Seiten 3-9 Der verkannte Skandal - Mieterverband
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Editorial Inhaltsverzeichnis Liebe Leserinnen Politik Ältere brauchen mehr und Leser Schutz 3 Zürich A-Porta muss über die Bücher 5 Reportage Mieter-Drama in Regensdorf 6 Basel Kampf um die Auf unserem Titel sehen Sie eine 84-jährige Mie- Wohnwende 10 terin aus Regensdorf. Sie hat vor kurzem die Kündigung erhalten. Jahrzehntelang war die be- Geschichte Wohnfrust und scheidene Wohnung ihr Heim. Und nun soll sie es Knall auf Fall verlassen, weil die Siedlung Landesstreik 12 abgerissen wird. Sie und zahlreiche Nachbarn SMV Dachverband wird sind verzweifelt. Was sollen sie tun? Ihre Mög- lichkeiten sind begrenzt, weil es in der Schweiz schlagkräftiger 14 keinen wirksamen Kündigungsschutz für ältere Menschen gibt. Obwohl gerade sie einen Hotline Kann ich die Miete solchen bitter nötig hätten. Das ist ein Skandal, noch anfechten? 17 der kaum je thematisiert wird. Lesen Sie dazu unsere Berichte auf den folgenden Seiten. Miettipp Pilzsaison in den Wechsel im Bundesrat: Johann Schneider- Ammann (FDP) und Doris Leuthard (CVP) Wohnungen 18 treten zurück. Aus Mietersicht waren beide ei- Letzte Was sonst noch läuft 24 ne Enttäuschung. Schneider-Ammann küm- merte sich kaum um das Wohndossier. Ausser Lobliedern auf den angeblich freien Markt hörten wir von ihm nichts. Er organisierte eine Wohndialog, aber der Output war gleich Null. Dafür sorgten er und seine marktverrückten Chefbeamten. Diese wussten nichts Besse- res, als auch noch das Bundesamt für Woh- nungswesen zu demontieren. Auch Doris Leut- hard zeigte sich gegenüber dem Wohnthema wenig sensibel. Die Kritik an den Renditbauten Herausgeber Titelbild der SBB – Stichwort Europaallee in Zürich – Mieterinnen- und Mieterverband Reto Schlatter prallte wirkungslos an ihr ab. Dabei hätte sie Deutschschweiz Druck genug Einfluss gehabt, um dafür zu sorgen, Stämpfli AG, Bern Redaktion Beglaubigte Auflage dass die SBB – Kritiker nennen sie schon einen Ralph Hug, Pressebüro St.Gallen 126 466 Exemplare «Immobilienkonzern mit Gleisanschluss» – T 071 222 54 11 Erscheinen Administration und Adressverwaltung 6 mal pro Jahr ihrer sozialen Verpflichtung im Städtebau mehr MieterInnenverband Deutschschweiz Abonnementspreis nachkommt. Die beiden Rücktritte heissen für Bäckerstrasse 52, 8004 Zürich Fr. 40.–/Jahr die Mieterbewegung: Wir dürfen auf Besseres T 043 243 40 40 Inserate und Beilagen info@mieterverband.ch Judith Joss, hoffen. Im Dezember werden wir mehr wissen. www.mieterverband.ch judith.joss@mieterverband.ch Ständige Mitarbeiter/innen T 043 243 40 40 Herzlich Fabian Gloor, Zürich Natalie Imboden, Bern Balthasar Glättli, Zürich Beat Leuthardt, Basel Urs Thrier, Basel hug@pressebuero-sg.ch Walter Angst, Zürich Niklaus Scherr, Zürich Carlo Sommaruga, Bern www.facebook.com/Mieterverband Gestaltungskonzept Hubertus Design GmbH, Zürich Layout Hannah Traber, St.Gallen Gedruckt in der Schweiz Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 2
Politik Text von Ralph Hug Bild Reto Schlatter Wenn Ältere die Kündigung erhalten, bricht für sie oft eine Welt zusammen. Mehr Schutz ist überfällig Bei Leerkündigungen geraten ältere Menschen meist in grosse Not. Trotzdem lehnt der Nationalrat einen besseren Schutz für sie ab. Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 3
Fred Lauper ist tot. Er starb mit 84 Jahren. Als er die Kündigung Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass brutale Rauswürfe erhielt, brach für ihn eine Welt zusammen. Nach vierzig Jahren bei besonders verletzlichen Menschen nicht so einfach möglich in der gleichen Wohnung in Bern sollte er plötzlich ausziehen. sind wie bei uns. Das deutsche Mietrecht kennt eine Sozial- Die Aufregung, das Mieterstreckungsverfahren und die Schika- klausel. Bei Vorliegen einer unzumutbaren Härte kann das Ge- nen des Vermieters ertrug der gesundheitlich geschwächte richt eine Kündigung aufheben. Dabei fallen hohes Alter, Senior nicht. Seine Familie schrieb in der Todesanzeige: «Einen Behinderung oder Krankheit und Gebrechen als wichtige Momen- alten Baum zu versetzen bedeutet, ihn zu entwurzeln.» te ins Gewicht. Die Gerichte müssen dann abwägen, was vor- Albert Kiechler war 94, als er den blauen Brief erhielt. 47 Jah- geht: das Interesse des Mieters oder des Vermieters. Diese re hatte er in seiner Basler Wohnung gewohnt. Sie war sein «Kündigungsbremse» wirkt präventiv und hat schon manches «Paradiesli», wie er sagte. Innert drei Monaten sollte er sie ver- grosse Leid verhindert. Auch die Schweiz braucht eine sol- lassen. Da ging es ihm so schlecht, dass er vorübergehend in che Bremse. Sonst kann der Wohnungsmarkt weiterhin unter die Psychiatrische Klinik musste. Jetzt wohnt er zwangsweise in Umständen sogar tödlich sein, wie das Beispiel von Fred einem Altersheim. Obwohl er noch zwäg ist, eigenständig Lauper zeigt. leben und für sich sorgen kann. Zwei Beispiele, über die M+W berichtete. Zwei Beispiele, welche die grosse Not von älteren und betagten Menschen zeigen, wenn sie aus ihrer heimischen Umgebung vertrieben werden. Denn für Senioren zählen nicht nur die vertrauten vier Wände. Besonders wichtig ist auch das soziale Umfeld, das sie Unser Wohnungsmarkt kann tödlich sein. trägt: Nachbarn, die aushelfen, Bekannte, die zu Besuch kom- men, Freunde, die man um Rat fragen kann. Die leichtfer- tige Vertreibung von Seniorinnen und Senioren aus ihrem an- gestammten Lebensumfeld, meist aus reinen Renditegründen, ist einer der grossen Skandale der Schweiz. Weil so alltäglich, wird er gar nicht mehr wahrgenommen. Die Opfer wissen sich «Vielen Dank für das Verständnis»: Kündigungen sind Hiobs- oft kaum zu wehren. botschaften, manchmal verpackt in schöne Worte. Carlo Sommaruga wollte das ändern. Der SMV-Präsident und Nationalrat aus Genf verlangt mehr Schutz für ältere Men- schen auf dem Wohnungsmarkt. Seine Idee: «Wenn ein Miet- vertrag mit einem älteren Menschen gekündigt wird, muss die Kündigung auf einem wichtigen Grund basieren, und der Vermieter muss eine Lösung für eine neue Wohngelegenheit in unmittelbarer Nähe und zu ähnlichen Mietbedingungen vor- schlagen.» Doch der Nationalrat lehnte Sommarugas parlamenta- rische Initiative Ende September