"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger

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"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
Festschrift
100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern

«Hier kann nur noch ein Zusammen-
         schluss der Mieter helfen»

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"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
Inhaltsverzeichnis

                                        Vorwort                                                                          2

                                        Wohnsituation in der Stadt Bern um die Jahrhundertwende                          4

                                        1899: erster Zusammenschluss als Mieter-Ring-Bern bzw. Mieterverein             6

                                        1900: erste städtische Wohninitiative wird lanciert: «Spitalacker-Initiative»    7

                                        Kommunale Wohnungspolitik in der Stadt Bern                                     14

                                        1918: «Mieterschutzverband der Stadt Bern und Umgebung» gegründet               17

                                        Der Verband entwickelt sich                                                     21

                                        Über uns: der Mieterinnen- und Mieterverband in Kürze                           27

                                        Anhang                                                                          28

                                        Bibliographie                                                                   32

Mieterinnen- und Mieterverband
Regionalgruppe Bern und Umgebung
Monbijoustrasse 61, 3007 Bern

Impressum:
Herausgeberin: Mieterinnen- und
Mieterverband Regionalgruppe Bern und
Umgebung, Bern
Redaktion: Natalie Imboden
Mitarbeit: Simone Widmer
Korrektorat: Käthi von Wartburg
Layout: Christof Berger
Druck: Druckerei Hofer, Bümpliz
Auflage: 250 Stück
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"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
Vorwort                                                            Natalie Imboden, Präsidentin
                                                                   Mieterinnen- und Mieterverband
                                                                   Bern und Umgebung

Der heutige Mieterinnen- und Mieterver-         zu mässigen Preisen» erstellen solle. Die           lichen Fragen und das Engagement für genü-      Vorstand mit Überzeugung für die Anliegen
band Stadt Bern und Umgebung wurde              Volksabstimmung ging verloren.                      gend und bezahlbaren Wohnraum. Oder wie         der Mieterinnen und Mieter ein. Dies im Sin-
zweimal gegründet. Erstmals im Jahr 1899                                                            es die Grundsatzerklärung zum 75. Jubiläum      ne der Grundsatzerklärung vom Juni 1993:
als «Mieterverein». Trotz diverser Verbands-    Die definitive Gründung im Oktober 1918             im Titel treffend formulierte: «Wohnraum er-    «Als aktiver Wohnungsmarkt-Beobachter
aktivitäten war dem Verein keine Kontinuität    fand in einer Zeit statt, die von der schlech-      halten und mehren – Rechte der Mietenden        und politischer Interessenvertreter in der
vergönnt. So fand am 13. Oktober 1918 die       ten Versorgungslage im 1. Weltkrieg,                wahren». Thema war 1993 auch die Stadt-         Region will sich der MVB bei den Behörden
zweite und definitive Gründung als «Mieter-     verschiedenen Kundgebungen gegen die                entwicklungspolitik mit dem Motto: «Wir         für die Interessen seiner Mitglieder ein-
schutzverband der Stadt Bern und Umge-          Teuerung, einer eingebrochenen Bauindus-            kämpfen um jeden Quadratmeter Wohn-             setzen.» Dies in der Tradition der Geschich-
bung» statt.                                    trie, grosser Wohnungsnot und drohender             raum!». In Zeiten von Verdrängung einkom-       te – mit Blick auf die Zukunft und konkret
                                                Obdachlosigkeit geprägt war. Nur wenige             mensschwächerer Mieterinnen und Mieter,         aufgrund aktueller Herausforderungen für
Steigende Mieten, Wohnungsnot, schlechte        Wochen nach der Gründung beendete am                Gentrifizierung und Verlust an Wohnraum         die Mieterinnen und Mieter.
Wohnverhältnisse und die besondere Situ-        9. November 1918 der Waffenstillstand               für die Bevölkerung wegen Buchungsplatt-
ation als junge Bundeshauptstadt prägten        den 1. Weltkrieg und kurz darauf fand der           formen ist dies aktueller denn je!              An dieser Stelle sei den Vorstandsmitglie-
die Wohnsituation in der Stadt Bern um die      landesweite Generalstreik statt.                                                                    dern der Regionalgruppe*, allen Mitgliedern
Jahrhundertwende. Die Probleme auf dem                                                              Die vorliegende Broschüre über die Anfänge      sowohl den aktiven wie auch denen aus der
Wohnungsmarkt wurden bereits 1896 in            Die Vereinsgründung hatte zum Ziel, Mit-            der Mieterinnen- und Mieterbewegung kann        Vergangenheit herzlich für ihr Engagement
einer umfangreichen «Wohnungsenquête»           glieder gegen «ungerechtfertigte Kündigun-          keinen wissenschaftlichen Anspruch erhe-        für die Interessen der Mieterinnen und
dokumentiert.                                   gen und Mietzinserhöhungen zu schützen».            ben. So ist die Verbandsgeschichte lücken-      Mieter gedankt.
                                                Mit dem Zusammenschluss sollten die                 haft und anhand der vorhandenen Quellen
Daher ist die Gründung des Mietervereins        Interessen der Mieterinnen und Mieter               ab Mitte der 60er Jahre noch aufzuarbeiten.     Ein spezieller Dank geht an alle, die zur
1899 nur die logische Folge. Die formulier-     gegenüber den Vermietern und der Politik            Auch über die Situation in den Nachbarge-       Entstehung und Erarbeitung dieser Broschü-
ten Vereinsziele ähneln den heutigen in         wirksam vertreten werden, was in der Folge          meinden ist wenig dokumentiert, auch wenn       re beigetragen haben, u. a. Sabina Meier,
grossen Teilen. Einerseits wurden die Mit-      immer wieder gelang. Sicher haben für den           beide Vereinsgründungen explizit auch die       Esther Neuhaus, Rolf Zimmermann, Stadt-
glieder mit juristischem Rat und einer Woh-     Zusammenschluss auch die Erfahrungen an-            Umgebungsgemeinden von Bern umfassten.          archiv Bern, Simone Widmer, Rudolf Strahm,
nungsvermittlung unterstützt, andererseits      derer Städte wie Zürich und Basel gewirkt,          Ebenso ist keine klare Trennung zwischen        Richard Püntener, Margrith Beyeler, Emil
sollten die Bedingungen für Mieterinnen         wo seit 1891 Mietervereine aktiv waren.             dem Mieterinnen- und Mieterverband Bern         Erne und der Vorstand MV Regionalgruppe
und Mieter mittels politischer Tätigkeit ver-   Ebenso gab es einen Austausch im Rahmen             und Umgebung und der 2001 gegründeten           Bern und Umgebung.
bessert werden, indem günstige Wohnun-          gesamtschweizerischer Zusammenkünfte,               Kantonalsektion des MV Bern möglich.
gen und bessere Gesetze gefordert wurden.       insbesondere des sich am 31. Januar 1915 in         Auch die kantonale Mietergeschichte unter       Für den Vorstand der MV-Regionalgruppe
Thema waren aber auch «kinderfeindliche»        der Stadt Biel definitiv gegründeten Schwei-        Berücksichtigung von Biel oder Burgdorf ist     Mieterinnen- und Mieterverband Bern und
Vermieter oder die Forderung nach der           zer Mieterinnen- und Mieterverbandes.               noch zu schreiben.                              Umgebung
«Verbesserung der Verkehrsmittel». Bereits                                                                                                          Natalie Imboden, Präsidentin
1900 lancierte der Mieterverein eine städ-      Trotz allem Wandel sowohl sozial, politisch,        Nach der Gründung der Kantonalsektion des
tische Wohninitiative mit der Forderung,        wirtschaftlich und auch beim Wohnungsbau            MV Kanton Bern per 1. Januar 2001 setzte
dass in einem Stadterschliessungsquartier       sind viele Themen in den letzten Jahrzehn-          die Regionalgruppe Bern und Umgebung            * Vorstandsmitglieder (2018): Christof Berger, Rithy
                                                                                                                                                    Cheng, Lukas Gutzwiler, Natalie Imboden, Carole
(Spitalacker/Breitenrain) die Stadt Bern        ten sehr ähnlich geblieben. Nämlich die             ihre politische Tätigkeit fort. Als Regional-   Klopfstein, Marieke Kruit, Sabina Meier, Jürg Moser,
selber überbauen und dort «Wohnungen            Unterstützung der Mitglieder in mietrecht-          gruppe Bern und Umgebung setzt sich der         Lena Sorg, Christian Roth, Regula Tschanz.

