Öffentliches Recht - Jura Intensiv
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ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 8 Öffentliches Recht Standort: VerwR BT Problem: Sondernutzungserlaubnis für Wahlplakate VG GIEßEN, BESCHLUSS VOM 27.02.2001 scher Parteien wegen Art. 28, 21 GG jedenfalls in der 8 G 335/01 (NVWZ-RR 2001, 418) “heißen” Wahlkampfphase eine solche Ermessensredu- zierung bzgl. der Gestattung von Wahlwerbung zu beja- hen ist. Grenze des Anspruchs sind (nur) sicherheits- und Problemdarstellung: ordnungsrechtliche Aspekte (z.B. darf das Plakatieren Das VG Gießen spricht im vorliegenden, im Eilverfahren von Masten usw. die Sicherheit des Verkehrs nicht ge- nach § 123 I VwGO ergangenen Beschluss einer politi- fährden) und die abgestufte Chancengleichheit aus § 5 I schen Partei einen Anspruch gegen die Gemeinde auf PartG. Zuweisung ausreichender Flächen für die Anbringung von Wahlwerbung zu. Den entsprechenden Anspruch Im vorläufigen Rechtsschutz wäre, wenn in der Hauptsa- leitet es aus § 16 HessStrG ab; Wahlwerbung durch das che lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Ent- Plakatieren von Lichtmasten, Schildern u.ä. sei straßen- scheidung besteht, diese wegen der Eile jedoch nicht rechtlich als Sondernutzung einzustufen. Der danach mehr rechtzeitig durchgeführt werden kann, die Frage zu bestehende Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entschei- klären, ob das Gericht nicht nur die Hauptsache vorweg- dung über die Erteilung einer entsprechenden Sondernut- nehmen, sondern sogar mehr als in der Hauptsache (näm- zungserlaubnis reduziere sich in Wahlkampfzeiten jedoch lich Vornahme) zusprechen kann. Unter Hinweis auf Art. auf einen Vornahmeanspruch. Dessen Umfang sei nach 19 IV GG wird selbst dies im Einzelfall für zulässig der sogen. “abgestuften Chancengleichheit” i.S.d. § 5 I gehalten, wenn der ASt. ansonsten rechtsschutzlos ge- PartG zu bestimmen. Eine Selbstbindung anderer Partei- stellt würde (sehr str.; bejahend Schoch/Schmidt- en durch kollektiven Verzicht auf das Plakatieren von Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rz. 158; Günther, Masten, Schildern u.ä. könne hieran nichts ändern, da NVwZ 1986, 697, 702; a.A. die wohl h.M., vgl. eine solche Vereinbarung allenfalls die Unterzeichner BVerwGE 63, 110, 112; OVG Münster, NWVBl 1995, binden, nicht aber zu Lasten Dritter wirken könne. 140, 141; VGH München, NVwZ-RR 1991, 441, 442). Abschließend macht das Gericht Ausführungen zur Zu- Vertiefungshinweise: lässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des § 123 I VwGO, welche es mit Blick auf Art. 19 IV “ Zur Zulässigkeit von Wahlwerbung: BVerwGE 47, GG grds. für möglich hält, jedoch strengen Vorausset- 280; VGH Mannheim, VBlBW 1987, 310; VG Gelsen- zungen unterwirft. kirchen, NWVBl 1999, 106, 107; vgl. auch BVerfG, RA 2001, 428 zum Konflikt von Wahlwerbung und postmor- talem Persönlichkeitsrecht Prüfungsrelevanz: “ Zur Vorwegnahme der Hauptsache bei § 123 I Die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungs- VwGO: BVerwGE 63, 111; VGH München, NVwZ-RR erlaubnis steht nach den Straßen- und Wegegesetzen der 1993, 356; Adolf, JA 1990, 30 Länder grds. im Ermessen der Behörde. Wird im Wege der Verpflichtungsklage gleichwohl der Erlass einer Son- “ Zum Verhältnis der Plakatierung der Parteien unter- einander: VG Düsseldorf, NVwZ-RR 1992, 729. dernutzungserlaubnis begehrt, kann wegen fehlender Spruchreife (§ 113 V VwGO) allenfalls ein sogen. “Be- scheidungsurteil” ergehen, mit dem die Behörde zur Neu- Kursprogramm: bescheidung des Kl. verpflichtet wird, wenn sie seinen “ Examenskurs: “Der Krampf mit dem Wahlkampf” Antrag ermessensfehlerhaft abgelehnt hat. Ein “Vornah- meurteil” kommt nur bei Ermessensreduzierung auf Er- Leitsätze: teilung in Betracht, weil dann mangels verbleibenden 1. Das Recht zum Aufstellen von Wahlplakaten als Ermessensspielraums das Gericht auch bei Verpflichtung Ausprägung des Anspruchs, wirksame Wahlwerbung der Behörde nicht unzulässigerweise (vgl. § 114 VwGO) betreiben zu können, erfordert es, einer kandidieren- in selbigen eingreift, die Sache also spruchreif i.S.d. § den politischen Partei einen Aufstellort pro 100 Ein- 113 V VwGO ist. Der Examenskandidat sollte sich für wohner zur Verfügung zu stellen. den vorliegenden Fall einprägen, dass zugunsten politi- 2. Eine Vereinbarung zur Selbstbeschränkung hin- -445-
RA 2001, HEFT 8 ÖFFENTLICHES RECHT sichtlich des Plakatierens zu Wahlwerbezwecken, die 1. Anspruchsgrundlage die übrigen politischen Parteien und Gruppierungen Der Ast. steht ein Anspruch auf die Erteilung einer unterzeichnet haben, bindet nicht die Partei, die dieses Sondernutzungserläubnis gem. § 16 I Hessisches Straßen- Abkommen nicht unterzeichnet hat. gesetz (HessStrG) in dem im Tenor dargestellten Umfang zu. Nach dieser Vorschrift bedarf der Gebrauch der öf- Sachverhalt: fentlichen Straßen über den Gemeingebrauch hinaus Die Ast. ist eine Wählergruppe und tritt erstmals zu einer (Sondernutzung) der Erlaubnis der Straßenbaubehörde. Wahl an, nachdem sie von der Ag. für die am 18. 3. 2001 stattfindende Wahl zur Gemeindevertretung zu- 2. Voraussetzung: Wahlwerbung als Sondernutzung gelassen wurde. Mit Schreiben vom 18. 12. 2000 bat die Beim ortsfesten Aufstellen oder Aufhängen von Wahl- Ast. die Ag., geeignete öffentliche Plätze zur Aufstellung werbeplakaten im öffentlichen Straßenraum, etwa an von Aushangkästen zu benennen. Zusätzlich begehrte sie Lichtmasten oder Verkehrszeichen, handelt es sich, wo- die Bereitstellung entsprechender Klebeflächen und die von im Übrigen auch die Bet. zutreffend ausgehen, um Genehmigung für das Aufstellen bzw. Aufhängen von eine erlaubnispflichtige Sondernutzung in diesem Sinne Wahlwerbetafeln für die bevorstehende Kommunalwahl. (Grothe, in: Kodall/Krämer, StraßenR, 6. Aufl. 1991, S. Unter dem 26. 1. 