Gemeinsam gesund. Gesundheitsförderung fürs Herz - Tagungsband der 10. Österreichischen Präventionstagung - Fonds Gesundes Österreich

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Tagungsband der
10. Österreichischen Präventionstagung

Gemeinsam gesund.
Gesundheitsförderung fürs Herz.
Inhaltsverzeichnis

 1   Vorwort

 2   PLENARVORTRÄGE

 2   Anita Rieder
     Warum Herz-(Kreislauf-)Gesundheit?
     Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Bedeutung für die Prävention
 5   Ulla Walter
     Strategien und Handlungsansätze der Gesundheitsförderung und Primärprävention im Hinblick auf
     Herzgesundheit unter besonderer Berücksichtigung von Bewegung
10   Wolfgang Kallus, Thomas Uhlig
     Kardiovaskuläre Prävention: Psychologie und Medizin im Dialog über
     psychosoziale Risikofaktoren und evidenzbasierte Ansätze
14   Christoph Klotter
     Motivation zur Verhaltensänderung
18   Carola Gold
     Vielfalt als Herausforderung – Voraussetzung erfolgreicher Prävention
     bei Gruppen mit dem größten Bedarf
21   Heike Englert
     CHIP – The Coronary Health Improvement Project, USA

26   WORKSHOPS
     Herzgesundheit fördern – Projekte für ausgewählte Zielgruppen und Setting stellen sich vor

26   Workshop 1: Kinder und Jugendliche
     Gesundes Schulessen einfach genial, genial einfach: Sabine Dämon, Regina Jungmayr
     Schulfreiräume und Geschlechterverhältnisse: Rosa Diketmüller, Heide Studer

34   Workshop 2: Menschen am Arbeitsplatz
     Gesund essen am Arbeitsplatz: Verena Rainer
     Bewegen im Betrieb: Paul Scheibenpflug

40   Workshop 3: Regionales Setting
     „Ein Herz für Wien“: Michael Kowanz-Eichberger
     Gesundes Salzburg 2010: Maria Pramhas

45   Workshop 4: Männer
     „Fit fürs Leben, fit im Einsatz“: Manfred Lamprecht
     „Favoritner mit Herz“: Romeo Bissuti

52   Workshop 5: Ältere Menschen
     Kleeblatt: Michaela Mayrhofer
     Zielgerichtete Bewegung und optimierte Ernährung bei Diabetes mellitus: Christian Lackinger

59   Workshop 6: Fonds Talk
     Treffen und Diskussion mit dem Team des Fonds Gesundes Österreich

     Herzlichst, dein Kreislauf: SOG.Theater

60   Kurze Lebensläufe
Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser!
Noch immer sterben in Österreich viel zu viele Menschen an Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems. Das müsste
nicht so sein, da die Mehrzahl der Erkrankungen durch einen gesunden Lebensstil vermieden werden könnte.

Zentrales Anliegen der 10. Österreichischen Präventionstagung „Gemeinsam gesund. Gesundheitsförderung fürs Herz.“
des Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) war es, jene gesundheitsfördernden Maßnahmen und Modelle aufzuzeigen,
die dazu beitragen, die Herz-Kreislauf-Gesundheit der österreichischen Bevölkerung zu verbessern. Prof. Dr. Anita
Rieder ging in ihrem Eröffnungsreferat auf die Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein und legte dar,
welche Schlussfolgerungen für die Prävention davon ableitbar sind. Prof. Dr. Ulla Walter präsentierte Strategien und
Handlungsansätze der Gesundheitsförderung und Primärprävention. Die Professoren Dr. Wolfgang Kallus und Dr.
Thomas Uhlig beleuchteten psychosoziale Risikofaktoren, insbesonders psychische und soziale Ursachen von Herz-
Beschwerden – darunter Stress, Arbeitsintensität, Handlungsspielraum und soziale Unterstützung. Prof. Dr. Christoph
Klotter ging der Frage nach, wie Menschen für ein gesünderes Leben motiviert werden können, und empfahl den
versammelten Gesundheitsexpert/innen, den Prozess zu begleiten, ohne Vorgaben und Vorschriften zu machen.

Viele Diskussionsbeiträge löste Carola Gold aus, die in ihrem Referat Maßnahmen zur Erreichung sozial benachteiligter
Zielgruppen vorstellte. Sie betonte die Notwendigkeit, settingorientierte Maßnahmen zu setzen und die Zielgruppe
aktiv mit einzubeziehen, um erfolgreich Maßnahmen der Gesundheitsförderung durchzuführen. Prof. Dr. Heike
Englert stellte das Programm CHIP – Coronary Health Improvement Project – aus den USA vor, das sich dort
als Interventionsprogramm sehr gut bewährt hat. Nicht zuletzt wurden in den Workshops viele Projekte für
unterschiedliche Zielgruppen vorgestellt und diskutiert.

Herz-Kreislauf-Gesundheit ist ein Schwerpunktthema des FGÖ. Wir bemühen uns, durch ein Bündel von Maßnahmen
günstige Rahmenbedingungen für erfolgreiche Projekte zu schaffen: Für Gemeinden wurde eine eigene Förderschiene
eingerichtet, in Kärnten und im Burgenland werden zwei umfassende Modellprojekte umgesetzt, die Kampagne „Mein
Herz und ich. Gemeinsam gesund.“ mobilisiert die Bevölkerung und kampagnenbegleitende Aktivitäten sorgen für
regionale Impulse.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Stärkung Ihrer eigenen Herz-Kreislauf-Gesundheit und Ihrer Arbeit in der
Gesundheitsförderung.

Mag. Christoph Hörhan                                                                             Maga. Rita Kichler
Leiter Fonds Gesundes Österreich                                                                 Gesundheitsreferentin

Tagungsband Gemeinsam gesund                                                                                         
Plenarvorträge

Warum Herz-(Kreislauf-)Gesundheit? Epidemiologie und Wege der Prävention
Anita Rieder

