RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
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4. Ausgabe 2021 SONDERHEFT Das Branchenmagazin Betonfertigteile Betonwaren Betonwerkstein RESSOURCEN- SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN
Inhalt 3 Zukunftsgerecht Bauen 41 Planen und Bauen mit 4 Potenziale nutzen – Vorgefertigte Betonbauteile Betonbauteilen 6 Gastbeitrag „Bauen mit Beton neu denken!“ 42 Intelligent Bauen 10 Position: Wettbewerbsgleichheit und 45 Position: Auf dem Holzweg?! Technologieoffenheit in der Bauwirtschaft 46 Potenziale der Baustoffe nutzen 12 Interview „Die Zementindustrie auf dem Weg 49 Planungshilfe in die CO2-arme Zukunft“ 49 Faktencheck 19 Ein Beitrag zur Luftreinhaltung 50 Der Fertigteilentwurf 23 Gastbeitrag „Ökologische Aspekte von Carbonbeton“ 52 Recyclingfähiges Konstruieren 26 Ressourceneinsatz 54 Bezahlbarer Wohnungsbau und Kreislaufwirtschaft 56 Gastbeitrag „Umweltanforderungen an befestigte 27 Gastbeitrag „Mineralische Baurohstoffe Stadt- und Straßenräume“ – haben wir noch genug?“ 61 Ökologische Bewertung von Pflastersteinen 29 bbs-Studie: Primär- und Sekundärrohstoffe bis 2035 32 Gastbeitrag „Beton als Rohstoff“ 63 Zukunftspotenziale des Baustoffs Beton 36 Position: Recycling-Materialien flexibel einsetzen 64 Gastbeitrag „Beton-3D-Druck – eine neue digitale und ressourceneffiziente Fertigungstechnologie“ 38 Einsatz von rezyklierten Gesteinskörnungen 67 Innovative Betone 40 Baustoff-Recycling im Recht 70 Impressum 2
ZUKUNFTSGERECHT BAUEN In Zeiten des Klimawandels und vor dem Hintergrund der Endlichkeit unserer Ressourcen steht die Bauindustrie zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit. Die Forderungen nach nachhaltigeren Bau- werken, die weniger Ressourcen verbrauchen, klimaneutral hergestellt und betrieben werden, dauerhaft sowie vollständig rezyklierbar sind, werden immer lauter. Dem Gebot des Klima- und Ressourcenschutzes stehen auf der anderen Seite die Realisierung wichtiger gesellschaftspolitischer Aufgaben, wie die Bereitstellung von ausreichendem Wohnraum und einer intakten Infrastruktur, gegenüber. Wir brauchen daher einen Paradigmenwechsel im Bauwesen. Als meist verwendetem Baustoff kommt Beton hier eine Schlüsselrolle zu. Bereits heute kommen neue Generationen von Betonen sowie ressourcenschonende und energieeffiziente Techniken bei der Betonherstellung zum Einsatz. Innovative Produktentwicklungen bei Betonbauteilen bieten zusätzliche Funktionalitäten und schaffen neue Einsatzfelder. Doch die Potenziale sind noch lange nicht ausgeschöpft. Dies zeigt nicht zuletzt die 2020 veröffentlichte Roadmap zur Dekarbonisierung von Zement und Beton. Über viele dieser Aspekte haben wir im Jahr 2020 in unserem Branchenmedium punktum.beton- bauteile unter dem Leitthema „Ressourceneffizientes Bauen mit Betonfertigteilen“ berichtet. Im vorliegenden Sonderheft sind die relevantesten Beiträge nochmals zusammengefasst. © vegefox.com – stock.adobe.com 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 3
POTENZIALE VORGEFERTIGTE +Maßgenau Qualität und konstante +Weniger Staub und Lärm und einfaches Baustellenmanagement Die witterungsgeschützte automatisierte Durch die Just-in-time-Lieferung montagefertiger Bau- Produktion der Betonbauteile unter kontrol- teile wird Lagerfläche auf der Baustelle eingespart. lierten Bedingungen im Werk sorgt für eine hohe Maßge- Auch der Einsatz von Personal und energieintensiven nauigkeit. Im Rahmen der Eigen- und Fremdüberwachung Baumaschinen wird reduziert, die Lärm- und Staub- werden die Produkte außerdem regelmäßig kontrolliert emissionen verringert. und eine konstant hohe Qualität gewährleistet. +Ressourcenschonende Produktion +Ökologischer Baustoff Betonbauteile werden im Wesentlichen Bei der Produktion von Betonfertigteilen kommen res- aus natürlichen Ausgangsstoffen wie sourcenschonende und energieeffiziente Techniken zum Wasser, Gesteinskörnung (Kies oder Einsatz. Durch Vielfachnutzung der Schalung und Fer- gebrochener Naturstein (Splitt) und Sand) und Zement tigung großer Serien werden Abfälle vermieden. Zudem hergestellt. Die Rohstoffe werden größtenteils regional können Restmaterialien, Betonabfälle und Verschnitte, gewonnen und verarbeitet. Dies sorgt für kurze Trans- die bei der Produktion anfallen, aufbereitet und wieder- portwege und schont die Umwelt. verwendet werden. Die Bewehrung besteht in der Regel zu 100 % aus Recyclingmaterial. Auch der Einsatz von Recyclingbeton trägt zur ressourcenschonenden Pro- duktion bei. +Langlebig und dauerhaft Betonbauteile sind extrem widerstandsfähig und lang- +Integrierte Haustechnik lebig. Sie halten auch extremen Witterungsbedingun- gen und Umwelteinwirkungen stand. Die hohe Dauer- haftigkeit von Beton sorgt dafür, dass Gebäude lange Bei der Herstellung der Betonfertigteile können viele genutzt werden können, bevor sie ersetzt und neue haustechnische Ver- und Entsorgungsleitungen bereits Ressourcen in Anspruch genommen werden müssen. im Werk eingebaut werden. Von Dosen und Leerroh- Das sichert den langfristigen Werterhalt und hält den ren für die Stromversorgung und Aussparungen für die Unterhaltungsaufwand niedrig Sanitärinstallation über Soleleitungen für die Energie- gewinnung in Fassaden oder zur Heizung beziehungs- weise Kühlung von Decken und Wänden. Damit entfal- len aufwendige Stemmarbeiten. +Feuerbeständig und sicher Sicherheit beginnt beim Material. Beton- +Zeit- und Kostenreduktion fertigteile sind ausgesprochen tragfähig und standsicher. Ihr Eigengewicht verleiht ihnen zusätzliche Stabilität. Sie sind aufgrund ihrer Liefertermine können aufgrund der witte- Nichtbrennbarkeit und hohen thermischen Trägheit in rungsunabhängigen Produktion im Werk höchstem Maße feuerbeständig. Bauteile aus Beton über das ganze Jahr konsequent eingehal- sind nicht brennbar. Sollte es dennoch zu einem Brand- ten werden. Durch die Vorfertigung lassen sich Mon- fall im Gebäude kommen, geben die Betonbauteile tagezeiten auf der Baustelle und damit die Baukosten weder schädliche Dämpfe noch Gase ab. reduzieren. Durch die geringe Baufeuchte der Montage- baustelle ist ein schnelles Weiterarbeiten der Ausbau- gewerke möglich. intelligent zukunftsfähig emissionsfrei Klima 4 innovativ dauerhaft hochwe