2001 erteilte die Ag. der Ast. eine 718). "Sondernutzungserlaubnis" zur Plakatierung im Gebiet der Ag., und zwar ausschließlich an den dafür vorgesehe- 3. Rechtsfolge: Ermessen nen Stellen. Eine Auflistung der Standorte dieser Tafeln Der Magistrat der Ag., der als Straßenbaubehörde gem. war dem Bescheid als Anlage beigefügt. Das Anbringen § 16 I 1 i. V. mit §§ 46 V, 43 HessStrG für die Erteilung von Wahlplakaten an anderen Stellen, wie z. B. Licht- einer Sondernutzung in Bezug auf Gemeindestraßen zu- masten, wurde der Ast. untersagt. Diese äußerte die An- ständig ist, befindet über deren Erteilung grundsätzlich sicht, sie sehe es als massive Wahlbehinderung und Be- nach pflichtgemäßem Ermessen. nachteiligung an, dass ihr von der Ag. auf Grund des gestellten Antrags ohne Nennung einer gesetzlichen a. Ermessensreduzierung in Wahlkampfzeiten Grundlage Wahlwerbung ausschließlich an den dafür In Wahlkampfzeiten, worunter jedenfalls die letzten vorgesehenen Stellen, nämlich an den benannten Wahl- sechs Wochen vor dem festgesetzten Wahltermin zu ver- plakattafeln, erlaubt worden sei. Sie suchte um einst- stehen sind, besteht jedoch ein Anspruch im Wege einer weiligen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Der Antrag Ermessensreduzierung auf Null der zur Wahl zugelasse- hatte teilweise Erfolg. nen Parteien und Wählergruppen auf Ermöglichung an- gemessener Wahlsichtwerbung im Straßenraum durch Aus den Gründen: Bewilligung der erforderlichen Sondernutzungserlaub- Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Um- nisse (vgl. VG Gelsenkirchen, NWVBl 1999, 106, 107). fang begründet. Gem. § 123 I VwGO kann das Gericht Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einst- "Die Bedeutung von Wahlen für einen demokratischen weilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand Staat (vgl. Art. 28 I 2 und Art. 28 I GG) und die Bedeu- treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Ver- tung der Parteien für solche Wahlen, wie sie sich aus änderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung Art. 21 GG und §§ 1 ff. PartG ergibt, schränken das eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich behördliche Ermessen bei der Entscheidung über die erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind Erlaubnis zum Aufstellen von Wahlplakaten durch Par- auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug teien in so erheblichem Umfang ein, dass jedenfalls für auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese den Regelfall - in noch zu erörternden Grenzen - ein An- Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, spruch einer Partei auf Erlaubnis besteht. Die Sichtwer- um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende bung für Wahlen gehört - ebenso nach der Rechtspre- Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig chung des BVerfG die Wahlpropaganda im Rundfunk erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt (vgl. BVerfGE 14, 121, 131) - heute zu den Mitteln im demgemäß das Bestehen eines Anordnungsgrundes als Wahlkampf der politischen Parteien und ist zu einem auch eines Anordnungsanspruchs voraus. wichtigen Bestandteil der Wahlvorbereitung in der De- mokratie geworden (BVerfGE 14, 121; 34, 160, 163 I. Anordnungsanspruch gegenüber BVerfGE 7, 99, 107, wo noch dahingestellt Die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch geblieben war, ob der Rundfunk verpflichtet sei, politi- auf die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das schen Parteien Sendezeit für Wahlpropaganda einzuräu- Aufstellen von 69 Wahlwerbetafeln im Gebiet der Ag. men). Die Wahlsichtwerbung als gewissermaßen hat und jene ihr entsprechend geeignete Plätze benennen selbstverständliches Wahlkampfmittel darf daher durch muss [...]. gänzliche oder auch nur weitgehende Verweigerung vor- -446-
ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 8 gesehener Erlaubnisse grundsätzlich nicht beschnitten nicht ersichtlich. werden. Bundesrecht gibt demnach, da Parteienrecht in vollem Umfang Bundesrecht darstellt und Landes- und (2). Selbstbeschränkung der übrigen Parteien Kommunalwahlrecht in seinen verfassungsrechtlichen Der oben dargestellte Anspruch der Ast. auf Ermögli- Grundzügen im Bundesrecht verankert ist (Art. 28 I 2 chung entsprechender Plakatierung ist schließlich nicht GG), zumindest dem Grunde nach einen Anspruch auf durch die Vereinbarung beschränkt, die die übrigen poli- Gestattung der Wahlsichtwerbung durch Parteien tischen Parteien und Gruppierungen der Ag. geschlossen (BVerwGE 47, 280, 283). haben. Nach dieser Übereinkunft werden Plakate zur bevorstehenden Kommunalwahl am 18. 3. 2001 nur an b. Umfang nach abgestufter Chancengleichheit den von der Ag. zur Verfügung gestellten Plakatflächen Der angemessene Umfang der Werbung im Einzelfall aufgeklebt. Ein "wildes" Plakatieren soll hiernach verhin- bestimmt sich nach dem Grundsatz der so genannten dert werden. Diesem Abkommen kommt aber für die Ast. abgestuften Chancengleichheit, wie er in § 5 I PartG keine entsprechende Bindungswirkung zu, da sie diese seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat Übereinkunft nicht unterzeichnet hat. (BVerwGE 47, 280; VG Gelsenkirchen, NWVBl 1999, 106, 107; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl. II. Vorwegnahme der Hauptsache als Grenze des ge- [2000], Art. 21 Rdnr. 16). Demzufolge ist der Grundsatz richtlichen Anordnungsermessens der Wettbewerbs- und Chancengleichheit der politischen Dem Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anord- Parteien und Wählergruppen nicht streng formal zu nung steht vorliegend der Gesichtspunkt der Vorwegnah- handhaben, sondern es ist zulässig und ggf. sogar not- me der Hauptsache nicht entgegen. wendig, die Parteien bei der Gewährung öffentlicher Leistungen, wie hier der Erteilung von Sondernutzungs- 1. Möglichkeit der Vorwegnahme im Lichte des Art. 19 erlaubnissen für Wahlwerbezwecke, nach ihrer Bedeu- IV GG tung ungleich zu behandeln (BVerwGE 47, 280, 290). Eine solche Vorwegnahme ist in Verfahren nach § 123 Für eine wirksame Wahlpropaganda in angemessenem VwGO nämlich ausnahmsweise zulässig, wenn nur auf Umfang führt dies jedenfalls bei kleinen Parteien dazu, diese Weise effektiver Rechtsschutz gewährt werden ihnen eine überproportional bemessene Zahl von Plätzen kann, was insbesondere bei einem Verfahren, in dem eine für die Aufstellung von Wahlwerbetafeln zuzuerkennen politische Partei oder Wählergruppe unmittelbar vor (BVerwGE 47, 280, 290). Von einer solchen wirksamen einer Wahl die Verbesserung ihrer Werbemöglichkeiten Wahlwerbung - auch für kleine Gruppen - ist nach Auf- begehrt, wegen des drohenden Zeitablaufs regelmäßig fassung der Kammer in der Regel dann auszugehen, anzunehmen ist (VG Gelsenkirchen, NW-VBl 1999, 106, wenn pro 100 Einwohner ein Aufstellort zur Verfügung 107). gestellt wird. In dem Gebiet der Ag. sind (Stand: 31. 12. 2000) 6885 Einwohner mit erstem Wohnsitz gemeldet, 2. Voraussetzungen wie diese selbst mitteilte. Daraus errechnen sich 69 Stand- Der Antrag ist jedoch unbegründet, soweit es um das plätze [...]. Begehren der Ast. geht, ihr Plätze zuzuweisen, an denen sie geeignete Aushangkästen anbringen kann. Insoweit c. Grenzen der Wahlwerbung begehrt sie nämlich eine Vorwegnahme der Hauptsache, die nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht legiti- (1). Sicherheits- und Ordnungsrecht miert werden kann. Effektiver Rechtsschutz kann der Es ist ferner weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es Ast. im Hinblick auf eine wirksame Wahlwerbung nicht bei dem entsprechend gebotenen Bemühen der Ag., die nur durch diese Maßnahme, für die im Übrigen auch angegebene Zahl von Standorten für Wahlwerbung im baurechtliche Erlaubnisse erforderlich sein dürften, ge- Straßenraum auszuweisen, zu straßen- oder straßenver- währt werden, sondern insbesondere durch die Erteilung kehrsrechtlichen Problemen kommen könnte. Auch ein der begehrten Sondernutzungserlaubnisse für die Auf- Verstoß der beabsichtigten Werbung der Ast. gegen die stellung von Wahlplakaten, wie dies oben erörtert wurde. allgemeinen Gesetze, insbesondere die Strafgesetze, ist Standort: § 36 VwVfG Problem: Abgrenzung von Hinweis und Nebenbestimmung BVERWG, URTEIL VOM 13.12.2000 Problemdarstellung: 6 C 5.00 (BAYVBL 2001, 474) Der Kl. hatte eine Genehmigung zum Betrieb einer Pri- vatschule unter dem “Hinweis” erhalten, die Genehmi- -447-
