Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern

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Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
Kunstpreis der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Bayern 2019

                                                                Gerhard Rießbeck

Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019
Gerhard Rießbeck
Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
Gerhard Rießbeck
Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
                                                   2019
Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
DIE JURY DES KUNSTPREISES 2019                          EINSTELLUNGEN
                                                        Zum Kunstpreis 2019
                                                        Helmut Braun

SANDRA BACH                                             Am 31. Oktober 1517 schlug Martin Luther in Witten-      Ebenfalls für 2015 war Gerhard Rießbeck anlässlich
Persönliche Referentin des Landesbischofs               berg seine 95 Thesen an. Sie lösten breite Diskussio-    der Lutherdekade zu einem Kunstprojekt im Evange-
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern           nen aus, die schließlich zur Reformation führten. Im     lisch-Lutherischen Kirchenkreis Bayreuth eingeladen.
Heinrich Bedford-Strohm,                                Rahmen der Reformationsdekade, einer Veranstal-          Unter dem Motto „12[W]ORTE – ein Weg zu Bibel,
Landeskirchenamt München                                tungsreihe, die am 21. September 2008 begann und         Kunst, Gemeinde“ haben 12 ausgewählte Künstle-
                                                        mit dem Jubiläum des 500. Jahrestags des Thesen-         rinnen und Künstler die Aufgabe übernommen, sich in
FRIEDERIKE BÄUMER
                                                        anschlags im Jahr 2017 endete, wurde das weite           jeweils einer Kirchengemeinde mit einem von dieser
Persönliche Referentin der Regionalbischöfin
                                                        Themenspektrum der Reformation in Themenjahren           gewählten Bibelwort auseinanderzusetzen. So hat
im Kirchenkreis München und Oberbayern
                                                        aufgenommen und dargestellt. Besonders im The-           Gerhard Rießbeck für die Christuskirche in Ebern ein
Susanne Breit-Keßler, Landeskirchenamt München
                                                        menjahr „Bild und Bibel“ 2015 sowie im Jubiläumsjahr     Deckenbild zur Kreuzigung Jesu gestaltet. Es zeigt
PROF. MICHAEL BARTA                                     2017 wurde im Raum der Evangelisch-Lutherischen          einen sich öffnenden Himmel mit bunten Luftballons
Hochschule Hof, Abt. Münchberg,                         Kirche in Bayern eine Vielzahl von Ausstellungen und     und einer schwebenden Dornenkrone.
Studiengang Textildesign                                temporären Kunstaktionen veranstaltet.
                                                                                                                 Beide Arbeiten entsprechen dem Leitgedanken lan-
HELMUT BRAUN M.A.
                                                        Das Kunstreferat und die regionalen Kunstbeauftrag-      deskirchlicher Kulturarbeit, Kunst in den Raum einzu-
Kunstreferent der Evangelisch-Lutherischen Kirche
                                                        ten nahmen dies mit großem Interesse wahr, ist doch      bringen, nicht im Rahmen einer Ausstellung, sondern
in Bayern, Landeskirchenamt München
                                                        die Auseinandersetzung mit zeitlich begrenzten           in Form einer temporären „Einstellung“. Achtsame
DR. THOMAS HEYDEN                                       Kunstaktionen eine große Chance für Kirchengemein-       und behutsame Einstellungen im Diskurs mit Künstle-
Neues Museum Nürnberg,                                  den, den Umgang mit Kunst einzuüben. So lag es           rinnen und Künstlern sowie den Kirchengemeinden
Leitung der Sammlung und stellvertretender Direktor     beinahe auf der Hand, den diesjährigen Kunstpreis-       können zu einer gelingenden kirchlichen Kulturarbeit
                                                        träger unter den mitwirkenden Künstlern der Luther-      beitragen. So ist das Bad Windsheimer Altarbild in-
PROF. DR. KLAUS RASCHZOK
                                                        dekade zu suchen. Nach einer Vorauswahl von acht         zwischen Bestandteil der landeskirchlichen Kunst-
Lehrstuhl für Praktische Theologie,
                                                        Vorschlägen des Arbeitskreises Kirche und Kunst der      sammlung.
Augustana-Hochschule Neuendettelsau,
                                                        Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern entschied
1. Vorsitzender des Vereins für Christliche Kunst
                                                        sich die eigens zusammengestellte Fachjury für den       Wenn Kirche mit Kunst und mit Kulturschaffenden
in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern e.V.
                                                        Bad Windsheimer Maler Gerhard Rießbeck.                  arbeiten will, sollte es immer um die Entwicklung inte-
PFARRER DANIEL SZEMERÉDY                                                                                         grativer Konzepte gehen. Künstlerische Qualität ent-
Regionaler Kunstbeauftragter, Nürnberg                  Das 7. Landeskirchliche Kunstsymposium unter dem         steht, wenn Bezüge sichtbar werden – zum Raum
                                                        Titel „Sakralität und Landschaft“ war Anlass für Rieß-   und zu dem, was in ihm stattfindet. Gerhard Rieß-
                                                        beck, ein neues, zeitlich begrenzt einzusetzendes        becks Arbeiten tun dies nach Meinung der Fachjury:
                                                        Altarbild für die Spitalkirche in Bad Windsheim, seit    Sie machen etwas sichtbar, was nicht sagbar ist. Sie
                                                        2006 Museum Kirche in Franken, zu malen. Es wurde        lassen Interpretationsmöglichkeiten zu, bieten einen
                                                        anstelle des historischen Altarblatts – ein Relief mit   sinnlichen Zugang und eröffnen Erfahrungsräume.
                                                        der Darstellung des Weltgerichts – eingebaut. „Para-     Sie bieten Potential für einen engeren Austausch
                                                        dies“ nennt Gerhard Rießbeck das Gemälde eines           zwischen Kirche und Kunst und für eine fruchtvolle
                                                        Eisbergs.                                                Kooperation, die gerade auch im kritischen Dialog
                                                                                                                 besteht.

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Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
„Schon in einer meiner ersten Ausstellungen, Ende
der 1990er Jahre, habe ich gesagt: Im Grunde ge-
nommen wäre ich wohl am liebsten ein Maler von
Altarbildern. Das war natürlich nicht ganz ernst ge-
meint. Aber was ich meinte, auch heute noch: Ich
war ein Außenseiter im damaligen Kunstakademie-
betrieb, denn ich habe Bilder gemalt, die waren ge-
genständlich, auch Landschaften, und vor allem
waren sie ganz stark mit Pathos aufgeladen. Das
hat mit meiner Beschäftigung mit der Kunstge-
schichte zu tun: Bilder, die eine sehr emotionale
und pathetische Aufgeladenheit haben, sprechen
mich sehr an. Bei einem Altarbild in einer Kirche
ist alles auf dieses Bild konzentriert. Es ist nicht
irgendein Wandschmuck. Es bringt ein Thema so
auf den Punkt, dass der Raum nicht mehr funktio-
niert ohne dieses Bild. Alles kulminiert in diesem
Bild, was man sieht, denkt und fühlt. Das ist das
Optimum, was ein Bild leisten kann. Ich würde mei-
ne Bilder gerne an so einem Punkt sehen, wo man
sich so stark berührt fühlt – das kann angenehm
und unangenehm sein. Dass man dem Bild einfach
nicht ausweichen kann, ihm in irgendeiner Form
ausgesetzt ist. Ich kenne wenige Situationen, wo
das so gut funktioniert wie in einem Kirchenraum.“

Gerhard Rießbeck

Gerhard Rießbeck, Paradies, 217 x 138 cm,
Öl auf Leinwand, 2015

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Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
GRUSSWORT
    Susanne Breit-Keßler
    Regionalbischöfin im Kirchenkreis München und Oberbayern, Ständige Vertreterin
    des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

