RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...

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RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
4. Ausgabe 2021

                                      SONDERHEFT

Das Branchenmagazin   Betonfertigteile Betonwaren Betonwerkstein

                                   RESSOURCEN-

                                    SCHONENDES

                                         BAUEN MIT

                            BETONBAUTEILEN
RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
Inhalt

    3    Zukunftsgerecht Bauen                                41   Planen und Bauen mit
    4    Potenziale nutzen – Vorgefertigte Betonbauteile           Betonbauteilen

    6    Gastbeitrag „Bauen mit Beton neu denken!“            42   Intelligent Bauen

    10   Position: Wettbewerbsgleichheit und                  45   Position: Auf dem Holzweg?!
         Technologieoffenheit in der Bauwirtschaft            46   Potenziale der Baustoffe nutzen
    12   Interview „Die Zementindustrie auf dem Weg           49   Planungshilfe
         in die CO2-arme Zukunft“
                                                              49   Faktencheck
    19   Ein Beitrag zur Luftreinhaltung
                                                              50   Der Fertigteilentwurf
    23   Gastbeitrag „Ökologische Aspekte von Carbonbeton“
                                                              52   Recyclingfähiges Konstruieren
    26   Ressourceneinsatz                                    54   Bezahlbarer Wohnungsbau
         und Kreislaufwirtschaft
                                                              56   Gastbeitrag „Umweltanforderungen an befestigte
    27   Gastbeitrag „Mineralische Baurohstoffe                    Stadt- und Straßenräume“
         – haben wir noch genug?“
                                                              61   Ökologische Bewertung von Pflastersteinen
    29   bbs-Studie: Primär- und Sekundärrohstoffe bis 2035

    32   Gastbeitrag „Beton als Rohstoff“                     63   Zukunftspotenziale des
                                                                   Baustoffs Beton
    36   Position: Recycling-Materialien
         flexibel einsetzen                                   64   Gastbeitrag „Beton-3D-Druck – eine neue digitale und
                                                                   ressourceneffiziente Fertigungstechnologie“
    38   Einsatz von rezyklierten Gesteinskörnungen
                                                              67   Innovative Betone
    40   Baustoff-Recycling im Recht
                                                              70   Impressum

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RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
ZUKUNFTSGERECHT BAUEN

In Zeiten des Klimawandels und vor dem Hintergrund der Endlichkeit unserer Ressourcen steht die
Bauindustrie zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit. Die Forderungen nach nachhaltigeren Bau-
werken, die weniger Ressourcen verbrauchen, klimaneutral hergestellt und betrieben werden,
dauerhaft sowie vollständig rezyklierbar sind, werden immer lauter. Dem Gebot des Klima- und
Ressourcenschutzes stehen auf der anderen Seite die Realisierung wichtiger gesellschaftspolitischer
Aufgaben, wie die Bereitstellung von ausreichendem Wohnraum und einer intakten Infrastruktur,
gegenüber. Wir brauchen daher einen Paradigmenwechsel im Bauwesen. Als meist verwendetem
Baustoff kommt Beton hier eine Schlüsselrolle zu. Bereits heute kommen neue Generationen von
Betonen sowie ressourcenschonende und energieeffiziente Techniken bei der Betonherstellung zum
Einsatz. Innovative Produktentwicklungen bei Betonbauteilen bieten zusätzliche Funktionalitäten
und schaffen neue Einsatzfelder. Doch die Potenziale sind noch lange nicht ausgeschöpft. Dies zeigt
nicht zuletzt die 2020 veröffentlichte Roadmap zur Dekarbonisierung von Zement und Beton.

Über viele dieser Aspekte haben wir im Jahr 2020 in unserem Branchenmedium punktum.beton-
bauteile unter dem Leitthema „Ressourceneffizientes Bauen mit Betonfertigteilen“ berichtet. Im
vorliegenden Sonderheft sind die relevantesten Beiträge nochmals zusammengefasst.

© vegefox.com – stock.adobe.com                                              4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   3
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POTENZIALE
                                              VORGEFERTIGTE
    +Maßgenau
     Qualität
              und konstante                                    +Weniger  Staub und Lärm und
                                                                einfaches Baustellenmanagement

    Die witterungsgeschützte automatisierte                    Durch die Just-in-time-Lieferung montagefertiger Bau-
    Produktion der Betonbauteile unter kontrol-                teile wird Lagerfläche auf der Baustelle eingespart.
    lierten Bedingungen im Werk sorgt für eine hohe Maßge-     Auch der Einsatz von Personal und energieintensiven
    nauigkeit. Im Rahmen der Eigen- und Fremdüberwachung       Baumaschinen wird reduziert, die Lärm- und Staub-
    werden die Produkte außerdem regelmäßig kontrolliert       emissionen verringert.
    und eine konstant hohe Qualität gewährleistet.

    +Ressourcenschonende Produktion                            +Ökologischer Baustoff
                                                               Betonbauteile werden im Wesentlichen
    Bei der Produktion von Betonfertigteilen kommen res-       aus natürlichen Ausgangsstoffen wie
    sourcenschonende und energieeffiziente Techniken zum       Wasser, Gesteinskörnung (Kies oder
    Einsatz. Durch Vielfachnutzung der Schalung und Fer-       gebrochener Naturstein (Splitt) und Sand) und Zement
    tigung großer Serien werden Abfälle vermieden. Zudem       hergestellt. Die Rohstoffe werden größtenteils regional
    können Restmaterialien, Betonabfälle und Verschnitte,      gewonnen und verarbeitet. Dies sorgt für kurze Trans-
    die bei der Produktion anfallen, aufbereitet und wieder-   portwege und schont die Umwelt.
    verwendet werden. Die Bewehrung besteht in der Regel
    zu 100 % aus Recyclingmaterial. Auch der Einsatz von
    Recyclingbeton trägt zur ressourcenschonenden Pro-
    duktion bei.
                                                               +Langlebig und dauerhaft
                                                               Betonbauteile sind extrem widerstandsfähig und lang-

    +Integrierte Haustechnik                                   lebig. Sie halten auch extremen Witterungsbedingun-
                                                               gen und Umwelteinwirkungen stand. Die hohe Dauer-
                                                               haftigkeit von Beton sorgt dafür, dass Gebäude lange
    Bei der Herstellung der Betonfertigteile können viele      genutzt werden können, bevor sie ersetzt und neue
    haustechnische Ver- und Entsorgungsleitungen bereits       Ressourcen in Anspruch genommen werden müssen.
    im Werk eingebaut werden. Von Dosen und Leerroh-           Das sichert den langfristigen Werterhalt und hält den
    ren für die Stromversorgung und Aussparungen für die       Unterhaltungsaufwand niedrig
    Sanitärinstallation über Soleleitungen für die Energie-
    gewinnung in Fassaden oder zur Heizung beziehungs-
    weise Kühlung von Decken und Wänden. Damit entfal-
    len aufwendige Stemmarbeiten.
                                                               +Feuerbeständig und sicher
                                                               Sicherheit beginnt beim Material. Beton-

    +Zeit- und Kostenreduktion                                 fertigteile sind ausgesprochen tragfähig
                                                               und standsicher. Ihr Eigengewicht verleiht
                                                               ihnen zusätzliche Stabilität. Sie sind aufgrund ihrer
    Liefertermine können aufgrund der witte-                   Nichtbrennbarkeit und hohen thermischen Trägheit in
    rungsunabhängigen Produktion im Werk                       höchstem Maße feuerbeständig. Bauteile aus Beton
    über das ganze Jahr konsequent eingehal-                   sind nicht brennbar. Sollte es dennoch zu einem Brand-
    ten werden. Durch die Vorfertigung lassen sich Mon-        fall im Gebäude kommen, geben die Betonbauteile
    tagezeiten auf der Baustelle und damit die Baukosten       weder schädliche Dämpfe noch Gase ab.
    reduzieren. Durch die geringe Baufeuchte der Montage-
    baustelle ist ein schnelles Weiterarbeiten der Ausbau-
    gewerke möglich.

      intelligent                    zukunftsfähig
                                                                        emissionsfrei
                                                                                                      Klima
4                           innovativ                                         dauerhaft                          hochwe
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NUTZEN
 BETONBAUTEILE
                                                                                                                             +
        +Schalldämmend                                            +Hohe Flexibilität
        Der Baustoff Beton verfügt aufgrund                       Decken mit großen Spannweiten und unterstützungs-
        seiner hohen Rohdichte über hervor-                       freie Grundrisse bieten ein Höchstmaß an Flexibili-
        ragende schall- und schwingungsdämp-                      tät. Insbesondere in der Spannbetonbauweise kön-
        fende Eigenschaften. Betonbauteile schützen damit         nen Decken mit sehr großen Stützweiten hergestellt
        wirkungsvoll vor Lärm und sind nicht nur in der Nähe      werden. So müssen Innenwände nicht tragend sein
        von befahrenen Straßen, Bahnstrecken oder in Einflug-     und können später entfernt und neu gesetzt werden.
        schneisen die richtige Wahl.                              Anbauten, Umbauten und Aufstockungen sind in einem
                                                                  Gebäude aus Betonfertigteilen einfach umzusetzen.