In der Prävention der Herz-Kreislauf-Erkrankungen wur-      Zusätzliche Lebenserwartung
den in den letzten Jahrzehnten entscheidende Fortschritte   Statistisch betrachtet sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen
gemacht. Dies schlägt sich zum Beispiel in niedrigeren      jene Todesursachen, deren „Ausschaltung“ am meisten
Sterberaten nieder. Doch: Es bleibt noch viel zu tun.       zusätzliche Lebenserwartung brächte. Konkret könnte
                                                            der Zugewinn laut Daten der Statistik Austria bei Frauen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren und sind eine der         6,4 Jahre und bei Männern 9,6 Jahre betragen.
größten Herausforderungen der Medizin und der Ge-
sellschaft. Dass Prävention wirkt, haben wir in den letz-   Regionale Unterschiede bei den Ursachen
ten Jahrzehnten eindeutig erfahren, doch die Wege, die      Es gilt also, die Ursachen dieser Erkrankungen zu be-
dabei zu gehen sind, erfordern immer neue Ansätze. So       kämpfen. Hier sollte man wissen, dass Epidemiolog/in-
wissen wir heute zum Beispiel, dass Einzelinitiativen       nen fünf (historische) Entwicklungsstadien der inner-
oft nicht die erhoffte Wirkung haben. Deutlich zeigt        halb der Bevölkerung eines Landes typischen Ursachen
sich dies an einer Kampagne des Jahres 1978, in deren       für Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterscheiden:
Rahmen Mediziner/innen quer durch Österreich ge-
schickt wurden, um den Menschen den Blutdruck zu            Im ersten Stadium ist rheumatisches Fieber als Auslö-
messen und sie diesbezüglich aufzuklären. Damals er-        ser von großer Bedeutung – eine Situation, die in un-
regte diese Aktion viel Aufmerksamkeit, aber durch die      serem geografischen Raum vor vielen Jahrzehnten ge-
Nachevaluierung bis 1998 können wir jetzt sagen, dass       geben war.
das Bewusstsein bald wieder gesunken war. Heute weiß
kaum jemand mehr von dieser Initiative. Entscheidend        Das zweite Stadium lässt sich dadurch definieren, dass
ist daher, umfassende Programme mit Nachhaltigkeit          zivilisationsbedingte Risikofaktoren wie Bluthochdruck
zu etablieren. Dies ist auch angesichts der zu erwar-       eine zunehmend größere Rolle als Auslöser für Herz-
tenden demographischen Entwicklung eine dringende           Kreislauf-Erkrankungen spielen. Diese Entwicklung ist
Notwendigkeit. Wir wissen, dass die Krankheiten des         derzeit vor allem in China sowie in anderen asiatischen
Herz-Kreislauf-Systems 43 Prozent aller Todesursachen       Ländern zu beobachten.
darstellen, und zwar vor allem die ischämische Herzer-
krankung, der Herzinfarkt und der Schlaganfall.             Im dritten Stadium führen fettreiche Ernährung, man-
                                                            gelnde Bewegung und Rauchen dazu, dass in zuneh-
Herz-Kreislauf-Erkrankungen                                 mendem Ausmaß auch jüngere Menschen betroffen sind
sind systemische Erkrankungen                               – so zu sehen derzeit in Russland bzw. generell osteu-
Eine Herz-Kreislauf-Erkrankung ist nicht nur eine Er-       ropäischen Ländern, in Lateinamerika und in den Städ-
krankung der Herzkranzgefäße, der Gehirngefäße oder         ten Indiens.
der Extremitäten, sondern der Grossteil dieser Erkran-
kungen beruht auf atherosklerotischen Veränderungen.        Im vierten Stadium erfolgen Diagnostik und Therapie
Es sind daher systemische Erkrankungen, bei denen           auf hohem Niveau und es wird bereits Prävention be-
meist mehrere Körperregionen betroffen sind, was            trieben. Dadurch sind Fortschritte zu verzeichnen, und
auch bedeutet, dass ihnen therapeutisch nicht so ein-       Herz-Kreislauf-Erkrankungen treten relativ häufig erst
fach beizukommen ist. Entsprechende Untersuchungen          in höherem Alter auf, wie derzeit in Westeuropa, Nor-
zeigen, dass wenn jemand etwa einen Herzinfarkt erlei-      damerika, Neuseeland und Australien.
det, meist bereits andere Herzerkrankungen bestehen,
das heißt, dass die meisten Patient/innen, die aufgrund     Das fünfte Stadium schließlich stellt einen Rückfall
eines einzelnen koronaren Ereignisses hospitalisiert wer-   in frühere Stadien dar, währenddessen das dritte und
den, schon vorbelastet sind.                                vierte Stadium erhalten bleiben.

                                                                                            Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge

Dazu zu bemerken ist, dass sich häufig – wie auch in Ös-     wissen, dass sie sehr wirksam ist. In diesem Zusam-
terreich – unterschiedliche Gruppen der Bevölkerung in       menhang gilt es, besonders benachteiligten Commu-
unterschiedlichen Stadien befinden.                          nities zu erreichen, speziell Migrant/innen und är-
                                                             mere Bevölkerungsschichten. Denn während besser
Sterblichkeitsraten sind deutlich gesunken                   gebildete und sozial besser gestellte Menschen zu-
Tatsächlich sehen wir, dass die Sterblichkeitsraten für      nehmend auf gesündere Lebensweise setzen, scheint
kardiovaskuläre Erkrankungen in den meisten Ländern          dies unter den genannten Bevölkerungsgruppen häu-
in den vergangenen 30 Jahren um 24 bis 28 Prozent zu-        fig kein Thema zu sein. Aus dem letzten Gesundheits-
rückgegangen sind. 45 Prozent des Rückgangs sind auf         survey wissen wir, dass je gebildeter ein Mensch ist,
Verbesserungen in der Therapie und 55 Prozent auf die        desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit für unge-
Reduktion von Risikofaktoren zurückzuführen. Letzte-         sundes Verhalten.
res betrifft vor allem die Behandlung von Bluthochdruck
und Rückgänge beim Rauchen. Allerdings sind in letz-         Eine weitere Bevölkerungsgruppe, in der präventiv ge-
ter Zeit die Verringerungen im Wesentlichen durch bes-       sehen großer Nachholbedarf herrscht, sind die Jugend-
sere medikamentöse Therapien und weniger durch ge-           lichen. So hat etwa die letzte Jugendstudie gezeigt, dass
eignete Präventionsmaßnahmen bedingt.                        schon Österreichs Kinder sehr gefährdet sind, später im
                                                             Leben Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Er-
Im internationalen Vergleich liegt Österreich hinsichtlich   schreckend viele leiden an Übergewicht und Diabetes.
der Sterblichkeitsraten durch Herz-Kreislauf-Erkran-         Auch auf die Frauen ist vermehrt das Augenmerk zu
kungen zwar hinter Russland, Ungarn, Finnland, Grie-         richten. Die höhere Betroffenheit von Männern durch
chenland, USA, Deutschland und Schweden, doch deut-          Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist zwar belegt, doch
lich vor Spanien und Japan. Die Russische Föderation         ebenso belegt ist der Inzidenzanstieg bei Frauen im spä-
liegt mit 1.500 Herz-Kreislauf-Toten pro 100.000 Ein-        teren Lebensalter. Das Lifetime-Risko der koronaren
wohner/innen und Jahr an der Spitze. In den USA sind         Herz-Erkrankung liegt bei den 40jährigen für Frauen
es 289 Opfer, in Österreich 226 und in Japan 170.            bei 32 Prozent und für Männer bei 49 Prozent, bei den
Die Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit wie        70jährigen für Frauen bei 24 Prozent und für Männer
Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck steigen durch         bei 35 Prozent. Der Inzidenzanstieg bei Frauen ist zehn
die demographische Entwicklung und den allseits herr-        Jahre später als bei Männern zu verzeichnen, und es
schenden ungesunden Lebensstil allerdings wieder an.         findet sich postmenopausal eine dreifach höhere Mor-
                                                             biditätsrate im Vergleich zu gleichaltrigen prämenopau-
Die wichtigsten Risikofaktoren                               salen Frauen.
und benachteiligte Gruppen
Vom kanadischen Epidemiologen Salim Yusuf wurde              Zu berücksichtigen ist, dass diese Fakten den Frauen
aus den Daten der Interheart Study ermittelt, dass erst-     weitgehend noch nicht bewusst sind. Zudem verzeich-
malig auftretende Herzinfarkte zu 90 Prozent auf po-         nen wir beim weiblichen Geschlecht einen Inzidenzan-
tenziell beeinflussbare Risikofaktoren zurückzuführen        stieg für den plötzlichen Herztod. In Summe gesehen
sind. Dabei handelt es sich um Rauchen, Fettstoffwech-       sind Frauen im Erstereignis wesentlich häufiger von den
selstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht,          „stillen“ Formen der Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie
psychosoziale Faktoren, mangelnden Konsum von Obst           der Angina pectoris betroffen. Wir wissen, dass diese
und Gemüse, regelmäßigen Alkoholkonsum und man-              Erkrankung häufig lange nicht als solche erkannt wird.
gelnde körperliche Bewegung. Für Österreich gilt, dass       Ein weiteres spezifisch weibliches Problem hinsichtlich
Rauchen, Alkohol und hoher Blutdruck an der Spitze           Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist: Werden Frauen auf-
der schädlichen Einflüsse für die Herzgesundheit der         grund eines koronaren Ereignisses hospitalisiert, so ver-
Bevölkerung liegen.                                          weilen sie dort – insbesondere im höheren Lebensalter
                                                             – durchschnittlich länger als Männer. Dies liegt mitun-
Es geht also um Risikofaktoren, die, wie wir wissen,         ter an häufig fehlenden Betreuungsmöglichkeiten im
ein Fall für Primärprävention sind, von der wir ebenso       häuslichen Umfeld.

