Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans - Ein Inszenierungsvergleich

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Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans - Ein Inszenierungsvergleich
Didaktische FWU-DVD
Friedrich Schiller:
Die Jungfrau von Orleans
Ein Inszenierungsvergleich

                             Das Medieninstitut
                                   der Länder
Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans - Ein Inszenierungsvergleich
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tisch. Der Vorspann kann mit der Enter-   Die Schülerinnen und Schüler
oder der Skip-Taste der Fernbedienung     • entwickeln Interesse für die Umset-
oder durch einen Mausklick am PC             zung eines klassischen literarischen
übersprungen werden.                         Werks mit unterschiedlichen drama-
Mit den Pfeiltasten der Fernbedienung        tischen Mitteln,
können Sie die Menüpunkte (z. B. Film,    • gewinnen Einblicke in die Vielfalt
Filmsequenz, Bild, Grafik, Karte etc.)       von Interpretationsmöglichkeiten
ansteuern und mit Enter starten. Auch        durch den Vergleich der unterschied-
die Buttons am unteren Bildschirmrand        lichen Umsetzungen,
steuern Sie mit den Pfeiltasten an und    • werden angeregt, Schillers Johanna
rufen diese mit Enter auf:                   von Orleans auf Basis zweier Auf-
• Der Button „Hauptmenü/Main                 führungen unter Berücksichtigung
    Menu“ führt zurück zum Haupt-            struktureller, sprachlicher und inhalt-
    menü.                                    licher Merkmale zu erschließen,
• Der Button „zurück/back“ führt          • werden dazu motiviert, sich ein
    zum jeweils übergeordneten Menü.         Drama durch Interpretation und Ge-
• Stehen innerhalb eines Menü-               staltung zu eigen zu machen, indem
    punktes mehrere Bilder, Grafiken         sie selbst durch produktive Ausarbei-
    oder Karten zur Verfügung, können        tung der Rollen Handlungsmotive
    Sie mit den Buttons „>“ und „
Zum Inhalt                                  torischen Rankenwerk befreit und seine
                                            Beweisführung klar herausgearbeitet.
Die Jungfrau von Orleans                    Das gelingt ihr zum anderen durch
Inszenierung des Staatstheaters             eine Bühne, die weniger Schauplatz als
Stuttgart                                   Diskussionsforum ist. Der Bühnenraum
                                            ist ein ebenes Karree mit gestuften
Die Stuttgarter Inszenierung der Jung-      Rändern, einem Beratungs- oder Ge-
frau von Orleans macht mit Schillers        richtssaal ähnlich, das vom Bühnen-
Ideentheater ernst – sie ist von jedem      licht präzise aus dem umgebenden
Naturalismus weit entfernt, sie über-       Dunkel herausgeschnitten wird, wobei
setzt das Geschehen in sichtbare Re-        die Finsternis ringsum bisweilen zum
flexion, sie liefert eine Anatomie des      leeren Weltall wird, in dem Johannas
Stücks. Das gelingt ihr zum einen durch     Verzweiflungsschreie verhallen. In glei-
eine intelligente Straffung des Textes.     ßendes Licht getaucht, schimmert diese
Als würde man an einem überladenen          Bühne metallisch kalt und lässt dann an
Bildstock alles Dekor so weit abschla-      einen Seziertisch denken.
gen, dass die Hauptmotive offen zu          Die Symmetrie der Bühne findet ihre
Tage liegen, wird Schillers Text vom rhe-   Entsprechung in der Schauspielerfüh-
                                                                                  3
rung. Die Akteure formieren sich auf der    hen. Die Inszenierung wirkt auf diese
Bühne, nehmen Positionen oder Stand-        Weise der bei Schiller angelegten Ten-
punkte ein, haben kaum Berührung            denz entgegen, Johanna zu verklären
miteinander, meiden den Blickkontakt.       und in ein Erlöserschema zu pressen.
Sie agieren meist unterkühlt, sparen mit    Dem asketischen Stilprinzip dieser Auf-
heftigen Bewegungen und wirken nicht        führung entspricht der weitgehende
selten wie Schachfiguren, die sich Zug      Verzicht auf Requisiten. Neben Stüh-
um Zug neu im Bühnenraum verteilen.         len und Schwert ist hier nur Johannas
Auch ihre einheitliche blau-schwarze,       Fahne zu nennen, eine weiße Stoffbahn
dezente Alltagskleidung macht deut-         von der Größe der ganzen Bühne, die
lich: Hier tritt alles Äußerliche hinter    Johanna mal wie ein Leichentuch be-
das Geäußerte zurück. Die einzige           deckt, mal wie einen einbalsamierten
Ausnahme bildet Johanna. Schon durch        Toten umhüllt. Schließlich sei noch auf
ihren hellgrauen Kapuzenpullover hebt       die exakt kalkulierte Lichtführung hin-
sie sich von den anderen ab. Sie ist        gewiesen, die starke Stimmungseffekte
auch die einzige, die den Körperkontakt     erzeugt, und auf die sparsam einge-
sucht, die ihre Mitspieler anblickt (und    setzte Musik, die immer da dramatische
durchschaut), die einem natürlichen         Akzente setzt, wo es wenig zu sehen
Bewegungsdrang nachgibt, die sich           gibt.
starken Gefühlsregungen überlassen          Fazit: Die Stuttgarter Aufführung ist
darf. Kurz: Johanna bringt – nicht nur in   das Musterbeispiel einer Inszenierung,
den Kampfszenen – Leben ins Gesche-         die unter Absehung von allen natura-
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listischen Elementen dennoch die Ab-         dass hier mit Schillers Worten Eigenes
sichten des Verfassers respektiert und       gesagt werden soll. Es ist nur konse-
verdeutlicht.                                quent, dass das Drama die Bezeich-
                                             nung „Die Jungfrau – nach Schiller“
                                             trägt. Trotzdem kann der Vergleich bei-
Die Jungfrau –                               der Inszenierungen des Dramenstoffs
nach Friedrich Schiller                      von Schillers „Jungfrau“ als Bezugs-
Inszenierung des Herzog-                     punkt erfolgen.
Christian-August-Gymnasiums                  Wichtigstes Requisit ist ein Gerüst, mit
Sulzbach-Rosenberg                           dem die Bühne, eine Art Metallsockel,
                                             nach hinten abschließt. Es steht für
Teil 1 und Teil 2                            den Zauberbaum in Johannas Heimat-
Diese Schüleraufführung (Teil 1: Anfang      dorf Domremy und ist Wohnstätte der
bis 2/2, Teil 2: 2/6 bis Ende) geht andere   Stimmen, die Johanna lenken; auch
Wege als die Stuttgarter Inszenierung.       Johanna selbst sucht darin immer wie-
Sie hat sich sogar eine eigene Fassung       der Zuflucht. Weitere Requisiten dienen
der „Jungfrau“ geschaffen: „Die Jung-        vornehmlich der martialischen Ausge-
frau – nach Schiller“. Sie unterwirft        staltung bestimmter Auftritte. Neben
Schillers Drama den Erfordernissen ei-       Eisenkreuz, Fahne, Schilden und Eisen-
ner eigen- sinnigen Interpretation, sie      stangen ist hier der Helm zu nennen,
geht durchaus auf Abstand zu Schiller.       der als matt angeleuchtete Trophäe im
So etwa, wenn sie das Schillersche Pa-       Zauberbaum hängt, Symbol der Macht.
thos mit den Mitteln der Parodie und         Die Masken der Kämpfenden mit dem
einer exaltierten Ausdrucksweise unter-      roten Kreuzfahrerzeichen, die ihre Ge-
läuft. Oder wenn sie einen Text bietet,      sichter wie Totenköpfe erscheinen las-
der nicht nur gekürzt, sondern auch          sen. Nicht zu vergessen eine Schale mit
neu arrangiert und teilweise zu einer        roter Flüssigkeit, mit deren Hilfe sich Jo-
Textkollage zusammengestellt ist. Oder       hanna selbst einer Art Bluttaufe unter-
wenn der historische Hintergrund hier        zieht und mit der sie auch von anderen
weitgehend ausgeblendet und nach ei-         beschmiert wird.
ner „gerechten Sache“ nicht ernsthaft        Die Kostüme – teils einem Kabarettfun-
gefragt wird. Schon diese Eingriffe las-     dus entlehnt, teils filmischen Vorbildern
sen keinen Zweifel daran aufkommen,          nachempfunden – kennzeichnen die
                                                                                      5
Charaktere. Die männlichen Darsteller        Schauspielerin verkörpert. Eine weitere
tragen ihre Jacken auf nackter Haut,         Zersplitterung ihrer Person erfolgt in
was ihre Verletzlichkeit und die Brutali-    der Szene, in der Johanna Montgome-
tät des Kriegs unterstreicht, gleichzeitig   ry begegnet – hier wird sie von einer
aber auch die Inszenierung als Ganze         synchron agierenden Geisterarmee, ei-
kennzeichnet: Sie ist ausgesprochen          ner todbringenden Phalanx ihrer Stim-
körperbetont, es wird viel getanzt,          men aus dem Zauberbaum vertreten.
geturtelt, gekämpft, umarmt und um-          Wie sehr diese grausamen Mächte sie
klammert. Einzig Johanna erweist sich        in ihrer Gewalt haben, wird auch dort
von Anbeginn an als scheue Träumerin,        deutlich, wo Johanna wie in Trance all
die ihre Menschlichkeit und ihren Re-        das nachplappert oder mitspricht, was
alitätssinn in dem Maße einbüßt, wie         ihre Stimmen reden. In der Montgo-
sie den Einflüsterungen der Stimmen          meryszene nehmen diese Stimmen den
im Zauberbaum gehorcht, bis sie sich         Charakter religiöser Wahnideen an. Jo-
vollends in einen weiblichen Samurai         hannas Kampfbegeisterung ist in dieser
verwandelt.                                  Inszenierung also auch Ausdruck einer
Der auffälligste Regieeinfall ist si-        religiösen Besessenheit.
cherlich die Aufspaltung Johannas in
mehrere Personen: Als unschuldige            Fazit: Die Schüleraufführung ist ein
Träumerin, als Kampfmaschine und als         Beispiel für modernes Regietheater,
von der Liebe besiegte Kriegerin wird        das einem klassischen Stück Bezüge
Johanna jeweils von einer anderen            zur Gegenwart und eine Vielzahl von
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Assoziationen abgewinnt, wobei sie
sich zur Verdeutlichung der eigenen
Aussagen vom Verfasser und dessen
Vorgaben nicht einschränken lassen
will, sodass eine eigene Textfassung zu
den Konsequenzen dieses Vorgehens
gehört.

