Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
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Kunstpreis der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Bayern 2019 Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 Gerhard Rießbeck
DIE JURY DES KUNSTPREISES 2019 EINSTELLUNGEN Zum Kunstpreis 2019 Helmut Braun SANDRA BACH Am 31. Oktober 1517 schlug Martin Luther in Witten- Ebenfalls für 2015 war Gerhard Rießbeck anlässlich Persönliche Referentin des Landesbischofs berg seine 95 Thesen an. Sie lösten breite Diskussio- der Lutherdekade zu einem Kunstprojekt im Evange- der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern nen aus, die schließlich zur Reformation führten. Im lisch-Lutherischen Kirchenkreis Bayreuth eingeladen. Heinrich Bedford-Strohm, Rahmen der Reformationsdekade, einer Veranstal- Unter dem Motto „12[W]ORTE – ein Weg zu Bibel, Landeskirchenamt München tungsreihe, die am 21. September 2008 begann und Kunst, Gemeinde“ haben 12 ausgewählte Künstle- mit dem Jubiläum des 500. Jahrestags des Thesen- rinnen und Künstler die Aufgabe übernommen, sich in FRIEDERIKE BÄUMER anschlags im Jahr 2017 endete, wurde das weite jeweils einer Kirchengemeinde mit einem von dieser Persönliche Referentin der Regionalbischöfin Themenspektrum der Reformation in Themenjahren gewählten Bibelwort auseinanderzusetzen. So hat im Kirchenkreis München und Oberbayern aufgenommen und dargestellt. Besonders im The- Gerhard Rießbeck für die Christuskirche in Ebern ein Susanne Breit-Keßler, Landeskirchenamt München menjahr „Bild und Bibel“ 2015 sowie im Jubiläumsjahr Deckenbild zur Kreuzigung Jesu gestaltet. Es zeigt PROF. MICHAEL BARTA 2017 wurde im Raum der Evangelisch-Lutherischen einen sich öffnenden Himmel mit bunten Luftballons Hochschule Hof, Abt. Münchberg, Kirche in Bayern eine Vielzahl von Ausstellungen und und einer schwebenden Dornenkrone. Studiengang Textildesign temporären Kunstaktionen veranstaltet. Beide Arbeiten entsprechen dem Leitgedanken lan- HELMUT BRAUN M.A. Das Kunstreferat und die regionalen Kunstbeauftrag- deskirchlicher Kulturarbeit, Kunst in den Raum einzu- Kunstreferent der Evangelisch-Lutherischen Kirche ten nahmen dies mit großem Interesse wahr, ist doch bringen, nicht im Rahmen einer Ausstellung, sondern in Bayern, Landeskirchenamt München die Auseinandersetzung mit zeitlich begrenzten in Form einer temporären „Einstellung“. Achtsame DR. THOMAS HEYDEN Kunstaktionen eine große Chance für Kirchengemein- und behutsame Einstellungen im Diskurs mit Künstle- Neues Museum Nürnberg, den, den Umgang mit Kunst einzuüben. So lag es rinnen und Künstlern sowie den Kirchengemeinden Leitung der Sammlung und stellvertretender Direktor beinahe auf der Hand, den diesjährigen Kunstpreis- können zu einer gelingenden kirchlichen Kulturarbeit träger unter den mitwirkenden Künstlern der Luther- beitragen. So ist das Bad Windsheimer Altarbild in- PROF. DR. KLAUS RASCHZOK dekade zu suchen. Nach einer Vorauswahl von acht zwischen Bestandteil der landeskirchlichen Kunst- Lehrstuhl für Praktische Theologie, Vorschlägen des Arbeitskreises Kirche und Kunst der sammlung. Augustana-Hochschule Neuendettelsau, Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern entschied 1. Vorsitzender des Vereins für Christliche Kunst sich die eigens zusammengestellte Fachjury für den Wenn Kirche mit Kunst und mit Kulturschaffenden in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern e.V. Bad Windsheimer Maler Gerhard Rießbeck. arbeiten will, sollte es immer um die Entwicklung inte- PFARRER DANIEL SZEMERÉDY grativer Konzepte gehen. Künstlerische Qualität ent- Regionaler Kunstbeauftragter, Nürnberg Das 7. Landeskirchliche Kunstsymposium unter dem steht, wenn Bezüge sichtbar werden – zum Raum Titel „Sakralität und Landschaft“ war Anlass für Rieß- und zu dem, was in ihm stattfindet. Gerhard Rieß- beck, ein neues, zeitlich begrenzt einzusetzendes becks Arbeiten tun dies nach Meinung der Fachjury: Altarbild für die Spitalkirche in Bad Windsheim, seit Sie machen etwas sichtbar, was nicht sagbar ist. Sie 2006 Museum Kirche in Franken, zu malen. Es wurde lassen Interpretationsmöglichkeiten zu, bieten einen anstelle des historischen Altarblatts – ein Relief mit sinnlichen Zugang und eröffnen Erfahrungsräume. der Darstellung des Weltgerichts – eingebaut. „Para- Sie bieten Potential für einen engeren Austausch dies“ nennt Gerhard Rießbeck das Gemälde eines zwischen Kirche und Kunst und für eine fruchtvolle Eisbergs. Kooperation, die gerade auch im kritischen Dialog besteht. 2 3
„Schon in einer meiner ersten Ausstellungen, Ende der 1990er Jahre, habe ich gesagt: Im Grunde ge- nommen wäre ich wohl am liebsten ein Maler von Altarbildern. Das war natürlich nicht ganz ernst ge- meint. Aber was ich meinte, auch heute noch: Ich war ein Außenseiter im damaligen Kunstakademie- betrieb, denn ich habe Bilder gemalt, die waren ge- genständlich, auch Landschaften, und vor allem waren sie ganz stark mit Pathos aufgeladen. Das hat mit meiner Beschäftigung mit der Kunstge- schichte zu tun: Bilder, die eine sehr emotionale und pathetische Aufgeladenheit haben, sprechen mich sehr an. Bei einem Altarbild in einer Kirche ist alles auf dieses Bild konzentriert. Es ist nicht irgendein Wandschmuck. Es bringt ein Thema so auf den Punkt, dass der Raum nicht mehr funktio- niert ohne dieses Bild. Alles kulminiert in diesem Bild, was man sieht, denkt und fühlt. Das ist das Optimum, was ein Bild leisten kann. Ich würde mei- ne Bilder gerne an so einem Punkt sehen, wo man sich so stark berührt fühlt – das kann angenehm und unangenehm sein. Dass man dem Bild einfach nicht ausweichen kann, ihm in irgendeiner Form ausgesetzt ist. Ich kenne wenige Situationen, wo das so gut funktioniert wie in einem Kirchenraum.“ Gerhard Rießbeck Gerhard Rießbeck, Paradies, 217 x 138 cm, Öl auf Leinwand, 2015 4 5