RA 2001, HEFT 8 ÖFFENTLICHES RECHT gung werde widerrufen, wenn er zur Erreichung der den hier vorliegenden Fall, in dem eine Verpflichtungs- erforderlichen Mindestschülerzahl pro Klasse verschie- klage statthaft war, ausdrücklich als Ausnahme be- dene Jahrgänge zu einem Klassenverband zusammen- zeichnet hat; die Tendenz in der Rspr. geht eindeutig lege. Gegen diese Einschränkung wehrte sich der Klä- dahin, gegen jede Form der Nebenbestimmung die An- ger mit seiner Klage. Die vorliegende Revisionsent- fechtungsklage nach § 42 I, 1. Fall VwGO zuzulassen, scheidung des BVerwG zur Zulässigkeit derselben ist wohl mit dem Ziel, dem Kläger über § 80 I VwGO auf- aus zweierlei Gründen interessant: schiebende Wirkung zuzubilligen zu können (vgl. nur Zum einen stuft das BVerwG die Einschränkung als BVerwG, RA 2001, 249). rechtserhebliche Nebenbestimmung ein, obwohl sie von der Behörde lediglich als “Hinweis” deklariert worden Vertiefungshinweise: war, was fehlende Rechtsverblichkeit suggerierte. “ Zum Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen: Zum anderen bestätigt es seine - neue - Rechtspre- BVerwGE 60, 269, 274; BVerwG, RA 2001, 249 = chung, wonach nunmehr alle Nebenbestimmungen grds. NVwZ 2001, 429; Störmer, DVBl 1996, 81; Schmidt, mit der Anfechtungsklage angegriffen werden können NVwZ 1996, 1188 (BVerwG, Urteil vom 22.11.2000, RA 2001, 249 mit “ Überblick zu Nebenbestimmungen: Brenner, JuS ausführl. Anm.). Zu der bereits im Urteil vom 1996, 281 22.11.2000 vorbehaltenen Ausnahme, dass statt der “ Auslegung von Behördenerklärungen: BGH, RA Anfechtungsklage gegen die Nebenbestimmung doch 2001, 320 = DVBl 2001, 809; BVerwG, NVwZ 1984, eine Verpflichtungsklage auf einen neuen Verwaltungs- 37; Kluth, NVwZ 1990, 610 akt ohne die fragliche Nebenbestimmung erhoben wer- den müsse, wenn eine Anfechtung der Nebenbestim- Kursprogramm: mung “offenkundig von vornherein ausscheide”, fügt das BVerwG nun eine neue hinzu: Eine Verpflichtungs- “ Examenskurs: “Rentnerführerschein” klage auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne die ein- “ Examenskurs: “Hinterzimmer mit Auflage” schränkende Nebenbestimmung soll auch dann statthaft sein, wenn sie für den Kläger rechtsschutzintensiver sei. Leitsatz: Einen solchen Fall bejaht das Gericht hier. Ein Verpflichtungsantrag mit dem Begehren, einen begünstigenden Verwaltungsakt ohne den ihm bei- Prüfungsrelevanz: gefügten Widerrufsvorbehalt zu erlassen, ist zuläs- sig, wenn er dem Kläger einen im Vergleich zum An- Bevor die Frage des Rechtsschutzes gegen vom Kläger fechtungsantrag weitergehenden Rechtsschutz ver- nicht gewollte Nebenbestimmungen erörtert wird, ist als schafft. Vorfrage zu klären, ob überhaupt eine Nebenbestim- mung vorliegt. Handelt es sich bei der Erklärung der Sachverhalt: Behörde nämlich nicht um eine rechtsverbindliche Re- Der Kläger betreibt nach der Pädagogik von Maria gelung nach § 36 VwVfG, sondern nur um einen un- Montessori mit staatlicher Genehmigung seit dem verbindlichen Hinweis, ist gerichtlicher Rechtsschutz Schuljahr 1990/91 eine private Grundschule und seit i.d.R. weder möglich noch nötig. Das vorliegende Urteil dem Schuljahr 1994/95 eine private Teilhauptschule I ist ein gutes Beispiel dafür, dass diese Abgrenzung mit den Jahrgangsstufen fünf und sechs. Mit Bescheid nicht allein nach dem von der Behörde gewählten Wort- vom 21.2.1997 erteilte die Regierung von N. dem Klä- laut, sondern erst nach Auslegung des gesamten Be- ger die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb scheids analog § 133 BGB vor dem objektiven Empfän- einer privaten Teilhauptschule II ab dem Schuljahr gerhorizont vorgenommen werden darf. Diese Ausle- 1997/98. Die Schule sollte ihren Betrieb zunächst mit gung kann durchaus - wie hier - ergeben, dass der einer Klasse der 7. Jahrgangsstufe aufnehmen, der in Wortlaut letztlich nicht maßgeblich ist (“falsa demon- den jeweils folgenden Jahren die Jahrgangsstufen acht stratio non nocet”). Gleichwohl ist Zurückhaltung gebo- und neun folgen sollten. Nach Nr. 6 des Bescheides ten: Jedenfalls dann, wenn die Behörde einen terminus wurde die Genehmigung unter der Bedingung erteilt, technicus bewusst gewählt hat, wird nur bei gravieren- dass bis zur Aufnahme des Schulbetriebes zum Schul- den sonstigen Umständen eine dem Wortlaut zuwider jahresbeginn 1997/98 in der 7. Jahrgangsstufe eine laufende Auslegung möglich sein (vgl. BGH, RA 2001, Zahl von mindestens 20 Schülern erreicht werde, die ab 320 zu “Bedingung” und “Auflage”). dem Schuljahr 1999/2000 auf 25 Schüler anzuheben Hinsichtlich der statthaften Klageart gegen Nebenbe- sei. Der Bescheid enthielt ferner "Hinweise", deren Nr. stimmungen ist auf die Ausführungen in RA 2001, 249 7 lautete: "Sollten sich an der Teilhauptschule II künf- zu verweisen. Dabei ist zu beachten, dass das BVerwG tig aus Schülermangel nur kombinierte Klassen bilden -448-
ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 8 lassen, so wird die Genehmigung widerrufen". zungen wegfallen. Vielmehr hat sie dort eine spezifi- Der Kläger hat nach erfolglosem Widerspruch gegen sche, den Bestand der Genehmigung berührende Aus- die Bedingung Nr. 6 und den Hinweis Nr. 7 des Be- sage zur Frage der Jahrgangsmischung getroffen. Der scheids vom 21.2.1997 Klage erhoben. Kläger musste dem Hinweis Nr. 7 entnehmen, dass ihm Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter ent- jedes Vertrauen in den Fortbestand der Genehmigung sprechender Aufhebung der angefochtenen Bescheide für den Fall genommen werden sollte, dass er sich zur verpflichtet, die Genehmigung ohne Nebenbestimmun- Bildung kombinierter Klassen entschloss. Die Regelung gen über die erforderliche Schülerzahl und den Wider- zielte demnach auf jene besondere Rechtsfolge ab, die ruf der Genehmigung bei Jahrgangsmischung zu ertei- ein konstitutiver Widerrufsvorbehalt gemäß Art. 36 len. Auf die auf die Frage der Jahrgangsmischung be- Abs. 2 Nr. 3 BayVwVfG mit Blick auf Art. 49 Abs. 2 schränkte Berufung des Beklagten hat der Verwaltungs- Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG und Art. 49 Abs. 5 Satz 1 gerichtshof unter Abweisung der Klage im Übrigen den BayVwVfG hat (vgl. Stelkens, in: Stel- Beklagten verpflichtet, über den Antrag auf Genehmi- kens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl. 1998, § 36 RdNr. gung von Jahrgangsmischungen unter Beachtung der 22). Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der Kläger hat die vom Bundesverwaltungsgericht zugelas- C. Kein Vorrang der Anfechtungsklage sene Revision eingelegt. Der Kläger war nicht gehalten, statt des Ver- pflichtungsantrages einen Anfechtungsantrag zu stellen. Aus den Gründen: Zwar wird in der Rechtsprechung des Bundesverwal- Zu Recht haben die Vorinstanzen die Verpflichtungs- tungsgerichts gegen belastende Nebenbestimmungen die klage (§ 42 Abs. 1 VwGO) als zulässige Klageart ange- Anfechtungsklage als gegeben angesehen, und zwar un- sehen. abhängig davon, ob es sich bei der streitigen Neben- bestimmung um eine Befristung, eine Bedingung oder A. Auslegung des Klagebegehrens einen Widerrufsvorbehalt handelt (BVerw-GE 60, 269, Das im Berufungsrechtszug noch streitige und vom Re- 274 f.). Damit ist jedoch die Zulässigkeit eines visionsgericht zu beurteilende Klagebegehren ist darauf Verpflichtungsantrages nicht ausgeschlossen, wenn die- gerichtet, die Ersatzschulgenehmigung ohne den Hin- ser einen im Vergleich zum Anfechtungsantrag weiter- weis Nr. 7 des Genehmigungsbescheides vom gehenden Rechtsschutz verschafft (vgl. Janßen, a.a.O., 21.2.1997 zu erhalten. RdNr. 51). Ein solcher Fall liegt hier vor. Bei einer Beschränkung auf den Anfechtungsantrag B. “Hinweis” als Nebenbestimmung müsste der Kläger besorgen, dass die isolierte Aufhe- Hierbei handelt es sich nicht nur um einen deklaratori- bung des Widerrufsvorbehaltes keinen endgültigen schen Hinweis auf eine gesetzlich zugelassene Möglich- Rechtsfrieden in seinem Sinne stiftet. Nach seinem keit des Widerrufs, sondern um einen konstitutiven Wortlaut bezieht sich der Hinweis Nr. 7 des Widerrufsvorbehalt nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 3 Genehmigungsbescheides nur auf den Fall, dass kom- BayVwVfG (vgl. dazu Henneke, in: Knack, VwVfG, 6. binierte Klassen "aus Schülermangel" gebildet werden. Aufl. 1998, § 36 RdNr. 5.2; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Damit ist die Zusammenlegung mehrerer Jahrgangs- 7. Aufl. 2000, § 36 RdNr. 25; Janßen, in: Obermayer, klassen zwecks Erreichung der vorgeschriebenen Schü- VwVfG, 3. Aufl. 1999, § 36 RdNr. 18). Der Kläger lermindestzahl angesprochen. Demgegenüber will der durfte und musste als Empfänger des Genehmigungs- Kläger erreichen, dass die von ihm aus pädagogischen bescheides bei vernünftiger Betrachtungsweise den Hin- Gründen angestrebte Praxis der Jahrgangsmischung weis Nr. 7 trotz des Umstandes, dass dieser sich nicht keinesfalls zum Anlass für einen Widerruf der Geneh- in demjenigen Abschnitt des Bescheides befand, der die migung genommen wird. Dem trägt die gerichtliche sonstigen verbindlichen Regelungen enthielt, als bela- Verpflichtung der Behörde, die Genehmigung ohne den stende Nebenbestimmung ansehen. Denn die Behörde Widerrufsvorbehalt zu erteilen, besser Rechnung, weil hat sich im Hinweis Nr. 7 nicht etwa darauf be- ihr damit generell untersagt ist, die Genehmigung allein schränkt, die Rücknahme der Genehmigung nach Art. wegen jahrgangsübergreifenden Unterrichts zu widerru- 48 Abs. 1 BayVwVfG oder ihren Widerruf nach Art. fen. [...] 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG generell für den Fall anzukündigen, dass die Genehmigungsvorausset- Standort: Versammlungsrecht Problem: Musikaufzug als Versammlung VG HAMBURG, BESCHLUSS VOM 12.07.2001 16 VG 2524/2001 (BISHER UNVERÖFFENTLICHT) -449-
RA 2001, HEFT 8 ÖFFENTLICHES RECHT Problemdarstellung: NVwZ 2000, 461). Das VG Hamburg verneint im vorliegenden Fall den Versammlungscharakter einer der “Love-Parade” in Vertiefungshinweise: Berlin ähnlichen Veranstaltung, da diese nicht den für “ Zum Versammlungsbegriff: OVG Weimar, DVBl. eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG bzw. des 1988, 104; VG Braunschweig, NZV 2000, 142; Versammlungsgesetzes nötigen Charakter einer kollek- “ Für die Einordnung von Musik-Tanz-Aufzügen als tiven Meinungskundgabe aufweise. Das Gericht Versammlung: VG Frankfurt, NJW 2001, 1741; Knie- schließt sich damit dem herrschenden, engeren Ver- sel, NJW 2000, 2857; dagegen Deger, NJW 1997, 923 sammlungsbegriff an, der gerade die Meinungsäuße- rung als prägendes Element einer Versammlung an- sieht, während eine Gegenansicht eine gemeinsame, in- Kursprogramm: nere Verbundenheit der Teilnehmer genügen lässt, ohne “ Examenskurs: “Waffen-SS” eine Kundgabe von Meinungen zu fordern (vgl. die Zi- “ Assessorkurs: “Fieser Verein” tate in den Gründen sowie Maunz/Dürig, GG, Art. 8 Rz. 50 ff.). Leitsätze (der Redaktion): Für den Veranstalter einer Veranstaltung ist deren Ein- Das Element der kollektiven Meinungskundgabe ist ordnung als Versammlung deshalb von elementarem Voraussetzung für das Vorliegen einer Versamm- Interesse, weil ein nicht dem Versammlungsrecht unter- lung i.S.d. Art. 8 I GG und des Versammlungsgeset- fallender Aufzug eine straßenrechtliche Sondernutzung zes. Nicht ausreichend ist es, wenn die Meinungs- darstellt, die - im Gegensatz zur nur anzeigepflichtigen kundgabe nur vorgeschoben oder lediglich unterge- Versammlung - nach dem Straßen- und Wegerecht der ordneter Nebenzweck ist. Länder einer Genehmigung bedarf (vgl. nur § 18 StrWG NW; § 16 HessStrG), welche i.d.R. nur erteilt Sachverhalt: werden wird, wenn der Veranstalter sich verpflichtet, Mit Schreiben vom 22. Mai 2001 meldete die Antrag- für die Kosten der Abfallbeseitigung, des Polizeiein- stellerin bei der Antragsgegnerin für den 14. Juli 2001 satzes usw. aufzukommen. in Hamburg St.-Pauli eine nicht näher bezeichnete oder benannte Demonstration an, zu der zwischen 3.000 und Prüfungsrelevanz: 10.000 Teilnehmer erwartet würden. Die Veranstaltung sollte unter dem Motto stehen: "Für Frieden und gegen Das Versammlungsrecht ist durch den Konflikt zwi- die Enteignung öffentlicher Räume in Berlin, eine De- schen BVerfG und OVG Münster über die - nach An- monstration der Liebe auf St. Pauli". Insgesamt sollte sicht des OVG von vornherein fehlende - Versamm- die Veranstaltung, die von 3 – 5 Lautsprecherwagen lungsfreiheit rechtsgerichteter Aufzüge und Demonstra- begleitet werden würde, von ca. 12 bis 21.30 Uhr dau- tionen in den Blickpunkt gerückt. Zentraler Streitpunkt ern. Telefonisch äußerte die Antragsgegnerin daraufhin ist die Frage, ob und wann die in § 15 I VersG erwähn- gegenüber dem Veranstaltungsleiter auf dessen Anfrage te “öffentliche Ordnung” allein als Verbotsgrund her- hin Zweifel an dem Versammlungscharakter der Ver- halten kann, bzw. ob dieses Merkmal nicht im Lichte anstaltung. der Verfassung teleologisch zu reduzieren oder zumin- Mit Schreiben vom 