellen, wenn ihnen ein Signalweg
                                                                                abgeschnitten wird, über die Nutzung anderer
                                                                                Signalwege. Werden aber gleich mehrere dieser
                             Dr. Mark Brönstrup, Forschung & Entwicklung        zentralen Wege in der Zelle blockiert, könnten
      Foto: Sanofi-Aventis

                             der Diabetes-Division, Sanofi-Aventis Deutschland   so Tumorzellen möglicherweise wirksamer als
                             GmbH, Frankfurt am Main                            zuvor behandelt werden. Schon in Kürze wollen
                                                                                die Unternehmen in Phase-I-Studien Kombina-
                                                                                tionen ihrer Wirkstoffe erproben.

18
CI3 – Netzwerk für die Medizin der Zukunft
Großes Potenzial innerhalb der individualisier-       weitere Akteure der Gesundheitswirtschaft aus
ten Medizin hat die Beeinflussung des Immun-          Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen. Ziel der
systems zur Behandlung von ernsten Erkran-            Akteure ist es, die Region Rhein-Main auf dem
kungen. Immuntherapeutika haben eine sehr             Gebiet der individualisierten immuntherapeu-
hohe Spezifität und Affinität für ihr Target. Sie     tischen Arzneimittel und Behandlungsansätze an
werden bei Patienten eingesetzt, die das Target       die internationale Spitze zu führen. Dazu schafft
tatsächlich tragen, sodass antigenspezifische         CI3, das seinen Sitz in Mainz hat, ein Netzwerk
Immuninterventionen einen erfolgversprechen­          von Akteuren aus Wirtschaft, Forschung, Kran-
den Therapieansatz darstellen. Doch sind neue,        kenversorgung und Politik und bildet das inte-
kooperative Wege in Forschung, Entwicklung,           grative Element über die gesamte Innovations-
Produktion und Vertrieb erforderlich, um das          und Wertschöpfungskette. Zu den hessischen
komplexe Immunsystem als Waffe gegen Krank-           Projektpartnern gehören beispielsweise die TU
heiten auch wirklich klinisch nutzbar zu machen.      Darmstadt und die Frankfurter Goethe-Univer-
Das Cluster Individualisierte ImmunIntervention       sität, das Langener Paul-Ehrlich-Institut, das
(CI3) bringt darum länderübergreifend wich-           Georg-Speyer-Haus, Abbott, Biotest, Sanofi-
tige Unternehmen, Forschungseinrichtungen und         Aventis und Merck.

Klinische Studien für die
personalisierte Medizin                                                                                    „Krebserkrankungen beru­hen
                                                                                                           nicht auf einer einzelnen, son-
Um den Nachweis zu erbringen, dass neue                                                                    dern auf einer Kombination
Medikamente auch tatsächlich wirksam und                                                                   vieler Mutationen. Gleichzei-
verträglich sind, müssen sie in klinischen Stu-                                                            tig wird es immer mehr neue
dien erprobt werden.                                                                                       Medikamente geben, um die
                                                                                               Folgen einzelner Mutationen zu neutra-
Gerade in der personalisierten Medizin, bei der
                                                                                               lisieren. Es wird es entscheidend darauf
gezielt Subgruppen bestimmter Erkrankungen
                                                                                               ankommen, die neuen Medikamente
                                                                Foto: UCT, Frankfurt am Main

