Festivals und regionale Entwicklung? - Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des ...

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Festivals und regionale Entwicklung? - Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des ...
Festivals und
                       regionale Entwicklung?
                Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für
                     die Entwicklung des ländlichen Raums
              am Beispiel des Acoustic Lakeside Festivals in Kärnten

Bachelorarbeit von Jasmin Zdovc
Festivals und regionale Entwicklung? - Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des ...
Technische Universität Wien
                              Bachelorarbeit

          Festivals und
     regionale Entwicklung ?
  Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für
       die Entwicklung des ländlichen Raums
am Beispiel des Acoustic Lakeside Festivals in Kärnten
                                   Rahmen
           Seminar zur Bachelorarbeit - Erfolgsstory Raumplanung
                                  SoSe2020
                       am Institut für Raumplanung
      im Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung
               der Fakultät für Architektur und Raumplanung

                                  Verfasserin
                                 Jasmin Zdovc
                               11701321 | 033 240

                              Hauptbetreuerin
                      Univ.Prof.in Dipl.-Ing.in Sybilla Zech
     E280 - Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung

                            weitere Betreuer*innen
                 Univ.Ass. Dipl.-Ing.in Dr.techn. Petra Hirschler
                        in

     E280 - Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung
                 Univ.Ass. Dr.techn. Dipl.-Ing. Hartmut Dumke
     E280 - Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung

                              Special Thanks to:
       Verein Acoustic Lakeside, Raphael Pleschounig und Peter Plaimer

                             Wien, am 27.Juli 2020
Festivals und regionale Entwicklung? - Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des ...
Abstract
Zeitgenössische kulturelle Initiativen wie Kultur- und Musikfestivals bieten neben dem vielseitigen Angebot auch
Plattformen bzw. „Möglichkeitsräume“, um die Vernetzung und den Austausch unterschiedlicher Akteur*innen in
einer Region zu bewirken. Vor allem in ländlichen Gebieten, abseits der Landeshauptstädte, hat die Arbeit von Kultur-
initiativen viele positive Effekte für die Region und trägt zu einer nachhaltigen, langfristigen und kulturellen Regio-
nalentwicklung bei.
Vor dem Hintergrund steigender Abwanderungstendenzen junger Menschen aus ländlich geprägten Regionen wird
die Attraktivierung und Stärkung des ländlichen Raums ein immer präsenteres Raumplanungsthema. Eine wichtige
Rolle hierbei spielen kulturelle Entfaltungs- und Entwicklungsräume, die frische Impulse, gemeinschaftliches Schaf-
fen und Selbstverwirklichung ermöglichen. Für junge Menschen sind deshalb genau diese Angebote und Räume der
kulturellen Betätigung notwendig, um Perspektiven vor Ort zu entwickeln.
Ein Kultur- oder Musikfestival wird für gewöhnlich nicht aus der formellen Raumplanung heraus initiiert und konzi-
piert, dennoch kann es aber wesentlich zur Raumentwicklung beitragen und vor allem auf die regionale Dynamik
einwirken. Der Erfolg und der Nutzen einer derartigen kulturellen Initiative ist für eine Gemeinde nicht primär über
eine Umwegrentabilität abzulesen bzw. in Zahlen messbar, sondern besteht vielmehr aus langfristigen qualitativen
und atmosphärischen Auswirkungen auf die gesamte Region. In meiner Arbeit möchte ich ebendiese positiven Effek-
te eines Festivals aufzeigen. Das Acoustic Lakeside Festival in Südkärnten wird zu diesem Zweck als Fallbeispiel heran-
gezogen. Es handelt sich um ein privat initiiertes, ehrenamtlich organisiertes Kultur- und Musikfestival in der ländlich
geprägten Gemeinde Sittersdorf im Bezirk Völkermarkt.
Aus einem Mix von Literaturrecherche, Interviews und Befragungen werden Rückschlüsse gezogen, Prozesse reflek-
tiert und in Kontext gestellt. Darauf aufbauend lassen sich Handlungsempfehlungen und Orientierungshilfen für die
Akteur*innen der räumlichen Entwicklung formulieren. Ziel ist es, die positiven Effekte einer solchen Veranstaltung
auf die Entwicklung des ländlichen Raums in Zukunft noch besser nutzen zu können und Orientierungshilfen für
zukünftige Prozesse aufzuzeigen. Den Begriff der Regionalentwicklung gilt es weiterzudenken und so ein breiteres
Verständnis von Raumplanung zu generieren.
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Inhalt
                                                                                                              Überlegungen, Forschungsfragen und Vorgehensweise                       9
                                                                                                              1.1 Ausgangslage                                                         9
                                                                                                              1.3 Erkenntnisinteresse und Ziele                                       11
                                                                                                              1.4 Methodik und Vorgehensweise                                         12

                                                                                                              Theoretische Einbettung                                                 15
                                                                                                              2.1 Raumverständnisse                                                   15
                                                                                                              2.2 Soziokulturelle Ziele der Raumplanung                               15
                                                                                                              2.4 Freie Kulturinitiativen in Kärnten                                  19

                                                                                                              Das Acoustic Lakeside Festival                                          23
                                                                                                              3.1   Räumlicher Kontext                                                23
                                                                                                              3.2   Entstehungsgeschichte und Hintergrund                             26
                                                                                                              3.3   Der Austragungsstandort                                           30
                                                                                                              3.4   Die Akteursstruktur                                               33
                                                                                                              3.5   Bedeutung der Vereinsarbeit                                       40

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis                                                                             Resümee und Schlussfolgerungen                                          47
                                                                                                              4.1 Der Mehrwert eines Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung
km = Kilometer
                                                                                                                  des ländlichen Raums                                                47
u.a. = unter anderem
                                                                                                              4.2 Handlungsempfehlungen für die Akteur*innen der räumlichen
udG. = und der Gleichen
                                                                                                                  Entwicklung                                                         50
z.B. = zum Beispiel
                                                                                                              4.3 Reflexion und Ausblick                                              54
bzw. = beziehungsweise
vgl. = vergleiche
                                                                                                              Verzeichnisse                                                           57
etc. = et cetera
et al. = und andere                                                                                           5.1 Quellen                                                             57
S. = Seite                                                                                                    5.2 Abbildungen                                                         59

Der Genderstern *
Das Symbol * inkludiert bei personenbezogenen Formulierungen neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht
auch Personen, die sich nicht in das heteronormale Geschlechtssystem einordnen lassen, wollen oder können.
                                                                                                                                                                                           7
Festivals und regionale Entwicklung? - Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des ...
Überlegungen, Forschungsfragen
                                         und Vorgehensweise
                                         1.1     Ausgangslage
                                         Neben einem vielseitigen Angebot bieten zeitgenössische kulturelle Initiativen wie Kultur- und
                                         Musikfestivals auch Plattformen bzw. „Möglichkeitsräume“, um die Vernetzung und den Austausch
                                         unterschiedlicher Akteur*innen in einer Region zu ermöglichen. Vor allem in ländlichen Gebie-
                                         ten, abseits der Landeshauptstädte, hat die Arbeit von Kulturinitiativen viele positive Effekte für
                                         Regionen. Je nach Konzeption und Auslegung einer solcher Veranstaltung sowie den Zielen der
                                         Initiator*innen kann ein Festival maßgebliche Auswirkungen auf die Dynamik, Aktivierung und
                                         Entwicklung des ländlichen Raums haben – etwa durch das Spannen regionaler Netzwerke oder die
                                         kommunale Imagebildung, wodurch sich die Bürger*innen stärker mit ihrem Umfeld identifizieren.
                                         Die positiven Effekte von Festivals am Land und ihre langfristigen Auswirkungen auf den Raum

     1
                                         werden oftmals (noch) verkannt. Ortsentwicklung wird häufig nur als Entwicklung der baulichen und
                                         wirtschaftlichen Strukturen innerhalb einer Verwaltungseinheit gesehen, nicht aber als Entwicklung
                                         der Gesellschaft und der soziokulturellen Gegebenheiten in einem Gebiet. Der Erfolg und der Nutzen
                                         eines Kultur- und Musikfestivals ist für die Gemeinde nicht primär über eine Umwegrentabilität
                                         abzulesen beziehungsweise in Zahlen messbar, sondern besteht vielmehr aus langfristigen qualitati-
                                         ven Auswirkungen auf die gesamte Region. Eine objektive Bewertung ist deshalb meist nicht einfach
                                         und eine Überzeugung der politischen Entscheidungsträger*innen von der Chance, die solche Kultur-
                                         initiativen für den Ort und die Region mit sich bringen, oft schwierig (vgl. Riedelsberger 2017: 8-9).
                                         Die Abwanderung junger Menschen und die Überalterung der Gesellschaft ist eine unbestrittene
                                         Problematik vieler ländlich geprägter Gemeinden. Die aktuellen Bevölkerungsprognosen der Statis-
                                         tik Austria sind eindeutig: Österreich wächst, nur Kärnten nicht. Als einziges Bundesland verliert es
                                         Einwohner*innen. 2016 verließen 10.548 Personen Kärnten und zogen in ein anderes Bundesland.
                                         Die Mehrheit der Menschen, die wegziehen (rund 60%), ist jung und gebildet (vgl. Statistik Austria
                                         2019a, eigene Berechnungen). Es wird vom sogenannten „Brain Drain“ gesprochen: Die Abwande-
                                         rung der überdurchschnittlich gebildeten Teile einer Bevölkerung. Zeitgenössische kulturelle Initiati-
                                         ven können auf mehreren Ebenen dazu beitragen, den ländlichen Raum weiterzuentwickeln und ihn
                                         auf diese Weise für junge Menschen attraktiver zu gestalten.

