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STADTWANDERUNG SVPW LOBBYING IM REGIERUNGSVIERTEL DER BUNDESSTADT Claude Longchamp Politikwissenschafter/Historiker und Stadtwanderer Bern, 04. Februar 2021 Text- und Bildfassung
2 1. Station: Vor dem Hotel Bellevue Palace Abbildung 1 – Hotel Bellevue Palace Quelle: Eigene Aufnahme Wir stehen von dem Hotel Bellevue Palace. Es ist ein Hotspot des Lobbyings in Bundesbern. Deshalb beginne ich hier. Definition(en) Die populärste Umschreibung von Lobbying meint, LobbyistInnen seien noch nicht Teil der staatlichen Institutionen, aber auch nicht mehr des Volkes. Wenn das Bellevue der Staat wäre und die PassantInnen die BürgerInnen, wären wir hier ziemlich richtig. Ein Schritt mehr, und wir wären in der Lobby. Was tun solche Intermediäre? Das Cambridge English Dictionary umschreibt es so: “[Lobbying is] the activity of trying to persuade someone in authority, usually an elected member of a government, to support laws or rules that give your organization or industry an advantage.” (Cambridge Dictionary 2020) Es geht also um Überzeugungsarbeit. Um Mitglieder des Regierungssystems. Und um Vorteile für die eigene Organisation.
3 Während meinen 25 Jahren als Dozent für Lobbying am Verbandsmanagement Institut der Universität Freiburg bin ich weiteren Definitionen begegnet: Zuerst der recht undifferenzierten Umschreibung von Lobbying als Interessenvertretung. Sie sagt, dass ParlamentarierInnen wie LobbyistInnen Interessen vertreten. Doch liefert sie keine Unterscheidungskriterien. Ein Ausweg wäre, alle Gewählten noch als LobbyistInnen zu betrachten. Das wären dann nur Nicht-Gewählte, die Einfluss nehmen. Dann die Definition vieler Kommunikationsfachleute. Für sie ist Lobbying nicht nur Kommunikationsmanagement, um politische Entscheidungen zu steuern. Jede strategische Äusserung im Vorfeld gehört dazu. Das verwischt die Grenze zur Information, die für die Demokratie unabdingbar ist. Schliesslich die interessante Version von Fritz Sager, Politologie-Professor am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern. Er schreibt: «Lobbying bezeichnet die Vertretung von politischen Interessen [bei Berufs- und Milizlobbyakteuren Abbildung 2 – Das Freiburger im Rahmen ihrer Mandate] und die Management-Modell Beeinflussung von politischen Quelle: Lichtsteiner et al. (2020) Entscheidungsprozessen durch diese Interessen.» (Sager und Pleger 2018) Das ist angepasst auf die Schweiz. Es geht tatsächlich um Interessen, aber es braucht zielgerichtete Mandate und es zählen die Handlungen hierzu. Das könnten Top-Leute sein, aber auch VereinspräsidentInnen. Formen Sagers Analysen im internationalen Vergleich legen zwei weitere Eigenheiten des Lobbyings in der Schweiz offen: es ist an ParlamentarierInnen ausgerichtet, und es finden medial vermittelt statt. In angelsächsisch geprägten Politsystemen wird es stärker durch Geld getrieben, und findet weniger personalisiert statt. Meine Beobachtungen zum Lobbying in Bundesbern haben mich gelehrt, Lobbying nicht auf Prozesse der Gesetzgebung zu reduzieren. Häufig geht es um Ausnahmen von Gesetzen. Oder um Subventionen. Oder um Grossprojekte, um
4 öffentliche Beschaffungen. Oder um Transferzahlungen, etwa im Sozialversicherungsbereich. Lobbying Privilegien Subventionen Transferzahlungen Beschaffungswesen Grossbauten z.B. z.B. z.B. z.B. z.B. Gastgewerbe Gesundheitswesen Sozialversicherungen Informatik Gotthard Abbildung 3 – Wofür wird lobbyiert? Quelle: Eigene Darstellung Nötig ist auch die Unterscheidung zwischen legislativem und dem exekutiven Lobbying. Ersteres findet gegenüber dem Parlament und seinen Parteien statt, letzteres gegenüber dem Bundesrat und der Bundesverwaltung. Lobbying Legislatives Exekutives Lobbying Lobbying Parlament Parteien Bundesrat Bundesverwaltung (Kommissionen) Abbildung 4 – Adressaten Quelle: Eigene Darstellung Eine erste Bewertung Unter AnalytikerInnen und Beobachtenden herrscht weitgehende Einigkeit: Lobbying findet in der Schweiz statt. Weitgehender Konsens herrscht auch, dass es unterreglementiert ist, dass sich erwünschte Funktionen mit unerwünschten mischen. Typisch dafür ist die jüngste Publikation von Transparency International zum hiesigen Lobbying im europäischen Vergleich: Die Gesamtnote ist mittelgut bzw. mittelschlecht (Biscaro und Biedermann 2019).
5 Rang Land / Institution Gesamtbewertung 1 Slowenien 55% 2 Europäische Kommission 53% 3 Litauen 50% 4 Vereinigtes Königreich 44% 5 Österreich 40% 6 Irland 39% 6 Lettland 39% 8 Europäisches Parlament 37% 9 Niederlande 34% 10 Polen 33% 11 Schweiz 30% 12 Estland 29% 12 Tschechien 29% 14 Frankreich 27% 15 Slowakei 26% 16 Bulgarien 25% 17 Deutschland 23% 17 Portugal 23% 19 Spanien 21% 20 Italien 20% 21 Rat der Europäischen Union 19% 22 Ungarn 14% 22 Zypern 14% Durchschnitt Alle Länder & EU-Institutionen 31% Tabelle 1 – Die Transparenz der Schweiz im europäischen Vergleich Quelle: Biscaro und Biedermann (2019) Am besten schneiden wir wegen des tendenziell gleichberechtigten Zugangs zu Behörden ab. Ausgewogene Konsultationsverfahren und Expertengruppen sind die Pluspunkte, auch im Vergleich zur EU. Ähnlich wie in der EU wird die Integrität unseres Lobbyings bewertet. Verhaltenskodizes für Beschäftigte im öffentlichen Sektor sind da unser Plus; die fehlende Gesetzgebung für LobbyistInnen an sich jedoch das Minus. Am schlechtesten bewertet wird die Transparenz des Lobbyings in der Schweiz – geringer noch als in der EU! Es mangle vor allem an Offenlegungspflichten für LobbyistInnen, die hinreichend überwacht würden. Und es gebe keinen legislativen Fussabdruck.
6 Transparenz CH EU Informationsfreiheit 50% Registrierung und Offenlegungspflichten von Lobbyisten 3% Überwachung von Registern und Sanktionen 0% 16% Legislativer Fussabdruck 13% Transparenz (Gesamt) 16% 25% Integrität CH EU Restriktionen zu ehemaligen und zukünftigen Arbeitsverhältnissen 8% Verhaltenskodex für Beschäftigte des öffentlichen Sektors 75% Gesetzlicher Verhaltenskodex für Lobbyisten 0% 29% Ethikkodizes zur Selbstregulierung 33% Integrität (Gesamt) 29% 33% Gleichberechtigter CH EU Zugang Konsultationen und öffentliche Teilnahme an Entscheidungsprozessen 58% Zusammensetzung von Beratungs- und 30% 44% Expertengruppen Gleichberechtigter Zugang (Gesamt) 44% 33% Tabelle 2 – Abschneiden der Schweiz nach Bereich Quelle: Biscaro und Biedermann (2019) Als ich 1995 begann, Lobbying zu unterrichten, wussten die meisten nicht, dass es das gab. 1998 änderte sich das mit dem nachrichtenlosen Vermögen. Wir lernten, dass ausländische Organisationen Einfluss auf unser Bankengeheimnis nehmen. Damals stand Botschafter Borer auf Seiten der Verteidiger der Schweiz. Die Kasachstan-Affäre 2015 war ein zweiter Einschnitt. Betroffen war unsere damalige Nationalratspräsidentin Christa Markwalder. Ebenfalls betroffen war Thomas Borer, nun Lobbyist für das Ausland. Beide wurden beschuldigt, für die Anerkennung des autoritären Regimes in Kasachstan mit Vorstössen im Parlament lobbyiert zu haben. Mittlerweilen wurden die Verfahren eingestellt. Wir werden uns so des Lobbyings in der Schweiz allmählich bewusst.