                                              nen würde; wie von Ferne hört man
                                              das auf- und abschwellende Heulen
Inszenierungsvergleich                        eines Sturms. Dann sieht man ihn, in
an Beispielen                                 rötliches Dämmerlicht getaucht, seine
                                              gefalteten Hände, sein Gesicht mit den
Für den Vergleich wurden folgende fünf        verschatteten Augen, einem Mönch
Auftritte herangezogen: Prolog, 3. Auf-       nicht unähnlich, und er setzt seinen
tritt / 1. Aufzug, 3. Auftritt / 2. Aufzug,   Bericht als Vortrag ans Publikum fort,
2. Auftritt / 3. Aufzug, 10. Auftritt / 4.    in einem gleichbleibend ruhigen Ton-
Aufzug, 1. Auftritt. Zusammengenom-           fall, auf Einprägsamkeit bedacht. Die
men erlauben diese Auszüge sowohl             undramatische Vortragsweise verleiht
den Vergleich der unterschiedlichen           den Ereignissen eine umso größere
Regiekonzepte als auch eine Analyse           Dramatik; nur wo es an die Aufzählung
der Hauptfiguren in ihrer jeweiligen          der Völker geht, die sich dem Heer der
Charakterzeichnung.                           Burgunder angeschlossen haben, ist
                                              der Stimme des Berichterstatters Erre-
Prolog, 3. Auftritt                           gung anzumerken – und es klingt, als
Stuttgarter Staatstheater                     habe sich die halbe Welt gegen Frank-
Der ganze Auftritt wird hier reduziert        reich verschworen. Hier zeigt sich, was
auf den Lagebericht, den Bertrand nach        Schillers poetische Sprache vermag:
seinem Besuch in Vaucouleur liefert.          Die Bedrohung Frankreichs wird in
Der Berichterstatter spricht zunächst         eine bildreiche Sprache übersetzt, so
in undurchdringliches Dunkel hinein,          kraftvoll, als könne sie die Katastrophe
bedächtig, jedes Wort betonend, wie           gleichzeitig beschwören und bannen.
ein Erzähler seine Geschichte begin-          Ein ungeheuer eindringlicher Auftakt.
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gen Karls resignative Grundstimmung.
                                           Nicht, dass den König das Schicksal von
                                           Orléans kalt lassen würde. Er ist betrof-
                                           fen, aber unfähig, sich zu einem Ent-
                                           schluss aufzuraffen, er hockt auf dem
                                           Bühnenboden wie das Kaninchen vor
                                           der Schlange, ratlos, hilflos. Dabei wirkt
                                           er keineswegs unsympathisch – fast
Schüleraufführung                          könnte man Mitleid mit diesem gutmü-
Die Schüleraufführung bietet hier eine     tigen, etwas tapsigen Mann haben, der
Textkollage aus Bertrands Bericht          seine Ratlosigkeit ehrlich eingesteht,
und Dunois’ Schilderung der Bedro-         dem es auch nicht an gutem Willen
hung von Orleans. In die Traumwelt         mangelt. Aber es fehlt ihm der Glaube
des spielenden Narrenkönigs bricht         an sich selbst. Die Mutlosigkeit ist seine
die Wirklichkeit in Form von drei be-      größte Schwäche.
fremdlich bürokratischen Nornen ein,
Schicksalsgöttinnen im grauen Kostüm       Schüleraufführung
von Chefsekretärinnen, aber mit wild       Auch hier bleibt vom 3. Auftritt nicht
zerzauster Hexenfrisur. Sie wachsen aus    viel übrig. Immerhin wird auch hier
dem Boden, reihen sich auf Stühlen vor     deutlich, wie König Karl in dieser Insze-
dem Publikum auf, winkeln die Beine        nierung aufgefasst wird: als verspielter
an, schlagen ihre Mappen auf und er-       romantischer Narr, dem das Schicksal
statten abwechselnd Bericht.               seines Reichs ziemlich gleichgültig
                                           ist. Dieser König ist durch die Realität
1. Aufzug, 3. Auftritt                     nicht zu beeindrucken, und mit ihm tut
Stuttgarter Staatstheater                  auch die Inszenierung den historischen
Der Auftritt wird hier äußerst verknappt   Hintergrund als unerheblich ab. So viel
dargeboten. Dunois hat letzte Anstren-     steht fest: Dieser König ist nicht ernst
gungen gemacht, Karl den Ernst der         zu nehmen – er nimmt sich selbst nicht
Lage vor Augen zu führen, hat ihm auf      ernst. Vor allem aber muss es als unsin-
der Landkarte am Bühnenboden erregt        nige Idee erscheinen, für einen solchen
demonstriert, in welcher Gefahr Or-        König kämpfen und womöglich sterben
léans schwebt, ist jedoch machtlos ge-     zu wollen.
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2. Aufzug, 2. Auftritt
Stuttgarter Staatstheater
In den Disput der englischen Feldherrn
mit dem Herzog von Burgund platzt
Isabeau – langes, glattes Haar, elegante
Hose, sportlicher Pullover, ein Marlene-
Dietrich-Typ, energisch im Auftreten,
entschieden im Reden, das mondä-
ne Gegenstück zu Johanna. Sie ist im       spielt zum Schluss souverän ihre Weib-
Machtpoker geübt, sie versteht es, Part-   lichkeit aus und verabschiedet sich mit
ner gegeneinander auszuspielen oder        beißendem Spott.
auch Zerstrittene zum Zweckbündnis         Das kühle Bühnenlicht unterstreicht,
zu überreden, mal spitzzüngig, mal als     dass sich jeder hier von Machtkalkül
Stimme der reinen Vernunft, immer gei-     leiten lässt; die Aufstellung der Akteure
stesgegenwärtig, immer schlagfertig.       im Raum macht ihre Schwäche deut-
Wenn sie schmeichelt, wenn sie stichelt    lich: Sie stehen vereinzelt, blicken und
oder droht, verfällt sie in den Wiener     reden aneinander vorbei, sie haben un-
Dialekt, der wie kein anderer geeig-       terschiedliche Motive, es verbindet sie
net ist, Niedertracht durchscheinen zu     nichts als der gemeinsame Feind. Bei
lassen. Diese Frau ist abgründig – und     aller Überlegenheit hinterlässt Isabeau
schon deshalb den Männern nicht ge-        in dieser Szene den Eindruck einer ein-
heuer. Als sie sich zur Gegen-Jungfrau     samen, einer tragischen Person.
aufwirft, erfährt sie eine Abfuhr; die
