Gartnere-Gable Das Informationsblatt E. E. Zunft zu Gartnern - www.gartnernzunft.ch
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2020 / Nr. 66 – Seite 1 Gartnere-Gable Das Informationsblatt E. E. Zunft zu Gartnern www.gartnernzunft.ch Nr. 66 / Dezember 2020
2020 / Nr. 66 – Seite 2 Inhaltsverzeichnis Editorial...................................................................................................................... 3 Virtuelle Vernissage des Jahrbuches aus dem Studio ................................................. 4 Ein Zunftessen statt einer Zunftfahrt in surrealen Zeiten ........................................... 7 Von der Mittleren Brücke zum Rheinhafen .............................................................. 11 Franziskus-Määli 2020 unter erschwerten Bedingungen .......................................... 15 Umgang im Multikulti-Quartier ................................................................................ 19 Die St. Jakobsfeiern aus der Sicht der Zünfte – Teil 3 ............................................... 24 Facebook Glosse ...................................................................................................... 30 Entdeckungsreise durch Basels Baumalleen ............................................................. 32 Nachruf Alt-Meister Dr. iur. Alfred Hartmann – Eccles ............................................. 34 Todesfälle................................................................................................................. 37 Für Sie aufgestöbert ................................................................................................. 38 Unsere Jubilare im 2021 ........................................................................................... 39 Impressum ............................................................................................................... 39 Titelbild Rosskastanie auf dem Münster Pascal Joray, 2020, www.pascaljoray.ch
2020 / Nr. 66 – Seite 3 Editorial Liebe Zunftschwester, lieber Zunftbruder, liebe Leserinnen und Leser Bald geht ein spezielles Jahr zu Ende. Ein Jahr, welches unser Leben ziemlich durchei- nander gerüttelt hat. Auch die Gartnernzunft war davon betroffen. Aufgrund der Massnahmen des Bundesrates und auch des Kantons Basel-Stadt zur Bekämpfung der Corona-Pandemie konnten wir einige geplante Zunftanlässe nicht durchführen. Das ist bedauerlich, denn Meister und Vorgesetzte schätzen den persönlichen Kontakt mit Ihnen sehr. So erfahren wir 1:1, wo Sie allenfalls der Schuh drückt oder was wir im Zunftleben noch besser machen können. Gerade an einem Anlass wie der Maibowle besteht die Möglichkeit sich in einem gemütlichen Umfeld auszutauschen. Leider musste auch diese coronabedingt ausfallen. Immerhin konnten wir mit einer virtuel- len Vernissage den Zunftmitgliedern das Jahrbuch 2019 präsentieren. Wir sind glücklich, dass wir trotz aller Widrigkeiten die Möglichkeit hatten, einen An- lass mit der persönlichen Teilnahme von Zunftmitgliedern durchführen zu können. So trafen wir uns am 22. August zum traditionellen Zunftessen, etwas später als ur- sprünglich geplant. Bereits beim Apéro war zu spüren, dass die Durchführung des Zunftessens geschätzt wurde. Gerade an einem solchen Anlass sind die persönlichen Kontakte sehr wichtig und diese wurden auch rege genützt – selbstverständlich unter Einhaltung der Corona-Bestimmungen. Auch beim Herbstausflug in den Rheinhafen nahmen zahlreiche Zunftmitglieder teil und genossen die guten Gespräche. Es zeigte sich, dass gerade in dieser speziellen Zeit die sozialen Kontakte enorm wichtig sind. Gefreut hat uns auch, wie die Aktion „d Gartnere hilft“ ein grosses Echo fand. Zahlrei- che Zunftmitglieder meldeten sich für die Erledigung von Botendiensten für diejeni- gen Zunftmitglieder, die ihre Wohnung nicht verlassen sollten. Und genau diese haben von diesem Angebot auch Gebrauch gemacht. Dies ist die gelebte Solidarität in unserer Zunft, wie wir sie in unserem neuen Leitbild erwähnen. Obwohl wir nicht wissen, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auch im 2021 haben wird, hat der Vorstand das Jahresprogramm entsprechend erstellt und hofft sehr, dass unsere Zunftanlässe durchgeführt werden können. Vielleicht in einer etwas an- deren Form als gewohnt. Nun wünschen Meister und Vorgesetzte Ihnen und Ihren Angehörigen eine besinnli- che Adventszeit und ein frohes Weihnachtsfest. Und speziell uns allen und der ganzen Basler Bevölkerung wünschen wir ein gutes und erfolgreiches Neues Jahr. Bleiben Sie gesund! Stephan Gassmann Meister
2020 / Nr. 66 – Seite 4 Virtuelle Vernissage des Jahrbuches aus dem Studio Ein klitzekleines Virus bringt unser privates Leben wie auch das Zunftjahr ganz schön durcheinander. Noch vor kurzem haben wir uns nicht vorstellen können, dass Res- taurants geschlossen werden, Anlässe abgesagt oder verschoben werden oder dass wir Geschäfte nur noch mit Mund-Nasen-Schutz betreten dürfen. Alles ist nun Rea- lität geworden und darum nicht verwunderlich, dass die Maibowle und die Jahr- buchvernissage der Zunft zu Gartnern in diesem Jahr abgesagt wurden. (pb) Viele Monate intensive Schreibar- wo das Corona-Virus den Takt vorgibt beit stecken in jedem Jahrbuch und und grössere Menschenansammlungen dank dieser grossartigen Arbeit erhalten immer wieder verhindert. «Kein Jahr- unsere Zunftangehörigen jedes Jahr buch ohne Vernissage» sagte sich der eine interessante und lehrreiche Publi- Zunftvorstand und hat darum entschie- kation, der auch über unsere Zunftgren- den, diesen Anlass zum ersten Mal in zen hinaus grosse Beachtung geschenkt der über 760 Jahre alten Geschichte der wird. Und genau darum wird das Er- E. Zunft zu Gartnern, virtuell, also via scheinen des Jahrbuchs jedes Jahr mit Live-Stream, durchzuführen. einer Vernissage im Gasthof zum Golde- Die Vorbereitung dazu war entspre- nen Sternen gefeiert. Nicht so im 2020, chend aufwändiger als bisher. Abspra-
2020 / Nr. 66 – Seite 5 chen mit der Studiocrew und ein exak- Freiermuth. Auch dies wurde bereits vor tes Storyboard inklusive Bild- und Vi- der Vernissage aufgenommen und nun deo-Einspieler haben entsprechend Zeit per Video eingespielt. in Anspruch genommen. Doch das Re- sultat, die Liveübertragung analog einer Fernsehspezialsendung per Internet, war ein voller Erfolg. Über 30 Zunftan- gehörige nahmen daran teil und konn- ten sich während der Übertragung per Chat auch noch direkt in die «Sendung» einschalten. Nach den Begrüssungsworten des Meis- ters Stephan Gassmann, in welchen er all jenen dankt, die in irgendeiner Weise dazu beigetragen haben, dass das Jahr- buch entstehen konnte, ist Kulturbeauf- tragter Urs Albisser mit seinen Informationen an der Reihe. Er präsen- tiert das Thema des neusten Jahrbuchs Die von Statthalter Pietro Buonfrate 1000 Jahre Basler Münster und erklärt moderierte Vernissage wurde zu einem die einzelnen Beiträge der Autoren. einmaligen, unterhaltsamen, kurzweili- Zunftschwester Petra Huser hat nach gen und lehrreichen Anlass, in welcher sakralen Bauten noch vor dem Hein- nicht nur das neu erschienene Jahrbuch richsmünster recherchiert, während im Vordergrund stand. Ebenso wurden Zunftbruder Christian Zingg aus jeweils die neuen Zunfttrommeln des Zunft- zehn Jahrhunderten sein Lieblings- spiels erstmals der Öffentlichkeit vorge- kunstwerk vorstellt und Vorgesetzter stellt. An dieser Stelle bedankt sich der Vorstand nochmal ganz herzlich bei al- len Spendern, die es ermöglicht haben, dass sich das Zunftspiel mit neuen Holz- trommeln inklusive aufgemaltem Zunft- wappen zeigen darf. Da das Zunftspiel nicht live und vor Ort auftreten konnte, wurde der Auftritt bereits im Vorfeld Urs Albisser aufzeigt, wie nahe Renova- aufgenommen und per Video in die Live- tion und Bausünde zusammen liegen. übertragung integriert. Ein ebensolcher Im neuen Jahrbuch findet man auch Höhepunkt war das Eintrommeln einer zwei Interviews, im ersten ist alles ver- Zunfttrommel durch den Geschäftsfüh- packt, wie eine Baslerin oder ein Basler rer der Firma Schlebach AG Basel, Stefan die Zeit des Basler Konzils erlebt oder
2020 / Nr. 66 – Seite 6 Mit den Jahrhunderten änderte sich aber die Einstellung zur Bunt- heit. Das Jahrbuch E.E. Zunft zu Gartnern ist wie- derum eine lesens- werte Publikation, in welcher der Leser aller- lei Informationen zum Basler Münster und dessen Bauge- wie sie sich zu dieser Zeit gekleidet ha- schichte aber auch über das Leben in Ba- ben. Dort erfahren wir auch von Zeit- sel Mitte des 15. Jahrhunderts erhält. zeuge und Gartnern-Altmeister Andres Edelmann, warum das Konzil überhaupt Wer die virtuelle Vernissage nicht live in Basel stattfand. Im zweiten Interview verfolgen konnte, kann auf deren Auf- führt uns Zunftbruder Jürg Diezig in die zeichnung auf der Homepage der Gart- heutige Münsterbauhütte. Zum Schluss nernzunft zurückgreifen. Wenn Sie das erklärt uns Urs Albisser noch, dass das Jahrbuch auch finanziell unterstützen Münster damals nicht so sandsteinfar- wollen, dann freuen wir uns über jeden big war, sondern dass Fassaden, Portale Zustupf für dieses Werk. und Skulpturen farbig bemalt waren.