GRUSSWORT Susanne Breit-Keßler Regionalbischöfin im Kirchenkreis München und Oberbayern, Ständige Vertreterin des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Vor wenigen Wochen war ich mit meinem Mann un- Menschen, Tiere, Sensationen vor dem inneren Auge terwegs, um den nördlichen Polarkreis zu überschrei- entstehen, Pflanzen, Bäume, Flüsse immerhin. Eine ten. Überfahren wäre richtiger gewesen, weil wir mit zauberhafte, idyllische, warme, grün-bunte Welt. Aber einem Schiff unterwegs waren, aber in Zeiten der Kli- doch keinen nächtlichen Eisberg, gerahmt von Eva, makrise etwas in der Natur zu überfahren, wäre miss- Adam und überstanden vom auferstandenen und verständlich. Auf der Strecke hin zu den Lofoten be- triumphierenden Christus … Paradies. Der Künstler suchten wir Oslo. Wir bewunderten im Hafenbecken sorgt dafür, dass wir nicht borniert einer vorgeschrie- die unmittelbar vor dem Opernhaus liegende Skulptur benen Auftrags-Ästhetik frönen. Sondern uns im „Das Eismeer“, gestaltet von der italienischen Künst- Wortsinn kultivieren, dem Schönen, dem Wilden lerin Monica Bonvicini, inspiriert natürlich durch Cas- und Ungezähmten, auch dem Tragischen und ganz par David Friedrichs Gemälde. Sogleich eilten meine Anderen ein Ansehen zu geben. Gedanken hin zu dem Altarbild in der Bad Winds- heimer Spitalkirche von Gerhard Rießbeck, der „Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprech- faszinierenden Wand aus Schwarz, Weiß und Blau. lichen; darum scheint es eine Torheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen“, meinte Goethe in Dieses Bild begleitete mich fortan bei unserer Reise, seinen Maximen und Reflexionen. „Scheint“ sagt er – denn die Landschaft, von mir fälschlich als sonnig deshalb reden wir nicht nur, sondern fühlen, schme- und hell erwartet, ähnelte in ihrer Kälte und Dunkel- cken, riechen, schauen und hören. Es verbindet heit, in ihren überraschenden Lichtspielen immer Kunst und Kirche, dass sie es mit dem Unaussprech- mehr Rießbecks packender Darstellung. Ich verstand lichen, dem ganz Anderen zu tun haben – etwas und verstehe seit dieser Erfahrung immer mehr seine sagen und zeigen müssen, was eigentlich nicht zu Formulierung von einer „zwar unerbittlichen, aber sagen ist. Kunst und Glaube reflektieren beide auf je auch geheimnisvoll fremden Welt im Dämmerlicht“. eigene Weise Gott, Welt- und Selbsterfahrung. „Der Wie ihm begegneten mir bei unseren Ausflügen die Künstler erobert nichts, was außerhalb seiner selbst Menschen, wie er sagt, mit einer „Haltung zwischen ist, was nicht schon in ihm drin“ ist, sagt Gerhard Ehrfurcht und lebensnotwendigem Pragmatismus“. Rießbeck. Ich begriff beim Schauen der Realität und dem Blick auf meine Fotografien den Zusammenhang zwischen Er ermuntert damit die Sehenden, ihrerseits das Bild, Mythen und Landschaft. die Wand zu betrachten und zu schauen, wie es, wie sie sich in Beziehung setzen lässt zur eigenen inneren Als schließlich noch die Polarnacht ihr Licht voraus- Verfasstheit. Paradies – was läge näher, als an Para- warf, ward dem Staunen kein Ende. Aber Paradies? dise Lost zu denken, an schmelzende Gletscher, hei- Der Titel des Werkes von Gerhard Rießbeck lässt matlose Eisbären und zunehmende Wärme, weniger menschlich, denn klimatisch. Aber das wäre in mei- Weltgerichtsaltar in der Spitalkirche Bad Windsheim nen Augen zu billig, viel zu wenig. Die Schönheit des (Museum Kirche in Franken) mit Gerhard Rießbecks Bildes ist mehr als Plakat. Sie ist Sehnsucht wie in der Altargemälde „Paradies“ Bibel. Aus dem Ungestalteten, Unbestimmten ruft 6 7
„Ich bin ein Maler, der nur scheinbar Reali- täten darstellt. Es war auch nie mein Ziel zu berichten, wie es in der Antarktis ausschaut. Mir ist immer klar: Ich bin eigentlich ein Kulis- senschieber. Ich male Dinge, die sehr häufig Dreidimensionalität vortäuschen, weil ich glaube, dass das eine besondere Fähigkeit der Malerei ist und weil diese scheinbare Dreidimensionalität einen imaginären Raum Gott die Fülle zwischen Himmel und Erde hervor. für Gedankenspiele eröffnet. Wie realistisch Leere etwa hat Potenzial. Wiewohl oder weil selber ungefüllt, löst sie gespannte Erwartung aus auf das, ist die Landschaft auf dem Bild? Könnte ich was vor ihr war, was aus ihr hervorgeht. da herumlaufen? Und dann kommen hof- fentlich noch andere Gedanken dazu, die Nun ist dieses Bild nicht leer, sondern eine geheimnis- das Ganze in einen größeren, metapho- volle Landschaft zeigend und verdeckend zugleich. rischen Sinn stellen. Hinter dem Eisberg, gibt Was ist an der Seite hinter Adam und Eva, was es da eine andere Welt? Oder gibt es nur die kommt nach dem Durchgang, die Durchfahrt hin zu Welt, die wir sehen? Und nachdem ich Maler Blau und Weiß, den Symbolen für Transzendenz und bin, bin ich auf das, was man sehen kann, Ewigkeit? Der schöpferische Geist darf sich entfalten. angewiesen, versuche aber, etwas auszu- Ihr Paradies ist vor dem Hintergrund alltäglicher Ver- drücken, was eben nicht sichtbar ist.“ pflichtungen und vor allem weit verbreiteter mora- lischer Appelle ein wunderbar außergewöhnlich- Gerhard Rießbeck unerwarteter Bereich geistvoller Funktionslosigkeit. Funktionslosigkeit, die Betrachtende mit ihren Ein- drücken, Assoziationen und Gedanken füllen können. Und wir Menschen sehen und hören unterschiedlich; verbinden Geschautes und Vernommenes mit ureige- nen, unverwechselbaren Empfindungen, assoziieren emotional und rational differenziert. Klug, wer dieses Phänomen auch im Umgang mit dem uns anver- trauten, offenbarten Heiligen und dennoch unverfüg- baren und dadurch neu zu bestimmenden Profanen gelten lässt. Gott wird Mensch, er bekommt ein Ge- sicht, das ist gewiss – aber damit setzt er sich selbst der Deutung, sogar dem Missverständnis aus. So, wie Menschen sich selbst dem Irrtum, dem Unver- ständnis aussetzen, ihm ausgesetzt werden. Ist die- ses Paradies Sehnsuchtsort oder bloße Fiktion, Vortäuschung einer idealen Welt … Für mich ist es die Ahnung von Stille, von Ruhe, von Atemholen – fernab des täglich krachenden, klingeln- den, schwatzenden Lärms, der übertönen muss, was Gerhard Rießbeck, Paradies, Detail man in sich nicht hören und sehen will. Auch wenn ein 8 9