mit 123 gegen 52 Stimmen ab. Nur Rot-Grün stimmte dafür. Die Diskussion war kurz, es gab keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Problem. Ja, es schien, als würde es nicht einmal als Problem anerkannt. Man könnte auch sagen, der Vorstoss wurde abserviert. Der Haupteinwand der Gegner war, dass ein besserer Kün- digungsschutz für Ältere faktisch zu einem «Kündigungsverbot» und zu einem «ewigen Mietanspruch» führe. Das sei «gravie- rend» für die Vermieter, tönte zum Beispiel Hauseigentümer- Präsident Hans Egloff (SVP). Wie gravierend eine Kündigung für Betroffene im vorgerückten Alter sein kann – siehe Beispiele oben –, war kein Thema. Das ist bezeichnend. Die derzeitige Par- lamentsmehrheit (SVP, FDP und grossteils CVP) pflegt einsei- tig die Vermieteroptik. HEV-Chef Egloff behauptete sogar: «Der Mieterschutz bei Kündigungen ist heute bereits gut ausgebaut.» Er meinte damit die Möglichkeit, dass Mietende einen blauen Brief anfechten und eine Erstreckung beantragen können. Das stimmt. In den allermeisten Fällen müssen die Betroffenen aber Bild Reto Schlatter trotzdem raus. Sogar 100-Jährige. Das gibt es sonst nirgends in Europa. Also ist das Gegenteil wahr: Der Schutz vor Kündigun- gen ist hierzulande sehr schlecht ausgebaut. Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 4
Zürich Text von Walter Angst A-Porta muss über die Bücher Fast 300 Wohnungskündigungen hat die Stadt- zürcher A-Porta-Stiftung im Februar und März 2018 verschickt. Jetzt muss der Stiftungs- rat über die Bücher. Als der Beschluss gefasst worden sei, zwei Die Stiftung scheint gelähmt zu sein von der Siedlungen der A-Porta-Stiftung abzureissen, Kritik, die nach dem Versand der Kündigungen habe er die Mieter zu wenig im Fokus gehabt, über sie hereingebrochen ist. Besonders bitter sagt Grossmünster-Pfarrer und A-Porta- ist das für jene, die auf den guten Willen der Stif- Stiftungsrat Christoph Sigrist (M+W 4/18). tung gesetzt und im Frühling auf eine Anfech- Wie dramatisch die mit den Kündigungen aus- tung der Kündigung verzichtet haben. Die Frist gelöste Unsicherheit und wie gross die für die Wohnungssuche wird immer kürzer. Empörung ist, war Anfang Oktober im Zürcher Und eine Etappierung der Neubauvorhaben, mit Volkshaus mit Händen zu greifen. Der MV der die Zeit für die Suche nach guten Lösungen Zürich hatte die betroffenen Mietenden der verlängert werden könnte, ist nicht in Sicht. Stiftung zu einer Informationsveranstal- tung eingeladen. Über 80 sind gekommen. Ruf steht auf dem Spiel Nach der Kündigungswelle hat der MV inten- Die einzig gute Nachricht kommt von der sive Gespräche mit der Geschäftsleitung und Schlichtungsbehörde. Diese hat am 4. Oktober dem Stiftungsrat geführt. Das Ergebnis ist nicht diverse Einsprachen gegen die Kündigungen zufriedenstellend. Am 1. September ist zwar an der Egli-/Hohlstrasse behandelt. A-Porta war das Mieterbüro eröffnet worden. Hilfreich ist bereit, den Auszugstermin für die Mieter vom dieses Büro aber nur für ausgewiesene Härtefäl- 30. September 2019 auf den 30. September 2020 Was A-Porta bauen will le. Alle anderen Mietenden können nur noch zu verschieben. Ob die Stiftung allen 200 Mie- Die A-Porta-Stiftung hat seit 2007 hoffen, dass ihnen die Verwaltung eine der tenden der Siedlung eine Verlängerung anbietet, ein Leitbild für die Entwicklung ihres Immobilienportfolios bis 2040. wenigen Wohnungen anbietet, die in den nächs- war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe aber Die Sanierung von drei grossen ten Monaten in anderen A-Porta-Siedlungen immer noch unklar. Siedlungen mit mehr als 800 Woh- frei werden. Realistischer ist, dass sie auf dem Fazit: Wenn der gute Ruf von A-Porta nicht nungen ist 2017 abgeschlossen privaten Markt eine Wohnung mieten, mit dauerhaft beschädigt werden soll, muss der Stif- worden. Aktuell in Planung oder vor einer Verdreifachung ihrer Miete rechnen oder tungsrat über die Bücher. Seine Mitglieder der Realisierung sind Ersatzneu- aus Zürich wegziehen müssen. Das Verspre- haben sich bisher vor allem um die Verteilung der bauten der Siedlungen Egli-/Hohl- strasse (200 Wohnungen, Kündi- chen von Pfarrer Sigrist, für alle Betroffenen Gewinne aus der Vermietung gekümmert. Mit gungen im Februar 2018 auf Septem- eine gute Lösung zu finden, ist kaum einlösbar. je zwei Vertretern der Kirche und der Stadt ber 2019) und an der Rötel-/Korn- Zürich haben die Hauptbegünstigten der jährli- hausstrasse (rund 80 Wohnungen, Intransparent chen Vergabungen (1,4 Mio. Franken) im Stif- Kündigung im Mai 2018 auf März Wenig wert ist auch das Angebot der Stif- tungsrat die klare Mehrheit. Vor allem die Vertre- 2020) sowie die Sanierung der Sied- tung, dass die Mietenden ein Vormietrecht ter der Stadt Zürich, welche die A-Porta-Stif- lung beim ehemaligen Hardturm- in den geplanten Ersatzneubauten hätten. Die tung zum erweiterten Kreis der gemeinnützigen stadion (rund 100 Wohnungen, ob und wann Kündigungen ausge- A-Porta-Stiftung hat bis heute keine Angaben Wohnbauträger zählt, sind in der Pflicht. Der sprochen werden, ist unklar). Kon- zu den neuen Wohnungen, den Preisen und Stadtrat hat ein Vorschlagsrecht für die Wahl des krete Pläne liegen erst für die Sied- dem Zeitpunkt des Bezugs gemacht. Das ist ty- Geschäftsleiters. Damit hätte er schon früher lung Egli-/Hohlstrasse vor. Anstelle pisch für die Informationspolitik der Stiftung: direkten Einfluss auf die Bewirtschaftung der der 200 sehr preisgünstigen Klein- Offenheit und Transparenz scheinen ein knapp 1400 Wohnungen nehmen können. Und wohnungen will die Stiftung 150 Woh- Fremdwort zu sein. So wurden den Mietern die er kann dies selbstverständlich auch heute noch. nungen mit Mieten bis 2400 Fran- ken und ein privates Pflegeheim erstel- Pläne für das am 3. Oktober 2018 öffentlich len. Würde auf das Pflegeheim ver- aufgelegte Bauprojekt an der Egli-/Hohlstrasse zichtet, könnten im Neubau 50 Woh- nicht von der Bauherrin, sondern vom Mieter- nungen mehr gebaut werden. verband vorgelegt. Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 5
Reportage Text von Esther Banz Bild Reto Schlatter Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 6 Margrit Steindorfer (84) stellte viele Fragen, erhielt aber nur abschlägige Antworten.