                                                                                                2   3
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Wohnsituation in der                                                                                                                                                     Abb. 1: Wohnungs-Enquête Stadt
                                                                                                                                                                         Bern 1886, veröffentlicht 1899.
Stadt Bern um die
Jahrhundertwende

Starkes wirtschaftliches Wachstum im Be-        Wohnungen relativ höher als diejenigen in      gung der Angelegenheit                                                      Die Resultate der Woh-
reich des Bau- und Metallgewerbes und im        grösseren, weniger eng bewohnten Wohnun-       von neuem an die Hand                                                       nungsenquête zeigten, dass
Dienstleistungssektor führte nach der Mitte     gen. Auch galt: Je schlechter die Stellung     genommen werden». 5                                                         die Lage bedenklich war.
des 19. Jahrhunderts zu einem Bevölke-          des Vermieters oder des Mieters bzw. der       Autor war der in der Mate-                                                  Nebst baulichen Mängeln
rungswachstum in der Stadt Bern. 1 Auch         Mieterin, desto höher fielen die Mieten aus.   rie erfahrene Statistiker                                                   – so gab es unter den ca.
der Entscheid zur Bundeshauptstadt und          Das führte dazu, dass die untere Schicht der   Carl Landolt. 6 Ab 1888                                                     10‘000 untersuchten Woh-
der Anschluss an das nationale Eisenbahn-       Mieter für den qualitativ minderwertigsten     beschäftigte sich Carl                                                      nungen in der Stadt Bern
netz trugen nach 1860 zu einem beträcht-        Wohnraum die höchsten Mieten bezahlte.         Landolt als Mitarbeiter an                                                  fast 4500 Wohnungen ganz
lichen Stadtwachstum bei. Die Stadt Bern        Diese Ausgangslage bewegte die Gemeinde        der Basler Wohnungsen-                                                      ohne Wasseranschluss und
wurde zu einem attraktiven Wohn- und            Bern dazu, im Wyler und in Ausserholligen      quête. 1892–94 war er Mitarbeiter des Eidg.              fast 7500 ohne Ventilation, Beleuchtung und
Arbeitsplatz. 1910 lebten dreimal so viele      gemeinnützige Wohnbausiedlungen zu             Statistischen Amts und des Eidg. Betrei-                 Wasserspülung – stellte man auch die hohe
Menschen in Bern wie noch 1850. Zwischen        errichten. Auf dem Wylerfeld entstanden        bungs- und Konkursamts, 1894–95 Gehilfe                  Dichte der Bevölkerung fest. Auch die Woh-
1890 und 1900 betrug die Zuwachsrate über       zwischen 1889 und 1890 100 Sozialwoh-          des statistischen Amts der Stadt Zürich,                 nungspreise waren mit durchschnittlich 172
100%. Im Westen der Stadt, in der Lorraine      nungen. Damit war Bern die erste Stadt, die    1895–1900 Statistiker der Stadt Bern. Er war             Fr. für ein Zimmer viel höher als in anderen
und im westlichen Breitenrain entstanden        ein solches Sozialprojekt realisierte. Der     auch Bearbeiter der Wohnungsenquêten der                 Städten, wo durchschnittliche Zimmerpreise
neue Aussenquartiere, meist mehrstöckige        kommunale Wohnungsbau machte jedoch,           Städte Bern (1899), Winterthur (1901), St.               zwischen 121 Fr. in Winterthur und 160 Fr.
Miethäuser. Daneben entstanden auch Vil-        wie in der ganzen Schweiz, nur einen sehr      Gallen (1901) und Zürich (1902–06) und war               in Zürich lagen. Auch im Vergleich mit dem
lenviertel, so im Kirchenfeld. Die Begüterten   geringen Teil am Gesamtvolumen des Woh-        1901–02 Sekretär des Zürcher Mieterver-                  Ausland waren die Berner Zimmerpreise
zogen aus der Innenstadt fort. 2                nungsbaus aus. ³ Weitere Anstrengungen         eins. Die Ziele der Wohnungsenquête waren                unverhältnismässig hoch. So bezahlte man in
                                                wurden in der Länggasse durch eine private     die Revision der die Wohnungsverhältnisse                Hannover lediglich 124 Fr. für ein Zimmer. 8
Die Stadtberner Bevölkerung, wie auch in        Aktiengesellschaft unternommen – es ent-       betreffenden Polizeiverordnungen, die Vor-
anderen Grossstädten, begann sich bald          stand das Hallerhaus zur Unterbringung von     bereitungen zu einem Wohnungsgesetz und                  Um das Publikum der Berner Tagwacht
mit einer zunehmenden Verknappung des           Personen, die von öffentlicher Unterstüt-      Fingerzeige für die zukünftige Bautätigkeit.             zu orientieren, wurde am 22. Februar die
Wohnraumes und steigenden Mietpreisen           zung abhängig waren. 4                         Die Untersuchung und Auswertung nahm                     Diskussion des Stadtrates zur Wohnungs-
auseinanderzusetzen. Infolge der schlech-                                                      einige Zeit in Anspruch, das 700-seitige Do-             enquête vom Dezember 1898 veröffentlicht.
ten Wohnverhältnisse war die Sterblichkeit      Um eine Übersicht über die Berner Wohn-        kument mit den Ergebnissen wurde schluss-                Aus dem Protokoll dieser Stadtratssitzung:
stark angestiegen – vor allem in der unteren    verhältnisse zu erhalten, wurde 1896 nach      endlich 1899 veröffentlicht. 7                           Dr. Brüstlein (SP): «Die Gemeinde Bern hat
Altstadt und im Lorrainequartier, den klas-     dem Vorbild anderer Städte eine Wohnungs-                                                               ein Interesse an derselben [Wohnungsen-
sischen Arbeiterquartieren. Wohnungen von       enquête durchgeführt. In den zuständigen       Mietpreise Zürich – Basel – Bern                         quête], weil deren Ergebnisse auf ihre ganze
schlechter Qualität waren oft überbelegt, da    Räten wurde die Untersuchung allerdings        (Vierzimmer-Wohnung, Jahresmiete)                        Baupolitik von Einfluss sein werden. Die
die Mieter und Mieterinnen häufig familien-     immer wieder verschoben. Erst als die                      1913     1920     1924             Diff. %   Gemeinde ist bekanntlich Eigentümerin von
fremde Untermieter aufnehmen mussten,           «öffentliche Meinung immer energischer die     Bern     1055 Fr. 1528 Fr. 1956 Fr.            + 85%     umfangreichem Bauterrain auf dem Spital-
um die Miete bezahlen zu können. Daher          Vornahme der Untersuchung forderte und         Basel     890 Fr. 1292 Fr. 1504 Fr.            + 69%     acker, und die Meinungen gehen darüber
waren viele Unterschichtswohnungen über-        unter andern 22 Gassenleiste und Vereine       Zürich 1104 Fr. 1480 Fr. 1680 Fr.              + 52%     auseinander, was man damit anfangen
füllt. Ein Zimmer wurde durchschnittlich von    eine Petition an den Stadtrat richteten,                                                                solle. Ich glaube, die Wohnungsenquête
                                                                                               Carl Wirth; Mieterschutz, in: Rote Revue 4, 1924-1925,
zwei Personen bewohnt. Auch waren um die        worin die Vornahme einer Wohnungsunter-        S. 176-186.                                              könnte uns in dieser Beziehung gewisse
Jahrhundertwende die Mietpreise kleinerer       suchung verlangt wurde, konnte die Erledi-                                                              Fingerzeige geben.» 9
                                                                                          4    5
"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
1899: erster                                                                                   Abb. 2 (unten): Aufruf zur Unterschriftensammlung 1900,
                                                                                               Intelligenzblatt 8. Mai 1900.
                                                                                                                                                         1900: erste städtische
Zusammenschluss als                                                                                                                                      Wohninitiative wird lanciert:
Mieter-Ring-Bern bzw.                                                                                                                                    «Spitalacker-Initiative»
Mieterverein
Aufgrund der herrschenden Wohnungsnot           6. durch unentgeltlichen, rechtlichen Rat      Lösung der Wohnungsfrage in Bern er (der                  Die Initiative
und der daraus resultierenden schwierigen          an die Vereinsmitglieder in Mietsange-      Gemeinderat) zu ergreifen und wie er insbe-               Es herrschte also in Bern konstant eine
Lage der MieterInnen schloss sich unter            legenheiten und Besorgung schriftlicher     sondere das Gemeindeland auf dem Spital-                  Wohnungsnot. An der ersten Generalver-
dem Namen Mieter-Ring Bern Anfang des              Eingaben an Behörden […] gegen billige      ackerfeld hierzu heranzuziehen gedenke»,                  sammlung des neugegründeten Mieter-
Jahres 1899 eine «Anzahl Bürger verschie-          Entschädigung;                              habe dieser im entgegenkommenden Sinne                    vereins am 29. Mai 1899 waren u. a. die
denen Standes» zusammen. Als Vorbild            7. durch Anstrebung von Verbesserungen         dahin beanwortet, «dass von ihm alles Not-                Resultate der durchgeführten Wohnungsen-
diente ihnen der «Verein der Mieter» in Zü-        der Verkehrsmittel;                         wendige getan werde, um diese Frage nach                  quête ein Thema. Herr Büttel, Beamter der
rich. Die Gründung des Mieter-Ringes wurde      8. durch Vermittlung von Preisermässigun-      allen Richtungen hin behandeln zu können.»                Jura-Simplon-Bahn, beantragte, dass der
im Stadtanzeiger ausgeschrieben. Das hatte         gen auf verschiedenen Lebensbedürf-         Der Mieterverein wird die Angelegenheit im                Vorstand des Mietervereins Schritte ergrei-
Erfolg und kurze Zeit später hatte der Verein      nissen usw. 10                              Auge behalten, um namentlich dem Mangel                   fen solle, «damit die Gemeinde Wohnungen
bereits 100 Mitglieder. Als Ziel hatte sich                                                    an billigen kleinen und mittleren Wohnun-                 auf dem ihr gehörigen Terrain erstelle». 14
der Mieter-Ring gesetzt, die Interessen der     Der Name Mieter-Ring verliert sich und es      gen abzuhelfen. Die statutarisch vorgese-                 Ausserdem forderte er «die Ausstellung von
Mieter Berns, namentlich diejenigen ihrer       wird seither vom «Mieterverein» gespro-        hene Wohnungsvermittlung wird eingeführt                  Normal-Mietverträgen, in welchen auch die
Mitglieder, zu wahren und zu fördern. Die-      chen. Dem Mieterverein durften laut Sta-       und dem «Bureau Brüstlein und Z’graggen»                  Rechte des Mieters gewahrt würden. Der
ses Ziel sollte durch folgende Massnahmen       tuten nur Mieter angehören, welche ihren       übertragen. Es wird auch ein Mietvertrag                  Vorstand erklärte sich bereit, für die Ver-
erreicht werden:                                Verpflichtungen nachkamen, sprich welche       ausgearbeitet, welcher Vereinsmitgliedern                 wirklichung dieser Anträge nach Kräften zu
1. Erstellung, Ankauf und Pachtung von          ihre Mieten rechtzeitig zahlten. Damit wurde   gratis zur Verfügung steht. Für Nichtmitglie-             arbeiten.» 15 Auf dieser Grundlage wurde die
    Wohnhäusern mit billigen Wohnungen          den Vermietern, welche die Wohnungsver-        der kostet er 5 Rappen pro Stück. 13                      Wohninitative, auch Spitalacker-Initiative,
    und Vermietung derselben;                   mittlung des Mietervereins in Anspruch nah-                                                              im Mai 1900 gestartet und kam am 16. De-
2. Betrieb eines Bureaus für Vermietung         men, eine gewisse Garantie geboten. 11                                                                   zember desselben Jahres zur Abstimmung.
    von Wohnungen und Geschäftslokalen;                                                                                                                  Der Initiativtext lautete:
3. durch Anlegung einer Kontrolle über          Am 29. Mai 1899 findet die Generalver-                                                                   «Wollt ihr, dass die Einwohnergemeinde
    ungesunde, schlecht ventilierte und         sammlung des Mietervereins Bern im Café                                                                  Bern das ihr auf dem Spitalackerplateau ge-
    schlecht unterhaltene Mietobjekte und       Merz statt. Thema ist ein Referat zur Woh-                                                               hörende Land selbst mit soliden Wohnhäu-
    sonstige unhaltbare Missstände, ferner      nungsenquête. In der Diskussion sind die                                                                 sern überbaue und dabei besonders auf die
    über rücksichtslose, kinderfeindliche       misslichen Wohnbedingungen im Mat-                                                                       Einrichtung von zwei- und dreizimmerigen
    und [unleserlich] Vermieter, Hausver-       tequartier Thema. Es werden auch «Nor-                                                                   Wohnungen zu mässigen Preisen Bedacht
    walter und Mitbewohner;                     mal-Mietverträge» gefordert, «in welchen                                                                 nehme? Ja oder Nein?» 16
4. durch Besprechung aller auf das              auch die Rechte des Mieters gewahrt
    Wohnungswesen bezüglichen Gesetze,          würden». 12 Der Vorstand des seit Frühling                                                               Am 5. Mai 1900 erscheint im Anzeiger für die
    Verordnungen und Polizeivorschriften,       dieses Jahres bestehenden Mietervereins                                                                  Stadt Bern ein ganzseitiger Aufruf, der sich
    Stellung bezüglicher Anträge an Be-         richtet an die Vereinsmitglieder ein «Zirku-                                                             an die «Hausfrauen», «Wohnungsmieter»
    hörden und Wahrung der Interessen der       lar» und berichtet im November über die Tä-                                                              und «Mitbürger» richtet und Bezug auf die
    Mieter bei Wahlen;                          tigkeit seit der letzten Generalversammlung.                                                             schlechte Wohnqualität und die «ausser-
5. durch geeignete literarische Unterneh-       Es wird informiert, dass der Vorstand an                                                                 ordentlich ungünstigen Wohnverhältnisse»
    mungen, Reformen im Inseratenwesen          den Gemeinderat der Stadt Bern gelangt ist.                                                              nimmt, wie sie in der Wohnungsenquête
    und dergl.;                                 Eine Anfrage «welche Massnahmen für die                                                                  von 1896 zum Thema gemacht wurden.
                                                                                          6    7
"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
Abb. 3 (linke Seite): Lancierung der Initiative 1900, An-
                                                                                             zeiger für die Stadt Bern, 5. Mai 1900.
                                                                                             Abb. 4 (rechts): Einer von 85 eingereichten Unterschriften-
                                                                                             bogen mit 1089 Unterschriften, 1900.