eisiges Paradies voll eigener Klänge ist, macht es eine gefrorene Dramatik – sie lehren ehrfürchtige grund alltäglicher Verpflichtungen einen außerge- ihre Kunstwerke. Der Schriftsteller Elias Canetti sagt: ruhig, führt einen gemächlich zu sich selbst zurück Demut und die gelassene Hoffnung aus Sag- und wöhnlichen und unerwarteten Raum völliger Funkti- „(Es ist das) Prinzip der Kunst: mehr wiederfinden, als und bringt dadurch vorwärts – vielleicht sogar hin zu Sichtbarem hinter, über allem. onslosigkeit bedeuten – in des Wortes schönstem verloren gegangen ist“. Christenmenschen, sicher dem, der einen selbst samt inneren und äußeren Eis- und befreiendstem Sinn. Die Leidenschaft für Leben auch Künstler und Künstlerinnen müssen bei allen Er- bergen geschaffen hat. Im wahrhaft beseligendsten Das Verhältnis von Kunst und Kirche ist eine ästhe- verbindet beide. „Und die Erde war wüst und leer“, folgen Tag für Tag feststellen, woran sie gescheitert Fall wird Sehnsucht nach Wahrheit erfüllt – eine Sehn- tisch-geistreiche Beziehung, in der sich Individuen mit heißt der zweite Satz der Bibel. Leere steht am Be- sind, welche großen und kleinen Lebensverluste sie sucht, die angesichts so vieler unverschämter Be- ihrer je persönlichen Erfahrung und Reflexion von Im- ginn göttlicher Kreativität. Aus dem „Nichts“ wird erlitten haben. Der Glaube, dem unsere Kirche dienen hauptungen, dies oder das sei wahr, müsse genau so manenz und Transzendenz begegnen. Beide, Kunst „Etwas“. Das Paradies. Klar, kühl, faszinosum et tre- will, sagt ein „Dennoch“. Er baut auf die wahrhaft und nicht anders sein, möglicherweise gerade in der und Kirche, müssen gesellschafts- und individualitäts- mendum, offen für Deutungen und damit für Leben. göttliche Verheißung: „Ich lebe und ihr sollt auch le- distanzierten Kühle erfüllt werden könnte. kritisch daran erinnern, dass die vorfindliche Wirklich- ben.“ Hier, jetzt und über den Tod hinaus. Kunst und keit kein unüberwindliches geschlossenes System Klarheit ist es, die vermittelt werden möchte, gepaart Kirche müssen unmissverständlich klarmachen, dass Ein „unablässig eingehämmertes Aufgepasst!“ darstellt. Beide sind aufgerufen, zur Vorstellung des mit Sinn für das Imaginäre, Mystische, das dem Le- sie auf der Seite des verletzlichen und bedrohten Le- (Philippe Garnier) erfordert Eindimensionalität statt Gegenteils zu ermuntern, wo das Gelingen irdisch- ben seine Geheimnisse und Schönheiten, seine bens stehen. Die Leidenschaft für Leben, für das Pa- geistig-geistlicher Offenheit für die Ausdehnungen der menschlichen Lebens gefährdet ist. Natürlich sind wir zarten und großen Wunder belässt. Es geht nicht bloß radies, zeitweilig und ewig, verbindet beide. Wirklichkeit, für Transzendenz, die nicht aufgeht im da schnell wieder bei dem Menetekel der schmel- um momentane Befindlichkeit. Wir haben Anspruch Vorfindlichen. Damit ist das Zeigen und Verhüllen, das zenden Gletscher, der gescheiterten Hoffnung des auf Wahrheit. „Es ist von jeher eine der wichtigsten Das Paradies von Gerhard Rießbeck ist nicht allein Nahebringen und Entziehen im Werk von Rießbeck Caspar David Friedrich. Aber: „Imagine the opposite“ Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu er- Ausdruck momentaner Befindlichkeit, sondern erhebt ein gesellschaftspolitischer, möglicherweise revolutio- stand einmal als Leuchtschrift am Lenbachhaus. zeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch Anspruch auf Wahrheit und entfaltet damit zugleich närer Akt. Wir Christenmenschen bekennen: „Der nicht gekommen ist“, sagt Walter Benjamin. Wir ha- kritisch-reflektierende Kraft. Deswegen erfüllt seine Herr ist der Geist; wo der Geist des Herrn ist, da ist Kunst kann Leben lehren, nicht moralisierend, son- ben es mit Vergangenheit und Gegenwart, mit Zu- Einstellung in den Sakralraum das, was man sich vom Freiheit.“ Auch die Freiheit des schon und des noch dern so, dass es Herz und den Kopf gleichermaßen kunft und Hoffnung zu tun. Lebenswelten, individuelle Diskurs zwischen Kunst und Theologie nur wünschen nicht, des Erkennens und bloßen Ahnens oder Ver- anspricht. Sie kann wie Kirche heilen, was verunsi- Biographien lassen sich nicht naiv verherrlichen. Sie kann: Wahrnehmung und Transzendierung des All- mutens, das neue Klarheit ermöglicht. Neue Klarheit chert, verwundet, verwirrt ist. Damit bin ich doch müssen in ihrer Ambivalenz gesehen und oft genug tags. Es ist an uns, in lebendiger künstlerischer Frei- lässt sich gewinnen – im Blick auf zwischenmensch- überzeugt im Paradies gelandet, das auf Erden zu- unter Schmerzen ausgehalten werden. heit, beflügelt von dem guten Geist Gottes, dumm- liche Beziehungen, auf sich selbst. mindest zeitweilig möglich ist – und zwar gerade dunkle Geister zu vertreiben und diese Welt sehr dann, wenn Konzentration, wenn Reduktion auf das Kunst demonstriert Freiheit in einer Welt der Funktio- munter zu gestalten. Auf dass sie lebenswert bleibe – Kunst kann zur „Sprache der Religion“ werden, kann Wesentliche möglich ist, wie auf und in dem Werk von nen; in christlicher Sprache ausgedrückt: Die Freiheit für uns und alle, die mit uns diese Erde bewohnen. religiöse Funktion haben, in dem sie die Betrachten- Gerhard Rießbeck. Sein Bild, die Altarwand, hat as- des Geistes Gottes. Kunst und Kirche haben die Auf- Ich danke Gerhard Rießbeck, für ein Stück vom den aufstört oder vergewissert, verunsichert oder be- tronomische und ästhetische Atmosphäre. Sie lenkt gabe, gegen den schönen und den scheußlichen Paradies. freit, ihnen zur Er-Leuchtung verhilft oder manches im die Wahrnehmung auf Welt und Landschaft, entlockt Schein anzugehen, um in der Begegnung mit ihnen Ungewissen lässt. Der Kunst ist es möglich, wahrhaf- einem verschiedenste Stimmungen des Da- und des mit wahrhaftigem Sinn zu beschenken. Kunst wie Kir- tige religiöse Empfindungen und Erfahrungen hervor- Ferne-Seins, der Gewissheit und des innigen Verlan- che sollen als kritisches Korrelat zur Wirklichkeit auf- zurufen – in der Begegnung mit Gerhard Rießbecks gens nach mehr. treten – einer Wirklichkeit, deren Ästhetisierung und Bild, der Altarwand. Umgekehrt kann religiöse, christ- Inszenierung zum Verlust ihrer ursprünglichen Bedeu- liche Deutung eines Kunstwerkes dazu beitragen, Kunst konstituiert ein Moment von Freiheit in einer tung führt. Vieles ist nicht mehr wirklich und wahr, dass seine schöpferische Tiefendimension angemes- Welt der Funktionen und der einstudierten Posen. Sie vieles nicht mehr aufrichtig gemeint. Gut, dass wir Abb. Seite 12/13 sen erkannt wird. Ein Panorama der äußersten Welt, kann wunderbarerweise wie Kirche vor dem Hinter- Orte der Reflexion darüber haben wie Kirchen und Gerhard Rießbeck, Paradies, Detail 10 11