8 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                            9
Festivals und regionale Entwicklung? - Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des ...
In der vorliegenden Bachelorarbeit soll deshalb der räumliche und soziokulturelle Mehrwert von
                      Kultur- und Musikfestivals in ländlichen Gebieten untersucht und aufgezeigt werden. Der Fokus liegt
                                                                                                                            1.3 Erkenntnisinteresse und Ziele
                      hierbei auf ehrenamtlich organisierten Festivals, mit der Fragestellung, in wieweit diese vernetzte   Ziel dieser Arbeit ist es, am Beispiel des Acoustic Lakeside Festivals darzustellen, welche Rolle zeitge-
                      und aktive Regionen entstehen lassen können und zur Entwicklung des ländlichen Raums beitragen.       nössische, regionale Kulturarbeit abseits „traditioneller“ Vereine spielt und wie diese zur Entwicklung
                      Anhand von einem Fallbeispiel – dem privat initiierten Acoustic Lakeside Festival in Kärnten – wird   des ländlichen Raumes beitragen kann. Es gilt abzuschätzen, inwiefern solche Veranstaltungen in
                      versucht, die Handlungsansätze sowie deren Impuls für die Orts- und Regionalentwicklung sichtbar      Zukunft als Chance und Experimentierraum zur Förderung des Austausches regionaler Akteur*innen
                      zu machen und zu reflektieren.                                                                        genutzt werden können und dazu beitragen können, Werte wie Gemeinschaftlichkeit, Identität und
                                                                                                                            Zusammenhalt in der regionalen Bevölkerung zu stärken.
                                                                                                                            Aus der Beantwortung der Forschungsfragen soll Wissen, aber vor allem Verständnis für ähnliche
                      1.2 Hypothese und Forschungsfragen                                                                    Prozesse in anderen ländlichen Regionen generiert werden. Aufgrund der Einzigartigkeit eines jeden
                      Ausgehend von der Hypothese, dass der ländliche Raum durch Kulturinitiativen gestärkt und weiter-     Festivals können keine allgemein gültigen Aussagen getroffen werden, allerdings können gewisse
                      entwickelt wird, sowie den regionalen Zusammenhalt und das regionale Identitätsgefühl kräftigt,       Handlungsempfehlungen, Hilfestellungen und Argumente aus der Aufarbeitung des Fallbeispieles
                      wurden folgende Forschungsfragen formuliert:                                                          abgeleitet und formuliert werden. So wird den Akteur*innen der räumlichen Entwicklung ein Über-
                                                                                                                            blick gegeben und neue Sichtweisen auf die Thematik aufgezeigt.
                       → Welchen Mehrwert bringen Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen             Ein weiteres Ziel meiner Arbeit ist die Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für „gesellschaftli-
                         Raums? In wieweit können diese vernetzte und aktive Regionen entstehen lassen?                     che Partizipation und Nachhaltigkeit jenseits von unmittelbar messbarem Profit“ (KUPF 2014: 1). Um
                                                                                                                            eine nachhaltige kulturelle Entwicklung in ländlichen Gebieten zu ermöglichen, ist es notwendig, in
                       → Welche Handlungsempfehlungen lassen sich für die Akteur*innen der räumlichen Entwick-              der Politik und der Gesellschaft ein breiteres Verständnis von Raumplanung sowie Gemeinde- und
                         lung formulieren?                                                                                  Regionalentwicklung zu erzeugen. Es ist essenziell Kultur und ihre Standorte in örtlichen sowie
                                                                                                                            regionalen Entwicklungsstrategien mitzudenken, zu integrieren sowie Auswirkungen und Synergien
                      Darauf aufbauend wurden folgende Fragestellungen am Fallbeispiel Acoustic Lakeside untersucht:        zwischen den unterschiedlichen Planungsfeldern zu berücksichtigen.
                                                                                                                            Die formulierten Handlungsempfehlungen sollen als Diskussionsimpuls für zukünftige Entwick-
                       → Was war der Auslöser für die Initiierung des Festivals? Was will das Veranstaltungsteam durch
                                                                                                                            lungen dienen, denn ich bin überzeugt, dass ein Entstehen, Erhalten und Weiterführen von
                         die Veranstaltung in der Region erreichen?
                                                                                                                            Kulturinitiativen mit regionalem Mehrwert nur durch einen konstruktiven Dialog zwischen allen
                                                                                                                            Beteiligten - Organisator*innen, politischen Entscheidungsträger*innen und weiteren regionalen
                       → Wie sieht das Netzwerk regionaler Akteur*innen aus, welches durch das Musikfestival entstan-
                                                                                                                            Akteur*innen - möglich ist.
                         den ist? Welche Bedeutung wird diesem Netzwerk in Bezug auf die regionale Entwicklung
                         zugeschrieben?
                                                                                                                              „Gute Konzepte und Ideen anzustoßen, innovative Impulse zu setzen, laufende Initiativen zu unterstützen
                       → Welchen Stellenwert nimmt die Vereinsarbeit und die Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit für            und zu vernetzen sowie eine Schnittstelle für zukunftsfähige Entwicklungsprozesse zu bilden [...]. Wir brau-
                         lokale und weggezogene Vereinsmitglieder ein? Was bedeutet das für die regionale Identität und       chen einen offenen Dialog auf Augenhöhe, eine gelebte Verantwortungsgemeinschaft mit den Menschen im
                         den regionalen Zusammenhalt?                                                                         Land und eine ehrliche Kommunikation.“ (Wallner 2020)

10 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                      11
Festivals und regionale Entwicklung? - Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des ...
1.4 Methodik und Vorgehensweise
                      Ausgangslage meiner Arbeit ist die eigene Beteiligung an der Organisation und Durchführung eines
                      Musikfestivals in Südkärnten. Mit der Raumplanung im Hinterkopf stelle ich mir die Frage nach den
                      Auswirkungen derartiger Veranstaltungen auf den Austragungsstandort, die Region, die hier leben-
                      den Menschen und ihre Entwicklung.
                      Um die formulierten Forschungsfragen bestmöglich zu beantworten, wird ein Methoden-Set aus
                      sozialwissenschaftlichen qualitativen und quantitativen Methoden sowie Methoden zur räumlichen
                      Analyse angewendet: Zu Beginn werden unterschiedliche Verständnisse von Raum und die soziokul-
                      turellen Ziele der Raumplanung aufgezeigt. Es folgt die theoretische Einbettung von freier Kultur-
                      arbeit und der regionalen Entwicklung mithilfe von recherchierter Fachliteratur sowie ein Überblick
                      der aktuellen Situation unabhängiger Kulturschaffender in Kärnten. Im nächsten Kapitel folgt eine
                      Beschreibung der Gemeinde Sittersdorf und des Acoustic Lakeside Festivals, seine Entstehungsge-
                      schichte sowie eine Charakterisierung und grafische Verortung des Austragungsstandortes.
                      Als Ausgangspunkt der empirischen Auseinandersetzung mit der Thematik dient ein leitfaden-
                      gestütztes Interview mit dem Initiator des Festivals, Raphael Pleschounig. Ein weiteres Experten-
                      Interview mit dem LEADER- und Regionalmanager Peter Plaimer bringt zusätzliche Sichtweisen auf
                      alternative Kulturarbeit im ländlichen Raum und dessen Mehrwert für die Regionalentwicklung ein.
                      Das Netzwerk regionaler Akteur*innen, welches durch das Musikfestival in Kärnten entstanden ist,
                      wird anhand mir vom Verein Acoustic Lakeside zur Verfügung gestellter Vereinsdaten in GIS aufbe-
                      reitet und grafisch abgebildet. Durch den Vergleich mehrerer Jahre wird untersucht, ob sich die
                      Anzahl der Vereinsmitglieder und der regionalen Kooperationspartner*innen räumlich verdichtet
                      und ausgedehnt hat. Um den Stellenwert und die Effekte der Vereinsarbeit und der Möglichkeit zur
                      aktiven Mitarbeit zu untersuchen, wurde eine Online-Umfrage über die Plattform SurveyMonkey an
                      die rund 400 freiwilligen Helfer*innen des Festivals gesendet.
                      Die Ergebnisse aus dem theoretischen und dem empirischen Teil werden in einem abschließenden
                      Kapitel zusammengetragen und daraus Handlungsempfehlungen für die Akteur*innen der räum-
                      lichen Entwicklung abgeleitet.