    Vor wenigen Wochen war ich mit meinem Mann un-            Menschen, Tiere, Sensationen vor dem inneren Auge
    terwegs, um den nördlichen Polarkreis zu überschrei-      entstehen, Pflanzen, Bäume, Flüsse immerhin. Eine
    ten. Überfahren wäre richtiger gewesen, weil wir mit      zauberhafte, idyllische, warme, grün-bunte Welt. Aber
    einem Schiff unterwegs waren, aber in Zeiten der Kli-     doch keinen nächtlichen Eisberg, gerahmt von Eva,
    makrise etwas in der Natur zu überfahren, wäre miss-      Adam und überstanden vom auferstandenen und
    verständlich. Auf der Strecke hin zu den Lofoten be-      triumphierenden Christus … Paradies. Der Künstler
    suchten wir Oslo. Wir bewunderten im Hafenbecken          sorgt dafür, dass wir nicht borniert einer vorgeschrie-
    die unmittelbar vor dem Opernhaus liegende Skulptur       benen Auftrags-Ästhetik frönen. Sondern uns im
    „Das Eismeer“, gestaltet von der italienischen Künst-     Wortsinn kultivieren, dem Schönen, dem Wilden
    lerin Monica Bonvicini, inspiriert natürlich durch Cas-   und Ungezähmten, auch dem Tragischen und ganz
    par David Friedrichs Gemälde. Sogleich eilten meine       Anderen ein Ansehen zu geben.
    Gedanken hin zu dem Altarbild in der Bad Winds-
    heimer Spitalkirche von Gerhard Rießbeck, der             „Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprech-
    faszinierenden Wand aus Schwarz, Weiß und Blau.           lichen; darum scheint es eine Torheit, sie wieder
                                                              durch Worte vermitteln zu wollen“, meinte Goethe in
    Dieses Bild begleitete mich fortan bei unserer Reise,     seinen Maximen und Reflexionen. „Scheint“ sagt er –
    denn die Landschaft, von mir fälschlich als sonnig        deshalb reden wir nicht nur, sondern fühlen, schme-
    und hell erwartet, ähnelte in ihrer Kälte und Dunkel-     cken, riechen, schauen und hören. Es verbindet
    heit, in ihren überraschenden Lichtspielen immer          Kunst und Kirche, dass sie es mit dem Unaussprech-
    mehr Rießbecks packender Darstellung. Ich verstand        lichen, dem ganz Anderen zu tun haben – etwas
    und verstehe seit dieser Erfahrung immer mehr seine       sagen und zeigen müssen, was eigentlich nicht zu
    Formulierung von einer „zwar unerbittlichen, aber         sagen ist. Kunst und Glaube reflektieren beide auf je
    auch geheimnisvoll fremden Welt im Dämmerlicht“.          eigene Weise Gott, Welt- und Selbsterfahrung. „Der
    Wie ihm begegneten mir bei unseren Ausflügen die          Künstler erobert nichts, was außerhalb seiner selbst
    Menschen, wie er sagt, mit einer „Haltung zwischen        ist, was nicht schon in ihm drin“ ist, sagt Gerhard
    Ehrfurcht und lebensnotwendigem Pragmatismus“.            Rießbeck.
    Ich begriff beim Schauen der Realität und dem Blick
    auf meine Fotografien den Zusammenhang zwischen           Er ermuntert damit die Sehenden, ihrerseits das Bild,
    Mythen und Landschaft.                                    die Wand zu betrachten und zu schauen, wie es, wie
                                                              sie sich in Beziehung setzen lässt zur eigenen inneren
    Als schließlich noch die Polarnacht ihr Licht voraus-     Verfasstheit. Paradies – was läge näher, als an Para-
    warf, ward dem Staunen kein Ende. Aber Paradies?          dise Lost zu denken, an schmelzende Gletscher, hei-
    Der Titel des Werkes von Gerhard Rießbeck lässt           matlose Eisbären und zunehmende Wärme, weniger
                                                              menschlich, denn klimatisch. Aber das wäre in mei-
    Weltgerichtsaltar in der Spitalkirche Bad Windsheim       nen Augen zu billig, viel zu wenig. Die Schönheit des
    (Museum Kirche in Franken) mit Gerhard Rießbecks          Bildes ist mehr als Plakat. Sie ist Sehnsucht wie in der
    Altargemälde „Paradies“                                   Bibel. Aus dem Ungestalteten, Unbestimmten ruft

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Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
„Ich bin ein Maler, der nur scheinbar Reali-
                                     täten darstellt. Es war auch nie mein Ziel zu
                                     berichten, wie es in der Antarktis ausschaut.
                                     Mir ist immer klar: Ich bin eigentlich ein Kulis-
                                     senschieber. Ich male Dinge, die sehr häufig
                                     Dreidimensionalität vortäuschen, weil ich
                                     glaube, dass das eine besondere Fähigkeit
                                     der Malerei ist und weil diese scheinbare
                                     Dreidimensionalität einen imaginären Raum           Gott die Fülle zwischen Himmel und Erde hervor.
                                     für Gedankenspiele eröffnet. Wie realistisch
                                                                                         Leere etwa hat Potenzial. Wiewohl oder weil selber
                                                                                         ungefüllt, löst sie gespannte Erwartung aus auf das,
                                     ist die Landschaft auf dem Bild? Könnte ich
                                                                                         was vor ihr war, was aus ihr hervorgeht.
                                     da herumlaufen? Und dann kommen hof-
                                     fentlich noch andere Gedanken dazu, die
                                                                                         Nun ist dieses Bild nicht leer, sondern eine geheimnis-
                                     das Ganze in einen größeren, metapho-
                                                                                         volle Landschaft zeigend und verdeckend zugleich.
                                     rischen Sinn stellen. Hinter dem Eisberg, gibt
                                                                                         Was ist an der Seite hinter Adam und Eva, was
                                     es da eine andere Welt? Oder gibt es nur die        kommt nach dem Durchgang, die Durchfahrt hin zu
                                     Welt, die wir sehen? Und nachdem ich Maler          Blau und Weiß, den Symbolen für Transzendenz und
                                     bin, bin ich auf das, was man sehen kann,           Ewigkeit? Der schöpferische Geist darf sich entfalten.
                                     angewiesen, versuche aber, etwas auszu-             Ihr Paradies ist vor dem Hintergrund alltäglicher Ver-
                                     drücken, was eben nicht sichtbar ist.“              pflichtungen und vor allem weit verbreiteter mora-
                                                                                         lischer Appelle ein wunderbar außergewöhnlich-
                                     Gerhard Rießbeck                                    unerwarteter Bereich geistvoller Funktionslosigkeit.
                                                                                         Funktionslosigkeit, die Betrachtende mit ihren Ein-
                                                                                         drücken, Assoziationen und Gedanken füllen können.

                                                                                         Und wir Menschen sehen und hören unterschiedlich;
                                                                                         verbinden Geschautes und Vernommenes mit ureige-
                                                                                         nen, unverwechselbaren Empfindungen, assoziieren
                                                                                         emotional und rational differenziert. Klug, wer dieses
                                                                                         Phänomen auch im Umgang mit dem uns anver-
                                                                                         trauten, offenbarten Heiligen und dennoch unverfüg-
                                                                                         baren und dadurch neu zu bestimmenden Profanen
                                                                                         gelten lässt. Gott wird Mensch, er bekommt ein Ge-
                                                                                         sicht, das ist gewiss – aber damit setzt er sich selbst
                                                                                         der Deutung, sogar dem Missverständnis aus. So,
                                                                                         wie Menschen sich selbst dem Irrtum, dem Unver-
                                                                                         ständnis aussetzen, ihm ausgesetzt werden. Ist die-
                                                                                         ses Paradies Sehnsuchtsort oder bloße Fiktion,
                                                                                         Vortäuschung einer idealen Welt …

                                                                                         Für mich ist es die Ahnung von Stille, von Ruhe, von
                                                                                         Atemholen – fernab des täglich krachenden, klingeln-
                                                                                         den, schwatzenden Lärms, der übertönen muss, was
Gerhard Rießbeck, Paradies, Detail                                                       man in sich nicht hören und sehen will. Auch wenn ein