        +Gute Wärmespeicherfähigkeit und
         natürliche Energieeffizienz                              +Recycelbar
        Die Wärmespeicherfähigkeit des Betons wirkt sich          Am Ende der Lebensdauer eines Gebäu-
        positiv auf das Raumklima aus und unterstützt den         des beweisen Betonbauteile ökologische
        Heiz- oder Kühlbedarf von Gebäuden. Dieser verringert     Qualitäten. Sie lassen sich nahezu voll-
        im Jahresverlauf die Temperaturschwankungen, stei-        ständig recyceln und als Gesteinskörnung wiederver-
        gert die Energieeffizienz und trägt dazu bei, CO2-Emis-   wenden. Betonfertigteile erleichtern die sortenreine
        sionen zu senken. Durch die Nutzung thermisch aktiver     Trennung im Rahmen des Recyclingprozesses. Sie
        Betondecken und -wände lässt sich dieser Effekt noch      können bei richtiger Planung sogar im Ganzen demon-
        verstärken.                                               tiert werden. Dies ermöglicht die Wiederverwendung
                                                                  von kompletten Bauteilen. Lärm- und staubintensive

        +Architektonische Vielfalt                                Abbruchverfahren werden auf ein Minimum reduziert.

        Betonfertigteile lassen sich in unterschiedlichen
        Abmessungen, Farben, Formen und Oberflächentex-
                                                                  +Vernetzte Kompetenz
        turen herstellen. Dem architektonischen Gestaltungs-      Digitale Planungsmethoden wie Building Information
        spielraum sind kaum Grenzen gesetzt. Es können so         Modeling (BIM) mit dem Ziel, Gebäude ganzheitlich und
        gut wie alle individuellen Wünsche verwirklicht werden.   effizient zu planen, auszuführen und zu bewirtschaf-
        Die Oberflächen von Betonfertigteilen sind von hoher      ten, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Dabei bietet
        Qualität und ersparen, bei glatter und tapezierfähiger    gerade die industrielle Vorfertigung von Betonbautei-
        Ausführung, das Verputzen.                                len, bei der die Vernetzung zwischen Planung und Pro-
                                                                  duktion mit standardisierten Schnittstellen schon lange

        +Hohe Flächeneffizienz                                    praktiziert wird, enorme Potenziale.

        Das Bauen mit Betonbauteilen bietet
        eine hohe Flächeneffizienz. Indikator für
        die Wirtschaftlichkeit einer Fläche ist die
        Relation von nutzbarer beziehungsweise vermietbarer
        Fläche zur Gesamtfläche eines Gebäudes. Die hohe
        Tragfähigkeit und die präzise Herstellung ermöglichen
        den Einsatz schlanker Betonbauteile und tragen so zur
        Flächeneffizienz bei.

  kreativ          widerstandsfähig Ökobilanz    Raumklima
                                      lebenslang     Konstruktion
ertig           Umwelt     Qualität                                                       4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   5
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Zukunftsgerecht Bauen mit Beton

    Gastbeitrag
    Bauen mit Beton neu denken!

    Die klimatischen Veränderungen auf unserem Planeten sind, wie seriöse wissenschaftliche Untersu-
    chungen belegen, unzweifelhaft eine Folge der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit. Bereits
    heute gehen diese Veränderungen mit verschiedenen Katastrophen wie Stürme, Hochwasser, Erdrut-
    sche, Dürren und Brände einher, deren Ausmaße beträchtlich zunehmen werden, wenn den Ursachen
    nicht massiv entgegengesteuert wird.

            Die Ausgangslage

            Die Entwicklung der Zivilisation fand ihren Nie-
            derschlag in der Gestalt der gebauten Umwelt.
            Sie spiegelt auch die Bedürfnisse der modernen
            Industriegesellschaft wider, deren Weiterentwick-
            lung gewissermaßen ein Axiom ist. Das mensch-
                                                                 © Jasmin_Sessler – pixabay.com

            liche Bestreben nach Glück, Wohlstand, Komfort
            und Sicherheit wird gerade auch die baulichen
            Aktivitäten weiter vorantreiben. Schätzungen
            zufolge resultieren aktuell rund 40 % der Massen-
            ströme und etwa 40 % des Energieverbrauchs
            weltweit aus dem Bauwesen. Bereits heute liegt
            der Ressourcenverbrauch weit jenseits dessen,
            was unser Planet verkraften kann. Würden alle                                         Nicht erst seit der Fridays-for-Future-Bewegung wird ein radikales
            Menschen auf der Erde so leben wie wir Deut-                                          Umdenken in der Politik gefordert.
            schen, müsste sie dreimal so groß sein.

            So trivial die Erkenntnis ist, dass es auf dem                                        nicht bewusst, dass der Baustoff Beton darin
            eingeschlagenen Weg – physikalischen Gesetz-                                          eine zentrale Rolle spielt. Er war der Baustoff
            mäßigkeiten folgend – nicht weitergehen kann,                                         des 20. Jahrhunderts und er wird es aller Wahr-
            so schwierig ist es, den notwendigen Wandel                                           scheinlichkeit nach auch im 21. Jahrhundert blei-
            im Kleinen und im Großen, regional und welt-                                          ben.
            weit herbeizuführen. Die Herausforderungen sind
            riesig und berühren bei Weitem nicht nur tech-                                        Der Werkstoff Beton erwies sich als der Schlüssel
            nische Aspekte. Aber immerhin ist die Botschaft                                       zum Fortschritt. Sein Verbrauch korreliert direkt
            des früher gerne auch mal belächelten Club of                                         mit dem Wirtschaftswachstum und dem Ausbau
            Rome von 1972, „The limits to growth“, inzwi-                                         der Infrastruktur. Jährlich werden derzeit 7 bis
            schen in jedem Winkel der Erde angekommen.                                            8 Mrd. m³ Beton benötigt. Schätzungen gehen
            Die später eingesetzte Brundtland-Kommission                                          von einem Zuwachs von 300 % in den nächsten
            (1987), die verabschiedeten UN-Konventionen                                           20 Jahren aus. Aber schon heute verursacht die
            (Sustainable Development Goals, 2015) und viele                                       Betonherstellung etwa 6 bis 8 % der globalen
            weitere Initiativen bis hin zur aktuellen Fridays-                                    CO2-Emissionen. Man mag sich nicht vorstellen,
            for-Future-Bewegung verfolgen im Prinzip das                                          was geschieht, wenn auch dieser Wert um den
            gleiche Ziel, nämlich ein radikales Umdenken mit                                      Faktor drei ansteigt. Schon heute liegen die CO2-
            entsprechenden Konsequenzen herbeizuführen.                                           Emissionen der Betonherstellung beispielsweise
            Und genau genommen ist dies das Gebot des                                             ein Mehrfaches über den gegenwärtig kritisch
            angebrochenen Jahrzehnts!                                                             diskutierten Emissionen aus dem Flugverkehr.

            Rolle und Potenzial des Betons                                                        Ein weiteres Problem ist die Verknappung
                                                                                                  wesentlicher Betonausgangsstoffe. In besonde-
            Bei all der Informationsflut zu Fakten und Sze-                                       rer Weise gilt dies für die Gesteinskomponente
            narien unsere Umwelt betreffend, ist vielen                                           Sand. Getrieben durch die Wirtschaftskraft auf-

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RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
Prof. Dr.-Ing. Harald S. Müller
                                                                                                                                                             Ehrenpräsident der International Federation
                                                                                                                                                                             for Structural Concrete (fib)