2020 / Nr. 66 – Seite 7 Ein Zunftessen statt einer Zunftfahrt in surrealen Zeiten Der Zunft-Vorstand hat beschlossen, in diesem ausserordentlichen Jahr 2020, nicht ganz auf den persönlichen Kontakt zu verzichten und hat statt der vorgesehenen Zunftfahrt nach Solothurn das Zunftessen im Goldenen Sternen ausgerichtet. Dies selbstverständlich unter den Vorgaben und Empfehlungen des Bundesrats und des BAG. Solothurn steht auch nächstes Jahr noch – freuen wir uns jetzt schon darauf! (crb) Nicht nur weil ich mir den Bericht flach aber auch nicht über 8 cm – messe «Dresscode bei Zunftanlässen, ein alter zur Sicherheit die Absätze schnell nach – Zopf» in der letzten Gartnere-Gable zu lächerliche 5 cm! – das sollte zu machen Herzen genommen habe, kleide ich sein, denke ich - aber das ist eine andere mich früh am Morgen sorgfältig an, su- Geschichte... che wie immer das Zunftabzeichen und Der Tag beginnt mit Nieselregen und so die Nadel und erschrecke ob der Falten lasse ich mich auch der Schuhe wegen im Seidenfoulard. Wie die Farb- und Stil- zum St. Alban-Tor chauffieren, wo um beraterin Julia Kolbe uns Zunftschwes- 11:00 Uhr der Apéro durch das Döörli- tern ans Herz legt, sollen die «Schuhe Team der Spezi Clique schon bereit für die Trägerin bequem sein und den- steht. Hinter wehender goldsonnengel- noch den formellen Look ihrer Kleidung ber Gartnern-Fahne reiht sich mit ange- nicht ins Wanken bringen». So ziehe ich messenem Schritt die anwesende den dazu passenden Schuh an – nicht
2020 / Nr. 66 – Seite 8 Zunftfamilie nach dem Apéro ein und Stephan Gassmann thematisiert in sei- zieht trommelnd und pfeifend vom St. ner Rede die Corona-Pandemie. Er be- Alban-Tor zum St. Alban-Tal in den Gol- dankt sich herzlich bei Thierry Colin und denen Sternen. 42 Zunftbrüder und - den vielen Zunftmitgliedern, welche schwestern nehmen sodann im altehr- sich spontan für die Aktion «d Gartnere würdigen Sternensaal Platz. hilft» zur Verfügung gestellt haben. Nach einem köstlichen «Zweierlei vom Tatar – Rind & Kalb» erfreut uns das kurzfristig zusammengestellte Trom- meltrio (Thomas Mangold, Florian Schär und Tobias Leisinger) mit einer ersten trommlerischen Kostprobe, dem Ueli. Die neuen Zunfttrommeln, welche im Frühling eingeweiht und durch grosszü- gige Spenden finanziert werden konn- Statthalter Pietro Buonfrate kann am ten, erstrahlen in wunderbarem Glanz heutigen Zunftessen Piero Iellamo und und «grällele», dass es eine Freude ist. Michael Tschäni im Kreise der Gartnern Zeremonienmeister Georges Götz wagt begrüssen – anlässlich eines strengen sogar zu behaupten, es seien die Aufnahmegespräches konnte die Zunft- schönsten fellbedeckten Kübel in, um tauglichkeit geprüft werden und beide und um Basel herum. sind heute zur zeremoniellen Aufnahme eingeladen. Ein Teil des heutigen Schutzkonzeptes heisst: «Gligg oder Päch kaa». Meister Stephan Gassmann begrüsst Ehrengast, Willi Rühl, Meister E.E. Zunft Mittels Losentscheid wird die grosse Ga- zu Kürschnern. Der zweite Ehrengast bel und die kleine Gabel zugeteilt. unseres Äquivalents – der Zürcher Zunft «Gligg», wer die Grosse – «Päch», wer zu Kämbel (das heisst tatsächlich Ka- die Kleine zieht...oder ist es doch viel- mel), Zunft der Gartner, Oeler und leicht umgekehrt? Grempler, hat leider wegen Corona ab- Unter den wirbelnden Trommelschlä- gesagt. Aufgeschoben ist nicht aufgeho- gen Florian Schärs – setzt Piero Iellamo ben! die kleine Gabel an seinen Mund, dreht
2020 / Nr. 66 – Seite 9 diese professionell langsam und Dank für euren unermüdlichen Einsatz! «syyferlig» von einem zum anderen Marco Cairoli in Übersee, Marcel Jaco- Mundwinkel und leert sie in einem Zug! met und auch Eduard Schmid werden die «Gääbeli» auf postalischem Weg er- halten. Beinahe wären Piero Iellamo und Mi- chael Tschäni um ihre Antrittsrede her- umgekommen, aber Pietro Buonfrate Michael Tschäni sodann - setzt die lässt sie nicht davonkommen und beide grosse Gabel mit lockerem Lächeln an, bedanken sich herzlich für ihre Auf- schluckt jedoch für einen kurzen Mo- nahme. ment leer, vergewissert sich der Auf- merksamkeit des Publikums, um dann entspannt die 7.5 dl «Wysse», den Weg aller Wege gehen zu lassen. ...Ap- plaus...! Was jetzt «Gligg oder Päch» ge- wesen sein mag, kann im Nachhinein nicht mehr eruiert werden. Die Aner- kennung der Anwesenden ist Beiden auf jeden Fall gewiss! Das Duo Fabienne Hagen und Nadia Gees wartet mit drei wunderbaren Pfei- Pietro Buonfrate kommt nun zu den Ju- fermärschen auf. Ihre Finger gleiten vir- biläen – Kurt Schneider und Andreas Mi- tuos und fein über ihre Piccolos und ville werden ihr goldenes «Gääbeli» für manch einer summt beim Balconia von ihre 50-jährige treue Zunftzugehörigkeit Gérald Prétôt, Pfeifernoten und Urs per Post erhalten. Von den fünf Jubila- Gehrig, Trommeltext mit – halt…! – ken- ren mit 25-jähriger Zugehörigkeit sind nen wir diese Melodien nicht von Mani Daniel Keuerleber und René Blatter an- Matter? wesend. Daniel Keuerleber ehemaliger Meister bis 2013 und René Blatter, jetzi- Der Anlass neigt sich langsam seinem ger Seggelmeister, werden mit dem sil- Ende zu und unser aller Dank gilt dem bernen «Gääbeli» geehrt. Herzlichen Team unter dem aus Strassbourg stam- menden Küchenchef David Ettwiler, der
2020 / Nr. 66 – Seite 10 Sternen mit der Kulisse des Kleinbasler Ufers im Hintergrund. Bei einem oder zwei letzten «Schlum- bis» im Hinterhof des Sternens und bei nun schönstem Sommerwetter lassen wir dieses spezielle Zunftessen 2020 Re- vue passieren und nicht wenige, vor al- lem aus dem Spiel, folgen dem Ruf der dem köstlichen Tatar ein kühles «Gazpa- Familiengärten am Birskopf und lassen cho Andaluz», ein «Kalbsgeschnetzeltes bei Petra Huser den wunderbaren Tag mit Rösti» und eine «Île flottante» fol- ausklingen. Das Zunftessen 2020 wird in gen liess - wir haben es genossen! die Zunftgeschichte eingehen! Als krönenden Abschluss ertönt das ver- einigte Zunftspiel vor dem Goldigen