ParadEIS Laudatio auf Gerhard Rießbeck Thomas Heyden Es war ein Experiment. Für den Künstler, das Muse- Landschaft“ zu widmen. Vier Jahre später sprach um, die Kirche und die Menschen vor Ort. Gerhard die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ihren Rießbeck heißt der Künstler, der in Bad Windsheim Kunstpreis für das Jahr 2019 Gerhard Rießbeck zu. lebt. Das mittelfränkische Städtchen besitzt mit dem Das Experiment war offensichtlich gelungen. Fränkischen Freilandmuseum einen Besucherma- gnet. Dem Freilandmuseum assoziiert ist das Muse- Gerhard Rießbeck malt gegenständlich. Weder natu- um Kirche in Franken, das in der Spitalkirche zum ralistisch noch realistisch. Der Künstler ist vielmehr ein Heiligen Geist eine ideale Heimstatt gefunden hat. Gedankenmaler, der mit bildlichen Metaphern nach Zur Ausstattung des spätmittelalterlichen Sakralbaus dem Wesen der Bilder, aber auch der conditio huma- zählt der nach den Künstlern Georg Brenck d. Ä. und na fragt. Nur handelnd kann sich der Mensch begrei- Georg Brenck d. J. benannte Brenck-Altar von 1622- fen und verwirklichen. In Rießbecks Bildwelt ist es der 23. Er war erst 1931 von Ansbach nach Bad Winds- Forscher, der sprichwörtlich wie im realen Sinn zu heim gekommen und stand bis zum Zweiten Welt- neuen Horizonten aufbricht. Als Entdecker stößt er krieg als Seitenaltar an der nördlichen Chorwand. auf unbetretenes Terrain vor, um am Ende sich selbst Erst nach dem Krieg ersetzte er den ursprünglichen zu begegnen. Dort am Ende der Welt, wo eine le- Hauptaltar, der ins benachbarte Ulsenheim gegeben bensfeindliche Umgebung dem Menschen die kalte worden war. Die ursprüngliche Predella, die die Stif- Schulter zeigt. In den schneeweißen Weiten, die träu- terfamilie Greiß gezeigt haben könnte, wurde durch men lassen, nicht nur in der Nacht, wenn sich die ein Abendmahlrelief ersetzt, das aus einem Apostelal- Nordlichter unter den Rock schauen lassen. Und so tar der Spitalkirche stammt. So hatte der Altar bereits wird die Landschaft zum Spiegel der Seele, ganz in eine Wandlung seines Bildprogramms erfahren, als der Tradition der Romantik. Nein, Realist ist der Maler vom Kunstreferat der Evangelisch-Lutherischen Kir- nicht, auch wenn er sich in den Tagebucheintragun- che in Bayern an Gerhard Rießbeck der Auftrag gen seines „Dämmerbuchs“ angenehm offen zeigt für erging, für den Brenck-Altar ein alternatives Altarbild die mitunter doch nur banalen oder komischen Ein- zu malen. Als temporäre Intervention, wie vorüberge- drücke, die der Künstler während eines Grönlandauf- hende Eingriffe in der Sprache des Kunstbetriebs hei- enthalts im Januar 2009 sammelte. ßen. Denn es war ja ein Experiment, keine neue Dauerlösung. Immerhin für rund eineinhalb Jahre prä- Gerhard Rießbeck zieht es seit 1994 immer wieder sentierte sich der Altar in verwandelter Gestalt. Die in das Eis des Nordens. Island und Grönland waren Eröffnung, genauer gesagt Enthüllung, am 12. Juni schon mehrfach seine Reiseziele. Mit dem Alfred- 2015 wurde zum Anlass für das 7. Landeskirchliche Wegener-Institut war er als „Expeditionsmaler“ in der Kunstsymposium, sich dem Thema „Sakralität und Arktis (2001) und einmal sogar am entgegengesetz- ten Pol, in der Antarktis (2005) unterwegs. In der Lie- be für das Extreme hat ihn gewiss auch sein Lehrer Weltgerichtsaltar in der Spitalkirche Bad Windsheim an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg (Museum Kirche in Franken) mit Gerhard Rießbecks bestärkt. Denn Gerhard Rießbeck studierte von 1987 Altargemälde „Paradies“ bis 1993 bei Werner Knaupp und wurde anschlie- 14 15
„Mit dem Titel „Paradies“ wollte ich klar machen, dass die flankierenden Skulpturen von Adam und Eva nicht nur irgendwelche Figuren sind, sondern dass ich diesen Altar als Gesamtkonzept sehe. Und dass sich die Vorstellung vom Paradies innerhalb der drei Jahrhunderte, die zwischen dem Brenck-Altar und meinen Gedanken liegen, natürlich geändert hat. Aber dass diese ßend für drei Jahre sein Assistent. Auf Reisen unter Doch das Erstaunlichste an diesem radikalen Bruch Frage, was nach dem Tod ist, wie man sich anderem in die Sahara und Antarktis, auf die Lofoten mit traditioneller christlicher Ikonographie war die und Hawaii, nach Neuseeland und Island entwickelte Beobachtung, wie harmonisch sich die Eismeersze- das vorstellen kann und ob wir überhaupt Knaupp sein Verständnis von Natur als „Kraftfeld“, nerie in den Kontext des historischen Altarretabels bildliche Vorstellungen dazu entwickeln dessen Energien er in Malerei übersetzt. Im Unter- einfügte. Der strengen Symmetrie, wie sie Altarauf- können – dass diese Frage uns noch im- schied zu seinem Schüler, der dem Licht, den Farben sätzen grundsätzlich und auch jener Weltgerichts- mer bewegt und es dazu auch tragfähige und der Atmosphäre der unwirtlichen und mitunter szene eigen ist, die normalerweise das Zentrum des Bilder gibt, die weniger Antworten geben, auch unwirklich anmutenden Eislandschaften nach- Altars schmückt, verweigerte sich der Künstler aller- sondern eher Fragen stellen.“ spürt. Doch nie als Selbstzweck, sondern stets im dings, um räumliche Tiefe zu evozieren. Diese Dienste eines Bildes, das am Ende immer eine Wirk- Lösung stand am Ende eines kompositionellen Gerhard Rießbeck lichkeit eigenen Rechts bildet. Ringens, das erst nach Übermalung eines zweiten Eisbergs auf der rechten Seite zu einem Abschluss Landschaft wird bei Gerhard Rießbeck unweigerlich kam. Das meditative Landschaftsbild, das an die zur Polarlandschaft. Insofern war das Experiment im Stelle eines vielfigurigen und hochdramatischen Ge- Grunde vorgezeichnet. Doch niemand, vielleicht noch schehens trat, verlagerte die Gewichte und lenkte nicht einmal der Künstler selbst, hätte die suggestive die Aufmerksamkeit auch auf die verbleibenden drei Wirkung eines Altarblattes ahnen können, das statt Figuren, die sich stark plastisch aus ihren Nischen Heilsgeschichte das nächtliche Eismeer zeigt. Das abheben, deren Dunkel wie eine Fortsetzung des Bild eröffnet eine enorme Tiefe. Das Auge gleitet über nächtlichen Bildes erschien. Links und rechts flan- den Wasserspiegel, der von treibenden Eisschlieren kieren Adam und Eva das Altarbild, beide mit Äpfeln durchfleckt ist. Erst diese Struktur macht die waage- vom Baum der Erkenntnis. Während Adam auf den rechte Fläche erfahrbar. Am linken Horizont starrt die Höchsten verweist, beißt Eva selbstvergessen in die ebenmäßige Spitze eines Eisbergs aus dem Wasser. Frucht. Darüber, als Abschluss in einer Arkade ste- Er wirkt so gar nicht pittoresk oder bedrohlich. Eher hend, der auferstandene Heiland mit zum Segen er- scheint er sich dem Blick entziehen zu wollen. Unter- hobener Rechter. Er hat den Tod besiegt und die tauchen ins Dunkel der Nacht, abdriften aus dem Bild Sünde von den Menschen genommen. Die drei Fi- hinaus, hinter die Säule der architektonischen Rah- guren deuten die Erlösungsgeschichte in denkbar mung. Doch noch leuchtet er bläulich aus der Dunkel- knappster Form an. Auf die in der Predella darge- heit, selbst ganz Lichtquelle, die sich vertikal im unbe- stellte Einsetzung des Sakraments des Abendmahls wegten Wasser spiegelt. Eine magische Erscheinung, verzichtete der Künstler aus ästhetischen wie inhalt- fremd und rätselhaft. Gegenstand einer unbestimm- lichen Gründen. Für die Dauer der Intervention wur- ten Sehnsucht. Wenn sich angesichts von Land- de das Relief durch ein Gemälde ersetzt, das den schaften Transzendenz erleben lässt, dann hat es der Vordergrund des Bildes nach unten verlängerte. Maler verstanden, diese Erfahrung zu teilen. Das Bild gibt eine Ahnung von dem, was sich nicht mehr zei- Gerhard Rießbeck deutete das Altarretabel nicht gen lässt. nur ästhetisch, sondern auch theologisch um. Da- Gerhard Rießbeck, Erstfassung „Paradies“ mit zwei bei begnügte er sich nicht mit dem Schauder des Eisbergen, 2015 16 17