12 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                     13
Theoretische Einbettung
                                          Dieses Kapitel bildet die theoretische Grundlage für das Aufzeigen des räumlichen und soziokultu-
                                          rellen Mehrwerts von Kultur- und Musikfestivals im ländlichen Raum. Der Erfolg bzw. die positiven
                                          Effekte von Festivals im ländlichen Raum sind großteils nicht quantitativ messbar. Es handelt sich
                                          vielmehr um langfristige, qualitative und atmosphärische Auswirkungen auf den Austragungsstand-
                                          ort, die Region und die ansässige Bevölkerung. Aus diesem Grund ist es zu Beginn wichtig, ein breite-
                                          res Verständnis von Raum und räumlicher Entwicklung zu generieren. Raum ist mehr als die bauliche
                                          und materielle Struktur eines Ortes.

                                          2.1 Raumverständnisse
                                          Die wissenschaftliche Fachliteratur weist eine Vielzahl von unterschiedlichen Raumbegriffen auf.
                                          Die gängigsten sind derzeit die des physischen, relationalen und sozialen Raums. Je nach Planungs-
                                          absicht oder Forschungsinteresse kann sich ein*e Raumplaner*in unterschiedliche Raumbegriffe
                                          nutzbar machen, sie kombinieren und sie um eigene Theorien und Ansichten erweitern.

     2
                                          In der Stadt- und Raumsoziologie arbeiten die meisten Autor*innen heute nicht mehr mit der
                                          Annahme, dass Raum nur der materielle Hintergrund bzw. der erdgebundene Untergrund sozialer
                                          Prozesse sei. Der (physische) Naturraum ist und bleibt zwar die Grundlage sozialer Prozesse und ist
                                          Quelle und Rohstoff. Vielmehr aber wird der Raum selbst als Produkt sozialer Konstitution begriffen.
                                          Einerseits wird er durch die Gesellschaft strukturiert und laufend verändert. Andererseits wirkt er
                                          selbst auch gesellschaftsstrukturierend (vgl. Löw et al. 2007: 51).
                                          Neben dem Begriff der „Zeit“, welcher die Organisation des Nacheinanders meint, beschreibt der
                                          Begriff des „Raums“ die Organisationsform des Nebeneinanders. Räume werden dem zu Folge durch
                                          die Relation zwischen gleichzeitigen Platzierungen (auch im Sinne von Gebautem, Gewachsenem,
                                          etc.) definiert. „Nicht das Objekt ist Raum, sondern Raum spannt sich zwischen Objekten auf“ (Löw et
                                                                                                                                                  1
                                          al. 2007: 51). Diese Objekte können entweder primär1 materielle (z.B. Tische, Stühle oder Häuser)        „primär“ deutet darauf
                                                                                                                                                  hin, dass soziale Güter
                                          oder primär symbolische Güter (z.B. Lieder, Werte oder Vorschriften) sein. Da erst die miteinander      niemals nur materiell
                                                                                                                                                  oder symbolisch sind,
                                          verknüpften sozialen Güter und Menschen zum Raum werden, spricht man von einem relationalen             sondern je nach Situa-
                                                                                                                                                  tion eine Komponente
                                          Raumbegriff (vgl. Löw 2001: 153-156). Die deutsche Soziologin Martina Löw bringt in diesem Zusam-       stärker ausgeprägt ist
                                          menhang das Beispiel einer Diskothek, die zu unterschiedlichen Räumen wird, abhängig davon, ob
                                          tanzende Menschen anwesend sind oder ob es sich um eine leere Halle handelt (vgl. Löw 2001: 155).

14 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                            15
Der französische Soziologe und Sozialphilosoph Pierre Bourdieu beschäftigte sich mit der engen               beschränken. Eine kulturelle Benachteiligung ländlicher Räume hat gravierende negative Konse-
                      Verknüpfung von Struktur und Handeln. Er geht von der Grundannahme aus, dass Strukturen erst                 quenzen fürs Land, denn je stärker sich kulturelles sowie geistiges Kapital in den Städten konzent-
                      durch die handelnden Menschen geschaffen werden und diese sie auch aufrechterhalten und weiter-              riert, desto mehr junge, gut gebildete und kreative Menschen wandern aus ländlichen Regionen ab.
                      entwickeln. Die Existenz von Strukturen sei also keinesfalls vom Menschen unabhängig. Sozialer               Dem Land fehlt in weiterer Folge genau dieses kreative Potenzial für seine kulturelle und wirtschaft-
                      Raum ist für Bourdieu eine relationale (An)Ordnung von Personen oder Personengruppen in ständi-              liche Weiterentwicklung. Kunst und Kreativität sind demzufolge erfolgsentscheidend für regionale
                      ger Bewegung. Sozialer Raum sei demnach ein Raum der Beziehungen. Die Personengruppen unter-                 Identität, Arbeit, Wertschöpfung und Attraktivität für Zuzug (vgl. Pröll 2007: 125).
                      scheiden sich aufgrund unterschiedlicher Verfügungsmöglichkeiten über ökonomisches, soziales
                                                                                                                                   Im Masterplan für den ländlichen Raum listet das Bundesministerium für Land- Und Forstwirtschaft,
                      und kulturelles Kapital (vgl. Bourdieu 1991).
                                                                                                                                   Umwelt und Wasserwirtschaft Ziele für eine gezielte Förderung von kulturellem Kapital am Land auf:
                      Auch die Theorie von Christopher Dell erscheint für ein breiteres Raumverständnis hilfreich.
                                                                                                                                   →   kulturelle Chancengleichheit für den ländlichen Raum schaffen
                      Dieser interpretiert Raum - ähnliche wie Henri Lefebvre - als Produkt von handelnden Personen. Er
                                                                                                                                   →   Kreativität und Kultur am Land strukturell stärken
                      beschreibt einen „performativen Raum“ als alternatives bzw. erweiterndes Konzept für die Orts- und
1
 Performanz kann                                                                                                                   →   Plattformen für regionales Kulturschaffen etablieren
hierbei grob als      Raumentwicklung. In seinem Artikel „Die Performanz1 des Raumes“ definiert er Raum als Wechsel-
„Handlung“ über-
                                                                                                                                   →   regionale Kulturstrategien entwickeln und umsetzen
                      wirkung aus Gebautem, Improvisation und handelndem Subjekt (vgl. Dell 2007: 136-137). Diese
setzt werden                                                                                                                       →   Kreativität von Kindern gezielt fördern (Pröll 2007: 125)
                      Annahme bedeutet, dass Raum immer eine Improvisation, ein Handeln von Akteur*innen benötigt,
                      um als solcher wahrgenommen zu werden. Demnach ist der Stadt- und Ortsraum immer „in einen                   Des Weiteren wird im Bericht das Ehrenamt als unverzichtbarer Beitrag für das Zusammenleben
                      prozessualen Kontext eingebettet, der nicht als Objekt, als abgeschlossenes Produkt interpretiert            hervorgehoben. Landeshauptmann-Stellvertreter von Tirol, Josef Geisler, beschreibt das freiwillige
                      werden kann, sondern als performative Praktik verstanden werden muss“ (Dell 2007: 136).                      Engagement als Grundlage für eine funktionierende Sozialinfrastruktur sowie die Erhaltung der
                                                                                                                                   Lebensqualität am Land.
                      In diesem Sinne stellen nutzungsoffene (Frei)Flächen einen Möglichkeitsraum dar. Einen Raum, der
                      Entfaltungsmöglichkeit in einer - meist stark - nutzungsdominierten Raumverteilung bietet.                     „Die Vereine sind das Rückgrat einer lebendigen Bürgergesellschaft, die hinschaut und nicht wegschaut, um
                                                                                                                                     Herausforderungen zu bewältigen.“ (Geisler 2007: 77)