25. Juni 2001 modifizierte die An- dest sehr eng auszulegen ist. Nachdem in der RA über tragstellerin die Anmeldung der Veranstaltung. Sie er- diesen Problemkreis ausführlich berichtet worden ist klärte, es werde aufgrund der großen Resonanz mit (RA 2001, 256), sind bereits wieder neue Entscheidun- 10.000 bis 50.000 Teilnehmern gerechnet. Demon- gen ergangen, in denen BVerfG und OVG Münster ihre striert werde gegen die Behinderung der Berliner Lo- widerstreitenden Auffassungen bekräftigt haben ve-Parade am 14. Juli 2001 durch eine zuvor angemel- (BVerfG, NJW 2001, 2069; NJW 2001, 2072; NJW dete Gegenveranstaltung. Demonstriert werde des wei- 2001, 2076 gegen OVG Münster, NJW 2001, 2111; teren für eine großzügige Auslegung des Versamm- NJW 2001, 2113; NJW 2001, 2114). lungsrechts für Musikparaden. Auf der geplanten Ver- Weitere interessante Entscheidungen zum Versamm- anstaltung werde nicht nur Technomusik gespielt wer- lungsrecht betreffen die Anwendbarkeit der ordnungs- den, es kämen auch Theatergruppen, Schauspieler und rechtlichen Rechtsfigur des Zweckveranlassers auf das Tänzer. Auf zahlreichen Bannern und Transparenten Versammlungsrecht (BVerfG, RA 2001, 1ff. = DVBl würden die Positionen der Teilnehmer zum Ausdruck 2001, 62), die Zulässigkeit des Einkesselns von Ver- gebracht werden. Es gebe – anders als bei der Lo- sammlungen (OVG Münster, RA 2001, 322 = DVBl ve-Parade - keinen kommerziellen Aspekt bei der Ver- 2001, 839) sowie den Eingriff in die Versammlungs- anstaltung, keine Teilnahmegebühren und keine Werbe- freiheit durch Realakte (VG München, RA 2000, 287 = wagen. Zwei bis drei Interessenten würden sich mit -450-
ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 8 Zugmaschinen wie auf dem G-Move beteiligen, haupt- sammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG und des § 1 sächlich würden aber kleinere Fahrzeuge mit Lautspre- VersammlG besitzt mit der Folge, dass sie für die Ver- chern mitfahren. Die Route werde verkürzt, um die anstalter frei von Gebühren für Polizeikräfte, Absperr- Veranstaltung früher zu beenden. Das Motto laute nun- maßnahmen, Müllbeseitigung etc. durchgeführt werden mehr: "Für Frieden und mehr Toleranz und gegen die kann. Enteignung öffentlicher Räume in Berlin, für den Erhalt des Demonstrationsrechts für Musikparaden, gegen die I. Definition des Versammlungsbegriffs Kommerzialisierung der Technomusik - eine Demon- Eine öffentliche Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. stration der Liebe auf St. Pauli". 1 GG und des Versammlungsgesetzes ist (im Unter- Die Antragsgegnerin beantwortete diese Mitteilung mit schied zu den in § 17 VersammlG genannten "sonstigen Schreiben vom 28. Juni 2001, in dem sie erklärte, man öffentlichen Veranstaltungen") dann gegeben, wenn eine habe dem genannten Versammlungsleiter erklärt, dass Mehrheit von Menschen unter Bezugnahme auf den Musikparaden wie diese keine versammlungsrechtliche demokratischen Prozess der öffentlichen Meinungsbil- Veranstaltungen seien. Vielmehr handele es sich um dung und Willensbildung zusammenkommt, um ge- eine Ersatzveranstaltung für die Love-Parade in Berlin. meinsam Diskussionen zu führen und/oder eine Mei- Angekündigte Unterlagen, die Nachweise für den De- nung kundzutun. Entscheidend ist der Zweck der Ver- monstrationscharakter hätten bringen sollen, habe die anstaltung, bestimmte Angelegenheiten gemeinsam zu Behörde nicht erhalten. Die Veranstaltung diene wie der erörtern, zu beraten oder kundzugeben. Generation-Move und der Schlager-Move im Wesentli- chen dem Erleben von Musik und anderen kulturellen 1. Meinungskundgabe als prägendes Element Darbietungen. Es gehe nach dem Schwerpunkt der Ver- Art. 8 Abs. 1 GG und das Versammlungsgesetz schüt- anstaltung nicht um eine gemeinsame Meinungskundga- zen das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen be. Auch die auf der Homepage der Veranstalter ge- Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsbil- wählte Bezeichnung der Parade mit "syncron#01" be- dung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage). Die stätige die Ansicht, dass es sich um eine Ersatz- oder Veranstaltung muss deshalb auf Meinungsbildung Parallelveranstaltung zur Love-Parade in Berlin hande- und/oder Meinungsäußerung in Gruppenform ausge- le. Im übrigen sei das benötigte Gelände bereits belegt richtet sein. Nicht erfasst sind deshalb Zusammenkünf- mit den Aufbauarbeiten des Sommerdoms. te ohne prägenden Bezug zum politischen Prozess wie Mit dem am 9. Juli 2001 bei Gericht eingegangenen etwa kulturelle, wissenschaftliche, religiöse, sportliche Eilantrag macht die Antragstellerin ihr Anliegen gel- oder gewerbliche öffentliche Veranstaltungen (ebenso tend, die geplante Veranstaltung durch die Behörde als OVG Weimar, DVBl. 1988, 104 ff.; VGH Mannheim, Versammlung behandeln zu lassen. Sie wiederholt die Beschluss vom 27.5.1994, 1 S 1397/94; BayVGH, Be- bereits angesprochenen Argumente und betont, dass die schluss vom 13.5.1994, 21 CE 94.1563). Das Gericht Folgen für die Antragstellerin - die Veranstaltung müss- schließt sich insoweit der engeren Auslegung des Ver- te entfallen - bei einer Ablehnung des Antrags schwerer sammlungsbegriffs an. Wie das Oberverwaltungsge- wiegen würden als für die Antragsgegnerin, wenn die richt Berlin (Beschluss vom 6. Juli 2001, OVG 1 S Veranstaltung gegebenenfalls in rechtswidriger Weise 11.01) ist das Gericht der Auffassung, dass die Ver- als Versammlung durchgeführt werden würde. Gefah- sammlungsfreiheit ebenso wie die Meinungsfreiheit zu ren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung seien den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionsele- von Seiten der Antragsgegnerin nicht genannt worden. menten eines funktionierenden Gemeinwesens gehört. Die Antragstellerin erklärt weiter, an einer gebühren- Sie ist als Freiheit der kollektiven Meinungskundgabe pflichtigen Sondernutzungserlaubnis sei sie nicht inter- zu verstehen (vgl. BVerfGE 69, 315, 344 f.). Aus die- essiert, da sie der Auffassung sei, diese sei wegen des ser Funktion der Versammlungsfreiheit im demokrati- Veranstaltungscharakters nicht erforderlich und nicht schen Gemeinwesen als Mittel zur gemeinsamen kör- finanzierbar. perlichen Sichtbarmachung von Überzeugungen und Meinungen folgt der hohe Rang des Grundrechts, dem Aus den Günden: gegenüber Rechte anderer (z.B. von Anwohnern, Ver- Der Antrag hat keinen Erfolg. Der nach § 123 Abs. 1 kehrsteilnehmern oder Gewerbetreibenden) zurückzu- VwGO zulässige Antrag ist nicht begründet. treten haben. A. Anordnungsanspruch 2. Wirtschaftliche, sportliche oder kulturelle Zwecke Es fehlt am Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin genügen nicht hat nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Dieser hohe Stellenwert des Versammlungsgrundrechts Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, dass die geplante Ver- verbietet es zugleich, dessen Schutzumfang weiter aus- anstaltung "syncron#01" die Eigenschaften einer Ver- zudehnen als der Zweck der Schutzgewährung es er- -451-