2020 / Nr. 66 – Seite 11 Von der Mittleren Brücke zum Rheinhafen Bei schönstem Altweibersommerwetter trifft sich die Gartnern-Familie zum Herbst- anlass auf der rechten Seite des Rheins. Vom Kleinbasler Brückenkopf dem Rhein- ufer entlang führt uns ein geschichtsträchtiger Spaziergang zum Dreiländereck. November 1954 (crb) Über der nordirischen See an der Küste der Grafschaft County Down braut sich ein Unwetter zusammen. Die «Gan- net» auf 54°24'N, 5°23'W wiegt sich wild im sich gefährlich auftürmendem Sturm. Aufgeregt schweben weisse Tölpel über dem Schiff und künden so einen der vie- len «stoirmeacha» an. Die siebenköpfige Crew unter ihrem Kapitän macht sich be- reit für eine anstrengende Nacht. Auf dem 12m hohen Leuchtturm, welcher majestätisch über dem Schiff ragt, wird das Feuer entfacht, damit die Schiffe vor den gefährlichen Klippen gewarnt wer- den. Bei der Helvetia treffen wir uns, auf der rechten Sonnenseite des Rheins. Urs
2020 / Nr. 66 – Seite 12 Albisser begrüsst nebst den Kleinbaslern eine supermoderne Navigationsboje er- auch die Grossbasler und die Baselbie- setzt. Traurig aber stolz erhobenen ter Touristen zum Herbstanlass «Von Hauptes lässt sich die «Gannet» vom der Mittleren Brücke zum Rheinhafen – Serviceschiff der Irish Light abschleppen. mit allem, was dazugehört» und drückt Hunderte von Tölpeln begleiten sie krei- den Anwesenden die Kopie des Merian- schend in eine ungewisse Zukunft an das Plans in die Hand. Die Helvetia, von der Festland. Künstlerin Bettina Eichin 1980 angefer- tigt, sitzt derweil auf der Mauer. Von ihrer Schweizerreise müde geworden, blickt sie wehmütig rheinabwärts. Ein gemütlicher Spaziergang führt uns von der Mittleren Brücke über das Theo- bald Baerwart-Schulhaus – eine Hom- mage an unseren Kleinbasler Poeten – zum nächsten Highlight; dem Hafen- Katja Reichenstein (Journalistin, Mode- Kran am Anfang der Uferstrasse, wel- ratorin, Kulturschaffende und Pflege- cher von der Novartis über Umwege ans fachfrau) vom Verein ShiftMode wartet Klybeck-Ufer verfrachtet wurde. Eigent- schon auf uns im Holzpark Klybeck, der lich ein idealer Ort für eine Bar auf 7m ein wenig nostalgisches Robi-Spielplatz- Höhe über dem Rhein – aber eben nur Feeling versprüht. Der Verein ShiftMode eigentlich! Simon Lutz kämpft seit 2017 hat die Federführung für die Zwischen- gegen Verwaltungs-Windmühlen und nutzung des Areals, welche bis 2029 ver- wiehernden Amtsschimmel. längert wurde, inne. Katja Reichenstein erklärt uns das Konzept des Holzparks. Mittwoch, 25. Februar 2009 Viele Kulturschaffende mit ihren Projek- Auch das allerletzte Leuchtschiff vor der ten haben hier eine Heimat gefunden. nordirischen Küste, die «Gannet», hat Indisches und Ägyptisches Essen er- ihren Dienst getan und tritt in den wohl- freuen die Gaumen der Besucher. Die verdienten Ruhestand. Sie wird durch Patschifig Bar, idyllisch gelegen an
2020 / Nr. 66 – Seite 13 einem Seerosenteich mit Dahlien um- Ein solches Projekt muss auch finanziell säumt und den dazu gehörenden qua- besonnen geplant werden und es wird kenden Fröschen, erinnert an den mit der BKB ein präziser Finanzplan auf- Garten Monets in Giverny. Das Angebot gestellt. Dieser kommt ganz ohne Steu- reicht von Theaterproduktionen über ergelder aus. Das Abenteuer kann eine Hafebrocki, zum «Hafechäs», eine beginnen. Ein Schiffstransport von Nord- Fonduebeiz, die im Winter zu urgemüt- irland über den Atlantik mit Umladen in lichem Moitié-Moitié bittet und bis zu den Rhein, birgt doch so einige Tücken, einem… die nicht zu unterschätzen sind. So muss der Turm abmontiert und für die Reise rheinaufwärts im Schiffsbauch verstaut werden – es handelt sich hierbei um Mil- limeter, die die «Gannet» unter den Rheinbrücken zwischen den Niederlan- den und dem Dreiländereck trennt. Rund ein Jahr später, am 07. August 2019 ver- folgen etliche Schaulustige, wie die «Gannet» mit einem Kran sachte auf Freitag, 28. September 2018 Schweizer Boden gehoben wird. Ein Ge- Kurz nach 08:00 Uhr kentert das mit Kies schenk für und an die Stadt Basel. beladene Baggerschiff «Merlin» und löst einen Trinationalen Rheinalarm aus. Ein mehrstündiger Einsatz, den auch Katja Reichenstein, ihr Mann Tom Brunner und Roy Bula vom Holzpark vis-à-vis ver- folgen und sie auf eine verrückte Idee bringt: «Was wäre, wenn auf dem Ge- lände ein Schiff stehen würde, welches für kulturelle Zwecke…?» - ein verrückter Gedanke... und kaum zu Ende gedacht, gehen die drei Visionäre an die Umset- zung. Katja ist zuerst skeptisch, aber Tom macht sich leidenschaftlich und un- verdrossen auf die Suche. Tom stösst nach längerer Internetrecherche auf die «Gannet» - Die Suche kommt für die drei zu einem Abschluss und auch für die «Gannet» hat das Warten nach neun langen Jahren endlich ein Ende. ...Leuchtschiff; die «Gannet». Sie wird den Holzpark bereichern. Eine