Tagungsband Gemeinsam gesund                                                                                        
Plenarvorträge

Noch nicht beeinflussbare                                 Herzgesundheit –
Risikofaktoren und Primärprävention
                                                          die wichtigsten Fakten
Dieses Faktum verweist auch auf weitere Risikofak-
toren: Obwohl auch Gender-Faktoren im Geschehen der       Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in den westlichen In-
koronaren Hererkrankung eine Rolle spielen, wissen wir    dustrieländern für 45 Prozent der Gesamtsterblichkeit
ebenso um das Vorhandensein von Risikofaktoren, die       verantwortlich.
Umwelt oder Genetik betreffen – Gebiete, auf denen un-
                                                          Die Sterblichkeitsraten für kardiovaskuläre Erkrankungen
ser Wissen noch äußerst begrenzt ist und die es in Zu-
                                                          sind in den meisten Ländern in den vergangenen 30 Jah-
kunft vermehrt zu beachten gilt.                          ren um 24 bis 28 Prozent gesunken.

Insbesondere sollten die psychosozialen Komponenten,      45 Prozent des Rückgangs sind auf Verbesserungen in
die bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle spielen,   der Therapie und 55 Prozent auf die Reduktion von Risi-
deutlicher ins Zentrum des Interesses gerückt werden.     kofaktoren zurückzuführen – vor allem auf die Behand-
                                                          lung von Bluthochdruck und Rückgange beim Rauchen.
Wir wissen heute, dass das Risikofaktorkonzept Gül-
                                                          In letzter Zeit sind die Verringerungen jedoch im Wesent-
tigkeit hat und dass vor allem Primärprävention wirkt.    lichen durch bessere medikamentöse Therapien und we-
Sie hat einen sichtlich höheren Anteil am Rückgang von    niger durch geeignete Präventionsmaßnahmen bedingt.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen als die Sekundärpräven-
tion, und sie macht auch Sinn bei Personen, die bereits   Die Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit wie
in einem höheren Lebensalter stehen, wenn sie gesund      Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck sind durch
                                                          die demographische Entwicklung und den allseits herr-
sind: Auch bei 70- bis 90jährigen gesunden Menschen
                                                          schenden ungesunden Lebensstil wieder im Ansteigen.
zeigt sich eindeutig, dass die Wahrscheinlichkeit des
Überlebens größer ist, je weniger Risikofaktoren eine     Auf die Prävention ist besonderes Augenmerk zu legen.
Rolle spielen.                                            Die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen können durch
                                                          einfache Veränderungen des Lebensstils wie gesunde Er-
Am Beispiel Finnland bzw. der finnischen Region Nord-     nährung, Sport und Nichtrauchen verhindert oder zumin-
                                                          dest hinausgezögert werden.
karelien kann beispielhaft aufgezeigt werden, wie stark
ein gesünderer Lebensstil wirkt: Im ganzen Land sank      In der Interheart-Studie wurde unter anderem ermittelt,
zwischen 1970 und 2002 durch entsprechende Pro-           dass erstmalig auftretende Herzinfarkte zu 90 Prozent
gramme die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit um etwas mehr     auf neun potentiell beeinflussbare Risikofaktoren zurück-
als 70 Prozent, in Nordkarelien sogar um rund 85 Pro-     zuführen sind. Dabei handelt es sich um Rauchen, Fett-
zent. Dort hatte man wegen einer ehemals erschreckend     stoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, Über-
                                                          gewicht, psychosoziale Faktoren, mangelnden Konsum
hohen Herz-Kreislauf-Sterblichkeit intensive Aufklä-
                                                          von Obst und Gemüse, regelmäßigen Alkoholkonsum und
rungs-, Lebensstil- und Behandlungsprogramme rea-         mangelnde körperliche Bewegung.
lisiert.

                                                                                            Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge

      Strategien und Handlungsansätze der Gesundheitsförderung und
      Primärprävention im Hinblick auf Herz-Gesundheit unter besonderer
      Berücksichtigung von Bewegung
      Ulla Walter

      Einleitung                                                           berücksichtigt werden. Ansätze auf Individual- sowie
      Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die insgesamt              Bevölkerungsebene, im Setting und bei Risikogruppen
      eine überwältigende Evidenz des Einflusses verhaltenbe-              sind sinnvoll miteinander zu kombinieren unter Beach-
      zogener Faktoren bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-              tung der Empfehlungen der Ottawa-Charta. Diese be-
      Erkrankungen zeigen. Jüngst wies z.B. die EPIC (Euro-                inhalten die Stärkung der Kompetenzentwicklung, die
      pean Prospective Investigation of Cancer)-Norfolk-Studie             Förderung von Aktivitäten auf Gemeindeebene und eine
      auf die hohe Relevanz von Rauchen, körperlicher Inak-                vermehrte Intersektoralität (siehe Abb. 1). Diesen um-
      tivität, übermäßigem Alkoholkonsum sowie geringem                    fassenden Konzepten stehen in der Praxis allerdings
      Obst- und Gemüseverzehr hin (Khaw et al. 2008).                      vielfach Modelle mit singulären Ansätzen gegenüber.
                                                                           Ebenso weisen Studien mit hoher methodischer Qua-
        Entsprechend diesen Ergebnissen aus epidemiologischen              lität oft vergleichsweise einfache Interventionen auf.
        Studien empfiehlt z.B. die American Heart Association              Nachfolgend werden ausgewählte teilpopulations- und
        (Mosca et al. 2004, Pearson et al. 2002) den reichlichen           individualbezogene Ansätze insbesondere für den Be-
        Konsum von Obst und Gemüse, den Verzehr von Voll-                  reich Bewegung exemplarisch dargestellt.
        kornprodukten, Fisch, fettarmer Milch und fettarmen
        Fleischprodukten sowie eine maßvolle Aufnahme al-
        koholischer Getränke. Gesättigte Fettsäuren sollten we-
        niger als 10 Prozent des zu deckenden Kalorienbedarfs
        ausmachen. Die tägliche Aufnahme von Cholesterin
        sollte 300 mg, von Salz 6 g nicht überschreiten. We-
        sentlich ist regelmäßige Bewegung, mindestens 30 Mi-
        nuten täglich. Ältere Erwachsene, deren Organismus
        ebenfalls empfänglich für körperliches Training ist (Vo-
        elker-Rehage et al. 2006), sollten auf demselben Level
        aktiv sein wie jüngere Erwachsene (Lan et al. 2006).
        Anzustreben ist ein Minimum an Bewegungsaktivität
StŠrkungmit   einem Energieverbrauch von 1000 kcal pro Woche,
         der Community-AktivitŠten
        was ca. zwei bis drei Stunden Walking entspricht. Zur
        Primärprävention
Gestaltung gesundheitsfšrderlicher arteriosklerotischer kardiovaskulärer
        Erkrankungen im Kindesalter werden mindestens eine                 Abbildung 1: Strategien zur Förderung der Herz-Gesundheit (nach Flynn et al. 2006)
        Stunde pro Tag moderate bis intensive körperliche Ak-
        tivität und eine Begrenzung der sitzenden Tätigkeiten,             Lebensstilfaktoren
        insbesondere des Fernsehkonsums, auf maximal zwei                  Lebensstilfaktoren im frühen Kindesalter haben einen
        Stunden pro Tag empfohlen (Kavey et al. 2003).                     signifikanten Einfluss auf die spätere Lebensqualität.
                                                                           Der Zusammenhang zwischen dem bereits im Alter von
      Bei der Konzeption von gender-, alters- und kultur-                  drei Jahren bestehenden, noch stark vom familiären
      sensiblen Präventionsmaßnahmen zur Förderung von                     Umfeld geprägten Entwicklungsprozess und der gesund-
      Herz-Kreislauf-Gesundheit sollten die bekannten Ein-                 heitsbezogenen Lebensqualität im Alter ist als impuls-
      flussfaktoren wie sozioökonomischer Status, Arbeits-                 gebend und richtungweisend für zukünftige Präventi-
      bedingungen und gesunde Entwicklung in der Kindheit                  onsansätze zu sehen.