NUTZEN BETONBAUTEILE + +Schalldämmend +Hohe Flexibilität Der Baustoff Beton verfügt aufgrund Decken mit großen Spannweiten und unterstützungs- seiner hohen Rohdichte über hervor- freie Grundrisse bieten ein Höchstmaß an Flexibili- ragende schall- und schwingungsdämp- tät. Insbesondere in der Spannbetonbauweise kön- fende Eigenschaften. Betonbauteile schützen damit nen Decken mit sehr großen Stützweiten hergestellt wirkungsvoll vor Lärm und sind nicht nur in der Nähe werden. So müssen Innenwände nicht tragend sein von befahrenen Straßen, Bahnstrecken oder in Einflug- und können später entfernt und neu gesetzt werden. schneisen die richtige Wahl. Anbauten, Umbauten und Aufstockungen sind in einem Gebäude aus Betonfertigteilen einfach umzusetzen. +Gute Wärmespeicherfähigkeit und natürliche Energieeffizienz +Recycelbar Die Wärmespeicherfähigkeit des Betons wirkt sich Am Ende der Lebensdauer eines Gebäu- positiv auf das Raumklima aus und unterstützt den des beweisen Betonbauteile ökologische Heiz- oder Kühlbedarf von Gebäuden. Dieser verringert Qualitäten. Sie lassen sich nahezu voll- im Jahresverlauf die Temperaturschwankungen, stei- ständig recyceln und als Gesteinskörnung wiederver- gert die Energieeffizienz und trägt dazu bei, CO2-Emis- wenden. Betonfertigteile erleichtern die sortenreine sionen zu senken. Durch die Nutzung thermisch aktiver Trennung im Rahmen des Recyclingprozesses. Sie Betondecken und -wände lässt sich dieser Effekt noch können bei richtiger Planung sogar im Ganzen demon- verstärken. tiert werden. Dies ermöglicht die Wiederverwendung von kompletten Bauteilen. Lärm- und staubintensive +Architektonische Vielfalt Abbruchverfahren werden auf ein Minimum reduziert. Betonfertigteile lassen sich in unterschiedlichen Abmessungen, Farben, Formen und Oberflächentex- +Vernetzte Kompetenz turen herstellen. Dem architektonischen Gestaltungs- Digitale Planungsmethoden wie Building Information spielraum sind kaum Grenzen gesetzt. Es können so Modeling (BIM) mit dem Ziel, Gebäude ganzheitlich und gut wie alle individuellen Wünsche verwirklicht werden. effizient zu planen, auszuführen und zu bewirtschaf- Die Oberflächen von Betonfertigteilen sind von hoher ten, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Dabei bietet Qualität und ersparen, bei glatter und tapezierfähiger gerade die industrielle Vorfertigung von Betonbautei- Ausführung, das Verputzen. len, bei der die Vernetzung zwischen Planung und Pro- duktion mit standardisierten Schnittstellen schon lange +Hohe Flächeneffizienz praktiziert wird, enorme Potenziale. Das Bauen mit Betonbauteilen bietet eine hohe Flächeneffizienz. Indikator für die Wirtschaftlichkeit einer Fläche ist die Relation von nutzbarer beziehungsweise vermietbarer Fläche zur Gesamtfläche eines Gebäudes. Die hohe Tragfähigkeit und die präzise Herstellung ermöglichen den Einsatz schlanker Betonbauteile und tragen so zur Flächeneffizienz bei. kreativ widerstandsfähig Ökobilanz Raumklima lebenslang Konstruktion ertig Umwelt Qualität 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 5
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton Gastbeitrag Bauen mit Beton neu denken! Die klimatischen Veränderungen auf unserem Planeten sind, wie seriöse wissenschaftliche Untersu- chungen belegen, unzweifelhaft eine Folge der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit. Bereits heute gehen diese Veränderungen mit verschiedenen Katastrophen wie Stürme, Hochwasser, Erdrut- sche, Dürren und Brände einher, deren Ausmaße beträchtlich zunehmen werden, wenn den Ursachen nicht massiv entgegengesteuert wird. Die Ausgangslage Die Entwicklung der Zivilisation fand ihren Nie- derschlag in der Gestalt der gebauten Umwelt. Sie spiegelt auch die Bedürfnisse der modernen Industriegesellschaft wider, deren Weiterentwick- lung gewissermaßen ein Axiom ist. Das mensch- © Jasmin_Sessler – pixabay.com liche Bestreben nach Glück, Wohlstand, Komfort und Sicherheit wird gerade auch die baulichen Aktivitäten weiter vorantreiben. Schätzungen zufolge resultieren aktuell rund 40 % der Massen- ströme und etwa 40 % des Energieverbrauchs weltweit aus dem Bauwesen. Bereits heute liegt der Ressourcenverbrauch weit jenseits dessen, was unser Planet verkraften kann. Würden alle Nicht erst seit der Fridays-for-Future-Bewegung wird ein radikales Menschen auf der Erde so leben wie wir Deut- Umdenken in der Politik gefordert. schen, müsste sie dreimal so groß sein. So trivial die Erkenntnis ist, dass es auf dem nicht bewusst, dass der Baustoff Beton darin eingeschlagenen Weg – physikalischen Gesetz- eine zentrale Rolle spielt. Er war der Baustoff mäßigkeiten folgend – nicht weitergehen kann, des 20. Jahrhunderts und er wird es aller Wahr- so schwierig ist es, den notwendigen Wandel scheinlichkeit nach auch im 21. Jahrhundert blei- im Kleinen und im Großen, regional und welt- ben. weit herbeizuführen. Die Herausforderungen sind riesig und berühren bei Weitem nicht nur tech- Der Werkstoff Beton erwies sich als der Schlüssel nische Aspekte. Aber immerhin ist die Botschaft zum Fortschritt. Sein Verbrauch korreliert direkt des früher gerne auch mal belächelten Club of mit dem Wirtschaftswachstum und dem Ausbau Rome von 1972, „The limits to growth“, inzwi- der Infrastruktur. Jährlich werden derzeit 7 bis schen in jedem Winkel der Erde angekommen. 8 Mrd. m³ Beton benötigt. Schätzungen gehen Die später eingesetzte Brundtland-Kommission von einem Zuwachs von 300 % in den nächsten (1987), die verabschiedeten UN-Konventionen 20 Jahren aus. Aber schon heute verursacht die (Sustainable Development Goals, 2015) und viele Betonherstellung etwa 6 bis 8 % der globalen weitere Initiativen bis hin zur aktuellen Fridays- CO2-Emissionen. Man mag sich nicht vorstellen, for-Future-Bewegung verfolgen im Prinzip das was geschieht, wenn auch dieser Wert um den gleiche Ziel, nämlich ein radikales Umdenken mit Faktor drei ansteigt. Schon heute liegen die CO2- entsprechenden Konsequenzen herbeizuführen. Emissionen der Betonherstellung beispielsweise Und genau genommen ist dies das Gebot des ein Mehrfaches über den gegenwärtig kritisch angebrochenen Jahrzehnts! diskutierten Emissionen aus dem Flugverkehr. Rolle und Potenzial des Betons Ein weiteres Problem ist die Verknappung wesentlicher Betonausgangsstoffe. In besonde- Bei all der Informationsflut zu Fakten und Sze- rer Weise gilt dies für die Gesteinskomponente narien unsere Umwelt betreffend, ist vielen Sand. Getrieben durch die Wirtschaftskraft auf- 6