                       2.2 Soziokulturelle Ziele der Raumplanung                                                                   Das - in Österreich stark ausgeprägte - Ehrenamt und die lebendige Vereinsleben sollen deshalb
                                                                                                                                   auch in Zukunft gestärkt werden und Unternehmen, öffentliche Verwaltung, Schulen und Hoch-
                      Die Bedeutung von Kultur in der Raumplanung und -entwicklung ist unumstritten. Im Folgenden                  schulen freiwilliges Engagement ermöglichen und wertschätzen. Ein genannter Maßnahmenvor-
                      werden die soziokulturellen Ziele der Raumplanung aus den verschiedenen räumlichen Ebenen und                schlag ist die kostenfreie Bereitstellung von gemeindeeigenen Anlagen für Vereine (vgl. Geisler
                      einigen wichtigen Planungsinstrumenten zusammengetragen. Im Kärntner Raumordnungsgesetz                      2007: 78). Ein weiterer Vorschlag ist der Aufbau regionaler „Ehrenamtsbörsen“. Diese sollen zur
                      ist der Begriff der Raumplanung wie folgt definiert:                                                         besseren Vernetzung der Vereine beitragen. Terminkoordinierung, Zusammenführung von freiwil-
                                                                                                                                   ligen Helfer*innen, Nutzung der örtlichen Raum- und Infrastruktur sind hierbei genannte Stichwör-
                        „Raumordnung ist die vorausschauende planmäßige Gestaltung des Gesamtraumes und der Teilräume des          ter (vgl. Geisler 2007: 79).
                        Landes zur Gewährleistung der bestmöglichen Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des
                        Gemeinwohles unter Bedachtnahme auf die natürlichen und historisch gewachsenen Gegebenheiten, die          Die freie Kulturinitiative des Acoustic Lakeside Festivals verbindet zeitgenössische Kunst und Kultur
                        ökologischen Erfordernisse, die abschätzbaren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der   im ländlichen Raum mit dem ehrenamtlichen Engagement der Menschen aus der Region. Im Kultur-
                        Bevölkerung sowie die freie Entfaltung des einzelnen in der Gemeinschaft.“ (Art. 1 Abs 1 K-ROG)            verein beteiligen sich rund 400 Menschen freiwillig und unentgeltlich an der Organisation und der
                                                                                                                                   Durchführung des jährlich stattfindenden Festivals. Außerdem wird dem Festivalgelände, dem
                      Kultur und Kreativität sind Schlüsselfaktoren für eine individuelle, gesellschaftliche und wirt-             Seeareal in der Gemeinde Sittersdorf, durch die Nutzung und Bespielung der - unterm Jahr großteils
                      schaftliche Entwicklung am Land. Das Kulturgut ist deshalb auch unverzichtbar für Regionen und               brachliegenden - Flächen eine neue, temporäre Bedeutung verliehen. Beide Aspekte sind ganz im
                      ihre Zukunft. Kulturelle Angebote dürfen sich deshalb keinesfalls nur auf urbane Ballungsräume               Sinne einer nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums.

16 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                          17
2.3 Freie Kulturarbeit und regionale Entwicklung                                                                   entsteht und von der Bevölkerung getragen wird, verstanden werden. Deren „Kräfte [strahlen] in die
                                                                                                                                         Gesellschaft hinein[...] und [führen] zu nachhaltigem Wandel“ (Zembylas und Lang 2009, zit. nach
                        „Die kreativen Potenziale unserer Regionen sind gerade im modernen Informationszeitalter erfolgsent-             KUPF OÖ 2014: 1). Darauf aufbauend listet die Kulturplattform OÖ sechs wesentliche Aspekte auf, die
                        scheidend: Wissen lässt sich von überall abrufen, Kreativität hingegen nicht. Sie muss sich vor Ort entwickeln   Kulturinitiativen in ländlichen Gebieten zur regionalen Entwicklung beitragen:
                        können.“ (Pröll 2017: 125)
                                                                                                                                         → Kultur als lokales Bindemittel zwischen den Menschen: Kulturarbeit bietet die Möglichkeit zur
                      Vor dem Hintergrund der Globalisierung gilt das Feld der Kulturarbeit und der Kreativität zuneh-                     aktiven Mitarbeit und Teilhabe an der Gemeinschaft und trägt so zu einem gut funktionierenden
                      mend als „zivilgesellschaftliches Labor für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft“ (KUPF OÖ                     Gemeinwesen bei. Außerdem stimmt sie mit den „Bottom-Up“-Ansprüchen einer partizipativen
                      2014: 1). Es bietet Raum zum Experimentieren für gemeinschaftlich verwendete Ressourcen, inter-                      Regionalentwicklung (siehe Agenda21 etc.) überein.
                      disziplinäre Projekte oder einen spielerischen Zugang zu einem guten und nachhaltigen Leben vor
                                                                                                                                         → Kulturarbeit stärkt die lokale, zwischenmenschliche Kommunikation und das Miteinander
                      Ort. Kulturplattformen und Interessensgemeinschaften setzen sich für ein Kulturverständnis ein, das
                                                                                                                                           verschiedener Bevölkerungsgruppen. Sie begünstigt somit das Gefühl für wechselseitige Verant-
                      einen „Möglichkeitsraum“ im Sinne der regionalen kulturellen Vielfalt aufspannt (vgl. Unesco 2007).
                                                                                                                                           wortung und Zusammengehörigkeit.
                      Dieses beinhaltet auch das Bewusstmachen des Mehrwerts gesellschaftlicher Partizipation abseits
                      von unmittelbar messbaren Erträgen. Ökonomische Wertschöpfung oder Rentabilität von Kultur-                        → Kulturarbeit besetzt Räume, setzt diese instand und pflegt sie. Dies können Leerstände,
                      arbeit ist keinesfalls fundamental, aber nicht ausgeschlossen (vgl. KUPF OÖ 2014: 1).                                schlecht genutzte öffentliche Plätze oder normalerweise nicht bewusst wahrgenommene Orte
                                                                                                                                           sein. Die Intention ist ein möglichst offener Zugang für viele Menschen sowie ein öffentlicher
                      Die Definition der freien Kulturarbeit umfasst all jene Personen, die in regionale und urbane künst-
                                                                                                                                           Gestaltungsprozess.
                      lerische oder kulturelle Prozesse eingebunden sind und zeitgenössische Kunst und Kultur vermitteln
                      und ermöglichen. Kulturarbeit meint also nicht nur künstlerisch Tätige wie Musiker*innen, Schau-                   → Regionale Kulturarbeit schafft eine dezentrale kulturelle Nahversorgung, vor allem dort, wo
                      spieler*innen oder Autor*innen, sondern alle, die für die Umsetzung einer Kulturveranstaltung nötig                  ursprüngliche soziale Knotenpunkte wegbrechen und kommerzielle oder touristische Veranstal-
                      sind. Dazu zählen u.a. Kurator*innen, Regisseur*innen aber auch organisatorische und administrati-                   tungen nicht rentabel sind.
                      ve Kräfte sowie Selbstständige in der Technik, Grafik und Öffentlichkeitsarbeit (vgl. IG KiKK: 32).
                                                                                                                                         → Physische Räume und Kulturhäuser mit zeitgenössischer Nutzung und Experimentiermöglich-
                      In der Regel sind Kulturinitiativen als gemeinnütziger Verein organisiert. Diese arbeiten selbst-                    keiten sind wesentliche Anker- und Bezugspunkte für junge Menschen in den Regionen. Die
                      bestimmt und kontinuierlich im Bereich der zeitgenössischen Kulturvermittlung und -produktion.                       Bedeutung solcher „Inseln der Urbanität“ nimmt vor dem Hintergrund der ländlichen Abwande-
                      Anders als etablierte Kulturinitiativen ist die freie Kulturarbeit unabhängig von Gebietskörperschaf-                rungstendenzen stark zu. Sie bieten die Chance einer nachhaltigen Attraktivierung der Region
                      ten, Parteien, Kammern und Religionsgemeinschaften. Ein weiteres Kernkriterium ist der partizipa-                    für junge Menschen.
                      tive und emanzipatorische Ansatz: die flexible Arbeitsstruktur ist demokratiepolitisch und von einer
                                                                                                                                         → Kulturarbeit schafft kreativen Boden, der sich als besonders fruchtbar und innovativ erweist -
                      flachen Hierarchie gekennzeichnet und auf aktive Teilnahme der Akteur*innen ausgelegt. Speziell in
                                                                                                                                           auch für politische und wirtschaftliche Entwicklungen (vgl. KUPF OÖ 2014: 1-2).
                      Kärnten - vor dem Hintergrund der Minderheit der Kärntner Slowen*innen - liefern viele Kulturinitia-
                      tiven zudem einen wichtigen Beitrag zur Zweisprachigkeit und zum interkulturellen Dialog (vgl. IG
                      KiKK: 9). Durch das Mitwirken der ansässigen Bevölkerung sind freie Kulturinitiativen meist regional               2.4 Freie Kulturinitiativen in Kärnten
                      gut verankert und wirken gesellschaftsverändernd.
                                                                                                                                         Das Land Kärnten weist eine vielfältige und lebendige Szene freier Kulturinitiativen auf. Deren
                      Freie Kulturinitiativen zählen in der Regel zu den „kleineren Playern“ (IG KiKK: 10) im Kunst-und
                                                                                                                                         Bedeutung liegt zum einen in ihrer Funktion als Akteurinnen und Impulsgeberinnen des zeitgenös-
                      Kulturbereich, wodurch ihr Output, aber auch ihre Bedürfnisse und Ansprüche von der breiten
                                                                                                                                         sischen Kulturschaffens. Zum anderen verleiten sie zu Reflexion und Diskurs im gesellschaftlichen
                      Öffentlichkeit oft übersehen werden. Und das obwohl die Arbeit von Kulturinitiativen und Kultur-
                                                                                                                                         Zusammenleben. Eine im Frühjahr 2020 veröffentlichte Erhebung der Interessensgemeinschaft der
                      schaffenden vor allem in der Entwicklung ländlich geprägter Regionen maßgebliche gesellschaft-
                                                                                                                                         Kulturinitiativen in Kärnten/Koroška (kurz IG KiKK) gibt einen Überblick über die IST-Situation der
                      liche Auswirkungen hat. Kulturarbeit kann als Entwicklungsprozess, welcher durch Beteiligung