englischen Feldherren wollen nicht         Schüleraufführung
„durch Weiber siegen“, die englischen      Isabeau ist hier zunächst stumme Zu-
Soldaten nicht für ein hasserfülltes und   hörerin beim Disput der Feldherren.
obendrein aus ihrer Sicht unmoralisches    Dann fährt sie dazwischen, mit sprü-
„Weib“ kämpfen. Von der Zurückwei-         hendem Temperament. Leidenschaft-
sung getroffen, verwandelt sich Isa-       lich in ihren Gefühlsäußerungen, um
beau in eine scharfzüngige Rächerin.       Anzüglichkeiten nicht verlegen, gibt
Zwischen offener Wut und eisiger Kälte     sie die femme fatale, die ‚lüsterne Mut-
schwankend, liest sie den Männern die      ter der Kompanie’. Ihr Aussehen passt
Leviten, nennt sie Lügner und Räuber,      dazu – das aufgelöste, wilde Haar, der
                                                                                  9
mitte – das Licht der Erkenntnis fällt
                                            auf Johanna und Lionel. Und beide er-
                                            starren im Licht dieser Erkenntnis. Wie
                                            geblendet, wie gelähmt stehen sie sich
                                            lange Zeit bewegungslos gegenüber.
                                            Und fallen beide im selben Augenblick
                                            zu Boden – von der Liebe bezwungen,
                                            noch bevor es zum ersten Schwert-
Pelzmantel, die Perlenketten –, und ge-     streich gekommen ist. Johanna stößt
nauso ihre aufreizende Körpersprache,       einen Schrei des Entsetzens aus. Sie
die oft genug Verachtung für diesen         geht auf Lionel zu, legt ihr Schwert ab,
Haufen geschlagener und zerstrittener       kniet ihm zur Seite nieder, sie wimmert
Männer ausdrückt. Diese Isabeau wird        und fleht, unfähig, das Geschäft der
handgreiflich, sie packt die Wider-         Götter weiter zu betreiben. Zunächst
strebenden, sie zerrt sie mit sich, sie     entzieht sie sich noch der Berührung
wäscht ihnen den Kopf – und fährt aus       durch Lionel, dann lässt sie sich doch
der Haut, als sie zurückgewiesen wird.      von ihm packen, sinkt wieder kraftlos
Am Boden sitzend, bricht sie in Hassti-     zu Boden und robbt schließlich auf dem
raden gegen ihren Sohn aus, fängt sich      Bauch hinter ihm her. In der eindrucks-
dann wieder, macht Lionel Avancen           vollsten, spannungsgeladensten Szene
und geht schließlich hohnlachend ab.        dieser Aufführung erleben wir hier den
Hier wird uns also eine Frau vorgeführt,    völligen Zusammenbruch der gottge-
die ihre Erotik, ihre Triebhaftigkeit un-   sandten Retterin.
geniert ins Feld führt. Sie bildet den
lebensbejahenden Gegenpol zu einer          Schüleraufführung
Johanna, die der Sexualität und dem         Lionel stürmt die Bühne und fordert
Leben als Frau mit eigenen Wünschen         Johanna zum Kampf. Und nun kommt
abgeschworen hat.                           die dritte Johanna-Darstellerin ins Spiel.
                                            Sie steigt vom Gerüst herab, sie verlässt
3. Aufzug, 10. Auftritt                     den Zauberbaum und die Gesellschaft
Stuttgarter Staatstheater                   ihrer Geister und kämpft. Da greifen
Statt des bläulichen Dämmerlichts hier      erneut die Geister ein. Sie krallen sich
eine strahlend hell erleuchtete Bühnen-     Lionel, halten ihn fest und ziehen ihm
10
die Maske ab. Angezogen und abgesto-
ßen zugleich, flieht Johanna zwischen
dem Zauberbaum und Lionel hin und
her, berührt ihn, umarmt ihn, klam-
mert sich an ihn – und zieht sich dann
doch in den Schutz des Geisterbaums
zurück. Statt eines inneren Konflikts er-
lebt Johanna hier also die Aufspaltung
in eine dritte Person. Die vorherigen       gewichen. Sie ist sehend geworden, sie
Erfahrungen werden nicht mit dieser         hat verstanden, was sie getan hat, und
neuen in Verbindung gebracht; so kann       jetzt hadert sie mit ihrem Geschick, be-
es weder zu einer Erkenntnis noch zu        klagt ihre Erwählung, sehnt sich nach
einer Entwicklung eines Individuums         ihrer alten Unschuld als Schäferin zu-
Johanna kommen – für die Johanna            rück. Gebrochen aber ist diese Johan-
dieser Inszenierung bleibt es bei einer     na nicht, und ein Rest von Stolz ist zu
Bewusstseinsspaltung.                       verspüren, wenn sie Anklage gegen die
                                            Schicksalsmächte erhebt, denen sie so
4. Aufzug, 1. Auftritt                      lange vertraut hat, denen sie sich so
Stuttgarter Staatstheater                   vollständig preisgegeben hat.
Die Bühne ist in schwaches, gelbliches
Licht getaucht, die Anwesenden zeich-       Schüleraufführung
nen sich nur als Schemen ab. Am hin-        Zuerst allgemeiner Siegesjubel des
teren Bühnenrand haben Karl und sein        gesamten „Zauberbaumpersonals“,
Gefolge Platz genommen. Im Einzelnen        das Teile des Monologs „Die Waffen
unkenntlich, verharren sie dort wäh-        ruhn…“ zunächst unter sich aufteilt.
rend Johannas Monolog bewegungslos          Eine ungeheuere Erleichterung macht
wie die Mitglieder eines Tribunals. Vor     sich in mädchenhaftem Herumalbern
ihnen liegt Johannas Fahne als schmut-      Luft. Die Königskrone wird herumge-
ziges Häufchen am Boden. Und in der         reicht wie Spielzeug auf einem Kin-
Bühnenmitte steht Johanna, aufrecht,        dergeburtstag, bis sie in den Händen
und trägt mit brüchiger Stimme ihr          von Agnes Sorel landet. Dann Szenen-
Klagelied vor. Das bisherige Triumph-       wechsel. Auf abgedunkelter Bühne
gefühl ist einer Verwirrung der Gefühle     entsteigt die erste Johanna, die un-
                                                                                 11
schuldige Träumerin, dem Zauberbaum          gleich besser unterrichtet als Voltaire:
und baut sich mit ihrem Eisenkreuz vor       Gerade zehn Jahre, bevor er sich des
dem Gerüst auf. Die zweite Johanna,          Themas annimmt, sind erstmals die
die blutbefleckte, gnadenlose Kriegerin      Gerichtsprotokolle des Jeanne- d’ Arc-
verharrt oben im Zauberbaum, und die         Prozesses veröffentlicht worden, und