                                                                                             Zweck vorzüglich geeignetes Bauland»
                                                                                             hat. Neben der Publikation im Stadtanzeiger
                                                                                             werden auch im Intelligenzblatt Hinweise
                                                                                             platziert. Dort wird auf Gewerbebetriebe
                                                                                             hingewiesen, wo die Unterschriftenbogen
                                                                                             aufliegen, darunter mehrere Coiffeurläden.
                                                                                             Schon einen Monat später sind die Unter-
                                                                                             schriften zusammen. Am 12. Juni 1900 hat der
                                                                                             Mieterverein Bern 1089 Unterschriften auf 85
                                                                                             Bogen bei der Staatskanzlei eingereicht. 17

                                                                                             Der Abstimmungskampf                                          diese Institutionen, es werden Reitschule und
                                                                                             Die Initiative war umkämpft und es wurde                      Kornhauskeller genannt, nicht rentierten und
                                                                                             viel dafür und dagegen argumentiert. So zum                   deshalb bei weiteren Kapitalanlagen Vorsicht
                                                                                             Beispiel in Leserbriefen im Berner Intelligenz-               geboten sei. 19
                                                                                             blatt: Der Einsender stellt zwar fest, dass die
                                                                                             Wohnungsnot nicht abzustreiten sei, aber die                  Auch der Stadtrat selbst hatte finanzielle
                                                                                             Gemeinde sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt                      Bedenken. Die Diskussion im Stadtrat am
                                                                                             sowieso finanziell in der Klemme und könne                    23. November 1900 zum «Initiativbegehren
                                                                                             so auf keinen Fall Spekulationen mit sehr un-                 des Mietervereins betreffend Erstellung
                                                                                             sicherem Ausgang unternehmen. 18 Der Leser                    von Gemeinde-Wohnhäusern auf dem
                                                                                             fragt weiter: «Weiss eigentlich der Mieterver-                Spitalacker» endete mit der Empfehlung,
                                                                                             ein, was er damit verlangt!?! Weiss er, wie viel              die Initiative abzulehnen. Dies mit der Be-
                                                                                             Bauterrain die Gemeinde auf dem Spital-                       gründung, finanziell sei das Projekt nicht
Zusätzlich wird thematisiert, dass die        lienleben eingreifende Störungen. Es ist       ackerplateau besitzt?! Weiss er, dass die                     so zu realisieren, wie es die Initiant/innen
Mietpreise «unverhältnismässig hoch» sind     ja allbekannt, dass einem Wohnungssu-          Gemeinde dieses Bauterrain nach und nach                      angedacht hätten. Um eine Rendite mit den
und die Einkommen bis zu Hälfte wegfres-      chenden der Kindersegen häufig genug ein       verkaufen muss, um die Kornhausbrücke                         Häusern zu erzielen, müssten sie für 1200 Fr.
sen. Prominent angesprochen werden die        Hindernis bildet, eine passende Wohnung        zu bezahlen? Weiss er, dass es schon jetzt                    vermietet werden, was für damalige Verhält-
damals nicht stimmberechtigten Hausfrau-      bekommen zu können.» Daher fordert             verschiedene Stadtviertel gibt, deren Be-                     nisse teuer war, und so könne dem Wunsch
en: «Hausfrauen, leset diesen Aufruf und      der Mieterverein Bern entsprechend dem         völkerung immer mehr zurückgeht, ohne dass                    nach günstigem Wohnraum nicht entspro-
machet Eure Männer darauf aufmerksam!».       «Hauptzweck seines Bestehens», dass die        die Gemeinde diese Entvölkerung noch be-                      chen werden. 20
«Der Mieter leidet aber nicht nur unter dem   «Gemeinde selbst solide, guteingerichtete      sonders begünstigt?» Er verweist ausserdem
schlechten Zustand vieler Wohnungen und       Wohnhäuser erstellt, sie nicht veräussert      auf den Leserbrief eines Befürworters, der                    Nicht nur der Stadtrat und der Stadtprä-
den beinahe unerschwinglichen Mietprei-       und die Wohnungen direkt an die Woh-           statuiert hatte, die Gemeinde habe andere                     sident sprachen sich gegen die Initiative
sen; es erwachsen ihm auch aus seinem         nungssuchenden vermietet.» Die Forderung       Projekte auch finanzieren können, es sei also                 aus. Auch der Handwerker- und Gewerbe-
Abhängigkeitsverhältnisse vom Vermieter       bezieht sich auf das Spitalackerquartier, wo   durchaus Geld vorhanden. Der Schreiber, der                   verein entschloss sich nach einem Vortrag
häufig noch andere, in sein intimes Fami-     die Gemeinde «genügendes und für diesen        sich als Hausbesitzer outet, kontert, dass                    eines Stadtrates an seiner Versammlung,
                                                                                         8   9
"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
Abb. 5: Verwaltungsakten zur Spitalackerüberbauung und
                                                                                                                                                 zur Initiative des Mietervereins 1899–1900.