18 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                        19
unabhängigen Kärntner Kulturlandschaft. Die Auswertung bietet sowohl Einblick in die Arbeitsbe-         Überall dort, wo eine Kulturinitiative die benötigte Infrastruktur zur Verfügung hat, potenziert sich
                      dingungen als auch in die Leistungen der freien Kulturszene. Von 115 Initiativen, die von der IG KiKK   die Kulturarbeit und es ergeben sich Synergien für neue Ideen, Initiativen und Wirtschaftsunterneh-
                      kontaktiert wurden, nahmen 80 Kulturinitiativen an der Befragung teil.                                  mungen. So wirken Kulturinitiativen identitätsstiftend für eine ganze Region. Wo diese Infrastruktur
                                                                                                                              und nutzbare Räume über mehrere Jahre sichergestellt sind, kann eine kontinuierliche Entwicklung
                      Die Ergebnisse zeigen, dass die freien Kulturinitiativen mit über 4.750 Veranstaltungen, welche von
                                                                                                                              stattfinden (vgl. IG KiKK: 68).
                      über 350.000 Personen besucht wurden, ein unübersehbarer Faktor in der Kärntner Kulturlandschaft
                      sind. An der Befragung haben 80 Initiativen teilgenommen, wovon 54% ihren Sitz in Klagenfurt            Die Bedeutung von freien Kulturinitiativen für die regionale Entwicklung beschreibt Regional- und
                      oder Villach haben. Das Verhältnis zwischen urbaner und ländlicher freier Kulturarbeit ist also recht   LEADER-Manager Peter Plaimer im Gespräch eindrücklich anhand eines Beispiels aus der Region:
                      ausgewogen. Betrachtet man indes die regionale Streuung der kontaktierten Kulturinitiativen (siehe
                                                                                                                                „Wenn man sich anschaut, was über Kulturinitiativen alles möglich ist und welche Befruchtung dadurch in
                      Abb. 2.1), fällt die räumliche Konzentration in den zweisprachigen Gemeinden in Unterkärnten wie
                                                                                                                                einer Region passieren kann, brauch‘ ich gar nicht weit weg zu gehen, sondern bleib‘ in der Region und schau
                      beispielsweise Bleiburg, Eisenkappel oder Feistritz im Rosental auf (vgl. IG KiKK).
                                                                                                                                Richtung Bleiburg. Sie haben sich als ein Kulturhotspot in Kärnten etabliert. Und das sehr konsequent. Sie
                                                                                                                                haben eine gelebte Gesellschaft, die von der Kultur getragen wird. Das hat es zu einem sehr runden Bild
                                          Salzburg                                                Steiermarkt                   gemacht. Sie schafft unglaubliche regionale Identität. Und das kann Kultur schaffen, wenn sie von einer
                                                                                                                                kritischen Masse, von Meinungsbildnern getragen wird.“ (Plaimer, Interview, 27.05.2020)
                                                                                                                              Die Förderung und Vermittlung zeitgenössischer Kunst und Kultur trägt demzufolge zu einer
                                                                                                                              entsprechenden Standortbestimmung und Bewußtseinsbildung bei. Der Ausbau einer regionalen,
                                                                                                                              überregionalen und internationalen Vernetzung von Kulturinitiativen sowie die Beteiligung am
                    Osttirol                                                                                                  kulturpolitischen Diskurs fördert die Sensibilisierung, geistige Öffnung und die Toleranz der Gesell-
                                                                                                                              schaft (vgl. Unikum).

                                                                ITALIEN
                                                                                      SLOWENIEN

                      Abb. 2.1: Regionale Streuung der Kulturinitiativen in Kärnten

                      Eines der erhobenen Problemfelder stellt die Raumsituation der Kulturschaffenden dar. Oft werden
                      private (Wohn)Räume als Büro oder Lager genutzt und es fehlen Werkstätten, Probe- und Gruppen-
                      räume. Über 40% der Kulturinitiativen geben einen Bedarf an Veranstaltungsräumen an. So werden
                      immer wieder - auch aus konzeptionellen Gründen - interessante temporäre Spielstätten wie der
                      öffentliche Raum oder Leerstände genutzt. Nachhaltigkeit, Sichtbarkeit, Publikumsreichweite und
                      Identitätsstiftung von Kulturinitiativen stehen allerdings in direktem Zusammenhang mit einer
                      konkreten Verortung (vgl. IG KiKK 2019: 36).
                        „Freie Kulturarbeit in Kärnten/Koroška braucht ‚RAUM‘!“ (IG KiKK 2019: 38)

20 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                        21
Das Acoustic Lakeside Festival
                                          Das Acoustic Lakeside ist ein gemeinnützig organisiertes Kultur- und Musikfestival, welches seit 2006
                                          jährlich im Juli in der ländlich geprägten Gemeinde Sittersdorf in Kärnten stattfindet.

                                          3.1 Räumlicher Kontext
                                          Um den räumlichen Kontext des Fallbeispiels aufzuzeigen, erfolgt in diesem Kapitel eine Beschrei-
                                          bung der Region, in welcher das Musikfestival stattfindet sowie ihrer Besonderheiten und soziokul-
                                          turellen Gegebenheiten.

                                                                                                                                               Steiermarkt
                                                                Salzburg

                                                                                                                                       St. Veit                      Wolfsberg

     3
                                                                           Spittal

                                           Osttirol                                                                 Feldkirchen

                                                                                               Villach
                                                                                                Land
                                                                                                                                  Klagenfurt                 Völkermarkt
                                                                  Hermagor                                Villach

                                                                                                                                  Klagenfurt
                                                                                     ITALIEN                                         Land                                      LEADER-Region
                                                                                                         SLOWENIEN                                                              Unterkärnten

                                          Abb. 3.1: Die Lage im Raum                                                                                                 Gemeinde
                                                                                                                                                                     Sittersdorf

                                          Aus Sicht der Raumgliederungssystematik liegt die Gemeinde Sittersdorf in der LEADER-Region
                                          Regionalkooperation Unterkärnten. Diese wird durch die politischen Bezirke Wolfsberg und Völker-
                                          markt sowie durch den südlichen Abschnitt des politischen Bezirkes Klagenfurt-Land und zwei
                                          Gemeinden des politischen Bezirkes Villach-Land gebildet. Die Region erstreckt sich über eine
                                          Gesamtfläche von 2.375km² und bietet rund 126.000 Menschen einen Lebensraum (vgl. Plaimer,
                                          Reiner und Schönherr 2018: 1-2). Zur LEADER-Region haben sich drei Teilregionen zusammenge-
                                          schlossen, darunter der Verein Regionalentwicklung Südkärnten. Dieser stimmt mit den administra-
                                          tiven Grenzen des Bezirks Völkermarkt überein (in der Abb. 3.1. weiß strichliert dargestellt).
22 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                               23
Die Region grenzt direkt an ähnlich geprägte Lebensräume in Slowenien. Daraus leitet sich die Basis-
                      strategie ab, die Region als attraktiven Lebens- und Wirtschaftsraum im Schnittpunkt dreier Kulturen
                      zu positionieren und aufzuwerten. Dies soll durch einen verstärkten Aufbau von sektorenübergrei-                                                                                                     Völkermarkt
                      fenden, innerregionalen sowie grenzüberschreitenden Kooperationen erreicht werden (vgl. Plaimer
                      et al. 2018) Die aktuelle Lokale Entwicklungsstrategie der LAG Regionalkooperation Unterkärnten
                      2014 – 2020 läuft unter dem Titel Die Region der Generationen. Vor dem Hintergrund der steigenden
                      Abwanderung junger Leute und der Überalterung der Bevölkerung setzt das Regionalmanagement                        Klagenfurt

                      auf die Aufwertung der Lebensqualität von Jung und Alt sowie einem partizipativem Miteinander
                                                                                                                                                                                                                           Kühnsdorf
                      in der Region. Im südlichen Teil der Region ist die Minderheit der Kärntner Slowen*innen ansässig,
                      wodurch das Gebiet zweisprachig und kulturell sehr vielfältig ist. Neben slowenischen Theatergrup-
                                                                                                                                                                                                           Klopeiner See        Eberndorf
                      pen gibt es eine Vielzahl an traditionellen Vereinen, Brauchtumsgruppen, Chören, freien Kulturini-
                      tiativen udG (siehe Kapitel 2.4).                                                                                                                                                                                                 Bleiburg