      Tagungsband Gemeinsam gesund                                                                                                                              
Plenarvorträge

So zeigen in der Kindheit entwickelte Verhaltensmuster     tivität bei Personen mit einer negativen Sicht auf das
hinsichtlich Ernährung und Bewegung eine Persistenz        Älterwerden deutlich geringer als bei Personen mit einer
im Lebenslauf (Kelder et al. 1994, Telema et al. 2005).    positiven Sichtweise (Tesch-Römer et al. 2006).
Kindliche Adipositas ist ein Prädiktor für Adipositas im
Erwachsenenalter (Whitaker et al. 1997). Zudem ist ein     Lebensraum Kindergarten
erhöhter BMI in der Kindheit und frühen Jugend asso-       Zur Erfassung der präventiven und gesundheitsför-
ziiert mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Er-   dernden Maßnahmen im Bereich Kindergarten wurden
krankungen im Erwachsenenalter (Baker et al. 2007).        in Deutschland von 2005 bis 2006 erstmals 643 Kitas
Die Framingham-Studie weist in einer Längsschnitta-        (Nettostichprobe) befragt. An 32 Kitas erfolgte eine ver-
nalyse von 1991 bis 2002 den großen Einfluss des so-       tiefende Analyse der präventiven Versorgungsqualität
zialen Netzes nach. So liegt die Wahrscheinlichkeit der    (Kliche et al. 2008). In fast allen Kitas stellt Bewegung
Entwicklung einer Adipositas bei 57 Prozent, wenn be-      mit 97 Prozent die häufigste laufende Aktion dar, für
reits die Freund/innen übergewichtig sind.                 27 Prozent ist Bewegung zudem ein grundlegendes Ar-
                                                           beitskonzept. Zwei Drittel der befragten Einrichtungen
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen         führen Projekte zur Prävention und Gesundheitsförde-
elterlicher Unterstützung bei der Wahl und Aufrecht-       rung durch. Mit über einem Drittel sind Angebote zur
erhaltung der körperlich-sportlichen Aktivität und dem     Ernährung mit Abstand auf dem ersten Platz, gefolgt
Bewegungsverhalten des Kindes. Als förderlich erwei-       von Angeboten zur Bewegung. Insgesamt werden mehr
sen sich der Transport zum Ort bewegungsbezogener          gesundheitsfördernde Aktivitäten angeboten, je größer
Aktivitäten, das Beobachten des Kindes bei diesen Ak-      die Einrichtung ist. Die Analyse von Zielgruppen und
tivitäten und die Unterstützung des Kindes bei der Aus-    Arbeitsformen präventiver Projekte in den Kindertages-
wahl einer Aktivität. Für eine erfolgreiche Aufnahme       stätten zeigt, dass sich die weitaus größere Zahl von 86
und Beibehaltung von Bewegungsangeboten bei Kin-           Prozent an die Kinder richtet, 45 Prozent beziehen die
dern und Jugendlichen spielt die körperlich-sportliche     Familien ein. Lediglich 5 Prozent erfolgen unter Einbe-
Aktivität der Eltern eine untergeordnete Rolle: Eltern,    zug des Stadtteils. Gut die Hälfte führt ein strukturier-
die selber nicht körperlich-sportlich aktiv sind, können   tes Programm durch, wobei der Umfang von wenigen
durchaus ihre Kinder zur sportlichen Aktivität motivie-    Stunden bis zu mehreren Monaten reicht. 43 Prozent
ren und bei ihrer Aufrechterhaltung unterstützen. Einen    beziehen externe Fachkräfte mit ein. Der Schwerpunkt
positiven Effekt haben dabei Interventionen, wenn El-      liegt damit auf individuell pädagogischen Ansätzen. Für
tern, Erziehern und Lehrern die Relevanz und positiven     komplexe Strategien unter Einbezug der Familie und des
Effekte von körperlich-sportlichen Aktivität vermittelt    Wohnumfeldes fehlen den Kindertagesstätten meist die
werden (Ritchie et al. 2006). Um eine nachhaltige Wir-     Vorraussetzungen. Nicht erkennbar ist ein Zusammen-
kung auf das Bewegungsverhalten zu erzielen, sollten       hang zwischen den Angeboten und der sozialen Lage
Interventionen auf familiärer und institutioneller Ebene   im Einzugsgebiet.
(z.B. Kindertagesstätten, Schule, Verein) frühzeitig an-
setzen und vernetzt werden. Als besonders effektiv ha-     Wesentlich für die Wirksamkeit präventiver Maßnah-
ben sich hierbei multimodale Interventionen erwiesen.      men sind Zielgruppenorientierung und eine gute the-
                                                           oretische Fundierung. Erforderlich ist somit eine gute
Dass Prävention nicht nur in der ersten Lebensphase,       Konzeptqualität, die sich an Bedarf, Zielsetzung, Ziel-
sondern selbst im höheren Alter wirksam ist, wird zu-      gruppenorientierung und fachlicher Fundierung ausrich-
nehmend in wissenschaftlichen Studien aufgezeigt.          tet. Daneben sind die Rahmenbedingungen, die Qualifi-
Auch hierbei ist ein wesentliches Element Bewegung.        kation der Mitarbeiter/innen und die Zusammenarbeit
Allerdings können negative Sichtweisen auf das Altern      mit Angehörigen zu berücksichtigen (Planungsquali-
sowohl bei Professionellen (Walter et al. 2006) als auch   tät). Ebenso entscheidend sind eine adäquate Vorberei-
bei den Älteren selbst die Umsetzung präventiver Maß-      tung und Vermittlung der Maßnahmen unter Nutzung
nahmen erschweren oder gar verhindern. So ist – un-        von zielgruppenorientierten Methoden und Medien,
abhängig vom Gesundheitszustand – die Bewegungsak-         eine schrittweise flexible prozessorientierte Umset-