2020 / Nr. 66 – Seite 14 Aussenbar sowie ein Restaurant auf über 3’000 Arbeitsplätzen ein wichtiger dem Mitteldeck sollen bald ihre Tore Wirtschaftsfaktor unseres Landes ist. öffnen. So viel Geschichte und Information ma- chen Hunger. Einen Bärenhunger. Wir spazieren weiter ins Zentrum Klein- hüningens zum Restaurant Schiff, wo uns «Brunch-Uffschnitt-Plättli» erwar- ten. Mit einer Silo-Besichtigung sowie einer Filmvorführung im Museum «Verkehrs- drehscheibe Schweiz» mit Rolf Schle- bach und Tony Weibel geht der ereignisreiche Tag weiter. Der Blick vom Siloturm bietet eine grandiose Rund- sicht über die Dreilandregion. Im Theo- rieraum der Verkehrsdrehscheibe, lassen wir uns unter anderem in die Ge- heimnisse der Schweizer Hochschiff- fahrt einführen und erfahren, dass 19 Hochseeschiffe unter Schweizer Flagge Eine Underground-Treppe aus London fahren. verbindet das Deck mit dem Bauch. Hier können Konzerte stattfinden und ein Ra- Nach einem kurzen Stelldichein im Res- diosender soll nächstens hoch oben auf taurant Schiff, machen mein Mann und dem Leuchtturm über den Äther gehen. ich uns auf den Heimweg dem Rheinufer entlang und stechen in Gedanken noch- Für die Chronik der Basler Häfen ist Urs mals in die nordirische See. Das schwim- Albisser ins Staatsarchiv gestiegen und mende Licht winkt uns freudig zu – es erzählt uns die Historie von der 1533 ab- scheint, als ob es sich an uns und an den gebrannten «Alten Schiffländi», dem heutigen Morgen erinnert. Santihanshafen und Gelpkes Dampf- schleppboot «Knipscheer IX», dass der In hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft Rhein eigentlich seit der Unabhängigkeit Hunderte Möwen schwirren über der der Eidgenossenschaft 1648 als «Inter- «Gannet», in ihrem Bauch wummerts nationales Gewässer» gälte, sich weder und Katja Reichenstein begrüsst aus die Niederlande, Frankreich noch das dem Turm die Region mit: «Guete heutige Deutschland darum foutiert Moorge Basel». Die Gannet ist daheim hätten und dass die Rheinhäfen heute angekommen! mit CHF 1,1 Mia. Wertschöpfung und
2020 / Nr. 66 – Seite 15 Franziskus-Määli 2020 unter erschwerten Bedingungen Aufgrund der immer wieder ändernden Corona-Bestimmungen lag eine Durchfüh- rung des traditionellen Franziskus-Määli lange in der Schwebe. Dank den rigoros umgesetzten Schutzbestimmungen konnte der Anlass heuer doch noch stattfinden. Und auch wenn einiges ganz anders war als in vergangenen Jahren, so war die Stim- mung bei den Gästen ausgezeichnet und die Dankbarkeit aller über die sichere Durchführung sehr gross. (pb) Kein Apéro mit engem Zusammen- entschieden hat, die Sicherheit grosszu- stehen im Foyer, kein Live-Auftritt des schreiben, aber dennoch ein stim- Zunftspiels und keine Bierschwemme mungsvolles Määli durchzuführen. zum Schluss in der Vorgesetztenstube. Wie immer beginnt Das waren die wichtigsten Änderungen das Franziskus-Mää- am diesjährigen Franziskus-Määli, um li mit einem feinen den neusten Schutzbestimmungen und gut gekühlten Rechnung zu tragen und um auch den Weisswein in schö- Teilnehmern die notwendige Sicherheit nen Zinnbechern. zu geben. Gleichwohl war es auch ein Dieser wird nun also Zeichen des Zunftvorstandes, der
2020 / Nr. 66 – Seite 16 am grossen Tisch im Sternensaal und Rassismus-Debatte um die beiden Gug- nicht an den Stehtischchen im Foyer ein- genmusiken Negro Rhygass und Mohre- genommen und so startet das Franzis- kopf und dann ein Jahr später ging es kus-Määli nicht so wuselig und laut wie mit den stürzenden Rössern während üblich. Erster offizieller Programmpunkt des Cortèges am Steinenberg weiter. ist die Vorstellung der anwesenden Den Höhepunkt als fasnächtliche Krisen- Gäste, die wie immer vom Statthalter managerin hat sie dann in diesem Jahr durchgeführt wird. In seiner Ansprache erleben müssen, als das Comité die Bas- nimmt er die aktuelle Situation auf, er- ler Fasnacht 2020 (aufgrund des bun- klärt dabei aber auch, dass es nicht die desrätlichen Beschlusses) offiziell Zeit für negative Gedanken ist, sondern absagen musste. Es war übrigens nicht Solidarität und eine positive Einstellung das erste Mal, dass die Basler Fasnacht das einzige Rezept zur Krisenbewälti- aufgrund einer Pandemie verschoben gung darstellt. wurde. Wegen der Spanischen Grippe wurden die «drey scheenschte Dääg» 1920 um ganze vier Wochen verscho- ben. Wie es um die Fasnacht 2021 steht, kann auch sie heute nicht beantworten. Sicherlich, so meint sie, müsse man sich vom Bisherigen lösen. Sie lobt in diesem Zusammenhang aber die gute Zusam- menarbeit mit der Basler Regierung. Ehrengast des heutigen Abends ist Pia Als Gast der Zunft nimmt Hotelier und Inderbitzin, Obfrau des Basler Fas- Gastrounternehmer Raphael Wyniger nachts-Comités. Im Jahr 2000 ist sie zum am grossen Tisch Platz. Dieser wusste Comité gestossen, um den Bereich schon als Knabe, als er seinen Grossva- Nachwuchsförderung neu aufzubauen. ter in dessen Tessiner Hotel hinter der Unter ihrer Leitung fand damals der Réception stehen sah, dass auch er erste Schulumzug statt. Später wurde sie zum Statthalter ernannt und im Jahre 2018 zur Obfrau gewählt. Nach 108 Jahren Männerdirektorium nahm sie somit als erste Frau den höchsten Rang im Comité ein. Sie hat sich riesig auf die erste Fasnacht als Oberhaupt der Fasnächtler gefreut, doch ist sie von da an von einer Krise in die andere geschlit- einmal Hoteldirektor werden wolle. Und tert. Angefangen hat es mit der so kam es. Nachdem er lange als
2020 / Nr. 66 – Seite 17 Vizedirektor von Basel Tourismus tätig bei allen Gästen für ihr Erscheinen am war, hatte er die einmalige Gelegenheit, heutigen Abend. Die kurzweilige Präsen- das Kulturhotel Teufelhof in Basel zu tation der Gäste hat Appetit gemacht übernehmen. Die ersten Jahre waren auf den ersten Gang, der traditioneller- für den aus-gebildeten Hotelfachmann weise als Kürbiscrèmesuppe mit Blätter- sehr schwierig, doch er hat durchgehal- teighaube daherkommt. ten und managt heute neben dem Hotel Als Premiere in der Geschichte der Teufelhof auch das Hotel Residence Set, neun Restaurants, ein Café, ein Catering-Unternehmen und ein Kleintheater. Auf- grund seiner Initiativen und seinem Unternehmergeist braut er und sein Team in der Zwischenzeit auch noch ein eigenes Bier und bringt ne- ben einem Gin auch einen Whisky und einen eigenen Rum auf den Markt. Es ist ge- rade diese Diversifikation, E. Zunft zu Gartnern folgt der virtuelle dass seine Betriebe die Corona-Krise bis Auftritt des Zunftspiels an einem Fran- jetzt recht gut überstanden haben. Die ziskus-Määli. Da das Pfeifen in geschlos- aktuelle schwierige Lage der Restaurati- senen