dritte, von der Liebe besiegte Johanna       Schiller kennt sie, er bedient sich daraus
liegt geschlagen am vorderen Bühnen-         – etwa, wenn er das Thema des Zau-
rand. Die drei teilen sich in eine Kurz-     berbaums in ihrem Heimatort Domrémy
fassung von Johannas Klagelied – die         aufgreift. Auch Jeannes erster Auftritt
erste stimmt es an, die zweite setzt es      am Hof Karls VII. entspricht in etwa den
fort, die dritte beschließt es. In welcher   Zeugenaussagen, und selbst für Johan-
Gestalt auch immer – Johanna zieht           nas Begegnung mit Lionel, Dreh- und
eine erschütternde Bilanz ihres Wirkens.     Angelpunkt des Stücks, findet sich ein
                                             historischer Anhaltspunkt in Jeannes
Hintergrundinformationen                     liebevoller Sorge um einen tödlich ver-
                                             letzten Engländer nach der Schlacht
Zum Spielball dichterischer Phantasie        von Patay.
war Jeanne d’ Arc schon früher gewor-        Letztlich jedoch gibt die historische
den: Gut 60 Jahre vor Schiller hatte Vol-    Jeanne d’Arc nicht genug her für das,
taire sie zur Heldin seines provokanten,     was Schiller im Sinn hat. Letztlich be-
pornographisch gefärbten Romans „La          nutzt er die Dokumente nur als Inspira-
Pucelle“ gemacht. Allerdings ist Schiller    tionsquelle für ein Stück, das strecken-
über die historischen Vorgänge un-           weise ein dramatisierter Traktat über
12
ein moralisch-psychologisches Problem       zen, muss sie auch selbst zum Schwert
ist. Und dieses Problem lautet: Heiligt     greifen: Wer ihr im Gefecht begegnet,
die „gerechte Sache“ alles, was der         ist des Todes. Die Frage nach ihrer per-
Held in ihrem Namen unternimmt, oder        sönlichen Verantwortung stellt sich Jo-
gelten auch für ihn die Maßstäbe ei-        hanna zunächst nicht. Solange sie sich
ner persönlichen Ethik? Kann der Held       durch ihre göttliche Mission gerechtfer-
seine Willensfreiheit gegen die Schick-     tigt fühlt, schlägt sie als Werkzeug des
salsmächte, mit denen er sich einlässt,     Schicksals zu,– eine gnadenlose Erlö-
behaupten – oder wird er notwendig          serin, Tod bringend in ihrer Unschuld,
zum Getriebenen, der sich schuldig          durch den Jubel ihrer Umgebung im
macht, ohne dass seine Taten im mo-         Glauben an ihre Auserwähltheit be-
ralischen Sinne seinem eigenen Willen       stärkt.
entspringen?                                Erst in dem Moment, da der Anblick
Die Handlung folgt Schillers Argumen-       von Lionels unverhülltem Gesicht sie
tationskette, sie besitzt kaum drama-       bis zur Liebe rührt, wird sie sich ihres
tisches Eigenleben. Um ihr dennoch          Dilemmas bewusst. Denn im Licht der
Anschaulichkeit zu verleihen, arbeitet      Liebe betrachtet ist auch ihr göttlich
Schiller mit den denkbar stärksten Kon-     inspiriertes Rettungswerk schuldhaft,
trasten. Die Aussichtslosigkeit der Lage,   mit den Augen der Liebe gesehen er-
die Verzagtheit der Akteure auf franzö-     scheinen auch ihre Heldentaten als
sischer Seite werden drastisch heraus-      Verbrechen gegen die Menschen, die
gearbeitet – der Staat ist bankrott, der    ihre Gegner sind. Gleichzeitig begeht
König ein romantischer Träumer und          sie mit der Entdeckung, dass auch der
zur Kapitulation entschlossen. Johan-       Feind liebenswert sein kann, Verrat an
na hingegen wird als übernatürliches        der Idee, in deren Namen sie bisher
Wesen eingeführt, als Inkarnation des       gekämpft und getötet hat. Der Au-
vom Himmel gesandten Retters. Ob-           genblick der Liebe ist der Augenblick
wohl mit göttlicher Aura ausgestattet       der Erkenntnis, und jetzt steht sie als
– halb Muttergotteskriegerin, halb Pal-     doppelte Versagerin da, nämlich als
las Athene –, schickt Schiller sie in die   jemand, der sowohl gegen ethisch-
blutigen Niederungen der Schlacht, und      menschliches Gebot als auch gegen das
als würde ihr Anblick allein den Gegner     ihrer himmlischen Auftraggeber versto-
nicht schon in panische Angst verset-       ßen hat – das tragische Motiv.
                                                                                 13
Von Selbstzweifeln gelähmt, muss Jo-         Geschick, in der aus freien Stücken voll-
hanna vollends verstummen, als ihr           zogenen Identifikation mit der ihr vom
eigener Vater die Frage nach ihrer per-      Schicksal zugedachten Rolle. Erst wenn
sönlichen Verantwortung aufwirft: Hat        der Held sich sein Schicksal in einem
sie nicht in Wirklichkeit aus Machtgier,     freien Willensakt zu eigen macht, erst
aus Eitelkeit, aus Hybris gehandelt?         wenn er sich von der Selbsttäuschung,
Darf der Mensch, der in die Geschichte       ein blindes (und folglich unschuldiges)
eingreift, das Ergebnis seiner Taten den     Werkzeugs zu sein, befreit und sich
Schicksalsmächten anlasten? Rechtfer-        zur Verantwortung für seine Taten be-
tigt die hehre Idee, der göttliche Auf-      kennt, kann er von seinen Zweifeln
trag, das Blutvergießen, oder muss man       erlöst – und vom göttlichen Gericht
sich auch als Diener der gerechten Sa-       freigesprochen werden. Das setzt auch
che nach den eigenen Motiven und der         die Bereitschaft voraus, sich selbst zu
eigenen Verantwortung fragen lassen?         opfern. Dass hier der Held eine Heldin
Bis auf ihren Verlobten Raimond von al-      ist, überhöht den Konflikt insofern,
len verlassen, durchschreitet Johanna in     als das Kriegsgeschäft eine Frau noch
der Köhlerszene die Nacht des Selbst-        grausamer erscheinen lassen muss.
zweifels – nur um geläutert daraus           Was hier der Heldin also abverlangt
hervorzugehen. Der Weg zurück in eine        wird, ist die Zustimmung zum Tod der
bürgerliche Existenz ist ihr verwehrt; di-   anderen im Bewusstsein ihrer persön-
ese Freiheit hat sie nicht mehr. Der Aus-    lichen Verantwortung, die ihr trotz des
weg aus dem Dilemma besteht vielmehr         göttlichen Auftrags zukommt, sowie die
in der bewussten Einwilligung in ihr         Einwilligung in den – nun ebenso be-