                                                                                            Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge

zung sowie eine realistische und empirische Bewertung       richt in Deutschland)-Studie des Deutschen Sportbundes
des Erfolges. Nicht zuletzt sollten im Sinne einer Quali-   (2005) hin. Das an deutschen Grundschulen vorhandene
tätsentwicklung die Erfahrungen reflektiert und in län-     Klassenprinzip mit oft nicht in Sport ausgebildeten Lehr-
gerfristige Verbesserungen umgesetzt werden (Kliche et      personen führt zu einem deutlichen Qualitätsdefizit.
al. 2007). Eine Analyse der Qualität präventiver Maß-       Dies wird besonders kritisch beurteilt, da nur mit hinrei-
nahmen in Kindergärten deutet auf erhebliche Verbes-        chender Qualifikation entwicklungsgemäße Inhalte ge-
serungsmöglichkeiten präventiver Aktivitäten hin. Nach      zielt zur Förderung der Motorik von Kindern eingesetzt
Kliche et al. (2008) liegen die Stärken am ehesten in der   werden können. Hinzu kommen in der Regel zu geringe
Erstellung von Konzepten und der Verfügbarkeit quali-       Vorgaben für Sportunterricht durch die Rahmenricht-
fizierten Personals. Deutliche Schwächen zeigen sich in     linien. Bemängelt wird zudem die Diskrepanz zwischen
der Vorbereitung und Planung sowie in der Verlaufsge-       schulischem Angebot und den Wünschen der Schüler/
staltung und der Erfolgskontrolle. Die Autor/innen zie-     innen, die den Sportunterricht als zu wenig abwechs-
hen den Schluss, dass durch eine intensivierte und op-      lungsreich, nicht anstrengend genug und nicht anfor-
timierte Gesundheitsförderung und Prävention in den         derungsreich erleben.
Kitas ihre Wirksamkeit deutlich erhöht und verhaltens-
bezogenen Aspekten im Vergleich zu den eher weni-           Vor dem Hintergrund einer Studie von Thomas et al.
ger beeinflussbaren Umfeld- und Rahmenbedingungen           (2004) erscheinen die Ergebnisse besonders gravierend.
mehr Gewicht verliehen werden könnte.                       Danach hängt der Umfang der körperlichen Aktivität
                                                            von Jugendlichen von der Qualifikation der Lehrer/in-
Lebensraum Schule                                           nen ab. So führen für spezielle Sportarten ausgebildete
Der Lebensraum Schule bietet zahlreiche Ansatzpunkte        Lehrpersonen, die Schüler/innen Freude an der Bewe-
zur Förderung der Bewegung: (1) als curricularer Be-        gung vermitteln können, diese zu höherer sportlicher
standteil des Unterrichts, z.B. die tägliche Sportstunde,   Aktivität als traditionell Ausgebildete.
(2) in der Förderung der Schule als Bewegungsraum,
z.B. das Konzept „Bewegte Schule“ (Zimmer und Hun-          Ein Projekt, das versucht, diese Qualitätsmängel zu op-
ger 2004, Städtler 2005) und (3) die Öffnung der Schule     timieren, ist „fit für pisa“, bei dem in fünf Göttinger
für sportbezogene Angebote in der Freizeit. Sportan-        Grundschulen seit 2003 die obligatorischen zwei Sport-
gebote der Schulen über den Unterricht hinaus sind in-      stunden pro Woche durch drei weitere qualitätsge-
zwischen weit verbreitet. Fast jede zweite Schule koo-      sicherte Sportstunden ergänzt werden. Der Sportun-
periert im Bereich des Schulsports mit einem externen       terricht ist dabei curricular strukturiert, standardisiert
Partner (Deutscher Sportbund 2005).                         und wird von speziell geschulten Übungsleiter/innen
                                                            des ortsansässigen Sportvereins (Allgemeiner Sport-
Als curricularer Bestandteil, außerunterrichtliches         club Göttingen von 1846 e.V.) durchgeführt. Eine be-
und organisatorisches Element wird Bewegung u.a.            gleitende, vom Bundesforschungsministerium 2007 bis
im Konzept der bewegungsfreudigen Schule aufge-             2009 geförderte Evaluation wird im Längs- und Quer-
griffen (Kottmann et al. 2005). Einige Programme, wie       schnittsdesign Aufschluss über die Wirksamkeit und
das seit 2001 im Raum Köln an Grundschulen laufende         Kostenwirksamkeit täglichen Schulsports in Hinblick
CHILT (Children’s Health InterventionaL Trial)-Pro-         auf die motorische Entwicklung, körperliche Aktivität,
jekt, verbinden wöchentlichen Gesundheitsunterricht,        Lebensqualität, Gewalt, Aufmerksamkeit und Konzent-
tägliche aktive Pausen und Bewegungspausen, die Er-         ration geben (Liersch et al. 2008a). Erste Ergebnisse der
stellung von Stundenbildern für den Sportunterricht         vierten Klasse zeigen, dass täglicher Schulsport signi-
mit einer Identifikation von adipösen und motorisch         fikant das Interesse an Sport besonders von sozial be-
auffälligen Risikokindern und ihrer gezielten Betreu-       nachteiligten Kindern steigert. Zudem ist in der Inter-
ung (Graf 2003).                                            ventionsgruppe ein verminderter Fernsehkonsum zu
                                                            verzeichnen sowie bei Jungen mit niedrigerem Sozial-
Auf eine besondere Problematik im Grundschulbereich         status eine geringe Nutzung von Spielkonsolen (Liersch
an deutschen Schulen weist die SPRINT (Sportunter-          et al. 2008b).

Tagungsband Gemeinsam gesund                                                                                        
Plenarvorträge

Optimierung der Rahmenbedingungen                            gte. Das Projekt beinhaltet eine Ansprache in Lebens-
Zentral für die Förderung körperlicher Aktivität ist eine    welten über die Einbindung von Multiplikator/innen,
bewegungsanregende Umgebung. Als konsistente Prä-            das Erreichen bestehender Netzwerke und den Aufbau
diktoren für körperliche Aktivität bei Kindern und Ju-       neuer Netzwerke, die Initiierung von Gemeinschaftsak-
gendlichen erwiesen sich ein barrierefreier Zugang zu        tionen und die Einbindung relevanter Entscheidungs-
Sporteinrichtungen sowie Möglichkeiten sportlich ak-         träger/innen auf kommunaler Ebene. Evaluationser-
tiv zu sein wie sichere Fahrrad- und Fußwege sowie           gebnisse dieses lebensweltbasierten Ansatzes werden
Spielplätze (Popkin et al. 2005). Ein Projekt, das Bewe-     in Kürze vorliegen.
gung im Alter bei Kindern aufgreift, ist das CDC (Centers
for Disease Control and Prevention)-Programm „Kids           Zur Verbesserung der Angebotsstruktur, zur Erleich-
walk to school“. Die weltweite Kampagne „I walk to           terung von Ernährungsentscheidungen („to make the
school“ schließt u.a. Haltestellenplakate für gemein-        healthier choice the easier choice“, Ottawa Charta 1986)
same Treffpunkte für Kinder, Seniorenlotsen, Schul-          sowie zur Verstärkung der Nachfrage nach gesunden
weg-Pässe und Elternautohaltestellen ein. Nach einer         Produkten trägt auch das Labeling von Lebensmit-
britische Studie zeigt sich insbesondere bei Jungen, die     teln bei. Beispielhaft soll die seit 2000 von der Finnish
zu Fuß zur Schule gehen, eine vermehrte körperliche          Heart Association sowie der Finnish Diabetes Associa-
Aktivität (Cooper et al. 2003).                              tion mit Unterstützung des Ministry for Social Affairs
                                                             and Health durchgeführten Zertifizierung von Lebens-
Was für Kinder und Jugendliche gilt, gilt auch für Erwach-   mitteln zur Förderung der Herz-Kreislauf-Gesundheit
sene im mittleren und höheren Lebensalter. Auch hier         genannt werden. Die bis Mitte 2008 270 Produkte um-
sind bewegungsfreundliche und anregende Lebenswelten         fassende Bewertung schließt sowohl die Quantität als
zur Steigerung der körperlichen Aktivität erforderlich.      auch die Qualität von Fetten sowie den Salz-, Choles-
Eine bewegungsanimierende Architektur und verkehrs-          terin-, Zucker- und Ballaststoffgehalt ein. Die u.a. über
sichere Gemeinden sind vor allem für Ältere wichtig, de-     Radio, Fernsehen, Zeitungen und in Geschäften kom-
ren Lebensraum sich zunehmend einschränkt. Inwieweit         munizierte Kampagne wurde zudem auf die Bewertung
die aus China stammende und über Spanien importierte         von Mahlzeiten sowie Essenskomponenten in Restau-
Idee von Fitnessgeräten zum spielerischen Training im        rants und Kantinen ausgedehnt. Eine erste Erhebung
Freien auch in Mitteleuropa umgesetzt und angenommen         2007 weist mit 84 Prozent einen hohen Bekanntheits-
wird, bleibt abzuwarten. Die Wahrnehmung der Kommu-          grad des verwendeten Symbols aus, das bei 46 Prozent
nen von Prävention und Gesundheitsförderung als ihre         der Befragten die Auswahl der Produkte beeinflusst
Aufgabe ist bislang eher gering ausgeprägt. So zeigt eine    (Lahti-Koski et al. 2008).
Untersuchung in Deutschland bei 328 Städten und Ge-
meinden, dass 31 Prozent seniorenbezogene Sport- und         Zugangsweg Arzt
Bewegungsförderung als weniger wichtig oder sogar un-        Aufgrund der hohen Wertschätzung einer ärztlichen
wichtig einschätzen (BZgA 2007).                             Empfehlung in der Bevölkerung und ihres häufigen
                                                             Arztkontakts (über 90 Prozent der Bevölkerung gehen
Dabei ist gerade bei sozial Benachteiligten ein nieder-      mindestens einmal pro Jahr zum Arzt/zur Ärztin), stellt
schwelliger, wohnortnaher und zielgruppenorientierter        der Zugang über Ärzt/innen prinzipiell eine gute Adres-
Zugang zu Bewegungsmöglichkeiten erforderlich. Hierzu        sierung von präventiven Maßnahmen dar. Allerdings
zählen besondere Badezeiten für Frauen, die eine ver-        erfolgt bislang die Prävention unsystematisch und zum
mehrte Inanspruchnahme z.B. von Musliminnen ermög-           Teil selektiv nur für Präventionswillige. Dabei sind prin-
lichen. Dies zeigt das vom Bundesforschungsministerium       zipiell Instrumente zur kontinuierlichen zielgruppenori-
(2005 bis 2007) geförderte und inzwischen deutschland-       entierten Beratung vorhanden (PACE: Physician based
weite BIG (Bewegung als Investition in Gesundheit)-          Assessment and Councelling for Exercise). Ein u.a. in
Projekt (Rütten et al. 2008). Zielgruppen sind Frauen in     Schweden, Österreich und Deutschland (Berlin) zumin-
schwierigen Lebenslagen – Alleinerziehende, Frauen mit       dest teilweise modellhaft verfolgter Ansatz ist die Ver-
Migrationshintergrund und sonstige sozial Benachteili-       schreibung von Bewegung auf Rezept. Eine klinische,