Räumen aktuell nicht gestattet ons- und Hotelbetriebe sei hart, sub- ist, hat man sich für diese sympathische stantiell und existentiell, aber machbar, Variante des musikalischen Intermezzos erklärt Wyniger. Es ist beeindruckend, entschieden. Das Zunftspiel wird auf wie Raphael Wyniger mit einer positiven Grossleinwand projiziert, wo es zuerst Einstellung in die Zukunft schaut und da- den Arabi und später am Abend dann bei die Ruhe behält. Er besitzt die Bega- noch den Wettsteinmarsch vorträgt. bung, auch eine Krise als unterneh- Eine tolle Idee und eine perfekte organi- merische Chance zu begreifen. Als Un- satorische Umsetzung. Noch vor der ternehmer aber auch als Präsident des Vorspeise richtet Meister Stephan Gass- Hotelier-Vereins Basel und Umgebung mann seine Worte an die Tafelrunde. wird er in den nächsten Monaten noch Auch er thematisiert die aktuelle Situa- ein sehr gefragter Mann sein. tion während der Corona-Pandemie. Diese sei nur mit grosser Solidarität un- «Ausserordentliches entsteht in ausser- tereinander zu bewältigen und er er- ordentlichen Zeiten» meint Statthalter wähnt als bestes Beispiel nochmals die Pietro Buonfrate zum Ende der Gäste- Aktion «d Gartnere hilft», die ja auf vorstellung und bedankt sich nochmals
2020 / Nr. 66 – Seite 18 grosses Interesse und auch ausserhalb Gästebuch, in welchem unser Zunftil- unserer Zunft auf Beachtung gestossen lustrator Pascal Joray wiederum einen ist. Ebenso freut er sich über Menschen schön gestalteten Määli-Helgen ge- und Unternehmen, die versuchen, die zeichnet hat. Eine weitere Premiere in Krise mit innovativen Ideen zu bewälti- diesem Jahr stellt das «Drachefuetter» gen. dar: dieses Mal bestand das Zunft-Bhal- tis nicht aus einem Änisbrötli, sondern Vor und nach dem Hauptgang folgen die aus einem Mandel-Läckerli, das von der Grussadressen der Ehrengäste, in wel- Firma Jakob’s Basler Leckerly, der ältes- cher Pia Inderbitzin wie auch Raphael ten Biscuitmanufaktur Basels herge- Wyniger ebenfalls auf die aktuelle Pan- stellt wurde. Wer nun gedacht hat, dass demie und deren Auswirkungen auf Kul- aufgrund der ausfallenden Bierseligkeit tur, Gesellschaft und Wirtschaft Bezug in der Zunftstube alle Teilnehmer den nehmen. Die Anwesenden bedanken Saal verlassen und nach Hause rennen, sich für die abwechslungsreichen und sah sich getäuscht. Es gingen schon unterhaltsamen Reden mit grossem Ap- noch einige Biere und auch ein paar plaus. Nachdem die herrliche Schog- Whiskys die Kehlen runter, bevor die gimousse von allen weggeschlemmt Crew des Goldenen Sternen die Türen wurde holt sich Kulturbeauftragter Urs für das diesjährige Franziskus-Määli Albisser die Teilnehmer einzeln zum endgültig schliessen konnten.
2020 / Nr. 66 – Seite 19 Umgang im Multikulti-Quartier Der Herbstzunftstamm führte uns ins Gundeldinger Quartier, in das am dichtesten besiedelten Quartier am Süd-Ende des Bahnhofs also. Die Führung durchs «Gun- deli» übernahm Zunftschwester Beatrice Isler. Sie ist nicht nur in diesem lebendigen Quartier geboren, aufgewachsen und heute noch wohnhaft, sondern auch eine Ken- nerin von Geschichte und Kultur dieses besonderen Schachbrett-Quartiers. (bi) Wenn Gundelianerinnen und Gun- Gundeli einen eigenen Wahlkreis haben delianer sagen «Ych gang rasch ins sollte – allerdings hatte dieser Vorstoss Quartier», weiss man, dass sie im Gun- nie eine Chance! Aber schauen wir doch deli einkaufen gehen. Sagen sie aber zurück in die Geschichte: «Ych gang in d’Stadt», dann ist ihr Ziel- 1871 kaufte eine süddeutsche Immobi- ort ennet des Bahnhofes, die Innen- lien-Gesellschaft aus Mainz rund 72 ha stadt, der Barfi, die Freie Strasse oder Land. Dem lag spekulatives Handeln zu- der Märtplatz. Die Verwurzelungen zum grunde, denn Stück für Stück veräus- grossen Stadtquartier namens Gundel- serte die Firma den Boden zu hohen dingen ist bei vielen Menschen tief. Mit Preisen. 21'700 Einwohnenden aus rund 100 Na- tionen und ca. 25'000 Arbeitsplätzen ist 1873 erstellte Johann Jakob Stehlin d.J. es eine Stadt in der Stadt. Nicht umsonst einen Erschliessungsplan. Auf dem Reiss- kam vor Jahren die Idee auf, dass das brett entstand ein Gebiet, welches in
2020 / Nr. 66 – Seite 20 rechtwinkliger, «amerikanischer» Ma- Viele Erfolge, die der NQVG vorzuwei- nier (Blockrandbebauung) eine vollstän- sen hat, sind heute nicht mehr sichtbar. dige Überbauung vorsah. 1876 lancierte er eine Petition gegen Impfzwang. 1880 engagierte er sich für 1874 bewilligte das Parlament den Be- den ersten Briefkasten an der Gü- bauungsplan und verpflichtete die terstrasse. Ebenfalls 1880 wurde eine Mainzer Gesellschaft zur Anlage von Petition zum Einrichten eines Salzde- Strassen. Und bereits 1920 war fast das pots gestartet. 1884 erreichte man mit gesamte Gebiet vollständig überbaut. einer Petition die Errichtung eines Poli- Was passiert, wenn sich innert weniger zeipostens. Er wurde am 1. April 1885 Jahrzehnte ein neuer Stadtteil entwi- im Parterre der Eckliegenschaft Pfeffin- ckelt und sich dort viele Menschen an- gerstrasse / Güterstrasse eingerichtet. siedeln? Genau! Die Bewohnenden Damaliger Personalbestand bei der Poli- haben nicht nur Ansprüche, sie denken zei: 117 Landjäger und 42 Schutzmän- auch mit und sie gestalten mit. Es ist so- ner. mit nicht verwunderlich, dass 1875 der 1890 wurde eine Kommission des NQVG «Quartierverein jenseits des Central- beauftragt, die Regierung dazu zu über- bahnhofes» (heute Neutraler Quartier- reden, sich Bauplätze für zwei kleinere verein Gundeldingen, NQVG) als erster Schulhäuser zu sichern. Um den Druck Quartierverein der Stadt Basel gegrün- zu erhöhen, startete der NQVG im Okto- det wurde. Auslöser dazu war, dass sich ber 1891 eine Petition dafür. Erst im Ja- die Quartierbewohnenden von Basel nuar 1894 erreichte das Quartier die durch den Bahnbetrieb des Basler Cent- Mitteilung, man habe an der Sempa- ralbahnhofes abgeschnitten vorkamen; cherstrasse Bauland für ein Schulhaus dieser hatte 1860 den Betrieb aufge- erworben. 