                                                                              strebender Nationen führt dies zu einem Handel                          wäre. Rund achtzig Jahre später, im Jahre 2010,
                                                                              auf geradezu abenteuerlichen Wegen, diametral                           konnte der Burj Khalifa in Dubai (828 m hoch)
                                                                              zu jeglichem nachhaltigen Handeln. Dagegen ist                          selbstverständlich als Betonkonstruktion errichtet
                                                                              künstliche Verknappung durch politisch gewollte                         werden, deren Tragfähigkeit zudem bei Weitem
                                                                              Auflagen hierzulande eine – weltweit gesehen –                          noch nicht ausgereizt ist. Ob solche Bauhöhen
                                                                              eher unbedeutende Marginalie.                                           allerdings sinnvoll und erstrebenswert sind, ist
                                                                                                                                                      eine ganz andere Frage. Jenseits von rund 600 m
                                                                              Trotz dieser fast überkritischen Faktenlage muss                        Höhe ist jedenfalls Wohnen und Arbeiten für
                                                                              einem nicht bange werden angesichts der Poten-                          Menschen nicht mehr möglich.
                                                                              ziale, die der Werkstoff Beton besitzt, und der
                                                                              Chancen, die das Bauen mit ihm impliziert, wenn                         Ohne in diesem Gastbeitrag in die technischen
                                                                              – und das ist entscheidend – beide voll ausge-                          Details einsteigen zu wollen, seien zumindest die
                                                                              schöpft werden! Der Paradigmenwechsel in der                            grundsätzlichen Zielvorgaben einer nachhaltigen
                                                                              Baustoffforschung, weg vom bloßen Verstehen                             Nutzung von Beton und die wissenschaftlichen
                                                                              in den sechziger bis achtziger Jahren des letzten                       Ansätze zu ihrer Erreichung kurz aufgezeigt. Ziel
                                                                              Jahrhunderts, hin zur gezielten Weiterentwick-                          muss es sein, vorrangig sowohl den Massenver-
                                                                              lung und Verbesserung der Werkstoffeigenschaf-                          brauch als auch die CO2-Emissionen zu reduzie-
                                                                              ten, hat Erstaunliches bewirkt. Dem Laien mag                           ren, wobei letztere primär aus der Zementpro-
                                                                              dies daran deutlich werden, dass im Jahre 1931                          duktion stammen. Andere Umweltfaktoren einer
                                                                              das Empire State Building in New York (381 m                            ökologischen Betrachtung zu Beton spielen eine
                                                                              hoch) nur als Stahlkonstruktion ausgeführt wer-                         untergeordnete Rolle, wenn man eine nachhaltige
                                                                              den konnte, weil die Tragfähigkeit des damaligen                        Energiegewinnung unterstellt.
                                                                              Betons um das Doppelte überschritten worden

                                                                              Die Tragfähigkeit des Baustoffs Beton hat im Laufe der Jahre erheblich zugenommen. Mit einer Höhe von 381 m konnte 1931 das Empire State
                                                                              Building nur als Stahlkonstruktion gebaut werden. 2010 wurde in Dubai der 821 m hohe Burj Khalifa als Stahlbetonkonstruktion realisiert.
Foto links: © nextvoyage – pixabay.com, Foto rechts: © smarko – pixabay.com

                                                                                                                                                                                               4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   7
RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton

          Bewährtes weiterentwickeln, Neues
          erschließen

          Die Steigerung der Betonfestigkeit ist ein äußerst
          probates Mittel, um den Massenverbrauch abzu-
          senken. Je höher die Betonfestigkeit, desto weni-
          ger Material wird zur Erzielung der gleichen
          Tragfähigkeit einer Konstruktion benötigt. Eine
          weitere Massenreduktion wird erreicht, wenn die
          Bewehrung aus Stahl durch sechsmal festeres
          und viermal leichteres Carbon ersetzt wird. Die
          Korrosionsbeständigkeit von Carbon erlaubt es,

                                                                                 © IZB
          die Betondeckung, die heute den eingebetteten
          Stahl vor einer Korrosion schützen muss, erheblich                             Der Einsatz von Gradientenbeton, die additive Fertigung und eine
          zu reduzieren, was die Betonquerschnitte deutlich                              optimierte Formfindung reduzieren den Materialverbrauch.
          verschlankt. Eine weitere Verbesserung geht mit
          der Vorspannung der Carbonbewehrung einher.                                    mit wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen
          Große Masseneinsparungen beziehungsweise                                       einher.
          eine effiziente Nutzung der Eigenschaften von
          Betonen ergeben sich auch bei der Anwendung                                    Ideal wäre es, wenn man Zement, genauer gesagt
          des sogenannten Gradientenbetons.                                              den Portlandzementklinker, durch ein anderes
                                                                                         Bindemittel ohne CO2-Footprint oder wenigstens
          Eine immense Schonung von Ressourcen geht                                      mit viel geringerem CO2-Footprint substituieren
          mit einer verlängerten Lebens- beziehungsweise                                 könnte. Zwar liegen erste Ansätze hierzu vor, aber
          Nutzungsdauer von Bauteilen und mit innova-                                    aus der etwa fünfzehnjährigen Forschung auf
          tiven Erhaltungs- und Verstärkungsmethoden                                     diesem Feld, beispielsweise am bisher aussichts-
          einher. Dies erfordert ein Umdenken, das durch                                 reichsten Produkt Celitement, lässt sich ableiten,
          staatliche Anreize gefördert werden könnte. Aber                               dass sicherlich noch viele Jahre verstreichen wer-
          bereits beim Neubau muss der Nachhaltigkeitsge-                                den, bis ein vielleicht annähernd gutes Bindemit-
          danke im Zuge der Planung („Conceptual Design“)                                tel verfügbar sein wird. Eine große Frage ist dabei
          einen breiten Raum einnehmen, wie dies auch im                                 auch, ob überhaupt und bis wann die weltweit
          künftigen fib Model Code niedergelegt sein wird.                               erforderlichen Massen produziert werden könn-
          Solche Konzepte implizieren das Denken in Kreis-                               ten. Eine Alternative bieten bei erster, gröberer
          läufen, schließen also den Recyclingbeton mit                                  Betrachtung auch die calcinierten Tone. Ob sie
          ein. Auch die Produktion mittels moderner Ferti-                               jedoch dem Beton eine dem Portlandzementklin-
          gungsmethoden, zum Beispiel dem 3D-Drucken                                     ker vergleichbare Festigkeit und Dauerhaftigkeit
          beziehungsweise der additiven Fertigung, geht                                  verleihen können, muss die künftige Forschung
                                                                                         erst noch zeigen. So bleibt zunächst einmal das
                                                                                         bisher schon praktizierte Abmagern von Port-
                                                                                         landzement durch Gesteinsmehle oder sekundäre
                                                                                         Bindemittel, zum Beispiel Flugasche oder Hütten-
                                                                                         sand. Dabei ist insbesondere die Verwendung von
                                                                                         Flugasche ambivalent kritisch zu sehen. Sie ist der
                                                                                         abgeschiedene Filterstaub der Kohleverbrennung,
                                                                                         stammt also aus genau dem Prozess der Energie-
                                                                                         gewinnung, der das größte Problem bezüglich der
                                                                                         CO2-Emmission darstellt.

                                                                                         Vielversprechend ist der Ansatz, den Bindemit-
                                                                                         telgehalt im Beton drastisch zu reduzieren, etwa
                                                                                         von heute 300 bis 450 kg/m³ auf künftig nur noch
                                                                                         100 kg/m³ Bindemittel oder Portlandzement-
                                                                                         klinker. Solche Ökobetone erreichen bei gleichem
                                                                                         Wasserzementwert eine etwa doppelt so hohe
                                                                                         Druckfestigkeit als übliche Konstruktionsbetone.
                                                                                         Möglich wird dies, indem der Feinstanteil der
                                                                                         Betonmischung primär durch in der Korngröße
                                                                                © BBF

                                                                                         fein abgestufte Gesteinsmehle bereitgestellt
          Eine klimaschonende Zementherstellung wäre möglich, wenn das bei               wird. Damit verbunden ist der Einstieg in eine
          der Klinkerproduktion im Drehofen emittierte CO2 abgeschieden würde            „neue“ Betontechnologie, da klassische Regeln
          (analog zur CCS-Technologie).                                                  bei solchen Betonzusammensetzungen nicht

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RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
mehr gelten und auch            Wie erläutert, geht es hinsichtlich des Betonein-
                            bekannte Wirkstoffe,            satzes grob betrachtet vor allem darum, sowohl
                            wie beispielsweise              den Massenverbrauch als auch die CO2-Emissio-
                            Fließmittel, nur noch           nen zu reduzieren. Beides muss nicht notwendi-
                            eingeschränkt funk-             gerweise gekoppelt sein. Was die CO2-Emissio-
                            tionieren (Mangel an            nen anbelangt, sei auch die Frage aufgeworfen,
                            Zement und Wasser).             ob die Zementindustrie bereits alle ihre Möglich-
                            Fest steht jedoch,              keiten vollständig ausgeschöpft hat? Für den
                            dass diese Probleme             konventionellen Produktionsprozess dürfte dies
                            durch entsprechende             der Fall sein. Aber wäre nicht die vereinzelt schon
                            Forschung bezie-                praktizierte CCS-Technologie, die eine Abschei-
                            hungsweise geeig-               dung von CO2 bei der Kohleverfeuerung ein-
                            nete Entwicklungen              schließt, in einer gewissen Modifikation vielleicht
gelöst werden können. Entsprechende Gebinde                 auch auf den Brennprozess im Drehofen anwend-
– das klassische Mischen der Ausgangsstoffe im              bar? Forschungsanstrengungen mit dieser Aus-
Betonwerk erscheint äußerst schwierig – könnte              richtung könnten zu einer Wende bezüglich der
die Zementindustrie bereits heute produzieren.              CO2-Emissionen ausschlaggebend beitragen.