                                                                                               Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge

kontrollgruppenfreie Studie aus Schweden von 2001 bis
                                                                                   Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.
2003 weist auf eine Zunahme der körperlichen Aktivität                             Lan TY, Chang HY, Tong-Yuan T (2006). Relationship between compo-
und Lebensqualität hin (Kallings et al. 2008).                                     nents of leisure physical activity and mortality in Taiwanese older adults.
                                                                                   Preventive Medicine 43 (1): 36–41.
                                                                                   Mosca L, Banka CL, Banjamin EJ et al. (2007). Evidence-Based Guide-
Fazit                                                                              lines for Cardiovascular Disease Prevention in Women: 2007 Uptake.
Zur Förderung der Herz-Gesundheit liegen zahlreiche                                JACC 49 (11): 1230–50.
                                                                                   Lahti-Koski M, Olli M, Pusa T, Koivisto P (2008). Heart symbol for meals
Ansätze vor, die sowohl im Setting als auch auf Bevöl-                             – a tool for promoting a healthier lunch. 16th European conference on
kerungsebene und bei Risikogruppen ansetzen. We-                                   public health (EUPHA) “I-health: Health and innovation in Europe”. Eu-
                                                                                   ropean Journal of Public Health 18 (Suppl 1): 69–70.
sentlich für ihre nachhaltige Wirksamkeit sind nicht                               Liersch S, Henze V, Krauth C, Mayr E, Röbl M, Schnitzerling J, Suer-
nur ein intersektoral abgestimmtes Vorgehen, sondern                               mann T, Walter U (2008a). Täglicher Schulsport in der Grundschule –
auch langfristige Interventionen, die oft über kurzfris-                           das Projekt „fit für pisa“. In: Knoll M, Woll A (Hrsg.). Sport und Ge-
                                                                                   sundheit in der Lebensspanne. Jahrestagung der dvs-Kommission
tige Modellprojekte hinausgehen.                                                   Gesundheit vom 10.–11. April 2008 in Bad Schönborn. Schriften der
                                                                                   Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft. Czwalina Verlag, Ham-
                                                                                   burg: 209–214.
                                                                                   Liersch S, Bisson S, Henze V, Röbl M, Krauth C, Walter U (2008b). Effects
                                                                                   of daily physical education during four years at primary schools on gene-
  Literatur:                                                                       ral physical activity of children in everyday life – project: “fit for pisa”. 16th
  Baker JL, Olsen LW, Sorensen TIA (2007). Childhood Body-Mass Index               European conference on public health“ (EUPHA) “I-health: Health and
  and the Risk of Coronary Heart Disease in Adulthood. N Engl J Med 357            innovation in Europe”. European Journal of Public Health 18 (Suppl. 1): 50.
  (23): 2329–37.                                                                   Pearson T, Blair SN, Daniels et al. (2002). AHA Guidelines for Primary Pre-
  BZgA (2007). Seniorenbezogene Gesundheitsförderung und Prävention                vention of Cardiovascular Disease and Stroke: 2002 Uptake. Circulation
  auf kommunaler Ebene – eine Bestandsaufnahme. Schriftenreihe, Band               106: 388–391.
  33. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln.                         Popkin BM, Duffey K, Gordon-Larsen, P (2005). Environmental influences
  Cooper AR, Page AS, Foster LJ, Qahwaji D (2003). Commuting to school.            on food choice, physical activity and energy balance. Physiology and Be-
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  Deutscher Sportbund. Kurzfassung der DSB-Sprint-Studie. Eine Untersu-            the American Dietetic Association: Individual-, family-, school-, and com-
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Tagungsband Gemeinsam gesund                                                                                                                                            
Plenarvorträge

Kardiovaskuläre Prävention: Psychologie und Medizin im Dialog
über psychosoziale Risikofaktoren und evidenzbasierte Ansätze