8                                                                                                                                               9
Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
eisiges Paradies voll eigener Klänge ist, macht es        eine gefrorene Dramatik – sie lehren ehrfürchtige          grund alltäglicher Verpflichtungen einen außerge-          ihre Kunstwerke. Der Schriftsteller Elias Canetti sagt:
ruhig, führt einen gemächlich zu sich selbst zurück       Demut und die gelassene Hoffnung aus Sag- und              wöhnlichen und unerwarteten Raum völliger Funkti-          „(Es ist das) Prinzip der Kunst: mehr wiederfinden, als
und bringt dadurch vorwärts – vielleicht sogar hin zu     Sichtbarem hinter, über allem.                             onslosigkeit bedeuten – in des Wortes schönstem            verloren gegangen ist“. Christenmenschen, sicher
dem, der einen selbst samt inneren und äußeren Eis-                                                                  und befreiendstem Sinn. Die Leidenschaft für Leben         auch Künstler und Künstlerinnen müssen bei allen Er-
bergen geschaffen hat. Im wahrhaft beseligendsten         Das Verhältnis von Kunst und Kirche ist eine ästhe-        verbindet beide. „Und die Erde war wüst und leer“,         folgen Tag für Tag feststellen, woran sie gescheitert
Fall wird Sehnsucht nach Wahrheit erfüllt – eine Sehn-    tisch-geistreiche Beziehung, in der sich Individuen mit    heißt der zweite Satz der Bibel. Leere steht am Be-        sind, welche großen und kleinen Lebensverluste sie
sucht, die angesichts so vieler unverschämter Be-         ihrer je persönlichen Erfahrung und Reflexion von Im-      ginn göttlicher Kreativität. Aus dem „Nichts“ wird         erlitten haben. Der Glaube, dem unsere Kirche dienen
hauptungen, dies oder das sei wahr, müsse genau so        manenz und Transzendenz begegnen. Beide, Kunst             „Etwas“. Das Paradies. Klar, kühl, faszinosum et tre-      will, sagt ein „Dennoch“. Er baut auf die wahrhaft
und nicht anders sein, möglicherweise gerade in der       und Kirche, müssen gesellschafts- und individualitäts-     mendum, offen für Deutungen und damit für Leben.           göttliche Verheißung: „Ich lebe und ihr sollt auch le-
distanzierten Kühle erfüllt werden könnte.                kritisch daran erinnern, dass die vorfindliche Wirklich-                                                              ben.“ Hier, jetzt und über den Tod hinaus. Kunst und
                                                          keit kein unüberwindliches geschlossenes System            Klarheit ist es, die vermittelt werden möchte, gepaart     Kirche müssen unmissverständlich klarmachen, dass
Ein „unablässig eingehämmertes Aufgepasst!“               darstellt. Beide sind aufgerufen, zur Vorstellung des      mit Sinn für das Imaginäre, Mystische, das dem Le-         sie auf der Seite des verletzlichen und bedrohten Le-
(Philippe Garnier) erfordert Eindimensionalität statt     Gegenteils zu ermuntern, wo das Gelingen irdisch-          ben seine Geheimnisse und Schönheiten, seine               bens stehen. Die Leidenschaft für Leben, für das Pa-
geistig-geistlicher Offenheit für die Ausdehnungen der    menschlichen Lebens gefährdet ist. Natürlich sind wir      zarten und großen Wunder belässt. Es geht nicht bloß       radies, zeitweilig und ewig, verbindet beide.
Wirklichkeit, für Transzendenz, die nicht aufgeht im      da schnell wieder bei dem Menetekel der schmel-            um momentane Befindlichkeit. Wir haben Anspruch
Vorfindlichen. Damit ist das Zeigen und Verhüllen, das    zenden Gletscher, der gescheiterten Hoffnung des           auf Wahrheit. „Es ist von jeher eine der wichtigsten       Das Paradies von Gerhard Rießbeck ist nicht allein
Nahebringen und Entziehen im Werk von Rießbeck            Caspar David Friedrich. Aber: „Imagine the opposite“       Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu er-          Ausdruck momentaner Befindlichkeit, sondern erhebt
ein gesellschaftspolitischer, möglicherweise revolutio-   stand einmal als Leuchtschrift am Lenbachhaus.             zeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch       Anspruch auf Wahrheit und entfaltet damit zugleich
närer Akt. Wir Christenmenschen bekennen: „Der                                                                       nicht gekommen ist“, sagt Walter Benjamin. Wir ha-         kritisch-reflektierende Kraft. Deswegen erfüllt seine
Herr ist der Geist; wo der Geist des Herrn ist, da ist    Kunst kann Leben lehren, nicht moralisierend, son-         ben es mit Vergangenheit und Gegenwart, mit Zu-            Einstellung in den Sakralraum das, was man sich vom
Freiheit.“ Auch die Freiheit des schon und des noch       dern so, dass es Herz und den Kopf gleichermaßen           kunft und Hoffnung zu tun. Lebenswelten, individuelle      Diskurs zwischen Kunst und Theologie nur wünschen
nicht, des Erkennens und bloßen Ahnens oder Ver-          anspricht. Sie kann wie Kirche heilen, was verunsi-        Biographien lassen sich nicht naiv verherrlichen. Sie      kann: Wahrnehmung und Transzendierung des All-
mutens, das neue Klarheit ermöglicht. Neue Klarheit       chert, verwundet, verwirrt ist. Damit bin ich doch         müssen in ihrer Ambivalenz gesehen und oft genug           tags. Es ist an uns, in lebendiger künstlerischer Frei-
lässt sich gewinnen – im Blick auf zwischenmensch-        überzeugt im Paradies gelandet, das auf Erden zu-          unter Schmerzen ausgehalten werden.                        heit, beflügelt von dem guten Geist Gottes, dumm-
liche Beziehungen, auf sich selbst.                       mindest zeitweilig möglich ist – und zwar gerade                                                                      dunkle Geister zu vertreiben und diese Welt sehr
                                                          dann, wenn Konzentration, wenn Reduktion auf das           Kunst demonstriert Freiheit in einer Welt der Funktio-     munter zu gestalten. Auf dass sie lebenswert bleibe –
Kunst kann zur „Sprache der Religion“ werden, kann        Wesentliche möglich ist, wie auf und in dem Werk von       nen; in christlicher Sprache ausgedrückt: Die Freiheit     für uns und alle, die mit uns diese Erde bewohnen.
religiöse Funktion haben, in dem sie die Betrachten-      Gerhard Rießbeck. Sein Bild, die Altarwand, hat as-        des Geistes Gottes. Kunst und Kirche haben die Auf-        Ich danke Gerhard Rießbeck, für ein Stück vom
den aufstört oder vergewissert, verunsichert oder be-     tronomische und ästhetische Atmosphäre. Sie lenkt          gabe, gegen den schönen und den scheußlichen               Paradies.
freit, ihnen zur Er-Leuchtung verhilft oder manches im    die Wahrnehmung auf Welt und Landschaft, entlockt          Schein anzugehen, um in der Begegnung mit ihnen
Ungewissen lässt. Der Kunst ist es möglich, wahrhaf-      einem verschiedenste Stimmungen des Da- und des            mit wahrhaftigem Sinn zu beschenken. Kunst wie Kir-
tige religiöse Empfindungen und Erfahrungen hervor-       Ferne-Seins, der Gewissheit und des innigen Verlan-        che sollen als kritisches Korrelat zur Wirklichkeit auf-
zurufen – in der Begegnung mit Gerhard Rießbecks          gens nach mehr.                                            treten – einer Wirklichkeit, deren Ästhetisierung und
Bild, der Altarwand. Umgekehrt kann religiöse, christ-                                                               Inszenierung zum Verlust ihrer ursprünglichen Bedeu-
liche Deutung eines Kunstwerkes dazu beitragen,           Kunst konstituiert ein Moment von Freiheit in einer        tung führt. Vieles ist nicht mehr wirklich und wahr,
dass seine schöpferische Tiefendimension angemes-         Welt der Funktionen und der einstudierten Posen. Sie       vieles nicht mehr aufrichtig gemeint. Gut, dass wir        Abb. Seite 12/13
sen erkannt wird. Ein Panorama der äußersten Welt,        kann wunderbarerweise wie Kirche vor dem Hinter-           Orte der Reflexion darüber haben wie Kirchen und           Gerhard Rießbeck, Paradies, Detail

10                                                                                                                                                                                                                                  11
Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
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Gerhard Rießbeck Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 2019 - Kunst Kirche Bayern
ParadEIS
     Laudatio auf Gerhard Rießbeck
     Thomas Heyden