Im Weiteren muss die Forschung darauf abzielen,             Hinsichtlich der Umwelt- und Klimaprobleme sit-
den intelligenten oder smarten Beton zu entwi-              zen wir alle, unabhängig von Branche, Status und
ckeln, dessen Festigkeits- und Dauerhaftigkeits-            Land, unentrinnbar im gleichen Boot. Als eines der
eigenschaften zuverlässig entkoppelt, also von-             am höchsten entwickelten und gleichzeitig reichs-
einander unabhängig eingestellt werden können.              ten Industrieländer darf und kann Deutschland
Dabei lassen sich weitere positive Eigenschaften            beim Umwelt- und Klimaschutz durchaus eine
wie beispielsweise ein besseres Dämmverhal-                 Vorreiterrolle einnehmen. Zwar wird der unmittel-
ten (Wärme, Schall) und katalytische Funktionen             bare Nutzen hieraus – Deutschland ist für rund
(Selbstreinigung, Entgiftung) integrieren.                  2 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwort-
                                                            lich – vergleichsweise gering ausfallen. Aber die
Chancen und Herausforderungen für                           Entwicklungs- und Schwellenländer werden sich
die Betonfertigteilbranche                                  am guten Beispiel orientieren, allein schon aus
                                                            der Erkenntnis der Notwendigkeit, aber auch aus
In diesem Gesamtkontext ergeben sich unter                  wirtschaftlichen Gründen. Ihr Beitrag zur nach-
anderem für die Fertigteilindustrie große Chan-             haltigen Entwicklung ist von immenser Bedeutung
cen. Die oben genannten Technologien führen zu              und absolut unverzichtbar, wenn wir unseren
Hochleistungsbetonen, die in der Herstellung eine           Kindern und Kindeskindern eine lebenswerte Welt
vergleichsweise geringe Robustheit kennzeichnet             erhalten wollen.
und ihre Verwendung als Ortbeton kritisch macht.
Demgegenüber kann die Betonfertigteilindustrie
eine hohe Produktions- und Produktqualität
gewährleisten. Die Herausforderung für die Bran-
che besteht darin, verbesserte Verbindungstech-
niken und neue adaptive Modulbauweisen mit
Fließfertigungsmethoden zu entwickeln. Dabei ist            Bella Sky Hotel in Kopenhagen – Fertigteilbau, Gewinner des AOS-
das Potenzial, welches das Building Information             Preises der fib im Jahr 2014.
Modeling (BIM) bietet, zu integrieren. Dies ginge
aus vielerlei Gründen mit einer beträchtlichen
Ressourcenschonung einher.

Die obigen Ausführungen mögen verdeutlichen,
dass es sehr viele Möglichkeiten einer nachhal-
tigen Verwendung von Beton gibt, auf den als
Baustoff in absehbarer Zeit in vielen Bereichen
nicht verzichtet werden kann. Entscheidend wird
sein, dass durch geeignete Rahmenbedingungen
die aufgezeigten Innovationen weltweit voran-
getrieben werden. Notwendig ist auch, dass
jede Branche im Bereich des Bauwesens entlang
der Produktions- und Wirtschaftskette zu einer
nachhaltigen Anwendung von Beton beiträgt.
Der finanzielle und technische Aufwand für neue
                                                    © fib

Wege darf kein Hindernis darstellen.

                                                                                                 4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   9
RESSOURCEN-SCHONENDES BAUEN MIT BETONBAUTEILEN - SONDERHEFT 4. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin - betonstein ...
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton

     POSITION.
     Wettbewerbsgleichheit und Technologieoffenheit
     in der Bauwirtschaft

          Seit Juli 2020 wird auf der Ebene von Bund und       unter anderen in puncto sommerlicher Wärme-
          Ländern eine politische Diskussion über die Ein-     schutz, Lärm- und Brandschutz, für das klima-
          führung von Holzbauquoten angeregt. 30 Orga-         angepasste Bauen sowie bezüglich minimaler
          nisationen und Verbände der deutschen Bau-           Transportwege gegenüber anderen Bauweisen
          wirtschaft haben in einem Positionspapier dazu       gleichwertig oder besser. Das gilt insbesondere,
          Stellung bezogen.                                    wenn man die Nachhaltigkeit der Gebäude über
                                                               einen realen Lebenszyklus von mehr als 50 Jahren
          Stahlbeton und Mauersteine sind die                  sowie inklusive Rückbau, Recycling, Wiederver-
          Massenbaustoffe für Deutschland                      wendung und Berücksichtigung ihrer finalen Ent-
                                                               sorgung abbildet.
          In Deutschland werden die Wohnungs- und
          Nichtwohnungsbauten in allen Bundesländern
          überwiegend aus Stahlbeton und Mauersteinen          Top-Themen der Prozesskette Bau:
          – also in Massivbau – errichtet. Damit leisten die   Klimaneutralität und Kreislaufwirt-
          Massivbauer mit ihrer täglichen Arbeit den ent-      schaft
          scheidenden Anteil zur Errichtung der gebauten
          Umwelt und somit auch zur Lösung der sozialen        Parallel zu den aktuellen Daten und Fakten wer-
          Frage Wohnen.                                        den auf Grundlage politischer Entscheidungen
                                                               und gesetzlicher Vorgaben mittel- und langfristig
                                                               Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft die domi-
          Massivbau ist in puncto Nachhaltig-                  nierenden Themen für die gesamte Prozesskette
          keit absolut konkurrenzfähig                         Bau sein.

          Die bisherige Anwendung von Baustoffen und           Die Herstellung klimaneutraler mineralischer Bau-
          Bauweisen hat sich seit Jahrzehnten im freien        stoffe und die Absicherung einer weitestgehend
          Wettbewerb auf der Grundlage der Entscheidun-        geschlossenen Kreislaufwirtschaft inklusive Wie-
          gen von privaten und institutionellen Investoren,    derverwendung beziehungsweise Weiternutzung
          öffentlichen Auftraggebern, von Planern und          der Baustoffe sind als zukunftssichernde Aufgabe
          Bauausführenden entwickelt. Ausschlaggebend          alternativlos und können mit Blick auf die Bedeu-
          für die heutige Situation zur Entscheidung pro       tung des Baus für alle gesellschaftlichen Bereiche
          Massivbau ist sicher nicht nur die Bautradition.     nur gemeinsam mit der Politik gelöst werden –
          Massive Bauten können im Gleichklang der Nach-       weisen aber auch enorme Chancen auf!
          haltigkeit, also in der Summe aller ökologischen,
          ökonomischen und den soziokulturellen Eigen-
          schaften, bestens mit Holzbauten konkurrieren.
          So sind die Eigenschaften von Massivbauten

           BAUWIRTSCHAFT BADEN-WÜRTTEMBERG • BAYERISCHER BAUINDUSTRIEVERBAND • BAYERISCHER INDUSTRIEV
           ZIEGELINDUSTRIE-VERBAND • BUNDESVERBAND DER DEUTSCHEN TRANSPORTBETONINDUSTRIE • BUNDESVERB
           BAND DER DEUTSCHEN ZIEGELINDUSTRIE • BUNDESVERBAND KALKSANDSTEININDUSTRIE • BUNDESVERBAND
           STOFFE • BUNDESVERBAND PORENBETONINDUSTRIE • BUNDESVERBAND SPANNBETON-FERTIGDECKEN • DEUT
           NUNGSBAU • DEUTSCHE BETONBAUTEILE • FACHVERBAND BETON- UND FERTIGTEILWERKE BADEN-WÜRTTEMBE
           SACHSEN/THÜRINGEN • FACHVERBAND HOCH- UND MASSIVBAU IM ZENTRALVERBAND DEUTSCHES BAUGEWE
           GERN • FACHVEREINIGUNG DEUTSCHER BETONFERTIGTEILBAU • HAUPTVERBAND DER DEUTSCHEN BAUINDUST
           GMBH • INDUSTRIEVERBAND STEINE UND ERDEN BADEN-WÜRTTEMBERG • LANDESVERBAND BAYERISCHER BAU
           MINERALISCHE BAUSTOFFE • VERBAND BAUEN IN WEISS • VERBAND BETON- UND FERTIGTEILINDUSTRIE NORD
           DEUTSCHER ZEMENTWERKE