14
wusst in Kauf genommenen – eigenen          Verwendung im Unterricht
Untergang, den Schiller in diesem Fall
unverkennbar als freiwilligen Opfertod      Schillers „Johanna“ gehört nicht zu
entwirft, inklusive der Auffahrt in einen   den Stücken, mit denen umstandslos
gnädig gestimmten Himmel.                   an die Lebenswirklichkeit der Schüler
Die letzten anderthalb Aufzüge des          angeknüpft werden kann. Daher ist
Stücks zeigen starke Anklänge an die        es zunächst wichtig, dass die Schüle-
Passionsgeschichte, angefangen mit Jo-      rinnen und Schüler sich überhaupt auf
hannas Schweigen in dem Verhör, dem         Schillers Sprache und die merkwürdig
der zürnende Vater sie unterzieht, bis      anmutende Geschichte, in der sich
hin zu ihrer Himmelfahrt.                   Historisches und Legendenhaftes zu
Möglich, dass Schiller durch das Auftre-    verbinden scheinen, einlassen. Dies ist
ten Napoleons zu seiner „Johanna“ an-       Voraussetzung dafür, die Intentionen
geregt wird. Vor diesem zeitgeschicht-      beider Umsetzungen des Dramenstoffs
lichen Hintergrund liegt die Überlegung     zu erschließen.
nahe, er könne mit dem Jeanne-d’            Es darf nicht aus den Augen verloren
Arc-Stoff auch eine vaterländische Bot-     werden, dass die Inszenierung des
schaft verbunden und die Deutschen          Herzog-Christian-August-Gymnasiums
angesichts der napoleonischen Gefahr        nicht dem Originaltext von Schillers
zu nationaler Geschlossenheit aufgeru-      Jungfrau von Orleans gilt, sondern einer
fen haben. Doch sieht Schiller offenbar     eigenen Fassung dieses Texts unter dem
keinen Grund, diese Fährte weiter zu        Namen „Die Jungfrau – nach Friedrich
verfolgen – wohl schon deshalb nicht,       Schiller“. Da jedoch der Aufbau und
weil sich die Aktionen Napoleons zur        die Problemstellung des „Plots“, die
Entstehungszeit des Stücks noch gar         Figuren, ihre Konstellationen und Akti-
nicht gegen die deutschen Staaten           onen sowie Schillers Sprache in wesent-
richten.                                    lichen Teilen erhalten sind, wenngleich
(Erweiterte Hintergrundinformationen        Schillers Text mitunter als Steinbruch
finden Sie im ROM-Teil der DVD unter        verwendet, die Heldin als multiple Per-
„Begleitheft“.)                             sönlichkeit gedeutet und das Ende der