Wolfgang Kallus und Thomas Uhlig

Der Beitrag gibt einen Überblick über Ansätze psychoso-    eindrucksvoller Weise untermauert werden. Dominante
zialer Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.     Tiere in stabilen Tierkolonien weisen im Unterschied zu
Im Rahmen eines Stress-Regenerations-Modells lassen        experimentell destabilisierten Tierkolonien ein deutlich
sich sowohl die klassischen Ansätze wie auch moderne,      erhöhtes Risiko für Bluthochdruck und Arteriosklerose
an biochemischen Risikofaktoren orientierte Ansätze        auf. Damit scheint „sozialer Stress“, Ärger und Hostilität
aus medizinischen Risikostudien integrieren. Erst die      auf ein problematisches Risikomuster hinzudeuten.
prozessorientierte Herangehensweise erlaubt zu erklä-
ren, dass psychosoziale Risikofaktoren nicht nur zu ei-    Aus arbeitspsychologischer Sicht besonders wichtige
ner Schwächung des Individuums, sondern bei entspre-       Beiträge sind das demand-control-Modell von Karasek
chenden Bedingungen zu einer Stärkung/Anpassung            (1979) bzw. Karasek und Theorell (1990), das Modell der
führen können.                                             Gratifikationskrisen (effort-reward imbalance model,
                                                           Siegrist 2002) und das Total-Workload-Modell (Fran-
Seit den 1950er Jahren bemüht sich die Psychologie Ri-     kenhaueser et al. 1989, Lundberg und Frankenhaeuser
siokofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen insbe-      1999). In diesen Studien bestätigt sich als zentraler Fak-
sondere für essentielle Hypertonie und koronare Herz-      tor neben der sozialen Unterstützung auch die Notwen-
krankheit zu identifizieren. Dazu wurden zunächst          digkeit, zwischen Beanspruchung und Ressourcen eine
querschnittliche und längsschittliche epidemiologische     angemessene Balance zu finden. Empirische Untersu-
Ansätze verwendet. Diese wurden für einen Teil der         chungsbeispiele zur Bedeutung dieser Balance werden
identifizierten Risikofaktoren durch experimentelle Ar-    zur Diskussion gestellt.
beiten zur Klärung der Kausalität der psychosozialen
Faktoren ergänzt. Während der Versuch, allein durch        Aus medizinischer Sicht gelten hinsichtlich der Entste-
die Anzahl kritischer Lebensereignisse kardiovaskuläre     hung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowohl soziode-
Mortalität oder das Entstehen von Bluthochdruck vor-       mographische Aspekte (männliches Geschlecht, höheres
herzusagen, wenig erfolgreich endete, führten Arbeiten     Alter) als auch genetische Aspekte (familiäre Belastung),
zu individuellen Verhaltensmustern und personenbezo-       Lebensgewohnheiten (Rauchen) und allgemein soma-
genen Risikofaktoren zumindest zu gut replizierbaren       tische Aspekte (Hyperlipoproteinämie, Diabetes melli-
Ergebnissen. Neben der kardiovaskulären Reaktivität,       tus) als etablierte Risikofaktoren. Diese Risikofaktoren
die insbesondere bei Borderlinehypertonie eindeutig        zeigen substanzielle Korrelationen mit der Entstehung
erhöht ist, ist hier insbesondere das Typ-A-Verhalten      und dem Fortschreiten von Arteriosklerose, womit klar
(Friedman und Rosenman 1959) zu nennen. Das zu-            ist, dass damit eine hohe Spezifität hinsichtlich der Ent-
nächst über Interviews erfasste Typ-A-Verhaltensmus-       stehung und dem Fortschreiten der koronaren Herz-
ter erwies sich als komplex und über Fragebogen nur        krankheit angesprochen ist, die in der Regel eine Folge
schwer abbildbar. Als stabile Teilkomponente konnte        der allgemeinen Arteriosklerose ist. Auffallend wenige
jedoch eindeutig eine hohe Hostilität als Risikofaktor     Arbeiten befassen sich mit anderen kardialen und/oder
für Herz-Kreislauf-Erkrankungen identifiziert werden.      vaskulären Erkrankungen. Hinsichtlich des kardiovas-
In neueren Arbeiten konnte zudem gezeigt werden, dass      kulären Risikos postulieren neuere Arbeiten (Hamer
mangelnde Distanzierungsfähigkeit und die Unfähigkeit      und Stamatakis 2008) einen additiv-akkumulativen Ef-
„abzuschalten“ auch für Herz-Kreislauf-Symptome als        fekt von modifizierbaren Faktoren (z.B. Hypercholes-
Risikofaktor zu berücksichtigen sind. Interessanterweise   terinämie, Rauchen) hinsichtlich der Vorhersage von
konnte in Tiermodellen die Rolle psychosozialer Fak-       schwerer wiegenden Ereignissen. Diese schwerer wie-
toren z.B. in Arbeiten von Henry und Stephens (1977) in    genden Ereignisse (z.B. Auftreten eines Myokardin-

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Plenarvorträge

farktes) werden in den meisten neueren Arbeiten mit        gen, verschiedene Aspekte des Verhaltens und Erlebens
immunologischen (z.B. Erhöhung der Konzentration des       ansprechen. Zu nennen sind emotionale Aspekte (Är-
C-reaktiven Proteins im Blut) und hämostaseologischen      ger, Angst und Depression; vgl. Suls und Bunde 2005),
Aspekten (z.B. Erhöhung der Fibrinogen-Konzentra-          Aspekte der Persönlichkeit (z.B. Typ-D-Verhalten; vgl.
tion im Blut) in Verbindung gebracht (vgl. Uhlig und       Denollet et al. 2000), allgemeine Aspekte der Stressre-
Kallus 2005).                                              aktion (z.B. Erschöpfungszustände; vgl. Kop et al. 1994,
                                                           Appels et al. 1992) oder Aspekte der Arbeitswelt bzw.
Eine ähnliche Fokussierung ist auch bei Arbeiten zu Fra-   soziale Aspekte (z.B. Social support; vgl. Kivimaki et al.
gen der Stressreaktivität festzustellen. In einer Meta-    2002). Problematisch bei der integrativen Interpretation
Analyse von Untersuchungen zu inflammatorischen In-        der verschiedenen Befunde ist die inhaltliche Überlap-
dikatoren der Stressreaktion sehen Steptoe, Hamer und      pung der angesprochenen Konstrukte. So lassen sich aus
Chida (2007) insbesondere die Konzentration der In-        psychologischer Sicht „Angst“ und „Ärger“ sicherlich
terleukine IL-6 und IL-1ß im peripheren Blut als geeig-    hinsichtlich ihrer emotionsspezifischen Aspekte vonein-
net an, Aspekte der akuten Stressreaktion abzubilden.      ander trennen, zeigen aber hinsichtlich der emotionsun-
Das C-reaktive Protein oder der Tumornecrosisfaktor-       spezifischen Aspekte (z.B. Erregung sowohl bei „Angst“
alpha zeigen weniger stabile Ergebnisse. Unabhängig        als auch bei „Ärger“) deutliche Gemeinsamkeiten. Da-
von methodischen Fragen, z.B. inwieweit Konzentra-         durch wird sowohl die theoretische Konzeption von
tionen von inflammatorischen Markern im peripheren         psychologischen Risikofaktoren im Kontext kardiovas-
Blut die tatsächlichen Prozesse in Geweben des kardio-     kulärer Erkrankungen erschwert als auch die vorhan-
vaskulären Systems abbilden, muss bei der Interpreta-      dene empirische Evidenz eher uneindeutig. Klar scheint
tion solcher Befunde stets auch die Abhängigkeit von       jedoch, dass es nicht einzelne psychologische Faktoren
rein physiologischen Prozessen berücksichtigt werden.      sind, die das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen de-
So verursachen beispielsweise auch Verschiebungen des      terminieren, sondern eher von einem Prozess ausgegan-
Plasmavolumens vergleichbare Veränderungen der In-         gen werden muss, der sich auf verschiedenen Ebenen
terleukinkonzentrationen. Überdies sind die hier in Rede   (psychologisch, biologisch, sozial) manifestiert.
stehenden Konzentrationsveränderungen deutlich ge-
ringer ausgeprägt als beispielsweise beim Vorliegen ei-    In diesem Kontext kommt der Stressreaktion besondere
ner Infektion und konsekutiver systemischer Inflam-        Bedeutung zu, wobei insbesondere zwischen Aspekten
mation (Sepsis). Neben dem Zusammenhang zwischen           einer akuten Stressreaktion und chronischen Stresszu-
inflammatorischen Indikatoren und Aspekten der allge-      ständen – bis hin zum sogenannten Burnout – zu un-
meinen Stressreaktion zeigen sich auch direkte Korre-      terscheiden ist (vgl. Uhlig und Kallus 2004). Die Be-
lationen zwischen Inflammation und kardiovaskulären        ziehungen zwischen Aspekten der Stressreaktion und
Aspekten. Ellins et al. (2008) wiesen in diesem Kontext    inflammatorischen Indikatoren kardiovaskulärer Erkran-
differenzielle Effekte der inflammatorischen Antwort       kungen sind dabei mittlerweile gut untersucht (Steptoe
auf Stress auf die Ausprägung struktureller Verände-       et al. 2007). Ergänzend zum inflammatorischen System
rungen in den arteriellen Blutgefäßen nach.                sind auch sympathoadrenerge Aspekte sowie Befunde
                                                           zum Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-
Gleichwohl sind die genauen Zusammenhänge zwischen         System (HPA-Achse) zu berücksichtigen. Hinsichtlich
psychosozialen Aspekten der Stressreaktion und dem         sympathoadrenerger Aspekte als Indikatorebene für
kardiovskulären Risiko nach wie vor unklar.                die akute Stressreaktion zeigt sich eine gute Korrela-
                                                           tion zwischen einer verminderten Herzraten-Variabi-
Dies liegt wohl unter anderem auch an der Heterogeni-      lität und inflammatorischen Markern kardiovaskulärer
tät der untersuchten Konstrukte. Unbestritten ist seit     Erkrankungen (Haensel et al. 2008). Hinsichtlich der
längerem (vgl. Kudielka et al. 2004, Rozanski et al.1999   Funktion der HPA-Achse als Indikatorebene für chro-
und Booth-Kewley et al. 1987), dass – ähnlich den medi-    nischen Stress zeigen sich u.a. Fehlanpassungen derart,
zinischen Risikofaktoren – psychosoziale Faktoren, die     dass die Cortisolantwort auf Stressreize bei vorhande-
das Entstehen kardiovaskulärer Erkrankungen begünsti-      nem chronischen Stresszustand gestört ist (Kudielka