behandelt werden sollen, ist die Suche nach ei-
                                                                                               richtig und individuell zu kombinieren.“
ner ausreichenden Zahl von Studienteilnehmern
oft schwierig. Länderübergreifende Kooperatio­                                                 Prof. Dr. Hubert Serve, wissenschaftlicher Direktor
nen sind daher die Regel. Doch auch innerhalb                                                  des UCT, Frankfurt am Main
Deutschlands wird nach Lösungen gesucht. Ein
Beispiel hierfür ist ein regionales translationales
Krebskonsortium, das Professor Hubert Serve
                                                      trie und Epidemiologie federführend in einem
am Universitären Centrum für Tumorerkrankun­
                                                      Verbundprojekt mit den Universitäten Gießen
gen (UCT) in Frankfurt am Main aufgebaut hat.
                                                      und Frankfurt am Main an neuen Designs für
Neben den Unikliniken Frankfurt am Main und
                                                      klinische Studien in der personalisierten Me-
Mainz beteiligen sich daran acht weitere hessi­
                                                      dizin. Der beantragte Forschungsschwerpunkt
sche Krankenhäuser, um die Studienlage für so-
                                                      ADAMED (Adaptive statistische Methoden für
lide Tumoren zu verbessern. Serve erhofft sich
                                                      die individualisierte Medizin) versucht unter an-
von seiner hessischen Initiative eine bundesweite
                                                      derem eine flexible Anpassungsfähigkeit an die
Signalwirkung, zumal das Modellprojekt vom
                                                      Daten zu erreichen, um gewonnene Erkennt-
Bundesforschungsministerium als einer der Par­t­
                                                      nisse noch während der Studie auf eine beson-
ner für das Nationale Konsortium für Translatio-
                                                      ders aussichtsreiche Subgruppe fokussieren zu
nale Krebsforschung ausgewählt wurde.
                                                      können. Dank ADAMED könnten sich Phase-
In Marburg forscht derweil Professor Helmut           II-Studien erübrigen und benötigte Patienten-
Schäfer vom Institut für Medizinische Biome-          zahlen reduzieren lassen.

                                                                                                                                                19
Der Weg in die Praxis
          Zukunftsstudien bescheinigen der persona-          mit seinem Arzt, von dem er Mitsprache bei
          lisierten Medizin, ein wichtiger Trend, wenn       den Therapieoptionen statt bloßer Verordnung
          nicht gar ein Megatrend zu sein. Es wird er-       erwartet. Mit der personalisierten Medizin geht
          wartet, dass sie das Gesundheitssystem von         die Aufklärung einen Schritt weiter. Sie gibt
          morgen entscheidend prägen wird. Der Weg           Menschen erstmals die Chance, Informatio-
          von der Forschung in die Praxis bringt aller-      nen zu ihrem persönlichen genetischen Profil
          dings zahlreiche Veränderungen für alle Be-        zu erhalten, aus dem sich Gesundheitsrisiken
          teiligten mit sich, vor allem für Patienten und    oder bestehende Krankheiten herauslesen las-
          Ärzte.                                             sen. Das wiederum ermöglicht ihnen, über das
                                                             Verständnis für die eigene Behandlung hinaus,
          Der moderne Patient gilt als ein aufgeklärter
                                                             Verantwortung für die eigene Gesundheit zu
          Patient, der sich über seine Krankheiten und die
                                                             übernehmen und im Zweifel ihren Lebensstil
          möglichen Behandlungsmethoden informiert.
                                                             entsprechend ihren individuellen Risiken um-
          Mit diesem Hintergrund geht er in das Gespräch
                                                             zustellen. Das sind im Hinblick auf die Volksge-
                                                             sundheit wichtige Effekte einer personalisierten
                                                             Medizin.
                                                             Die Ansätze der personalisierten Medizin ver-
                                                             stärken also auch die beratende Rolle der Medi-
                                                             ziner. Denn die Interpretation der genetischen
                                                             Daten erfordert Expertenwissen. Das setzt
                                                             allerdings fundierte genetische und pharmako-
                                                             logische Kenntnisse seitens der Ärzte voraus,
                                                             worauf diese in ihrer Ausbildung heute noch
                                                             nicht ausreichend vorbereitet werden. Nicht
                                                             auszuschließen also, dass es in Zukunft neben
                                                             patientenorientiert arbeitenden Ärzten auch
                                                             analytisch arbeitende Mediziner geben wird,
                                                             die quasi als genetische Berater fungieren und
Die beratende Rolle der Mediziner nimmt zu                   behandelnde Ärzte wie Patienten unterstützen.

