Gemeinsam gesund. Gesundheitsförderung fürs Herz - Tagungsband der 10. Österreichischen Präventionstagung - Fonds Gesundes Österreich
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Tagungsband der 10. Österreichischen Präventionstagung Gemeinsam gesund. Gesundheitsförderung fürs Herz.
Inhaltsverzeichnis 1 Vorwort 2 PLENARVORTRÄGE 2 Anita Rieder Warum Herz-(Kreislauf-)Gesundheit? Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Bedeutung für die Prävention 5 Ulla Walter Strategien und Handlungsansätze der Gesundheitsförderung und Primärprävention im Hinblick auf Herzgesundheit unter besonderer Berücksichtigung von Bewegung 10 Wolfgang Kallus, Thomas Uhlig Kardiovaskuläre Prävention: Psychologie und Medizin im Dialog über psychosoziale Risikofaktoren und evidenzbasierte Ansätze 14 Christoph Klotter Motivation zur Verhaltensänderung 18 Carola Gold Vielfalt als Herausforderung – Voraussetzung erfolgreicher Prävention bei Gruppen mit dem größten Bedarf 21 Heike Englert CHIP – The Coronary Health Improvement Project, USA 26 WORKSHOPS Herzgesundheit fördern – Projekte für ausgewählte Zielgruppen und Setting stellen sich vor 26 Workshop 1: Kinder und Jugendliche Gesundes Schulessen einfach genial, genial einfach: Sabine Dämon, Regina Jungmayr Schulfreiräume und Geschlechterverhältnisse: Rosa Diketmüller, Heide Studer 34 Workshop 2: Menschen am Arbeitsplatz Gesund essen am Arbeitsplatz: Verena Rainer Bewegen im Betrieb: Paul Scheibenpflug 40 Workshop 3: Regionales Setting „Ein Herz für Wien“: Michael Kowanz-Eichberger Gesundes Salzburg 2010: Maria Pramhas 45 Workshop 4: Männer „Fit fürs Leben, fit im Einsatz“: Manfred Lamprecht „Favoritner mit Herz“: Romeo Bissuti 52 Workshop 5: Ältere Menschen Kleeblatt: Michaela Mayrhofer Zielgerichtete Bewegung und optimierte Ernährung bei Diabetes mellitus: Christian Lackinger 59 Workshop 6: Fonds Talk Treffen und Diskussion mit dem Team des Fonds Gesundes Österreich Herzlichst, dein Kreislauf: SOG.Theater 60 Kurze Lebensläufe
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser! Noch immer sterben in Österreich viel zu viele Menschen an Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems. Das müsste nicht so sein, da die Mehrzahl der Erkrankungen durch einen gesunden Lebensstil vermieden werden könnte. Zentrales Anliegen der 10. Österreichischen Präventionstagung „Gemeinsam gesund. Gesundheitsförderung fürs Herz.“ des Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) war es, jene gesundheitsfördernden Maßnahmen und Modelle aufzuzeigen, die dazu beitragen, die Herz-Kreislauf-Gesundheit der österreichischen Bevölkerung zu verbessern. Prof. Dr. Anita Rieder ging in ihrem Eröffnungsreferat auf die Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein und legte dar, welche Schlussfolgerungen für die Prävention davon ableitbar sind. Prof. Dr. Ulla Walter präsentierte Strategien und Handlungsansätze der Gesundheitsförderung und Primärprävention. Die Professoren Dr. Wolfgang Kallus und Dr. Thomas Uhlig beleuchteten psychosoziale Risikofaktoren, insbesonders psychische und soziale Ursachen von Herz- Beschwerden – darunter Stress, Arbeitsintensität, Handlungsspielraum und soziale Unterstützung. Prof. Dr. Christoph Klotter ging der Frage nach, wie Menschen für ein gesünderes Leben motiviert werden können, und empfahl den versammelten Gesundheitsexpert/innen, den Prozess zu begleiten, ohne Vorgaben und Vorschriften zu machen. Viele Diskussionsbeiträge löste Carola Gold aus, die in ihrem Referat Maßnahmen zur Erreichung sozial benachteiligter Zielgruppen vorstellte. Sie betonte die Notwendigkeit, settingorientierte Maßnahmen zu setzen und die Zielgruppe aktiv mit einzubeziehen, um erfolgreich Maßnahmen der Gesundheitsförderung durchzuführen. Prof. Dr. Heike Englert stellte das Programm CHIP – Coronary Health Improvement Project – aus den USA vor, das sich dort als Interventionsprogramm sehr gut bewährt hat. Nicht zuletzt wurden in den Workshops viele Projekte für unterschiedliche Zielgruppen vorgestellt und diskutiert. Herz-Kreislauf-Gesundheit ist ein Schwerpunktthema des FGÖ. Wir bemühen uns, durch ein Bündel von Maßnahmen günstige Rahmenbedingungen für erfolgreiche Projekte zu schaffen: Für Gemeinden wurde eine eigene Förderschiene eingerichtet, in Kärnten und im Burgenland werden zwei umfassende Modellprojekte umgesetzt, die Kampagne „Mein Herz und ich. Gemeinsam gesund.“ mobilisiert die Bevölkerung und kampagnenbegleitende Aktivitäten sorgen für regionale Impulse. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Stärkung Ihrer eigenen Herz-Kreislauf-Gesundheit und Ihrer Arbeit in der Gesundheitsförderung. Mag. Christoph Hörhan Maga. Rita Kichler Leiter Fonds Gesundes Österreich Gesundheitsreferentin Tagungsband Gemeinsam gesund
Plenarvorträge Warum Herz-(Kreislauf-)Gesundheit? Epidemiologie und Wege der Prävention Anita Rieder In der Prävention der Herz-Kreislauf-Erkrankungen wur- Zusätzliche Lebenserwartung den in den letzten Jahrzehnten entscheidende Fortschritte Statistisch betrachtet sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen gemacht. Dies schlägt sich zum Beispiel in niedrigeren jene Todesursachen, deren „Ausschaltung“ am meisten Sterberaten nieder. Doch: Es bleibt noch viel zu tun. zusätzliche Lebenserwartung brächte. Konkret könnte der Zugewinn laut Daten der Statistik Austria bei Frauen Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren und sind eine der 6,4 Jahre und bei Männern 9,6 Jahre betragen. größten Herausforderungen der Medizin und der Ge- sellschaft. Dass Prävention wirkt, haben wir in den letz- Regionale Unterschiede bei den Ursachen ten Jahrzehnten eindeutig erfahren, doch die Wege, die Es gilt also, die Ursachen dieser Erkrankungen zu be- dabei zu gehen sind, erfordern immer neue Ansätze. So kämpfen. Hier sollte man wissen, dass Epidemiolog/in- wissen wir heute zum Beispiel, dass Einzelinitiativen nen fünf (historische) Entwicklungsstadien der inner- oft nicht die erhoffte Wirkung haben. Deutlich zeigt halb der Bevölkerung eines Landes typischen Ursachen sich dies an einer Kampagne des Jahres 1978, in deren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterscheiden: Rahmen Mediziner/innen quer durch Österreich ge- schickt wurden, um den Menschen den Blutdruck zu Im ersten Stadium ist rheumatisches Fieber