1898 wurde das Gundeldin- nommen. Um in die Innenstadt zu kom- gerschulhaus eröffnet. Das Thiersteiner- men gab es nur zwei Niveauübergänge: schulhaus öffnete seine Türen 1915. Es bei der äusseren Heumattstrasse und gäbe noch viel zu erzählen rund um das bei der Margrethenbrücke. Die Querung Engagement des NQVG: von Trottoirs, der manövrierenden Züge war schwie- die angelegt wurden, von Strassenbe- rig. Und es passierten Unfälle. 1881 leuchtung, die man ertrotzte, von einer wurde deshalb die Pfeffingerunterfüh- Postfiliale, über die man sich freute. rung (Pfäffiloch) gebaut. Doch der Vor- Aber auch von der Telefonzelle, die ge- stand des NQVG schickte eine wünscht, aber abgelehnt worden ist. Delegation nach Bern, um dort auf eine bessere Lösung zu pochen. Mit Erfolg! 1925 rief der NQVG eine Verkehrskom- 1906 wurde die Bahn tiefer gelegt und mission ins Leben. Sie sollte sich explizit die Brücken wurden gebaut. mit sämtlichen Bau- und Verkehrsfragen auseinandersetzen. Als eine der ersten
2020 / Nr. 66 – Seite 21 grossen Eingaben wurde der Bau des und richtete in der alten Villa eine öf- Dorenbach-Viaduktes angestrebt – zu- fentliche Kaffeehalle ein. Von 1932 bis sammen mit dem NQV Bachletten. Als 1948 residierte das Radiostudio Basel in weder Regierungsrat noch Grosser Rat der Villa. Heute sorgen ein Kindergarten auf das Ansinnen eingehen wollten, gab und eine Tagesstätte für Leben. man sich nicht geschlagen. Und siehe Der Bruderholzhang ist sehr wasser- da: Im Juli 1932 bewilligte der Grosse reich. Anfangs des 15. Jahrhunderts Rat einen Kredit in Höhe von 1,45 Mio. wurden drei Wasserschlösser gebaut. Franken für den Bau des Viaduktes, wel- Ein viertes kam im 16. Jahrhundert dazu. ches am 4. August 1934 bei strömen- Sie alle trugen den Namen Gundeldin- dem Regen eingeweiht werden konnte - gen: das hintere-grosse Gundeldingen, und wegen des schlechten Wetters dem das untere-mittlere Gundeldingen NQVG ein Defizit in der Vereinskasse in (heute Thomas Platter-Haus), das Höhe von 600 Franken hinterliess. obere-mittlere Gundeldingen (Bach- In einem dicht besiedelten Quartier wie ofenschlösslein) und das vordere Gun- dem Gundeli gibt es nicht viel Freiraum. deldingen. Umso mehr wird der 82’000 m2 grosse 1567 ist das vordere Gundeldingen (das Margarethenpark geschätzt und sehr vierte der Schlösser) als Wohnhaus des hoch frequentiert. Wussten Sie, dass er Hieronymus Iselin erstmals erwähnt. Es auf basellandschaftlichem Boden liegt? liegt an der Gundeldingerstrasse/Ein- Ursprünglich wurde er als private Gar- gang Dittingerstrasse 20 und verfügt bis tenanlage von Karl Burckhardt-Thurney- heute über einen eigenen Brunnen, des- sen erstellt. 1897 kaufte die Einwohner- sen Quelle mit Wasser aus dem Bruder- gemeinde den Park für 1 Mio. Franken holzhang gespeist wird. Das heutige rostrote „Gundeldinger- Schlössli“ wurde 1731 erbaut, neben dem vorderen Gundeldingen aus dem 16. Jahrhun- dert. Es wechselte über die Jahrhunderte viele Male den Besitzer. Zu erwähnen ist aber, dass die Besitzerfamilie Os- tertag-von Speyr 1846 ein Internat für Töchter
2020 / Nr. 66 – Seite 22 Felix Platter, der älteste Sohn von Thomas Platter, wurde Stadtarzt von Ba- sel. Er konnte der Liebe seines Vaters zur Landwirtschaft nicht nacheifern. 1596 veräusserte er das Landgut. Was blieb, ist der Name des Hauses, trotz wechselnder Besitzer. Anfangs der 1970er Jahre war das Haus vernachläs- von im Ausland wirkenden Missionars- sigt, verlottert und vom Abbruch be- familien einrichtete. Eines der ersten droht. Aber die Besitzerin, das Basler Pflegekinder war Marie Gundert, die Bürgerspital, machte die Rechnung spätere Mutter des Literaturnobelpreis- ohne die Quartierbewohnenden. Diese trägers Hermann Hesse. 1874 erwarb gründeten das «Gundeldinger Käm- Frédéric Engel-Gros, der Chef der Mül- merli», ein Organ zur Rettung des Hau- hauser Textilfirma Dolfus Mieg & Co. das ses, in welchem viele Persönlichkeiten gesamte Areal mit allen Gebäuden. Er aus dem Quartier Einsitz nahmen. 1974 liess an die «neue» Villa aus dem 19. konnte das Haus in eine Stiftung über- Jahrhundert (Gundeldingerstrasse 172) führt werden, es wurde renoviert und 1877 einen einstöckigen Pavillon an- steht nun unter Denkmalschutz. Nach bauen. Die Überlieferung sagt, er hätte der Rettung löste sich das Gundeldinger sechs heiratsfähige Töchter gehabt, die Kämmerli wieder auf. er allesamt standesgemäss verheiraten Apropos Gundeldinger Kämmerli: ein wollte und deshalb einen Tanzsaal be- zweites solches Organ wurde von Prof. nötigte. Und übrigens: das Ursprungs- Dr. Werner Gallusser im September schlössli, das vordere Gundeldingen 2000 als «Anhörungs-, Diskussions- und wurde 1925 abgerissen. Entscheidungsforum» gegründet. 30 An der Gundeldingerstrasse 280 steht Personen nahmen Einsitz und entwi- ein wenig versteckt ein Kleinod: Das ckelten die Grundzüge einer neuen Thomas Platter-Haus. Als Weiherschloss Quartiergesellschaft, welche zum Ziel im 16. Jahrhundert konzipiert, kam das hat, der stark wechselnden Quartierbe- untere-mittlere Gundeldingen 1549 in völkerung die Integration zu erleichtern, Besitz von Thomas Platter. Er kaufte es den Gemeinschaftssinn zu fördern und für 660 Gulden. Sein Lebenslauf vom jährlich einen Bannumgang zu organi- Ziegenhüter im Wallis bis zum Rektor sieren. Ein Jahr später, am 18. Mai 2001, am (heutigen) Gymnasium am Münster- wurde im Gundeldinger-Casino die platz unterband keineswegs die Liebe «Quartiergesellschaft zum Mammut zur Landwirtschaft. So bewirtschaftete Gundeldingen-Bruderholz» gegründet. er dieses kleine Gut intensiv und brachte es zur grossen Blüte.