Einfach in die Ecke gestellt Swiss Life reisst in Regensdorf eine ganze Wohnsiedlung ab. Zahlreichen älteren Menschen droht der Rauswurf. Nun erzählen die Betroffenen. Es ist noch früh am Morgen, als die neun-vermieter. Seit September fällt er mit heute mehrheitlich online ausgeschrie- seiner omnipräsenten Markenkampagne zigjährige Elvira Rolli das Haus verlässt, ben. Doch viele ältere Menschen auf: «Retos Life», «Evas Life», «Lauras in dem sie seit 62 Jahren lebt. Sie stützt haben zuhause keinen Computer. Meist sich auf einen Stock, geht zügig voran. Life» usw. Mit den 350 beliebtesten Vor- muss man sich schnell bewerben und Und so wird sie in der nächsten Stunde namen wirbt er für ein gutes Leben entscheiden – auch da scheitern sie. Mit auch sprechen: klar und kraftvoll. Ihre im Alter. Die Botschaft lautet: «Wir un- ihrem Bedürfnis nach einer günstigen Bewegungen und ihre Worte zur Begrüs- terstützen unsere Kunden, damit sie Wohnung stehen sie in Konkurrenz zu un- sung lassen aber auch erahnen, dass etwasein längeres Leben selbstbestimmt und zähligen anderen Wohnungssuchenden. mit Zuversicht führen können.» sie tief verletzt hat. Sie wirkt aufgewühlt. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Und sie ist nicht die einzige in dieser Sied-In Regensdorf ist Swiss Life aber ge- weitem. Auch in Regensdorf, das mit lung an der Riedthofstrasse 54 bis 92 rade dabei, älteren Menschen jede Zuver- dem öffentlichen Verkehr gut angebunden in Regensdorf ZH, der es so ergeht. Neun sicht für eine selbstbestimmte Zukunft zu ist und wo es noch Platz zum Bauen und Menschen zwischen 80 und 90 und zwei nehmen. Insgesamt sind 84 Wohnungen Verdichten gibt. um die 60 Jahre kommen an diesem mit weit über hundert Personen vom Ab- Morgen im Trocknungsraum zusammen riss betroffen. Spätestens in neun Mo- Europaallee für Regensdorf und setzen sich auf ihre mitgebrachten naten sollen die Wohnungen geräumt Hier ist alles im Umbruch. Man sieht Campingstühle und Küchenhocker. sein. Das Kündigungsschreiben ging es von blossem Auge, auch rund um bei Elvira Rolli, wie auch bei allen andern, die Siedlung an der Riedthofstrasse, von Ein gutes Leben im Alter am 27. Juni ein. «Der Pöstler wusste, was wo aus der Bahnhof Regensdorf-Watt Das Mehrfamilienhaus und alle weite- los war», erzählt sie. Dann erhebt sie in wenigen Gehminuten zu erreichen ist. ren der Siedlung gehören Swiss Life. Der sich langsam von ihrem Campingstuhl Nördlich des Bahnhofs entsteht auf Versicherer ist vielen noch unter dem und verabschiedet sich: «Es tut mir einem ehemaligen, 21,5 Hektaren grossen Namen Rentenanstalt bekannt. Heute ist leid, ich habe einen Arzttermin. Ich will Industriegebiet in Anlehnung an die er keine Genossenschaft mehr, sondern nur noch sagen: Es tut mir weh, hier Europaallee in Zürich die «Regensdorf- ein international operierender, rendite- ausziehen zu müssen.» Allee». Sie soll dereinst gemischt genutzt getriebener Finanzkonzern und der gröss- Wie schwierig es für ältere Menschen werden. Die Planung ist in vollem Gang. te Player im schweizerischen Vorsorge- im städtischen Umfeld ist, eine bezahl- Erste Visualisierungen dieser Regensdorf- geschäft. Ausserdem ist er mit mehreren bare Wohnung zu finden, thematisierte Allee und der geplanten Neuüberbauung zehntausend Wohnungen auch ein Gross- M+W schon oft. Wohnungen werden an der Riedthofstrasse lassen erahnen, Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 7
Bilder Reto Schlatter Was sollen sie jetzt tun? Vom Rauswurf bedrohte ältere Menschen in Regensdorf beraten gemeinsam ihr Vorgehen. dass hier Wohnungen stehen werden, die nehmen können. Tatsächlich seien dann behandelt, wenn eine Wohnung frei wird? viel teurer sind als die bisherigen. nur wenige Jüngere gekommen, berich- Wieder: Nein. Es hiess, wir könnten ja Die jetzige, noch gut erhaltene Sied- tet die 65-jährige Anna Groshans: «Sie allenfalls woanders hinziehen und wieder lung ist eine jener Überbauungen mit ein- dachten wohl, dass sie nicht gross mit un- zurückkommen. Auf die Frage, wie fachen, kleinen Wohnungen, wo noch bequemen Fragen konfrontiert werden, teuer die neuen Wohnungen sein würden, drei Zimmer für unter 1500 Franken zu fin- wenn nur wir Älteren kommen. Aber sagten sie: keine Ahnung.» Als ob das den sind. Sie verschwinden derzeit ra- da täuschten sie sich.» Margrit Steindor- alles nicht schon entmutigend und ent- sant. Und ersatzlos. Das ist gerade in einer fer (84) nickt und erzählt: «Ich fragte: würdigend genug wäre, setzte ein Swiss- Gemeinde wie Regensdorf verhängnis- Was passiert, wenn wir nach Ablauf der Life-Mitarbeiter gegen Ende der Veran- voll. Dort gibt es keinen kommunalen Woh- zwölfmonatigen Kündigungsfrist nichts staltung dem Ganzen noch die Krone auf. nungsbau und auch kaum aktive Wohn- gefunden haben? Der Vertreter von Swiss Nach übereinstimmenden Aussagen soll baugenossenschaften. Nicht einmal Alters- Life antwortete nicht. Er sprach dann er auf die Frage, was Swiss Life tun werde, wohnungen besitzt die Gemeinde. Ein einfach über etwas anderes.» wenn die Gekündigten am Tag X immer Altersheim zwar schon, sagt Gemeindeprä- noch keine Lösung hätten, drohend geant- sident Max Walter (SVP). Aber dieses be- Dreimal Nein wortet haben: «Dann haben wir das Recht trachte man als Auslaufmodell: «Wir sind Alle, die an diesem Morgen im auf eine Zwangsausweisung.» dafür, dass die Leute möglichst lange Trocknungsraum sitzen, schütteln vehe- Die Kommunikationsabteilung von in ihren Wohnungen bleiben.» Wenn sie ment den Kopf, als M+W sie fragt, ob Swiss Life dementiert dies gegenüber denn können. sie sich von Swiss Life ernst genommen M+W und bedauert allfällige Missver- Swiss Life veranstaltete wenige Tage, fühlen. Anna Groshans: «Wie auch? Als ständnisse. Bezüglich der für ältere Men- nachdem sie allen Mieterinnen und wir wissen wollten, ob sie uns bei der schen knappen Kündigungsfrist schreibt Mietern das Kündigungsschreiben ge- Wohnungssuche unterstützen werden, Mediensprecherin Tatjana Stamm: schickt hatte, eine Informationsveranstal- kam ein kategorisches Nein. Auch auf «Wir gehen davon aus, dass in den meis- tung «mit anschliessendem Apéro». die Frage, ob uns Swiss Life oder ihre Ver- ten Fällen innert diesem Jahr eine pas- Der Anlass wurde an einem normalen waltung Livit informieren werde, wenn sende Wohnung gefunden werden kann.» Wochentag auf 16 Uhr anberaumt – eine eine Wohnung frei werde, hiess es: Nein. Ein Mieterbüro habe man deshalb Zeit, zu der Erwerbstätige kaum teil- Ich fragte ferner: Werden wir bevorzugt nicht eingerichtet, weil man davon ausge- Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 8