10
Die Zukunft der mineralischen                        POLITISCHE FORDERUNGEN
       Baustoffe ist grün
                                                            Angesichts der aufgezeigten Fakten und der poli-
       Das im Dezember 2019 in Kraft getretene Klima-       tischen Zielvorgaben wenden sich die Unterzeich-
       schutzgesetz verpflichtet alle Marktakteure zur      ner des Positionspapiers mit folgenden Forderun-
       CO2-neutralen Produktion ihrer Produkte res-         gen an Bund, Länder und Kommunen:
       pektive Baustoffe bis zum Jahr 2050. Zugleich
       muss der Energieverbrauch im Gebäudesektor           1. Grundlage von allen anstehenden politischen
       um 80 % sinken und zu einem immer größeren              Entscheidungen zur Vorgabe zukünftiger Anfor-
       Teil über erneuerbare Energien abgedeckt wer-           derungen an Gebäude muss die faire Bewertung
       den. Außerdem ist durch den ebenfalls beschlos-         aller Baustoffe und Bauweisen unter umfassen-
       senen Kohleausstieg bis 2038 vorgegeben, dass           der Betrachtung der realen Lebensdauer sowie
       bereits in etwa 20 Jahren die Nutzung fossiler          des vollständigen Lebenszyklusses von Gebäu-
       Brennstoffe für die Erwärmung von Gebäuden              den inklusive Rückbau, Recycling und Wieder-
       stark rückläufig sein wird und die Nutzung von          verwendung von Baustoffen, Bauprodukten und
       Kohle weitgehend entfällt. Daher ist bei einer          ganzen Bauteilen sein.
       erfolgreichen Umsetzung der verabschiedeten
       Klimaschutzziele bereits ab 2051 davon auszu-        2. Der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit
       gehen, dass es zu einer völlig neuen ökologischen       freiem Wettbewerb ist bei allen politischen und
       Bewertung der Baustoffe kommt. Die mit grüner           parlamentarischen Entscheidungen zur Vorgabe
       Energie hergestellten mineralischen Baustoffe           zukünftiger Anforderungen an Gebäude zu
       tragen dann kaum noch graue Energie in die Bau-         berücksichtigen. Das schließt die Einführung und
       konstruktionen der Gebäude ein. Bei ihrer Herstel-      Umsetzung von Quotenregelungen zugunsten
       lung wird kein CO2 mehr an die Luft abgegeben,          einzelner Baustoffe und Bauweisen aus.
       so dass durch mögliche Substitution keine CO2-
       Emissionen mehr eingespart werden.                   3. Technologieoffenheit muss ein Grundsatz für alle
                                                               zukünftigen gesetzlichen Regelungen von Anfor-
                                                               derungen an Bauwerke und Gebäude sein. Das
                                                               umfasst eine gleichberechtigte und angemessene
                                                               Förderung aller Bauprodukte und Bauweisen zur
                                                               Erreichung der politischen Zielsetzungen bezüg-
                                                               lich Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft.

                                                            Diesen Forderungen schließen wir uns als
                                                            Verbände der Betonfertigteilindustrie und
                                                            Herausgeber des punktum.betonbauteile
                                                            uneingeschränkt an.

VERBAND BAUSTOFFE, STEINE UND ERDEN • BAYERISCHER
 BAND DER DEUTSCHEN KALKINDUSTRIE • BUNDESVER-
  LEICHTBETON • BUNDESVERBAND MINERALISCHE ROH-
 TSCHE GESELLSCHAFT FÜR MAUERWERKS- UND WOH-
ERG • FACHVERBAND BETON- UND FERTIGTEILWERKE
 ERBE • FACHVEREINIGUNG BETONBAUTEILE MIT GITTERTRÄ-
TRIE • HESSENBETON • INFORMATIONSZENTRUM BETON
AUINNUNGEN • SOLID UNIT • UNTERNEHMERVERBAND
D • VERBAND DER BAU- UND ROHSTOFFINDUSTRIE • VEREIN

                                                                                4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   11
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton

     Interview
     Die Zementindustrie auf dem Weg
     in die CO2-arme Zukunft

     Dr. Martin Schneider ist Hauptgeschäftsführer des Vereins Deutscher Zementwerke e. V. (VDZ) und Leiter
     des Forschungsinstituts der Zementindustrie sowie Geschäftsführer der European Cement Research
     Academy (ECRA). Nach seiner Promotion in Angewandter Physik an der Universität Bonn und kurzen
     Zwischenstationen im wissenschaftlichen Bereich begann er 1991 seine Tätigkeit beim VDZ im Bereich
     Umweltschutz und Zementchemie. Seit 2009 ist Dr. Martin Schneider als Honorarprofessor an der Techni-
     schen Universität Clausthal tätig.

               Welche Rolle spielen Zement und                    zu den hieraus erstellten Bauwerken massive
             Beton beim Bauen in der Zukunft?                     Anstrengungen notwendig sein. Wir, der Verein
                                                                  Deutscher Zementwerke e. V. und die deutsche
             Zement und Beton spielen bei der Bereitstellung      Zement- und Betonindustrie, sind bereit, hier
             von Lösungen in den Bereichen Wohnen, Infra-         mutige Schritte zu gehen. Wir benötigen dafür
             struktur, Verkehr sowie der Energie- und Wasser-     aber ein Umfeld, in dem innovative Produkte und
             versorgung eine wichtige Rolle. In Zukunft wer-      Prozesse in den Markt kommen können.
             den das zu erwartende Bevölkerungswachstum
             bis 2050 und der Trend zur Urbanisierung den           Wo stehen wir heute? Und bis wann
             Bedarf nach diesen Baustoffen global weiter          wird eine Klimaneutralität erreicht
             steigern. Zement und Beton werden also auch          werden können?
             künftig in vielerlei Hinsicht wichtig für moderne
             Gesellschaften und deren nachhaltige Entwick-        Mit dem Pariser Abkommen ist es gelungen, für
             lung sein.                                           das Ziel der Begrenzung der Erwärmung auf
                                                                  2 °C im 21. Jahrhundert einen globalen Rahmen
                Auf dem Weg in die CO2-arme                       zu schaffen. In diesem Kontext haben sich die
             Zukunft steht die Zement- und Beton-                 EU und Deutschland verpflichtet, ihre CO2-Emis-
             industrie vor großen Herausforderun-                 sionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um 80 bis
             gen. Welche Ziele hat sich die Indust-               95 % zu reduzieren – aktuell zeichnet sich eine
             rie gesteckt?                                        weitere Erhöhung des daran orientierten Ambi-
                                                                  tionsniveaus ab.
             Der Klimaschutz ist den Unternehmen der
             Zement- und Betonindustrie wichtig und stellt        Auf diese Rahmenbedingungen hat sich die
             sie in der Tat vor große Herausforderungen: Die      Zementindustrie früh eingestellt und eine Fülle
             Zementproduktion geht zwangsläufig mit einem         von Maßnahmen umgesetzt – beginnend bei
             erheblichen Energiebedarf und hohen CO2-Emis-        der Verwendung der Ausgangsstoffe bis hin zur
             sionen einher. Letztere stammen zu rund zwei         Herstellung von Zement –, um den CO2-Footprint
             Dritteln aus der chemischen Umwandlung des           ihrer Prozesse und Produkte zu reduzieren. So ist
             Rohstoffs Kalkstein in Zementklinker und sind        es uns in Deutschland gelungen, die spezifischen
             mit heute verfügbaren Technologien nur bedingt       CO2-Emissionen je Tonne Zement gegenüber
             beeinflussbar. Nur ein Drittel entsteht durch den    1990 bis heute um rund 22 % zu verringern, EU-
             Einsatz von Brennstoffen. Für eine deutliche Min-    weit um ca. 14 %.
             derung der rohstoffbedingten CO2-Emissionen bei
             der Zementherstellung bedarf es also neuartiger        Welche Maßnahmen haben zur
             Ansätze und Technologien, die derzeit technisch      bisherigen CO2-Reduzierung beigetra-
             erprobt werden, für die aber heute noch die not-     gen?
             wendigen Rahmenbedingungen fehlen.
             Um die Ziele des Pariser Klima-Abkommens vom         Maßgeblich dazu beigetragen hat der Einsatz
             Dezember 2015, also die Begrenzung der glo-          alternativer Brennstoffe, die einen geringeren
             balen Erwärmung auf 2 °C, zu erreichen, wer-         Kohlenstoff-Anteil als fossile Brennstoffe und
             den entlang der gesamten Wertschöpfungs-             einen teilweise hohen Biomasse-Anteil aufwei-
             kette von Zement und Beton und letztlich bis hin     sen. Diese alternativen Brennstoffe decken heute