die Vorlage zur Verwerfung zu empfehlen.        mieten ausgeschriebenen Wohnungen auf                                                            Das Areal Spitalacker
Zur gegenwärtigen schwierigen Finanzlage        die Zahl der leerstehenden zu schliessen», 23                                                    Das Areal auf dem Spitalacker, das bebaut
der Stadt zählte Stadtrat Böhme zu dieser       so Landolt weiter. «Es kommt dazu noch,                                                          werden sollte, gehörte inzwischen der
Gelegenheit noch weitere Punkte auf, die        dass die auf Ihrem Bureau angemeldeten                                                           Stadt Bern. Dieses hatte sie günstig von
seiner Meinung nach gegen ein solches           Wohnungen nur einen verschwindenden                                                              der Burgergemeinde übernehmen können.
Projekt sprachen. So seien «nachgewiesen-       Bruchteil aller jeweilen ihren Mieter wechseln-                                                  Im Gegenzug dazu sollte die Stadt den Bau
ermassen mehrere hundert Logis (Woh-            den Wohnungen vorstellen, und es kommt                                                           der Kornhausbrücke propagieren.31 Die
nungen) unbewohnt [und] die Mietzinse im        weiter dazu, dass die Berechnungsart, welche                                                     Burgergemeinde hatte 1893 den über den
Rückgang.» 21 Ausserdem liege es nicht im       Sie anwenden, auch wenn Sie wirklich die                                                         amtlichen Wert des Unteren Spitalackers
Interesse von Handwerkern und Gewerbe,          Zahl der leerstehenden Wohnungen wüssten,                                                        hinausgehenden Teil des Verkaufspreises
dass die Stadt sie konkurriere. Konkurrenz      grundfalsch ist und der primitivsten Primar-                                                     als Beitrag an den Bau der Kornhausbrücke
gebe es schon genügend.                         schulbildung geradezu ins Gesicht schlägt.»                                                      der Stadt überlassen.32 Ein Gemeinderatsbe-
                                                Der Tonfall, den er dabei anschlägt, ist eher                                                    schluss bestimmte, dass der Erlös aus dem
Ein Angestellter der bernischen Wohnungs-       brüsk: »Wo haben Sie eigentlich rechnen                                                          Verkauf dieser Gelände zur Tilgung der Kos-
agentur meldet sich ebenfalls im Intelligenz-   gelernt, Herr von Wattenwyl?» Daraufhin                                                          ten der Kornhausbrücke verwendet werden
blatt zu Wort und argumentiert mittels einer    rechnet er vor, wie viele der Berner Woh-         Die Sozialdemokratische Partei empfahl         soll:33 «Bei Anlass des Baues der Kornhaus-
Tabelle, es gebe überhaupt keinen Mangel        nungen in Prozenten tatsächlich Drei- oder        die Vorlage derweil zur Annahme,27 die frei-   brücke in Bern überliess die Bürgergemein-
an Zwei- oder Dreizimmerwohnungen in            Vierzimmerwohnungen sind, seiner Meinung          sinnig-demokratische Parteiversammlung         de das ihr gehörende  der
Bern. Dazu listet er die Wohnungen auf, die     nach die Zahlen, die Von Wattenwyl hätte          (FDP) konnte sich nicht entscheiden und        Einwohnergemeinde als Beitrag an die Kos-
pro Monat durchschnittlich von der Agentur      benutzen sollen. Er kommt dabei auf 11.5%         entschloss sich zur Stimmfreigabe.28 Die       ten der Brücke zur Grundsteuerschätzung,
vermittelt werden. 22                           Vierzimmerwohnungen und 19.3% Drei-               Abstimmung fand am Wochenende des 15.          die damals sehr niedrig bemessen war.»34
                                                zimmerwohnungen,24 im Gegensatz zu von            und 16. Dezembers 1900 statt. Das Resultat
Auf die Behauptungen des Mitarbeiters           Wattenwyl, der 17% Vierzimmerwohnungen            fiel zu Ungunsten des Mietervereins aus.       Der Spitalacker, ein nördlich der Altstadt
der Wohnungsagentur, H. von Wattenwyl,          und 37% Dreizimmerwohnungen in der Stadt          In der Abstimmung unterlag die Initiative      auf der anderen Seite der Aare gelegenes,
reagierte der Statistiker Carl Landolt in der   Bern eruiert hatte. 25                            mit 3608 Nein- zu 2121 Ja-Stimmen.29 30 Die    grosses Grundstück, wurde seit dem Mittel-
Berner Tagwacht: «Zum wie vielten Male soll                                                       finanziellen Argumente hatten wohl die         alter landwirtschaftlich genutzt. Es war im
man denn die grundfalsche Ansicht wider-        Der Mieterverband versuchte mittels eines         Wohnungsnot überflügelt.                       Besitz des Burgerspitals der Stadt Bern,
legen, dass die Zahl der in den Blättern        Leserbriefes im Intelligenzblatt selbst die                                                      was ihm den Namen «Spitalacker» eintrug.
ausgeschriebenen oder auf den Wohnungs-         Fakten ins richtige Licht zu rücken: Es hand-                                                    Mit dem Stadtwachstum im 19. Jahrhundert
agenturen angemeldeten Wohnungen mit            le sich keinesfalls um den Bau von Villen,                                                       entstand nördlich dieser Freifläche das
der Zahl der leeren Wohnungen etwas zu tun      wie das in einem ähnlichen, vom Stadtbau-                                                        rasch wachsende Breitenrain-Quartier. Die
[sic!] habe.» Landolt führt aus, dass jede      amt ausgearbeiteten Projekt vorgesehen                                                           Nähe der Stadt legte eine Überbauung der
Wohnung, aus der jemand auszieht, aus-          sei, sondern um Zwei- und Dreizimmerwoh-                                                         Fläche nahe. Der Volksbeschluss zum Bau
geschrieben werden muss, was allerdings         nungen. Ausserdem bedeute die Initiative                                                         der Kornhausbrücke, der am 23. Oktober
nicht heisse, dass diese auch leerstünde.       nicht eine schwere Belastung der Gemein-                                                         1892 angenommen wurde, beinhaltete auch
«Es widerspricht darum geradezu dem ein-        definanzen, sondern es biete sich hier eine                                                      die Bebauung des Spitalackers.
fachsten Denken, aus der Zahl der zum Ver-      sichere Kapitalanlage an. 26
                                                                                            10    11
"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
So entstand eines der ersten am Reissbrett                                                                Zwischen nationaler Vernetzung und             Aarau zur allerdings kurzlebigen Gründung
geplanten Quartiere der Stadt Bern. Der                                                                   schwankendem lokalem Interesse                 des «Verbands schweizerischer Mieterver-
erste Bebauungsplan des Viktoriaplatzes                                                                   Nachdem der Mieterverein in den ersten         eine» durch Delegierte aus Bern, Zürich,
mit Brückenzufahrt wurde 1904 durch die                                                                   Jahren regen Zulauf hatte verzeichnen kön-     Winterthur und St. Gallen. Als Organ wurde
städtische Baudirektion erstellt, dies «zum                                                               nen, nahm dieser nach und nach wieder ab.      der Zürcher «Wohnungsmieter» bestimmt.
Zwecke, den Verkauf des Landes zu beför-                                                                  Bereits im Oktober 1900, also kurz vor der     Aus der Abschlussresolution: «Es wird den
dern». Als nun der Grund nach Verhandlun-                                                                 Abstimmung, wurde ein Desinteresse am          städtischen Gemeinwesen gegenüber der
gen mit Privaten dem Stadtrat zum Verkauf                                                                 Mieterverein beklagt. Der Mitgliederbeitrag    Wunsch ausgesprochen, dieselben möch-
unterbreitet wurde, erhob dieser Einwände,                                                                betrug damals 2 Franken. 36                    ten ihren Grundbesitz nicht veräussern,
worauf 1907 ein Änderungsvorschlag des                                                                                                                   sondern zur Selbstbehauptung mit unver-
Bernischen Ingenieur- und Architekturver-                                                                 Im Jahr 1902 bekamen die Mitglieder des        käuflichen Wohnhäusern für die Bedürf-
eins (SIA) folgte. Dessen Projekt umfasste                                                                Mieterverbandes in Bern die Zeitschrift        nisse der weniger Bemittelten reservieren.»
für «die Grundfläche der für Hausbauten be-                                                               «Der Wohnungsmieter» vom Mieterverband         Doch bereits im Jahr danach war von einer
                                              Abb. 6 + 7 (oben): Kreuzung Wyttenbachstrasse/Viktoria-
stimmten Bauplätze» 48‘830m2, was einem       rain, 1910er Jahre. Da die Spekulation die Bodenpreise      Zürich zugestellt. 37                          Verschiebung der Delegiertenversammlung
Zusatz von 10% gegenüber dem Projekt der      enorm in die Höhe trieb, wurden kurz vor dem Ersten Welt-                                                  die Rede. 40
                                              krieg Mietkasernen gebaut, die einen möglichst hohen
Stadt entsprach und einen Mehrerlös von       Ertrag abwerfen sollten. Im Volksmund «Hypothekenfried-     Bereits 1891 wurden in Basel und Zürich
240‘000 Franken bedeutete. Der Gesamt-        hof» genannt.                                               aufgrund grosser Wohnungsnot erste Mie-        1915 berief der Mieterverein Genf einen
                                              Bebauungsplan Spitalackerfeld 1900. Massstab 1:2000.
erlös wurde auf rund 2.4 Millionen Franken                                                                terorganisationen nach deutschem Vorbild       Schweiz. Mieterkongress in Biel ein, wo der
                                              Abb. 8 (unten): Häuser an der Badgasse vor 1926. Die
veranschlagt. Die Kosten der vorgesehenen     1911 gegründete Gemeinnützige Baugenossenschaft Bern        gegründet. Eine wichtige Basis lieferten       Schweizerischer Mieterbund mit Zentral-
Gebäude wurden auf 20 Millionen Franken       liess bis 1932 das schlechte Wohngebiet etappenweise        Wohnungsenquêten (z. B. diejenige von Karl     vorstand in Zürich gegründet wurde (heute
                                              abreissen und neu überbauen.
geschätzt. «es scheint daher wohl gerecht-                                                                Bücher in Basel 1889), welche die katastro-    Schweiz. Mieterinnen- und Mieterverband,
fertigt, dass einer so bedeutenden Bautä-                                                                 phalen Wohnverhältnisse in den städt.          MV). In der Berner Presse wurden die Forde-
tigkeit auf möglichst rationelle und weit-                                                                Arbeiterquartieren dokumentierten. Die         rungen und Versammlungen der Mieterver-
herzige Weise die Wege geöffnet werden»,                                                                  Gründung von Mietervereinen war zudem          eine auf schweizerischer Ebene regelmässig
bilanzierte O. W. im Baublatt. 35                                                                         eine Antwort auf die entstandenen Haus-        thematisiert, wie auch der Aufruf 1900 für
                                                                                                          eigentümerverbände. 38 In Bern war der Ver-    einen Mieterverein Schweiz. 41
                                                                                                          band der Haus- und Grundeigentümer 1917
                                                                                                          gegründet worden (zu Beginn in der Form        Lokal stockte aber die Verbandsentwick-
                                                                                                          einer Genossenschaft). 39                      lung. So stellte die ausserordentliche
                                                                                                                                                         Versammlung Ende 1905 fest, dass von den
                                                                                                          Bereits 1895 gab es vom MV Zürich (ge-         ursprünglich 400 Mitgliedern noch 120 ver-
                                                                                                          gründet 1891) ein erstes Zirkularschreiben     blieben waren. Davon kamen ganze zwölf
                                                                                                          für die Gründung eines Zentralverbandes        an die einberufene Versammlung. Man ent-
                                                                                                          an diverse Vereine auch in Bern und in Biel,   schied sich aber dennoch, dem Verein noch
                                                                                                          offenbar ohne Echo. Am 19. November 1901       eine Chance zu geben, anstatt ihn direkt zu
                                                                                                          kam es auf Einladung des Mietervereins         liquidieren. Es verliert sich hier aber jede
                                                                                                          Bern an einer Delegiertenversammlung in        Spur des Vereines. 42
                                                                                                   12     13
"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
Kommunale                                      Abb. 9 (unten): Detailplan der inneren Stadtgebietsteile
                                               im Rahmen der Wohnungs-Enquête 1986.
Wohnungspolitik in der
Stadt Bern