als Auslö- messen und sie diesbezüglich aufzuklären. Damals er- ser von großer Bedeutung – eine Situation, die in un- regte diese Aktion viel Aufmerksamkeit, aber durch die serem geografischen Raum vor vielen Jahrzehnten ge- Nachevaluierung bis 1998 können wir jetzt sagen, dass geben war. das Bewusstsein bald wieder gesunken war. Heute weiß kaum jemand mehr von dieser Initiative. Entscheidend Das zweite Stadium lässt sich dadurch definieren, dass ist daher, umfassende Programme mit Nachhaltigkeit zivilisationsbedingte Risikofaktoren wie Bluthochdruck zu etablieren. Dies ist auch angesichts der zu erwar- eine zunehmend größere Rolle als Auslöser für Herz- tenden demographischen Entwicklung eine dringende Kreislauf-Erkrankungen spielen. Diese Entwicklung ist Notwendigkeit. Wir wissen, dass die Krankheiten des derzeit vor allem in China sowie in anderen asiatischen Herz-Kreislauf-Systems 43 Prozent aller Todesursachen Ländern zu beobachten. darstellen, und zwar vor allem die ischämische Herzer- krankung, der Herzinfarkt und der Schlaganfall. Im dritten Stadium führen fettreiche Ernährung, man- gelnde Bewegung und Rauchen dazu, dass in zuneh- Herz-Kreislauf-Erkrankungen mendem Ausmaß auch jüngere Menschen betroffen sind sind systemische Erkrankungen – so zu sehen derzeit in Russland bzw. generell osteu- Eine Herz-Kreislauf-Erkrankung ist nicht nur eine Er- ropäischen Ländern, in Lateinamerika und in den Städ- krankung der Herzkranzgefäße, der Gehirngefäße oder ten Indiens. der Extremitäten, sondern der Grossteil dieser Erkran- kungen beruht auf atherosklerotischen Veränderungen. Im vierten Stadium erfolgen Diagnostik und Therapie Es sind daher systemische Erkrankungen, bei denen auf hohem Niveau und es wird bereits Prävention be- meist mehrere Körperregionen betroffen sind, was trieben. Dadurch sind Fortschritte zu verzeichnen, und auch bedeutet, dass ihnen therapeutisch nicht so ein- Herz-Kreislauf-Erkrankungen treten relativ häufig erst fach beizukommen ist. Entsprechende Untersuchungen in höherem Alter auf, wie derzeit in Westeuropa, Nor- zeigen, dass wenn jemand etwa einen Herzinfarkt erlei- damerika, Neuseeland und Australien. det, meist bereits andere Herzerkrankungen bestehen, das heißt, dass die meisten Patient/innen, die aufgrund Das fünfte Stadium schließlich stellt einen Rückfall eines einzelnen koronaren Ereignisses hospitalisiert wer- in frühere Stadien dar, währenddessen das dritte und den, schon vorbelastet sind. vierte Stadium erhalten bleiben. Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge Dazu zu bemerken ist, dass sich häufig – wie auch in Ös- wissen, dass sie sehr wirksam ist. In diesem Zusam- terreich – unterschiedliche Gruppen der Bevölkerung in menhang gilt es, besonders benachteiligten Commu- unterschiedlichen Stadien befinden. nities zu erreichen, speziell Migrant/innen und är- mere Bevölkerungsschichten. Denn während besser Sterblichkeitsraten sind deutlich gesunken gebildete und sozial besser gestellte Menschen zu- Tatsächlich sehen wir, dass die Sterblichkeitsraten für nehmend auf gesündere Lebensweise setzen, scheint kardiovaskuläre Erkrankungen in den meisten Ländern dies unter den genannten Bevölkerungsgruppen häu- in den vergangenen 30 Jahren um 24 bis 28 Prozent zu- fig kein Thema zu sein. Aus dem letzten Gesundheits- rückgegangen sind. 45 Prozent des Rückgangs sind auf survey wissen wir, dass je gebildeter ein Mensch ist, Verbesserungen in der Therapie und 55 Prozent auf die desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit für unge- Reduktion von Risikofaktoren zurückzuführen. Letzte- sundes Verhalten. res betrifft vor allem die Behandlung von Bluthochdruck und Rückgänge beim Rauchen. Allerdings sind in letz- Eine weitere Bevölkerungsgruppe, in der präventiv ge- ter Zeit die Verringerungen im Wesentlichen durch bes- sehen großer Nachholbedarf herrscht, sind die Jugend- sere medikamentöse Therapien und weniger durch ge- lichen. So hat etwa die letzte Jugendstudie gezeigt, dass eignete Präventionsmaßnahmen bedingt. schon Österreichs Kinder sehr gefährdet sind, später im Leben Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Er- Im internationalen Vergleich liegt Österreich hinsichtlich schreckend viele leiden an Übergewicht und Diabetes. der Sterblichkeitsraten durch Herz-Kreislauf-Erkran- Auch auf die Frauen ist vermehrt das Augenmerk zu kungen zwar hinter Russland, Ungarn, Finnland, Grie- richten. Die höhere Betroffenheit von Männern durch chenland, USA, Deutschland und Schweden, doch deut- Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist zwar belegt, doch lich vor Spanien und Japan. Die Russische Föderation ebenso belegt ist der Inzidenzanstieg bei Frauen im spä- liegt mit 1.500 Herz-Kreislauf-Toten pro 100.000 Ein- teren Lebensalter. Das Lifetime-Risko der koronaren wohner/innen und Jahr an der Spitze. In den USA sind Herz-Erkrankung liegt bei den 40jährigen für Frauen es 289 Opfer, in Österreich 226 und in Japan 170. bei 32 Prozent und für Männer bei 49 Prozent, bei den Die Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit wie 70jährigen für Frauen bei 24 Prozent und für Männer Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck steigen durch bei 35 Prozent. Der Inzidenzanstieg bei Frauen ist zehn die demographische Entwicklung und den allseits herr- Jahre später als bei Männern zu verzeichnen, und es schenden ungesunden Lebensstil allerdings wieder an. findet sich postmenopausal eine dreifach höhere Mor- biditätsrate im Vergleich zu gleichaltrigen prämenopau- Die wichtigsten Risikofaktoren salen Frauen. und benachteiligte Gruppen Vom kanadischen Epidemiologen Salim Yusuf wurde Zu berücksichtigen ist, dass diese Fakten den Frauen aus den Daten der Interheart Study ermittelt, dass erst- weitgehend noch nicht bewusst sind. Zudem verzeich- malig auftretende Herzinfarkte zu 90 Prozent auf po- nen wir beim weiblichen Geschlecht einen Inzidenzan- tenziell beeinflussbare Risikofaktoren zurückzuführen stieg für den plötzlichen Herztod. In Summe gesehen sind. Dabei handelt es sich um Rauchen, Fettstoffwech- sind Frauen im Erstereignis wesentlich häufiger von den selstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, „stillen“ Formen der Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie psychosoziale Faktoren, mangelnden Konsum von Obst der Angina pectoris betroffen. Wir wissen, dass diese und Gemüse, regelmäßigen Alkoholkonsum und man- Erkrankung häufig lange nicht als solche erkannt wird. gelnde körperliche Bewegung. Für Österreich gilt, dass Ein weiteres spezifisch weibliches Problem hinsichtlich Rauchen, Alkohol und hoher Blutdruck an der Spitze Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist: Werden Frauen auf- der schädlichen Einflüsse für die Herzgesundheit der grund eines koronaren Ereignisses hospitalisiert, so ver- Bevölkerung liegen. weilen sie dort – insbesondere im höheren Lebensalter – durchschnittlich länger als Männer. Dies liegt mitun- Es geht also um Risikofaktoren, die, wie wir wissen, ter an häufig fehlenden Betreuungsmöglichkeiten im ein Fall für Primärprävention sind, von der wir ebenso häuslichen Umfeld. Tagungsband Gemeinsam gesund