Numinosen und der Unverbindlichkeit der Andeutung, Altargemälde hätte ebenso gut Anlass zu einem sondern gab seinem Bild einen handfesten Titel, der Symposium über „Ökologie und Christentum“ geben zunächst überrascht, denn das „Paradies“ stellt man können. sich landläufig eher als üppig grünenden Garten oder in der Ikonographie des Tourismus als palmenbestan- denen Strand vor. In einer Einführung in sein Altarbild, die der Künstler im Rahmen des erwähnten Sympo- siums gab, erinnerte Rießbeck an den Geographen August Petermann, dessen Spekulation über eine hinter dem Eisgürtel des Nordpols liegende Land- masse mit gemäßigtem Klima paradiesische Züge annahm. Schon seit jeher vermutete man das Para- dies dort, wo man nicht hingelangen konnte. Aus dem 16. Jahrhundert stammt beispielsweise eine Karte von Gerhard Mercator, die die Arktis nach dem Vorbild des Paradieses von vier Strömen durchflos- sen darstellt. Doch es wäre zu kurz gegriffen, sich mit solchen Exkursen in die Geschichte der Polarfor- schung zu begnügen. Schließlich stand links und Caspar David Friedrich, Das Eismeer, Hamburger Kunst- rechts von Rießbecks Altarbild das erste Menschen- halle, 1823-24 paar. Im Kontext des Sündenfalls und der Vertreibung aus dem Paradies gewinnt die Darstellung eines Eis- Als das Eis der Polarmeere noch das „ewige Eis“ ge- bergs ungeahnte Aktualität. Denn auch dieses Para- nannt werden durfte, war es übel beleumundet. Visu- dies ist gefährdet, da die globale Klimaerwärmung eller Inbegriff dieser Auffassung wurde Caspar David früher oder später die Gletscher und das Eis der Pole Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ (1823-24), früher abschmelzen lassen wird. Die drohende Katastrophe auch bekannt als „Die gescheiterte Hoffnung“. Dra- steigender Meeresspiegel ist in den Medien allgegen- matisch getürmte Eisschollen haben ein Schiff zer- wärtig. Der sündige Mensch hat in eigener Macht- malmt. Die Katastrophe vermittelt eine plastische Vor- vollkommenheit die Schöpfung bereits weitgehend stellung von der Ohnmacht des Menschen angesichts ausgelöscht. Das Bild eines majestätischen Eisbergs einer nicht zu bändigenden Natur. Die philosophische wird vor diesem Verständnishintergrund zum Mene- Kategorie des Erhabenen vermittelt zur Erfahrung des tekel der hausgemachten Apokalypse. Sie ist nicht allmächtigen Gottes. Gerhard Rießbeck ist naturge- Schicksal, sondern Ergebnis der Gottvergessenheit. mäß ein Bewunderer der Malerei seines großen Vor- Dagegen bilden im Bad Windsheimer Altar die bei- gängers. Im Grunde lässt sich sein Altarbild für Bad den Menschen und Gottes Sohn ein Dreieck, das Windsheim als Amalgam aus Anregungen aufschlüs- Georg Brenck d. Ä. und Georg Brenck d. J., Weltgerichtsaltar, Spitalkirche Bad Windsheim in der abgeschrägten Fläche des Eisbergs eine seln, die er aus drei verschiedenen Gemälden Caspar (Museum Kirche in Franken), 1622-23 formale Entsprechung findet. Gerhard Rießbecks David Friedrichs bezogen haben könnte. Motivisch ist 18 19
es natürlich dem „Eismeer“ verpflichtet. Formal über- Noch Anfang des 20. Jahrhunderts fürchtete der Der dänische Künstler brachte für seine Aktion „Ice rascht die Nähe des Wasserspiegels mit den darauf Mensch die tückischen Eisberge, von denen nur der Watch“ das Eis von Grönland in die europäischen treibenden Eisschollen zum Vordergrund des in Dres- kleinste Teil über den Wasserspiegel herausragt. Der Metropolen, um die Menschen dort für den Klima- den befindlichen Gemäldes „Das große Gehege“ (um Untergang der Titanic im Jahr 1912 ließ sich im Nach- wandel zu sensibilisieren. 1832), wo Wasserlachen das Licht des Himmels spie- hinein als Fanal des großen Weltenbrandes verste- geln. Funktionell ist jedoch das als „Tetschener Altar“ hen, auf die die bürgerlichen Gesellschaften Europas bekannte Gemälde „Das Kreuz im Gebirge“ (1807/08) zusteuerten. Nebenbei erlitt ein naiver Technikglaube von nicht zu übersehender Vorbildlichkeit. Das als Al- Schiffbruch. Mit dem größten Schiff, das je gebaut tarbild auftretende Gemälde bedeutete eine Sensati- worden war, zerschellte an einem Eisberg die on, da es den Kreuzestod Jesu nicht als Historienbild menschliche Hybris. Davon handeln Eisberge in un- vergegenwärtigte, sondern lediglich in Gestalt eines serem kulturellen Verständnis noch immer, doch sie Gipfelkreuzes andeutete. Als Erinnerungszeichen in verwandelten sich vom Instrument der Katastrophe einer Landschaft, die zum Hauptträger der sakralen zu ihrem Indikator. Wir fürchten sie nicht mehr, son- Botschaft aufstieg. Damals fällte Friedrich Wilhelm dern sorgen uns um sie. Neben Eisbären sind Eis- Basilius von Ramdohr jenes denkwürdige Verdikt, das berge Sinnbilder der Klimakatastrophe. Ihr Schmel- vielleicht sogar bis heute nachwirkt, denn das Experi- zen rührt uns, macht uns betroffen. Olafur Eliasson ment in der Bad Windsheimer Spitalkirche fand auch veröffentlichte auf seiner Website Fotos von Kindern im Jahr 2015 nicht nur Befürworter: „In der Tat ist es und Erwachsenen, die in Kopenhagen (2014), Paris eine wahre Anmaßung, wenn die Landschaftsmalerei (2015) und London (2018) große Eisbrocken nicht nur sich in die Kirchen schleichen und auf die Altäre krie- Caspar David Friedrich, Das Kreuz im Gebirge (Tetschener anfassen, sondern sich regelrecht an sie schmiegen. chen will.