Parallel zur hektischen Bautätigkeit zwi-      1889: Berner Wohnungsenquête                                1910: Städtisches Wohnungsamt wird              Wohnungskrise im 1. Weltkrieg und
schen 1880 und 1910 nahm die Zahl der Mie-     Unmittelbar nach der Veröffentlichung der                   eröffnet                                        staatliches Handeln
ter und Mieterinnen sprunghaft zu. In den      Ergebnisse der Wohnungsenquête von 1889                     Da entsprechende Räumlichkeiten vor-            Während des 1. Weltkriegs litt der Woh-
grösseren Städten lag der Anteil der Miet-     – die neben Bern in fast allen grösseren                    erst fehlten, konnte das Amt jedoch erst        nungsbau schweizweit unter der Be-
wohnungen am Wohnungsbestand bereits           Schweizer Städten durchgeführt worden                       im September 1910 eröffnet werden. Die          völkerungsabnahme, der allgemeinen
vor 1900 bei 77 bis 86% wie in Bern. Ein       war, um die Gestaltung, die Nutzung und                     Aufgaben des Wohnungsamts bestanden             Unsicherheit und dem Mangel an Kapital,
grosses Thema war der Wohnungsmangel,          den hygienischen Zustand des vorhande-                      in der Vermittlung von Wohnungen, Ge-           Baumaterialien und Arbeitskräften. Waren
so z. B. ab 1870 in Bern wegen des Zuzugs      nen Wohnraums zu erfassen – beantragte                      schäftsräumen und Werkstätten. Unter der        1911–14 in den 26 grössten Gemeinden
zahlreicher eidgenössischer Beamter. Die       die sozialdemokratische Stadtratsfraktion                   Bezeichnung Arbeitslosen- und Wohnungs-         noch 20‘139 Wohnungen erstellt worden, so
Gemeinden waren gefordert. Bern war die        am 26. Januar 1900 die Schaffung eines                      fürsorge bildete das Arbeitsamt zusammen        waren es 1915–18 nur mehr 4744.
erste Stadt, die sich ab 1890 am Wohnungs-     städtischen Wohnungsnachweises. Es                          mit dem Wohnungsamt seit 1920 den dritten
bau beteiligte. 1889 veranlasste die Ge-       dauerte jedoch bis zum Jahr 1908, bis die                   Zweig der Direktion der sozialen Fürsorge.      Der 1. Weltkrieg brachte den staatlichen
meinde Bern den Bau von Arbeiterwohnun-        Kommission für den Arbeitsnachweis und                      Da neben dem Wohnungsamt auch die               Wohnungsbau vorerst zum Stillstand. Erst
gen, später folgten Lausanne, Neuenburg,       die Arbeitslosenversicherung die Frage des                  Liegenschaftsverwaltung Wohnungen an            mit der ausserordentlichen Wohnungsnot
Genf und Zürich, wo die Wohnbauförderung       Wohnungsnachweises erneut aufnahmen.                        interessierte Personen vermittelte, wurde       von 1918–19 verdichteten sich die vereinzel-
1907 in der Gemeindeordnung festgeschrie-                                                                  das Wohnungsamt auf den 1. Mai 1955 der         ten Versuche zu Ansätzen einer Wohnungs-
ben wurde. Der kommunale Wohnungsbau           Die Kommissionsmitglieder besuchten eine                    Liegenschaftsverwaltung angegliedert.           politik mit Subventionen von Bund, Kan-
machte jedoch immer nur einen kleinen Teil     Reihe von bestehenden Wohnungsämtern in                     1967 kamen noch die Obdachlosen- und            tonen und Gemeinden, die allerdings 1924
am Gesamtvolumen des Wohnungsbaus              deutschen Städten, um sich einen Überblick                  Wohnungsfürsorge dazu. 44                       vom Bund sowie Anfang der 1930er Jahre
aus. 1931 wurden in der ganzen Schweiz         über deren Organisation und Betrieb zu ver-                                                                 von Gemeinden und Kantonen zum grössten
3508 Wohnungen gebaut, davon 1773 in           schaffen. Auf deren Empfehlung beschloss                    Am 25. Juli 1917 erliess der Gemeinderat        Teil wieder gestrichen wurden. Die Woh-
Zürich und 638 in Bern.                        der Stadtrat am 10. Juli 1908, in Bern eben-                eine Verordnung, wonach eine «sog. Miet-        nungsknappheit in den Städten war 1919
                                               falls ein Wohnungsamt zu errichten.                         kommission» errichtet wurde, welche dem         auf dem Höhepunkt. Damals verzeichneten
Ab 1910 wurden die Wohnungen – wie in                                                                      Gewerbegericht angegliedert wurde. Diese        Zürich mit 0,05% sowie Bern und Basel mit
vielen anderen Schweizer Gemeinden – wie-                                                                  befasste sich mit Streitfällen wie «Zinserhö-   je 0,2% äusserst geringe Leerwohnungsbe-
der rar. In den folgenden Jahren verbesserte                                                               hungen und Kündigungen». Aufgrund der           stände, was eine allgemeine Erhöhung der
sich die Situation überall in der Schweiz                                                                  Arbeitslast musste die Zahl der Beisitzer auf   Mietzinse nach sich zog. Der Bund antwor-
ausser in Bern, wo die Verwaltung weiter                                                                   20 erhöht werden, paritätisch 10 Vermieter      tete auf die daraus resultierenden sozialen
wuchs. Ausserdem ging dort - im Gegensatz                                                                  und 10 Mieter. 45 Zudem wurde die Woh-          Unruhen mit einer Reihe von Erlassen zum
zu anderen Städten - die Zahl der Auslände-                                                                nungsmarktstatistik regelmässig erhoben         Schutz der Mieterinnen und Mieter, zur Be-
rinnen und Ausländer ab 1914 nicht zurück.                                                                 und auch veröffentlicht. Die Leerwohnungs-      schlagnahmung unbenutzter Wohnungen
Im Jahr 1902 gab es in der Stadt Bern eine                                                                 ziffer betrug im Mai 1916 0.4%.                 und zur Förderung des Wohnungsbaus. Er
städtische Kommission und es wurde poli-                                                                                                                   gewährte günstige Kredite sowie Subventio-
tisch ein Wohnungsgesetz diskutiert. Auch                                                                                                                  nen à fonds perdu. Die Gemeinden erstellten
wurde die Forderung nach einem städti-                                                                                                                     1919–24 1517 Wohnungen, mehr als je zuvor.
schen Wohnungsamt laut. 43                                                                                                                                 Die Fördermassnahmen endeten 1924 mit
                                                                                                                                                           der Liberalisierung der Mieten. 46
                                                                                                      14   15
"Hier kann nur noch ein Zusammen-schluss der Mieter helfen" - 100-Jahr-Jubiläum Mieterinnen- und Mieterverband Bern Festschrift - Christof Berger
Abb. 10 (rechte Seite): Ankündigung im Intelligenzblatt,
                                             11. Oktober 1918.
                                                                                                         1918: «Mieterschutzverband
                                                                                                         der Stadt Bern und
                                                                                                         Umgebung» gegründet