7 Würdigung und Kritiken Viele ParlamentarierInnen sind noch nicht soweit. Für sie ist die Einflussnahme auf den Gesetzgeber die logische Folge des Milizsystems. Darüber werden wir noch sprechen. Ausserhalb kann man verschiedene Grade an Kritik unterscheiden: Lobbywatch SPAG •Lobbying als Rück-/ Transparency International •Systemverträgliches •Das Lobbying ist mit Einbindung der Lobbying: Korruption Politik in die Transparenz, verwandt. Gesellschaft Bewusstsein, •Mehr Lobbying ist Beschränkung gut für die Demokratie. Abbildung 5 – Beurteilung des Lobbyings in der Schweiz aus der Perspektive externer Akteure Quelle: Eigene Abbildung Die sehr gemässigte Kritik aus der Branchenvereinigung SPAG, die Zugang zum Parlament durch Akkreditierung wie in der EU möchte. Die Anhänger der liberalen Demokratie wie Fritz Sager, für welche Lobbying zwar nichts Anrüchiges hat, solange dieses transparent und geregelt erfolgt. Die starke Kritik meist von links, bisweilen aber auch von rechts, die Lobbying mit verdeckter Manipulation und Korruption gleichsetzt. Selber stufe ich mich nahe, wenn auch nicht identisch mit Transparency International ein. Und damit es klar ist: Ich bin kein Lobbyist. Aber ich habe mich als Wissenschafter mit vielen LobbyistInnen auseinandergesetzt. Manche mögen meine Analyse und nutzen sie. Andere finden sie überzeichnet und lehnen sie ab. Wir haben hier begonnen, bleiben aber nicht hier stehen. Wir machen einen Rundgang durch das Regierungsviertel mit allen wichtigen Institutionen und AkteurInnen. Los geht’s!
8 2. Station: Bundesplatz Wir stehen auf dem Bundesplatz. Er repräsentiert den modernen Bundesstaat. Die 26 Brunnen sind die Kantone, die gesamte Fläche repräsentiert den Bund. Schweizer Demokratiegeschichte Man könnte den Bundesplatz auch als Platz der Demokratie bezeichnen. In den 1830er Jahren wurden die meisten Kantone, welche der Wiener Kongress geschaffen oder bestätigt hatte, demokratisiert. 1848 entstand, nach einem kurzen Bürgerkrieg, der Bundesstaat mit Volk und Ständen als Souveräne. Damals waren wir noch eine repräsentative Demokratie mit dem Parlament im Zentrum, aber ohne Volksrechte. Diese kamen in den 1860er Jahren in den Kantonen hinzu. 1874 wurde das Gesetzesreferendum gegen Parlamentsbeschlüsse und 1891 die Volksinitiative für Verfassungszusätze eingeführt. Wir wurden so schrittweise zur halbdirekten Demokratie. Diese begünstigte ihrerseits die Entwicklung der Konsensdemokratie als Alternative zur Mehrheitsdemokratie. Bei uns wird verhandelt, um zur besten Lösung zu gelangen. Dafür war die Inklusion sozialer Gruppen wie der katholisch- konservative Bevölkerung, der Bauern- und der Arbeiterschaft nötig. Mehr Mühe hatte (bzw. hat) die Schweiz mit der Integration der Frauen, der jungen Menschen und der AusländerInnen. Jahr/Periode Ereignis 1830er Jahre Regeneration der Kantone mit gescheiterter Bundesverfassung Bundesstaat mit erster Verfassung 1848 Demokratische Phase Revision der ersten Bundesverfassung, Referendumsdemokratie 1874 Direktdemokratische Phase 1981 Halbdirekte Demokratie 1918 Proporzwahlen, BGB/SP werden relevant Sozialpartnerschaft 1937 Sozialpartnerschaftliche Phase 1971 Frauenstimmrecht Stimmrechtalter 18 1991 Globalisierungsphase Tabelle 3 – Einige Entwicklungen in der Geschichte der Eidgenossenschaft Quelle: basierend auf comparis.ch (2018)
9 Machteliten Eine ganz andere Interpretation habe ich in den 1970ern in meinem Studium an der Universität Zürich bei der Lektüre von «The Power Elite» entdeckt. Autor Charles Wright Mills (1956) analysiert darin die USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hält fest, dass der Staat, das Militär und die Wirtschaft zu einer Superballung von Macht zusammengewachsen waren, welche die Demokratie bedroht. Eingebürgert hat sich, dies den militärisch-industriellen Komplex, kurz MIK, zu Abbildung 6 – The Power Elite nennen. Quelle: Wright Mills (1956) Heute liest sich das Buch von Mills wie eine Verschwörungstheorie. Geblieben ist aber die zentrale Frage der Macht in der Demokratie. Heutige DemokratietheoretikerInnen sprechen in diesem Zusammenhang von Korporatismus. Gemeint ist damit, dass organisierte Wirtschaftsinteressen in den Staat integriert sind. Genau genommen spricht man vom Neokorporatismus oder liberalen Korporatismus. Denn die Mitgliedschaft in Wirtschaftsorganisationen ist heute freiwillig. Wenngleich ebendiese Organisationen die Regierung nicht mehr direkt bilden, sind sie doch nach wie vor tief ins Regierungssystem integriert. In der Schweiz sind das beispielsweise die Sozialpartner, also Gewerkschaften, Gewerbeverband und Arbeitgeber. Sie verpflichten sich, weder zu streiken, noch Arbeiter auszusperren, aber miteinander zu verhandeln. Den Anfang nahm dieses System 1937 in der Metallindustrie, also kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Trotz Schwierigkeiten besteht es heute noch und gilt als wichtige Systemstütze. Die zentrale Vorstellung ist, dass durch diese Partnerschaft innerer Friede einkehrt und Verbände einen Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. Vom Korporatismus zum Pluralismus Hanspeter Kriesi, der Schweizer Wright Mills, schrieb vor diesem Hintergrund seine wegeweisende Habilitationsschrift. Er erstellte aufgrund von Experteninterview eine Rangliste der zugeschriebenen Macht für die Schweiz der 1970er Jahre. Sie sah den Gewerkschaftsbund an der Spitze, gefolgt von Vorort (Schweizerischer Handels- und Industrieverein), der Vorläuferorganisation der economiesuisse. An dritter Stelle folgte der Gewerbeverband, womit sich alle drei vor Bundesrat, weiteren Branchenverbänden und den politischen Parteien in die Rangliste einreihen. Das war Neokorporatismus pur. Der Bundesrat regiert für das ‘big business’ unter Einschluss der Gewerkschaften (Kriesi 1980).