                                                                                 15
Geschichte stark gekürzt wird, kann         telalterliche Menschen wie Johanna
beim Vergleich beider Inszenierungen        und ihre Zeitgenossen ein Eingreifen
durchaus Schillers „Jungfrau von Or-        Gottes in die Geschichte, dass Visionen
leans“ als Bezugspunkt verwendet            und eine göttliche Entsendung in die
werden.                                     Schlacht weit weniger befremdlich wa-
Um den Zugang zum Dramengesche-             ren, als für heutige Menschen: Von da-
hen zu erleichtern, sollte in Grundzü-      her sollte man sich auf Schillers Figuren
gen der reale historische Hintergrund       wie auf „wirkliche Menschen“ einlas-
bekannt sein.                               sen. Das sind keine Märchenfiguren
Stichpunkte: Hundertjähriger Krieg          und keine Spinner. Ihre Konflikte sind
zwischen England und Frankreich;            ernst zu nehmen.
Johanna, eine lothringische Bauern-
tochter, tritt in einem Moment auf, als     Den Zugang zur Sprache können sich
der französische König Karl VII, der als    die Schüler auf verschiedene Weise ver-
Herrscher über ein in sich zerstrittenes    schaffen:
Land noch nicht gekrönt ist, den Krieg      Wenn man die Geduld aufbringt, sich
schon fast verloren hat. Johanna wird       einzulesen, erschließt sich an vielen
von Visionen dazu angetrieben, in den       Stellen die Magie von Schillers Spra-
Krieg einzugreifen; sie verhilft Karl zur   che. Mit der vorliegenden DVD hat man
Krönung und verschafft den Franzosen        aber die wunderbare Möglichkeit, sich
den Sieg. Am Schluss wird die histo-        „einzuhören“. Hervorragend geeignet
rische Johanna als Hexe und Ketzerin        dafür: Prolog, dritter Auftritt in der Auf-
hingerichtet, bei Schiller stirbt sie auf   führung des Staatstheaters Stuttgart.
dem Schlachtfeld.                           In dieser Passage wird der historische
                                            Ausgangspunkt von Johannas Auftre-
Zugang zu den Personen: Anhand der          ten in zwingender Sprache festgehal-
Prozessakten kann man auch die reale        ten, Spannung wird aufgebaut.
Lebensgeschichte der Jeanne d’ Arc mit      Und dann kann diesem sprachlichen
den Schülern so genau erforschen, dass      Ereignis die gleiche Passage in der
Interesse an dieser zunächst so fremd-      „Umsetzung“ durch das Schülertheater
artigen Figur sowie ihren Gegenspie-        gegenüber gestellt werden: weniger
lern und dem König geweckt wird.            „Sprachmagie“, „heutige“ Charakte-
Hilfreich ist der Hinweis, dass für mit-    re, deren fast allegorischer Charakter
16
herausgearbeitet werden kann. Dort           gleich beider Aufführungen untersucht
(Stuttgart) ein Berichterstatter, dem        werden (arbeitsteilig).
nur das Wort zu Verfügung steht, vor         Wichtig sind darüber hinaus gehende
dunklem Hintergrund, der nur durch           Querschnittsaufgaben, z.B. mit The-
die Macht von Geräuschen Gestalt ge-         menstellungen, die die Entwicklung
winnt, hier (Schülertheater) eine bunte,     bestimmter Figuren oder Figurenkon-
muntere Szenerie.                            stellationen verfolgen, auch hier treten
Bei diesem Einstieg klingt schon vieles      durch Inszenierungsvergleich überra-
an, was die generellen Unterschiede          schende Aspekte zu Tage (z.B. Erster
beider Aufführungen ausmacht.                Aufzug, dritter Auftritt: König Karl VII
                                             oder Zweiter Aufzug, zweiter Auftritt:
Wie von diesem Ausgangspunkt aus             Isabeau und die Fürsten).
weiter gearbeitet wird, orientiert sich      Sinnvoll ist es, bei der Charakterisie-
an den Intentionen des Unterrichten-         rung der Personen und Analyse der
den bzw. der Schülerinnen und Schüler.       Figurenkonstellationen immer wieder
                                             auch Schillers Text im Original heran-
In arbeitsteiligem Vorgehen kann von         zuziehen.
einer Gruppe der vollständige „Plot“
des Schillerschen Dramas an den 5            Durch die unterschiedliche Charakte-
Akten entlang erarbeitet und der             risierung von Johanna und ihrer Ent-
Klasse vorgestellt werden. Bei diesem        wicklung im Fortgang des Stücks/der
Arbeitsschritt sollte gleich mit erfasst     Stücke gelangt die Arbeit mit der DVD
und vielleicht mit Hilfe einer Skizze dar-   an einen zentralen Punkt: den Konflikt
gestellt werden, worin die wichtigsten       der tragischen Heldin.
Unterschiede zwischen „Die Jungfrau          Die Stuttgarter Aufführung billigt Jo-
von Orleans“ und „Die Jungfrau – nach        hanna im Einklang mit Schiller Willens-
Schiller“ im Hinblick auf Text und Auf-      freiheit und Gewissen zu, weshalb sie
bau bestehen. Auf diese Weise wird           im Stande ist, ihren Konflikt auszutra-
ein Grundstock gemeinsamen Wissens           gen und für sich zu lösen.
gewährleistet.                               Die Schüleraufführung spaltet Johanna
                                             in mehrere Persönlichkeiten auf – eine
Anschließend können einzelne Akte            Reaktion von eigener Logik auf das,
und Aufzüge intensiver und unter Ver-        was Schiller dieser Figur abverlangt:
                                                                                  17
Das unschuldige Mädchen vom Land            ethische Entscheidung geht, enthoben.
soll im Auftrag Gottes dem König ge-        Man kann den Tod dieser „Johannen“
genüber treten, einen Krieg mit allen       als Scheitern interpretieren, die „Him-
blutigen Konsequenzen führen und auf        melfahrt“ stellt dann eher eine Art Be-
die Liebe zu einem Mann verzichten.         lohnung für all das dar, was sie sich im
Die Frage nach ihrer persönlichen           Namen Gottes angetan haben.
Verantwortung stellt sich Johanna           Zur Erschließung des Konflikts eignen
zunächst nicht. Sie ist eine Gesandte       sich insbesondere 3. Aufzug, 10. Auf-
Gottes. Aufgrund des Liebeserlebnisses      tritt und darauf folgend 4. Aufzug, 1.
mit Lionel wird sie jedoch an der bis       Auftritt. Zielführend bei 3/10: die Analy-
dahin vollzogenen fraglosen Befolgung       sierung der äußeren und inneren Hand-
ihres Auftrag irre, um sich schließlich     lung. Untersucht werden – eventuell
im Bewusstsein eigener Verantwortung        von verschiedenen Schülergruppen, die
frei für diesen Auftrag und den damit       sich je eine Inszenierung vornehmen,
verbundenen eigenen Untergang zu            - die Interpretationen dieses Auftritts
entscheiden. Durch diese freie Ent-         in beiden Inszenierungen. Dem sollte
scheidung kann sie „erlöst“ werden,         sich eine Analyse der Interpretationen
ihr Sterben wird zur Himmelfahrt.           von 4/1, in der Johanna eine persön-
Bei Schiller ist dies die innere Leistung   liche Retrospektive und Introspektive
einer Person ganz im Sinne des Deut-        vornimmt, anschließen. Die jeweiligen
schen Idealismus.                           Abweichungen vom Schillerschen Text
Die Stuttgarter Inszenierung hat die Fi-    - und dessen sprachliche Untersuchung
gur der Johanna nach Schillers Vorgabe      – sind hier besonders aufschlussreich.
als tragische Heldin angelegt.
Dadurch, dass in der Aufführung bzw.        Spätestens nachdem der zentrale
der Textfassung des Herzog- Christian       Punkt, worin die Tragödie der Heldin
– August – Gymnasiums die Johanna           besteht, von mehreren Seiten beleuch-
in mehrere Personen aufgespaltet wird,      tet wurde, können nun auch Ergebnisse
ist sie jedoch der oben beschriebenen       zusammen getragen werden, die Dis-
Konfliktlösung, bei der es um ihre In-      kussionen darüber zulassen, welche
tegration aller widersprüchlichen und       Ausdeutungen des Stücks von Schiller
problematischen Erfahrungen und             hinter den Konzeptionen beider Insze-
Erlebnisse im Hinblick auf ihre gültige     nierungen (bzw. hinter der neuen Text-
18
fassung des HCA- Gymnasiums) ste-           Und natürlich sollte nun hier endlich
hen, welche Aussagen damit getroffen        die Frage in den Raum geworfen wer-
werden sollen, welches Interesse der        den, welche persönlichen Eindrücke
Theatergruppen und ihrer Regisseure         die Schülerinnen und Schüler aus den
zum Ausdruck kommt, worauf die Zu-          beiden Umsetzungen des Dramenstoffs
schauer jeweils aufmerksam werden           gewonnen haben, welche Erlebnisse sie
sollen.                                     bei der Begegnung damit hatten. Auch
                                            die einfache Frage nach Gefallen und
Wie lassen sich die Unterschiede der In-    Missfallen ist hier absolut berechtigt.
szenierungen/Stücke begrifflich fassen?
Fragen beispielsweise:                      Zum Schluss eine Erinnerung daran,
Was könnte man als die Besonder-            dass literarische Rezeption am be-
heiten der Stuttgarter Inszenierung         sten im eigenen Spiel gelingt. Ob nun
bezeichnen? (Stichpunkte etwa: Nähe         Schillers „Jungfrau von Orleans“ in
zu Schillers Text, asketisches Stilprin-    dem strengen intellektuellen Gewand
zip, schachbrettartige Figurenkonstel-      des Schauspielhauses Stuttgart die
lationen auf leerer Bühne, Verzicht auf     Schülerinnen und Schüler berühren
Naturalismus, Verzicht auf Farbe, kühle     konnte oder die teils drastisch blutige,
Emotionalität, analytisches Herausar-       teils lustvoll überbordende „Jungfrau
beiten von Schillers Intentionen und        – nach Schiller“: Am wichtigsten wäre
Ideen, wenig Kürzungen am „Plot“.)          doch die Anregung, jetzt eine eigene
                                            Interpretation einzelner Szenen oder
Was zeichnet die Inszenierung und die       auch nur Dialoge in Angriff zu nehmen
Textfassung des HCA- Gymnasiums be-         und wenigstens in der Klasse aufzufüh-
sonders aus?                                ren sowie sich generell für das Theater
(Stichpunkte etwa: neu arrangierter         und seine Ausdrucksmöglichkeiten be-
Text, Bezüge zur Jetztzeit, parodistische   geistern zu lassen.
Elemente, Körperbetontheit, rasante
Emotionalität, Spielfreude, drastische
und blutige Einfälle, Aufspaltung der
Heldin in mehrere Personen, starke
Kürzungen vor allem gegen Ende der
Geschichte.)
                                                                                 19
Arbeitsmaterial                             rufen (PDF-Dokumente). Am unteren
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 Links                            kommentierte Linksammlung zum Thema