Auch die Stadt Bern erliess am 18./19. De-   die nach der Umzugsphase am 1. November                     Initiativkomitee Bierhübeli tritt in Aktion
zember 1920 diverse Massnahmen gegen         1919 obdachlos geworden wären und in                        Aber auch in der Stadt Bern gab es unter-
die «Wohnungsnot», so den Beschluss von      Schulhäusern hätten untergebracht werden                    schiedliche Aktivitäten. So ist im August 1918
«Gemeindewohnbauten auf dem Wyler», aber     müssen. Das wiederum ärgerte die Schul-                     die Gründung der «Bernische Wohnungsbau-
auch die Gewährung von Mietzinsbeiträgen     kommission, welche die Schulhäuser lieber                   genossenschaft» mit einer «Vertrauensmän-
bis Fr. 300.–. Zudem gab es Massnahmen       für ihren ursprünglichen Zweck benutzt                      nerversammlung» dokumentiert. 53 Und am
«zur Verhinderung des Umbaus, der Umwand-    hätte. Die Mietpreise stiegen weiterhin,                    22. September 1918, am Sonntagmorgen um
lung sowie der Vereinigung von Wohnungen».   angetrieben durch den Wohnungsmangel,                       9 Uhr, fand im Volkshaus die «Gründungs-
                                             teilweise wurden Mietpreiserhöhungen von                    versammlung der Mieter» in der Form einer
«Zur Verhütung weiterer Obdachlosigkeit      100% festgestellt. Das Wohnungsamt der                      Genossenschaft statt. Diese nahm Bezug auf
wurde gegen die Umwandlung und den Um-       Stadt Bern war überfordert und die Melde-                   die kürzlich gegründete Wohnungsbauge-
bau von Wohnungen sowie die Vereinigung      pflicht der Vermieter wurde oft ignoriert.                  nossenschaft und Mieterthemen. Hier gibt es
mehrerer Wohnungen in 12 Fällen Einspra-                                                                 auch erstmals den Hinweis, dass ebenfalls
che erhoben, woduch das Vorhaben verhin-     Ausserdem verschärfte ein Bundesratsbe-                     am gleichen Sonntag, den 22. September
dert und die Wohnungen dem Wohnungs-         schluss zum Eigenbedarf von Wohnungen                       1918 am Nachmittag eine Versammlung statt-
markt erhalten bleiben konnten.» 47          durch BesitzerInnen die Lage der MieterInnen.               fand, «die ein anonymes Initiativkomitee auf
                                             So verfügte der Bundesrat, dass die «Kündi-                 Sonntagnachmittag im Bierhübeli einbe-
1918/1919: Berner Wohnungsnot                gungen dann gerechtfertigt seien, wenn der                  ruft». 54 Es ist davon auszugehen, dass das
Ende der 1910er Jahre herrschte in Bern      Hausbesitzer die Wohnung für sich oder seine                Initiativkomitee Bierhübeli am 22. Septem-
nach wie vor Wohnungsnot. Die vom            nächsten Angehörigen brauche.» 49                           ber 1918 die Gründung des Mieterverbandes
Gemeinderat geforderte Verlängerung                                                                      in die Wege leitete. Gemäss Ankündigung
des Wohnungsmoratoriums wurde durch          Wie virulent das Thema Wohnungsnot 1918                     findet am 13. Oktober 1918 die Versammlung       Tage unterkommen werden; begreiflicher-
den Bundesrat vorerst nicht genehmigt,       war, zeigen Aktivitäten auf verschiedenen                   des gegründeten «Mieterschutzverband der         weise sagen die Baracken und Schulhäuser
dann aber wurde es doch verlängert: «Der     Ebenen. Es gab ein «Initiativkomitee zum                    Stadt Bern und Umgebung» statt und zwar          nicht gerade zu. Andere werden von dem
Bundesrat hat sich den von der Gemeinde      Kampf gegen die Wohnungsnot» und der                        ebenfalls im Bierhübeli. Anwesend soll auch      Gespenst der Mietzinserhöhung geplagt.
ins Treffen geführten Beweisstücken nicht    Stadtberner Gemeinderat gelangte an den                     ein Vertreter des Schweizer Mieterverbandes      Entweder haben sie auf diese einzugehen,
verschliessen können und er hat deshalb      Regierungsrat betreffend Änderung der                       gewesen sein. 55                                 oder, wenn sie dies nicht wollen, fliegt ihnen
gestern folgenden Beschluss gefasst:         Regelung der Mietkommission. 50 Zudem                                                                        die Kündigung auf den Tisch. Was richtet
Die Gemeinde Bern wird ermächtigt an-        wurde 1919–25 von den Architekten Franz                     Die grosse Wohnungsnot und drohende              aber der einzelne aus gegen diese Not?
zuordnen, dass Personen und Familien,        Trachsel und Otto Ingold das Weissenstein-                  Obdachlosigkeit führten im Oktober 1918          Hier kann nur noch ein Zusammenschluss
deren Mietvertrag auf den 1. November        gut Bern der Eisenbahnergenossenschaft                      zu folgendem Artikel im Intelligenzblatt der     der Mieter helfen. Und je mehr sich zusam-
1919 abläuft und die bis dahin kein ande-    als Arbeitersiedlung erbaut.                                Stadt Bern:                                      menschliessen, desto nachdrücklicher und
res Obdach gefunden haben, vorläufig in                                                                  «Zur Wohnungsnot.                                rascher der Erfolg. Dieser Zusammenschluss
den gemieteten Wohnräumen verbleiben         Auch in der Stadt Burgdorf war die Schaf-                   Der erste November naht, der grosse Tag          ist bereits erfolgt. Aus dem Initiativ-Komitee,
können. Damit ist der ersten Programmfor-    fung einer Wohnungskommission Thema. 51                     des Umzugs. Für viele ist es aber nicht ein      das seinerzeit die Bierhübeliversammlung
derung des Mieterschutzverbandes Genüge      Zudem setzte der Bundesrat auf Bundes-                      solcher, sondern ein Auszug. Denn viele          einberief, hat sich ein «Mieterschutzverband
getan. 48 Man rechnete mit 60–70 Familien,   ebene eine Kommission ein. 52                               wissen heute noch nicht, wo sie an diesem        der Stadt Bern und Umgebung» konstituiert.
                                                                                                    16   17
Dieser Verband sieht vor, seine Mitglieder      räumen in Geschäftsräume, ein sofortiges        Wohnungsnot und Mieterschutz                          1. Die sofortige Verschärfung der obligatorischen
gegen ungerechtfertigte Kündigungen und         Einschreiten gegen sprunghaft ansteigende       «Der seit einem Jahr bestehende Mieterschutzver-      Meldepflicht und die Übertragung der Wohnungs-
                                                                                                band berief auf Freitagabend ins Café des Alpes       vermittlung an das städtische Wohnungsamt.
Mietzinserhöhungen zu schützen. Er wird         Mietzinse und Massnahmen gegen unlau-                                                                 2. Sofortiges, striktes Verbot jeder weiteren Um-
                                                                                                eine öffentliche Versammlung ein, die sehr zahl-
zu diesem Zwecke, wie auch zu weiterer          tere Manipulation bei der Vermietung von        reich von Mietern der verschiedenen Stadtquartie-     wandlung von Wohnräumen in Geschäftslokalitä-
Auskunftserteilung, ein ständiges, von          Wohnungen. 59                                   re besucht war. Der Verbandspräsident, Herr Roth,     ten und Bureaux, welches insbesondere von den
einem Juristen geleitetes Auskunftsbureau                                                       erstattete Bericht über die bisherige Tätigkeit des   Bundesverwaltungen zu beachten ist.
                                                                                                Verbandes. Die Notmassnahmen sind noch lange          3. Sofortiges wirksames Einschreiten gegen die
schaffen, das den Mitgliedern gratis zur Ver-   Verbandsaktivitäten – Sekretariat in der                                                              sprunghaft steigenden Mietzinse; Festsetzung