10 1971–1976 (Kriesi 1980) 2001–2006 (Sciarini 2015) 92% Schweizerischer Gewerkschaftsbund 92% SVP 91% economiesuisse 88% economiesuisse 87% Schweizerischer Gewerbeverband 87% Bundesrat 84% Bundesrat 82% SP 81% Schweizer Bauernverband 77% FDP.Die Liberalen 74% CVP 77% CVP 73% FDP.Die Liberalen 76% Schweizerischer Gewerkschaftsbund 72% SP 74% Eidgenössisches Finanzdepartement 64% Schweizerische Nationalbank 63% Konferenz der kant. Finanzdirektoren 63% ED Wirtschaft, Bildung und Forschung 61% Schweizerischer Gewerbeverband Tabelle 4 – Machtverteilung im zeitlichen Vergleich Quelle: Kriesi (1980), Sciarini (2015) Pascal Sciarini (2015), Kriesis wichtigster Schüler, wiederholte die Studie 30 Jahre später. Sein neuer Hauptbefund aus dem Jahre 2015: Der Verbandseinfluss ist weitgehend gesunken. Nur die economiesuisse konnte sich auf der Höhe des Bundesrats halten. Vor beiden liegt aber mit der SVP eine transformierte Regierungspartei. Hinter ihnen kommen alle anderen Regierungsparteien. Sie rangieren noch vor den weiteren Verbänden und neu den Spitzen der Finanzverwaltungen in Bund und Kantonen. Nicht mehr das vorparlamentarische Verfahren entscheidet; vielmehr sind die Kommissionen im Parlament massgebend. Eine eigene Studie mit direktem Bezug auf das Lobbying bestätigte das. Dafür liess ich die LobbyistInnen die jeweils anderen einschätzen. So erfuhr ich Allerlei. Mein Hauptergebnis ist, dass der Einfluss des Lobbyings steigt, je intensiver er betrieben wird. Mein Ranking sah economiesuisse, den Dachverband der Wirtschaft, an der Spitze, umgeben von Umwelt- und KonsumentInnenverbänden. Der Bundesrat kommt selbstredend nicht vor, aber die Parteien, die Verwaltung und die Kantone erscheinen plötzlich als wichtige Lobbygruppen (Burson-Marsteller und gfs.bern 2011). Solche Ergebnisse führten zu einer neuen Diagnose. Die Interessenvertretung ist heute nicht mehr vorwiegend korporatistisch, aber pluralistisch. Pluralismus meint, dass die Zahl und Art der relevanten Interessenvertretungen zunimmt, sich diese nicht mehr auf Wirtschaftsverbände konzentrieren und vom politischen System nicht zwingend vorgesehen sein müssen.
11 Populärwissenschaftliche Diagnosen Wirksames Lobbying gemäss Burson-Marsteller und gfs.bern (2011): Erfolgreiche Lobbyisten sind Wirtschafts- und Umweltverbände sowie KonsumentInnen-Organisationen. Erfolglos sind demgegenüber die Kirchen. Mit der wahrgenommenen Intensität des Lobbyings steigt auch der wahrgenommene Erfolg eines Akteurs/einer Akteurin. Als relativ erfolgreich gelten insbesondere die Verwaltung und die Kantone. Die Trennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Lobbyakteuren wird Sobsolet. tre udiag ram m Erfo lg / Häufig ke it Lo bby-Org anis atio ne n "Uns interessieren auch die im Lobbying tätigen Organisationen. Sie sehen in der Folge eine Liste von Organisationen oder Als vergleichsweise Interessengruppen. erfolglos Beurteilen Sie bitte fallen auch für jede NGOs, PA-Agenturen Organisation/Interessengruppe, ob diese in derund Think Schweiz sehr Tanks ab. erfolgreich/häufig, eher erfolgreich/häufig, eher erfolglos/selten oder sehr erfolglos/selten lobbyiert." 100 Wirtschaftsverbände 80 Umwelt-Organisationen KonsumentInnen-Organisationen Kantone Pol. Parteien Verbände allg. 60 Arbeitnehmerorg. Öffentliche Verwaltung NGO Unternehmen Public Affairs Agenturen Medien/Verlage 40 Kultur-Organisationen Experten Journalisten Erfolg Akteure 20 Kirchen Think Tanks 0 0 20 40 60 80 100 Häufigkeit Akteure Abbildung 7 – Streudiagramm Erfolg & Häufigkeit Lobby-Akteure gfs.bern, Lobbying Survey 2011, April/Mai 2011 (N = 143) Quelle: Burson-Marsteller und gfs.bern (2011) Diese Erkenntnisse sind zwischenzeitlich als Populärwissenschaft in den Massenmedien angekommen. Zu Zeiten Kriesis gab der Tages-Anzeiger-Journalist Hans Tschäni die gleiche Antwort wie der Politologe. Dieser hat nämlich 300 GeneralistInnen und SpezialistInnen der Schweizer Politik identifiziert, welche die entscheidenden Weichen bei den wichtigsten Herausforderungen gestellt haben. Das war unsere Powerelite (Tschäni 1983). Gut 30 Jahre nach Tschäni gab ein Schweizer Autorenkollektiv, das für die deutsche Zeitung «Die Zeit» recherchierte, eine abweichende Antwort. Sie glauben, auch in fortgeschrittenen Demokratien gäbe es eine Entwicklung zur Postdemokratie. Dabei hätten Experten die Macht übernommen. Die demokratischen Formen würden weiterbestehen, allerdings von Fachleuten so gestaltet, dass die Entscheidungen vorhersehbar seien und vom Volk kaum mehr beeinflusst würden.
12 Immerhin stellen die Autoren bezogen auf die Schweiz eine für die direkte Demokratie des Landes typische Reaktion auf die geschilderten Entwicklungen fest. Hier sei es zu einer Retrodemokratie mit den Massenmedien im Zentrum gekommen. Diese würden Demokratie inszenieren. Hauptdarsteller sei der Volkstribun Christoph Blocher mit seiner SVP. Er bilde, in der pluralistisch geprägten, liberalen Demokratie, das eigentliche Machtzentrum (Daum et al. 2014). Abbildung 8 – Bücher: "Wer regiert die Schweiz?" Quelle: Daum et al. (2014), Tschäni (1983) Neuerliche Umbrüche Natürlich stellt sich heute die Frage, ob die Interpretation von 2014 noch stimmt. Die Polarisierung durch die SVP hat wohl 2015 ihren Höhepunkt erreicht. 2019 haben SVP und SP die Wahlen verloren. Zahlreiche Interessengruppen haben ihre Vertretung im Parlament verloren. Dazu gehörten die Sozialpartner, aber auch die GesundheitspolitikerInnen. Politische Macht gewonnen haben die VertreterInnen der Grünen und die Frauen. Sie erreichten im Jahr der Klima- resp. Frauenwahl Spitzenwerte. Das alles spricht für noch mehr Pluralismus. Bis COVID-19 kam! 2020 erlebten wir eine massive Neubelebung des Neokorporatismus. Vielleicht sogar einen Neo-Neokorporatismus. Denn seit der «zweiten Welle» sind Verbände der Wirtschaft und der Freizeitindustrie, aber auch Fachleute wie EpidemiologInnen und Massenmedien von zentraler Bedeutung, wenn es um Einflüsse auf den stark geforderten Bundesrat geht.