                      Die Tourismusregion Klopeinersee-Südkärnten gilt als die südlichste Urlaubsregion Österreichs.
                      Insgesamt sieben Seen befinden sich in diesem Gebiet. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts stieg der                                                   Drau
                      Fremdenverkehr rund um den Klopeiner See, einem der wärmsten Badeseen Österreichs. Ab dieser
                      Zeit erlebte die Region einen konstanten wirtschaftlichen Aufschwung (vgl. Tourismusregion Klopei-                                                                                             Sittersdorf
                      nersee-Südkärnten). Das Österreichische Institut für Raumplanung (ÖIR) führte im Jahr 2007 die                     Ferlach
                      Gemeinde St. Kanzian am Klopeinersee als viert wichtigste Sommer-Tourismusgemeinde an - nach
                      Wien, Salzburg und Mittelberg (vgl. ÖIR 2008: 14). Der Tourismus prägte die regionale Wirtschafts-
                      struktur und -entwicklung und gilt auch heute noch als wichtige Erwerbsquelle für die Bevölkerung.
                      Allerdings verzeichnete die Region Südkärnten ein leichtes Nächtigungsminus in den meisten
                      Gemeinden. In den letzten Jahrzehnten wurde wenig in Renovierung und Modernisierung der Beher-                                                                                           Eisenkappel
                                                                                                                                                                                                                                                SLOWENIEN
                                                                                                                                                   5 km        N
                      bergungsbetriebe investiert, wodurch die Attraktivität der Urlaubsregion gesunken ist.
                                                                                                                                       Abb. 3.2: Regionaler Kontext
                      Umso wichtiger für die Region ist es, ein Angebot an zeitgenössischer Kultur und „jungen“ Veranstal-
                      tungen zu bieten, wodurch das Image, das viele Menschen von Kärnten haben, wieder aufgebrochen
                      werden kann. Junge Menschen werden durch kulturelle Initiativen wie bspw. den Verein Acoustic                    Die Gemeinde Sittersdorf liegt im Bezirk Völkermarkt südlich der Drau, nur 11 km Luftlinie entfernt
                      Lakeside wieder auf die Region und ihre naturräumlichen sowie touristischen Qualitäten aufmerk-                  von der slowenischen Grenze. Mit Stand 1. Jänner 2018 zählte sie 2.011 Einwohner*innen. Das durch-
                      sam. Auf diese Weise werden neue Besuchergruppen für Kärnten angesprochen. Das Musikfestival                     schnittliche Bevölkerungswachstum der letzten zehn Jahr beträgt -0,57% (vgl. Statistik Austria
                      kombiniert die ländliche Idylle mit einem zeitgenössischem musikalischen Angebot, welches für                    2019b, eigene Berechnungen). Die Gemeindefläche misst 44,95 km², davon sind rund 65% Wälder
                      gewöhnlich nur in urbanen Großstädten zu finden ist. Dadurch entsteht in den Köpfen der Menschen                 sowie 28,5% landwirtschaftliche Nutzflächen (vgl. Statistik Austria 2019c). Aufgrund der Nähe zu
                      das Bild einer aufgeschlossenen und modernen Region.                                                             den umliegenden Tourismusgemeinden St. Kanzian am Klopeiner See und Eberndorf besitzt der
                                                                                                                                       Tourismus in der Gemeinde Sittersdorf eine eher untergeordnete Rolle. Im Jahr 2018 wurden 5.334
                        „Das ist das, was das Salz in der Suppe ist in einer Region. Das macht so etwas lebenswert...oder lebenswer-   Übernachtungen verzeichnet, weniger als die Hälfte als noch im Jahr 2009 (vgl. Statistik Austria 2018,
                        ter. Spannender!“ (Plaimer, Interview, 27.05.2020)                                                             eigene Berechnungen). Die Gemeinde zählt 18 Vereine - darunter auch der Verein Acoustic Lakeside
                      Vor allem bei den Jungen bleibt und wächst die Verbundenheit zur Region durch Kultur- und Musik-                 (vgl. Gemeindehomepage Sittersdorf: Unsere Vereine).
                      veranstaltungen im ländlichen Raum anhaltend.
24 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                            25
3.2 Entstehungsgeschichte und Hintergrund                                                                  In den ersten Jahren wurde das Festival von den Mitgliedern der Band organisiert, aber mit den steigen-
                                                                                                                            den Besucher*innenzahlen wurde auch der Organisationsaufwand und somit die Anzahl der ehrenamt-             ... zum Festival
                                                                                                                                                                                                                                                am See
                 Die Entstehung des Acoustic Lakeside Festivals kann als typischer Bottom-Up-Prozess angesehen              lichen Helfer*innen in der Organisation und der Abwicklung der Veranstaltung immer größer. Um diese
                 werden. Die Veranstaltung ist aus dem Bedürfnis der Jugend entstanden, auch im ländlichen Raum -           Entwicklung zu bündeln wurde 2010 der gemeinnützige Verein Acoustic Lakeside gegründet. Dieser
                 abseits der Landeshauptstädte - nicht nur mit traditioneller, sondern auch mit zeitgenössischer Kultur     besteht aus knapp 400 Ehrenamtlichen. Viele davon leben in der Region bzw. sind hier aufgewachsen
                 versorgt zu werden.                                                                                        (siehe Kapitel 3.4).
                 Mit ungefähr 60 Besucher*innen fand das erste Acoustic Lakeside im August 2006 als akustisches             Mittlerweile hat sich das Acoustic Lakeside Festival als eines der bekanntesten „kleinen“ Festivals in
                 Konzert am Sonnegger See in Sittersorf statt. Organisiert wurde es von einer Gruppe Jugendlicher aus       Österreich etabliert. Jährlich kommen rund 4.000 Besucher*innen aus ganz Österreich und den Nach-
                 der Region, die gemeinsam in der im Jahr davor gegründeten sechsköpfigen Indie-Pop-Band Sauer              barländern an den Sonnegger See und werden 3 Tage lang mit regionaler, nationaler und internationaler
Vom Konzert
unter            spielten (vgl. Kowal 2011). Aus Unzufriedenheit über das Angebot kultureller Veranstaltungen abseits       Musik, literarischen Lesungen, morgendlichem Yoga und 2018 erstmals sogar mit einer ornithologischen
Freunden....
                 traditioneller Volksfeste und Mangel an Möglichkeiten, als Band in ihren Heimatgemeinden aufzutre-         Vogelexkursion versorgt. Ein starker Fokus liegt mittlerweile auch auf Familien mit Kindern, denn - wie
                 ten, entwickelte die Freundesgruppe den Wunsch, „was anderes zu machen, als es halt sonst so am Land       die Veranstaltung selbst - wird auch das „Stammpublikum“ älter.
                 gibt“ (Pleschounig, Interview, 26.05.2020). Im ersten Jahr teilte sich Sauer die Bühne mit zwei weiteren
                                                                                                                            Finanziert wird das Festival zum größten Teil durch die Einnahmen des Ticketverkaufs. Weitere Einkünf-
                 befreundeten Bands aus der Region. Schon bereits im Folgejahr spielten unter anderem die Musiker
                                                                                                                            te bringen Gastronomie, Sponsoring sowie Merchandising. Auf diese Weise finanziert sich der Kultur-
                 Oliver Welter und Herwig Fuzzman Zamernik von der Klagenfurter Band Naked Lunch am Sonnegger
                                                                                                                            verein selbst und macht mittlerweile sogar wirtschaftlichen Gewinn. Weiter wachsen soll das Festival
                 See. Die Idee, regionalen Künstler*innen eine Bühne zu bieten, die sie sich mit internationalen Bands
                                                                                                                            allerdings nicht: das erwirtschaftete Geld soll so eingesetzt werden, dass es dem Vereinszweck dient - es
                 teilen, kam in der kärntnerischen Kulturszene sehr gut an und erfuhr reges Interesse.
                                                                                                                            soll Kultur gefördert werden. Dies kann durch die Weiterentwicklung der Veranstaltungsstätte erfolgen
                                                                                                                            oder durch Investition des Geldes in Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen, um den
                                                                                                                            Musikunterricht aufzuwerten (vgl. Zechner und Grössing 2019).