Sie erzählten M+W, wie sie eine Versammlung erlebten, in der ihnen der Finanzkonzern Swiss Life den baldigen Abriss ihrer Wohnungen ankündigte: (v.l.n.r.) Elvira Rolli, Bruno Steindorfer, Berta Steger, Anna Groshans, Adele Tobler und Fritz Itschner. gangen sei, dass ein Grossteil der Mieter dort nachfragen, was gerade frei sei, geplanten, neuen Überbauung an der innert nützlicher Frist eine geeignete Woh- heisst es. Riedthofstrasse. Oder sie zogen hierher nung finde. «Falls vor Ablauf der Kün- Swiss Life verweist ferner auf Unter- und liessen sich von den Vertretern digungsfrist einzelne Mieter noch keine stützungsleistungen, die in solchen Fällen überzeugen, bei ihnen auch gleich eine Wohnung gefunden haben, unterstüt- jedoch selbstverständlich sein sollten. Versicherung abzuschliessen. So oder so zen wir diese im Rahmen unserer Mög- Etwa, dass der Vermieter ein positives Em- finanzierten sie mit ihrer Miete während lichkeiten.» Das hören die Gekündig- pfehlungsschreiben ausstellt. Oder dass Jahrzehnten die eigene Rente mit – ten so zum ersten Mal. Mit Hilfe des MV die Kündigungsfrist von drei Monaten und natürlich auch die üppigen Gewinne Zürich hat ein Teil von ihnen die Kün- auf ein Jahr verlängert wird. Im Nachgang der Konzerns. Swiss Life erzielte letztes digung angefochten. Es kommt somit zu widerspricht die Sprecherin von Swiss Jahr einen Reingewinn von über eine Mil- einem Verfahren. Life den Aussagen, die ihr Mitarbeiter bei liarde Franken. Am Schluss zerstört Swiss Life wirbt in ihrer aktuellen Kam- der Informationsveranstaltung gemacht der Versicherer genau das, was er seinen pagne damit, Menschen darin zu unter- hatte: Die gekündigten Mieter würden, so Kunden vollmundig verspricht: Zu- stützen, ein selbstbestimmtes Leben mit versichert sie nun, bei frei werdenden versicht und ein selbstbestimmtes Leben. Zuversicht führen zu können. In Regens- Wohnungen im Besitz der Swiss Life «sehr dorf passiert genau das Gegenteil. Ob- wohl bevorzugt» behandelt. wohl der Konzern 600 Wohnungen im Grossraum Glattal/Furttal besitzt, macht Betroffene sind auch Kunden er sich nicht die Mühe abzuklären, wie Was die Immobilienleute von Swiss weit dort Menschen untergebracht wer- Life vielleicht nicht wissen: Viele der den können, die aus Regensdorf weg- Betroffenen sind auch ihre Kunden. Diese ziehen müssen. Swiss Life erwartet, dass fühlen sich jetzt, wie es Margrit Stein- sich die Betroffenen selber melden. Aber dorfer ausdrückt, «wie ein altes Paar Schu- wie sollen 85-Jährige zeitnah erfahren, he in die Ecke gestellt». Manche haben dass eine Wohnung frei wird, wenn diese in jungen Jahren bei der früheren Renten- nur online ausgeschrieben sind? Man anstalt eine Lebensversicherung abge- Zynisch: So wirbt Swiss Life für ein gutes könne sich direkt an Livit wenden und schlossen und erfuhren so von der damals Leben im Alter. Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 9
Basel Text von Ralph Hug Nach dem spektakulären Erfolg an der Urne soll in Basel bald Schluss sein mit Abbrüchen und Rendite-Kündigun- gen. Der MV macht Druck. Jetzt muss die Wohnwende kommen! Der Moment des Sieges: Am 10. Juni sagten die Basler Stimmberechtigen Ja zu einer grundlegenden Wohnwende. Bild Dominik Spirgi Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 10
Seit dem 10. Juni steht in der Basler Verfassung folgender Satz: 10. Juni ebenfalls angenommen wurde. Voraussichtlich ab No- «Der Kanton sorgt dafür, dass die Bevölkerung vor Verdrän- vember werden die Basler Vermieter bei Neuvermietungen gung durch Kündigung und Mietzinserhöhungen wirksam ge- auf einem Formular die Vormiete angeben müssen. Das bringt schützt wird.» Kein anderer Kanton in der Deutschschweiz mehr Transparenz. Und die Gerichte dürfen künftig keine kennt eine solche Pflicht. Was die Basler Stimmberechtigten gut- hohen Prozessgebühren mehr erheben. Auch dies hiess das geheissen haben, ist ein Novum. Jetzt soll diese neue Schutz- Stimmvolk gut. Die Honorarrisiken durch Gegenanwälte norm auch umgesetzt werden. Detaillierte Vorschläge dazu lie- fallen weg. Zwei wichtige Reformen, die das Los der Basler Mie- fert der MV Basel gleich selbst. «Wir wollen ein neues Wohn- terschaft klar verbessern. schutzgesetz», sagt Co-Leiter Beat Leuthardt, «und wir wollen Der Mieterschutz speziell für Ältere braucht hingegen mehr es sofort!» Der MV hatte drei der vier erfolgreichen Volksini- Zeit. Es gibt in der Schweiz keine gesetzliche Sozialpflicht tiativen lanciert. bei Kündigungen (ebenso wenig wie bei Entlassungen). Eine solche müsste nun beispielsweise im Bewilligungsverfahren bei Die Wohnwende Sanierungen verankert werden. Oder anders gesagt: Wer rück- Das Ja der Stimmberechtigten bedeutet eine kopernikanische sichtslos auf dem Buckel der Mietenden und nur wegen der Rendi- Wende in der Basler Wohnpolitik. Die Stadt muss umdenken. te saniert, erhält keine Bewilligung für den Umbau oder den Künftig soll Schluss sein mit der Schleifung von Altbauten und Abbruch. Der MV wendet sich auch gegen maximale Verdichtun- mit dem Rausschmiss von Mieterinnen und Mietern nur we- gen: «Solche dürfen nicht länger die oberste Direktive der gen überrissenen, renditegetriebenen Sanierungen. Leuthardt Stadtentwicklung sein», mahnt Beat Leuthardt an. Denn sie füh- fordert, dass künftig der Erhalt von günstigen Wohnungen, ren regelmässig zu Verdrängungen. Leuthardt fordert eine so- sanfte und schonende Renovationen sowie der Bau von bezahl- ziale Neuausrichtung des ganzen Basler Wohnungsmarktes. Die baren Wohnungen durch gemeinnützige Genossenschaften Stadt