“ Zur Beruhigung der damaligen wie der Altar), Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Bunny Rogers, Pectus Excavatum, Zollamt Museum für heutigen Kritiker sei angemerkt, dass weder Fried- Meister, 1807/08 Moderne Kunst, Frankfurt am Main, 2019, Courtesy the richs noch Rießbecks Gemälde sich tatsächlich in Kir- artist and Société, Berlin chen schleichen konnten: Das eine Bild befand sich zwei Landschaftsgemälden, die 1982 entstanden auf Schloss Tetschen im Schlafzimmer der Gräfin, („Eisberg im Nebel“, Wvz. 496-1, und „Eisberg“, Die junge US-amerikanische Künstlerin Bunny Rogers das andere wurde zwar tatsächlich zeitweilig in einer Wvz. 496-2). Sie beruhen auf Fotos, die der Künstler (geb. 1990) war noch ein Kind, als 1997 der Titanic- Kirche auf einem Altar präsentiert, doch die Kirche bereits 1972 geschossen hatte, als er im August an Film von James Cameron in die Kinos kam. Sie erin- war längst ein Museum. einer Kreuzfahrt nach Grönland teilnahm – „inspiriert nert sich an das morbide Exponat einer ansonsten von Caspar David Friedrich“, wie es in der offiziellen familienfreundlichen Titanic-Wanderausstellung, die Wie ein ironischer Abgesang auf Friedrichs großes Künstlerbiographie ausdrücklich heißt. 2011 erschien sie damals sah: eine Wand aus echtem Eis, zu deren Eismeerdrama wirkt Gerhard Richters Bild von eine Auswahl dieser Fotos als Künstlerbuch unter Berührung aufgefordert wurde, um eine Vorstellung einer/m Toten unter einem Eisblock („Tote“, 1963, dem lapidaren Titel „Gerhard Richter, EIS“. Mit dem von den kalten Fluten zu geben, in denen Hunderte Wvz. 9). Das tragische Unglück aus der Yellow Press Eismeer fand Richter ein Motiv, das seine grundsätz- von Menschen den Tod fanden. Für eine Ausstellung reicht gerade einmal für jenen 15 Minuten währenden liche Skepsis gegenüber der Landschaft an den Ge- im „Zollamt“ des Frankfurter Museums für Moderne Ruhm, von dem Andy Warhol sprach. Das Schicksal frierpunkt brachte. Im Vergleich zu Gerhard Rießbeck Olafur Eliasson und Minik Rosing, Ice Watch. Supported by Kunst, die im Frühjahr 2019 stattfand, rekonstruierte hat einem dummen Zufall Platz gemacht. Respekt wird der objektivierende und distanzierende Blick Bloomberg. Installation: Bankside, outside Tate Modern, Rogers ihre Erinnerung und schuf einen Eisberg, der zollt Gerhard Richter dem Motiv des Eisbergs mit durch die Kamera überdeutlich. 2018 © 2018 Olafur Eliasson ebenfalls angefasst werden durfte. Die ins Eis ge- 20 21
schmolzenen Handabdrücke der Besucherinnen und Besucher erinnerten an prähistorische Höhlenbilder. Vielleicht ein Bild dafür, dass wir erst ganz am Anfang einer neuen Epoche stehen. Erfahren und begreifen, was wir im Begriff sind, unwiederbringlich zu zerstö- ren, kann ein erster Schritt sein. „Im Grunde genommen wäre ich wohl am liebsten ein Maler von Altarbildern“, sagte Gerhard Rießbeck ein- mal augenzwinkernd in einem Interview. Als er dann in Bad Windsheim tatsächlich als Altarmaler gefordert war, löste er die Aufgabe ohne falsches Pathos, aber auch ohne Ironie. Das Bildmotiv erwuchs wie selbst- verständlich aus dem Schaffen des Malers und stellt sich in einen weiten ikonographischen Kontext, den dieser Text lediglich punktuell andeuten konnte. Ent- scheidend ist jedoch die ästhetisch wie theologisch gleichermaßen gelungene Einbindung in das Bildpro- gramm eines Altars aus dem 17. Jahrhundert. Rießbecks Altargemälde könnte etwa Anlass geben, der Frage nachzugehen, inwieweit die moderne Entgegensetzung von Mensch und Natur den Anfang vom Ende bedeutete, einen zweiten Sündenfall. Mensch und Natur auf neue Weise wieder zusam- menzudenken, dazu sollte uns der Begriff der Schöp- fung ermutigen. Auf dass die Erde wieder zu dem werden kann, was sie einmal war: ein diesseitiges Paradies. Literatur: Kirche und Kunst 92, 2015, Heft 2 (Themenheft zum 7. Landeskirchlichen Symposium „Sakralität und Land- schaft“ 2015 in Bad Windsheim). Sieben mal Sieben – Kunst des 21. Jahrhunderts in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, hrsg. von Helmut Braun, Lindenberg i. Allgäu 2019, Nr. 3 (Andrea Thurnwald). Gerhard Rießbeck, Paradies, Detail 22 23
EVANGELISCHER GLAUBE UND BILDENDE KUNST: Gerhard Rießbecks temporäres Deckengemälde „Dornenkrone mit Luftballons“ für die Evangelisch-Lutherische Christuskirche Ebern von 2014 Klaus Raschzok Über Jahrhunderte hinweg spielte die Frage nach der Das nicht unproblematische Verhältnis von evange- Verkündigungsfunktion der Bildenden Kunst die ent- lischem Glauben und Bildender Kunst ruht auf dieser scheidende Rolle im Verhältnis zwischen evange- Doppelentwicklung seit der Reformationszeit und lischem Glauben und Bildender Kunst. Entschei- führt konsequent zu einer Aufspaltung zwischen der dende Weichenstellungen dazu waren bereits in der autonomen, ästhetisch hochrangigen und der ab- Reformationszeit erfolgt, als im Gegensatz zu den hängigen, ästhetisch eher zum Kunsthandwerk nei- Bilderstürmern im Gefolge Martin Luthers zwar das genden Bildenden Kunst im Dienst der kirchlichen Bild im Bereich von Frömmigkeit und Gottesdienst Verkündigung, die sich dem kirchlichen Auftrag beibehalten, aber seiner Anbetungsfunktion entklei- unterordnet. det wurde. Bildende Kunst sollte, so die Reforma- toren, als ein didaktisches Instrumentarium dazu Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde daher dienen, Grundaussagen des christlichen Glaubens in der evangelischen Theologie versucht, die aus- anschaulich darzustellen und zu vermitteln. Damit schließliche Zuordnung der Bilder zum Dienst der war die Wortverkündigung dem Bild eindeutig vorge- Verkündigung zu überwinden. Unter Rückgriff auf ordnet. Bildende Kunst sollte diese veranschaulichen den evangelischen Theologen Paul Tillich und des- und illustrieren. Eine konsequente Folge dieser refor- sen sogenanntes Korrelationsmodell wurde die Bil- matorischen Grundentscheidung bestand im zuneh- dende Kunst den Fragestellern zugeordnet, auf die menden Verzicht auf die absolute künstlerische hin kirchliche Verkündigung zu antworten habe. Qualität der kirchlichen Zwecken dienenden Bilden- Künstlerinnen und Künstler als sensible Seismogra- den Kunst. Diese wurde nahezu ausschließlich an phen unserer Gesellschaft und ihrer Fragen formulie- ihrer Verkündigungsfunktion gemessen und beurteilt. ren dann in ihren Gestaltungen die Fragen und Ant- worten ihrer Zeit, auf die hin kirchliche Verkündigung Als besonders paradoxe historische Entwicklung er- und Theologie zu antworten hätten. scheint die Tatsache, dass sich etwa zeitgleich mit der Reformation das künstlerische Selbstverständnis Aber auch dieser Ansatz erwies sich auf Dauer der hin zur Autonomie entwickelte. Die Künstler lösten Qualität zeitgenössischer Bildender Kunst nicht an- sich aus einer über Jahrhunderte hinweg durch kirch- gemessen. Er kann als weitere Engführung der Ver- liche Auftraggeber definierten Rolle und entdeckten hältnisbestimmung von Glaube und Kunst verstan- das unbeeinträchtigt von kirchlichen Vorgaben ge- den werden, weil er der Bildenden Kunst eine zu ein- staltende und schaffende künstlerische Individuum. geschränkte Funktion zuspricht. Denn Künstlerinnen Daraus entwickelte sich auch ein eigenständiger und Künstler formulieren in ihren Werken eben nicht künstlerischer Zugang zu christlichen Motiven und Themen, der nicht mehr in eine kirchliche Funktion eingebunden ist. Evangelisch-Lutherische Christuskirche Ebern mit dem Deckengemälde Gerhard Rießbecks während des „12[W]ORTE-Projekts“, 2014/15 24 25