                                                                                                nicht imstande, der Wohnungskalamität abzu-
fügung stehen wird. Der Verband sieht auch      Wyttenbachstrasse                               helfen; immer sicherer treiben wir der Wohnungs-      der Mietzinse durch die Wohnungen vermittelnde
noch sonstige Vergünstigungen für seine         In den folgenden Monaten ist der Mie-           katastrophe entgegen. Der Leiter der Auskunfts-       Behörde bei Abschluss neuer Verträge.
Mitglieder vor.» (…) «Es sei an dieser Stelle   terschutzverband aktiv und fordert den          stelle, Herr Fürsprech Dr. Oesch, teilte mit, dass    4. Massnahmen gegen unlautere Manipulationen
                                                                                                der Verband von März bis heute 50 Mieterrekurse       bei der Vermietung von Wohnungen. Massnah-
noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass      «Schutz gegen Emissionen» und ein Bleibe-                                                             men gegen die Umgehung der Mietschutzinstan-
                                                                                                glücklich durchführte, und gab verschiedene Aus-
genannter Verband politisch auf durchaus        recht gegen Obdachlosigkeit zum Zügel-          künfte über das Verhalten der Mieter gegenüber        zen durch befristete Mietverträge.
neutralem Boden steht.» 56                      termin vom 1. November. 60 Für das Jahr 1919    ungerechten Forderungen. Die Ausführungen             Zum Schlusse erklärten zahlreiche Anwesende
                                                ist ein Aufruf des Mieterschutzverbandes        der beiden Referenten wurden in eine Resolution       ihren Beitritt zum Mieterschutzverband.
                                                                                                zusammengefasst, die den kantonalen und eid-
Der neugegründete Verband hatte vor,            dokumentiert, befristete Mietverträge an                                                                                      ***
                                                                                                genössischen Behörden unterbreitet werden soll
seine Mitglieder gegen ungerechtfertigte        das Sekretariat an der Wyttenbachstrasse        und in erster Linie Schaffung eines Moratoriums       Wir hatten schon früher Gelegenheit, der Woh-
Kündigungen und Mietzinserhöhungen zu           29 (Nordquartier) zu melden. 61 Der Mieter-     für obdachlose Mieter, deren auf 1. November 150      nungsnot der Berner eingehende Besprechungen
schützen. Dafür sollte ein Auskunftsbureau      schutzverband ist auch in den Medien mit        sein werden, verlangt.                                zu widmen, und wir betonten damals, dass für
                                                                                                Ferner stellt der Mieterschutzverband fest, dass      den Augenblick die Verlängerung des Wohnungs-
geschaffen werde, das den Mitgliedern gra-      einem grösseren Artikel mit dem Titel «Mie-                                                           moratoriums unerlässlich erscheine. Der Bundes-
                                                                                                die durch den Bundesratsbeschluss betreffend
tis zur Verfügung stehen sollte. Extra wurde    terschutz, Wohnungsfrage und Siedlungs-         Förderung der Hochbautätigkeit vom 23. Mai            rat hat sich den von der Gemeinde ins Treffen
darauf hingewiesen, dass der Verband            politik» präsent. 62                            1919 geweckten Hoffnungen bezüglich baldigen          geführten Beweisstücken nicht verschliessen kön-
politisch neutral sei. 57                                                                       Wohnungsbaus keineswegs erfüllt worden sind.          nen und hat deshalb gestern folgenden Beschluss
                                                                                                Die in Aussicht genommenen Subventionssum-            gefasst: Die Gemeinde Bern wird ermächtigt,
                                                Im Oktober 1919 findet die Versammlung                                                                anzuordnen, dass Personen und Familien, deren
                                                                                                men sind völlig ungenügend, die Erledigung des
Somit war der heutige Mieterschutzverband       des Mieterschutzverbandes, ein Jahr nach        Subventionsgesuches lässt viel zu lange auf sich      Mietvertrag auf 1. November 1919 abläuft und die
gegründet. Unter seinem ersten Präsiden-        Gründung im Café des Alpes statt. Präsi-        warten. Soll die Mietnot in den grössten Zentren,     bis dahin kein anderes Obdach gefunden haben,
ten, einem Herrn Roth, machte sich der Ver-     diert wird die Versammlung vom Präsiden-        insbesondere in Bern, nicht zu einer eigentlichen     vorläufig in den gemieteten Wohnräumen verblei-
                                                                                                Wohnungskatastrophe werden, ist die sofortige         ben können. Damit ist der ersten Programmforde-
band an die Arbeit. 58 Im ersten Jahr wurden    ten Herrn Roth, wohnhaft an der Wylerring-                                                            rung des Mieterschutzverbandes Genüge getan.
                                                                                                Aufnahme der Wohnungsbautätigkeit im Sinne
vor allem Mieterrekurse bearbeitet, aber        strasse 28. Vertreten ist auch der Leiter der   einer Normalisierung von Bauart und Bautyp zur        Eine solche Verfügung darf nur von Fall zu Fall
auch politische Forderungen aufgestellt.        Auskunftsstelle «Fürsprech, Herr Oesch».        Verbilligung der Baukosten dringend nötig.            auf Grund einer Prüfung der Umstände und nach
So wurden u. a. bei den kantonalen und          Er hatte seit der Gründung 50 Rekurse zu        Im Anschluss an dieses Postulat verlangt der Mie-     Anhörung beider Mietparteien getroffen werden.
                                                                                                terschutzverband, dass die zuständigen Behörden       Eine Verfügung soll jedenfalls unterbleiben,
eidgenössischen Behörden Resolutionen           bearbeiten. Aktuell ist weiterhin die Forde-                                                          wenn sie nicht getroffen werden kann, ohne dass
                                                                                                unverzüglich an die Frage der Erstellung eines
eingereicht, die mehr Wohnungen forderten.      rung nach einem Moratorium, da weiterhin        Expropriationsrechtes zugunsten des gemeinnüt-        andere Personen dadurch obdachlos werden. Die
Auch mehr Schutz für Mieter war eine der        obdachlose Mieter in der Stadt leben. 63        zigen Wohnungsbaues herantreten.                      Gemeinde haftet den Vermietern für den ihnen
Hauptforderungen des Mieterschutzver-                                                           Schliesslich wird der Ausbau des Mieterschutzes       aus den getroffenen Verfügungen erwachsenen
                                                                                                auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung            Schaden, der im Streitfalle durch den Richter zu
bandes. Dazu gehörte eine Verschärfung                                                                                                                bestimmen ist. Der Beschluss tritt sofort in Kraft.»
                                                                                                verlangt – im Sinne der am 7. September 1919 vom
der Meldepflicht für leere Wohnungen,                                                           schweizerischen Mieterbund aufgestellten Richtli-
ein Verbot von Umwandlungen von Wohn-                                                           nien. In der Stadt Bern ist insbesondere notwendig:   (Intelligenzblatt, 18. 10. 1919)