                 Abb. 3.3: Veranstaltungsplakat 2006   Abb. 3.4: Festivalbühne 2007                                         Abb. 3.5: Festivalgelände                                   Abb. 3.6: Campfire-Bühne

                 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
26 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                              27
Im Juli 2019 fand - das erste mal seit 13 Jahren - kein Festival am See statt. Die „Schaffenspause“ wollte   Eines der Hauptziele des Vereins ist es, die Region zu gestalten und weiterzuentwickeln. Viele der
                  das Organisationsteam nutzen, um das Festival gemeinsam mit den Grundstückseigentümern und der               beteiligten Personen wollen an der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensraums teilhaben, möch-
Festivalabsage                                                                                                                                                                                                                            Die Ziele
für Juli 2019     Gemeinde Sittersdorf langfristig auf sichere Beine zu stellen. Bei dem raschen Wachstum der Veranstal-       ten aber nicht an die Orte ziehen, wo es die größte Entwicklung gibt - nämlich in die Städte. Die        des Vereins
                  tung sei auf die Weiterentwicklung des Austragungsstandortes vergessen worden. Das Festival hat über         Menschen haben das Bedürfnis „Sachen weiterzubringen und nicht stehen zu bleiben, Sachen zu
                  die Jahre eine Größe erreicht, bei der es notwendig erscheint, dass die Gemeinde über das Schaffen der       hinterfragen und Neues zu kreieren. Weil die Zeit darf einfach nie stehen bleiben, wir leben zwar am
                  Rahmenbedingungen hinaus mehr eingebunden ist.. Es bedarf einer gemeinsamen Strategie. Außer-                Land, aber möchten uns natürlich trotzdem weiterentwickeln“ (Pleschounig, Interview, 26.05.2020).
                  dem fehle auch das Verständnis, was das Festival für die regionale Entwicklung bedeutet (vgl. Zechner
                                                                                                                               Das aktive Mitwirken im Verein Acoustic Lakeside gibt den Menschen in der Region die Möglichkeit
                  und Grössing 2019). Durch die einjährige Festival-Pause konnte das Bewusstsein wachsen, dass solche
                                                                                                                               sich einzubringen, ihr Umfeld und somit auch sich selbst weiterzuentwickeln. Am Land kann ein
                  Kulturinitiativen, die etwas Neues ausprobieren und deshalb „anders“ sind, einen wertvollen Beitrag
                                                                                                                               Kulturverein als Anlaufstelle fungieren, um Projekte umzusetzen und sich auf diese Weise ein Stück
                  zur Entwicklung des ländlichen Raumes leisten. Das muss auch von den zuständigen Gremien und der
                                                                                                                               selbst zu verwirklichen. Das Veranstaltungsteam kann sich kulturpolitische Kompetenzen aneignen,
                  Politik (an)erkannt werden. Wenn die notwendige breite Unterstützung fehlt, sind derart organisierte
                                                                                                                               was nur durch Praxiserfahrung und das Ausprobieren verschiedener Optionen möglich ist. Auch der
                  Veranstaltungen oftmals nur von kurzer Dauer.
                                                                                                                               Aufbau wichtiger sozialer Netzwerke wäre ohne eine Plattform, wie sie eine freie Kulturinitiative
                  Statt des Festivals organisierte der Kulturverein im Sommer 2019 das Fest unter Freunden, ein „Wander-       schafft, nicht möglich. Durch die Arbeit im Rahmen des Festivals entsteht in der Region ein Pool an
                  konzert“ zu bekannten, versteckten, romantischen, rohen, urbanen Plätzen im nahegelegenen Bleiburg.          erfahrenen Leuten (langjährig Aktive im Kulturverein), die über Fachwissen verfügen, die gewis-
                  Der Höhepunkt der Veranstaltung fand in der „Alten Meierei“ - einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude -          se Verfahrensabläufe sowie die örtlichen, personellen und politischen Gegebenheiten der Region
                  statt. Durch die Veranstaltungen wurde eine alternative Nutzung des sanierungsbedürftigen Hofes              kennen. Diese Personen können wiederum die jüngere Generation, die sich kulturell oder anderwei-
                  aufgezeigt und ein atmosphärisch aufgeladener, urbaner - wenn auch nur temporärer - Raum geschaf-            tig engagieren will, miteinbinden, fördern und unterstützen. Die größte Schwierigkeit besteht darin,
                  fen. Dies zeigt Perspektiven auf und dient als Diskussionsimpuls für weitere Entwicklungen.                  dass die Organisation durch Amateur*innen erfolgt. Diese engagieren sich neben ihrem „norma-
                                                                                                                               len“ Beruf ehrenamtlich in der Freizeit für den Verein. Das Überwinden von persönlichen Grenzen,
                  In diesem Jahr, 2020, hätte das Festival wieder wie gewohnt am Sonnegger See stattfinden sollen, aller-
                                                                                                                               Lösungsfindungen für unerwartete Probleme und das Treffen von Entscheidungen stellen hierbei die
                  dings in einer etwas kleineren Form. Das Ticketkontingent wurde auf 2.500 Stück reduziert. Aufgrund
                                                                                                                               größten Herausforderungen dar. Das Veranstaltungsteam trägt die Verantwortung für das Wohl der
                  der Covid19-Pandemie und den damit einhergehenden Vorschriften der Bundesregierung wurde die
                                                                                                                               rund 4.000 Gäste.
                  Veranstaltung jedoch abgesagt. Ob es im Sommer 2021 wieder ein Acoustic Lakeside am See geben wird
                  oder ob der Verein ein neues Projekt konzipieren und organisieren wird, ist noch offen.                      Die Kulturinitiative sorgt nicht nur für kulturelle Diversität in der Region, sondern möchte durch ihr
                                                                                                                               Handeln auch das Bild, das viele vom Leben am Land haben, durchbrechen. Freie Kulturinitiativen
                                                                                                                               bieten den Menschen experimentellen Raum für‘s Querdenken, für Diskussionen und können neben
                                                                                                                               Feuerwehr, Landjugend, Blasmusik oder Schützenverein eine Anlaufstelle für junge Menschen im              Die Vision

                                                                                                                               ländlichen Raum sein. Der gemeinnützige Verein möchte in Zukunft für mehr als das Festival stehen:
                                                                                                                               für Progressivität, Schaffensdrang und Modernität im ländlichen Raum und somit für eine nachhal-
                                                                                                                               tige, langfristige Regionalentwicklung. Die Veranstalter*innen sehen sich als Verein verpflichtet, die
                                                                                                                               Region und das Leben am Land weiterzuentwickeln und herauszufordern (vgl. Pleschounig, Inter-
                                                                                                                               view, 26.05.2020).

Abb. 3.7: Wanderkonzert in Bleiburg 2019                         Abb. 3.8: Konzert in der „Alten Meierei“ in Bleiburg 2019

28 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                         29
3.3 Der Austragungsstandort                                                                            als „Grünland - Pflanzenschaugarten“ gewidmet sind (vgl. KAGIS 2020). Um das Grundstück weiter-
                                                                                                                             hin für gemeinnützige Zwecke nutzen zu können, müsste es neu gewidmet werden. Die temporäre
                      Die räumlichen Potenziale des Austragungsstandortes beeinflussen den Handlungsspielraum, aber          Nutzung der Flächen als Festivalgelände verträgt sich nicht mit den gesetzlichen Bestimmungen
                      vor allem die Atmosphäre von Veranstaltungen wie Kultur- und Musikfestivals, enorm. Durch die          der Flächenwidmung. Für die Durchführung der Veranstaltung bekommt der Verein zwar jährlich
                      temporäre Nutzung physischer Räume z.B. als Bühne oder Campingplatz können brach liegende              alle benötigten Bescheinigungen der zuständigen Behörden, rechtlich gesehen bewegt sich der
                      Flächen vorübergehend neu definiert und mit einer Bedeutung aufgeladen werden. Es entstehen            Verein aber in einer Grauzone. Für das Wochenende werden teilweise lediglich mündliche Freigaben
                      atmosphärische, temporäre Räume. Die Rahmenbedingungen dafür ergeben sich aus der räumli-              ausgesprochen.
                      chen und planungsrechtlichen Situation.
                                                                                                                             Um als Kulturinitiative während der Festivaltage rechtlich besser abgesichert zu sein und das
                      Das Gelände, auf dem des Acoustic Lakeside Festivals stattfindet, liegt unmittelbar am Sonnegger See   Seeareal langfristig als Veranstaltungsstandort für die Region zu sichern, ist eine entsprechende
                      in der Gemeinde Sittersdorf. Der Badesee wurde 1966 künstlich angelegt und misst eine Fläche von       Umwidmung des Stellplatzes südlich des Sees notwendig. Denkbar wäre eine Grünlandwidmung mit
                      1,7 Hektar. Das Seeareal, auf dem sich ein gemeindeeigenes Strandbad mit der Widmung „Grünland -       der Beifügung „Campingplatz“ oder „Vergnügungs- und Veranstaltungsstätte“.
                      Bad“ befindet, ist im Besitz der Gemeinde. Die angrenzenden Wiesenflächen, welche während der
                      Festivaltage als Campingplatz genutzt werden, gehören der katholischen Kirche, sind aber von der
                      Gemeinde gepachtet. Bis 2013 war auf dem Areal ein Blumenpark beheimatet, weshalb die Flächen