     Es war ein Experiment. Für den Künstler, das Muse-        Landschaft“ zu widmen. Vier Jahre später sprach
     um, die Kirche und die Menschen vor Ort. Gerhard          die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ihren
     Rießbeck heißt der Künstler, der in Bad Windsheim         Kunstpreis für das Jahr 2019 Gerhard Rießbeck zu.
     lebt. Das mittelfränkische Städtchen besitzt mit dem      Das Experiment war offensichtlich gelungen.
     Fränkischen Freilandmuseum einen Besucherma-
     gnet. Dem Freilandmuseum assoziiert ist das Muse-         Gerhard Rießbeck malt gegenständlich. Weder natu-
     um Kirche in Franken, das in der Spitalkirche zum         ralistisch noch realistisch. Der Künstler ist vielmehr ein
     Heiligen Geist eine ideale Heimstatt gefunden hat.        Gedankenmaler, der mit bildlichen Metaphern nach
     Zur Ausstattung des spätmittelalterlichen Sakralbaus      dem Wesen der Bilder, aber auch der conditio huma-
     zählt der nach den Künstlern Georg Brenck d. Ä. und       na fragt. Nur handelnd kann sich der Mensch begrei-
     Georg Brenck d. J. benannte Brenck-Altar von 1622-        fen und verwirklichen. In Rießbecks Bildwelt ist es der
     23. Er war erst 1931 von Ansbach nach Bad Winds-          Forscher, der sprichwörtlich wie im realen Sinn zu
     heim gekommen und stand bis zum Zweiten Welt-             neuen Horizonten aufbricht. Als Entdecker stößt er
     krieg als Seitenaltar an der nördlichen Chorwand.         auf unbetretenes Terrain vor, um am Ende sich selbst
     Erst nach dem Krieg ersetzte er den ursprünglichen        zu begegnen. Dort am Ende der Welt, wo eine le-
     Hauptaltar, der ins benachbarte Ulsenheim gegeben         bensfeindliche Umgebung dem Menschen die kalte
     worden war. Die ursprüngliche Predella, die die Stif-     Schulter zeigt. In den schneeweißen Weiten, die träu-
     terfamilie Greiß gezeigt haben könnte, wurde durch        men lassen, nicht nur in der Nacht, wenn sich die
     ein Abendmahlrelief ersetzt, das aus einem Apostelal-     Nordlichter unter den Rock schauen lassen. Und so
     tar der Spitalkirche stammt. So hatte der Altar bereits   wird die Landschaft zum Spiegel der Seele, ganz in
     eine Wandlung seines Bildprogramms erfahren, als          der Tradition der Romantik. Nein, Realist ist der Maler
     vom Kunstreferat der Evangelisch-Lutherischen Kir-        nicht, auch wenn er sich in den Tagebucheintragun-
     che in Bayern an Gerhard Rießbeck der Auftrag             gen seines „Dämmerbuchs“ angenehm offen zeigt für
     erging, für den Brenck-Altar ein alternatives Altarbild   die mitunter doch nur banalen oder komischen Ein-
     zu malen. Als temporäre Intervention, wie vorüberge-      drücke, die der Künstler während eines Grönlandauf-
     hende Eingriffe in der Sprache des Kunstbetriebs hei-     enthalts im Januar 2009 sammelte.
     ßen. Denn es war ja ein Experiment, keine neue
     Dauerlösung. Immerhin für rund eineinhalb Jahre prä-      Gerhard Rießbeck zieht es seit 1994 immer wieder
     sentierte sich der Altar in verwandelter Gestalt. Die     in das Eis des Nordens. Island und Grönland waren
     Eröffnung, genauer gesagt Enthüllung, am 12. Juni         schon mehrfach seine Reiseziele. Mit dem Alfred-
     2015 wurde zum Anlass für das 7. Landeskirchliche         Wegener-Institut war er als „Expeditionsmaler“ in der
     Kunstsymposium, sich dem Thema „Sakralität und            Arktis (2001) und einmal sogar am entgegengesetz-
                                                               ten Pol, in der Antarktis (2005) unterwegs. In der Lie-
                                                               be für das Extreme hat ihn gewiss auch sein Lehrer
     Weltgerichtsaltar in der Spitalkirche Bad Windsheim       an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg
     (Museum Kirche in Franken) mit Gerhard Rießbecks          bestärkt. Denn Gerhard Rießbeck studierte von 1987
     Altargemälde „Paradies“                                   bis 1993 bei Werner Knaupp und wurde anschlie-

14                                                                                                                    15
„Mit dem Titel „Paradies“ wollte ich klar
machen, dass die flankierenden Skulpturen
von Adam und Eva nicht nur irgendwelche
Figuren sind, sondern dass ich diesen Altar
als Gesamtkonzept sehe. Und dass sich
die Vorstellung vom Paradies innerhalb der
drei Jahrhunderte, die zwischen dem
Brenck-Altar und meinen Gedanken liegen,
natürlich geändert hat. Aber dass diese       ßend für drei Jahre sein Assistent. Auf Reisen unter        Doch das Erstaunlichste an diesem radikalen Bruch
Frage, was nach dem Tod ist, wie man sich
                                              anderem in die Sahara und Antarktis, auf die Lofoten        mit traditioneller christlicher Ikonographie war die
                                              und Hawaii, nach Neuseeland und Island entwickelte          Beobachtung, wie harmonisch sich die Eismeersze-
das vorstellen kann und ob wir überhaupt
                                              Knaupp sein Verständnis von Natur als „Kraftfeld“,          nerie in den Kontext des historischen Altarretabels
bildliche Vorstellungen dazu entwickeln
                                              dessen Energien er in Malerei übersetzt. Im Unter-          einfügte. Der strengen Symmetrie, wie sie Altarauf-
können – dass diese Frage uns noch im-
                                              schied zu seinem Schüler, der dem Licht, den Farben         sätzen grundsätzlich und auch jener Weltgerichts-
mer bewegt und es dazu auch tragfähige
                                              und der Atmosphäre der unwirtlichen und mitunter            szene eigen ist, die normalerweise das Zentrum des
Bilder gibt, die weniger Antworten geben,
                                              auch unwirklich anmutenden Eislandschaften nach-            Altars schmückt, verweigerte sich der Künstler aller-
sondern eher Fragen stellen.“                 spürt. Doch nie als Selbstzweck, sondern stets im           dings, um räumliche Tiefe zu evozieren. Diese
                                              Dienste eines Bildes, das am Ende immer eine Wirk-          Lösung stand am Ende eines kompositionellen
Gerhard Rießbeck
                                              lichkeit eigenen Rechts bildet.                             Ringens, das erst nach Übermalung eines zweiten
                                                                                                          Eisbergs auf der rechten Seite zu einem Abschluss
                                              Landschaft wird bei Gerhard Rießbeck unweigerlich           kam. Das meditative Landschaftsbild, das an die
                                              zur Polarlandschaft. Insofern war das Experiment im         Stelle eines vielfigurigen und hochdramatischen Ge-
                                              Grunde vorgezeichnet. Doch niemand, vielleicht noch         schehens trat, verlagerte die Gewichte und lenkte
                                              nicht einmal der Künstler selbst, hätte die suggestive      die Aufmerksamkeit auch auf die verbleibenden drei
                                              Wirkung eines Altarblattes ahnen können, das statt          Figuren, die sich stark plastisch aus ihren Nischen
                                              Heilsgeschichte das nächtliche Eismeer zeigt. Das           abheben, deren Dunkel wie eine Fortsetzung des
                                              Bild eröffnet eine enorme Tiefe. Das Auge gleitet über      nächtlichen Bildes erschien. Links und rechts flan-
                                              den Wasserspiegel, der von treibenden Eisschlieren          kieren Adam und Eva das Altarbild, beide mit Äpfeln
                                              durchfleckt ist. Erst diese Struktur macht die waage-       vom Baum der Erkenntnis. Während Adam auf den
                                              rechte Fläche erfahrbar. Am linken Horizont starrt die      Höchsten verweist, beißt Eva selbstvergessen in die
                                              ebenmäßige Spitze eines Eisbergs aus dem Wasser.            Frucht. Darüber, als Abschluss in einer Arkade ste-
                                              Er wirkt so gar nicht pittoresk oder bedrohlich. Eher       hend, der auferstandene Heiland mit zum Segen er-
                                              scheint er sich dem Blick entziehen zu wollen. Unter-       hobener Rechter. Er hat den Tod besiegt und die
                                              tauchen ins Dunkel der Nacht, abdriften aus dem Bild        Sünde von den Menschen genommen. Die drei Fi-
                                              hinaus, hinter die Säule der architektonischen Rah-         guren deuten die Erlösungsgeschichte in denkbar
                                              mung. Doch noch leuchtet er bläulich aus der Dunkel-        knappster Form an. Auf die in der Predella darge-
                                              heit, selbst ganz Lichtquelle, die sich vertikal im unbe-   stellte Einsetzung des Sakraments des Abendmahls
                                              wegten Wasser spiegelt. Eine magische Erscheinung,          verzichtete der Künstler aus ästhetischen wie inhalt-
                                              fremd und rätselhaft. Gegenstand einer unbestimm-           lichen Gründen. Für die Dauer der Intervention wur-
                                              ten Sehnsucht. Wenn sich angesichts von Land-               de das Relief durch ein Gemälde ersetzt, das den
                                              schaften Transzendenz erleben lässt, dann hat es der        Vordergrund des Bildes nach unten verlängerte.
                                              Maler verstanden, diese Erfahrung zu teilen. Das Bild
                                              gibt eine Ahnung von dem, was sich nicht mehr zei-          Gerhard Rießbeck deutete das Altarretabel nicht
                                              gen lässt.                                                  nur ästhetisch, sondern auch theologisch um. Da-        Gerhard Rießbeck, Erstfassung „Paradies“ mit zwei
                                                                                                          bei begnügte er sich nicht mit dem Schauder des         Eisbergen, 2015