Prof. Dr.-Ing. Harald S. Müller Ehrenpräsident der International Federation for Structural Concrete (fib) strebender Nationen führt dies zu einem Handel wäre. Rund achtzig Jahre später, im Jahre 2010, auf geradezu abenteuerlichen Wegen, diametral konnte der Burj Khalifa in Dubai (828 m hoch) zu jeglichem nachhaltigen Handeln. Dagegen ist selbstverständlich als Betonkonstruktion errichtet künstliche Verknappung durch politisch gewollte werden, deren Tragfähigkeit zudem bei Weitem Auflagen hierzulande eine – weltweit gesehen – noch nicht ausgereizt ist. Ob solche Bauhöhen eher unbedeutende Marginalie. allerdings sinnvoll und erstrebenswert sind, ist eine ganz andere Frage. Jenseits von rund 600 m Trotz dieser fast überkritischen Faktenlage muss Höhe ist jedenfalls Wohnen und Arbeiten für einem nicht bange werden angesichts der Poten- Menschen nicht mehr möglich. ziale, die der Werkstoff Beton besitzt, und der Chancen, die das Bauen mit ihm impliziert, wenn Ohne in diesem Gastbeitrag in die technischen – und das ist entscheidend – beide voll ausge- Details einsteigen zu wollen, seien zumindest die schöpft werden! Der Paradigmenwechsel in der grundsätzlichen Zielvorgaben einer nachhaltigen Baustoffforschung, weg vom bloßen Verstehen Nutzung von Beton und die wissenschaftlichen in den sechziger bis achtziger Jahren des letzten Ansätze zu ihrer Erreichung kurz aufgezeigt. Ziel Jahrhunderts, hin zur gezielten Weiterentwick- muss es sein, vorrangig sowohl den Massenver- lung und Verbesserung der Werkstoffeigenschaf- brauch als auch die CO2-Emissionen zu reduzie- ten, hat Erstaunliches bewirkt. Dem Laien mag ren, wobei letztere primär aus der Zementpro- dies daran deutlich werden, dass im Jahre 1931 duktion stammen. Andere Umweltfaktoren einer das Empire State Building in New York (381 m ökologischen Betrachtung zu Beton spielen eine hoch) nur als Stahlkonstruktion ausgeführt wer- untergeordnete Rolle, wenn man eine nachhaltige den konnte, weil die Tragfähigkeit des damaligen Energiegewinnung unterstellt. Betons um das Doppelte überschritten worden Die Tragfähigkeit des Baustoffs Beton hat im Laufe der Jahre erheblich zugenommen. Mit einer Höhe von 381 m konnte 1931 das Empire State Building nur als Stahlkonstruktion gebaut werden. 2010 wurde in Dubai der 821 m hohe Burj Khalifa als Stahlbetonkonstruktion realisiert. Foto links: © nextvoyage – pixabay.com, Foto rechts: © smarko – pixabay.com 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 7
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton Bewährtes weiterentwickeln, Neues erschließen Die Steigerung der Betonfestigkeit ist ein äußerst probates Mittel, um den Massenverbrauch abzu- senken. Je höher die Betonfestigkeit, desto weni- ger Material wird zur Erzielung der gleichen Tragfähigkeit einer Konstruktion benötigt. Eine weitere Massenreduktion wird erreicht, wenn die Bewehrung aus Stahl durch sechsmal festeres und viermal leichteres Carbon ersetzt wird. Die Korrosionsbeständigkeit von Carbon erlaubt es, © IZB die Betondeckung, die heute den eingebetteten Stahl vor einer Korrosion schützen muss, erheblich Der Einsatz von Gradientenbeton, die additive Fertigung und eine zu reduzieren, was die Betonquerschnitte deutlich optimierte Formfindung reduzieren den Materialverbrauch. verschlankt. Eine weitere Verbesserung geht mit der Vorspannung der Carbonbewehrung einher. mit wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen Große Masseneinsparungen beziehungsweise einher. eine effiziente Nutzung der Eigenschaften von Betonen ergeben sich auch bei der Anwendung Ideal wäre es, wenn man Zement, genauer gesagt des sogenannten Gradientenbetons. den Portlandzementklinker, durch ein anderes Bindemittel ohne CO2-Footprint oder wenigstens Eine immense Schonung von Ressourcen geht mit viel geringerem CO2-Footprint substituieren mit einer verlängerten Lebens- beziehungsweise könnte. Zwar liegen erste Ansätze hierzu vor, aber Nutzungsdauer von Bauteilen und mit innova- aus der etwa fünfzehnjährigen Forschung auf tiven Erhaltungs- und Verstärkungsmethoden diesem Feld, beispielsweise am bisher aussichts- einher. Dies erfordert ein Umdenken, das durch reichsten Produkt Celitement, lässt sich ableiten, staatliche Anreize gefördert werden könnte. Aber dass sicherlich noch viele Jahre verstreichen wer- bereits beim Neubau muss der Nachhaltigkeitsge- den, bis ein vielleicht annähernd gutes Bindemit- danke im Zuge der Planung („Conceptual Design“) tel verfügbar sein wird. Eine große Frage ist dabei einen breiten Raum einnehmen, wie dies auch im auch, ob überhaupt und bis wann die weltweit künftigen fib Model Code niedergelegt sein wird. erforderlichen Massen produziert werden könn- Solche Konzepte implizieren das Denken in Kreis- ten. Eine Alternative bieten bei erster, gröberer läufen, schließen also den Recyclingbeton mit Betrachtung auch die calcinierten Tone. Ob sie ein. Auch die Produktion mittels moderner Ferti- jedoch dem Beton eine dem Portlandzementklin- gungsmethoden, zum Beispiel dem 3D-Drucken ker vergleichbare Festigkeit und Dauerhaftigkeit beziehungsweise der additiven Fertigung, geht verleihen können, muss die künftige Forschung erst noch zeigen. So bleibt zunächst einmal das bisher schon praktizierte Abmagern von Port- landzement durch Gesteinsmehle oder sekundäre Bindemittel, zum Beispiel Flugasche oder Hütten- sand. Dabei ist insbesondere die Verwendung von Flugasche ambivalent kritisch zu sehen. Sie ist der abgeschiedene Filterstaub der Kohleverbrennung, stammt also aus genau dem Prozess der Energie- gewinnung, der das größte Problem bezüglich der CO2-Emmission darstellt. Vielversprechend ist der Ansatz, den Bindemit- telgehalt im Beton drastisch zu reduzieren, etwa von heute 300 bis 450 kg/m³ auf künftig nur noch 100 kg/m³ Bindemittel oder Portlandzement- klinker. Solche Ökobetone erreichen bei gleichem Wasserzementwert eine etwa doppelt so hohe Druckfestigkeit als übliche Konstruktionsbetone. Möglich wird dies, indem der Feinstanteil der Betonmischung primär durch in der Korngröße © BBF fein abgestufte Gesteinsmehle bereitgestellt Eine klimaschonende Zementherstellung wäre möglich, wenn das bei wird. Damit verbunden ist der Einstieg in eine der Klinkerproduktion im Drehofen emittierte CO2 abgeschieden würde „neue“ Betontechnologie, da klassische Regeln (analog zur CCS-Technologie). bei solchen Betonzusammensetzungen nicht 8
mehr gelten und auch Wie erläutert, geht es hinsichtlich des Betonein- bekannte Wirkstoffe, satzes grob betrachtet vor allem darum, sowohl wie beispielsweise den Massenverbrauch als auch die CO2-Emissio- Fließmittel, nur noch nen zu reduzieren. Beides muss nicht notwendi- eingeschränkt funk- gerweise gekoppelt sein. Was die CO2-Emissio- tionieren (Mangel an nen anbelangt, sei auch die Frage aufgeworfen, Zement und Wasser). ob die Zementindustrie bereits alle ihre Möglich- Fest steht jedoch, keiten vollständig ausgeschöpft hat? Für den dass diese Probleme konventionellen Produktionsprozess dürfte dies durch entsprechende der Fall sein. Aber wäre nicht die vereinzelt schon Forschung bezie- praktizierte CCS-Technologie, die eine Abschei- hungsweise geeig- dung von CO2 bei der Kohleverfeuerung ein- nete Entwicklungen schließt, in einer gewissen Modifikation vielleicht gelöst werden können. Entsprechende Gebinde auch auf den Brennprozess im Drehofen anwend- – das klassische Mischen der Ausgangsstoffe im bar? Forschungsanstrengungen mit dieser Aus- Betonwerk erscheint äußerst schwierig – könnte richtung könnten zu einer Wende bezüglich der die Zementindustrie bereits heute produzieren. CO2-Emissionen ausschlaggebend beitragen. Im Weiteren muss die Forschung darauf abzielen, Hinsichtlich der Umwelt- und Klimaprobleme sit- den intelligenten oder smarten Beton zu entwi- zen wir alle, unabhängig von Branche, Status und ckeln, dessen Festigkeits- und Dauerhaftigkeits- Land, unentrinnbar im gleichen Boot. Als eines der eigenschaften zuverlässig entkoppelt, also von- am höchsten entwickelten und gleichzeitig reichs- einander unabhängig eingestellt werden können. ten Industrieländer darf und kann Deutschland Dabei lassen sich weitere positive Eigenschaften beim Umwelt- und Klimaschutz durchaus eine wie beispielsweise ein besseres Dämmverhal- Vorreiterrolle einnehmen. Zwar wird der unmittel- ten (Wärme, Schall) und katalytische Funktionen bare Nutzen hieraus – Deutschland ist für rund (Selbstreinigung, Entgiftung) integrieren. 