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Noch fehlt es der Bewegung an Breite                Um eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit
                                                    zu erhalten, müssen die datenschutzrechtlichen
Um die personalisierte Medizin in weiten Teilen
                                                    Fragen geklärt werden, die die Speicherung,
der Gesundheitsversorgung zu etablieren und
                                                    Übertragung und Nutzung von genetischen Da-
auch für den niedergelassenen Arzt zur Realität
                                                    ten mit sich bringen. Dies gilt umso mehr, als
werden zu lassen, müssen noch mehr Biomarker
                                                    auch bei der personalisierten Medizin neben
und Wirkstoffe gefunden werden. Heute liegt
                                                    dem Arzt und Patienten noch weitere Parteien
der Schwerpunkt der personalisierten Medizin
                                                    am Diagnose- und Therapiesystem beteiligt sind
eindeutig auf der Tumorbehandlung. Je mehr
                                                    und damit in Kontakt mit sensiblen genetischen
Indikationsgebiete jedoch durch maßgeschnei-
                                                    Daten kommen. Doch Hessen ist auch ein füh-
derte Therapien abgedeckt werden, desto leich-
                                                    render IT-Standort. Und so verwundert es nicht,
ter wird das Konzept Fuß im klinischen Alltag
                                                    dass auch für diese Aufgabenstellung in Hessen
der Mediziner und im Bewusstsein der Patien-
                                                    bereits Antworten entwickelt werden.
ten fassen. Und erst wenn die personalisierte
Medizin eine kritische Masse erreicht hat, kön-
nen auch die genannten Zusatznutzen zum Tra-
gen kommen.
Hessen ist mit seinen kleinen und mittelstän-
dischen Biotech-Unternehmen und den Global
Playern der Pharmabranche gut aufgestellt, um
diesen Ansatz weiter voranzutreiben. Es ge-
schieht viel in diesem Land, das eine reiche me-
dizinisch-pharmazeutische Tradition hat. Doch
Forschung und Entwicklung sind nicht alles.

                                                                                                       Foto: Sanofi-Aventis
Mehr denn je geht es heute bei allem Fortschritt
immer auch um die gesellschaftliche Akzeptanz.
Im Bereich der personalisierten Medizin liegt das
Misstrauenspotenzial vor allem im Datenschutz.              Stärkere Vernetzung der Biobanken

Vernetzung braucht Standards
Die erfolgreiche Entwicklung maßgeschnei-           Qualitätsstandards im Bereich der Biobanken
derter Therapien ist nicht ohne sogenannte          unverzichtbar. Heute hat jede Uniklinik ihre
Bio(material)banken möglich, in denen Körper-       eigene Biobank und ihre eigenen Verfahren für
substanzen wie Zellen, Gewebe und Blut so-          das Einfrieren der Proben, ihre Lagerung und
wie klinische Daten von Patienten gesammelt         Verschickung. Auch die Abfrage der Patienten
werden. Das im Aufbau befindliche Nationale         zur Sammlung der klinischen Daten und die
Biobanken-Register soll die Vielzahl kleiner und    Zeiträume, in denen sie gespeichert werden,
größerer deutscher Biobanken national und in-       erfolgt noch nicht standardisiert – weder na-
ternational zugänglich machen und vernetzen,        tional noch international. Das soll sich mit der
um die deutsche Spitzenforschung in der Auf-        neuen Plattform ändern. Auf ihr können die
klärung molekularer Krankheitsursachen voran-       Wissenschaftler Informationen, Erfahrungen und
zutreiben. Bei allen verteilten Ressourcen, die     Proben austauschen und nicht zuletzt For-
dezentral genutzt werden sollen, ist die einheit-   schungskooperationen anstoßen. Das Nationale
liche Standardisierung, Codifizierung und Qua-      Biobanken-Register wird also einen entschei-
litätssicherung eine alles entscheidende Bedin-     denden Meilenstein in der Entwicklung der per-
gung. So ist auch die Einführung einheitlicher      sonalisierten Medizin darstellen.