ist sozusagen über Nacht ein spannender Pionierfall im Vordergrund stehen müssen. Er weiss auch, welche Mittel da- geworden – wegweisend auch für andere Regionen, wo der Un- zu nötig sind: «Wie brauchen eine Bewilligungspflicht bei Ab- mut über den fehlenden Mieterschutz ebenfalls wächst. brüchen und Umbauten sowie eine Mietzinskontrolle.» Impulse dafür bezog Leuthardt aus der Westschweiz. Die Kantone Genf und Waadt kennen solche Schutzinstrumente seit langem, sie sind keineswegs neu. Nicht einmal für Basel selbst: Bis vor weni- gen Jahren gab es ein Abbruchschutzgesetz, das allerdings Basel reisst ab, aber wie lange noch? Auch die Warteck-Liegen- kaum vollzogen wurde. Und Mietzinskontrollen existierten in schaft muss weichen. früheren Jahrzehnten während Krisenzeiten sogar landesweit. Nur kann sich niemand mehr daran erinnern. Jetzt blickt die ganze Schweiz nach Basel. Was sich dort abspielt, ist von allgemeinem Interesse. Nach dem Überra- schungssieg an der Urne steht die Umsetzung des Volkswillens an. Noch hat sich die Hauseigentümer- und Immobilien- lobby vom Schock vom 10. Juni nicht erholt. Sie glaubt, weiter- machen zu können wie bisher. Doch das wäre gegen das klare Volksverdikt. Auch die Basler Pensionskasse muss ihre Strategie ändern. Gerade ihr unzimperliches Vorgehen gegen ältere Mietende an der Mühlhauserstrasse, die sie wegen einer Erneue- rung auf die Strasse setzen wollte, rief viel Empörung hervor. Auch das verhalf den Initiativen mit zum Sieg. Beim MV ist man auf viel Widerstand gefasst: «Die Immobilienlobby wird ver- suchen, ihre Interessen zu retten und die Umsetzung der neuen Bestimmungen abzuschwächen», sagt MV-Leiterin Patrizia Bernasconi. Daher verlangte sie schon mal, dass in der kantona- len Arbeitsgruppe, die für die Regierung Vorschläge für die Wohnwende ausarbeiten muss, keine «befangenen» Leute sitzen – also solche, die für die alte, bisher praktizierte Politik zustän- dig waren. «Maximalforderungen»? Bereits wird der MV von bürgerlicher Seite gescholten, er sei ungeduldig und stelle «Maximalforderungen». Dabei macht er nur Druck gegen die zu erwartende Verschleppung und Tröde- Bild Franziska Stier lei. Die Verfassung gilt schliesslich ab sofort und nicht erst in zehn Jahren. Am Schnellsten, weil administrativ einfach, geht die Einführung der Transparenzpflicht bei den Mieten, die am Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 11
Geschichte Text von Ralph Hug Vor hundert Jahren kam es zum bisher einzigen Landesstreik in der Schweiz. Zu seinen Ursachen zählte auch die akute Wohnkrise. Vier Matratzen pro Zimmer Diese drei Tage veränderten die Schweiz: Geld für die Miete knapp oder fehlte ganz. übliche Miete. In Olten lebte eine 4köp- Vom 11. bis 14. November 1918 legten Es kam zu Kündigungen, ganzen Fami- fige Arbeiterfamilie zusammenge- 250'000 Werktätige aus Protest gegen die lien drohte Obdachlosigkeit. Wegen der pfercht in einem einzigen, kleinen Raum, allgemeine Misere die Arbeit nieder. kriegsbedingten Inflation explodier- im verstopften Abort fehlte die Spü- Das Militär beendete den Streik, der in ten die Mieten. Profiteure strichen hohe lung. Städte wie Zürich oder Basel muss- einen Bürgerkrieg auszuarten drohte. Gewinne ein, selbst für Bruchbuden ten notleidende Familien jahrelang in Die vermeintliche Niederlage entpuppte und feuchte Zimmer ohne Licht. In den Schulhäusern oder Hotels einquartieren. sich für die Protestierenden im Nach- Auch stellten sie schnell Notbaracken hinein jedoch als Sieg. Reformen wie der Dreiviertel des Einkommens auf. Berechnungen in Winterthur zeigten, Achtstunden-Tag oder das Proporzwahl- ging für Miete und Essen drauf. dass eine Frau, deren Mann Militär- recht, das die bürgerliche Dominanz im dienst leistete, 36% des Einkommens für Parlament beendete, brachten klare Städten herrschte Wohnungsmangel, Miete, Kochgas und Petrol aufwenden Fortschritte. Andere Sozialreformen wie weil man es versäumt hatte, rechtzeitig musste. Dreiviertel der Einkünfte gingen die AHV oder das Frauenstimmrecht günstige Wohnungen zu bauen. Der allein für Miete und Nahrung drauf. liessen länger auf sich warten. Die Histo- Bundesrat wollte nicht eingreifen. Er ver- Auch die Lebensmittel waren knapp. Vie- rikerinnen und Historiker sind sich traute blind dem Markt, obwohl dieser le Mietende waren Dauergast in den einig: Dieser Streik war ein Schlüssel- offenkundig nicht mehr funktionierte. Suppenküchen, wo sie sich billig verpfle- ereignis der modernen Schweiz. Ein staatlicher Wohnbau existierte nicht. gen konnten. 1917 rationierte der Bun- Bisher wenig beachtet wurde, dass die Teils waren die Verhältnisse krass. desrat die Kohle. In den Brennstoff-Zen- Wohnkrise in den Städten eine wichtige In Zürich-Aussersihl teilten Vermieter tralen gab es für Notstandsberechtigte Ursache der damaligen Unrast war. Viele Vierzimmerwohnungen auf, legten in die verbilligtes Heizmaterial – wenn es denn Mietende gerieten nach Kriegsausbruch Räume drei bis vier Matratzen mit überhaupt welches hatte. Oft war zu- 1914 in Not. Die Männer, die Militär- Wolldecken und vermieteten die Woh- hause Frieren angesagt. dienst leisteten, erhielten damals noch nung an bis zu 20 «Schlafgänger» gleich- So wie skrupellose Unternehmer keinen Erwerbsersatz. So wurde das zeitig. Dies brachten mehr ein als eine durch Exporte in die kriegführenden Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 12