2 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwort- lich – vergleichsweise gering ausfallen. Aber die Chancen und Herausforderungen für Entwicklungs- und Schwellenländer werden sich die Betonfertigteilbranche am guten Beispiel orientieren, allein schon aus der Erkenntnis der Notwendigkeit, aber auch aus In diesem Gesamtkontext ergeben sich unter wirtschaftlichen Gründen. Ihr Beitrag zur nach- anderem für die Fertigteilindustrie große Chan- haltigen Entwicklung ist von immenser Bedeutung cen. Die oben genannten Technologien führen zu und absolut unverzichtbar, wenn wir unseren Hochleistungsbetonen, die in der Herstellung eine Kindern und Kindeskindern eine lebenswerte Welt vergleichsweise geringe Robustheit kennzeichnet erhalten wollen. und ihre Verwendung als Ortbeton kritisch macht. Demgegenüber kann die Betonfertigteilindustrie eine hohe Produktions- und Produktqualität gewährleisten. Die Herausforderung für die Bran- che besteht darin, verbesserte Verbindungstech- niken und neue adaptive Modulbauweisen mit Fließfertigungsmethoden zu entwickeln. Dabei ist Bella Sky Hotel in Kopenhagen – Fertigteilbau, Gewinner des AOS- das Potenzial, welches das Building Information Preises der fib im Jahr 2014. Modeling (BIM) bietet, zu integrieren. Dies ginge aus vielerlei Gründen mit einer beträchtlichen Ressourcenschonung einher. Die obigen Ausführungen mögen verdeutlichen, dass es sehr viele Möglichkeiten einer nachhal- tigen Verwendung von Beton gibt, auf den als Baustoff in absehbarer Zeit in vielen Bereichen nicht verzichtet werden kann. Entscheidend wird sein, dass durch geeignete Rahmenbedingungen die aufgezeigten Innovationen weltweit voran- getrieben werden. Notwendig ist auch, dass jede Branche im Bereich des Bauwesens entlang der Produktions- und Wirtschaftskette zu einer nachhaltigen Anwendung von Beton beiträgt. Der finanzielle und technische Aufwand für neue © fib Wege darf kein Hindernis darstellen. 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 9
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton POSITION. Wettbewerbsgleichheit und Technologieoffenheit in der Bauwirtschaft Seit Juli 2020 wird auf der Ebene von Bund und unter anderen in puncto sommerlicher Wärme- Ländern eine politische Diskussion über die Ein- schutz, Lärm- und Brandschutz, für das klima- führung von Holzbauquoten angeregt. 30 Orga- angepasste Bauen sowie bezüglich minimaler nisationen und Verbände der deutschen Bau- Transportwege gegenüber anderen Bauweisen wirtschaft haben in einem Positionspapier dazu gleichwertig oder besser. Das gilt insbesondere, Stellung bezogen. wenn man die Nachhaltigkeit der Gebäude über einen realen Lebenszyklus von mehr als 50 Jahren Stahlbeton und Mauersteine sind die sowie inklusive Rückbau, Recycling, Wiederver- Massenbaustoffe für Deutschland wendung und Berücksichtigung ihrer finalen Ent- sorgung abbildet. In Deutschland werden die Wohnungs- und Nichtwohnungsbauten in allen Bundesländern überwiegend aus Stahlbeton und Mauersteinen Top-Themen der Prozesskette Bau: – also in Massivbau – errichtet. Damit leisten die Klimaneutralität und Kreislaufwirt- Massivbauer mit ihrer täglichen Arbeit den ent- schaft scheidenden Anteil zur Errichtung der gebauten Umwelt und somit auch zur Lösung der sozialen Parallel zu den aktuellen Daten und Fakten wer- Frage Wohnen. den auf Grundlage politischer Entscheidungen und gesetzlicher Vorgaben mittel- und langfristig Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft die domi- Massivbau ist in puncto Nachhaltig- nierenden Themen für die gesamte Prozesskette keit absolut konkurrenzfähig Bau sein. Die bisherige Anwendung von Baustoffen und Die Herstellung klimaneutraler mineralischer Bau- Bauweisen hat sich seit Jahrzehnten im freien stoffe und die Absicherung einer weitestgehend Wettbewerb auf der Grundlage der Entscheidun- geschlossenen Kreislaufwirtschaft inklusive Wie- gen von privaten und institutionellen Investoren, derverwendung beziehungsweise Weiternutzung öffentlichen Auftraggebern, von Planern und der Baustoffe sind als zukunftssichernde Aufgabe Bauausführenden entwickelt. Ausschlaggebend alternativlos und können mit Blick auf die Bedeu- für die heutige Situation zur Entscheidung pro tung des Baus für alle gesellschaftlichen Bereiche Massivbau ist sicher nicht nur die Bautradition. nur gemeinsam mit der Politik gelöst werden – Massive Bauten können im Gleichklang der Nach- weisen aber auch enorme Chancen auf! haltigkeit, also in der Summe aller ökologischen, ökonomischen und den soziokulturellen Eigen- schaften, bestens mit Holzbauten konkurrieren. So sind die Eigenschaften von Massivbauten BAUWIRTSCHAFT BADEN-WÜRTTEMBERG • BAYERISCHER BAUINDUSTRIEVERBAND • BAYERISCHER INDUSTRIEV ZIEGELINDUSTRIE-VERBAND • BUNDESVERBAND DER DEUTSCHEN TRANSPORTBETONINDUSTRIE • BUNDESVERB BAND DER DEUTSCHEN ZIEGELINDUSTRIE • BUNDESVERBAND KALKSANDSTEININDUSTRIE • BUNDESVERBAND STOFFE • BUNDESVERBAND PORENBETONINDUSTRIE • BUNDESVERBAND SPANNBETON-FERTIGDECKEN • DEUT NUNGSBAU • DEUTSCHE BETONBAUTEILE • FACHVERBAND BETON- UND FERTIGTEILWERKE BADEN-WÜRTTEMBE SACHSEN/THÜRINGEN • FACHVERBAND HOCH- UND MASSIVBAU IM ZENTRALVERBAND DEUTSCHES BAUGEWE GERN • FACHVEREINIGUNG DEUTSCHER BETONFERTIGTEILBAU • HAUPTVERBAND DER DEUTSCHEN BAUINDUST GMBH • INDUSTRIEVERBAND STEINE UND ERDEN BADEN-WÜRTTEMBERG • LANDESVERBAND BAYERISCHER BAU MINERALISCHE BAUSTOFFE • VERBAND BAUEN IN WEISS • VERBAND BETON- UND FERTIGTEILINDUSTRIE NORD DEUTSCHER ZEMENTWERKE 10