2020 / Nr. 66 – Seite 23 Warum zum Mammut? Weil 1970 im untersten Teil der Pfeffin- gerstrasse (Pfäffiloch) beim Abriss eines alten Gebäudes ein komplett erhaltener Mammutzahn gefun- den worden ist. Dieser Zahn ist im Naturhistorischen Museum zu be- staunen. Neben den zahlreichen frühgeschichtlichen Streufunden bei der Bettlerhöhle (oberhalb des Leimgrubenwegs) bestätigte die Entdeckung des Mammutzahns die die Fässer mit Rum-Konzentrat in die frühe Besiedlung des Gundeli sowohl alte Rum-Fabrik transportiert worden durch Mensch und Tier. Die Aktiven der sind. Sie stehen beim Rum-Coruba- Mammut-Gesellschaft liessen es sich Haus. übrigens nicht nehmen, ein Mammut Oder schauen Sie sich die Bähnlerhäuser nachzubauen. Er kann in seinem Käfig am Tellplatz an. Sie wurden im Stil des im Thiersteinerschulhaus bewundert Historismus als «Personalwohnhäuser werden und bekommt am Vortag des der Schweizerischen Centralbahngesell- Bannumgangs Ausgang auf den Tell- schaft» 1891 erbaut und haben einen platz. Am Bannumgang selber steht er wunderbaren Innenhof. Oder gehen Sie jeweils am Festplatz und wartet auf die an die Gundeldingerstrasse 85-91 und müden Gäste! bestaunen Sie die prachtvollen Jugend- Das Gundeli birgt noch viele weitere stilhäuser. Schätze. Wir wünschen Ihnen beim Aufstöbern Gehen Sie doch beim Haus Güterstrasse der Kostbarkeiten im Gundeli viel Ver- 143 vorbei und wagen Sie den Schritt in gnügen. die Einfahrt. Sie werden dort auf Wand- Weitere Infos unter www.nqv-gundel- malereien aus Jamaika stossen. Und Sie dingen.ch und www.zum-mammut.ch werden Schienen am Boden sehen, alte Geleise für Transportwagen, auf denen
2020 / Nr. 66 – Seite 24 Die St. Jakobsfeiern aus der Sicht der Zünfte – Teil 3 Die konservativen Zünfte standen der St. Jakobsfeier, die 1822 von Studenten be- gründet wurde, lange skeptisch gegenüber. Zu „verdächtig“ erschienen ihnen die fortschrittlich-liberalen Kreise, welche diese Feste trugen. Nur wenn die Stadt sich offiziell daran beteiligte, nahmen auch die Zünfte teil. (cz) Mit der Errichtung des Bundesstaa- ernsthaft mit dieser Feier. Für den Fest- tes 1848 änderte sich allmählich der zug schmückten die Gärtnermeister der Charakter der St. Jakobsfeiern. Der Pat- Zunft ein Auto mit Blumen. Dieser „Blu- riotismus, der an diesen Volksfesten ze- menwagen“ wurde in der Folge für viele lebriert wurde, war der Kleber, der die Jahre zum Stolz eines jeden Gartnern- neue Staatsform zusammenhielt. Auf Festzugs. die Dauer konnten sich die Zünfte die- Der Geist, der bei den St. Jakobsfeiern sem Sog nicht mehr entziehen. Sie be- nach dem 1. Weltkrieg wehte, hatte ge- teiligten sich mit zunehmendem ändert. Waren im 19. Jahrhundert noch Enthusiasmus. Die Wende vom 19. zum fortschrittlich gesinnte, liberale Kräfte 20. Jahrhundert markierte einen ersten am Werk, die einen möglichst zentralen Höhepunkt dieser patriotischen Ge- Staat herbeisehnten, wurden die Ver- fühlsaufwallung. anstaltungen nun immer mehr zur Der 1. Weltkrieg führte zu einem Bruch. Machtdemonstration des bürgerlich- 1914 sagte die Stadt die St. Jakobsfeier konservativen Basels. So ist 1929 im ab; das Völkerschlachten hatte keine Protokollbuch unserer Zunft zu lesen: vier Wochen vor dem Festtermin begon- „Palmsonntag & 1. August wurde Sei- nen. Ab 1916 wurden wieder beschei- tens der Moskowiter den Bürgern ver- dene Feste gefeiert, allerdings im einge- dorben, daher demonstrierte am St.Ja- schränkten Rahmen und ohne Beteili- kobsfest das bürgerliche Basel & nahm gung der Zünfte. Dies galt auch für die sich das Recht für die Strasse.“ An den offizielle Feier von 1919, die nur wenige genannten Daten wollte die Kommunis- Monate nach dem Landesstreik statt- tische Partei jeweils Demonstrationen fand und gar nur wenige Tage nach dem durchführen, die aber unter Aufbietung blutig verlaufenen Färberstreik in Basel, des Militärs schon im Keim erstickt wor- an den eine Gedenktafel über dem Ein- den waren. gang des Restaurants „zum alte Zehn Jahre später, am Vorabend des 2. Schluuch“ erinnert. 1920 wurde das Weltkriegs, meldeten sich seit langem letzte privat organisierte St.Jakobsfest auch wieder gewerkschaftliche und abgehalten. Von nun gab es nur noch kommunistische Verbände für das St. Ja- alle fünf Jahre offizielle Feiern der Stadt. kobsfest an, wohl um ihre Verbunden- Die Gartnernzunft befasste sich erst an- heit mit der Schweiz zu zeigen und den lässlich des St.Jakobsfest 1924 wieder
2020 / Nr. 66 – Seite 25 Geruch der patriotischen Unzuverlässig- ganz im Sinne Bonjours ohne Zwischen- keit loszuwerden, der ihnen anhaftete. fälle. Vier Tage später überfielen deut- Die Zünfte reagierten sofort: „[…] leider sche Truppen Polen. Der 2. Weltkrieg wollen die Kommunisten an dem Auf- hat begonnen. zug mitmachen, sollten sie jedoch mit ih- In diesen fiel auch das nächste St. Ja- ren berüchtigten Emblemen + Stan-dar- kobsfest, an dem der 500. Jahrestag der ten Hammer + Sichel erscheinen, werden Schlacht begangen wurde. Ausgerech- die sämtlichen Zünftler sich sofort ab- net von den Zünften kamen aber Miss- sondern + ein eigenes Zügli machen je- töne, welche die Vorbereitungen zu denfalls nicht diesen sog. Vaterlands- diesem Grossanlass störten! Im Mai freunden sich anschliessen.“ Zu beden- 1943 stellte der Meister E.E. Zunft zu ken ist, dass die Kommunisten zu dieser Gartnern, Emil Fischer-Lang, anlässlich Zeit keineswegs eine Randgruppe, son- eines Meisterbotts fest, dass kein Zunft- dern mit 15 Sitzen die viertstärkste Par- vertreter im Fest-OK vertreten war und tei im Grossen Rat waren, nur verlangte energisch eine solche Einsitz- unwesentlich schwächer als Freisinnige nahme. Diese wurde vom OK zugestan- und Liberale. Wir sind in der Zeit des den, obwohl bis anhin noch nie ein „Roten Basel“, in dem alleine die SP 51 offizieller Zunftvertreter bei der Organi- Sitze im Grossen und 4 im Regierungsrat sation der St. Jakobsfeier mitgemacht hielt. Selbst die heraufziehende Bedro- hatte. Kurz zuvor prägte der Meister E.E. hung des Kriegs trug also nicht dazu bei, Zunft zum Goldenen Stern, Dr. Gustav die politischen Gräben einzuebnen. Steiner, Initiant des Meisterbotts und Prof. Edgar Bonjour beschwor in seiner des Fünferausschusses (1942), das Festrede aber gerade die Wichtigkeit Schlagwort: „Zunftgenosse ist Eidge- der Verbrüderung im eigenen Land am nosse“! Mit diesem Selbstbewusstsein Vorabend des grossen Völkerringens: agierte Steiner nun im OK des St. Jakobs- „Wir müssen Verständnis wecken, nicht fests, erklärt er doch, dass „sich die nur für die Wesensart der Eidgenossen Zünfte berufen fühlen, das vaterländi- anderer Sprache, sondern namentlich sche Gedenkfest als eine Angelegenheit auch für die Eidgenossen anderer Volks- anzusehen, die sie in erster Linie an- schichten: wir müssen Brüder werden in geht.“ Was für ein Anspruch und wel- dem Sinne, dass jeder unerschütterlich cher Unterschied zu dem distanzierten zum andern steht. […] Wir müssen ler- Verhalten der Zünfte gegenüber den St. nen, das Ich der Allgemeinheit unter- Jakobsfeiern während beinahe des ge- ordnen.“ samten 19. Jahrhunderts! In Überein- stimmung mit dem Fünferausschuss Offensichtlich verlief das Fest, dem eine beanstandete Steiner vor allem, dass ungeheure Menschenmenge beiwohn- ein zu fröhliches Fest geplant sei. Die te (die Rede ist von mehr als 50‘000!), Zünfte seien keineswegs gegen eine