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Dr. Martin Schneider
                                              Hauptgeschäftsführer des Verein Deutscher Zementwerke e. V.
                                                        Leiter des Forschungsinstituts der Zementindustrie
                                                 Geschäftsführer der European Cement Research Academy

rund zwei Drittel des Brennstoffenergiebedarfs           von Beton in Bauwerken geht. Wenn die Rah-
für die Zementherstellung in Deutschland ab.             menbedingungen richtig gesetzt werden, halte
Gleichzeitig hat die Branche bei der Reduzierung         ich aber eine weitgehend klimaneutrale Zement-
des Klinkergehalts im Zement große Fortschritte          und Betonherstellung für möglich – hierfür
erreicht. An einer weiteren Erhöhung des Einsat-         müssen wir allerdings alle Minderungsoptionen
zes alternativer Brennstoffe sowie an der Verbes-        entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus-
serung der Klinkereffizienz arbeitet die Industrie       schöpfen.
mit Hochdruck.
                                                            Welchen Anteil hat die Zement-
   Könnte Zement durch neue alterna-                     industrie an den globalen CO2-Emis-
tive Bindemittel ersetzt werden?                         sionen und welchen an jenen in
                                                         Deutschland?
Die Zementhersteller in Deutschland forschen seit
vielen Jahren intensiv an verschiedenen Ansät-           Heute ist die Zementindustrie der drittgrößte
zen, um die rohstoffbedingten CO2-Emissionen             industrielle Energieverbraucher und ihre Pro-
bei der Zementherstellung deutlich zu senken.            duktion trägt zu 6 bis 7 % zu den globalen vom
Eine mögliche Option stellt hier die Entwicklung         Menschen beeinflussten CO2-Emissionen bei.
von neuen Bindemitteln dar, die auf der Basis            In Deutschland liegt der Anteil an den Gesamt-
einer anderen Rohstoff-Zusammensetzung und               Treibhausgasemissionen bei etwa 2 %. Da wir bis
mit weniger Energieaufwand hergestellt werden            2050 mit einem wachsenden globalen Zement-
können. Bislang befinden sich diese Arbeiten             verbrauch rechnen, macht dies die Herausforde-
aber noch im Entwicklungsstadium. Es ist aller-          rung der CO2-Minderung ungleich größer.
dings aus heutiger Sicht nicht zu erkennen, dass
mit solchen neuen Bindemitteln Portlandzement              Wie sieht es mit den CO2-Emissio-
in größerem Umfang ersetzt werden könnte. Dies           nen entlang der Wertschöpfungskette
liegt zum einen an der zum Teil sehr begrenzten          Zement und Beton aus?
Verfügbarkeit der dafür notwendigen Materialien,
zum anderen an den bautechnischen Eigenschaf-            Zement ist letztlich das wesentliche Ausgangs-
ten, die sich zumindest aus derzeitiger Sicht nur        material für Beton und damit für viele Gebäude
für sehr spezifische Bauanwendungen eignen               und Infrastrukturen. Er bestimmt daher auch
dürften.                                                 maßgeblich den CO2-Footprint der Materialien,
                                                         die beim Bauen verwendet werden. In Deutsch-
  Welche Rolle könnten CO2-                              land entstehen bei der Herstellung pro Tonne
Abscheidungstechnologien spielen?                        Zement aktuell 594 kg CO2. Die dem Beton zuzu-
                                                         rechnenden CO2-Emissionen hängen stark von
Ein weiterer Ansatz, der unter dem Dach der              der Betonart, der örtlichen Situation und hier ins-
European Cement Research Academy unter                   besondere von der Bautradition und den nationa-
besonderer Mitarbeit des VDZ seit nunmehr                len Bauvorschriften ab. Berechnungen des Treib-
rund zehn Jahren verfolgt wird, ist die mögliche         hauspotenzials eines C30/37-Transportbetons
Anwendung von CO2-Abscheidungstechnolo-                  mit einer typischen in Deutschland hergestellten
gien bei der Zementklinker-Herstellung – mit dem         Zusammensetzung ergaben im Schnitt Werte
Ziel, das CO2 anschließend entweder langfristig          von 250 kg CO2-Äquivalent/m3 für unbewehrten
zu speichern (Carbon Capture and Storage) oder           Beton und 312 kg CO2-Äquivalent/m3 für Stahl-
aber einer anderen Verwendung zukommen zu                beton.
lassen (Carbon Capture and Utilisation). Ich bin
zuversichtlich, dass die großtechnische Erpro-
bung der CO2-Abscheidung im Zementherstel-
lungsprozess in den kommenden Jahren auch in
                                                     «       Wenn die Rahmenbedingungen richtig
                                                             gesetzt werden, halte ich aber eine
Deutschland gelingen wird. Was die Frage der
CO2-Nutzung und perspektivisch auch einer Spei-              weitgehend klimaneutrale Zement-
cherung angeht, sind allerdings noch viele Fragen
                                                             und Betonherstellung für möglich ...
                                                                                                                                 »
offen. Darüber hinaus liegt auch noch viel Arbeit
vor uns, wenn es um den effizienteren Einsatz

                                                                                               4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   13
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton

            Beton ist ein langlebiger Baustoff.                derzeit bei rund 10 %. In einigen Regionen wer-
          Welche Rolle spielt die Langlebigkeit                den sie in noch deutlich größerem Umfang ein-
          des Baustoffs hinsichtlich möglicher                 gesetzt. Dazu zählt beispielsweise Europa, wo
          CO2-Minderungspotenziale?                            alternative Brennstoffe bei durchschnittlich 41 %
                                                               liegen – einige Werke in Österreich und Deutsch-
          Für eine Gesamtbetrachtung spielt neben der          land befinden sich hier im oberen Bereich. In
          Herstellung der Baustoffe natürlich auch die         Deutschland wurde 2018 der thermische Ener-
          Nutzungslänge eines Bauwerks sowie dessen            giebedarf im Durchschnitt zu 68 % durch alterna-
          Verwertung am Ende der Nutzung eine wichtige         tive Brennstoffe gedeckt.
          Rolle. Gerade über den Lebenszyklus hinweg
          zeigt Beton seine außergewöhnlichen Eigen-             Den Klinker-Zement-Anteil haben
          schaften. So dient seine große thermische Masse      wir bereits kurz angesprochen. Wel-
          der Energiespeicherung und Raumtemperatur-           che Rolle genau kann dessen Reduzie-
          Stabilisierung – Beton schafft ein gutes Raum-       rung spielen?
          klima und senkt den Heizenergieverbrauch. Darü-
          ber hinaus kann er, was nicht überall bekannt ist,   Klinker ist der Leistungsträger im Zement. Gleich-
          CO2 aus der Umgebung aufnehmen – und damit           zeitig verursacht seine Herstellung aber auch die
          seinen CO2-Footprint über den gesamten Lebens-       hohen CO2-Emissionen. Wenn man dem Zement
          zyklus hin verbessern. Bezogen auf den Gesamt-       daher andere Stoffe zufügt, die sich positiv auf
          lebenszyklus eines Gebäudes gehen wir davon          die Zementeigenschaften und seine Festig-
          aus, dass Beton durch die sogenannte Rekarbo-        keit auswirken, verringern sich dadurch auch
          natisierung rund 10 bis 12 % der ursprünglich        diese Emissionen. Insofern ist die Reduzierung
          bei seiner Herstellung angefallenen Emissio-         des Klinkergehalts im Zement derzeit die mit
          nen wieder einbindet. Wenn man bedenkt, dass         Abstand effizienteste Maßnahme zur Minderung
          der Gebäudesektor in Europa für rund 40 % der        der CO2-Emissionen bei der Zementherstellung,
          CO2-Emissionen steht, stecken besonders hier         da sie sowohl das CO2 aus den Rohstoffen als
          erhebliche CO2-Minderungspotenziale. Niedrig-        auch aus den Brennstoffen erfasst. Der globale
          energiegebäude werden dabei künftig eine ent-        Durchschnitt des Klinker-Zement-Faktors liegt
          scheidende Rolle spielen. Die Betonbauweise          nach den letzten verfügbaren Daten bei etwa
          kann hier ein Teil der Lösung sein. So können bei-   0,65. In der EU und in Deutschland ist er mit
          spielsweise mittels Betonkernaktivierung Räume       0,74 beziehungsweise 0,71 etwas höher. Inso-
          effizient geheizt und gekühlt werden. Letztlich      fern ist eine weitere Reduzierung des Klinker-
          muss im Gebäudebereich aber die Material-            gehalts im Zement auch hierzulande erstrebens-
          effizienz verbessert werden – nicht nur durch die    wert und möglich. Sie ist jedoch maßgeblich von
          Reduzierung der Materialintensität, sondern auch     der künftigen Verfügbarkeit geeigneter alter-
          durch die der Kohlenstoffemissionen bei der Her-     nativer Rohstoffe – denken wir hier unter ande-

«         stellung der Baustoffe.