Die Zukunft der mineralischen POLITISCHE FORDERUNGEN Baustoffe ist grün Angesichts der aufgezeigten Fakten und der poli- Das im Dezember 2019 in Kraft getretene Klima- tischen Zielvorgaben wenden sich die Unterzeich- schutzgesetz verpflichtet alle Marktakteure zur ner des Positionspapiers mit folgenden Forderun- CO2-neutralen Produktion ihrer Produkte res- gen an Bund, Länder und Kommunen: pektive Baustoffe bis zum Jahr 2050. Zugleich muss der Energieverbrauch im Gebäudesektor 1. Grundlage von allen anstehenden politischen um 80 % sinken und zu einem immer größeren Entscheidungen zur Vorgabe zukünftiger Anfor- Teil über erneuerbare Energien abgedeckt wer- derungen an Gebäude muss die faire Bewertung den. Außerdem ist durch den ebenfalls beschlos- aller Baustoffe und Bauweisen unter umfassen- senen Kohleausstieg bis 2038 vorgegeben, dass der Betrachtung der realen Lebensdauer sowie bereits in etwa 20 Jahren die Nutzung fossiler des vollständigen Lebenszyklusses von Gebäu- Brennstoffe für die Erwärmung von Gebäuden den inklusive Rückbau, Recycling und Wieder- stark rückläufig sein wird und die Nutzung von verwendung von Baustoffen, Bauprodukten und Kohle weitgehend entfällt. Daher ist bei einer ganzen Bauteilen sein. erfolgreichen Umsetzung der verabschiedeten Klimaschutzziele bereits ab 2051 davon auszu- 2. Der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit gehen, dass es zu einer völlig neuen ökologischen freiem Wettbewerb ist bei allen politischen und Bewertung der Baustoffe kommt. Die mit grüner parlamentarischen Entscheidungen zur Vorgabe Energie hergestellten mineralischen Baustoffe zukünftiger Anforderungen an Gebäude zu tragen dann kaum noch graue Energie in die Bau- berücksichtigen. Das schließt die Einführung und konstruktionen der Gebäude ein. Bei ihrer Herstel- Umsetzung von Quotenregelungen zugunsten lung wird kein CO2 mehr an die Luft abgegeben, einzelner Baustoffe und Bauweisen aus. so dass durch mögliche Substitution keine CO2- Emissionen mehr eingespart werden. 3. Technologieoffenheit muss ein Grundsatz für alle zukünftigen gesetzlichen Regelungen von Anfor- derungen an Bauwerke und Gebäude sein. Das umfasst eine gleichberechtigte und angemessene Förderung aller Bauprodukte und Bauweisen zur Erreichung der politischen Zielsetzungen bezüg- lich Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft. Diesen Forderungen schließen wir uns als Verbände der Betonfertigteilindustrie und Herausgeber des punktum.betonbauteile uneingeschränkt an. VERBAND BAUSTOFFE, STEINE UND ERDEN • BAYERISCHER BAND DER DEUTSCHEN KALKINDUSTRIE • BUNDESVER- LEICHTBETON • BUNDESVERBAND MINERALISCHE ROH- TSCHE GESELLSCHAFT FÜR MAUERWERKS- UND WOH- ERG • FACHVERBAND BETON- UND FERTIGTEILWERKE ERBE • FACHVEREINIGUNG BETONBAUTEILE MIT GITTERTRÄ- TRIE • HESSENBETON • INFORMATIONSZENTRUM BETON AUINNUNGEN • SOLID UNIT • UNTERNEHMERVERBAND D • VERBAND DER BAU- UND ROHSTOFFINDUSTRIE • VEREIN 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 11
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton Interview Die Zementindustrie auf dem Weg in die CO2-arme Zukunft Dr. Martin Schneider ist Hauptgeschäftsführer des Vereins Deutscher Zementwerke e. V. (VDZ) und Leiter des Forschungsinstituts der Zementindustrie sowie Geschäftsführer der European Cement Research Academy (ECRA). Nach seiner Promotion in Angewandter Physik an der Universität Bonn und kurzen Zwischenstationen im wissenschaftlichen Bereich begann er 1991 seine Tätigkeit beim VDZ im Bereich Umweltschutz und Zementchemie. Seit 2009 ist Dr. Martin Schneider als Honorarprofessor an der Techni- schen Universität Clausthal tätig. Welche Rolle spielen Zement und zu den hieraus erstellten Bauwerken massive Beton beim Bauen in der Zukunft? Anstrengungen notwendig sein. Wir, der Verein Deutscher Zementwerke e. V. und die deutsche Zement und Beton spielen bei der Bereitstellung Zement- und Betonindustrie, sind bereit, hier von Lösungen in den Bereichen Wohnen, Infra- mutige Schritte zu gehen. Wir benötigen dafür struktur, Verkehr sowie der Energie- und Wasser- aber ein Umfeld, in dem innovative Produkte und versorgung eine wichtige Rolle. In Zukunft wer- Prozesse in den Markt kommen können. den das zu erwartende Bevölkerungswachstum bis 2050 und der Trend zur Urbanisierung den Wo stehen wir heute? Und bis wann Bedarf nach diesen Baustoffen global weiter wird eine Klimaneutralität erreicht steigern. Zement und Beton werden also auch werden können? künftig in vielerlei Hinsicht wichtig für moderne Gesellschaften und deren nachhaltige Entwick- Mit dem Pariser Abkommen ist es gelungen, für lung sein. das Ziel der Begrenzung der Erwärmung auf 2 °C im 21. Jahrhundert einen globalen Rahmen Auf dem Weg in die CO2-arme zu schaffen. In diesem Kontext haben sich die Zukunft steht die Zement- und Beton- EU und Deutschland verpflichtet, ihre CO2-Emis- industrie vor großen Herausforderun- sionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um 80 bis gen. Welche Ziele hat sich die Indust- 95 % zu reduzieren – aktuell zeichnet sich eine rie gesteckt? weitere Erhöhung des daran orientierten Ambi- tionsniveaus ab. Der Klimaschutz ist den Unternehmen der Zement- und Betonindustrie wichtig und stellt Auf diese Rahmenbedingungen hat sich die sie in der Tat vor große Herausforderungen: Die Zementindustrie früh eingestellt und eine Fülle Zementproduktion geht zwangsläufig mit einem von Maßnahmen umgesetzt – beginnend bei erheblichen Energiebedarf und hohen CO2-Emis- der Verwendung der Ausgangsstoffe bis hin zur sionen einher. Letztere stammen zu rund zwei Herstellung von Zement –, um den CO2-Footprint Dritteln aus der chemischen Umwandlung des ihrer Prozesse und Produkte zu reduzieren. So ist Rohstoffs Kalkstein in Zementklinker und sind es uns in Deutschland gelungen, die spezifischen mit heute verfügbaren Technologien nur bedingt CO2-Emissionen je Tonne Zement gegenüber beeinflussbar. Nur ein Drittel entsteht durch den 1990 bis heute um rund 22 % zu verringern, EU- Einsatz von Brennstoffen. Für eine deutliche Min- weit um ca. 14 %. derung der rohstoffbedingten CO2-Emissionen bei der Zementherstellung bedarf es also neuartiger Welche Maßnahmen haben zur Ansätze und Technologien, die derzeit technisch bisherigen CO2-Reduzierung beigetra- erprobt werden, für die aber heute noch die not- gen? wendigen Rahmenbedingungen fehlen. Um die Ziele des Pariser Klima-Abkommens vom Maßgeblich dazu beigetragen hat der Einsatz Dezember 2015, also die Begrenzung der glo- alternativer Brennstoffe, die einen geringeren balen Erwärmung auf 2 °C, zu erreichen, wer- Kohlenstoff-Anteil als fossile Brennstoffe und den entlang der gesamten Wertschöpfungs- einen teilweise hohen Biomasse-Anteil aufwei- kette von Zement und Beton und letztlich bis hin sen. Diese alternativen Brennstoffe decken heute 12