                                                                                                       21
Foto: Anne Grauenhorst, CASED
                                                                                          Auch bezüglich der Regelungen des Daten-
                                                                                          schutzes innerhalb der Biobanken zeigt Hessen
                                                                                          Flagge. Bislang gibt es lediglich ein von einem
                                                                                          unabhängigen Datenschutzzentrum in Schles-
                                                                                          wig-Holstein vergebenes Gütesiegel zum Da-
Die Security Engineering-Gruppe der TU Darmstadt
                                                                                          tenschutz für Biobanken. Der hessische Daten-
                                                                                          schutzbeauftragte Professor Michael Ronellen-
                                                                                          fitsch will das ändern. Sein Ziel für das Jahr 2011
                                                                                          ist, eine entsprechende Beurteilung durch die
          Hessen Vorreiter auch im Datenschutz
                                                                                          oberste Landesbehörde einzuführen. Sicher-
          Wissenschaftler des Sicherheitszentrums CASED                                   heitstestate sollen also nicht länger nur als pri-
          und der TU Darmstadt haben Lösungen für                                         vate, sondern als hoheitliche Leistung erbracht
          dieses Problem aufgezeigt. Die Professoren                                      werden mit dem Ergebnis einer höheren Glaub-
          Stefan Katzenbeisser und Kay Hamacher ent-                                      würdigkeit. Der Datenschützer sieht das Land
          wickelten ein mathematisches Verfahren, das es                                  Hessen beim Datenschutz im Gesundheitsbe-
          erlaubt, die bereits entschlüsselten Genomda-                                   reich in einer Leitbildfunktion, die er im Interes-
          ten zu nutzen und gleichzeitig zu schützen.                                     se der Bürger wahrnehmen möchte.

          Ausblick
          Moderne Messverfahren machen Schritt für                                        sie revolutioniert. Die fehlgeleitete Verteilung
          Schritt Biomarker wie einzelne Puzzlestücke                                     finanzieller Ressourcen, wie sie heute aufgrund
          sichtbar. Immer mehr dieser Puzzlesteine wer-                                   fehlender Einsichten in die Wirkzusammen-
          den entdeckt. Vor allem kleine und mittelstän-                                  hänge zur Tagesordnung im Gesundheitssystem
          dische Unternehmen mit ihrer starken Speziali-                                  gehören, könnte deutlich reduziert werden.
          sierung sorgen für die notwendige Dynamik.                                      Und vor allem – kranken Menschen kann noch
                                                                                          besser geholfen werden.
          Bereits in einigen Jahren werden wir diese Puzzle-
          steine zu einem umfassenden Bild zusammen-                                      Hessen ist als Standort von innovativen und
          setzen können und das komplexe Krankheits-                                      wettbewerbsstarken Biotech-Unternehmen ent-
          geschehen auf molekularer Ebene verstehen.                                      lang der gesamten Wertschöpfungskette der
          Dann tritt die Medizin tatsächlich in eine neue                                 stratifizierenden Medizin schon heute sehr gut
          Ära ein und erfährt einen Quantensprung. Denn                                   aufgestellt: von der Erforschung und Entwick-
          dieses umfassende Wissen, das molekulare und                                    lung neuer Biomarker und Wirkstoffe über die
          biologische Prozesse zur Deckung bringen                                        Schaffung notwendiger Voraussetzungen für
          kann, erlaubt die breite Anwendung der perso-                                   effiziente Studien bis hin zur Lösungsfindung
          nalisierten Medizin mit ihrem therapeutischen,                                  für gesellschaftliche Fragen. Für die Wirtschafts-
          aber auch volkswirtschaftlichen Nutzen. Vor-                                    politik dieses Landes ist das Bestätigung und
          sorge, Diagnose und Therapie werden durch                                       Verpflichtung zugleich.

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