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Numinosen und der Unverbindlichkeit der Andeutung,         Altargemälde hätte ebenso gut Anlass zu einem
                                                                                                sondern gab seinem Bild einen handfesten Titel, der        Symposium über „Ökologie und Christentum“ geben
                                                                                                zunächst überrascht, denn das „Paradies“ stellt man        können.
                                                                                                sich landläufig eher als üppig grünenden Garten oder
                                                                                                in der Ikonographie des Tourismus als palmenbestan-
                                                                                                denen Strand vor. In einer Einführung in sein Altarbild,
                                                                                                die der Künstler im Rahmen des erwähnten Sympo-
                                                                                                siums gab, erinnerte Rießbeck an den Geographen
                                                                                                August Petermann, dessen Spekulation über eine
                                                                                                hinter dem Eisgürtel des Nordpols liegende Land-
                                                                                                masse mit gemäßigtem Klima paradiesische Züge
                                                                                                annahm. Schon seit jeher vermutete man das Para-
                                                                                                dies dort, wo man nicht hingelangen konnte. Aus
                                                                                                dem 16. Jahrhundert stammt beispielsweise eine
                                                                                                Karte von Gerhard Mercator, die die Arktis nach dem
                                                                                                Vorbild des Paradieses von vier Strömen durchflos-
                                                                                                sen darstellt. Doch es wäre zu kurz gegriffen, sich
                                                                                                mit solchen Exkursen in die Geschichte der Polarfor-
                                                                                                schung zu begnügen. Schließlich stand links und            Caspar David Friedrich, Das Eismeer, Hamburger Kunst-
                                                                                                rechts von Rießbecks Altarbild das erste Menschen-         halle, 1823-24
                                                                                                paar. Im Kontext des Sündenfalls und der Vertreibung
                                                                                                aus dem Paradies gewinnt die Darstellung eines Eis-        Als das Eis der Polarmeere noch das „ewige Eis“ ge-
                                                                                                bergs ungeahnte Aktualität. Denn auch dieses Para-         nannt werden durfte, war es übel beleumundet. Visu-
                                                                                                dies ist gefährdet, da die globale Klimaerwärmung          eller Inbegriff dieser Auffassung wurde Caspar David
                                                                                                früher oder später die Gletscher und das Eis der Pole      Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ (1823-24), früher
                                                                                                abschmelzen lassen wird. Die drohende Katastrophe          auch bekannt als „Die gescheiterte Hoffnung“. Dra-
                                                                                                steigender Meeresspiegel ist in den Medien allgegen-       matisch getürmte Eisschollen haben ein Schiff zer-
                                                                                                wärtig. Der sündige Mensch hat in eigener Macht-           malmt. Die Katastrophe vermittelt eine plastische Vor-
                                                                                                vollkommenheit die Schöpfung bereits weitgehend            stellung von der Ohnmacht des Menschen angesichts
                                                                                                ausgelöscht. Das Bild eines majestätischen Eisbergs        einer nicht zu bändigenden Natur. Die philosophische
                                                                                                wird vor diesem Verständnishintergrund zum Mene-           Kategorie des Erhabenen vermittelt zur Erfahrung des
                                                                                                tekel der hausgemachten Apokalypse. Sie ist nicht          allmächtigen Gottes. Gerhard Rießbeck ist naturge-
                                                                                                Schicksal, sondern Ergebnis der Gottvergessenheit.         mäß ein Bewunderer der Malerei seines großen Vor-
                                                                                                Dagegen bilden im Bad Windsheimer Altar die bei-           gängers. Im Grunde lässt sich sein Altarbild für Bad
                                                                                                den Menschen und Gottes Sohn ein Dreieck, das              Windsheim als Amalgam aus Anregungen aufschlüs-
     Georg Brenck d. Ä. und Georg Brenck d. J., Weltgerichtsaltar, Spitalkirche Bad Windsheim   in der abgeschrägten Fläche des Eisbergs eine              seln, die er aus drei verschiedenen Gemälden Caspar
     (Museum Kirche in Franken), 1622-23                                                        formale Entsprechung findet. Gerhard Rießbecks             David Friedrichs bezogen haben könnte. Motivisch ist

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es natürlich dem „Eismeer“ verpflichtet. Formal über-                                                                Noch Anfang des 20. Jahrhunderts fürchtete der              Der dänische Künstler brachte für seine Aktion „Ice
rascht die Nähe des Wasserspiegels mit den darauf                                                                    Mensch die tückischen Eisberge, von denen nur der           Watch“ das Eis von Grönland in die europäischen
treibenden Eisschollen zum Vordergrund des in Dres-                                                                  kleinste Teil über den Wasserspiegel herausragt. Der        Metropolen, um die Menschen dort für den Klima-
den befindlichen Gemäldes „Das große Gehege“ (um                                                                     Untergang der Titanic im Jahr 1912 ließ sich im Nach-       wandel zu sensibilisieren.
1832), wo Wasserlachen das Licht des Himmels spie-                                                                   hinein als Fanal des großen Weltenbrandes verste-
geln. Funktionell ist jedoch das als „Tetschener Altar“                                                              hen, auf die die bürgerlichen Gesellschaften Europas
bekannte Gemälde „Das Kreuz im Gebirge“ (1807/08)                                                                    zusteuerten. Nebenbei erlitt ein naiver Technikglaube
von nicht zu übersehender Vorbildlichkeit. Das als Al-                                                               Schiffbruch. Mit dem größten Schiff, das je gebaut
tarbild auftretende Gemälde bedeutete eine Sensati-                                                                  worden war, zerschellte an einem Eisberg die
on, da es den Kreuzestod Jesu nicht als Historienbild                                                                menschliche Hybris. Davon handeln Eisberge in un-
vergegenwärtigte, sondern lediglich in Gestalt eines                                                                 serem kulturellen Verständnis noch immer, doch sie
Gipfelkreuzes andeutete. Als Erinnerungszeichen in                                                                   verwandelten sich vom Instrument der Katastrophe
einer Landschaft, die zum Hauptträger der sakralen                                                                   zu ihrem Indikator. Wir fürchten sie nicht mehr, son-
Botschaft aufstieg. Damals fällte Friedrich Wilhelm                                                                  dern sorgen uns um sie. Neben Eisbären sind Eis-
Basilius von Ramdohr jenes denkwürdige Verdikt, das                                                                  berge Sinnbilder der Klimakatastrophe. Ihr Schmel-
vielleicht sogar bis heute nachwirkt, denn das Experi-                                                               zen rührt uns, macht uns betroffen. Olafur Eliasson
ment in der Bad Windsheimer Spitalkirche fand auch                                                                   veröffentlichte auf seiner Website Fotos von Kindern
im Jahr 2015 nicht nur Befürworter: „In der Tat ist es                                                               und Erwachsenen, die in Kopenhagen (2014), Paris
eine wahre Anmaßung, wenn die Landschaftsmalerei                                                                     (2015) und London (2018) große Eisbrocken nicht nur
sich in die Kirchen schleichen und auf die Altäre krie-   Caspar David Friedrich, Das Kreuz im Gebirge (Tetschener   anfassen, sondern sich regelrecht an sie schmiegen.
chen will.“ Zur Beruhigung der damaligen wie der          Altar), Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue                                                               Bunny Rogers, Pectus Excavatum, Zollamt Museum für
heutigen Kritiker sei angemerkt, dass weder Fried-        Meister, 1807/08                                                                                                       Moderne Kunst, Frankfurt am Main, 2019, Courtesy the
richs noch Rießbecks Gemälde sich tatsächlich in Kir-                                                                                                                            artist and Société, Berlin
chen schleichen konnten: Das eine Bild befand sich        zwei Landschaftsgemälden, die 1982 entstanden
auf Schloss Tetschen im Schlafzimmer der Gräfin,          („Eisberg im Nebel“, Wvz. 496-1, und „Eisberg“,                                                                        Die junge US-amerikanische Künstlerin Bunny Rogers
das andere wurde zwar tatsächlich zeitweilig in einer     Wvz. 496-2). Sie beruhen auf Fotos, die der Künstler                                                                   (geb. 1990) war noch ein Kind, als 1997 der Titanic-
Kirche auf einem Altar präsentiert, doch die Kirche       bereits 1972 geschossen hatte, als er im August an                                                                     Film von James Cameron in die Kinos kam. Sie erin-
war längst ein Museum.                                    einer Kreuzfahrt nach Grönland teilnahm – „inspiriert                                                                  nert sich an das morbide Exponat einer ansonsten
                                                          von Caspar David Friedrich“, wie es in der offiziellen                                                                 familienfreundlichen Titanic-Wanderausstellung, die
Wie ein ironischer Abgesang auf Friedrichs großes         Künstlerbiographie ausdrücklich heißt. 2011 erschien                                                                   sie damals sah: eine Wand aus echtem Eis, zu deren
Eismeerdrama wirkt Gerhard Richters Bild von              eine Auswahl dieser Fotos als Künstlerbuch unter                                                                       Berührung aufgefordert wurde, um eine Vorstellung
einer/m Toten unter einem Eisblock („Tote“, 1963,         dem lapidaren Titel „Gerhard Richter, EIS“. Mit dem                                                                    von den kalten Fluten zu geben, in denen Hunderte
Wvz. 9). Das tragische Unglück aus der Yellow Press       Eismeer fand Richter ein Motiv, das seine grundsätz-                                                                   von Menschen den Tod fanden. Für eine Ausstellung
reicht gerade einmal für jenen 15 Minuten währenden       liche Skepsis gegenüber der Landschaft an den Ge-                                                                      im „Zollamt“ des Frankfurter Museums für Moderne
Ruhm, von dem Andy Warhol sprach. Das Schicksal           frierpunkt brachte. Im Vergleich zu Gerhard Rießbeck       Olafur Eliasson und Minik Rosing, Ice Watch. Supported by   Kunst, die im Frühjahr 2019 stattfand, rekonstruierte
hat einem dummen Zufall Platz gemacht. Respekt            wird der objektivierende und distanzierende Blick          Bloomberg. Installation: Bankside, outside Tate Modern,     Rogers ihre Erinnerung und schuf einen Eisberg, der
zollt Gerhard Richter dem Motiv des Eisbergs mit          durch die Kamera überdeutlich.                             2018 © 2018 Olafur Eliasson                                 ebenfalls angefasst werden durfte. Die ins Eis ge-