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46 02656 Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans - Ein Inszenierungsvergleich

     Didaktische FWU-DVD
                                                                                          Inszenierung des Staatstheaters Stuttgart
     46 02656
                                                                                          Prolog, 3. Auftritt                                                2:20 min
     Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans
     Ein Inszenierungsvergleich                                                           Erster Aufzug, 3. und 4. Auftritt                                  3:00 min
                                                                                          Erster Aufzug, 10. und 11. Auftritt                                9:00 min

                                                                                          Zweiter Aufzug, 2. Auftritt                                        6:30 min
                                                                                                                                                                                      Programmstruktur

                                                                                          Zweiter Aufzug, 6., 7. und 8. Auftritt                             9:00 min
                   Hauptmenü
                                                                                          Dritter Aufzug, 10. Auftritt                                       5:50 min

                                                                                          Vierter Aufzug, 1. Auftritt                                        4:00 min
                  Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans
                                                                                          Vierter Aufzug, 3. Auftritt                                        2:20 min
                  Ein Inszenierungsvergleich                                              Vierter Aufzug, 10. und 11. Auftritt                               6:30 min

                  Inszenierung des Staatstheaters Stuttgart                               Fünfter Aufzug, 4., 5. und 6. Auftritt                             7:10 min
                                                                                          Fünfter Aufzug, 12., 13. und 14. Auftritt                          4:10 min
                  Inszenierung des Herzog- Christian- August-
                  Gymnasiums Sulzbach-Rosenberg
                  Die Jungfrau – nach Friedrich Schiller

                  Teil 1                                  34 min                          Inszenierungsvergleich an Beispielen