13 Bereich/Organisation «Götti» in der BV Badge-InhaberIn Rolle Leiterin Finanz- & Gewerbeverband Jean-François Rime Alexandra Krattinger Steuerpolitik Dieter Kläy Leiter Mobilität Gewerbeverband Hans-Ueli Bigler Baumeisterverband Bernhard Salzmann Arbeitgeberverband Peter Schilliger Roland A. Müller Direktor Schweiz Tourismus Claude Béglé Anja Wyden Guelpa Verwaltungsrätin Treuhand Suisse Thomas Egger Stefan Wyer Leiter Kommunikation Hauseigentümer- verband Thomas Müller Monika Sommer Direktorin Hauseigentümer- verband Claudio Zanetti Felix Schneuwly - Nestlé Sebastian Frehner Jean-Christophe Britt Head PA Swisscom Bernhard Guhl Stefan Kilchenmann Head PA Leiter Chemie & Unia Corrado Pardini Manuel Wyss Pharma Leiterin Travail Suisse Adrian Wüthrich Linda Rosenzkranz Kommunikation santésuisse Heinz Brand Verena Nold Direktorin Groupe Mutuel Felix Müri Miriam Gurtner Head PA Comparis Claudio Zanetti Felix Schneuwly Head PA Tabelle 5 – Beispiele aus dem "Götti"-System: Parlamentarier und die von ihnen vergebenen Badges Quelle: Bernet (2019)
14 3. Station: Das Regierungsviertel als Miniatur Abbildung 9 – Bronze-Miniatur des Bundeshauses Quelle: Peter Klaunzer/Keystone Wir stehen hier vor dem Kern des Regierungsviertels. Allerdings nur im Kleinformat. Das Grossformat ist gleich hinter uns. Wir überblicken hier das Parlaments- und zwei Regierungsgebäude. Sie beinhalten die beiden Säle für National- und Ständerat sowie den Sitz des Bundesrats und einzelne seiner Departemente. Gewaltenverschränkung nicht Gewaltenteilung In der klassischen Lehre sind die beiden Gewalten getrennt, um sie kontrollieren zu können. In der Schweiz ist diese Teilung eher wenig entwickelt. Man spricht deshalb vorwiegend von Gewaltenverschränkung denn Gewaltenteilung. Dies hat Folgen für den Gesetzgebungsprozess. Über Gesetze entscheidet zwar das Parlament, ihre Vorbereitung und Umsetzung liegt aber weitgehend in den Händen der Regierung. Selbst wenn ein Gesetz beschlossen ist, aber ein Referendum zu Stande kommt, ist das zwar noch ein Teil der Entscheidung, aber vom Bundesrat bestimmt. Generell stellt die Politikwissenschaft eine Verlagerung fest, bei welcher die zentrale Bedeutung des Parlaments schwindet und jene der Regierung wächst.
15 Machen wir ein Beispiel: Nach der abgelehnten Volksabstimmung über den Gripen kam das Parlament zu Schluss, die Stimmberechtigten sollten nur über den Kredit für ein neues Kampfflugzeug bestimmen, nicht aber über den Typ. Entsprechend stimmten wir letztes Jahr nur über den Kredit von 6 Milliarden CHF ab; dies ohne zu wissen, welches Flugzeug damit gekauft würde. Denn das bestimmt nun der Bundesrat in eigener Regie. Im Vergleich zur Kompetenzordnung von 2013 fand hier eine De-Parlamentarisierung statt. Analysen verschiedener Berner PolitikwissenschafterInnen zeigen, dass dieser Trend bis in die 90er Jahre überwog. Seither gibt es aber auch eine Gegenbewegung, die man Re-Parlamentarisierung nennt. Sie ist eine Reaktion auf die EWR-Entscheidung 1992, als sich die innenpolitischen Kräfte wie das Parlament und die Kantone tendenziell übergangen fühlten. Seither verlangen sie mehr Abbildung 10 – Die Schweiz im Vergleich mit ihren Mitspracherechte gerade in Vorbildern über die Zeit (Niederlande, Weimarer Republik und USA) aussen- und europapolitischen Quelle: Vatter et al. (2020) Entscheidungen. Der Entscheidungsprozess Der Berner Politologe Wolf Linder hat die Stationen der Entscheidungsfindung minutiös in einem Rad-Diagramm nachgezeichnet (siehe unten, Linder 2005). In der vorparlamentarischen Phase unterscheidet er das Wirken von verwaltungsinternen Arbeitsgruppen, externen Experten und Vernehmlassungen bei betroffenen Organisationen. Das alles mündet in die Botschaft des Bundesrats an das Parlament. Das Parlament bestimmt einen Erst- und Zweitrat. Beide verfahren hintereinander, aber gleich: Zuerst beraten die Kommissionen, dann das Plenum. Kommen beide Kammern zu unterschiedlichen Schlüssen, kommt es zur Differenzbereinigung und schliesslich den Schlussabstimmungen. Alsdann folgt die Referendumsphase, wenn eine Nachentscheidung des Volkes verlangt wird. Hier hat sich vordergründig der Abstimmungskampf mit Bürgerbeteiligung etabliert.
16 Vollzugskomplex Vorparlamentarischer Entscheidungsprozess Departemente, Ämter, Vollzugsbeteiligte, Interessengruppen, beauftragte Dritte, beratende Kommissionen, Private, Kantone Expertenkommissionen des Bundesrats starke informelle Kontakte ANTRAG AUF Revision Gesetz oder Verfassung Neuerlass Gesetz oder Verfassung VORPROJEKT VOLLZUG des zuständigen Departements Departemente und Ämter, beauftragte Dritte und Private Verordnungsgebung und Vollzugserfahrung EXPERTENENTWURF INKRAFTSETZUNG durch von Bundesrat Bundesrat ernannte Kommission starke informelle Kontakte VERNEHMLASSUNG ABSTIMMUNG BUNDES- RAT Stellungnahme doppeltes Mehr für Interessengruppen, Verfassungsvorlagen als leitende Parteien, Kantone Behörde BUNDESRATENTWURF ANSETZUNG ABSTIMMUNG nach Auswertung der durch Bundesrat Vernehmlassung REFERENDUMSVORBEHALT KOMMISSIONSENTWÜRFE Volksinitiative obligatorisch für nach Beratung Ständerats- und Parlamentarische Standesinitative Verfassungsrevisionen Nationalratskommission Motion fakultativ für Gesetze PARLAMENTSVORLAGE Fakultatives Parlamentarische Referendum Verabschiedung nach Eintreten Initiative Detailberatung und Schluss- abstimmung beider Kammern Mitwirkung des Volkes Parlamentarischer Entscheidungskomplex Wahlen National- und Ständerat; Nachentscheidung Zwei gleichberechtigte Kammern mit je 12 ständigen Verfassungs- und Gesetzesvorlagen; Verfassungsinitiative, Kommissionen und 11 gemeinsamen Delegationen und kantonale Initiativen und Mitwirkung an der Kommissionen; Differenzbereinigungsverfahren Vernehmlassung nach kantonalem Recht Fraktionen und informelle Interessengruppen Abbildung 11 – Der politische Entscheidungsprozess beim Bund Quelle: Linder (2005) Geht das Referendum zugunsten der Behörden aus, beginnt die Vollzugsphase mit Verordnungen und Massnahmen. Allenfalls kommt es wieder zu einer Vernehmlassung, nicht mehr aber zu einer parlamentarischen Beratung. Dass der Bundesrat im Entscheidungsprozess wichtiger als das Parlament geworden ist, hat mit seiner Involvierung im ganzen Prozess zu tun. Das Parlament entscheidet zwar über Gesetze, ist aber nicht durchgehend beteiligt. Zudem ist seitens des Bundesrats meistens nur ein Mitglied involviert, während im
17 Parlament entweder alle oder die Mitglieder der entsprechenden Kommissionen mitwirken. Im Grossen und Ganzen ist sich die Forschung einig, dass der Ständerat dabei tendenziell mehr Gewicht hat als der Nationalrat. Er ist kleiner, verhandelt konsensualer und ist häufiger näher beim Bundesrat. Deshalb ist er meist schneller fertig und somit schneller offen für Neues. So kommt es, dass er häufiger als Erstrat wirkt. Erst ganz am Schluss, im Falle von Uneinigkeiten zwischen den Räten, ist der Nationalrat in der Einigungskonferenz leicht bevorteilt. Folgen für das Lobbying Das alles hat Folgen für das Lobbying. Transparency International hat versucht, Licht in diese Sache zu bringen. In der vorparlamentarischen Phase sind die Vernehmlassung und die Expertenkommissionen am wichtigsten. Während der parlamentarischen Phase gelten die Beratungen in den Kommissionen als zentrales Moment. In der Referendumsphase ist namentlich der Abstimmungskampf von Bedeutung und im Vollzug bieten Verordnungen häufig ein letztes Mal Gelegenheit zur Intervention (Biscaro und Biedermann 2019). Generell wird heute die Auffassung vertreten, wichtiger als punktuelle Interventionen sei die Behandlung ganzer Prozesse durch Lobbyisten. Die eine geglückte Einflussnahme im vorparlamentarischen Prozess bedeutet noch keinen gesicherten Erfolg im Parlament und eine Mehrheit in beiden Räten garantiert noch keine sichere Mehrheit in der Volksabstimmung. LobbyistInnen sind demnach ProzessbegleiterInnen. Sie müssen in der Lage sein, fachlich vertiefte Vernehmlassungen zu beeinflussen. Sie müssen einen direkten Draht ins Parlamentsgeschehen haben. Und sie müssen einen Abstimmungskampf führen können. Abbildung 12 – Bericht der Transparency International Das kann sich über mehrere Jahre hinweg dehnen. Schweiz: Lobbying in der Schweiz Das macht es für EinzelkämpferInnen unter den Quelle: Biscaro und Biedermann (2019) LobbyistInnen schwieriger. Einfacher haben es da Verbände und Agenturen, die fachlich spezialisiert sind und etablierte Kompetenzen haben.