Plenarvorträge Noch nicht beeinflussbare Herzgesundheit – Risikofaktoren und Primärprävention die wichtigsten Fakten Dieses Faktum verweist auch auf weitere Risikofak- toren: Obwohl auch Gender-Faktoren im Geschehen der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in den westlichen In- koronaren Hererkrankung eine Rolle spielen, wissen wir dustrieländern für 45 Prozent der Gesamtsterblichkeit ebenso um das Vorhandensein von Risikofaktoren, die verantwortlich. Umwelt oder Genetik betreffen – Gebiete, auf denen un- Die Sterblichkeitsraten für kardiovaskuläre Erkrankungen ser Wissen noch äußerst begrenzt ist und die es in Zu- sind in den meisten Ländern in den vergangenen 30 Jah- kunft vermehrt zu beachten gilt. ren um 24 bis 28 Prozent gesunken. Insbesondere sollten die psychosozialen Komponenten, 45 Prozent des Rückgangs sind auf Verbesserungen in die bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle spielen, der Therapie und 55 Prozent auf die Reduktion von Risi- deutlicher ins Zentrum des Interesses gerückt werden. kofaktoren zurückzuführen – vor allem auf die Behand- lung von Bluthochdruck und Rückgange beim Rauchen. Wir wissen heute, dass das Risikofaktorkonzept Gül- In letzter Zeit sind die Verringerungen jedoch im Wesent- tigkeit hat und dass vor allem Primärprävention wirkt. lichen durch bessere medikamentöse Therapien und we- Sie hat einen sichtlich höheren Anteil am Rückgang von niger durch geeignete Präventionsmaßnahmen bedingt. Herz-Kreislauf-Erkrankungen als die Sekundärpräven- tion, und sie macht auch Sinn bei Personen, die bereits Die Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit wie in einem höheren Lebensalter stehen, wenn sie gesund Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck sind durch die demographische Entwicklung und den allseits herr- sind: Auch bei 70- bis 90jährigen gesunden Menschen schenden ungesunden Lebensstil wieder im Ansteigen. zeigt sich eindeutig, dass die Wahrscheinlichkeit des Überlebens größer ist, je weniger Risikofaktoren eine Auf die Prävention ist besonderes Augenmerk zu legen. Rolle spielen. Die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen können durch einfache Veränderungen des Lebensstils wie gesunde Er- Am Beispiel Finnland bzw. der finnischen Region Nord- nährung, Sport und Nichtrauchen verhindert oder zumin- dest hinausgezögert werden. karelien kann beispielhaft aufgezeigt werden, wie stark ein gesünderer Lebensstil wirkt: Im ganzen Land sank In der Interheart-Studie wurde unter anderem ermittelt, zwischen 1970 und 2002 durch entsprechende Pro- dass erstmalig auftretende Herzinfarkte zu 90 Prozent gramme die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit um etwas mehr auf neun potentiell beeinflussbare Risikofaktoren zurück- als 70 Prozent, in Nordkarelien sogar um rund 85 Pro- zuführen sind. Dabei handelt es sich um Rauchen, Fett- zent. Dort hatte man wegen einer ehemals erschreckend stoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, Über- gewicht, psychosoziale Faktoren, mangelnden Konsum hohen Herz-Kreislauf-Sterblichkeit intensive Aufklä- von Obst und Gemüse, regelmäßigen Alkoholkonsum und rungs-, Lebensstil- und Behandlungsprogramme rea- mangelnde körperliche Bewegung. lisiert. Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge Strategien und Handlungsansätze der Gesundheitsförderung und Primärprävention im Hinblick auf Herz-Gesundheit unter besonderer Berücksichtigung von Bewegung Ulla Walter Einleitung berücksichtigt werden. Ansätze auf Individual- sowie Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die insgesamt Bevölkerungsebene, im Setting und bei Risikogruppen eine überwältigende Evidenz des Einflusses verhaltenbe- sind sinnvoll miteinander zu kombinieren unter Beach- zogener Faktoren bei der Entstehung von Herz-Kreislauf- tung der Empfehlungen der Ottawa-Charta. Diese be- Erkrankungen zeigen. Jüngst wies z.B. die EPIC (Euro- inhalten die Stärkung der Kompetenzentwicklung, die pean Prospective Investigation of Cancer)-Norfolk-Studie Förderung von Aktivitäten auf Gemeindeebene und eine auf die hohe Relevanz von Rauchen, körperlicher Inak- vermehrte Intersektoralität (siehe Abb. 1). Diesen um- tivität, übermäßigem Alkoholkonsum sowie geringem fassenden Konzepten stehen in der Praxis allerdings Obst- und Gemüseverzehr hin (Khaw et al. 2008). vielfach Modelle mit singulären Ansätzen gegenüber. Ebenso weisen Studien mit hoher methodischer Qua- Entsprechend diesen Ergebnissen aus epidemiologischen lität oft vergleichsweise einfache Interventionen auf. Studien empfiehlt z.B. die American Heart Association Nachfolgend werden ausgewählte teilpopulations- und (Mosca et al. 2004, Pearson et al. 2002) den reichlichen individualbezogene Ansätze insbesondere für den Be- Konsum von Obst und Gemüse, den Verzehr von Voll- reich Bewegung exemplarisch dargestellt. kornprodukten, Fisch, fettarmer Milch und fettarmen Fleischprodukten sowie eine maßvolle Aufnahme al- koholischer Getränke. Gesättigte Fettsäuren sollten we- niger als 10 Prozent des zu deckenden Kalorienbedarfs ausmachen. Die tägliche Aufnahme von Cholesterin sollte 300 mg, von Salz 6 g nicht überschreiten. We- sentlich ist regelmäßige Bewegung, mindestens 30 Mi- nuten täglich. Ältere Erwachsene, deren Organismus ebenfalls empfänglich für körperliches Training ist (Vo- elker-Rehage et al. 2006), sollten auf demselben Level aktiv sein wie jüngere Erwachsene (Lan et al. 2006). Anzustreben ist ein