Bild Sozialarchiv Feucht, eng, dunkel: Die schlechten Wohnverhältnisse für die einfachen Leute in den Städten waren in der Zeit des Ersten Weltkriegs mit ein Grund für den Ausbruch des Landesstreiks. Länder über Nacht reich wurden und Gemeinnützigen in den 1930er-Jahren als Aktionäre Superdividenden einkassierten, wichtige Player etablierten. Die Immo- so strichen manche Grundbesitzer Ex- bilienlobby sorgte dafür, dass der kommu- traprofite ein. Der Bundesrat geriet unter nale Wohnungsbau meist nur als Not- Druck. Um die ärgsten Missstände zu standsmassnahme überlebte. Das Oltener bekämpfen, machte er den Weg für Mie- Aktionskomitee unter Robert Grimm terschutzkommissionen frei. Diese konn- hatte es verpasst, das bezahlbare Wohnen ten überhöhte Mieten kassieren und in seinen berühmten Forderungskatalog herabsetzen. Erstmals war ein staatliches aufzunehmen. Ohne diesen Fehler System von Mietzinskontrollen reali- wäre die schweizerische Geschichte im siert. Was heute unvorstellbar klingt, war 20. Jahrhundert womöglich anders zu jener Zeit Realität. Diese Gremien verlaufen. hatten alle Hände voll zu tun. Die Kom- Quelle: Roman Rossfeld, Chris- mission in Winterthur hatte von 1917 tian Koller, Brigitte Studer (Hg.): Der Landesstreik. Die Schweiz im bis 1920 insgesamt 857 Fälle zu beurtei- November 1918. Verlag Hier und len. Für Bedürftige musste die Stadt Jetzt, Baden 2018, CHF 49.– bei genehmigten Mietzinserhöhungen teils auch den Mehrzins übernehmen. In Zürich und Basel dämmerte in den Jahren um den Generalstreik die Ein- sicht, dass der genossenschaftliche Woh- nungsbau einen Ausweg aus der aku- ten Krise bietet. Nur in Zürich jedoch ge- lang es dank der Förderpolitik der «roten» Stadtregierung, dass sich die Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 13
SMV Text von Carlo Sommaruga, Präsident SMV Vorwärts! Vor kurzem wurden alle Sektionen des SMV zur ersten Sektionskonferenz eingeladen. Eine grosse Neuerung in stärken, sondern sie erleichtern auch die Arbeit des Sekretariats während der Kampagnen. Verschiedene Sektionen ha- unserem Verbandsleben. Und ein weiterer ben entschieden, dem Dachverband Der Schweizerische Mieter- Schritt auf dem Weg zur Stärkung zusätzliche finanzielle Mittel zukommen innen- und Mieterverband unserer nationalen Strukturen. Der Weg zu lassen, dies gemäss den Entschei- dahin war weit. Bis 2010 war unsere dungen unserer Delegiertenversammlung SMV stärkt seine Organi- Bewegung durch starke regionale Ver- vor drei Jahren. Das ist ein bemerkens- sation. bände geprägt. Die Generalversammlung werter Schritt, der das grosse Vertrauen des Dachverbands zählte 16 Personen. innerhalb der Mieterbewegung dokumen- Eine solche Struktur konnte keine wirkli- tiert und der vor wenigen Jahren noch chen Impulse für die Weiterentwick- kaum denkbar gewesen wäre. Wir können lung geben. Ihr mangelte es auch an einer nun kräftig, aber wohlüberlegt aus un- gewissen Legitimität. Nach starken serer Kriegskasse schöpfen, falls dies Ent- inneren Spannungen, die durch eine Miet- scheidungen des Parlaments nötig rechtsrevision noch unter dem Regime machen. von Bundesrätin Doris Leuthard ausgelöst Ein weiteres Zeichen der Reife unserer wurden, hat unsere Bewegung ent- Bewegung ist der Vorschlag, einen Soli- schieden, die eigenen Strukturen und daritätsfonds zu schaffen, mit dem die Funktionen zu überdenken. stärkeren Sektionen die schwächeren un- Seit 2011 kann der Dachverband auf terstützen können. Wir werden diese ein Führungsgremium von 15 Personen grosszügige Idee an unserer nächsten De- zählen, die alle Sprachregionen und auch legiertenversammlung diskutieren. die grossen Sektionen mit ihren unter- schiedlichen Profilen abdecken. Die Die Mieterbewegung hat einen weiten Weg zurückgelegt. Delegiertenversammlung zählt an die 150 Mitglieder. Dies verleiht den Entschei- den wie etwa zur Volksinitiative «Mehr be- zahlbare Wohnungen» eine breite de- mokratische Basis. Eine repräsentativ zu- sammengesetzte Führung gibt den Die Mieterbewegung macht sich organi- nationalen Entscheiden auch einen kräfti- satorisch fit für den politischen Kampf um gen Schub in den Sektionen selber. bezahlbare Wohnungen. Und jetzt wird unsere Bewegung auch durch ein professionelles Sekretariat geführt. Die Sektionskonferenz befasst sich mit organisatorischen Fragen und nimmt dabei die Erfahrungen auf, die in den Sektionen gemacht werden. Als Instru- ment trägt sie dazu bei, unser Funktionie- ren auf der nationalen Ebene zu har- monisieren und zu verbessern. Sie ist aber auch ein Ort des Austauschs, wo Sen- sibilisierungskampagnen oder politische Kampagnen rund ums Wohnen und das Mietrecht besprochen werden. Hier werden künftig die Strategien für die Abstimmungskampagne zu unserer Wohninitiative oder auch zu allfälligen Referenden gegen mieterfeindliche Beschlüsse des Parlaments debattiert. Diese organisatorischen Neuerungen Bild SMV werden nicht nur den Dachverband Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 14
MV Bern Text von Ralph Hug Seit gut hundert Jahren gibt 1899 taten sich erstmals Engagierte in Bern zusammen, um einen «Mieter-Ring» es den Mieterinnen- und zu gründen. Er sollte gegen Wohnungs- Mieterverband Bern. Er hat not, überrissene Mieten und schlechte eine bewegte Geschichte. Wohnverhältnisse ankämpfen. Bern litt wie andere Städte in jener Zeit unter einer akuten Wohnkrise. Die Aktion war er- 100 Jahre folgreich. Bald hatte der im Café Merz ge- gründete Verein hundert Mitglieder. Sogleich mischte er sich auch mit einer Kampf Volksinitiative in die Politik ein: Man forderte den Bau einer Siedlung mit Woh- nungen mit «mässigen Preisen» auf dem stadteigenen Spitalacker-Areal. Lei- der ging der Abstimmungskampf im Jahr 1900 verloren. Die Gegner, darunter die Stadt, Hausbesitzer und die Gewerbe- verbände, sagten, das sei zu teuer. Kampf war immer: Die neue, 30-seitige Fest- Darauf schlief der Mieterverein ein. schrift des MV Bern klärt über die Geschichte des Verbands auf. Sie kann kostenlos auf Erst 1918, nach dem Ersten Weltkrieg, der Geschäftsstelle des MV Bern und Umge- als die Wohnungsnot noch drücken- bung bezogen werden: mv@mvbern.ch, der war, auferstand er im Café Des Alpes. Tel. 031 378 21 21. Diesmal als «Mieterschutzverband der Stadt Bern und Umgebung». Er konnte so- gar ein Sekretariat im Nordquartier ein- richten. Präsident Roth warnte: «Immer Behörde. Bald zählte der Mieterinnen- sicherer treiben wir der Wohnungs- und Mieterverband zu den festen Einrich- tungen in der Bundesstadt. 