RA 2001, HEFT 8 ÖFFENTLICHES RECHT fordert. Würde man auch die bloße Zurschaustellung der Versammlungsfreiheit (ebenso VG Berlin, Be- eines durch Musik und Tanz ausgedrückten Lebens- schluss vom 28. Juni 2001, VG 1 A 195/01). Anzei- gefühls ausreichen lassen, hätte dies zwangsläufig zur chen dafür ist schon die Art der Veranstaltung mit Mu- Folge, dass der hohe Rang der Versammlungsfreiheit sikwagen, Theatergruppen und anderen Schaustellern im Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft verloren ginge sowie einem Teewagen mit Getränkeausschank. Daran (ebenso für eine Musikparade OVG Berlin, a.a.O.; a.A. ändert auch das Verteilen von Handzetteln an Zuschau- für eine "Nacht-Tanz-De-mo" VG Frankfurt, NJW er oder das Mitführen von Bannern nichts, auch nicht, 2001, 1741 und Kniesel, NJW 2000, 2857, 2858, der dass sich dieser Umzug von der Love-Parade in Berlin die bei Musikparaden stattfindende Inszenierung eines durch weniger kommerzielle Elemente abgrenzen will. Lebensgefühls als kollektive Meinungskundgabe ver- Hier steht jedenfalls der Unterhaltungscharakter im steht). Zugleich würden Musikparade eine ungerecht- Vordergrund, der dem Versammlungsbegriff nicht ent- fertigte Privilegierung gegenüber sonstigen Volksfesten spricht. erfahren, da diese mit den nicht unerheblichen öffentli- Zwar hat die Antragsgegnerin vorgetragen, die Parade chen Abgaben belastet werden. finde statt, um auf die Schwierigkeiten der Love-Parade in Berlin hinzuweisen. Wie dort wolle man für die öf- II. Subsumtion fentliche Zurschaustellung eines Lebensgefühls demon- Bei der von der Antragsgegnerin geplanten Veranstal- strieren. Zugleich werde die Love-Parade jedoch wegen tung "syncron#01" steht nach Auffassung des Gerichts ihrer fortschreitenden Kommerzialisierung kritisiert. nicht die kollektive Meinungskundgabe einer Vielzahl Weitere gesellschaftspolitische Ziele wie der Verzicht von Menschen im Vordergrund, sondern die Musikpa- auf Drogen sollten kundgetan werden. rade selbst als unterhaltendes Erlebnis. Schon die Vielzahl der Botschaften und ihr sich ändern- der Inhalt seit der ersten Anmeldung am 22. Mai 2001 1. Auch kulturelle Darbietungen können Meinungs- lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Meinungs- kundgabe sein äußerung und Meinungsbildung im Vordergrund ste- Dabei verkennt das Gericht nicht, dass grundsätzlich hen. Nach dem Gesamteindruck der geplanten Aktionen sowohl in Musik-, als auch in Tanz- und Theaterdarbie- und der Werbung für die Veranstaltung insbesondere tungen eine Meinungsäußerung gesehen werden kann. auf der Homepage und der oben beschriebenen Art des Aufzugs stellen diese Motive nicht den Hauptzweck 2. Untergeordneter, vorgeschobener Nebenzweck ge- dar, sondern eher ein Nebenanliegen, das geäußert wird, nügt jedoch nicht um die kostenfreie Durchführung der Parade zu errei- Hier jedoch gebieten die Eigenarten der Fallgestaltung chen, quasi mit "Feigenblatt-Charakter". Auf der eine andere Bewertung. Die Antragstellerin erwartet bis "check in"-Seite des Veranstalters sowie auf der "state- zu 10.000 Teilnehmer, die auf der vorgesehenen Weg- ment"-Seite der Homepage werden zwar die vorgetrage- strecke von einer Vielzahl von Aufzugswagen begleitet nen gesellschaftspolitischen Motive der Parade benannt. werden, von denen aus Techno-Musik verschiedener Andererseits werden beide Veranstaltungen – Parade Richtungen gespielt werden soll. Die Teilnehmer, die und Party - auf der Seite "banners&tools", die sich an Anhänger dieser Musikrichtungen sind, begleiten die Teilnehmer richtet und bei der um Werbung und Wei- Aufzugswagen tanzend und feiernd. Dies vermittelt terleitung gebeten wird, unter "partyplaner info" behan- dem Zuschauer den Eindruck einer großen, sich bewe- delt. Für die anschließende Party kommentiert der Ver- genden Feier oder Tanzveranstaltung, bei der es dem anstalter: "abfeiern wie draußen". Auch wenn die Teil- einzelnen im Wesentlichen darum geht, sich zu vergnü- nehmer der Parade die vorgegebenen "Ziele" der Ver- gen. Die Meinungsäußerung bzw. das sich ändernde anstaltung einhellig unterstützen, ändert dies nichts da- Motto der Veranstaltung steht dabei nicht im Vorder- ran, dass sie – ebenso wie die Zuschauer - die geplante grund. Es geht den Veranstaltern und Teilnehmern nicht Parade als Spaß-Veranstaltung verstehen werden. vorrangig darum, für ihr Recht, einen Party-Umzug durchführen zu demonstrieren, sondern ebendiesen Auf- II. Anordnungsgrund zug durchzuführen und als kollektive Meinungsäuße- Ob ein Anordnungsgrund besteht, d.h. ob Eilbedürftig- rung zu deklarieren. Die Veranstalter erreichen dabei keit gegeben ist, wie der Verwaltungsgericht Hamburg mit dem eingesetzten Mittel (Musik und Tanz auf der im Beschluss vom 13. Juli 2000 (5 VG 2872/2000) und Straße) schon ihr eigentliches Ziel; die "Demonstration" das Hamburgische Oberverwaltungsgericht im Be- wird zum Selbstzweck. Eine solche Veranstaltung, bei schluss vom selben Tag (4 Bs 209/00) zur geplanten der die vorgeblich richtige Lebensform nicht kundgetan, "Blade Night" problematisiert haben, kann danach of- sondern unmittelbar verwirklicht wird, unterfällt nicht fenbleiben. -452-
ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 8 Standort: Baurecht Problem: Gebot der Rücksichtnahme BVERWG, URTEIL VOM 07.12.2000 Rücksichtnahme kein selbständiger Grundsatz des öf- 4 C 3/00 (NVWZ 2001, 813) fentlichen Baurechts ist, sondern in bestimmten Vor- schriften enthalten ist und aus diesen abgeleitet werden muß. Es findet sich u.a. in dem hier einschlägigen § 15 Problemdarstellung: I 2 BauNVO, aus dem es auch entwickelt worden ist. Das BVerwG hatte die Frage zu klären, in welchem Anerkannt sind ferner § 34 I, II BauGB über das „Ein- Verhältnis § 15 I 2 BauNVO, nach dem Bauvorhaben fügen“, § 31 II BauGB durch die „nachbarschaftlichen unzulässig sind, wenn von ihnen unzumutbare Belästi- Interessen“ und § 35 III Nr. 3 BauGB über die “schäd- gungen oder Störungen ausgehen, zu landesrechtlichen lichen Umwelteinwirkungen”. Vorschriften steht, die für bestimmte Vorhaben (hier: die Errichtung von Stellplätzen) eine entsprechende Vertiefungshinweise: (hier: bzgl. der “unzumutbaren Belästigungen” in § 46 I “ Zum Rücksichtnahmegebot bei der Stellplatzerrich- 2 NdsBauO sogar wörtlich identische) Regelung enthal- tung: OVG Münster, RA 1999, 242 = NWVBl 1999, ten. Während das OVG Lüneburg als Vorinstanz die 141 landesrechtliche Regelung für spezieller gehalten und demgemäß § 15 I 2 BauNVO bei der Beurteilung der “ Zum Rücksichtnahmegebot beim Betrieb eines Kin- derspielplatzes: VG Karlsruhe, NVwZ-RR 2000, 144. Rechtmäßigkeit der angegriffenen Baugenehmigung als subsidiär nicht geprüft hatte, erteilt das BVerwG dieser “ Zum Rücksichtnahmegebot bei emittierenden An- Rechtsansicht eine Absage. Diese wird u.a. mit der un- lagen: BVerwG, RA 1999, 653 (Beschluss vom 28.7. terschiedlichen Zielrichtung der landesrechtlichen Bau- 1999, 4 B 38.99) ordnungen (Gefahrenabwehr) und der bundesrechtli- chen Bauvorschriften (Raumplanung und Bodenord- Kursprogramm: nung) begründet. Naheliegend wäre es auch gewesen, “ Examenskurs: “Windkraft contra Nachbarschaft” auf Art. 31 GG einzugehen. “ Examenskurs: “Das Asylbewerberwohnheim” Prüfungsrelevanz: Leitsätze: Neben der Kenntnis des Verhältnisses von bundesrecht- 1. Bauordnungsrechtliche Vorschriften über die An- lichem Bauplanungs- zu landesrechtlichem Bau- ordnung von Stellplätzen (hier: § 46 I 2 Nds BauO) ordnungsrecht sollte die Entscheidung vor allem zum können die Anwendung des § 15 I 2 BauNVO nicht Anlass genommen werden, sich mit dem baurechtlichen spezialgesetzlich ausschließen. Rücksichtnahmegebot vertraut zu machen. Ob eine 2. Der in § 15 I 2 BauNVO nach Maßgabe des Vorschrift Drittschutz verleiht, wird in aller Regel Rücksichtnahmegebots angelegte Drittschutz des schon in der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO, etwa Nachbarn besteht grundsätzlich auch gegenüber An- im Rahmen des § 80a VwGO oder einer (Dritt-) An- lagen auf Grundstücken, die mit dem Grundstück fechtungsklage gegen eine Baugenehmigung) zu prüfen des Nachbarn durch eine landesrechtliche Vereini- sein. Kommt der Bearbeiter zu dem Ergebnis, dass die gungsbaulast zusammengeschlossen sind. streitentscheidende Norm den Dritten nicht schützt, darf die Prüfung nicht beendet werden. Vielmehr ist zu über- Sachverhalt: legen, ob eine an sich nicht drittschützende Norm im Die Kl. zu 2 und 3 sind Eigentümer eines Reihenhau- Einzelfall nicht doch, über das baurechtliche “Gebot ses, das mit seiner Nordseite an das Reihenhaus der im der Rücksichtnahme”, drittschützend sein kann. Eine Revisionsverfahren nicht mehr beteiligten Kl. zu 1 an- drittschützende Wirkung kommt jeder Norm nach dem grenzt. Beide Häuser wurden im Jahre 1980 als Einfa- Gebot der Rücksichtnahme nämlich dann zu, wenn in milienhäuser mit Büroräumen genehmigt. Das geplante qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf dritte Reihenhaus nördlich anschließend wurde zu- besondere Rechtspositionen des Dritten Rücksicht zu nächst nicht gebaut. Die drei Grundstücke bilden die nehmen ist und wenn unabhängig von der besonderen westliche Hälfte eines ursprünglich etwa 2000 qm rechtlichen Schutzwürdigkeit der Betroffenen ihr Be- großen Grundstücks. Auf der östlichen Hälfe steht das troffensein wegen der gegebenen Umstände so hand- Wohnhaus des Beigel. zu 2; ihm gehört gegenwärtig greiflich ist, dass dies die notwendige Qualifizierung, auch die für das dritte Reihenhaus vorgesehene Fläche. Individualisierung und Eingrenzung bewirkt (BVerwGE Die Grundstücke werden von Süden her über einen dem 52, 131; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1990, 233). In Beigel. zu 2 gehörenden Privatweg erschlossen. Die jedem Fall ist aber zu beachten, dass das Gebot der Grundstücke der Bet. sind im Jahre 1980 infolge einer -453-
RA 2001, HEFT 8 ÖFFENTLICHES RECHT Teilung des früheren Gesamtgrundstücks durch die rechts dulden müssten; das Vorhaben sei durch das We- Rechtsvorgänger der Bet. entstanden. Gebildet wurden gerecht ausreichend erschlossen, so dass die Genehmi- die drei Reihenhausgrundstücke sowie ein Grundstück gung nicht etwa dazu führe, dass die Kl. ein Notwege- für einen Garagenhof und drei Garagengrundstücke im recht der Beigel. hinnehmen müssten. Diese Ausführun- Süden auf der westlichen Seite und das Wohngrund- gen überzeugen; die Kl. haben sie im Revisionsverfah- stück der Beigel. auf der Ostseite. ren hingenommen. Gleichzeitig bestellten die damaligen Eigentümer eine Vereinigungsbaulast, nach der alle baulichen Anlagen B. Verletzung drittschützender Normen durch die Ge- auf den neu gebildeten Flurstücken so ausgeführt wer- nehmigung der Stellplätze den, als wären die Grundstücke ein Baugrundstück i. S. Im Mittelpunkt des Revisionsvortrags stehen die neben des § 4 I NdsBauO. Zugleich bestellten sie ein Wege- dem Wohn- und Bürogebäude zugelassenen sieben Stell- recht am östlichen Rand der Grundstücke der Kl., um plätze. Die Kl. wenden sich gegen sie, weil sie befürch- die Zufahrt zu dem dritten neu geschaffenen Grund- ten, durch den Fahrzeugverkehr in den rückwärtigen stück zu sichern. Die Grundstücke der Bet. liegen im Wohnbereich hinein unzumutbar in ihrer Wohnruhe be- Geltungsbereich des im Jahre 1972 aufgestellten und einträchtigt zu werden. 1976 geänderten Bebauungsplans "Gewerbegebiet Süd- west" der Bekl. Er setzt ein Gewerbegebiet fest, und I. Ansicht der Vorinstanz zwar für den hier interessierenden Geländestreifen mit dem Zusatz "beschränkt gem. § 8 IV BauNVO auf Be- 1. Kein Verstoß gegen § 46 NdsBauO triebe und Anlagen, die nur im Mischgebiet, § 6 BauN- Insoweit ergibt sich aus dem Berufungsurteil, dass nach VO, zugelassen sind". In dem südlich anschließenden § 46 I 2 NdsBauO Einstellplätze so angeordnet und Gelände stehen ausschließlich zu reinen Wohnzwecken beschaffen sein müssen, dass ihre Benutzung nicht zu genutzte Gebäude. Im Jahre 1992 erteilte die Bekl. dem unzumutbaren Belästigungen für die Nachbarschaft Beigel. zu 2 einen Bauvorbescheid für den "Neubau führt. Das BerGer. führt jedoch weiter aus, dass die Kl. eines Wohnhauses" auf dem dritten Grundstück; die im vorliegenden Verfahren Lage und Zahl der Einstell- Bauvoranfrage ist auf die Genehmigung eines "zwei- plätze nicht mit Erfolg rügen könnten. Denn ihr Grund- geschossigen Reihenhauses" mit gewerblicher Nutzung stück sei mit dem Baugrundstück der Beigel. durch eine und einer Wohnung gerichtet. Später erteilte sie dem Vereinigungsbaulast gem. §§ 4 I 2, 92 NdsBauO zu Beigel. zu 1 eine Baugenehmigung für ein "Wohn- und einem Baugrundstück i.S. der Niedersächsischen Bau- Geschäftshaus" mit etwa 200 qm Büroflächen und 100 ordnung zusammengeschlossen. Das hindere die Gel- qm Wohnfläche. Genehmigt sind auch eine Garage und tendmachung von nachbarlichen Abwehransprüchen sechs Einstellplätze, die über die durch das Wegerecht aus § 46 I 2 NdsBauO. Diese Ausführungen beruhen gesicherte Zufahrt an den beiden Wohnhäusern der Kl. auf der Auslegung des irreversiblen niedersächsischen vorbei angefahren werden. Gegen beide Genehmigun- Landesrechts. An sie ist das RevGer. gem. §§ 137 I, gen wenden sich die Kl. im ersten und im zweiten 173 VwGO, § 562 ZPO gebunden. Rechtszug erfolglos. Auch die vom BVerwG zugelasse- ne Revision hatte keinen Erfolg. 