Minimum an Bewegungsaktivität Strkungmit einem Energieverbrauch von 1000 kcal pro Woche, der Community-Aktivitten was ca. zwei bis drei Stunden Walking entspricht. Zur Primärprävention Gestaltung gesundheitsfrderlicher arteriosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankungen im Kindesalter werden mindestens eine Abbildung 1: Strategien zur Förderung der Herz-Gesundheit (nach Flynn et al. 2006) Stunde pro Tag moderate bis intensive körperliche Ak- tivität und eine Begrenzung der sitzenden Tätigkeiten, Lebensstilfaktoren insbesondere des Fernsehkonsums, auf maximal zwei Lebensstilfaktoren im frühen Kindesalter haben einen Stunden pro Tag empfohlen (Kavey et al. 2003). signifikanten Einfluss auf die spätere Lebensqualität. Der Zusammenhang zwischen dem bereits im Alter von Bei der Konzeption von gender-, alters- und kultur- drei Jahren bestehenden, noch stark vom familiären sensiblen Präventionsmaßnahmen zur Förderung von Umfeld geprägten Entwicklungsprozess und der gesund- Herz-Kreislauf-Gesundheit sollten die bekannten Ein- heitsbezogenen Lebensqualität im Alter ist als impuls- flussfaktoren wie sozioökonomischer Status, Arbeits- gebend und richtungweisend für zukünftige Präventi- bedingungen und gesunde Entwicklung in der Kindheit onsansätze zu sehen. Tagungsband Gemeinsam gesund
Plenarvorträge So zeigen in der Kindheit entwickelte Verhaltensmuster tivität bei Personen mit einer negativen Sicht auf das hinsichtlich Ernährung und Bewegung eine Persistenz Älterwerden deutlich geringer als bei Personen mit einer im Lebenslauf (Kelder et al. 1994, Telema et al. 2005). positiven Sichtweise (Tesch-Römer et al. 2006). Kindliche Adipositas ist ein Prädiktor für Adipositas im Erwachsenenalter (Whitaker et al. 1997). Zudem ist ein Lebensraum Kindergarten erhöhter BMI in der Kindheit und frühen Jugend asso- Zur Erfassung der präventiven und gesundheitsför- ziiert mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Er- dernden Maßnahmen im Bereich Kindergarten wurden krankungen im Erwachsenenalter (Baker et al. 2007). in Deutschland von 2005 bis 2006 erstmals 643 Kitas Die Framingham-Studie weist in einer Längsschnitta- (Nettostichprobe) befragt. An 32 Kitas erfolgte eine ver- nalyse von 1991 bis 2002 den großen Einfluss des so- tiefende Analyse der präventiven Versorgungsqualität zialen Netzes nach. So liegt die Wahrscheinlichkeit der (Kliche et al. 2008). In fast allen Kitas stellt Bewegung Entwicklung einer Adipositas bei 57 Prozent, wenn be- mit 97 Prozent die häufigste laufende Aktion dar, für reits die Freund/innen übergewichtig sind. 27 Prozent ist Bewegung zudem ein grundlegendes Ar- beitskonzept. Zwei Drittel der befragten Einrichtungen Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen führen Projekte zur Prävention und Gesundheitsförde- elterlicher Unterstützung bei der Wahl und Aufrecht- rung durch. Mit über einem Drittel sind Angebote zur erhaltung der körperlich-sportlichen Aktivität und dem Ernährung mit Abstand auf dem ersten Platz, gefolgt Bewegungsverhalten des Kindes. Als förderlich erwei- von Angeboten zur Bewegung. Insgesamt werden mehr sen sich der Transport zum Ort bewegungsbezogener gesundheitsfördernde Aktivitäten angeboten, je größer Aktivitäten, das Beobachten des Kindes bei diesen Ak- die Einrichtung ist. Die Analyse von Zielgruppen und tivitäten und die Unterstützung des Kindes bei der Aus- Arbeitsformen präventiver Projekte in den Kindertages- wahl einer Aktivität. Für eine erfolgreiche Aufnahme stätten zeigt, dass sich die weitaus größere Zahl von 86 und Beibehaltung von Bewegungsangeboten bei Kin- Prozent an die Kinder richtet, 45 Prozent beziehen die dern und Jugendlichen spielt die körperlich-sportliche Familien ein. Lediglich 5 Prozent erfolgen unter Einbe- Aktivität der Eltern eine untergeordnete Rolle: Eltern, zug des Stadtteils. Gut die Hälfte führt ein strukturier- die selber nicht körperlich-sportlich aktiv sind, können tes Programm durch, wobei der Umfang von wenigen durchaus ihre Kinder zur sportlichen Aktivität motivie- Stunden bis zu mehreren Monaten reicht. 43 Prozent ren und bei ihrer Aufrechterhaltung unterstützen. Einen beziehen externe Fachkräfte mit ein. Der Schwerpunkt positiven Effekt haben dabei Interventionen, wenn El- liegt damit auf individuell pädagogischen Ansätzen. Für tern, Erziehern und Lehrern die Relevanz und positiven komplexe Strategien unter Einbezug der Familie und des Effekte von körperlich-sportlichen Aktivität vermittelt Wohnumfeldes fehlen den Kindertagesstätten meist die werden (Ritchie et al. 2006). Um eine nachhaltige Wir- Vorraussetzungen. Nicht erkennbar ist ein Zusammen- kung auf das Bewegungsverhalten zu erzielen, sollten hang zwischen den Angeboten und der sozialen Lage Interventionen auf familiärer und institutioneller Ebene im Einzugsgebiet. (z.B. Kindertagesstätten, Schule, Verein) frühzeitig an- setzen und vernetzt werden. Als besonders effektiv ha- Wesentlich für die Wirksamkeit präventiver Maßnah- ben sich hierbei multimodale Interventionen erwiesen. men sind Zielgruppenorientierung und eine gute the- oretische Fundierung. Erforderlich ist somit eine gute Dass Prävention nicht nur in der ersten Lebensphase, Konzeptqualität, die sich an Bedarf, Zielsetzung, Ziel- sondern selbst im höheren Alter wirksam ist, wird zu- gruppenorientierung und fachlicher Fundierung ausrich- nehmend in wissenschaftlichen Studien aufgezeigt. tet. Daneben sind die Rahmenbedingungen, die Qualifi- Auch hierbei ist ein wesentliches Element Bewegung. kation der Mitarbeiter/innen und die Zusammenarbeit Allerdings können negative Sichtweisen auf das Altern mit Angehörigen zu berücksichtigen (Planungsquali- sowohl bei Professionellen (Walter et al. 2006) als auch tät). Ebenso entscheidend sind eine adäquate Vorberei- bei den Älteren selbst die Umsetzung präventiver Maß- tung und Vermittlung der Maßnahmen unter Nutzung nahmen erschweren oder gar verhindern. So ist – un- von zielgruppenorientierten Methoden und Medien, abhängig vom Gesundheitszustand – die Bewegungsak- eine schrittweise flexible prozessorientierte Umset- Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge zung sowie eine realistische und empirische Bewertung richt in Deutschland)-Studie des Deutschen Sportbundes des Erfolges. Nicht zuletzt sollten im Sinne einer