20                                                                                                                                                                                                                                      21
schmolzenen Handabdrücke der Besucherinnen und
Besucher erinnerten an prähistorische Höhlenbilder.
Vielleicht ein Bild dafür, dass wir erst ganz am Anfang
einer neuen Epoche stehen. Erfahren und begreifen,
was wir im Begriff sind, unwiederbringlich zu zerstö-
ren, kann ein erster Schritt sein.

„Im Grunde genommen wäre ich wohl am liebsten ein
Maler von Altarbildern“, sagte Gerhard Rießbeck ein-
mal augenzwinkernd in einem Interview. Als er dann in
Bad Windsheim tatsächlich als Altarmaler gefordert
war, löste er die Aufgabe ohne falsches Pathos, aber
auch ohne Ironie. Das Bildmotiv erwuchs wie selbst-
verständlich aus dem Schaffen des Malers und stellt
sich in einen weiten ikonographischen Kontext, den
dieser Text lediglich punktuell andeuten konnte. Ent-
scheidend ist jedoch die ästhetisch wie theologisch
gleichermaßen gelungene Einbindung in das Bildpro-
gramm eines Altars aus dem 17. Jahrhundert.

Rießbecks Altargemälde könnte etwa Anlass geben,
der Frage nachzugehen, inwieweit die moderne
Entgegensetzung von Mensch und Natur den Anfang
vom Ende bedeutete, einen zweiten Sündenfall.
Mensch und Natur auf neue Weise wieder zusam-
menzudenken, dazu sollte uns der Begriff der Schöp-
fung ermutigen. Auf dass die Erde wieder zu dem
werden kann, was sie einmal war: ein diesseitiges
Paradies.

Literatur:
Kirche und Kunst 92, 2015, Heft 2 (Themenheft zum
7. Landeskirchlichen Symposium „Sakralität und Land-
schaft“ 2015 in Bad Windsheim).

Sieben mal Sieben – Kunst des 21. Jahrhunderts in der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, hrsg. von
Helmut Braun, Lindenberg i. Allgäu 2019, Nr. 3 (Andrea
Thurnwald).

Gerhard Rießbeck, Paradies, Detail

22                                                        23
EVANGELISCHER GLAUBE UND BILDENDE KUNST:
Gerhard Rießbecks temporäres Deckengemälde „Dornenkrone mit Luftballons“
für die Evangelisch-Lutherische Christuskirche Ebern von 2014
Klaus Raschzok

Über Jahrhunderte hinweg spielte die Frage nach der      Das nicht unproblematische Verhältnis von evange-
Verkündigungsfunktion der Bildenden Kunst die ent-       lischem Glauben und Bildender Kunst ruht auf dieser
scheidende Rolle im Verhältnis zwischen evange-          Doppelentwicklung seit der Reformationszeit und
lischem Glauben und Bildender Kunst. Entschei-           führt konsequent zu einer Aufspaltung zwischen der
dende Weichenstellungen dazu waren bereits in der        autonomen, ästhetisch hochrangigen und der ab-
Reformationszeit erfolgt, als im Gegensatz zu den        hängigen, ästhetisch eher zum Kunsthandwerk nei-
Bilderstürmern im Gefolge Martin Luthers zwar das        genden Bildenden Kunst im Dienst der kirchlichen
Bild im Bereich von Frömmigkeit und Gottesdienst         Verkündigung, die sich dem kirchlichen Auftrag
beibehalten, aber seiner Anbetungsfunktion entklei-      unterordnet.
det wurde. Bildende Kunst sollte, so die Reforma-
toren, als ein didaktisches Instrumentarium dazu         Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde daher
dienen, Grundaussagen des christlichen Glaubens          in der evangelischen Theologie versucht, die aus-
anschaulich darzustellen und zu vermitteln. Damit        schließliche Zuordnung der Bilder zum Dienst der
war die Wortverkündigung dem Bild eindeutig vorge-       Verkündigung zu überwinden. Unter Rückgriff auf
ordnet. Bildende Kunst sollte diese veranschaulichen     den evangelischen Theologen Paul Tillich und des-
und illustrieren. Eine konsequente Folge dieser refor-   sen sogenanntes Korrelationsmodell wurde die Bil-
matorischen Grundentscheidung bestand im zuneh-          dende Kunst den Fragestellern zugeordnet, auf die
menden Verzicht auf die absolute künstlerische           hin kirchliche Verkündigung zu antworten habe.
Qualität der kirchlichen Zwecken dienenden Bilden-       Künstlerinnen und Künstler als sensible Seismogra-
den Kunst. Diese wurde nahezu ausschließlich an          phen unserer Gesellschaft und ihrer Fragen formulie-
ihrer Verkündigungsfunktion gemessen und beurteilt.      ren dann in ihren Gestaltungen die Fragen und Ant-
                                                         worten ihrer Zeit, auf die hin kirchliche Verkündigung
Als besonders paradoxe historische Entwicklung er-       und Theologie zu antworten hätten.
scheint die Tatsache, dass sich etwa zeitgleich mit
der Reformation das künstlerische Selbstverständnis      Aber auch dieser Ansatz erwies sich auf Dauer der
hin zur Autonomie entwickelte. Die Künstler lösten       Qualität zeitgenössischer Bildender Kunst nicht an-
sich aus einer über Jahrhunderte hinweg durch kirch-     gemessen. Er kann als weitere Engführung der Ver-
liche Auftraggeber definierten Rolle und entdeckten      hältnisbestimmung von Glaube und Kunst verstan-
das unbeeinträchtigt von kirchlichen Vorgaben ge-        den werden, weil er der Bildenden Kunst eine zu ein-
staltende und schaffende künstlerische Individuum.       geschränkte Funktion zuspricht. Denn Künstlerinnen
Daraus entwickelte sich auch ein eigenständiger          und Künstler formulieren in ihren Werken eben nicht
künstlerischer Zugang zu christlichen Motiven und
Themen, der nicht mehr in eine kirchliche Funktion
eingebunden ist.
                                                         Evangelisch-Lutherische Christuskirche Ebern mit dem
                                                         Deckengemälde Gerhard Rießbecks während des
                                                         „12[W]ORTE-Projekts“, 2014/15