     Bezogen auf den Gesamtlebenszyklus ei-
                                                               rem an Hüttensand oder Flugasche – abhängig.
                                                               Ein bestimmter Klinkergehalt darf jedoch nicht
                                                               unterschritten werden, wenn der Zement nicht
                                                               seine Leistungsfähigkeit verlieren soll. Er muss
     nes Gebäudes gehen wir davon aus, dass                    schließlich die bautechnischen Anforderungen,
                                                               insbesondere an die Langlebigkeit der Bauwerke
     Beton durch die sogenannte Rekarbonati-                   erfüllen. Die Klinkerintensität und damit der CO2-
     sierung rund 10 bis 12 % der ursprünglich                 Gehalt sind deshalb auch immer im Zusammen-
                                                               hang mit der Leistungsfähigkeit und der Dauer-
     bei seiner Herstellung angefallenen Emis-
                                                       »
                                                               haftigkeit des jeweils hergestellten Mörtels oder
     sionen wieder einbindet.                                  Betons zu sehen.

                                                                 Welche Rolle können klinkereffizi-
             Wie sieht es mit der Umstellung auf               ente Zemente zukünftig spielen?
          alternative Brennstoffe aus?
                                                               Die Klinkereffizienz im Beton ist seit Jahren Teil
          Alternative Brennstoffe sind im Allgemeinen          vieler Forschungsaktivitäten. Dabei lag der Fokus
          weniger kohlenstoffintensiv als konventionelle       bisher weniger auf der Festigkeitsentwicklung
          wie Kohle, Öl und Erdgas. Noch wichtiger ist         dieser Betone, sondern auf Dauerhaftigkeitspara-
          jedoch, dass sie in der Regel einen hohen Anteil     metern und robusten Frischbetoneigenschaften,
          an Biomasse enthalten. Der globale Anteil alter-     also der Verarbeitbarkeit und Sedimentstabilität.
          nativer Brennstoffe am gesamten thermischen          Neue klinkereffiziente Zemente wie CEM II/C-M
          Energieverbrauch in der Zementindustrie liegt        und CEM VI mit hohen Kalkstein- und Hütten-

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sandgehalten könnten künftig die Möglichkeit                             ren Faktoren wie dem Energiebedarf nur einen
bieten, den Klinkerfaktor und damit auch den                             überschaubaren Anteil an den CO2-Emissionen
CO2-Footprint von Zement und Beton weiter zu                             hat, werden weitere Potenziale erschlossen. Um
reduzieren. Untersuchungen des VDZ und ande-                             ihn hinsichtlich seiner Lebensdauer zu bewerten,
rer Institute zeigen, dass zumindest ein aus-                            könnten Druckfestigkeit und Lebensdauer mit der
reichender Karbonatisierungs- und Frost-Tau-                             CO2-Intensität in Beziehung gesetzt werden.
Widerstand bei moderater Wassersättigung                                 Grundsätzlich sind alle Erwartungen an ein Bau-
erreicht werden kann, wenn das Wasser-Zement-                            werk hinsichtlich Lebensdauer und Leistungs-
Verhältnis ausreichend niedrig oder die Druck-                           fähigkeit durch den richtigen Einsatz der jeweili-
festigkeit ausreichend hoch ist. In Deutschland                          gen Baustoffe sicherzustellen. Beton bietet hier
beispielsweise werden ca. 65 % der Betone in                             perfekte Lösungen, die auch im Bauregelwerk
Festigkeitsklassen hergestellt, die ihren Einsatz                        abgebildet sind. Für die neuen klinkereffizienten
in Innenbauteilen (XC1, trocken) oder „normalen“                         Zemente ergeben sich dabei gute Anwendungs-
Außenbauteilen (XC4, XF1) anzeigen.                                      potenziale für normale Betone, die bislang in den
Um es zu ermöglichen, mehr Zemente mit nied-                             Normen noch nicht berücksichtigt werden. Hier
rigeren Klinkerfaktoren – wie CEM II/C und CEM                           liegen viele Erkenntnisse vor, so dass auch künf-
VI – im Beton einzusetzen, wird man möglicher-                           tig jederzeit gewährleistet werden kann, dass
weise eine höhere Differenzierung der Anwen-                             die geplante Lebensdauer eines Bauwerks auch
dung in Abhängigkeit von den verfügbaren Roh-                            erreicht wird.
stoffen akzeptieren müssen: bei Zementen und
Betonen, die in den meisten gängigen Baukons-                              Welche Rolle spielt das Recycling
truktionen verwendet werden, einerseits – und                            von Beton?
solchen, die unter besonderen Haltbarkeitsbedin-
gungen genutzt werden, andererseits.                                     Das Recycling von Beton ist nicht nur ein wich-
                                                                         tiger Beitrag zum nachhaltigen Bauen, sondern
  Welchen Einfluss hat die CO2-                                          kann auch eine wichtige Rolle in der gesamten
Intensität auf die Lebensdauer des                                       CO2-Bilanz der Baukette spielen. Die Karbonati-
Betons?                                                                  sierung von Beton ist bekannt und wird bei der
                                                                         Planung von Betonkonstruktionen berücksichtigt.
Die Herausforderung für die Zement- und Beton-                           Insbesondere kann nach dem Zerkleinern von
branche besteht in Zukunft darin, über die                               Beton das Feinmaterial, das im Wesentlichen aus
gesamte Nutzungsdauer eine möglichst geringe                             Kalziumsilikathydraten besteht, durch Rekarbo-
CO2-Intensität zu erreichen. Auch wenn aus Öko-                          natisierung deutliche Mengen von CO2 aus der
bilanzen von Gebäuden bekannt ist, dass der                              Atmosphäre aufnehmen. Feinkorn aus recycel-
Anteil des Betons dabei im Vergleich zu ande-                            tem Beton lässt sich unter Umständen auch als

Kalkstein wird in Steinbrüchen gewonnen. Zeitgleich mit der Gewinnung werden heute Renaturierungs- und Rekultivierungsprozesse ein-
geleitet. Die Entwicklung zu wertvollen Biotopen setzt damit schon nach wenigen Jahren ein.

                                                                                                                                                                © HeidelbergCement / Elsa Geseke

                                                                                                               4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   15
Zukunftsgerecht Bauen mit Beton

                                                                                                                           Kommen wir noch einmal zur CO2-
                                                                                                                         Abscheidung. Könnte diese Technolo-
                                                                                                                         gie die große Lösung sein?

                                                                                                                         Die CO2-Abscheidung gilt in der Tat als inno-
                                                                                                                         vative Durchbruchstechnologie, die aber ihren
                                                                                                                         Weg in die industrielle Anwendung erst noch
                                                                                                                         finden muss. Obwohl die CO2-Abtrennung heute
                                                                                                                         sehr energieintensiv und teuer ist, gilt sie als
                                                                                                                         die einzige Möglichkeit, die CO2-Emissionen der
                                                                                                                         Zementherstellung deutlich zu reduzieren, um die
                                                                                                                         Minderungsziele im Jahr 2050 zu erreichen: Je
                                                                                                                         nach gewähltem Szenario müssen – und könnten
                                                                                                                         damit – in der Zementindustrie zwischen 552 bis
                                                                                                                         707 Mio. t CO2/Jahr weltweit abgetrennt und dau-
                                                                                                                         erhaft gespeichert werden. Die geologische Spei-
                                                                                                                         cherung von CO2 (Carbon Capture and Storage,
                                                                                                                         CCS) ist seit langem eine bekannte Technologie,
                                                                                                                         insbesondere in der Öl- und Gasindustrie. Außer-
© HeidelbergCement / Steffen Fuchs

                                                                                                                         dem kann CO2 auch als Kohlenstoff-Rohstoff oder
                                                                                                                         zur Kraftstoffherstellung genutzt werden (Carbon
                                                                                                                         Caupture and Utilization, CCU). In beiden Fällen
                                                                                                                         werden aber entsprechende Mengen an Energie
                                                                                                                         aus erneuerbaren Quellen benötigt werden.