2020 / Nr. 66 – Seite 26 würdige Feier. So beteiligten sie sich Antrieb der Zünfte bei ihrem Wider- selbstverständlich mit ihren Bannern stand war wohl auch, der Regierung des am Schlussbild des grossen Festspiels. „Roten Basels“ eins auszuwischen und Auch der Festumzug und die Anspra- sich als bürgerliche Gegenkraft zu prä- chen waren nach der Auffassung der sentieren. Auch in der E. Zunft zu Gart- Zünfte angemessen, nicht aber das an- nern war der Festablauf ein Thema: „Man ist allgemein gegen einen nach- mittäglichen Festrummel eingestellt; dies ist auch die Ansicht des Meister- botts. Somit wurde von den Zünften be- schlossen, dass nach dem Frühschoppen abgebrochen und die Zunftfahne zum Bankett in die Safran gebracht werde.“ Im Safranzunfthaus war das Festessen für die offiziell geladenen Gäste vorge- sehen. Aber die Gartnernvorgesetzten schliessende gemütliche Zusammen- widersetzten sich dieser Haltung: „[…] sein: „Man tanzt nicht, wenn im es wird beschlossen: Unsere Zunft geht Nachbarhaus der Tod umgeht. Wir ha- auf den Festplatz hinaus und macht das ben Grund zur Dankbarkeit, Grund zur offizielle Programm mit, dann anschlies- Bereitschaft, nicht zum Festtrubel.“ Das sender Imbiss; der Schluss daran wird OK bemerkte daraufhin lakonisch: „Auch sich ergeben; kein Pokal in die Safran.“ die Zünfte wünschen nicht, nach dem Leider ist in den Akten nicht ersichtlich, Festzug wieder trocken heimkehren zu woher dieser Meinungsumschwung ge- müssen.“ Und weiter: „Es mag richtig kommen ist. sein, dass die früheren St. Jakobsfeste Als sich am 26. August um 8 Uhr mor- vorwiegend die Angelegenheit der gens der Festzug mit rund 12‘000 Teil- Zünfte waren. Die 500-Jahrfeier dage- nehmenden der Kaserne aus in gen ist in erster Linie eine Angelegenheit Bewegung setzte, regnete es, so dass des ganzen Volkes.“ die Tambouren auf dem zweistündigen Der Streit dauerte bis einige Tage vor Marsch nach St. Jakob ein paar Mal das dem Fest an. Den Zünften wurde „Defai- Ruessen einstellen mussten, um die tismus“ und „Querulanz“ vorgeworfen, Kalbfelle zu schützen. Als Nummer 23 während diese konterten: „Nicht die war die Gartnernzunft ziemlich weit Zünfte haben sich ‚in der Zeit geirrt‘, son- vorne im Festumzug platziert. Insge- dern diejenigen, die zu Ende des fünften samt marschierten 126 Zunftangehörige Kriegsjahres noch einen friedensmässi- mit, darunter auch der 83-jährige gen Rummel veranstalten wollten.“
2020 / Nr. 66 – Seite 27 Vorgesetzte Emil Miville-Ramser („Ehre hängt, die fünf Jahre zuvor an der Lan- diesem Eidgenossen!“). desausstellung in Zürich über der Fah- nenallee geflattert hatten, eine Erinnerung an den „Landi-Geist“ von 1939, der die Schweiz kurz vor Aus- bruch des 2. Weltkriegs zusammenge- schweisst hatte. An diesen nationalen Zusammenhalt erinnerte wie schon fünf Jahre zuvor Prof. Edgar Bonjour, der seine Festrede mit dem Appell be- schloss: „Deshalb muss unser Wille zur Einigkeit so stark sein, dass wir den an- dersdenkenden Volksgenossen nicht nur ertragen, sondern lieben.“ Zuvor sprach er aber auch gegen eine Abschottung der Schweiz. Zwar tobte der Krieg noch rund um das Land, aber Bonjour richtete seinen Blick schon in die Zukunft: „Unser Schweizertum ist zu tief im europäi- schen Menschentum verankert, als dass wir auf den gegenseitigen geistigen Aus- Die Basler Nachrichten berichteten um- tausch verzichten könnten, ohne tödli- fassend von diesem Festtag: „Ganz Ba- chen Schaden an unserem Innersten zu sel zieht nach St. Jakob […] Jetzt erfahren.“ erscheinen die Zünfte, die meisten von Nach dem Absingen der Nationalhymne ihnen mit historischen Gruppen von Kos- („Rufst du mein Vaterland“) kehrten die tümierten […], prachtvolle Figuren da- Ehrengäste für das Festmahl in der Saf- runter […]. Ein einziges vielbewundertes ranzunft in die Stadt zurück. Auch die Detail nur: Der herrliche Blumenwagen meisten Zünfte verliessen den Festplatz. der Zunft zu Gartnern!“ Nicht so die Gartnernzunft, die bis zum Der Journalist fährt im damals hochpat- offiziellen Schluss um 17 Uhr in St. Jakob riotisch aufgeladenen Ton weiter: „Es blieb. Jeder Zunftbruder erhielt Gut- war ein grosses, ein unvergessliches scheine für 3 Biere à 30 Rappen und „die Schauspiel. Und es war darüber hinaus sogenannte „Zunftwurst“ mit Brot, die […] das Bekenntnis zur unbedingten Ver- es ja in Wirklichkeit nicht war, sondern teidigung dieser Freiheit – heute und nur ein […] Klöpfer zum Preise von sage morgen und immerdar.“ In der Bahnun- und schreibe Fr. 1.20 (dies nur für die terführung kurz vor St. Jakob waren die spätere Generation zur Chronik)“, wie etwa 3‘000 Gemeindefahnen aufge- der Bericht im Protokollbuch vermerkt.
2020 / Nr. 66 – Seite 28 1944 war der letzte Höhepunkt der glanzvollen St. Jakobsfeste. Zwar wur- den diese auch nach dem 2. Weltkrieg im Fünfjahresrhythmus weitergeführt, aber die Begeisterung in der Bevölke- rung flaute merklich ab. 1949 wurde der Blumenwagen der Gart- nernzunft nur noch von einem Pony ge- zogen. Fünf Jahre später fehlte der Wagen aus Kostengründen ganz, was bedauert wurde: „Der Anblick von so würdigen alten Mannen hat schliesslich 1984 wurde die Kranzniederlegung für die Zuschauer nichts besonderes.“ beim St. Jakobs-Denkmal konkurren- Selbst der Umzug führte nicht mehr ziert durch das Klosterberg- und das Rü- nach St. Jakob, sondern nur bis zum melinsplatzfest sowie das grosse Denkmal. Der Festakt fand auf dem Volksfest zum 100. Geburtstag der VKB. Münsterplatz statt. Hierhin strömten die Volksmassen jetzt und nicht mehr zu einer patriotischen Noch aber wurde der patriotische Geist Feier. der Zunft wachgehalten. Bei der Zunft- fahrt 1955 nach Saint-Ursanne hielt der Die Zünfte suchten mit neuen Formen Bus auf dem Les Rangiers-Pass, damit dieser Entwicklung Gegensteuer zu ge- die Zunftbrüder beim dortigen, 1989 de- ben und verbanden die St. Jakobsfeier finitiv gestürzten Wehrmännerdenkmal 1989 mit einem Tag der Zünfte. Doch („Le Fritz“) die Vaterlandshymne („Va- 1994, zur 450 Jahr-Feier der Schlacht, terland hoch und schön“) singen und in wollten sie wieder ein St. Jakobsfest im einer Ansprache „vaterländische Mahn- alten Stil durchführen. Aber in der Stadt und Erinnerungsworte“ hören konnten. regte sich gegen diese „Verherrlichung des Kriegs“ starker Widerstand. Die hef- Aber die Zeiten hatten sich geändert. tig geführten Auseinandersetzungen Beim Festakt des St. Jakobsfests 1959 gipfelten schliesslich darin, dass Unbe- auf dem Münsterplatz fanden sich noch kannte der Helvetia des Denkmals die 30 Zunftbrüder ein. Zehn Jahre später Hand mit Siegeskranz mutwillig abschlu- wurde der Festumzug auf einen Stern- gen. Der Festzug zum Schlachtfeld marsch reduziert, 1974 auf einen Fest- wurde vom Zeughaus aus in die (spärlich akt nach dem Umzug verzichtet und mit Publikum besetzten) Strassen des 1979 fehlten beim Festumzug durch die Gellertquartiers verlegt. Die Beteiligung Stadt erstmals die Studentenverbindun- der Gartnernzunftbrüder an der offizi- gen, die 150 Jahre zuvor die St. Jakobs- ellen Feier fiel „eher dürftig“ aus. Der feiern doch erfunden hatten.
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