18 Wirksames Lobbying Die wichtigste Folge daraus lässt sich am Profil guter LobbyistInnen ablesen. Eigentlich sagen alle, dass die Führung von Prozessen mittels Informationen massgeblich ist. Man könnte es auch so zusammenfassen: Das Richtige im richtigen Moment an der richtigen Stelle in der richtigen Form einfliessen zu lassen, das macht den Unterschied aus. Das hat zur Konsequenz, dass sich Lobbyisten nicht nur nach dem Entscheidungsverfahren der Politik richten, sondern auch nach dem Lebenszyklus eines Konfliktthemas. Da unterscheidet man zwischen der Latenzphase mit neu auftretenden Themen, der Emergenzphase, wenn diese zum öffentlichen Thema werden, der eigentlichen Krisenphase mit einer politischen Kontroverse und der Regulationsphase, in welcher die verbindlichen Entscheidungen getroffen werden. Die Öffentlichkeit interessiert sich meist am stärksten für die Krisenphase. Was davor und was danach geschieht, erscheint weniger von Belang. Latenz Emergenz Krise Regulation Aufmerksamkeit Handlungsspielraum Einzelereignis Öffentliches Anliegen Konflikt-Issue Anspruchs- Zeit Ansprüche befriedigung Betroffene Interessenvertreter (z.B. Aktivisten, Wissenschaftler) Medien, Politiker Anspruchsgruppen, Behörden Abbildung 13 – Issue-Lebenszyklus Quelle: Ingenhoff & Röttger (2006), Liebl (2000) Ganz anders sehen das die LobbyistInnen. Sie wissen, dass man in der Latenz- und Emergenzphase viel mehr erreichen kann als in der Krisen- und Regulationsphase. Wenngleich die öffentliche Aufmerksamkeit in der Krisenphase ihren Höhepunkt erreicht, ist zu diesem Zeitpunkt der Handlungsspielraum der Akteure schon stark eingeschränkt. Deshalb sind die der Krise zuvorkommenden Phasen von zentraler Bedeutung. Zu Beginn des Issue-Lebenszyklus äussern sich nur Betroffene. Dann kommen AktivistInnen und ExpertInnen hinzu. Sie mobilisieren Medien und PolitikerInnen, bevor der Staat handelt. Diese Phasen zu beherrschen ist die wichtigste kommunikative Aufgabe von LobbyistInnen. Deshalb ist für sie deren Früherkennung das A und O wirksamer Lobbying-Arbeit. So, jetzt ab ins Parlament.
19 4. Station: Parlamentsgebäude Abbildung 14 – Aussicht von der Kirchenfeldbrücke auf das Parlamentsgebäude Über uns tagt der Nationalrat. Würden wir von Weitem die Fassade betrachten, könnte man meinen, in einem Theater zu sein. Ganz anders ist die Symbolik des Ständerats. Die Fassade auf der anderen Seite gleicht einem griechischen Tempel und steht für das Göttliche in der Schweizer Politik. Schwergewichte im Parlament Die bereits erwähnte Polarisierung der politischen Landschaft hat die Parlamentsarbeit verändert. Zunächst sind gemeinsame Entscheidungen der Regierungsparteien eine Rarität geworden. Erfolgreiche Allianzen bestehen in der Regel aus drei Fraktionen, sei es nun aus SVP, FDP und CVP(resp. Mitte) oder aus SP, FDP und CVP. Allianzen aus nur zwei Regierungsparteien sind riskanter und weniger erfolgreich. Sodann sind die Fraktionen einheitlicher geworden. Ihre Geschlossenheit hat zugenommen. An den Polen war das immer so. Heute findet man es aber auch bei der FDP und der CVP resp. Mitte. Das beeinflusst auch das Lobbying. Waren früher die Zugänge zu einzelnen Mitgliedern interessanter, richtet man sich heute mehr an die Schwergewichte im Parlament. Ein regelmässig publiziertes Rating der SonntagsZeitung der einflussreichsten Mitglieder im Parlament berücksichtigt Faktoren, die auch uns
20 interessieren: Positionen im Parlament, Ämter in der Partei, Resonanz in den Medien und vieles mehr (von Burg et al. 2019). Gold ging 2019, wie übrigens in den Jahren zuvor, an Christian Levrat, den Freiburger Ständerat und damaligen SP-Präsidenten. Silber erhielt Pirmin Bischof, Solothurner Ständerat, und Bronze bekam Thomas Aeschi, der Zuger Nationalrat und Fraktionspräsident der SVP. Relevant für das Rating sind folgende Kriterien: Mitgliedschaft und Stellung in den Gremien der Räte (Kommissionen, Büro, Präsidium); Stellung innerhalb der Partei, gemessen an den Parteiämtern; parlamentarische Tätigkeit, gemessen einerseits an der Anzahl erfolgreicher Vorstösse und andererseits an der Anzahl und dem Gewicht (Länge) der Voten in den Debatten; Medienpräsenz; gesellschaftliches und wirtschaftliches Gewicht anhand von ausserparlamentarischen Mandaten und nicht zuletzt die Reputation im Parlament, einerseits gemessen an der Fähigkeit, andere ParlamentarierInnen mittels Unterschriften für Vorstösse für die eigenen Anliegen zu gewinnen und andererseits an der Einschätzung der ParlamentskollegInnen. Für letzteres wurde eine breite Umfrage im Parlament durchgeführt (von Burg et al. 2019). Rang Name Rat Partei Kanton 1 Christian Levrat SR SP FR 2 Pirmin Bischof SR CVP SO 3 Thomas Aeschi NR SVP ZG 4 Balthasar Glättli NR GPS ZH 5 Gerhard Pfister NR CVP ZG 6 Tiana Angelina Moser NR glp ZH 7 Filippo Lombardi SR CVP TI 8 Hannes Germann SR SVP SH 9 Andrea Caroni SR FDP AR 10 Albert Rösti NR SVP BE 11 Roger Nordmann NR SP VD 12 Heinz Brand NR SVP GR Tabelle 6 – Top 12 des Parlamentarier-Ratings der SonntagsZeitung Quelle: von Burg et al. (2019)
21 Herzstück Kommissionen Damit sind wir bei den Kommissionen angelangt. Das sind die Arbeitsausschüsse der Parlamentskammern. Sie haben in beiden Räten die gleiche Struktur, sind von unterschiedlicher Grösse und berücksichtigen die Stärken der Fraktionen unter der Bundeskuppel. Wer fraktionslos im Nationalrat sitzt, kann nicht in Kommissionen mitwirken (Schaub 2019). In der Öffentlichkeit am bekanntesten sind die Sachbereichskommissionen, wovon es neun gibt (siehe unten). Die wohl prestigeträchtigste ist die WAK. Deshalb wird sie auch am liebsten untersucht. Eine an der ZHAW eingereichte Bachelorarbeit ergab folgendes: Wenn sich deren Mitglieder in beiden Räten treffen, sitzen 150 bis 200 mandatierte Interessen mit am Tisch (Schnurrenberger 2018). Gemäss Transparency International sind das mehr als 10% aller Interessenbindungen in beiden Räten (Biscaro und Biedermann 2019). Denn die Gesamtzahl liegt bei knapp 2'000, verteilt auf 1'700 Organisationen (Ruh und Rittmeyer 2016). Aussenpolitische Kommissionen für Soziale Kommissionen für Umwelt, Kommissionen (APK) Sicherheit und Gesundheit Raumplanung und Energie (SGK) (UREK) Kommissionen für Verkehr und Sicherheitspolitische Kommissionen für