Quali- (2005) hin. Das an deutschen Grundschulen vorhandene tätsentwicklung die Erfahrungen reflektiert und in län- Klassenprinzip mit oft nicht in Sport ausgebildeten Lehr- gerfristige Verbesserungen umgesetzt werden (Kliche et personen führt zu einem deutlichen Qualitätsdefizit. al. 2007). Eine Analyse der Qualität präventiver Maß- Dies wird besonders kritisch beurteilt, da nur mit hinrei- nahmen in Kindergärten deutet auf erhebliche Verbes- chender Qualifikation entwicklungsgemäße Inhalte ge- serungsmöglichkeiten präventiver Aktivitäten hin. Nach zielt zur Förderung der Motorik von Kindern eingesetzt Kliche et al. (2008) liegen die Stärken am ehesten in der werden können. Hinzu kommen in der Regel zu geringe Erstellung von Konzepten und der Verfügbarkeit quali- Vorgaben für Sportunterricht durch die Rahmenricht- fizierten Personals. Deutliche Schwächen zeigen sich in linien. Bemängelt wird zudem die Diskrepanz zwischen der Vorbereitung und Planung sowie in der Verlaufsge- schulischem Angebot und den Wünschen der Schüler/ staltung und der Erfolgskontrolle. Die Autor/innen zie- innen, die den Sportunterricht als zu wenig abwechs- hen den Schluss, dass durch eine intensivierte und op- lungsreich, nicht anstrengend genug und nicht anfor- timierte Gesundheitsförderung und Prävention in den derungsreich erleben. Kitas ihre Wirksamkeit deutlich erhöht und verhaltens- bezogenen Aspekten im Vergleich zu den eher weni- Vor dem Hintergrund einer Studie von Thomas et al. ger beeinflussbaren Umfeld- und Rahmenbedingungen (2004) erscheinen die Ergebnisse besonders gravierend. mehr Gewicht verliehen werden könnte. Danach hängt der Umfang der körperlichen Aktivität von Jugendlichen von der Qualifikation der Lehrer/in- Lebensraum Schule nen ab. So führen für spezielle Sportarten ausgebildete Der Lebensraum Schule bietet zahlreiche Ansatzpunkte Lehrpersonen, die Schüler/innen Freude an der Bewe- zur Förderung der Bewegung: (1) als curricularer Be- gung vermitteln können, diese zu höherer sportlicher standteil des Unterrichts, z.B. die tägliche Sportstunde, Aktivität als traditionell Ausgebildete. (2) in der Förderung der Schule als Bewegungsraum, z.B. das Konzept „Bewegte Schule“ (Zimmer und Hun- Ein Projekt, das versucht, diese Qualitätsmängel zu op- ger 2004, Städtler 2005) und (3) die Öffnung der Schule timieren, ist „fit für pisa“, bei dem in fünf Göttinger für sportbezogene Angebote in der Freizeit. Sportan- Grundschulen seit 2003 die obligatorischen zwei Sport- gebote der Schulen über den Unterricht hinaus sind in- stunden pro Woche durch drei weitere qualitätsge- zwischen weit verbreitet. Fast jede zweite Schule koo- sicherte Sportstunden ergänzt werden. Der Sportun- periert im Bereich des Schulsports mit einem externen terricht ist dabei curricular strukturiert, standardisiert Partner (Deutscher Sportbund 2005). und wird von speziell geschulten Übungsleiter/innen des ortsansässigen Sportvereins (Allgemeiner Sport- Als curricularer Bestandteil, außerunterrichtliches club Göttingen von 1846 e.V.) durchgeführt. Eine be- und organisatorisches Element wird Bewegung u.a. gleitende, vom Bundesforschungsministerium 2007 bis im Konzept der bewegungsfreudigen Schule aufge- 2009 geförderte Evaluation wird im Längs- und Quer- griffen (Kottmann et al. 2005). Einige Programme, wie schnittsdesign Aufschluss über die Wirksamkeit und das seit 2001 im Raum Köln an Grundschulen laufende Kostenwirksamkeit täglichen Schulsports in Hinblick CHILT (Children’s Health InterventionaL Trial)-Pro- auf die motorische Entwicklung, körperliche Aktivität, jekt, verbinden wöchentlichen Gesundheitsunterricht, Lebensqualität, Gewalt, Aufmerksamkeit und Konzent- tägliche aktive Pausen und Bewegungspausen, die Er- ration geben (Liersch et al. 2008a). Erste Ergebnisse der stellung von Stundenbildern für den Sportunterricht vierten Klasse zeigen, dass täglicher Schulsport signi- mit einer Identifikation von adipösen und motorisch fikant das Interesse an Sport besonders von sozial be- auffälligen Risikokindern und ihrer gezielten Betreu- nachteiligten Kindern steigert. Zudem ist in der Inter- ung (Graf 2003). ventionsgruppe ein verminderter Fernsehkonsum zu verzeichnen sowie bei Jungen mit niedrigerem Sozial- Auf eine besondere Problematik im Grundschulbereich status eine geringe Nutzung von Spielkonsolen (Liersch an deutschen Schulen weist die SPRINT (Sportunter- et al. 2008b). Tagungsband Gemeinsam gesund
Plenarvorträge Optimierung der Rahmenbedingungen gte. Das Projekt beinhaltet eine Ansprache in Lebens- Zentral für die Förderung körperlicher Aktivität ist eine welten über die Einbindung von Multiplikator/innen, bewegungsanregende Umgebung. Als konsistente Prä- das Erreichen bestehender Netzwerke und den Aufbau diktoren für körperliche Aktivität bei Kindern und Ju- neuer Netzwerke, die Initiierung von Gemeinschaftsak- gendlichen erwiesen sich ein barrierefreier Zugang zu tionen und die Einbindung relevanter Entscheidungs- Sporteinrichtungen sowie Möglichkeiten sportlich ak- träger/innen auf kommunaler Ebene. Evaluationser- tiv zu sein wie sichere Fahrrad- und Fußwege sowie gebnisse dieses lebensweltbasierten Ansatzes werden Spielplätze (Popkin et al. 2005). Ein Projekt, das Bewe- in Kürze vorliegen. gung im Alter bei Kindern aufgreift, ist das CDC (Centers for Disease Control and Prevention)-Programm „Kids Zur Verbesserung der Angebotsstruktur, zur Erleich- walk to school“. Die weltweite Kampagne „I walk to terung von Ernährungsentscheidungen („to make the school“ schließt u.a. Haltestellenplakate für gemein- healthier choice the easier choice“, Ottawa Charta 1986) same Treffpunkte für Kinder, Seniorenlotsen, Schul- sowie zur Verstärkung der Nachfrage nach gesunden weg-Pässe und Elternautohaltestellen ein. Nach einer Produkten trägt auch das Labeling von Lebensmit- britische Studie zeigt sich insbesondere bei Jungen, die teln bei. Beispielhaft soll die seit 2000 von der Finnish zu Fuß zur Schule gehen, eine vermehrte körperliche Heart Association sowie der Finnish Diabetes Associa- Aktivität (Cooper et al. 2003). tion mit Unterstützung des Ministry for Social Affairs and Health durchgeführten Zertifizierung von Lebens- Was für Kinder und Jugendliche gilt, gilt auch für Erwach- mitteln zur Förderung der Herz-Kreislauf-Gesundheit sene im mittleren und