Tagungsband Gemeinsam gesund                                                                                       11
Plenarvorträge

2006). Besonders eng sind die Beziehungen zwischen         soziales Modell zugrunde gelegt werden, wobei klar ist,
dem Vorliegen von „Burnout“ und somatischen Indi-          dass die damit angesprochenen biologischen, psycho-
katoren kardiovaskulärer Erkrankungen (Shirom und          logischen und sozialen Reaktionen sich wechselseitig
Melamed 2005).                                             bedingen. Somit erscheint es sinnvoll, Risikofaktoren
                                                           prozessuralen Charakter zuzuschreiben; d.h. sie sind je-
Auch wenn die Beziehungen zwischen unterschiedlichen       weils unterschiedlich stark ausgeprägt. Für die morpho-
Aspekten der Stressreaktion, inflammatorischen Indika-     logische Manifestation kardiovaskulärer Störungen (z.B.
toren und kardiovaskulären Risikofaktoren mehr oder        Arteriosklerose) muss wohl angenommen werden, dass
weniger eindeutig sind, wird die Interpretation der Be-    diese durch länger andauernde Fehlbeanspruchungen im
funde auch dadurch erschwert, dass inflammatorische        Sinne des chronischen Stressmodells entstehen. Insofern
Zustände an sich auch verhaltensrelevante Aspekte ha-      haben Aspekte der Stressreaktivität nach wie vor eine
ben. Dies zeigt sich exemplarisch am mittlerweile weit     herausragende Bedeutung bei der Erklärung der Entste-
verbreiteten Konzept des sogenannten „sickness-beha-       hung von kardiovaskulären Störungen.
vior“ (Dantzer und Kelley 2007).
                                                           Biologische Antworten auf Stress können sinnvoll auf
Mit dem Konzept des „sickness behavior“ ist das Kon-       drei Stufen untersucht werden, von der Wahrnehmung
zept immunologisch vermittelter Verhaltensauffällig-       von Stress hin zu kurz- und langfristigen adaptiven Ant-
keiten verbunden, welche sich auch in verschiedenen        worten. Es soll darauf hingewiesen werden, dass jeder
Störungsbildern manifestieren können. Diskutiert wer-      identifizierte Faktor gleichzeitig sowohl stressfördernd
den emotionale Störungen (z.B. Depressivität), Über-       wie auch stressreduzierend sein kann. Dies macht die
gewicht, vor allem aber auch kardiovaskuläre Zusam-        Interpretation der Forschungsergebnisse schwierig. Da
menhänge. Offen bleibt in diesem Kontext bislang, ob       oft nur das Vorhandensein oder das Fehlen eines Fak-
„sickness behavior“ zu erklären ist über eine länger an-   tors beschrieben wird und nicht was das Vorhanden-
dauernde Überproduktion von Zytokinen, wie sie bei-        sein oder das Fehlen eines Faktors für eine bestimmte
spielsweise auch im Kontext der Stressreaktion zu sehen    Person bedeutet. Die Mechanismen, durch die anstren-
ist, oder ob die Überproduktion der Zytokine eine Folge    gende Vorkommnisse oder Umstände psychologische
des beobachteten Krankheitsverhaltens ist. Die erste       oder somatische Antworten hervorrufen, sind kompli-
Hypothese lässt sich problemlos auch über die bereits      ziert. Die Idee, dass psychophysiologische Stressantwor-
beschriebenen Zusammenhänge zwischen Inflammation          ten hinsichtlich Wahrnehmung, sofortiger Antwort und
und Aspekten von Burnout beschreiben, womit unmit-         verlängerter Manifestation diskutiert werden sollten,
telbar auch die zitierten Zusammenhänge zu kardiovas-      entspricht gut den biologischen Prinzipien, dass Neu-
kulären Störungen deutlich werden. Die zweite Hypo-        rotransmitter auf Basis der Geschwindigkeit der Ant-
these lässt sich durch Tierversuche unterstützen, welche   wort, der Dauer des Ereignisses und dem Umfang der
am Beispiel von Modellen zu chronischem Schmerz            Aktivität unterschieden werden können. Inhibitorische
zeigten, dass eine Übertragung von Serum eines „sick-      (z.B. GABA) und exzitatorische Aminosäuren (z.B. Glut-
ness behavior“-zeigenden Tieres auf ein gesundes Tier      amate) haben spezifische, lokalisierte Kurzzeiteffekte.
bei eben diesem auch Symptome von „sickness beha-          Monoamine Transmitter (z.B. Norephedrin, Dopamin),
vior“ auslösen kann. Im Humanbereich sind ähnliche         Acetylcholin und Histamin produzieren langsamere aber
Zusammenhänge beispielsweise im Kontext schwerer           länger anhaltende Antworten, die die Aktivität der pri-
systemischer Inflammationen beschrieben. Hier ist bei-     mären Aminosäuretransmitter zu modulieren scheinen.
spielhaft die sogenannte Critical-Illness-Polyneuropa-     Neuropeptide (z.B. der Corticotropin-sekretierende Fak-
thie nach schwerer Sepsis zu nennen.                       tor und Endorphine) produzieren sogar noch langsamere
                                                           Antworten, die dazu neigen, weitreichender und län-
Werden die vorgestellten Befunde aus den unterschied-      ger andauernd zu sein. Dennoch sollten Diskussionen
lichen Forschungskontexten zusammengefasst, so muss        über die Anfälligkeit für Stress und die Fähigkeit, mit
bei der Definition von Risikofaktoren für die Entstehung   Stressoren umzugehen erarbeitet werden. So wie auch
kardiovaskulärer Störungen zwingend ein biopsycho-         stressige oder widrige Umstände, die Symptome oder

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