                                                                                                                                        Liegewiese
                                                                                                                                       Festivalareal                                                                    Sonnegger See

                                                                                                                                      temporäre
                                                                                                                                    Campingflächen
                                                                                                                                                                                                                  Seegastronomie

                                                                                                                                                            Abb. 3.10: Flächenwidmung des Seeareals

                                                                                                                             Im Örtlichen Entwicklungskonzept vom 21.12.2018 wird das Seeareal als Eignungsstandort für Sport-
                                                                                                                             und Freizeiteinrichtungen ausgewiesen. Ein formuliertes Ziel ist unter anderem die Profilfindung im
                                                                                                                             Zusammenhang mit dem Tourismus. Das Gelände soll zum einen durch Angebote für Kinder- und
                                                                                                                             Jugendgruppen (z.B. Jugendcamp, Pfadfinder, Kinderdorfcamp), zum anderen durch die Schaffung
                                                                                                                             einer öffentlich zugänglichen Parkanlage für die örtliche Bevölkerung in Wert gesetzt werden. Durch
                                                                                                                             langfristige Pachtverträge mit der katholischen Kirche sollen die Nutzungsabsichten der Gemeinde
                      Abb. 3.9: Das Festivalgelände aus der Vogelperspektive                                                 gesichert werden (vgl. Kaufmann 2018).
30 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                 31
Eine weitere Hürde ist die Ausstattung des Standortes mit technischer Infrastruktur. Zur Zeit ist der
                      Kulturverein Acoustic Lakeside noch der einzige, der das Gelände am See für eine Veranstaltung
                                                                                                                              3.4 Die Akteursstruktur
                      nutzt. Deshalb wird das Festivalgelände beziehungsweise die notwendige Infrastruktur jedes Jahr         Privat organisierte Kultur- oder Musikfestivals sind hochgradig von den Netzwerken der Organi-
                      von Grund auf neu aufgebaut. Tausende Meter Stromkabel müssen verlegt und zwei Wochen später            sator*innen abhängig. Um zu gewährleisten, dass sich die Veranstaltung nicht in einer Fremddar-
                      wieder ausgegraben werden. Für ehrenamtliche Mitglieder eines gemeinnützigen Vereins, die unent-        stellung verliert, sondern die Identität des Ortes und der Region widerspiegelt, ist die Einbindung
                      geltlich arbeiten und grundsätzlich für Entwicklung sorgen möchten, ist das natürlich entsprechend      der lokalen und regionalen Akteur*innen unumgänglich. Durch die Kooperation mit der lokalen
                      demotivierend.                                                                                          Kulturszene sowie weitere Institutionen wie der Landjugend oder örtlichen Landwirt*innen kann die
                                                                                                                              regionale Identität in ihrer Vielfalt widergespiegelt werden.
                      Wie bereits im Kapitel 3.2 kurz angeschnitten, waren die unklaren Pacht- und Nutzungsabsichten
                      des Areals einer der Gründe für das Ausfallen der Veranstaltung im Juli 2019. Aber wie hätte das        Die Gruppe der Akteur*innen umfasst sämtliche handelnde Personen, die Teil des Festivals sind. Ihre
                      verhindert werden können? Und was hätte die Raumplanung dazu beitragen können? Wenn eine                Funktionen sind vielschichtig und reichen von der Initiierung des Musikfestivals zur Bereitstellung
                      Initiative wie der Verein Acoustic Lakeside über Jahre hinweg besteht und maßgeblich zur regionalen     einer räumlichen Ressource über den Auf- und Abbau bis zur Teilnahme als Künstler*in an einem der
                      Entwicklung beiträgt, ist eine zukunftsorientierte Zusammenarbeit mit der kommunalen oder sogar         Programmpunkte: Initiator*innen und Organisator*innen, politische Entscheidungsträger*innen
                      der regionalen Planungsebene unumgänglich. Die Gemeinde oder das Regionalmanagement kann                und Grundstückseigentümer*innen, ehrenamtliche Vereinsmitglieder und freiwillige Helfer*innen,
                      hierbei die Funktion übernehmen, derartige Impulse aus der Bevölkerung wahrzunehmen und zu              (regionale) Kooperationspartner*innen, Künstler*innen, Anrainer*innen, Besucher*innen udG. Ein
                      unterstützen. Damit sind primär nicht monetäre Förderungen, sondern ein gemeinsames Verständ-           Entstehen, Erhalten und Weiterentwickeln von Kulturinitiativen mit positiven Effekten für die Region
                      nis des Projekts, Wertschätzung und die Wahrnehmung des Mehrwerts gemeint. Eine gute Zusam-             ist nur durch einen konstruktiven Dialog zwischen allen Beteiligten möglich.
                      menarbeit mit der Gemeinde ist dann möglich, wenn alle handelnden Akteur*innen eine ähnliche
                                                                                                                              Das Bilden von Netzwerken kann durchaus als wichtigster Entwicklungsparameter für eine Stadt
                      Haltung vertreten und Unterstützer*innen unter der politischen Entscheidungsträger*innenschaft
                                                                                                                              bzw. einen Ort gesehen werden. Es ist die Grundlage für das Entstehen innovativer Ideen oder inter-
                      zu finden sind, wie etwa im Gemeinderat. Ziehen alle Akteur*innen am selben Strang, können Kräfte
                                                                                                                              disziplinärer Projekte. Vereinsmitglieder, die aktiv und intensiv an der Organisation von Projekten
                      gebündelt werden. Dies kann bei Veranstaltungen wie dem Acoustic Lakeside erprobt werden. Darauf
                                                                                                                              des Vereins beteiligt sind, kommen mit einer Menge Leuten in Kontakt - auf politischer, wirtschaft-
                      aufbauend können die Erfahrungen und Kompetenzen während des Jahres für eine langfristige
                                                                                                                              licher und sozialer Ebene - und auf einmal öffnen sich Türen. Weiterführende Projektideen entstehen
                      Entwicklungsplanung genutzt werden.
                                                                                                                              oder es findet sich jemand, mit dem man sein Projekt umsetzen kann. Ein Verein kann aufgrund
                      Die Weiterentwicklung der Veranstaltungsstätte über die Grenzen des Vereins hinweg gäbe anderen         seines begrenzten Budgets meist keine neuen Arbeitsplätze in der Region schaffen, aber die
                      Kulturinitiativen aus der Region ebenfalls die Möglichkeit, Konzerte udG. zu organisieren und auf       Mitgliedschaft in einem Kulturverein und die aktive Kulturarbeit kann dennoch ein Ausgangspunkt
                      diese Weise für mehr kulturelle Diversität im ländlichen Raum zu sorgen. Ein solcher Standort muss      sein, sich zu vernetzen, selbstständig zu werden oder in einem Unternehmen in der Region einen
                      aber auch betreut und Veranstaltungen koordiniert werden. Eine derartige Strategieentwicklung ist       Arbeitsplatz zu finden. In den Augen des Festivalinitiators Raphael Pleschounig ist das Netzwerk der
                      Aufgabe des Grundstückseigentümers des Seeareals, nämlich der Gemeinde Sittersdorf. Dies ist auch       Akteur*innen mehr als lediglich eine Liste der Vereinsmitglieder:
                      im Örtlichen Entwicklungskonzept bereits formuliert.
                                                                                                                                „Du kannst einmal quer durch die Region fahren und in jeder Ortschaft stehenbleiben, und du weißt, da ist
                                                                                                                                einer, der hat ähnliche Interessen wie ich und mit dem kann ich über gewisse Dinge reden. Das find‘ ich sehr
                                                                                                                                wichtig für‘s Leben am Land.“ (Pleschounig, Interview, 26.05.2020)
                                                                                                                              Die Menschen haben einen Ort in der Region - auch wenn dieser nicht dauerhaft räumlich gebunden
                                                                                                                              ist,- wo sie wissen, dass es andere Menschen mit einer ähnlichen Lebenseinstellung gibt. Viele davon
                                                                                                                              haben aufgrund ihres Studiums auch einen urbanen Hintergrund, schätzen aber trotzdem die länd-
                                                                                                                              liche Heimat und wollen hier gewisse Interessen weiterverfolgen und aktiv am Entwicklungsprozess
                                                                                                                              ihrer Region teilhaben.
32 Festivals und regionale Entwicklung?                                                                                                                                                                                                        33
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