höheren Lebensalter. Auch hier genannt werden. Die bis Mitte 2008 270 Produkte um- sind bewegungsfreundliche und anregende Lebenswelten fassende Bewertung schließt sowohl die Quantität als zur Steigerung der körperlichen Aktivität erforderlich. auch die Qualität von Fetten sowie den Salz-, Choles- Eine bewegungsanimierende Architektur und verkehrs- terin-, Zucker- und Ballaststoffgehalt ein. Die u.a. über sichere Gemeinden sind vor allem für Ältere wichtig, de- Radio, Fernsehen, Zeitungen und in Geschäften kom- ren Lebensraum sich zunehmend einschränkt. Inwieweit munizierte Kampagne wurde zudem auf die Bewertung die aus China stammende und über Spanien importierte von Mahlzeiten sowie Essenskomponenten in Restau- Idee von Fitnessgeräten zum spielerischen Training im rants und Kantinen ausgedehnt. Eine erste Erhebung Freien auch in Mitteleuropa umgesetzt und angenommen 2007 weist mit 84 Prozent einen hohen Bekanntheits- wird, bleibt abzuwarten. Die Wahrnehmung der Kommu- grad des verwendeten Symbols aus, das bei 46 Prozent nen von Prävention und Gesundheitsförderung als ihre der Befragten die Auswahl der Produkte beeinflusst Aufgabe ist bislang eher gering ausgeprägt. So zeigt eine (Lahti-Koski et al. 2008). Untersuchung in Deutschland bei 328 Städten und Ge- meinden, dass 31 Prozent seniorenbezogene Sport- und Zugangsweg Arzt Bewegungsförderung als weniger wichtig oder sogar un- Aufgrund der hohen Wertschätzung einer ärztlichen wichtig einschätzen (BZgA 2007). Empfehlung in der Bevölkerung und ihres häufigen Arztkontakts (über 90 Prozent der Bevölkerung gehen Dabei ist gerade bei sozial Benachteiligten ein nieder- mindestens einmal pro Jahr zum Arzt/zur Ärztin), stellt schwelliger, wohnortnaher und zielgruppenorientierter der Zugang über Ärzt/innen prinzipiell eine gute Adres- Zugang zu Bewegungsmöglichkeiten erforderlich. Hierzu sierung von präventiven Maßnahmen dar. Allerdings zählen besondere Badezeiten für Frauen, die eine ver- erfolgt bislang die Prävention unsystematisch und zum mehrte Inanspruchnahme z.B. von Musliminnen ermög- Teil selektiv nur für Präventionswillige. Dabei sind prin- lichen. Dies zeigt das vom Bundesforschungsministerium zipiell Instrumente zur kontinuierlichen zielgruppenori- (2005 bis 2007) geförderte und inzwischen deutschland- entierten Beratung vorhanden (PACE: Physician based weite BIG (Bewegung als Investition in Gesundheit)- Assessment and Councelling for Exercise). Ein u.a. in Projekt (Rütten et al. 2008). Zielgruppen sind Frauen in Schweden, Österreich und Deutschland (Berlin) zumin- schwierigen Lebenslagen – Alleinerziehende, Frauen mit dest teilweise modellhaft verfolgter Ansatz ist die Ver- Migrationshintergrund und sonstige sozial Benachteili- schreibung von Bewegung auf Rezept. Eine klinische, Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge kontrollgruppenfreie Studie aus Schweden von 2001 bis Bertelsmann Stiftung, Gütersloh. 2003 weist auf eine Zunahme der körperlichen Aktivität Lan TY, Chang HY, Tong-Yuan T (2006). Relationship between compo- und Lebensqualität hin (Kallings et al. 2008). nents of leisure physical activity and mortality in Taiwanese older adults. Preventive Medicine 43 (1): 36–41. Mosca L, Banka CL, Banjamin EJ et al. (2007). Evidence-Based Guide- Fazit lines for Cardiovascular Disease Prevention in Women: 2007 Uptake. Zur Förderung der Herz-Gesundheit liegen zahlreiche JACC 49 (11): 1230–50. Lahti-Koski M, Olli M, Pusa T, Koivisto P (2008). Heart symbol for meals Ansätze vor, die sowohl im Setting als auch auf Bevöl- – a tool for promoting a healthier lunch. 16th European conference on kerungsebene und bei Risikogruppen ansetzen. We- public health (EUPHA) “I-health: Health and innovation in Europe”. Eu- ropean Journal of Public Health 18 (Suppl 1): 69–70. sentlich für ihre nachhaltige Wirksamkeit sind nicht Liersch S, Henze V, Krauth C, Mayr E, Röbl M, Schnitzerling J, Suer- nur ein intersektoral abgestimmtes Vorgehen, sondern mann T, Walter U (2008a). Täglicher Schulsport in der Grundschule – auch langfristige Interventionen, die oft über kurzfris- das Projekt „fit für pisa“. In: Knoll M, Woll A (Hrsg.). Sport und Ge- sundheit in der Lebensspanne. Jahrestagung der dvs-Kommission tige Modellprojekte hinausgehen. Gesundheit vom 10.–11. April 2008 in Bad Schönborn. Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft. Czwalina Verlag, Ham- burg: 209–214. Liersch S, Bisson S, Henze V, Röbl M, Krauth C, Walter U (2008b). Effects of daily physical education during four years at primary schools on gene- Literatur: ral physical activity of children in everyday life – project: “fit for pisa”. 16th Baker JL, Olsen LW, Sorensen TIA (2007). 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Wahrnehmen, Bewegen, Lernen – Kindheit Schulentwicklung bewegt gestalten – Grundlagen, Anregungen, Hilfen. in Bewegung. Hoffmann, Schondorf. Tagungsband Gemeinsam gesund
Plenarvorträge Kardiovaskuläre Prävention: Psychologie und Medizin im Dialog über psychosoziale Risikofaktoren und evidenzbasierte Ansätze Wolfgang Kallus und Thomas Uhlig Der Beitrag gibt einen Überblick über Ansätze psychoso- eindrucksvoller Weise untermauert werden. Dominante zialer Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Tiere in stabilen Tierkolonien weisen im Unterschied zu Im Rahmen eines Stress-Regenerations-Modells lassen experimentell destabilisierten Tierkolonien ein deutlich sich sowohl die klassischen Ansätze wie auch moderne, erhöhtes Risiko für Bluthochdruck und Arteriosklerose an biochemischen Risikofaktoren orientierte Ansätze auf. Damit scheint „sozialer Stress“, Ärger und Hostilität aus medizinischen Risikostudien integrieren. Erst die auf ein problematisches Risikomuster hinzudeuten. prozessorientierte Herangehensweise erlaubt zu erklä- ren, dass psychosoziale Risikofaktoren nicht nur zu ei- Aus arbeitspsychologischer Sicht besonders wichtige ner Schwächung des Individuums, sondern bei entspre- Beiträge sind das demand-control-Modell von Karasek chenden Bedingungen zu einer Stärkung/Anpassung (1979) bzw. Karasek und Theorell (1990), das Modell der führen können. Gratifikationskrisen (effort-reward imbalance model, Siegrist 2002) und das Total-Workload-Modell (Fran- Seit den 1950er Jahren bemüht sich die Psychologie Ri- kenhaueser et al. 1989, Lundberg