nur Fragen an die Theologie und die kirchliche Ver- Raum des sinnlichen Erlebens zur Verfügung. Sie kündigung, sondern ihre Werke enthalten in sich und bzw. er gewährt mir Anteil an seiner bzw. seinem Bild in der ihnen eigenen Sprache auch bereits Antwor- oder Objekt gewordenen Erfahrung, lässt mich teil- ten. Diese Antworten können zwar von der kirch- nehmen und weist damit über sich selbst hinaus. Bil- lichen Verkündigung abweichen, stellen aber den- der und künstlerische Objekte sind daher Räume des noch eigenständige Aussagen und Stellungnahmen Erlebens, die analog wie die ebenfalls als sprach- mit den Ausdrucksmitteln künstlerischer Gestaltung liches Kunstwerk zu verstehende Predigt von Gott in dar. So handelt es sich um einen umfassenderen Anspruch genommen werden können und dann zu Vorgang, wenn Künstlerinnen und Künstler sich in ih- einem Raum für die Gottes- oder Christusbegegnung rem Werk mit bildspezifischen Mitteln auch mit Fra- werden, unabhängig von einer vorherigen didak- gestellungen des christlichen Glaubens auseinander- tischen oder kerygmatischen Abzweckung. Aller- setzen. Ich gehe soweit, auch hier von einer Ausle- dings ist für diesen Vorgang ein hoher ästhetischer gung der christlich-biblischen Tradition zu sprechen. Anspruch Voraussetzung, und allein diese hohe äs- Einer Auslegung, die sich zum großen Teil auch au- thetische Anforderung möchte ich als Theologe ßerhalb der Kirche vollzieht und einer theologischen Künstlerinnen und Künstlern gegenüber geltend ma- Kontrolle entzogen ist. Aber gerade deshalb ist ihr chen – als einzige Einschränkung von Seiten des Beitrag wichtig und für die theologische Arbeit Glaubens. Denn die ästhetische Qualität der Bilder anregend. und Objekte steht für mich in einer engen Beziehung zu dem, was die christliche Tradition unter der Eine wichtige Hilfe zum Verständnis künstlerischer „Schönheit“ versteht, die alleine Christus zukommt. Beiträge zum christlichen Glauben und seinen Diese Ästhetik ist für mich der Maßstab, nicht die Grundfragestellungen ist das Verständnis der Auto- Verkündigungsfunktion der Bildenden Kunst. Letzte- nomie des Künstlers. Es geht darum, wahrzuneh- re ist oftmals nichts anderes als ein versteckter An- men, dass der künstlerisch formulierte Beitrag jeweils spruch der Theologie, Macht über die Bildende einen Durchgang durch die individuelle Person des Kunst zu beanspruchen. einzelnen Künstlers darstellt und mit bildimmanenten „Es ist eine der bemerkenswerten Leistungen des Mitteln der Gestaltung erfolgt. Es handelt sich beim Was dies konkret bedeutet, lässt sich an einer Arbeit Christentums, dass es Dinge ins Zentrum stellt, die für künstlerischen Werk um einen eigenständigen, au- von Gerhard Rießbeck im Rahmen des Kunstpro- Menschen höchst unerfreulich sind: Tod, Leid und thentischen und intensiven Beitrag im Sinne der Aus- jektes zur Lutherdekade 2015 mit dem Thema „Re- Schmerz. Dass es gelungen ist, für diese die Menschen legung oder der Beschreibung von Glaubens- und formation – Bild und Bibel“ im Evangelisch-Luthe- seit jeher quälenden Dinge einen Platz zu schaffen in der Gotteserfahrung. rischen Kirchenkreis Bayreuth verdeutlichen. Unter Religion, und dass für diese extremen menschlichen Zu- dem Motto „12 [W]ORTE – ein Weg zu Bibel, Kunst, stände auch Bilder geschaffen wurden. Es ist schon eine Ich persönlich verstehe Bilder und Objekte zeitge- Gemeinde“ haben 12 ausgewählte Bildende Künstle- gewichtige Komponente des Menschseins, so etwas nicht nössischer Künstler im Sinne eines Erlebnisraumes. rinnen und Künstler die Aufgabe übernommen, sich auszublenden und auch nicht zu überspielen, sondern zu Eine Künstlerin oder ein Künstler stellt mit ihren bzw. in jeweils einer Kirchengemeinde mit einem von die- integrieren, zum Beispiel in den Raum einer Kirche.“ seinen bild- oder objektimmanenten Mitteln, durch ser gewählten Bibelwort auseinanderzusetzen. Der Gerhard Rießbeck, Dornenkrone mit Luftballons seine je individuelle Person hindurchgegangen, einen in Bad Windsheim lebende und arbeitende, 1964 in Ø 210 cm, Öl auf Alu-Dibond, 2014 Gerhard Rießbeck 26 27
Lichtenfels geborene Gerhard Rießbeck, der als einer Malerei als Zugang zum Thema der Kreuzigung Kirchen zeigen den geöffneten Himmel mit seinen der bedeutendsten jungen Landschaftsmaler der Jesu gewählt. Sie wird bestimmt von der Spannung Engeln und Heiligen. Gerhard Rießbeck zeigt in Gegenwart gilt, hat dabei für die Evangelisch-Luthe- zwischen den fragilen farbenfrohen Ballons und der Ebern einen protestantischen Himmel, der den not- rische Christuskirche Ebern eine Arbeit zu Jesu Kreu- sie gefährdenden Dornenkrone mit ihren massiven, wendigen Durchgang durch das Leiden und den zigung und Tod (Lukas 23, 32-49) gestaltet. Er schuf für die Luftballons tödlichen Zacken. Die bunte Welt Schmerz und durch die Gefährdungen eines fragilen ein Deckenbild für die hölzerne, vom Innenraum aus der aufsteigenden Träume und die dunkle Seite des Lebens nicht ausblendet. Die im Himmel schwe- sichtbare Dachkonstruktion des zehneckigen Zen- Lebens in der Dornenkrone prallen aufeinander und bende Dornenkrone wird zum Zeichen der Hoheit tralbaus von 1957/58, das den Titel „Dornenkrone stehen für Gefährdung und Durchgang. Die Weite dessen, der Sieger über den Tod geworden ist. mit Luftballons“ trägt und in Ölfarbe auf Alu-Dibond des Himmels wird nur als Durchgang durch die Gerhard Rießbeck vergegenständlicht auf diese Wei- mit einem Durchmesser von 210 cm gemalt ist. Rieß- dunklen Seiten des Lebens hindurch erreicht. se eine innere Erfahrung und macht sie an scheinbar beck gestaltet ein auf den ersten Blick fröhliches Bild: alltäglichen und im Grunde schönen Gegenständen Bunte Luftballons steigen in einen blauen Himmel mit Bilder machen etwas sichtbar, was das Sagbare fest, indem er sie in unsere von Werbung und ästhe- weißen Wolken auf. Die Dachkonstruktion des Kir- übersteigt. Sie gewähren einen