1978 konnte «Wir treiben der Wohnungs- er ein eigenes Mitteilungsblatt heraus- katastrophe entgegen.» geben. Als graue Eminenz und Herz des Verbands amtete zu jener Zeit Guido katastrophe entgegen.» Denn ein grosses Rieder. Zur Professionalisierung gehörte Problem war damals die Obdachlosigkeit. schliesslich der Umzug in eigene Räume Wie andere Städte auch musste Bern an der Monbijoustrasse. Und im Kanton Baracken aufstellen und Familien vor- entstanden weitere Sektionen. Noch ist übergehend in Schulhäusern einquar- die Geschichte des MV Bern nicht zur tieren. Der Druck des MV trug dazu bei, Gänze aufgearbeitet. Aber ein erster wich- dass die Stadt handelte. So forderte tiger Schritt ist getan, mit der nun vor- der MV ein Umwandlungsverbot von liegenden Jubiläumsschrift mit dem Titel Wohnungen in Geschäftsräume sowie «Hier kann nur noch ein Zusammen- eine Festsetzung der Mieten durch die schluss der Mieter helfen». Anzeigen Haben Sie Mietprobleme? H O T L I N E 0900 900800 (CHF 4.40/Min.) Wir vermitteln Ihnen ?! Krise tatkräftige Arbeitshilfen Für Nichtmitglieder und Mietende, die es eilig haben. beim Wohnungswechsel, Auf der Hotline beantworten FachjuristInnen Ihre beim Putzen, bei Räumungen, mietrechtlichen Fragen. im Garten etc. Werktags 9 bis 12.30 h, montags bis 15 h www.etcetera-zh.ch Legen Sie vor dem Anruf allfällige Unterlagen Dietikon 044 774 54 86 Thalwil 044 721 01 22 (Mietvertrag, Kündigung usw.) bereit. Glattbrugg 044 403 35 10 Zürich 044 271 49 00 Ein Angebot des SAH ZÜRICH Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 15
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Hotline Muss ich auf die Kann ich die Miete Abgabe warten? anfechten? Frage Frage Mietzins mit einem amtlichen Mitte November beginnt mein Ich bin Mieterin und habe vor Formular mitteilen. Die Formu- einjähriges Sozialpraktikum zwei Monaten in Zürich eine larpflicht wurde eingeführt, in Ecuador. Ich kündigte deshalb neue Wohnung bezogen. Meine weil im Kanton Zürich Woh- Fabian Gloor beantwortet Ihre Fragen ordentlich und fristgerecht meine Nachbarin hat mir kürzlich gesagt, nungsknappheit herrscht. Sie Wohnung auf Ende November dass mir der Vermieter beim Ab- müssen deshalb keine per- und teilte meinem Vermieter gleich- schluss des Mietvertrags das amtli- sönliche Notlage oder eine er- zeitig mit, dass ich meine Wohnung che Formular hätte aushändigen hebliche Erhöhung des vor- bereits Mitte November abgeben sollen, auf dem der Mietzins des herigen Mietzinses nachweisen. möchte. Mein Vermieter wollte aber Vormieters vermerkt ist. Die Miete Ihr Vermieter hat Ihnen das davon nichts wissen. Er sei im No- erscheint mir sehr hoch. Kann amtliche Formular nicht abge- vember in den Ferien, und ich ich noch etwas unternehmen und geben. Der Mietzins gilt deshalb könne die Wohnung deshalb nicht den Mietzins anfechten? als nicht gültig vereinbart, und schon vorher zurückgeben. Kann er Hotline Sie sind nicht an die 30tägige einfach mit der Rücknahme der Ja. Als Neumieterin können Sie Anfechtungsfrist gebunden. Sie Wohnung zuwarten, bis er erholt den Anfangsmietzins innert 30 können folglich auch noch aus den Ferien zurückkommt? Tagen seit der Übernahme nach zwei Monaten nach der Hotline der Wohnung als missbräuchlich Schlüsselübergabe beantragen, Das könnte Ihrem Vermieter anfechten. Dies allerdings nur, dass die Schlichtungsbehörde so passen! Als Vermieter ist er wenn Sie wegen Wohnungsknapp- oder das Gericht den Mietzins grundsätzlich verpflichtet, die Woh- heit oder einer persönlichen im Zuge der richterlichen nung zu dem Zeitpunkt zurückzu- Notlage zum Abschluss des Miet- Lückenfüllung festlegt. Warten nehmen, zu dem Sie sie zurück- vertrags gezwungen waren oder Sie jedoch nicht zu lange. Denn geben wollen. Das gilt auch dann, wenn der Vermieter den Mietzins sonst kann die Schlichtungs- wenn Sie die Wohnung vorzei- gegenüber dem Vormieter «er- behörde oder das Gericht dies tig, also vor Ablauf der ordentli- heblich» erhöht hat. Im Kanton unter Umständen als rechts- chen Mietdauer, zurückgeben wol- Zürich muss der Vermieter missbräuchlich beurteilen und len. In ganz seltenen Fällen, et- dem Mieter den zuletzt bezahlten Ihr Begehren ablehnen. wa wenn die Mieterschaft die Woh- nung zu Unzeiten, z.B. an einem Sonntag oder Feiertag, zurück- geben will oder wenn der Vermie- ter beispielsweise im Ausland wohnt und die Rückgabe für ihn deshalb mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden ist, könnte er die Rücknahme ausnahms- weise verweigern. Wegen Ferien kann der Vermie- Macht der Vermieter Ferien, muss er die Wohnungsabgabe delegieren. ter die Rücknahme sicher nicht verweigern. Sie haben ihm die vor- zeitige Rückgabe der Wohnung weit im voraus angekündigt. Er hät- te folglich genügend Zeit gehabt, um allenfalls einen Stellvertreter zu organisieren, der die Wohnungs- rücknahme für ihn erledigt. Soll- te der Vermieter nicht zur Rück- gabe erscheinen, dann schicken Sie ihm die Schlüssel mit eingeschrie- benem Brief zurück. Ab diesem Zeitpunkt gilt die Wohnung als ab- Bild fotlia gegeben, und die Sache ist für Sie erledigt. Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 17
Miettipp Text von Fabian Gloor Bild Patric Sandri Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 18
Jetzt ist wieder «Pilzsaison» Im Camembert ist er eine Delikatesse, in der Wohnung nicht: der Schimmelpilz. Bei kühlen Temperaturen nistet er sich gerne in so manchen Wohnungen ein. Was tun? Geräuschlos und unsichtbar wirbeln sie Wald benötigt auch der Schimmelpilz eine defekte Wasserleitung, die das Mauer- als mikroskopisch kleine Pilzsporen zum Gedeihen ein feuchtes Klima. Zug- werk durchfeuchtet, sind weitere Bau- durch die Luft. Treffen sie dann auf eine luft mag er hingegen gar nicht. Eine mängel, die zu Schimmelpilz führen und feuchte Oberfläche, so bleiben sie häufige Ursache für Schimmelpilze sind vom Vermieter zu verantworten sind. kleben und entwickeln sich zu modrig sogenannte Wärmebrücken, beispiels- Wer ungenügend oder falsch lüftet, riechenden, zerstörerischen Pilzbelägen. weise schlecht isolierte Aussenwände. sein Schlafzimmer mit Zimmerpflan- Diese sind nicht nur eklig, sondern Kühlt die Raumluft an kalten Wand- zen in einen Regenwald verwandelt oder können auch die Gesundheit schädigen. oberflächen ab, bildet sich darauf Kon- den Luftbefeuchter im Dauermodus ar- Schimmel kann