und Frankenhaeuser siokofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen insbe- 1999). In diesen Studien bestätigt sich als zentraler Fak- sondere für essentielle Hypertonie und koronare Herz- tor neben der sozialen Unterstützung auch die Notwen- krankheit zu identifizieren. Dazu wurden zunächst digkeit, zwischen Beanspruchung und Ressourcen eine querschnittliche und längsschittliche epidemiologische angemessene Balance zu finden. Empirische Untersu- Ansätze verwendet. Diese wurden für einen Teil der chungsbeispiele zur Bedeutung dieser Balance werden identifizierten Risikofaktoren durch experimentelle Ar- zur Diskussion gestellt. beiten zur Klärung der Kausalität der psychosozialen Faktoren ergänzt. Während der Versuch, allein durch Aus medizinischer Sicht gelten hinsichtlich der Entste- die Anzahl kritischer Lebensereignisse kardiovaskuläre hung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowohl soziode- Mortalität oder das Entstehen von Bluthochdruck vor- mographische Aspekte (männliches Geschlecht, höheres herzusagen, wenig erfolgreich endete, führten Arbeiten Alter) als auch genetische Aspekte (familiäre Belastung), zu individuellen Verhaltensmustern und personenbezo- Lebensgewohnheiten (Rauchen) und allgemein soma- genen Risikofaktoren zumindest zu gut replizierbaren tische Aspekte (Hyperlipoproteinämie, Diabetes melli- Ergebnissen. Neben der kardiovaskulären Reaktivität, tus) als etablierte Risikofaktoren. Diese Risikofaktoren die insbesondere bei Borderlinehypertonie eindeutig zeigen substanzielle Korrelationen mit der Entstehung erhöht ist, ist hier insbesondere das Typ-A-Verhalten und dem Fortschreiten von Arteriosklerose, womit klar (Friedman und Rosenman 1959) zu nennen. Das zu- ist, dass damit eine hohe Spezifität hinsichtlich der Ent- nächst über Interviews erfasste Typ-A-Verhaltensmus- stehung und dem Fortschreiten der koronaren Herz- ter erwies sich als komplex und über Fragebogen nur krankheit angesprochen ist, die in der Regel eine Folge schwer abbildbar. Als stabile Teilkomponente konnte der allgemeinen Arteriosklerose ist. Auffallend wenige jedoch eindeutig eine hohe Hostilität als Risikofaktor Arbeiten befassen sich mit anderen kardialen und/oder für Herz-Kreislauf-Erkrankungen identifiziert werden. vaskulären Erkrankungen. Hinsichtlich des kardiovas- In neueren Arbeiten konnte zudem gezeigt werden, dass kulären Risikos postulieren neuere Arbeiten (Hamer mangelnde Distanzierungsfähigkeit und die Unfähigkeit und Stamatakis 2008) einen additiv-akkumulativen Ef- „abzuschalten“ auch für Herz-Kreislauf-Symptome als fekt von modifizierbaren Faktoren (z.B. Hypercholes- Risikofaktor zu berücksichtigen sind. Interessanterweise terinämie, Rauchen) hinsichtlich der Vorhersage von konnte in Tiermodellen die Rolle psychosozialer Fak- schwerer wiegenden Ereignissen. Diese schwerer wie- toren z.B. in Arbeiten von Henry und Stephens (1977) in genden Ereignisse (z.B. Auftreten eines Myokardin- 10 Fonds Gesundes Österreich
Plenarvorträge farktes) werden in den meisten neueren Arbeiten mit gen, verschiedene Aspekte des Verhaltens und Erlebens immunologischen (z.B. Erhöhung der Konzentration des ansprechen. Zu nennen sind emotionale Aspekte (Är- C-reaktiven Proteins im Blut) und hämostaseologischen ger, Angst und Depression; vgl. Suls und Bunde 2005), Aspekten (z.B. Erhöhung der Fibrinogen-Konzentra- Aspekte der Persönlichkeit (z.B. Typ-D-Verhalten; vgl. tion im Blut) in Verbindung gebracht (vgl. Uhlig und Denollet et al. 2000), allgemeine Aspekte der Stressre- Kallus 2005). aktion (z.B. Erschöpfungszustände; vgl. Kop et al. 1994, Appels et al. 1992) oder Aspekte der Arbeitswelt bzw. Eine ähnliche Fokussierung ist auch bei Arbeiten zu Fra- soziale Aspekte (z.B. Social support; vgl. Kivimaki et al. gen der Stressreaktivität festzustellen. In einer Meta- 2002). Problematisch bei der integrativen Interpretation Analyse von Untersuchungen zu inflammatorischen In- der verschiedenen Befunde ist die inhaltliche Überlap- dikatoren der Stressreaktion sehen Steptoe, Hamer und pung der angesprochenen Konstrukte. So lassen sich aus Chida (2007) insbesondere die Konzentration der In- psychologischer Sicht „Angst“ und „Ärger“ sicherlich terleukine IL-6 und IL-1ß im peripheren Blut als geeig- hinsichtlich ihrer emotionsspezifischen Aspekte vonein- net an, Aspekte der akuten Stressreaktion abzubilden. ander trennen, zeigen aber hinsichtlich der emotionsun- Das C-reaktive Protein oder der Tumornecrosisfaktor- spezifischen Aspekte (z.B. Erregung sowohl bei „Angst“ alpha zeigen weniger stabile Ergebnisse. Unabhängig als auch bei „Ärger“) deutliche Gemeinsamkeiten. Da- von methodischen Fragen, z.B. inwieweit Konzentra- durch wird sowohl die theoretische Konzeption von tionen von inflammatorischen Markern im peripheren psychologischen Risikofaktoren im Kontext kardiovas- Blut die tatsächlichen Prozesse in Geweben des kardio- kulärer Erkrankungen erschwert als auch die vorhan- vaskulären Systems abbilden, muss bei der Interpreta- dene empirische Evidenz eher uneindeutig. Klar scheint tion solcher Befunde stets auch die Abhängigkeit von jedoch, dass es nicht einzelne psychologische Faktoren rein physiologischen Prozessen berücksichtigt werden. sind, die das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen de- So verursachen beispielsweise auch Verschiebungen des terminieren, sondern eher von einem Prozess ausgegan- Plasmavolumens vergleichbare Veränderungen der In- gen werden muss, der sich auf verschiedenen Ebenen terleukinkonzentrationen. Überdies sind die hier in Rede (psychologisch, biologisch, sozial) manifestiert. stehenden Konzentrationsveränderungen deutlich ge- ringer ausgeprägt als beispielsweise beim Vorliegen ei- In diesem Kontext kommt der Stressreaktion besondere ner Infektion und konsekutiver systemischer Inflam- Bedeutung zu, wobei insbesondere zwischen Aspekten mation (Sepsis). Neben dem Zusammenhang zwischen einer akuten Stressreaktion und chronischen Stresszu- inflammatorischen Indikatoren und Aspekten der allge- ständen – bis hin zum sogenannten Burnout – zu un- meinen Stressreaktion zeigen sich auch direkte Korre- terscheiden ist (vgl. Uhlig und Kallus 2004). Die Be- lationen zwischen Inflammation und kardiovaskulären ziehungen zwischen Aspekten der Stressreaktion und Aspekten. Ellins