Wirtschaft Fernmeldewesen (KVF) Kommissionen (SiK) und Abgaben (WAK) Kommissionen für Staatspolitische Kommissionen Kommissionen für Wirtschaft, Rechtsfragen (RK) (SPK) Bildung und Kultur (WBK) Tabelle 7 – Die neun Sachbereichskommissionen des eidgenössischen Parlaments Quelle: parlament.ch Auswertungen nach Parteien belegen, dass die Dichte in der letzten Legislaturperiode in der politischen Mitte, sprich bei BDP, FDP und CVP, mit zehn bis elf Mandaten pro Mitglied am grössten war. Absoluter Spitzenreiter war damals Kurt Fluri von der Solothurner FDP mit 31 Mandaten. Zum Zeitpunkt der Untersuchung kamen auf 241 ParlamentarierInnen 1'959 Mandate, woraus sich ein Schnitt von rund acht Mandaten pro ParlamentarierIn ergibt. Laut einem aktuelleren Artikel der NZZ am Sonntag soll der Schnitt in der aktuellen Legislaturperiode bei rund sieben Mandaten pro ParlamentarierIn liegen; auf 246 Personen kommen rund 1'650 Mandate. Drei von vier ParlamentarierInnen würden für ihre nebenamtlichen Tätigkeiten entschädigt. In Sachen Transparenz habe sich aber laut Transparency International seit der letzten Periode kaum etwas geändert (Friedli und Häuptli 2020). Gemäss NZZ haben mindestens 17 Branchen einen direkten Draht ins Parlament. An erster Stelle stehen dabei, etwas unerwartet, Hilfswerke, Nonprofit-
22 Organisationen und soziale Institutionen. Es folgen Medien, Telekommunikation und Kultur. An dritter Stelle kommt die Bauwirtschaft, knapp vor Bildung und Forschung. Eines wird bereits hier offensichtlich: Es handelt sich durchwegs um Wirtschaftszweige, die auf Subventionen angewiesen sind (Ruh und Rittmeyer 2016). Schnitt (in Mandate pro Partei Anzahl Mandate Anzahl ParlamentarierInnen ParlamentarierIn) FDP 488 46 10.6 SVP 419 70 5.6 SP 400 55 7.3 CVP 388 41 9.5 BDP 86 8 10.8 GPS 75 12 6.3 übrige 50 14 3.6 Tabelle 8 – Verteilung der Mandate über alle Branchen 2016 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Ruh und Rittmeyer (2016) Vom Milizparlament zum Halbberufsparlament Die zentrale Rechtfertigung für eine solch starke persönliche Vernetzung der ParlamentarierInnen leitet sich aus dem Milizsystem ab. Namentlich bürgerliche ParlamentarierInnen loben das. Es sichere die praktische Erfahrung der GesetzgeberInnen und mobilisiere günstig Wissen und Erfahrung, das der Politik sonst abgehen würden. Daran wird insbesondere von links her Kritik geübt. Was sich in den Kantonen unverändert bewähre, sei auf Bundesebene Fiktion. Gemäss politikwissenschaftlichen Untersuchungen setzen die PolitikerInnen wohl 80% einer normalen Arbeitszeit für ihre Mandate im Bundeshaus ein. Im Ständerat sind es eher mehr, denn die Kommissionsmandate sind da auf weniger Personen verteilt. Im Nationalrat kommen demgegenüber häufiger Ämter für die Partei hinzu. Die Website des Parlaments spricht denn auch nicht mehr von einem Milizparlament. Andererseits scheint man auch den Begriff des Berufsparlaments nicht zu mögen. Entsprechend haben wir in der Schweiz ein «Halbberufsparlament».
23 Interessenvertretung via Zusatzmandate Eine 2019 extern durchgeführte Untersuchung zu den Einkommensverhältnissen zeigt, dass die Mitglieder der grossen Kammer mit im Schnitt knapp 150'000 CHF für ihre Parlamentstätigkeit entschädigt werden und sie rund 30'000 CHF zusätzlich aus ihrer politischen Arbeit beziehen. Ständeräte stehen etwas besser da. Die mittlere Entschädigung, die von Kanton zu Kanton variiert, beträgt rund 175'000 CHF; im Schnitt kommen noch 110'000 CHF hinzu. Wahrscheinlich ist die Varianz hierbei aber gross. Das hängt auch mit der Mandatsstruktur zusammen. Spitzenverdienende sollen auf ein Gehalt wie ein Bundesrat kommen (Müller 2019). Abbildung 15 – Einkommen der ParlamentarierInnen 2019 (mit Anzahl und Einnahmen der Mandate jeweils im Durchschnitt inkl. Spesen; in CHF) Quelle: Müller 2019, gemäss Urs Klingler Eine Studie, welche jüngst in der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft publiziert wurde, macht deutlich, dass es bei der Übernahme von Mandaten auf zwei Determinanten ankommt: zunächst auf die Fraktion, dann auf die Amtsdauer. Linke PolitikerInnen haben im Schnitt weniger externe Mandate und ihre Zahl nimmt mit der Amtsdauer nicht zu. Rechts angesiedelte PolitikerInnen haben in der Regel mehr Mandate inne und deren Zahl steigt bis zu einer Amtsdauer von 12 Jahren kontinuierlich an. Danach ist der Verlauf uneinheitlich. Dies wohl aber, weil es zu wenig beobachtete Fälle gibt. Die Abbildung 16 – Linke ParlamentarierInnen: Durchschnittliche Anzahl Studienautoren Interessenbindungen pro Kopf nach Branche Quelle: Huwyler und Turner-Zwinkels (2020b) erklären sich die Unterschiede
24 zwischen den Fraktionen damit, dass die Wählerschaft linker PolitikerInnen Verbindungen zu Unternehmen skeptischer gegenübersteht und die MandatsträgerInnen im Ernstfall bei anstehenden Wahlen sanktioniert würden (Huwyler und Turner- Zwinkels 2020a, siehe auch Huwyler und Turner-Zwinkels 2020b). Wolf Linder hat das auf eine griffige Formel gebracht: MilizpolitikerInnen, die viel gearbeitet aber wenig verdient hätten, würden dazu neigen, mal wenig zu arbeiten, aber viel zu Abbildung 17 – Bürgerliche ParlamentarierInnen: Durchschnittliche verdienen. Anzahl Interessenbindungen pro Kopf nach Branche Quelle: Huwyler und Turner-Zwinkels (2020b) Entsprechend harzig verlaufen Reformversuche. Noch in der Pipeline ist eine parlamentarische Initiative von Ständerat Rieder, die es TrägerInnen wirtschaftlicher Mandate untersagen würde, in Kommissionen Einsitz zu nehmen, die entsprechende Tätigkeiten regulieren. LobbyistInnen in der Lobby Lobbying im Sinne der externen InteressenvertreterInnen wird so noch gar nicht erfasst. Geht es um externe VertreterInnen, kommen schnell die berühmten Badges zur Sprache, mit welchen Externen Zutritt zum Parlamentsgebäude verschafft werden kann. Für die Kommissionsarbeiten sind diese nicht von zentraler Bedeutung. Die Beziehungen der LobbyistInnen zu den SpezialistInnen wird meist schriftlich geregelt. Wichtiger wird die Lobby für die Plenumsberatungen. Doch nur im Ausnahmefall produzieren diese ganz andere Ergebnisse als vorgezeichnet. Zwar sind die LobbyistInnen da gut sichtbar, aber ihre Bedeutung wird tendenziell überschätzt. Aktuell kann jedes Mitglied des eidgenössischen Parlaments zwei Badges vergeben. Davon machen die meisten ParlamentarierInnen Gebrauch. Anteilsmässig am meisten Badges vergibt die glp, am wenigsten die SVP. Gemäss