                                                                                           18   19
Abb. 11 (oben): Mitgliederaufruf 1900, Intelligenzblatt,
3. März 1900.
                                                                        Der Verband entwickelt sich
Abb. 12 (unten): Broschüre: «Ratgeber für Mieter» 1921.

Der Berner Mieterschutzverband ist auch                                 Für die 1920er Jahre finden sich noch einige
im Rahmen des Schweizer Mieterverbandes                                 Hinweise zur Verbandtätigkeit, es fehlen
präsent. 64 So tagt am 31. August 1920 der                              aber vertiefte Recherchen in Zeitungsarchi-
Schweizer Mieterverband in Bern. National                               ven. Ab Mitte der 1960er Jahre existieren
hat der Verband damals 14‘500 Mitglieder.                               Unterlagen des Verbandes in der Form von
Auch im Jahr 1922 trifft sich der Verband der                           Protokollen von Generalversammlungen
Schweizer Mietvereine in Bern u.a für ein                               und Vorstandssitzungen, welche Grundlage
Treffen mit Bundesrat Häberlin.                                         für die folgenden Ausführungen sind. Eine
                                                                        vertiefte Sichtung und Aufarbeitung der vor-
Die Wohnungspolitik und das Handeln des                                 handenen Quellen ist aber noch zu leisten.
Mieterverbandes gehen über die Stadt Bern
hinaus. So findet am 27. Oktober 1920 eine                              Die Statuten aus dem Jahr 1953 dokumentie-
«Öffentliche Versammlung des Mieter-                                    ren die Verbandsgründung am 13. Oktober
schutzverbandes» im kantonalen Grossrats-                               1918. Am 2. März 1954 wurden die Statuten
saal statt. 65 Thema ist die «Ausgestaltung                             erneuert und genehmigt. Unterzeichnet sind
des Mieterschutzes». 66 Der Regierungsrat                               sie vom Präsidenten Alfred Heer und vom
des Kantons Bern hat durch Verordnung                                   Sekretär H. V. Berg.
vom 14. September 1920 den Bundesrats-
beschluss vom 9. April 1920 betreffend die                              Bis im Jahr 1965 befindet sich das Sekre-
Bekämpfung der Miet- und Wohnungsnot                                    tariat im Karl Schenk-Haus, an der Spital-
ausgeführt. 67                                                          gasse 5 (heute Herren Globus). Im Jahr 1965
                                                                        erfolgt der Umzug des Sekretariats an die
                                                                        Monbijoustrasse 61, wo es sich auch heute
                                                                        noch befindet. Ein Thema ist damals die
                                                                        Leerwohnungsziffer, die in der Stadt Bern
                                                                        1966 tiefe 0.04% beträgt, was ganze 21
                                                                        Wohnungen bedeutet, die verfügbar sind.
                                                                        Zwei Jahre später im Jahr 1968 zeigt sich ein
                                                                        ähnliches Bild: Leerwohnungsziffer 0.07%,
                                                                        was von 59‘896 Wohnungen 44 freie be-
                                                                        deutet.

Gegenüberliegende Seite (von oben):
                                                                        Am 20. Oktober 1967 verabschieden der
Abb. 13: Werbinserat in der Broschüre «Ratgeber für
Mieter» 1921.                                                           Mieterverband Bern und der Hauseigentü-
Abb. 14: Beitritts-Erklärung in der Broschüre «Ratgeber für             merverband Bern gemeinsam «Richtlinien
Mieter» 1921.
Abb. 15: Älteste erhaltene Statuten des Mieterverbandes
                                                                        für Wohnungsrückgaben». Aber auch sonst
aus dem Jahr 1953.                                                      ist der Verband aktiv. Im Jahr 1967 ver-
                                                              20   21
Abb. 16 (linke Seite oben): Plakat für Standaktionen (nicht
                                                                                                      datiert).
                                                                                                      Abb. 17 (linke Seite unten): Mitteilungsblatt Mieterverband
                                                                                                      Bern, Nr. 1 1981.
                                                                                                      Abb. 18 (links): Einzahlungsschein und Legitimationskarte
                                                                                                      Mitgliederbeitrag 1978.
                                                                                                      Abb. 19 (unten): Kampagne zur Mitgliederwerbung (Kinodia).

                                                      Wohnungs-
                                                      markt:
                                                      «Diese völlig
                                                      ungenügen-
                                                      de Wohn-
                                                      bauproduk-
                                                      tion wirkt sich nicht nur negativ auf den
                                                      Leerwohnungsbestand und damit auf den
                                                      Wohnungsmarkt aus, sondern bewirkt auch         bilanziert der Präsident Fabio Tanner 1993
                                                      eine unerwünschte Abwanderung von Fami-         rückblickend. Die Rechtsauskunft geht
                                                      lien aus der Stadt in die Region. In diesem     von Guido Rieder («die graue Eminenz und
                                                      Zusammenhang muss darauf hingewiesen            das Herz des Mieterverbandes Bern») neu
zeichnet der Verband 2500 Konsultationen,             werden, dass die Einwohnerzahl der Stadt        an Bettina Steinlin und Richard Püntener
149 «Schadensfälle» bei der Mieterver-                Bern seit 1962 von 166‘200 auf weniger als      über. Zur «Professionalisierung» gehört
sicherung, 280 Einsprachen beim Mietamt               146‘000 abgenommen hat. Gerade deshalb          auch «die Züglete an die Monbijoustrasse
wegen Kündigungen. Der Verband hat 4000               wäre die Förderung des Baues von preis-         in eigene Räume». Es entstehen weite-
Mitglieder und ist die zweitgrösste Sektion           günstigen Familienwohnungen in der Stadt        re Kantonalsektionen, so in den Ämtern
der Schweiz. Der Jahresbeitrag beträgt                Bern unerlässlich.» 68                          Fraubrunnen, Seftigen, Interlaken, Thun. 69
Fr. 8.–, zusätzlich Fr. 9.– für die Mieterver-                                                        Diese Ausweitung in den Kanton führt am
sicherung. Die Verbandsrechnung 1967 hat              1979 beträgt der Jahresbeitrag Fr. 20.–, zu-    13. Juni 1984 zur Gründung der Vereinigung
Ausgaben von Fr. 36‘052.70 bei Einnahmen              sätzlich Fr. 17.– für die Mieterversicherung.   Bernischer Mieterverbände MBV, einem
von Fr. 33‘804 und schliesst mit einem                1980 sind wichtige Themen der Ausbau            Vorläufer für die Kantonalisierung des Ver-
Gewinn von Fr. 2248.70 ab. Das Vermögen               der Rechtsberatung, die Einführung eines        bandes. Im gleichen Jahr ist der Verband
beträgt Fr. 25‘108.30.                                Rechtsschutzes für Mitglieder und die Auf-      kantonal engagiert. Die kantonale Wohn-
                                                      nahme von Verhandlungen mit dem HEV             bauinitiative (getragen vom MV zusammen
1969 kommt es zu einem Wechsel an                     Bern «über einen Paritätischen Mietvertrag      mit der SP und dem Gewerkschaftskartell)
der Verbandsspitze. Der vormalige Vize-               für die Region Bern.» 1981 erscheint die        wird vom Grossrat ohne Gegenvorschlag
präsident Ruedi Röthlisberger (Präsident              erste Nummer des «offiziellen Organs» in        abgelehnt. Erfolgreich ist der Mieterverband
1969–1979) übernimmt die Nachfolge des                neuem Gewand und erscheint quartalswei-         in der Stadt Bern. Dort wird 1985 über eine
im Amt verstorbenen Präsidenten Alfred                se bis Ende 1993. 1983 zählt der Verband        «Wohninitiative» getragen von MV und SP
Hug, Fürsprecher. Fürsprecher G. Rieder ist           5260 Mitglieder.                                abgestimmt, woraus ein neues Wohnbau-
die juristische Anlaufstelle. Er empfängt                                                             reglement und der Fonds für Boden- und
KlientInnen an der Genfergasse 3.                     Während der 80er Jahre kommt es zu einer        Wohnbaupolitik entsteht. 70
                                                      Verdoppelung der Mitglieder von 4000 auf
Im Oktober 1978 erscheint neu das «Mit-               8000. «Die Professionalisierung und der         Ende 1993 erscheint die letzte Nummer des
teilungsblatt Mieterverband Bern» und                 Ausbau der Dienstleistungen brachte eine        MVB-Blattes. Hintergrund ist, dass es natio-
thematisiert die aktuelle Situation auf dem           Explosion der Mitgliederzahlen mit sich»,       nal neu das «Mieten & Wohnen» gibt.
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