sinnlichen Zugang tischen Bildern des Glücks geprägte Alltagswelt der chenraumes scheint sich zum Himmel hin zu öffnen. und erschließen einen Erfahrungsraum. Gerhard Medien hineinzieht. Etwas Unsichtbares, sich im In- Aber zwischen den bunten Luftballons schwebt eine Rießbeck beschäftigt sich seit langem in seiner Male- neren vollziehendes wird nach außen gekehrt und mächtige Dornenkrone. Es handelt sich um eine auf rei mit extremen Landschaften. Stille, ruhige Bilder sichtbar gemacht. Gute Bilder gehen nicht in dem nur wenige Gestaltungsmittel reduzierte, nicht-figür- beherrschen sein Werk gerade dort, wo die mensch- auf, was man ohne sie schon mit Worten sagen liche Darstellung der Kreuzigung Jesu, die mit bild- liche Existenz durch Naturgewalten gefährdet wird. könnte. Sie bieten einen Mehrwert gegenüber dem immanenten Mitteln andeutet, dass Jesu Weg ans Er zeigt immer wieder neu die verborgene Schönheit mit Worten Sagbaren. Gerhard Rießbecks Ausbruch Kreuz und in den Tod zugleich einen Durchgang angesichts von Zerstörung und Gefährdung auf und aus der christlichen Darstellungstradition knüpft da- durch den Tod zum Leben darstellt (Römer 6, 3-4), gewährt damit die Chance, Vertrautes neu sehen zu mit zugleich an die Schönheit der romanischen wie er in jedem Christen in der Taufe angelegt ist. beginnen. Für das Einlassen auf eine neue sinnliche Christusfiguren an, die den Gekreuzigten als sanft- Erfahrung des Sehens ist in der Christuskirche Ebern mütigen König und Herrscher am Kreuz zeigen. Joseph Beuys hatte schon in den 1960er Jahren von die Verbindung des Deckengemäldes mit einem Kir- einem Ende der konventionellen Kreuzigungsdarstel- chenraum entscheidend, in dem in den Gottesdiens- lungen gesprochen. Arnulf Rainer versuchte, der ten das Kirchenjahr begangen, in dem verkündigt, Literatur: Dramatik der Darstellung des Kreuzestodes Jesu in gesungen, gebetet, gesegnet und Abendmahl gefei- 12[W]ORTE. Ein Weg zu Bibel, Kunst, Gemeinde. Ein den 1980er Jahren durch die Übermalung und nach- ert und die Taufe vollzogen wird. Kunstprojekt zur Lutherdekade im Kirchenkreis Bayreuth, trägliche Korrektur von Kreuzigungsdarstellungen auf hrsg. von Dorothea Greiner, Bayreuth 2014, S. 103-111. der bildlichen Ebene gerecht zu werden. Werner Gerhard Rießbecks Arbeit nimmt zugleich ein Ele- Knaupp, der künstlerische Lehrer von Gerhard Rieß- ment der christlichen Ikonographie auf. So begegnen beck an der Nürnberger Akademie der Bildenden die Leidenswerkzeuge Christi in den Händen hal- Künste, gestaltete Ende der 1970er Jahre eine Chris- tenden und mit ihnen spielenden Engel an barocken tusfigur mit ausgebranntem Kopf als Endpunkt der Schalldeckeln evangelischer Kanzeln, wie zum Bei- künstlerischen Darstellungsmöglichkeit des Gekreu- spiel in der Nördlinger St. Georgskirche, als Hinweis zigten. Nicht zuletzt wohl deshalb hat Gerhard Rieß- auf die Überwindung des Todes durch Christus. Die beck eine gegenständliche, aber nicht-figürliche barocken Deckengemälde in den katholischen 28 29
Großes Kino 80 x 120 cm Öl auf Leinwand 2018 30 31
Ereignis 30 x 180 cm Öl auf Leinwand 2019 32 33
Walhalla 50 x 150 cm Öl auf Leinwand 2018 36 37
„Mit Bildern verbirgt man das Eigent- liche – so wie in der orthodoxen Kirche die Ikonostase zum Verbergen des Altarraums verwendet wird. Das finde ich einen tollen Gedanken, mit Bildern unzugängliche geistige Räume zu mar- kieren, zu zeigen, da ist etwas, aber nicht zu verraten, was dahinter ist – weil ich es auch gar nicht weiß.“ Gerhard Rießbeck Ikonostase II 200 x 250 cm Öl auf Leinwand 2019 38 39
„Ich habe den Kruzifixus auf dem Trödel- markt gekauft und lange im Atelier gehabt, schon losgelöst vom Kreuz. Ich dachte darüber nach, wie es wirkt, wenn man sich vorstellt, dass die Figur fliegt, dass das ein ganz entspannter Gestus ist. Die Dornen- krone ist etwas Verletzendes, ein Spott- instrument, sie wird von uns aber gar nicht mehr wahrgenommen als Spott, sondern gibt dem Ganzen einen überhöhenden Charakter – und genau das Gegenteil ist eigentlich der Fall. In der Zeit, als ich an- fing, mit dem Kasper-Motiv zu arbeiten, dachte ich: Wenn man jemanden verhöh- nen will, dann müsste man es heutzutage so machen: mit der Kaspermütze. Das Umsetzen hat dann bei mir für Widerstän- de gesorgt. Dazu bin ich wohl zu sehr so- zialisiert im christlichen Kontext. So etwas macht man nicht so einfach, da gehört Überwindung dazu. Ich fand es inhaltlich und formal eine interessante Lösung für diese Figur. Einerseits das Fliegen, das Freie, andererseits der Spott, der wieder neu erlebbar ist durch die rote Mütze.“ Gerhard Rießbeck Flieg doch 23 x 16 cm Bronze und Knetgummi 2003 40
„Dieses Bild ist zu einer Zeit entstanden, als ich sehr stark mit comicartigen, aus kind- lichen Bereichen stammenden, scheinbar simplen Bildmotiven gearbeitet habe. Das „Gespenst“, das aussieht wie das „Kleine Gespenst“, andererseits aber die Wund- male aufweist und von daher in ganz uner- laubter Weise zwei Dinge zusammenbringt – eben das belächelte Wesen Gespenst, das für uns nur eine Spukgestalt ist, und andererseits die Vorstellung, dass jemand aufersteht von den Toten. Der scheinbar banale Blickpunkt von jemandem, dem er- zählt wird, ein Mensch ist tot und wird wie- der lebendig. Wer das nicht aus dem christ- lichen Kontext kennt, für den erscheint das wie etwas Absurdes. Und das habe ich in dem Bild gemalt.“ Gerhard Rießbeck Gespenst 25 x 38 cm Öl auf Leinwand 2003 42 43
Himmelskörper 100 x 212 cm Öl und Acryl auf Leinwand und Holz 2019 44 45
„Dieser Wettbewerbsbeitrag für das Altarbild der Kirche in Unternzenn war eine enorme Herausforderung. Ich glaube, dass ich für das vorgegebene Thema „Auferstehung“ das richtige Bild für unsere Zeit geliefert habe, weil ich auch das für mich nicht Geklärte dieser biblischen Er- zählung thematisiert habe. Weil es eben kein klassisches Auferstehungsbild ist, sondern eine offene Situation darstellt. Ich wurde gefragt: Wo ist da die Hoffnung? Die Hoffnung ist da schon drin, aber eben nicht die Gewissheit. Aufrichtige moderne christliche Kunst ist, glaube ich, darauf angewiesen, Frage- zeichen zu setzen. Diese Selbstverständ- lichkeit gibt es nicht mehr. Von daher sind neue Bilder vonnöten. Jede Zeit muss ihre Bilder finden.“ Gerhard Rießbeck Aufstehen 122 x 95 cm Öl auf Leinwand 2018 46 47
Schrein Haus des Malers, Innenansicht 60 x 90 cm 200 x 200 cm Öl auf Leinwand Öl auf Leinwand 2019 2012 48 49
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