25 NZZ sind die LobbyistInnen die hauptsächlichen NutzniesserInnen, gefolgt von persönlichen MitarbeiterInnen und weiteren Gästen. Allerdings sind dies längst nicht alle Privilegierten. Denn auch alt ParlamentarierInnen können ihren Badge behalten, wenn sie dies wollen. Jedes Departement und die Bundeskanzlei haben 10 weitere Badges zu ihrer Verfügung und auch jede Konferenz der Kantone resp. ihrer Direktionen hat einen solchen. Total haben knapp 500 Personen einen freien Zugang zur Lobby des Parlaments; an einem Sessionstag werden im Schnitt 200 dieser Badges tatsächlich. Gäste Persönliche Mitarbeiter Lobbyisten Nicht vergeben 0 100 200 300 400 500 0 0 0 0 Nationalrat Ständerat Total Abbildung 18 – Die BesucherInnen der ParlamentarierInnen Quelle: Parlamentsdienste (Stand: 04.06.2019) Ein Systemwechsel zu einem personenunabhängigen Akkreditierungssystem, wie es etwa das EU-Parlament kennt, ist bisher nicht geglückt. Allerdings macht man neuerdings eine Unterscheidung zwischen Personen mit einem permanenten Zugang und solchen, die nur als Tagesgäste ins Parlamentsgebäude kommen. Der informelle Bereich als Corona-Opfer Die Systematik der Zugänge zum Parlament wird durch diese formalisierten Beziehungen nur unzureichend abgedeckt. Vernachlässigt werden so beispielsweise die überparteilichen parlamentarischen Gruppen, die sich einfach aus den Interessierten an einem Thema bilden können. Sie tagen meist einmal pro Session, und werden nicht selten von einer entsprechenden Lobbyorganisation geführt. Noch lockerer ist das Verhältnis von informellen Schnittstellen am Rande des Parlaments. Sie bilden sich um spezifische Interessen und bereiten häufig parlamentarische Interventionen unter Gleichgesinnten vor. Last but not least sei auf Sportanlässe, Veranstaltungen zum Vergnügen und Reisen verwiesen, die meist ohne explizite Agenden stattfinden, aber der Vernetzung von ParlamentarierInnen und LobbyistInnen dienen. «Fun & Food» ist eine beliebte Formel der Beziehungspflege! 2020 brachte eine Rekordwelle an Vorstössen im Parlament. Das hat vor allem mit eingereichten Fragen zu tun. Diese haben im Corona-Jahr explosionsartig
26 zugenommen. Man kann das auch als Symptom sehen, dass das Informelle der Beziehungen im Parlament rückläufig ist, das Formelle demgegenüber aber zunimmt. Abbildung 19 – Anzahl eingereichte Vorstösse nach Einreichungsjahr Quelle: parlament.ch Das hat auch die NZZ vor allem mit Blick auf die Neugewählten beobachtet. Deren Vernetzungsmöglichkeiten seien erschwert. Zudem würden relevante taktische Winkelzüge so undurchschaubarer. Zeuge dieser Sichtweise ist Martin Schläpfer, heute Verwaltungsrat bei Farner, davor langjähriger Lobbyist der Migros. Widerspruch kassierte er aber von Gerhard Pfister. Corona zeige, twitterte dieser als Antwort, dass solches Lobbying via Apéro unnütz sei und dass dessen Einfluss nur von LobbyistInnen erfunden werde, um ihre eigene Wichtigkeit zu bezeichnen. Es kann sein, dass Pfister damit recht hat. Er braucht es nicht. Er sitzt als Lobbyist der Tourismusbranche mit Albert Rösti, Petra Gössi und Matthias Aebischer in einer Arbeitsgruppe, die direkt beim Bundesrat interveniert. Das ist unser nächstes Thema.
27 5. Station: Bundesratsgebäude Abbildung 20 – Südseite des Bundesratsgebäude mit Balkon Quelle: Eigene Aufnahme Wir stehen unter dem Balkon des Bundesratszimmers. Die Aussicht auf den Berner Hausberg, den Gurten, sind ausgezeichnet. Weniger gute Einsicht haben wir in die Funktionsweise des Lobbyings gegenüber dem Bundesrat. Selbst das kürzlich erschienene Buch «Blackbox Exekutive», herausgegeben vom Kompetenzzentrum für Public Management, hilft hier nicht viel weiter (siehe Ritz et al. 2019). Die Wahl in den Bundesrat Für unser Thema hilfreich ist der Einstieg über die Wahl in den Bundesrat. Das hat Adrian Vatter für die vergangenen 30 Jahre in seinem Buch «Der Bundesrat. Die Schweizer Regierung» untersucht. Für ihn ist klar, dass die politische und parlamentarische Verankerung der Kandidierenden entscheidend ist. Sie müssen aus der richtigen Partei stammen; sie müssen von der Fraktion nominiert worden sein. Dabei werden sowohl geschriebene (wie z.B. jene zur Sprachregion) als auch ungeschriebene Regeln (wie z.B. zum Geschlecht des Kandidaten/der Kandidatin) berücksichtigt. Praktisch unabdingbar ist die Erfahrung im Bundesparlament; damit zusammenhängend kristallisiert sich ein gewisses Alter und eine gewisse politische Erfahrung als Voraussetzung heraus.
28 Zu meiner Überraschung schreibt Vatter, die Verankerung in der Wirtschaft sei kein signifikantes Wahlkriterium. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass er das anhand von Verwaltungsratspräsidien in der Privatwirtschaft untersucht hat. Klarer wird das Ergebnis, wenn man es auf Verbandsmitgliedschaften bezieht. Bei der Wahl von FDP-KandidatInnen war das nur in Ausnahmefällen nicht gegeben. Bei der SVP und SP haben starke Minderheiten mindestens ein solches Mandate bei der Wahl innegehabt. Lediglich bei der CVP war es lediglich eine kleine Minderheit (Vatter 2020). Abbildung 21 – Beispiel eines Netzwerks um SVP BundesratskandidatInnen 2015 Quelle: Tscherrig (2015) (siehe auch lobbywatch.ch) Was das heisst, sah man beispielsweise 2015, als die SVP ihren zweiten Bundesratssitz zurückerhielt. Norman Gobbi, der Kandidat aus dem Tessin, scheiterte. Er war «nur» Mitglied der Lega, bewarb sich als Regierungsrat, stand aber ohne Wirtschaftsmandate da. Zur Auswahl standen zudem Thomas Aeschi, der Zuger Nationalrat und Fraktionspräsident, sowie Guy Parmelin, der Weinbauer aus der Waadt. Letzterer machte das Rennen. Lobbywatch zeigte auf, wie gut er sich davor im Parlament vernetzt hatte. Er war Mitglied zweier wichtiger Kommissionen und wirkte in mindestens vier Parlamentsgruppen mit. Zudem war er in Vorständen verschiedener Arbeitgeberorganisationen sowie Organisationen der Landwirtschaft und Gentechnologie aktiv. Bestens bekannt war er Thomas Cueni, dem legendären Lobbyisten der Interpharma. Das alles förderte seine breite Verankerung; ein Kriterium, das Thomas Aeschi letztlich abging (Tscherrig 2015).