Dr. Martin Schneider Hauptgeschäftsführer des Verein Deutscher Zementwerke e. V. Leiter des Forschungsinstituts der Zementindustrie Geschäftsführer der European Cement Research Academy rund zwei Drittel des Brennstoffenergiebedarfs von Beton in Bauwerken geht. Wenn die Rah- für die Zementherstellung in Deutschland ab. menbedingungen richtig gesetzt werden, halte Gleichzeitig hat die Branche bei der Reduzierung ich aber eine weitgehend klimaneutrale Zement- des Klinkergehalts im Zement große Fortschritte und Betonherstellung für möglich – hierfür erreicht. An einer weiteren Erhöhung des Einsat- müssen wir allerdings alle Minderungsoptionen zes alternativer Brennstoffe sowie an der Verbes- entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus- serung der Klinkereffizienz arbeitet die Industrie schöpfen. mit Hochdruck. Welchen Anteil hat die Zement- Könnte Zement durch neue alterna- industrie an den globalen CO2-Emis- tive Bindemittel ersetzt werden? sionen und welchen an jenen in Deutschland? Die Zementhersteller in Deutschland forschen seit vielen Jahren intensiv an verschiedenen Ansät- Heute ist die Zementindustrie der drittgrößte zen, um die rohstoffbedingten CO2-Emissionen industrielle Energieverbraucher und ihre Pro- bei der Zementherstellung deutlich zu senken. duktion trägt zu 6 bis 7 % zu den globalen vom Eine mögliche Option stellt hier die Entwicklung Menschen beeinflussten CO2-Emissionen bei. von neuen Bindemitteln dar, die auf der Basis In Deutschland liegt der Anteil an den Gesamt- einer anderen Rohstoff-Zusammensetzung und Treibhausgasemissionen bei etwa 2 %. Da wir bis mit weniger Energieaufwand hergestellt werden 2050 mit einem wachsenden globalen Zement- können. Bislang befinden sich diese Arbeiten verbrauch rechnen, macht dies die Herausforde- aber noch im Entwicklungsstadium. Es ist aller- rung der CO2-Minderung ungleich größer. dings aus heutiger Sicht nicht zu erkennen, dass mit solchen neuen Bindemitteln Portlandzement Wie sieht es mit den CO2-Emissio- in größerem Umfang ersetzt werden könnte. Dies nen entlang der Wertschöpfungskette liegt zum einen an der zum Teil sehr begrenzten Zement und Beton aus? Verfügbarkeit der dafür notwendigen Materialien, zum anderen an den bautechnischen Eigenschaf- Zement ist letztlich das wesentliche Ausgangs- ten, die sich zumindest aus derzeitiger Sicht nur material für Beton und damit für viele Gebäude für sehr spezifische Bauanwendungen eignen und Infrastrukturen. Er bestimmt daher auch dürften. maßgeblich den CO2-Footprint der Materialien, die beim Bauen verwendet werden. In Deutsch- Welche Rolle könnten CO2- land entstehen bei der Herstellung pro Tonne Abscheidungstechnologien spielen? Zement aktuell 594 kg CO2. Die dem Beton zuzu- rechnenden CO2-Emissionen hängen stark von Ein weiterer Ansatz, der unter dem Dach der der Betonart, der örtlichen Situation und hier ins- European Cement Research Academy unter besondere von der Bautradition und den nationa- besonderer Mitarbeit des VDZ seit nunmehr len Bauvorschriften ab. Berechnungen des Treib- rund zehn Jahren verfolgt wird, ist die mögliche hauspotenzials eines C30/37-Transportbetons Anwendung von CO2-Abscheidungstechnolo- mit einer typischen in Deutschland hergestellten gien bei der Zementklinker-Herstellung – mit dem Zusammensetzung ergaben im Schnitt Werte Ziel, das CO2 anschließend entweder langfristig von 250 kg CO2-Äquivalent/m3 für unbewehrten zu speichern (Carbon Capture and Storage) oder Beton und 312 kg CO2-Äquivalent/m3 für Stahl- aber einer anderen Verwendung zukommen zu beton. lassen (Carbon Capture and Utilisation). Ich bin zuversichtlich, dass die großtechnische Erpro- bung der CO2-Abscheidung im Zementherstel- lungsprozess in den kommenden Jahren auch in « Wenn die Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden, halte ich aber eine Deutschland gelingen wird. Was die Frage der CO2-Nutzung und perspektivisch auch einer Spei- weitgehend klimaneutrale Zement- cherung angeht, sind allerdings noch viele Fragen und Betonherstellung für möglich ... » offen. Darüber hinaus liegt auch noch viel Arbeit vor uns, wenn es um den effizienteren Einsatz 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 13
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton Beton ist ein langlebiger Baustoff. derzeit bei rund 10 %. In einigen Regionen wer- Welche Rolle spielt die Langlebigkeit den sie in noch deutlich größerem Umfang ein- des Baustoffs hinsichtlich möglicher gesetzt. Dazu zählt beispielsweise Europa, wo CO2-Minderungspotenziale? alternative Brennstoffe bei durchschnittlich 41 % liegen – einige Werke in Österreich und Deutsch- Für eine Gesamtbetrachtung spielt neben der land befinden sich hier im oberen Bereich. In Herstellung der Baustoffe natürlich auch die Deutschland wurde 2018 der thermische Ener- Nutzungslänge eines Bauwerks sowie dessen giebedarf im Durchschnitt zu 68 % durch alterna- Verwertung am Ende der Nutzung eine wichtige tive Brennstoffe gedeckt. Rolle. Gerade über den Lebenszyklus hinweg zeigt Beton seine außergewöhnlichen Eigen- Den Klinker-Zement-Anteil haben schaften. So dient seine große thermische Masse wir bereits kurz angesprochen. Wel- der Energiespeicherung und Raumtemperatur- che Rolle genau kann dessen Reduzie- Stabilisierung – Beton schafft ein gutes Raum- rung spielen? klima und senkt den Heizenergieverbrauch. Darü- ber hinaus kann er, was nicht überall bekannt ist, Klinker ist der Leistungsträger im Zement. Gleich- CO2 aus der Umgebung aufnehmen – und damit zeitig verursacht seine Herstellung aber auch die seinen CO2-Footprint über den gesamten Lebens- hohen CO2-Emissionen. Wenn man dem Zement zyklus hin verbessern. Bezogen auf den Gesamt- daher andere Stoffe zufügt, die sich positiv auf lebenszyklus eines Gebäudes gehen wir davon die Zementeigenschaften und seine Festig- aus, dass Beton durch die sogenannte Rekarbo- keit auswirken, verringern sich dadurch auch natisierung rund 10 bis 12 % der ursprünglich diese Emissionen. Insofern ist die Reduzierung bei seiner Herstellung angefallenen Emissio- des Klinkergehalts im Zement derzeit die mit nen wieder einbindet. Wenn man bedenkt, dass Abstand effizienteste Maßnahme zur Minderung der Gebäudesektor in Europa für rund 40 % der der CO2-Emissionen bei der Zementherstellung, CO2-Emissionen steht, stecken besonders hier da sie sowohl das CO2 aus den Rohstoffen als erhebliche CO2-Minderungspotenziale. Niedrig- auch aus den Brennstoffen erfasst. Der globale energiegebäude werden dabei künftig eine ent- Durchschnitt des Klinker-Zement-Faktors liegt scheidende Rolle spielen. Die Betonbauweise nach den letzten verfügbaren Daten bei etwa kann hier ein Teil der Lösung sein. So können bei- 0,65. In der EU und in Deutschland ist er mit spielsweise mittels Betonkernaktivierung Räume 0,74 beziehungsweise 0,71 etwas höher. Inso- effizient geheizt und gekühlt werden. Letztlich fern ist eine weitere Reduzierung des Klinker- muss im Gebäudebereich aber die Material- gehalts im Zement auch hierzulande erstrebens- effizienz verbessert werden – nicht nur durch die wert und möglich. Sie ist