                  Teil 2                                  37 min                          Prolog, 3. Auftritt                      Staatstheater Stuttgart   2:20 min
                                                                                                                                   HCA Gymnasium             1:10 min
                  Inszenierungsvergleich an Beispielen
                                                                                          Erster Aufzug, 3. Auftritt               Staatstheater Stuttgart   0:20 min
                                                                                                                                   HCA Gymnasium             0:50 min
          Arbeitsmaterial                                                                 Zweiter Aufzug, 2. Auftritt              Staatstheater Stuttgart   6:30 min
          (im ROM-Teil der DVD):                                                                                                   HCA Gymnasium             3:20 min
          Legen Sie die DVD in das         Verwendung im Unterricht                       Dritter Aufzug, 10. Auftritt             Staatstheater Stuttgart   5:50 min
          DVDLaufwerk                      Arbeitsblätter                                                                          HCA Gymnasium             4:50 min
          Ihres Computers und              Begleitheft
          öffnen Sie im Windows-Explorer   Programmstruktur                               Vierter Aufzug, 1. Auftritt              Staatstheater Stuttgart   4:00 min
          den Ordner „Arbeitsmaterial“.    Weitere Medien                                                                          HCA Gymnasium             8:10 min
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21
     Didaktische FWU-DVD                                                                                                                           © FWU Institut für Film und Bild
Produktionsangaben                               Produktionsangaben zu den Inszenie-
                                                 rungen
Friedrich Schiller:
Die Jungfrau von Orleans.                        Die Jungfrau von Orleans
Ein Inszenierungsvergleich (DVD)                 Inszenierung des Staatstheaters
                                                 Stuttgart 2005
Produktion
FWU Institut für Film und Bild, 2009             Regie
                                                 Tina Lanik
DVD- Konzept
Annegert Böhm                                    Bühne
                                                 Magdalena Gut
DVD- Authoring und Design
TV-Werk München                                  Kostüme
im Auftrag des FWU Institut für Film und Bild,   Su Sigmund
2009
                                                 Musik
Bildnachweis                                     Rainer Jörissen
1. Die Jungfrau von Orleans
Inszenierung des Staatstheaters Stuttgart:       Die Schauspieler und ihre Rollen
teamWERK. Die Filmproduktion GmbH,               Sierk Radzei (Karl VII) / Pia Podgornik ( K ö -
Stuttgart                                        nigin Isabeau, seine Mutter) / Ute Hannig
2. Die Jungfrau – nach Schiller                  (Agnes Sorell, seine Geliebte) / Bernhard Bai-
Inszenierung des Herzog-Christian-August-        er (Philipp der Gute, Herzog von Burgund) /
Gymnasiums Suzbach-Rosenberg                     Gottfried Breitfuß (Graf Dunois, Bastard von
ZDF                                              Orleans) / Jan Schreiber (La Hire, königlicher
                                                 Offizier) / Reinhold Ohngemach (Erzbischof
Arbeitsmaterial und Begleitheft                  v. Reims) / Christian Brey (Bote) / Ferdinand
Leo Linder                                       Dörfler (Talbot, Feldherr der Engländer) / An-
                                                 dreas Schlager (Lionel, englischer Anführer) /
Pädagogische Referentin im FWU                   Benjamin Grüter (Montgomery, ein Walliser) /
Annegert Böhm                                    Klaus Weiss (Thibaut d‘Arc, ein reicher Land-
                                                 mann) / Hanna Scheibe (Johanna, seine Toch-
22
ter) / Michael Michalski (Raimond, ihr Freier) /   Fernsehregie
Britta Firmer (Schwarzer Ritter)                   Peter Schönhofer

Produktion                                         Kamera
teamWERK Die Filmproduktion GmbH,                  Volker Schmidt, Martin Baer, Natasha Engel,
Stuttgart                                          Beate Häring, Karl-Heinz Nitschke, Ursula-
                                                   Nicoline Zeyfang
Bearbeitete Fassung (Szenenauswahl)
und Herausgabe                                     Herausgabe
FWU Institut für Film und Bild, 2009               FWU Institut für Film und Bild, 2009

Die Jungfrau – nach Schiller
Inszenierung des Herzog-Christian-
August-Gymnasiums
Sulzbach-Rosenberg

Spielleitung                                       Nur Bildstellen/Medienzentren:
Winfried Steinl                                    öV zulässig

Die Schauspieler
Stefanie Bachl, Birgit Ertl, Judith Hellmuth,      © 2009
Rinje Hemala, Sandra Keller, Romana Kuhn,          FWU Institut für Film und Bild
Nicola Lang, Eva Lehner, Anna Maier, Maxi-         in Wissenschaft und Unterricht
milian Meeks, Melanie Päßler, Marina Pilho-        gemeinnützige GmbH
fer, Patrick Santy, Christina Schlögl, Johanna     Geiselgasteig
Schütz, Veit Stephan, Elisabeth Winter             Bavariafilmplatz 3
                                                   D-82031 Grünwald
Produktion                                         Telefon       (089) 6497-1
ZDF, 2005                                          Telefax       (089) 6497-240
                                                   E-Mail        info@fwu.de
Redaktion                                                        vertrieb@fwu.de
Jürgen Heimbach                                    Internet      www.fwu.de
                                                                                           23
46 02656
Didaktische FWU-DVD

                      Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans
                      Ein Inszenierungsvergleich
                      Friedrich Schillers „romantische Tragödie“ ist eines der Hauptwerke der Weimarer Klassik.
                      Mit seinen starken Frauengestalten und einer Vielfalt von Charakteren bietet es eine will-
                      kommene Herausforderung für große Bühnen, aber auch für das Schülertheater. Auf die-
                      ser DVD werden zwei Interpretationsansätze – der des Staatstheaters Stuttgart und der
                      des Herzog-Christian-August-Gymnasiums Sulzbach-Rosenberg, nebeneinander sichtbar.
                      Der Schüleraufführung liegt auch eine eigene Textfassung, „Die Jungfrau- nach Schiller“,
                      zugrunde. Im Vergleich beider Aufführungen eröffnen sich den Schülern unterschiedliche
                      Zugänge zu Schillers Drama als Basis einer individuellen Auseinandersetzung mit klas-
                      sischer Dichtung.

                      Erscheinungsjahr: 2009                                          Adressaten:           Allgemeinbildende Schule (8-13),
                      Laufzeit:         140 min                                                             Erwachsenenbildung
                      Filmsequenzen: 21
                      Sprachen:         Deutsch
                      DVD-ROM-Teil: Unterrichtsmaterialien

                      Schlagwörter:                                                                         FWU Institut für Film und Bild
                      Friedrich Schiller, Johanna von Orleans, Klassik, Romantik, Drama, Tragödie,          in Wissenschaft und Unterricht
                      Stuttgarter Staatstheater, Herzog-Christian-August-Gymnasium Sulzbach-                gemeinnützige GmbH
                      Rosenberg
                                                                                                            Geiselgasteig
                      Systematik:
                                                                                                            Bavariafilmplatz 3
                      Deutsch     Literatur Dramatik
                                                                                                            82031 Grünwald
                                                                                                            Telefon +49 (0)89-6497-1
                                                                                                            Telefax +49 (0)89-6497-240
                                                                                                            info@fwu.de
                                                                                                            www.fwu.de

                      Lehrprogramm                       GEMA                   Systemvoraussetzungen
                                                Alle Urheber- und Leistungs-       bei Nutzung am PC:

                          gemäß                  schutzrechte vorbehalten.
                                                Nicht erlaubte / genehmigte
                                                                                DVD-Laufwerk und DVD-
                                                                               Player-Software, empfohlen
                                                Nutzungen werden zivil- und
                       § 14 JuSchG                          / oder
                                                    strafrechtlich verfolgt.
                                                                                 für Windows ME/2000/
                                                                                        XP/Vista             4602656010

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