29 Die DepartementsvorsteherInnen Einmal gewählt, müssen Bundesratsmitglieder diese Verbindungen abgeben. Anders als ParlamentarierInnen sind sie offiziell BerufspolitikerInnen. Das ist selbst bei alt Bundesräten wie Christoph Blocher oder Johann Schneider-Ammann so; beides erfolgreiche Unternehmer und Milliardäre, die in die Milizpolitik eingestiegen und da erfolgreich aufgestiegen sind. Was bleibt, sind die Netzwerke, die sich Bundesratsmitglieder meist in jahrelanger Kleinarbeit aufgebaut haben. Das ist auch nötig, denn als DepartementsvorsteherIn führt man einen Teil der Verwaltung. Departement Bundesrat/Bundesrätin Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Viola Amherd Bevölkerungsschutz und Sport VBS Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD Karin Keller-Sutter Eidgenössisches Finanzdepartement EFD Ueli Maurer Eidgenössisches Departement des Innern EDI Alain Berset Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK Simonetta Sommaruga Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Guy Parmelin Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA Ignazio Cassis Tabelle 9 – Aktuelle Departementsverteilung Quelle: Schweizerische Bundeskanzlei 2020 Nicht alle Departemente sind gleich gross und wichtig: Umfassend sind das UVEK und das EDI; die Anforderungen sind multipel. Schlanker sind das VBS, das EDA und das EJPD. Sie gehen meist an die «Novizen» im Gremium. Auf Anhieb bekommt ein Bundesrat kaum die Finanzen oder die Wirtschaft. Sie gelten als Querschnittsdepartemente und haben deshalb viel Gewicht. Der Prozess der Willensbildung Ein politischer Entscheidungsprozess in einem Departement kennt drei Phasen: die amtsinterne Vorbereitung in Arbeitsgruppen, die Phase der Expertenkommission mit Fachleuten von aussen und die Phase der Vernehmlassung. In allen drei Phasen kommt Lobbying zum Zug. Geregelt ist das vor allem bei Vernehmlassungen. So werden Projekte der Regierung einem Lackmustest unterzogen, bevor sie ins Parlament kommen. Es
30 gilt, sie wetterfest zu machen. Man könnte es auch Vetospiel nennen, denn in Vernehmlassungen werden vor allem solche Gruppen gewichtig berücksichtigt, die erfolgreich ein Referendum gegen einen Parlamentsbeschluss erheben könnten. Jahr Ereignis 1874 Einführung, um Wirksamkeit von Referenden durch Abschätzung der Opposition resp. Veränderung von Vorlage zu bremsen 1947 Wirtschaftsartikel formalisiert die politische Praxis, die sich im Zweiten Weltkrieg entwickelt und politisch etabliert hatte 1970 Richtlinien für das Vorverfahren der Gesetzgebung (Folge der Mirage-Affäre) 1991 Verordnung über das Vorverfahren 2005 Vernehmlassungsgesetz Gründe Parlament soll referendumssichere Vorlagen verabschieden Heute jährlich weit mehr als 100 Verordnungen Verfahren Vorgängige Konsultationen Eingaben einsehbar Botschaft des Bundesrats ans Parlament Beteiligte Kanton Parteien Verbände Bürger*innen Tabelle 10 – Vernehmlassungsverfahren: Vom informellen zum institutionalisierten Verfahren Selbst Transparency International lobt das Vernehmlassungsverfahren in der Schweiz als geregelte Form der Einflussnahme durch Lobbygruppen im vorparlamentarischen Verfahren. Nur die Gewichtung der Eingaben durch den Bundesrat wird als unzureichend nachvollziehbar kritisiert. Ebenfalls weniger klar ist, warum ExpertInnen-Kommissionen entstehen und wie sie bestückt werden. Da ist der Einfluss von DepartementsvorsteherInnen und Verwaltungsinteressen durchaus gegeben. Doch auch hier gibt es eine bewährte Regel: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollen mit ihren Vertrauensleuten integriert werden. ExpertInnen sind deshalb bei Weitem nicht nur WissenschafterInnen. Vielmehr sind es mit der Materie vertraute, bewährte Fachleute. Weitgehend ungeregelt ist schliesslich, wie die verwaltungsinternen Arbeitsgruppen entstehen. Da ist der Handlungsspielraum von Verwaltung und Regierung am grössten.
31 Das Fallbeispiel Ein anschauliches Beispiel für das Zusammenspiel von Lobbying und Behörden war der Vorschlag aus dem Wirtschaftsdepartement, die Ausfuhr von Kriegsmaterial zu lockern. Der Vorschlag, welcher 2018 vorgebracht wurde, sah vor, dass die Ausfuhr neu auch in kriegsführende Länder erlaubt wird. «Weniger als neun Monate ist es her, seit die vereinten Chefs der Schweizer Rüstungsindustrie ihr «Begehren» an die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats gerichtet haben: die Lockerung der Kriegsmaterialverordnung. […] Dem Vernehmen nach hatten die beiden SP-Bundesratsmitglieder Alain Berset und Simonetta Sommaruga sowie CVP-Bundesrätin Doris Leuthard in Mitberichten grundsätzliche Bedenken gegen die Lockerung angemeldet – unter anderem gestützt auf neutralitätspolitische Überlegungen, aber auch mit dem Verweis auf die Tatsache, dass die Schweiz immerhin Sitzstaat des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) ist […].» (Gmür 2018) Die NZZ mokierte sich umgehend darüber, das Vorhaben sei mit generalstabsmässiger Zielstrebigkeit aus dem WBF in und durch den Bundesrat gepeitscht worden. In der Öffentlichkeit kam der Vorschlag aber gar nicht gut an. Man warf dem Bundesrat vor, sein Versprechen bei der letzten Volksabstimmung gegen die Waffenausführ gebrochen zu haben. Im Nationalrat setzte die BDP ihre Forderung durch, dem Bundesrat die Kompetenz für die Bestimmung der Liste von ausfuhrfähigen Ländern zu entziehen. Und die Zivilgesellschaft mobilisierte subito mit der Ankündigung einer Volksinitiative, welche die Praxis verschärfen sollte. Angesichts der Opposition verzichtete der Bundesrat schliesslich auf seine Forderung und zog das Geschäft zurück. Verschiedene Quellen bestätigten, dass das Generalsekretariat des WBF federführend war. Unterstellt wird auch, dass man damit die Interessen der Metallindustrie bedient habe. Das wäre dann klassisches Lobbying gegenüber der Exekutive. Dem stand aber ein neuartiges Lobbying der Zivilgesellschaft gegenüber, die ihre Fähigkeit zur Opposition mittels angedrohten Volksinitiativen dank den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung demonstriert hatte. Letztlich hat sie sich in der Allianz mit der Öffentlichkeit und dem Druck aus dem Parlament durchgesetzt. Der Generalsekretär aus dem WBF verliess dieses bald danach; heute ist er Direktor von Swissmem. Vorwürfe der Interessenkollision wurden durch die Bundesanwaltschaft untersucht. Das Verfahren wurde eingestellt, als man befand, dass die Verfehlungen nur geringfügig gewesen sind. Die Aufwertung der Generalsekretariate zur Führung von Departementen ist ein Kind der jüngsten Regierungsreform. Die eigentliche Staatsleitungsreform, basieren auf der Bundesverfassung von 1999, misslang. Realisiert wurden aber Teilreformen. Die GeneralsekretärInnen gelangten damit in einer Art
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