jedoch maßgeblich von Reduzierung der Materialintensität, sondern auch der künftigen Verfügbarkeit geeigneter alter- durch die der Kohlenstoffemissionen bei der Her- nativer Rohstoffe – denken wir hier unter ande- « stellung der Baustoffe. Bezogen auf den Gesamtlebenszyklus ei- rem an Hüttensand oder Flugasche – abhängig. Ein bestimmter Klinkergehalt darf jedoch nicht unterschritten werden, wenn der Zement nicht seine Leistungsfähigkeit verlieren soll. Er muss nes Gebäudes gehen wir davon aus, dass schließlich die bautechnischen Anforderungen, insbesondere an die Langlebigkeit der Bauwerke Beton durch die sogenannte Rekarbonati- erfüllen. Die Klinkerintensität und damit der CO2- sierung rund 10 bis 12 % der ursprünglich Gehalt sind deshalb auch immer im Zusammen- hang mit der Leistungsfähigkeit und der Dauer- bei seiner Herstellung angefallenen Emis- » haftigkeit des jeweils hergestellten Mörtels oder sionen wieder einbindet. Betons zu sehen. Welche Rolle können klinkereffizi- Wie sieht es mit der Umstellung auf ente Zemente zukünftig spielen? alternative Brennstoffe aus? Die Klinkereffizienz im Beton ist seit Jahren Teil Alternative Brennstoffe sind im Allgemeinen vieler Forschungsaktivitäten. Dabei lag der Fokus weniger kohlenstoffintensiv als konventionelle bisher weniger auf der Festigkeitsentwicklung wie Kohle, Öl und Erdgas. Noch wichtiger ist dieser Betone, sondern auf Dauerhaftigkeitspara- jedoch, dass sie in der Regel einen hohen Anteil metern und robusten Frischbetoneigenschaften, an Biomasse enthalten. Der globale Anteil alter- also der Verarbeitbarkeit und Sedimentstabilität. nativer Brennstoffe am gesamten thermischen Neue klinkereffiziente Zemente wie CEM II/C-M Energieverbrauch in der Zementindustrie liegt und CEM VI mit hohen Kalkstein- und Hütten- 14
sandgehalten könnten künftig die Möglichkeit ren Faktoren wie dem Energiebedarf nur einen bieten, den Klinkerfaktor und damit auch den überschaubaren Anteil an den CO2-Emissionen CO2-Footprint von Zement und Beton weiter zu hat, werden weitere Potenziale erschlossen. Um reduzieren. Untersuchungen des VDZ und ande- ihn hinsichtlich seiner Lebensdauer zu bewerten, rer Institute zeigen, dass zumindest ein aus- könnten Druckfestigkeit und Lebensdauer mit der reichender Karbonatisierungs- und Frost-Tau- CO2-Intensität in Beziehung gesetzt werden. Widerstand bei moderater Wassersättigung Grundsätzlich sind alle Erwartungen an ein Bau- erreicht werden kann, wenn das Wasser-Zement- werk hinsichtlich Lebensdauer und Leistungs- Verhältnis ausreichend niedrig oder die Druck- fähigkeit durch den richtigen Einsatz der jeweili- festigkeit ausreichend hoch ist. In Deutschland gen Baustoffe sicherzustellen. Beton bietet hier beispielsweise werden ca. 65 % der Betone in perfekte Lösungen, die auch im Bauregelwerk Festigkeitsklassen hergestellt, die ihren Einsatz abgebildet sind. Für die neuen klinkereffizienten in Innenbauteilen (XC1, trocken) oder „normalen“ Zemente ergeben sich dabei gute Anwendungs- Außenbauteilen (XC4, XF1) anzeigen. potenziale für normale Betone, die bislang in den Um es zu ermöglichen, mehr Zemente mit nied- Normen noch nicht berücksichtigt werden. Hier rigeren Klinkerfaktoren – wie CEM II/C und CEM liegen viele Erkenntnisse vor, so dass auch künf- VI – im Beton einzusetzen, wird man möglicher- tig jederzeit gewährleistet werden kann, dass weise eine höhere Differenzierung der Anwen- die geplante Lebensdauer eines Bauwerks auch dung in Abhängigkeit von den verfügbaren Roh- erreicht wird. stoffen akzeptieren müssen: bei Zementen und Betonen, die in den meisten gängigen Baukons- Welche Rolle spielt das Recycling truktionen verwendet werden, einerseits – und von Beton? solchen, die unter besonderen Haltbarkeitsbedin- gungen genutzt werden, andererseits. Das Recycling von Beton ist nicht nur ein wich- tiger Beitrag zum nachhaltigen Bauen, sondern Welchen Einfluss hat die CO2- kann auch eine wichtige Rolle in der gesamten Intensität auf die Lebensdauer des CO2-Bilanz der Baukette spielen. Die Karbonati- Betons? sierung von Beton ist bekannt und wird bei der Planung von Betonkonstruktionen berücksichtigt. Die Herausforderung für die Zement- und Beton- Insbesondere kann nach dem Zerkleinern von branche besteht in Zukunft darin, über die Beton das Feinmaterial, das im Wesentlichen aus gesamte Nutzungsdauer eine möglichst geringe Kalziumsilikathydraten besteht, durch Rekarbo- CO2-Intensität zu erreichen. Auch wenn aus Öko- natisierung deutliche Mengen von CO2 aus der bilanzen von Gebäuden bekannt ist, dass der Atmosphäre aufnehmen. Feinkorn aus recycel- Anteil des Betons dabei im Vergleich zu ande- tem Beton lässt sich unter Umständen auch als Kalkstein wird in Steinbrüchen gewonnen. Zeitgleich mit der Gewinnung werden heute Renaturierungs- und Rekultivierungsprozesse ein- geleitet. Die Entwicklung zu wertvollen Biotopen setzt damit schon nach wenigen Jahren ein. © HeidelbergCement / Elsa Geseke 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 15
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton Kommen wir noch einmal zur CO2- Abscheidung. Könnte diese Technolo- gie die große Lösung sein? Die CO2-Abscheidung gilt in der Tat als inno- vative Durchbruchstechnologie, die aber ihren Weg in die industrielle Anwendung erst noch finden muss. Obwohl die CO2-Abtrennung heute sehr energieintensiv und teuer ist, gilt sie als die einzige Möglichkeit, die CO2-Emissionen der Zementherstellung deutlich zu reduzieren, um die Minderungsziele im Jahr 2050 zu erreichen: Je nach gewähltem Szenario müssen – und könnten damit – in der Zementindustrie zwischen 552 bis 707 Mio. t CO2/Jahr weltweit abgetrennt und dau- erhaft gespeichert werden. Die geologische Spei- cherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) ist seit langem eine bekannte Technologie, insbesondere in der Öl- und Gasindustrie. Außer- © HeidelbergCement / Steffen Fuchs dem kann CO2 auch als Kohlenstoff-Rohstoff oder zur Kraftstoffherstellung genutzt werden (Carbon Caupture and Utilization, CCU). In beiden Fällen werden aber entsprechende Mengen an Energie aus erneuerbaren Quellen benötigt werden. Wie kann man sich die CO2-Spei- cherung genauer vorstellen? Zementwerke werden kontinuierlich modernisiert, um sie auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Der Einsatz alternativer Brennstoffe und der vermehrte Das abgetrennte CO2 kann über Rohrleitungen Einsatz von Biomasse spielt dabei eine große Rolle. In Deutschland wurde 2018 der oder Behälter transportiert werden. Die Kosten thermische Energiebedarf für die Zementproduktion im Durchschnitt zu 68 % durch hängen von der Transportdistanz ab, andere alternative Brennstoffe gedeckt. Dieser Anteil wird kontinuierlich erhöht. Faktoren wie Be- und Entladekosten