                                                                                                                           Wie kann man sich die CO2-Spei-
                                                                                                                         cherung genauer vorstellen?
                                     Zementwerke werden kontinuierlich modernisiert, um sie auf den neuesten Stand
                                     der Technik zu bringen. Der Einsatz alternativer Brennstoffe und der vermehrte      Das abgetrennte CO2 kann über Rohrleitungen
                                     Einsatz von Biomasse spielt dabei eine große Rolle. In Deutschland wurde 2018 der   oder Behälter transportiert werden. Die Kosten
                                     thermische Energiebedarf für die Zementproduktion im Durchschnitt zu 68 % durch     hängen von der Transportdistanz ab, andere
                                     alternative Brennstoffe gedeckt. Dieser Anteil wird kontinuierlich erhöht.          Faktoren wie Be- und Entladekosten sowie die
                                                                                                                         Art der Pipeline (Offshore oder Onshore) sind
                                                Primärrohstoff für die Klinkerproduktion verwen-                         weitere relevante kostenbestimmende Faktoren.
                                                den. Es besteht aus Calcium- und Silicium-Ver-                           Die Speicherung von CO2 erfolgt durch die Ein-
                                                bindungen und kann daher natürliche Rohstoffe                            bringung in geologische Formationen unter der
                                                ersetzen.                                                                Erdoberfläche. Poröse Gesteine mit dichten Deck-
                                                                                                                         gesteinen sind ausreichend und geeignet, um das
                                                  Wie sieht es mit der Verbesserung                                      Gas sowie Gesteinsformationen, die zuvor zur
                                                der elektrischen Energieeffizienz aus?                                   Aufnahme von Gas oder Öl verwendet wurden,
                                                                                                                         zu halten. Es gibt bereits seit Jahrzehnten gute
                                                Der Hauptbedarf an elektrischer Energie bei der                          Erfahrungen mit der Offshore-Speicherung von
                                                Zementherstellung entsteht bei der Rohstoffauf-                          CO2. Auch ein Pilotprojekt in Brandenburg vor
                                                bereitung, dem Klinkerbrennen und der Zement-                            einigen Jahren hat bestätigt, dass eine sichere
                                                mahlung. In Zukunft wird es wichtig sein, dass                           unterirdische Speicherung an Land grundsätzlich
                                                die Zementindustrie ausreichenden Zugang zu                              möglich ist. Gleichzeitig gibt es selbstverständlich
                                                erneuerbarer elektrischer Energie hat, um ihre                           noch viele Fragen, welche die technische Umset-
                                                indirekten CO2-Emissionen zu minimieren und                              zung im Industriemaßstab und die rechtlichen
                                                auch bei der Anwendung neuartiger CO2-Min-                               Rahmenbedingungen angehen. Um die Poten-
                                                derungstechnologien auf grünen Strom setzen zu                           ziale von CCS und CCU auch für die Dekarboni-
                                                können. Bereits heute sind die Werke in Deutsch-                         sierung bestimmter Prozesse in der Industrie zu
                                                land sehr effizient und werden mit Hilfe von                             nutzen, ist daher in den kommenden Jahren noch
                                                Energiemanagement-Systemen kontinuierlich                                viel politisches Engagement gefragt – und ein
                                                verbessert. Wir stoßen aber auch hier an pro-                            gesellschaftlicher Diskurs über die Chancen und
                                                zesstechnische Grenzen. Bemerkenswert ist, dass                          Risiken, den wir aktiv mitgestalten möchten.
                                                der elektrische Energiebedarf durch Umwelt- und
                                                Klimaschutzmaßnahmen in der Regel steigt. Wir
                                                müssen für den Klimaschutz also einen höheren
                                                Energiebedarf in Kauf nehmen.

16
Wie sieht die globale Roadmap für
kohlenstoffarme Technologien für die                   In sogenannten Roadmaps werden verschiedene Maß-
Zementindustrie aus?                                   nahmen zur CO2-Minderung aufgeführt. Die Reduzie-
                                                       rung des Klinkerfaktors, der vermehrte Einsatz von Bio-
Die globale Herausforderung der CO2-Minderung          masse, aber auch die CO2-Abscheidung spielen hier eine
sowie die Notwendigkeit, Ziele zu definieren und       besonders große Rolle.
deren Umsetzungsgrad zu verfolgen, spiegelt
sich auch in den sogenannten Roadmaps wider.
Hierin sind die verschiedenen Maßnahmen zur          wie dem Recycling von Beton und seiner effizien-
CO2-Minderung und der zeitliche Rahmen, in           teren Nutzung in Gebäuden und Infrastrukturen.
denen sie umgesetzt werden müssen, aufgeführt.       Die in der CEMBUREAU-Roadmap von 2013
Allen Roadmaps gemeinsam ist der Mix an              vorgeschlagenen Schritte wurden 2018 erneut
Maßnahmen zur CO2-Minderung. Die Reduzie-            bewertet. Hier zeigt sich, dass die europäische
rung des Klinkerfaktors, der vermehrte Einsatz       Zementindustrie auf Kurs ist, sie langfristig auf
von Biomasse, aber auch die CO2 Abscheidung          Klimaneutralität im Bausektor abzielt und dass
spielen hier eine besonders große Rolle. Vor allen   kommende neue Technologien, vor allem die
Dingen gilt es, die Maßnahmen gleichzeitig zu        CO2-Abscheidung, besonders im Fokus zu stehen
beginnen und nicht nacheinander. Wir würden          haben.
ansonsten zu viel Zeit verlieren.
                                                       Die CO2-Reduktion, die der Zement-
  Wie sehen die regionalen Imple-                    sektor erreichen soll, basiert also auf
mentierungen der globalen Roadmap                    parallelen Wegen?
aus?
                                                     Das ist richtig. Diese parallelen Wege tragen
Auf der Basis der globalen Roadmap zur Dek-          zur Gesamtreduktion bei, jedoch in unterschied-
arbonsierung der Zementindustrie aus den             lichem Maß und mit differierenden Zeitvorgaben.
Jahren 2009 und 2018 wurden mehrere natio-           Wichtig ist natürlich, dass die CO2-Effizienz als
nale beziehungsweise regionale entwickelt. Im        Teil einer gesamten CO2-armen Wirtschaft und
Großen und Ganzen ähneln sie sich, lediglich die     Wertschöpfungskette zu sehen ist. Ein geringerer
Schwerpunkte der Maßnahmen sind leicht unter-        Klinkergehalt im Zement kann erst dann zu glo-
schiedlich gesetzt, da schließlich den jeweiligen    balen CO2-Einsparungen beitragen, wenn diese
Rahmenbedingungen vor Ort Rechnung getra-            Zemente auf den Markt kommen. Und sie müssen
gen werden muss. CEMBUREAU, der Europäische          ihren Weg in die Bauwerke finden. Hierfür ist das
Zementverband, unterstreicht in seiner Roadmap       Regelwerk anzupassen. Es müssen aber auch
für Europa von 2013 die Bedeutung der ver-           geeignete Indikatoren entwickelt und umgesetzt
schiedenen Minderungstechnologien im Bereich         werden, um die Anwendung von kohlenstoffar-
der Klinker- und Zementherstellung. Dabei wird       men Betonen zu unterstützen und dabei stets ein
für die europäische Zementindustrie eine Sen-        ausreichendes hohes Qualitätsniveau für sichere
kung der CO2-Emissionen von 177 Mio. t CO2/          Gebäude zu gewährleisten.
Jahr im Jahr 1990 auf 34 Mio. t CO2/Jahr im Jahr
2050 angenommen. Fast 60 % dieser Emissions-           Sie gehen die Herausforderungen
minderung von etwa 79 Mio. t CO2 würden dabei        also mit Zuversicht an?
durch Breakthrough-Technologien wie die CO2-
Abscheidung und -Speicherung bereitgestellt.         Natürlich! Die Zement- und Betonindustrie unter-
Der Brennstoffbedarf soll dabei zu 60 % durch        stützt mit ihren Innovationen und Ideen zur Wei-
alternative Kraftstoffe gedeckt werden, davon        terentwicklung der Baustoffe aktiv die Klimaziele
40 % Biomasse. Als Klinkerfaktor wird im Jahr        der Bundesregierung sowie die globalen Zielset-
2050 0,70 als realistisch eingeschätzt, neue Bin-    zungen zum Klimaschutz. Obwohl die Herausfor-
demittel mit CO2-Emissionen von unterhalb 50 %       derungen für den Zementsektor groß sind, zeigt
des Durchschnitts aller heutigen Zemente würden      sich, dass die notwendigen Maßnahmen getrof-
in diesem Szenario 5 % des gesamten Zement-          fen werden, um diese Industrie auf ihrem Weg in
produkt-Verbrauchs ausmachen.                        eine kohlenstoffarme Zukunft zu führen. Die Res-
                                                     sourcen müssen dabei aufeinander abgestimmt
Nicht berücksichtigt bei der Reduzierung der         und die Kräfte gebündelt werden, und zwar von
direkten Emissionen, aber ebenso wichtig in sei-     allen, die Teil der Wertschöpfungskette Zement
nem Beitrag zur globalen CO2-Einsparung aus          und Beton sind.
der Zement- und Beton-Wertschöpfungskette ist
die wachsende Bedeutung von kohlenstoffarmem         Herzlichen Dank für das Gespräch!
Beton und weiteren nachgelagerten Maßnahmen

                                                                                4 / 2021 punktum.betonbauteile|Sonderheft   17
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