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nur Fragen an die Theologie und die kirchliche Ver-       Raum des sinnlichen Erlebens zur Verfügung. Sie
kündigung, sondern ihre Werke enthalten in sich und       bzw. er gewährt mir Anteil an seiner bzw. seinem Bild
in der ihnen eigenen Sprache auch bereits Antwor-         oder Objekt gewordenen Erfahrung, lässt mich teil-
ten. Diese Antworten können zwar von der kirch-           nehmen und weist damit über sich selbst hinaus. Bil-
lichen Verkündigung abweichen, stellen aber den-          der und künstlerische Objekte sind daher Räume des
noch eigenständige Aussagen und Stellungnahmen            Erlebens, die analog wie die ebenfalls als sprach-
mit den Ausdrucksmitteln künstlerischer Gestaltung        liches Kunstwerk zu verstehende Predigt von Gott in
dar. So handelt es sich um einen umfassenderen            Anspruch genommen werden können und dann zu
Vorgang, wenn Künstlerinnen und Künstler sich in ih-      einem Raum für die Gottes- oder Christusbegegnung
rem Werk mit bildspezifischen Mitteln auch mit Fra-       werden, unabhängig von einer vorherigen didak-
gestellungen des christlichen Glaubens auseinander-       tischen oder kerygmatischen Abzweckung. Aller-
setzen. Ich gehe soweit, auch hier von einer Ausle-       dings ist für diesen Vorgang ein hoher ästhetischer
gung der christlich-biblischen Tradition zu sprechen.     Anspruch Voraussetzung, und allein diese hohe äs-
Einer Auslegung, die sich zum großen Teil auch au-        thetische Anforderung möchte ich als Theologe
ßerhalb der Kirche vollzieht und einer theologischen      Künstlerinnen und Künstlern gegenüber geltend ma-
Kontrolle entzogen ist. Aber gerade deshalb ist ihr       chen – als einzige Einschränkung von Seiten des
Beitrag wichtig und für die theologische Arbeit           Glaubens. Denn die ästhetische Qualität der Bilder
anregend.                                                 und Objekte steht für mich in einer engen Beziehung
                                                          zu dem, was die christliche Tradition unter der
Eine wichtige Hilfe zum Verständnis künstlerischer        „Schönheit“ versteht, die alleine Christus zukommt.
Beiträge zum christlichen Glauben und seinen              Diese Ästhetik ist für mich der Maßstab, nicht die
Grundfragestellungen ist das Verständnis der Auto-        Verkündigungsfunktion der Bildenden Kunst. Letzte-
nomie des Künstlers. Es geht darum, wahrzuneh-            re ist oftmals nichts anderes als ein versteckter An-
men, dass der künstlerisch formulierte Beitrag jeweils    spruch der Theologie, Macht über die Bildende
einen Durchgang durch die individuelle Person des         Kunst zu beanspruchen.
einzelnen Künstlers darstellt und mit bildimmanenten                                                                                                              „Es ist eine der bemerkenswerten Leistungen des
Mitteln der Gestaltung erfolgt. Es handelt sich beim      Was dies konkret bedeutet, lässt sich an einer Arbeit                                                   Christentums, dass es Dinge ins Zentrum stellt, die für
künstlerischen Werk um einen eigenständigen, au-          von Gerhard Rießbeck im Rahmen des Kunstpro-                                                            Menschen höchst unerfreulich sind: Tod, Leid und
thentischen und intensiven Beitrag im Sinne der Aus-      jektes zur Lutherdekade 2015 mit dem Thema „Re-                                                         Schmerz. Dass es gelungen ist, für diese die Menschen
legung oder der Beschreibung von Glaubens- und            formation – Bild und Bibel“ im Evangelisch-Luthe-                                                       seit jeher quälenden Dinge einen Platz zu schaffen in der
Gotteserfahrung.                                          rischen Kirchenkreis Bayreuth verdeutlichen. Unter                                                      Religion, und dass für diese extremen menschlichen Zu-
                                                          dem Motto „12 [W]ORTE – ein Weg zu Bibel, Kunst,                                                        stände auch Bilder geschaffen wurden. Es ist schon eine
Ich persönlich verstehe Bilder und Objekte zeitge-        Gemeinde“ haben 12 ausgewählte Bildende Künstle-                                                        gewichtige Komponente des Menschseins, so etwas nicht
nössischer Künstler im Sinne eines Erlebnisraumes.        rinnen und Künstler die Aufgabe übernommen, sich                                                        auszublenden und auch nicht zu überspielen, sondern zu
Eine Künstlerin oder ein Künstler stellt mit ihren bzw.   in jeweils einer Kirchengemeinde mit einem von die-                                                     integrieren, zum Beispiel in den Raum einer Kirche.“
seinen bild- oder objektimmanenten Mitteln, durch         ser gewählten Bibelwort auseinanderzusetzen. Der        Gerhard Rießbeck, Dornenkrone mit Luftballons
seine je individuelle Person hindurchgegangen, einen      in Bad Windsheim lebende und arbeitende, 1964 in        Ø 210 cm, Öl auf Alu-Dibond, 2014               Gerhard Rießbeck