sowie die Art der Pipeline (Offshore oder Onshore) sind Primärrohstoff für die Klinkerproduktion verwen- weitere relevante kostenbestimmende Faktoren. den. Es besteht aus Calcium- und Silicium-Ver- Die Speicherung von CO2 erfolgt durch die Ein- bindungen und kann daher natürliche Rohstoffe bringung in geologische Formationen unter der ersetzen. Erdoberfläche. Poröse Gesteine mit dichten Deck- gesteinen sind ausreichend und geeignet, um das Wie sieht es mit der Verbesserung Gas sowie Gesteinsformationen, die zuvor zur der elektrischen Energieeffizienz aus? Aufnahme von Gas oder Öl verwendet wurden, zu halten. Es gibt bereits seit Jahrzehnten gute Der Hauptbedarf an elektrischer Energie bei der Erfahrungen mit der Offshore-Speicherung von Zementherstellung entsteht bei der Rohstoffauf- CO2. Auch ein Pilotprojekt in Brandenburg vor bereitung, dem Klinkerbrennen und der Zement- einigen Jahren hat bestätigt, dass eine sichere mahlung. In Zukunft wird es wichtig sein, dass unterirdische Speicherung an Land grundsätzlich die Zementindustrie ausreichenden Zugang zu möglich ist. Gleichzeitig gibt es selbstverständlich erneuerbarer elektrischer Energie hat, um ihre noch viele Fragen, welche die technische Umset- indirekten CO2-Emissionen zu minimieren und zung im Industriemaßstab und die rechtlichen auch bei der Anwendung neuartiger CO2-Min- Rahmenbedingungen angehen. Um die Poten- derungstechnologien auf grünen Strom setzen zu ziale von CCS und CCU auch für die Dekarboni- können. Bereits heute sind die Werke in Deutsch- sierung bestimmter Prozesse in der Industrie zu land sehr effizient und werden mit Hilfe von nutzen, ist daher in den kommenden Jahren noch Energiemanagement-Systemen kontinuierlich viel politisches Engagement gefragt – und ein verbessert. Wir stoßen aber auch hier an pro- gesellschaftlicher Diskurs über die Chancen und zesstechnische Grenzen. Bemerkenswert ist, dass Risiken, den wir aktiv mitgestalten möchten. der elektrische Energiebedarf durch Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in der Regel steigt. Wir müssen für den Klimaschutz also einen höheren Energiebedarf in Kauf nehmen. 16
Wie sieht die globale Roadmap für kohlenstoffarme Technologien für die In sogenannten Roadmaps werden verschiedene Maß- Zementindustrie aus? nahmen zur CO2-Minderung aufgeführt. Die Reduzie- rung des Klinkerfaktors, der vermehrte Einsatz von Bio- Die globale Herausforderung der CO2-Minderung masse, aber auch die CO2-Abscheidung spielen hier eine sowie die Notwendigkeit, Ziele zu definieren und besonders große Rolle. deren Umsetzungsgrad zu verfolgen, spiegelt sich auch in den sogenannten Roadmaps wider. Hierin sind die verschiedenen Maßnahmen zur wie dem Recycling von Beton und seiner effizien- CO2-Minderung und der zeitliche Rahmen, in teren Nutzung in Gebäuden und Infrastrukturen. denen sie umgesetzt werden müssen, aufgeführt. Die in der CEMBUREAU-Roadmap von 2013 Allen Roadmaps gemeinsam ist der Mix an vorgeschlagenen Schritte wurden 2018 erneut Maßnahmen zur CO2-Minderung. Die Reduzie- bewertet. Hier zeigt sich, dass die europäische rung des Klinkerfaktors, der vermehrte Einsatz Zementindustrie auf Kurs ist, sie langfristig auf von Biomasse, aber auch die CO2 Abscheidung Klimaneutralität im Bausektor abzielt und dass spielen hier eine besonders große Rolle. Vor allen kommende neue Technologien, vor allem die Dingen gilt es, die Maßnahmen gleichzeitig zu CO2-Abscheidung, besonders im Fokus zu stehen beginnen und nicht nacheinander. Wir würden haben. ansonsten zu viel Zeit verlieren. Die CO2-Reduktion, die der Zement- Wie sehen die regionalen Imple- sektor erreichen soll, basiert also auf mentierungen der globalen Roadmap parallelen Wegen? aus? Das ist richtig. Diese parallelen Wege tragen Auf der Basis der globalen Roadmap zur Dek- zur Gesamtreduktion bei, jedoch in unterschied- arbonsierung der Zementindustrie aus den lichem Maß und mit differierenden Zeitvorgaben. Jahren 2009 und 2018 wurden mehrere natio- Wichtig ist natürlich, dass die CO2-Effizienz als nale beziehungsweise regionale entwickelt. Im Teil einer gesamten CO2-armen Wirtschaft und Großen und Ganzen ähneln sie sich, lediglich die Wertschöpfungskette zu sehen ist. Ein geringerer Schwerpunkte der Maßnahmen sind leicht unter- Klinkergehalt im Zement kann erst dann zu glo- schiedlich gesetzt, da schließlich den jeweiligen balen CO2-Einsparungen beitragen, wenn diese Rahmenbedingungen vor Ort Rechnung getra- Zemente auf den Markt kommen. Und sie müssen gen werden muss. CEMBUREAU, der Europäische ihren Weg in die Bauwerke finden. Hierfür ist das Zementverband, unterstreicht in seiner Roadmap Regelwerk anzupassen. Es müssen aber auch für Europa von 2013 die Bedeutung der ver- geeignete Indikatoren entwickelt und umgesetzt schiedenen Minderungstechnologien im Bereich werden, um die Anwendung von kohlenstoffar- der Klinker- und Zementherstellung. Dabei wird men Betonen zu unterstützen und dabei stets ein für die europäische Zementindustrie eine Sen- ausreichendes hohes Qualitätsniveau für sichere kung der CO2-Emissionen von 177 Mio. t CO2/ Gebäude zu gewährleisten. Jahr im Jahr 1990 auf 34 Mio. t CO2/Jahr im Jahr 2050 angenommen. Fast 60 % dieser Emissions- Sie gehen die Herausforderungen minderung von etwa 79 Mio. t CO2 würden dabei also mit Zuversicht an? durch Breakthrough-Technologien wie die CO2- Abscheidung und -Speicherung bereitgestellt. Natürlich! Die Zement- und Betonindustrie unter- Der Brennstoffbedarf soll dabei zu 60 % durch stützt mit ihren Innovationen und Ideen zur Wei- alternative Kraftstoffe gedeckt werden, davon terentwicklung der Baustoffe aktiv die Klimaziele 40 % Biomasse. Als Klinkerfaktor wird im Jahr der Bundesregierung sowie die globalen Zielset- 2050 0,70 als realistisch eingeschätzt, neue Bin- zungen zum Klimaschutz. Obwohl die Herausfor- demittel mit CO2-Emissionen von unterhalb 50 % derungen für den Zementsektor groß sind, zeigt des Durchschnitts aller heutigen Zemente würden sich, dass die notwendigen Maßnahmen getrof- in diesem Szenario 5 % des gesamten Zement- fen werden, um diese Industrie auf ihrem Weg in produkt-Verbrauchs ausmachen. eine kohlenstoffarme Zukunft zu führen. Die Res- sourcen müssen dabei aufeinander abgestimmt Nicht berücksichtigt bei der Reduzierung der und die Kräfte gebündelt werden, und zwar von direkten Emissionen, aber ebenso wichtig in sei- allen, die Teil der Wertschöpfungskette Zement nem Beitrag zur globalen CO2-Einsparung aus und Beton sind. der Zement- und Beton-Wertschöpfungskette ist die wachsende Bedeutung von kohlenstoffarmem Herzlichen Dank für das Gespräch! Beton und weiteren nachgelagerten Maßnahmen 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft 17
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