2. Kein Verstoß gegen § 15 I 2 BauNVO Das BerGer. führt jedoch weiter aus, § 15 I BauNVO Aus den Gründen: sei hinsichtlich der Einstellplätze nicht anzuwenden, Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet. Das weil § 46 I 2 NdsBauO spezialgesetzlich regele, an wel- Berufungsurteil verletzt zwar Bundesrecht; die Ent- cher Stelle des Baugrundstücks ggf. wie viele Einstell- scheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als rich- plätze ohne Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnah- tig dar (§ 144 IV VwGO) [...]. me angelegt werden dürfen. A. Keine Verletzung drittschützender Normen durch II. Ansicht des BVerwG die Genehmigung der Wohn- und Bürogebäude Die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, Das BerGer. legt im Einzelnen dar, dass Nachbarrechte dass die Frage, ob von Stellplätzen einschließlich ihrer der Kl. aus den Festsetzungen des Bebauungsplans Zufahrten unzumutbare Belästigungen oder Störungen "Gewerbegebiet Südwest" durch das genehmigte Wohn- i. S. des § 15 I 2 BauNVO ausgehen könnten, allein und Bürogebäude der Beigel. nicht verletzt werden und nach § 46 I 2 NdsBauO zu beurteilen sei, ist mit Bun- dass das Gebäude selbst auch hinsichtlich seiner Art desrecht nicht vereinbar. und Größe mit § 15 I BauNVO vereinbar ist. Es führt weiter aus, dass die Kl. den Zu- und Abgangsverkehr 1. Keine Verdrängung des § 15 I BauNVO durch Bau- zu dem Gebäude der Beigel. über ihr Grundstück we- ordnungsrecht gen des durch Grunddienstbarkeit gesicherten Wege- -454-
ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 8 a. Unterschiedliche Zweckrichtungen BauNVO durch § 46 I 2 NdsBauO verdrängt, so würde Die Annahme eines lex-specialis-Verhältnisses zwi- beim Vorliegen einer Vereinigungsbaulast auch der schen den Regelungen des § 46 I 2 NdsBauO und des § Nachbarschutz aus § 15 I 2 BauNVO vollständig ent- 15 I BauNVO verbietet sich schon wegen ihrer Zugehö- fallen, obwohl der bauplanungsrechtliche Grundstücks- rigkeit zu verschiedenen Rechtsgebieten mit unter- begriff durch landesrechtliche Baulasten nicht verändert schiedlicher Zweckrichtung und unterschiedlicher Ge- werden kann (BVerwGE 88, 24). Zumindest hinsicht- setzgebungskompetenz (vgl. dazu BVerfGE 3, 407). lich seiner drittschützenden Wirkung würde die bundes- Die landesrechtliche Vorschrift des § 46 NdsBauO ge- rechtliche Vorschrift des § 15 BauNVO in den ver- hört zum Bauordnungsrecht. Sie stellt aus baupolizeili- schiedenen Bundesländern nach Maßgabe des Landes- cher Sicht, insbesondere zur Gefahrenabwehr, Anforde- rechts auch in tatsächlicher Hinsicht ganz unterschied- rungen an Garagen und andere Stellplätze. Dagegen ist lich angewendet werden müssen. Eine solche Modifi- § 15 BauNVO eine bundesrechtliche Norm des Boden- kation des Bundesrechts durch das Landesrecht ist un- rechts. Sie regelt aus städtebaulicher Sicht allgemeine zulässig (vgl. auch BVerwG, NVwZ 1989, 353). Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen; der Akzent liegt hier auf der Verein- 2. Kein Verstoß gegen § 15 I 2 BauNVO barkeit der baulichen Anlage mit dem jeweiligen Ge- Indem das BerGer. nicht geprüft hat, ob die Genehmi- bietscharakter. Soweit beide Vorschriften gebieten, dass gung für die sieben Stellplätze zum Vorhaben der Bei- von Stellplätzen keine unzumutbaren Beeinträchtigun- gel. mit dem drittschützenden Rücksichtnahmegebot in gen für die Nachbarschaft ausgehen dürfen, stimmen § 15 I 2 BauNVO vereinbar sind, hat es Bundesrecht sie zwar im Ergebnis regelmäßig überein. In diesem verletzt. Gleichwohl ist seine Entscheidung nicht auf- Sinne - aber auch nur im Hinblick auf das Ergebnis der zuheben, weil sie sich im Ergebnis aus anderen Grün- Prüfung im konkreten Einzelfall, also aus tatsächlichen den als richtig erweist. Gründen - hat der Senat formuliert, dass für die An- wendung des Rücksichtnahmegebots aus § 15 I BauN- a. Kein Verzicht auf Drittschutz durch Übernahme der VO insoweit kein Raum sei, wie die durch dieses Gebot Baulast geschützten Belange auch durch spezielle bauordnungs- Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass die Kl. - rechtliche Vorschriften geschützt werden und das kon- bzw. ihre Rechtsvorgänger - durch die Übernahme der krete Vorhaben deren Anforderungen genügt (BVerwG, Baulast auf Abwehrrechte aus § 15 I BauNVO verzich- NVwZ 1986, 468; BVerwGE 94, 151, 160). Spezialge- tet hätten, wie die Bekl. meint. Zwar verbietet es Bun- setzlich ausgeschlossen durch § 46 I 2 NdsBauO oder desrecht nicht, dass sich der Eigentümer durch die eine andere bauordnungsrechtliche Vorschrift wird § 15 Übernahme einer Baulast hinsichtlich der bebauungs- I 2 BauNVO dagegen nicht. rechtlich zulässigen Nutzung seines Grundstücks enger bindet, als ihn die Bauaufsichtsbehörde einseitig binden b. Einheit der Rechtsordnung könnte (BVerwG, Buchholz 406.17 Nr. 24). Das Ber- Die Annahme, § 15 I 2 BauNVO werde durch landes- Ger. hat aber nicht festgestellt, dass die Vereinigungs- rechtliche Vorschriften verdrängt, wäre auch deshalb baulast der Bet. auch einen Verzicht auf nachbarliche rechtsfehlerhaft, weil sie zu unterschiedlichem Bundes- Abwehrrechte des Bundesrechts enthält. Ob die Ver- recht in den einzelnen Bundesländern führen würde. einigungsbaulast auch ohne besondere Vereinbarung zu Wenn nämlich die landesrechtlichen Vorschriften über einer weitergehenden Beschränkung der Nachbarrechte Stellplätze die Anwendung des § 15 I 2 BauNVO führt, ist zunächst eine Frage des Landesrechts. Inso- ausschließen könnten, würde die Reichweite dieser bun- weit ist das BerGer. jedoch keineswegs der Auffassung, desrechtlichen Norm vom jeweiligen Inhalt der Bau- dass der Nachbar durch die Einräumung einer Vereini- ordnungen der Bundesländer abhängen. Im Allgemeinen gungsbaulast seine Rechtsstellung als Nachbar i. S. des mögen sich zwar keine erheblichen Unterschiede zwi- öffentlichen Baurechts insgesamt verliert (OVG Lüne- schen den Stellplatzvorschriften der Länder feststellen burg, NVwZ-RR 1998, 12); nach seiner Auffassung lassen. Der vorliegende Fall verdeutlicht jedoch exem- kann er sich nur nicht auf die Grenzabstandsvorschrif- plarisch, dass im Einzelfall sogar gravierende Unter- ten sowie auf § 46 I 2 NdsBauO berufen. schiede möglich sind. Nach der Rechtsauffassung des für die Auslegung der Niedersächsischen Bauordnung b. Errichtung der Stellplätze jedoch nicht rücksichts- letztinstanzlich zuständigen BerGer. vermittelt nämlich los die niedersächsische Stellplatzvorschrift ausnahmswei- Die vom BerGer. getroffenen Feststellungen ermögli- se dann keinen Drittschutz, wenn die betroffenen Grund- chen aber die Beurteilung, dass die streitigen Stellplätze stücke durch eine Baulast nach niedersächsischem mit § 15 I 2 BauNVO vereinbar sind [wird ausgeführt]. Recht miteinander verbunden sind. Würde § 15 I 2 -455-
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