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Lichtenfels geborene Gerhard Rießbeck, der als einer       Malerei als Zugang zum Thema der Kreuzigung             Kirchen zeigen den geöffneten Himmel mit seinen
der bedeutendsten jungen Landschaftsmaler der              Jesu gewählt. Sie wird bestimmt von der Spannung        Engeln und Heiligen. Gerhard Rießbeck zeigt in
Gegenwart gilt, hat dabei für die Evangelisch-Luthe-       zwischen den fragilen farbenfrohen Ballons und der      Ebern einen protestantischen Himmel, der den not-
rische Christuskirche Ebern eine Arbeit zu Jesu Kreu-      sie gefährdenden Dornenkrone mit ihren massiven,        wendigen Durchgang durch das Leiden und den
zigung und Tod (Lukas 23, 32-49) gestaltet. Er schuf       für die Luftballons tödlichen Zacken. Die bunte Welt    Schmerz und durch die Gefährdungen eines fragilen
ein Deckenbild für die hölzerne, vom Innenraum aus         der aufsteigenden Träume und die dunkle Seite des       Lebens nicht ausblendet. Die im Himmel schwe-
sichtbare Dachkonstruktion des zehneckigen Zen-            Lebens in der Dornenkrone prallen aufeinander und       bende Dornenkrone wird zum Zeichen der Hoheit
tralbaus von 1957/58, das den Titel „Dornenkrone           stehen für Gefährdung und Durchgang. Die Weite          dessen, der Sieger über den Tod geworden ist.
mit Luftballons“ trägt und in Ölfarbe auf Alu-Dibond       des Himmels wird nur als Durchgang durch die            Gerhard Rießbeck vergegenständlicht auf diese Wei-
mit einem Durchmesser von 210 cm gemalt ist. Rieß-         dunklen Seiten des Lebens hindurch erreicht.            se eine innere Erfahrung und macht sie an scheinbar
beck gestaltet ein auf den ersten Blick fröhliches Bild:                                                           alltäglichen und im Grunde schönen Gegenständen
Bunte Luftballons steigen in einen blauen Himmel mit       Bilder machen etwas sichtbar, was das Sagbare           fest, indem er sie in unsere von Werbung und ästhe-
weißen Wolken auf. Die Dachkonstruktion des Kir-           übersteigt. Sie gewähren einen sinnlichen Zugang        tischen Bildern des Glücks geprägte Alltagswelt der
chenraumes scheint sich zum Himmel hin zu öffnen.          und erschließen einen Erfahrungsraum. Gerhard           Medien hineinzieht. Etwas Unsichtbares, sich im In-
Aber zwischen den bunten Luftballons schwebt eine          Rießbeck beschäftigt sich seit langem in seiner Male-   neren vollziehendes wird nach außen gekehrt und
mächtige Dornenkrone. Es handelt sich um eine auf          rei mit extremen Landschaften. Stille, ruhige Bilder    sichtbar gemacht. Gute Bilder gehen nicht in dem
nur wenige Gestaltungsmittel reduzierte, nicht-figür-      beherrschen sein Werk gerade dort, wo die mensch-       auf, was man ohne sie schon mit Worten sagen
liche Darstellung der Kreuzigung Jesu, die mit bild-       liche Existenz durch Naturgewalten gefährdet wird.      könnte. Sie bieten einen Mehrwert gegenüber dem
immanenten Mitteln andeutet, dass Jesu Weg ans             Er zeigt immer wieder neu die verborgene Schönheit      mit Worten Sagbaren. Gerhard Rießbecks Ausbruch
Kreuz und in den Tod zugleich einen Durchgang              angesichts von Zerstörung und Gefährdung auf und        aus der christlichen Darstellungstradition knüpft da-
durch den Tod zum Leben darstellt (Römer 6, 3-4),          gewährt damit die Chance, Vertrautes neu sehen zu       mit zugleich an die Schönheit der romanischen
wie er in jedem Christen in der Taufe angelegt ist.        beginnen. Für das Einlassen auf eine neue sinnliche     Christusfiguren an, die den Gekreuzigten als sanft-
                                                           Erfahrung des Sehens ist in der Christuskirche Ebern    mütigen König und Herrscher am Kreuz zeigen.
Joseph Beuys hatte schon in den 1960er Jahren von          die Verbindung des Deckengemäldes mit einem Kir-
einem Ende der konventionellen Kreuzigungsdarstel-         chenraum entscheidend, in dem in den Gottesdiens-
lungen gesprochen. Arnulf Rainer versuchte, der            ten das Kirchenjahr begangen, in dem verkündigt,        Literatur:
Dramatik der Darstellung des Kreuzestodes Jesu in          gesungen, gebetet, gesegnet und Abendmahl gefei-        12[W]ORTE. Ein Weg zu Bibel, Kunst, Gemeinde. Ein
den 1980er Jahren durch die Übermalung und nach-           ert und die Taufe vollzogen wird.                       Kunstprojekt zur Lutherdekade im Kirchenkreis Bayreuth,
trägliche Korrektur von Kreuzigungsdarstellungen auf                                                               hrsg. von Dorothea Greiner, Bayreuth 2014, S. 103-111.
der bildlichen Ebene gerecht zu werden. Werner             Gerhard Rießbecks Arbeit nimmt zugleich ein Ele-
Knaupp, der künstlerische Lehrer von Gerhard Rieß-         ment der christlichen Ikonographie auf. So begegnen
beck an der Nürnberger Akademie der Bildenden              die Leidenswerkzeuge Christi in den Händen hal-
Künste, gestaltete Ende der 1970er Jahre eine Chris-       tenden und mit ihnen spielenden Engel an barocken
tusfigur mit ausgebranntem Kopf als Endpunkt der           Schalldeckeln evangelischer Kanzeln, wie zum Bei-
künstlerischen Darstellungsmöglichkeit des Gekreu-         spiel in der Nördlinger St. Georgskirche, als Hinweis
zigten. Nicht zuletzt wohl deshalb hat Gerhard Rieß-       auf die Überwindung des Todes durch Christus. Die
beck eine gegenständliche, aber nicht-figürliche           barocken Deckengemälde in den katholischen

28                                                                                                                                                                           29
Großes Kino
80 x 120 cm
Öl auf Leinwand
2018

30                31
Ereignis
30 x 180 cm
Öl auf Leinwand
2019

32                33
Walhalla
50 x 150 cm
Öl auf Leinwand
2018

                  36   37
„Mit Bildern verbirgt man das Eigent-
     liche – so wie in der orthodoxen Kirche
     die Ikonostase zum Verbergen des
     Altarraums verwendet wird. Das finde
     ich einen tollen Gedanken, mit Bildern
     unzugängliche geistige Räume zu mar-
     kieren, zu zeigen, da ist etwas, aber
     nicht zu verraten, was dahinter ist –
     weil ich es auch gar nicht weiß.“

     Gerhard Rießbeck

     Ikonostase II
     200 x 250 cm
     Öl auf Leinwand
     2019

38                                       39
„Ich habe den Kruzifixus auf dem Trödel-
markt gekauft und lange im Atelier gehabt,
schon losgelöst vom Kreuz. Ich dachte
darüber nach, wie es wirkt, wenn man sich
vorstellt, dass die Figur fliegt, dass das ein
ganz entspannter Gestus ist. Die Dornen-
krone ist etwas Verletzendes, ein Spott-
instrument, sie wird von uns aber gar nicht
mehr wahrgenommen als Spott, sondern
gibt dem Ganzen einen überhöhenden
Charakter – und genau das Gegenteil ist
eigentlich der Fall. In der Zeit, als ich an-
fing, mit dem Kasper-Motiv zu arbeiten,
dachte ich: Wenn man jemanden verhöh-
nen will, dann müsste man es heutzutage
so machen: mit der Kaspermütze. Das
Umsetzen hat dann bei mir für Widerstän-
de gesorgt. Dazu bin ich wohl zu sehr so-
zialisiert im christlichen Kontext. So etwas
macht man nicht so einfach, da gehört
Überwindung dazu. Ich fand es inhaltlich
und formal eine interessante Lösung für
diese Figur. Einerseits das Fliegen, das
Freie, andererseits der Spott, der wieder
neu erlebbar ist durch die rote Mütze.“

Gerhard Rießbeck

Flieg doch
23 x 16 cm
Bronze und Knetgummi
2003

40
„Dieses Bild ist zu einer Zeit entstanden, als
                       ich sehr stark mit comicartigen, aus kind-
                       lichen Bereichen stammenden, scheinbar
                       simplen Bildmotiven gearbeitet habe. Das
                       „Gespenst“, das aussieht wie das „Kleine
                       Gespenst“, andererseits aber die Wund-
                       male aufweist und von daher in ganz uner-
                       laubter Weise zwei Dinge zusammenbringt
                       – eben das belächelte Wesen Gespenst,
                       das für uns nur eine Spukgestalt ist, und
                       andererseits die Vorstellung, dass jemand
                       aufersteht von den Toten. Der scheinbar
                       banale Blickpunkt von jemandem, dem er-
                       zählt wird, ein Mensch ist tot und wird wie-
                       der lebendig. Wer das nicht aus dem christ-
                       lichen Kontext kennt, für den erscheint das
                       wie etwas Absurdes. Und das habe ich in
                       dem Bild gemalt.“

                       Gerhard Rießbeck

     Gespenst
     25 x 38 cm
     Öl auf Leinwand
     2003

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Himmelskörper
     100 x 212 cm
     Öl und Acryl auf Leinwand und Holz
     2019

44                                        45
„Dieser Wettbewerbsbeitrag für das
Altarbild der Kirche in Unternzenn war
eine enorme Herausforderung. Ich glaube,
dass ich für das vorgegebene Thema
„Auferstehung“ das richtige Bild für unsere
Zeit geliefert habe, weil ich auch das für
mich nicht Geklärte dieser biblischen Er-
zählung thematisiert habe. Weil es eben
kein klassisches Auferstehungsbild ist,
sondern eine offene Situation darstellt. Ich
wurde gefragt: Wo ist da die Hoffnung?
Die Hoffnung ist da schon drin, aber eben
nicht die Gewissheit.
Aufrichtige moderne christliche Kunst ist,
glaube ich, darauf angewiesen, Frage-
zeichen zu setzen. Diese Selbstverständ-
lichkeit gibt es nicht mehr. Von daher sind
neue Bilder vonnöten. Jede Zeit muss
ihre Bilder finden.“

Gerhard Rießbeck

Aufstehen
122 x 95 cm
Öl auf Leinwand
2018

46                                             47
Schrein           Haus des Malers, Innenansicht
     60 x 90 cm        200 x 200 cm
     Öl auf Leinwand   Öl auf Leinwand
     2019              2012

48                                                     49
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