et al. (2008) wiesen in diesem Kontext inflammatorischen Indikatoren kardiovaskulärer Erkran- differenzielle Effekte der inflammatorischen Antwort kungen sind dabei mittlerweile gut untersucht (Steptoe auf Stress auf die Ausprägung struktureller Verände- et al. 2007). Ergänzend zum inflammatorischen System rungen in den arteriellen Blutgefäßen nach. sind auch sympathoadrenerge Aspekte sowie Befunde zum Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden- Gleichwohl sind die genauen Zusammenhänge zwischen System (HPA-Achse) zu berücksichtigen. Hinsichtlich psychosozialen Aspekten der Stressreaktion und dem sympathoadrenerger Aspekte als Indikatorebene für kardiovskulären Risiko nach wie vor unklar. die akute Stressreaktion zeigt sich eine gute Korrela- tion zwischen einer verminderten Herzraten-Variabi- Dies liegt wohl unter anderem auch an der Heterogeni- lität und inflammatorischen Markern kardiovaskulärer tät der untersuchten Konstrukte. Unbestritten ist seit Erkrankungen (Haensel et al. 2008). Hinsichtlich der längerem (vgl. Kudielka et al. 2004, Rozanski et al.1999 Funktion der HPA-Achse als Indikatorebene für chro- und Booth-Kewley et al. 1987), dass – ähnlich den medi- nischen Stress zeigen sich u.a. Fehlanpassungen derart, zinischen Risikofaktoren – psychosoziale Faktoren, die dass die Cortisolantwort auf Stressreize bei vorhande- das Entstehen kardiovaskulärer Erkrankungen begünsti- nem chronischen Stresszustand gestört ist (Kudielka Tagungsband Gemeinsam gesund 11
Plenarvorträge 2006). Besonders eng sind die Beziehungen zwischen soziales Modell zugrunde gelegt werden, wobei klar ist, dem Vorliegen von „Burnout“ und somatischen Indi- dass die damit angesprochenen biologischen, psycho- katoren kardiovaskulärer Erkrankungen (Shirom und logischen und sozialen Reaktionen sich wechselseitig Melamed 2005). bedingen. Somit erscheint es sinnvoll, Risikofaktoren prozessuralen Charakter zuzuschreiben; d.h. sie sind je- Auch wenn die Beziehungen zwischen unterschiedlichen weils unterschiedlich stark ausgeprägt. Für die morpho- Aspekten der Stressreaktion, inflammatorischen Indika- logische Manifestation kardiovaskulärer Störungen (z.B. toren und kardiovaskulären Risikofaktoren mehr oder Arteriosklerose) muss wohl angenommen werden, dass weniger eindeutig sind, wird die Interpretation der Be- diese durch länger andauernde Fehlbeanspruchungen im funde auch dadurch erschwert, dass inflammatorische Sinne des chronischen Stressmodells entstehen. Insofern Zustände an sich auch verhaltensrelevante Aspekte ha- haben Aspekte der Stressreaktivität nach wie vor eine ben. Dies zeigt sich exemplarisch am mittlerweile weit herausragende Bedeutung bei der Erklärung der Entste- verbreiteten Konzept des sogenannten „sickness-beha- hung von kardiovaskulären Störungen. vior“ (Dantzer und Kelley 2007). Biologische Antworten auf Stress können sinnvoll auf Mit dem Konzept des „sickness behavior“ ist das Kon- drei Stufen untersucht werden, von der Wahrnehmung zept immunologisch vermittelter Verhaltensauffällig- von Stress hin zu kurz- und langfristigen adaptiven Ant- keiten verbunden, welche sich auch in verschiedenen worten. Es soll darauf hingewiesen werden, dass jeder Störungsbildern manifestieren können. Diskutiert wer- identifizierte Faktor gleichzeitig sowohl stressfördernd den emotionale Störungen (z.B. Depressivität), Über- wie auch stressreduzierend sein kann. Dies macht die gewicht, vor allem aber auch kardiovaskuläre Zusam- Interpretation der Forschungsergebnisse schwierig. Da menhänge. Offen bleibt in diesem Kontext bislang, ob oft nur das Vorhandensein oder das Fehlen eines Fak- „sickness behavior“ zu erklären ist über eine länger an- tors beschrieben wird und nicht was das Vorhanden- dauernde Überproduktion von Zytokinen, wie sie bei- sein oder das Fehlen eines Faktors für eine bestimmte spielsweise auch im Kontext der Stressreaktion zu sehen Person bedeutet. Die Mechanismen, durch die anstren- ist, oder ob die Überproduktion der Zytokine eine Folge gende Vorkommnisse oder Umstände psychologische des beobachteten Krankheitsverhaltens ist. Die erste oder somatische Antworten hervorrufen, sind kompli- Hypothese lässt sich problemlos auch über die bereits ziert. Die Idee, dass psychophysiologische Stressantwor- beschriebenen Zusammenhänge zwischen Inflammation ten hinsichtlich Wahrnehmung, sofortiger Antwort und und Aspekten von Burnout beschreiben, womit unmit- verlängerter Manifestation diskutiert werden sollten, telbar auch die zitierten Zusammenhänge zu kardiovas- entspricht gut den biologischen Prinzipien, dass Neu- kulären Störungen deutlich werden. Die zweite Hypo- rotransmitter auf Basis der Geschwindigkeit der Ant- these lässt sich durch Tierversuche unterstützen, welche wort, der Dauer des Ereignisses und dem Umfang der am Beispiel von Modellen zu chronischem Schmerz Aktivität unterschieden werden können. Inhibitorische zeigten, dass eine Übertragung von Serum eines „sick- (z.B. GABA) und exzitatorische Aminosäuren (z.B. Glut- ness behavior“-zeigenden Tieres auf ein gesundes Tier amate) haben spezifische, lokalisierte Kurzzeiteffekte. bei eben diesem auch Symptome von „sickness beha- Monoamine Transmitter (z.B. Norephedrin, Dopamin), vior“ auslösen kann. Im Humanbereich sind ähnliche Acetylcholin und Histamin produzieren langsamere aber Zusammenhänge beispielsweise im Kontext schwerer länger anhaltende Antworten, die die Aktivität der pri- systemischer Inflammationen beschrieben. Hier ist bei- mären Aminosäuretransmitter zu modulieren scheinen. spielhaft die sogenannte Critical-Illness-Polyneuropa- Neuropeptide (z.B. der Corticotropin-sekretierende Fak- thie nach schwerer Sepsis zu nennen. tor und Endorphine) produzieren sogar noch langsamere Antworten, die dazu neigen, weitreichender und län- Werden die vorgestellten Befunde aus den unterschied- ger andauernd zu sein. Dennoch sollten Diskussionen lichen Forschungskontexten zusammengefasst, so muss über die Anfälligkeit für Stress und die Fähigkeit, mit bei der Definition von Risikofaktoren für die Entstehung Stressoren umzugehen erarbeitet werden. So wie auch kardiovaskulärer Störungen zwingend ein biopsycho- stressige oder widrige Umstände, die Symptome oder 12 Fonds Gesundes Österreich
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