Bronchitis, Asthma, denswasser. Die feuchte Fläche bildet beiten lässt, trägt unweigerlich zur Schim- Lungenentzündungen und weitere Atem- dann einen idealen Nährboden für melbildung bei. Wenn Sie beim Kochen wegerkrankungen verursachen. Schim- ordentlich «Dampf ablassen» oder Ihr melpilz sollten Sie deshalb nicht unterschät- Schimmel kann Ihre Gesund- Wohnzimmer zum Waschsalon umfunk- zen. Oft graut der ungebetene Gast heit beeinträchtigen. tionieren, dürfen Sie sich ebenfalls nicht still und leise – zum Beispiel hinter einem über Schimmelbefall wundern. Die Möbelstück – vor sich hin und breitet Schimmel. Platziert man beispielsweise Heizung im Winter ganz zuzudrehen ist sich dort weiter aus. Wer als Mieter oder ein Sofa an einer Aussenwand, so wird auch keine gute Idee. Kalte Raumluft Mieterin in seiner Wohnung Schimmel die Luftzirkulation hinter dem Möbel- kann weniger Feuchtigkeit aufnehmen, feststellt, sollte dies sofort der Verwaltung stück behindert. Dadurch trocknet allfäl- wodurch sich mehr Kondenswasser mit eingeschriebenem Brief melden. liges Kondenswasser auf der Wand bildet. Alle diese Verhaltensweisen allein Schiessen Sie am besten mit dem Handy nicht ab. Dass dies die Schimmelbildung führen in der Regel jedoch noch nicht gleich noch ein paar Fotos, die das fördert, liegt auf der Hand. Die Haupt- zu einem Schimmelbefall. Die Feuchtig- Ausmass des Übels dokumentieren. Ihr ursache für das Auskühlen der Wände und keit in Innenräumen ist meistens auf Vermieter wird wahrscheinlich versuchen, damit auch für den Schimmel liegt meis- ein subtiles Wechselspiel vieler Ursachen Ihnen die Schuld am Schimmelbefall tens an der schlechten Isolation. Für zurückzuführen. Damit der Vermieter in die Schuhe zu schieben, indem er Ihnen solche Baumängel ist grundsätzlich der Sie als Mieterin oder Mieter für den vorwirft, nicht genügend gelüftet zu Vermieter verantwortlich. Eindringendes Schimmelbefall belangen kann, muss er haben. Doch lassen Sie sich davon nicht Regenwasser, durchsickernde Feuch- zweifelsfrei nachweisen, dass Sie alleine abschrecken. Wie der Pfifferling, die tigkeit in Kellerräumen, ungenügend aus- oder mehrheitlich für den Schimmel- Morchel und andere Verwandte aus dem getrockneter Beton in Neubauten oder befall verantwortlich sind. Dieser Nach- Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 19
Bild Fotolia Schimmelpilz erfordert ein entschiedenes Eingreifen. Bei Baumängeln haftet der Vermieter für die Beseitigung. weis ist im Einzelfall äusserst schwierig zu zuständigen Schlichtungsbehörde hinter- gekostet hat. Zudem schuldet Ihnen erbringen. Auch Experten kommen oft legen. Doch Vorsicht! Für eine korrekte der Vermieter nicht den Neuwert, son- zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hinterlegung müssen Sie einigen formel- dern es ist die Altersentwertung zu Gelingt dem Vermieter dieser Nach- len Stolpersteinen aus dem Weg gehen. berücksichtigen. Und diese ist schwer zu weis nicht, muss er den Schimmel auf Lassen Sie sich deshalb am besten vorher beziffern. seine Kosten beseitigen. Die Beseitigung durch den Mieterinnen- und Mieterver- Bei starkem oder wiederholtem Schim- sollte fachmännisch vorgenommen band beraten. melbefall reisst bei vielen Mietenden werden. Javelwasser und andere Haushalt- Für die verminderte Wohnqualität der Geduldsfaden. Sie kündigen deshalb mittelchen wirken meist nur oberfläch- durch den Schimmelbefall sowie die Um- fristlos und verlassen die Wohnung lich, und der unliebsame Mitbewoh- triebe bei dessen Beseitigung haben fluchtartig. Doch ist eine fristlose Kündi- ner zieht im Nu wieder bei Ihnen ein. betroffene Mietende Anspruch auf eine gung in einem solchen Fall zulässig? Rechtlich handelt es sich beim Schimmel Bei schweren Mängeln, welche die Benut- um einen Mangel am Mietobjekt. Denn Für Baumängel ist der zung der Wohnung unzumutbar machen der Vermieter ist verpflichtet, den Mieten- Vermieter verantwortlich. oder erheblich beeinträchtigen, dürfen den eine mängelfreie Wohnung zur Ver- die Mieterinnen und Mieter fristlos fügung zu stellen, die mit normalen Mietzinsreduktion. Die Höhe der Reduk- kündigen. Doch so einfach lässt Sie Ihr Lebensgewohnheiten nutzbar ist. Kann tion steht nirgends im Gesetz, sondern Vermieter womöglich nicht springen. man den Schimmelbefall nur durch stun- ist eine Ermessenssache. Mit einer Reduk- Denn über die Frage, ob der Schimmel in denlanges Lüften verhindern, so ist die tion von 10 bis 20% bei einem mittle- Ihrem Schlafzimmer schwerwiegend Wohnung nicht normal nutzbar. Ständi- ren Schimmelbefall sind Sie aber gut be- genug ist, lässt sich trefflich streiten. Es ges Lüften ist unzumutbar. Dasselbe gilt, dient. Und was ist nun mit Ihrer geliebten ist eine Ermessenssache. Ist eine Schlich- wenn an den Aussenwänden keine Mö- Ledercouch, die völlig verschimmelt tungsbehörde oder ein Richter nach bel aufgestellt werden dürfen. Darauf müss- ist und nun im Sperrmüll ihre letzte Ruhe Ihrem Auszug der Meinung, der Schim- te der Vermieter vor Abschluss des Miet- finden muss? Grundsätzlich muss Ihnen melbefall sei nicht schwerwiegend genug, vertrages hinweisen. Zögert Ihr Vermieter der Vermieter diesen Schaden ersetzen. um fristlos zu kündigen, müssen Sie die Beseitigung des Schimmels unnötig Leider ist es nicht so einfach, diesen noch Mietzins nachzahlen. Bevor Sie hinaus, können Sie ihn unter Druck Anspruch durchzusetzen. Sie müssen be- fristlos kündigen, sollten Sie sich deshalb setzen, indem Sie den Mietzins bei der weisen, wie viel die beschädigte Couch ebenfalls beim lokalen MV informieren. Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 20
Urteile Überhitzte Wohnung Die Normaltemperatur für eine Wohnung liegt bei 20-21 Grad bzw. 19-20 Grad bei Minergie- Standard. Bei einer Abweichung von 3-5 Grad liegt ein Mangel vor, der eine Mietzinsreduktion rechtfertigt. Art. 259a OR Die Mieter einer 4-Zimmerwohnung in Das kantonale Gericht stellte fest, dass Genf mit Parkplatz in der Tiefgarage die Normaltemperatur einer Wohnung beklagten sich über diverse Mängel. Ihre bei 20-21 Grad bzw. 19-20 Grad bei Miner- Wohnung sei trotz gedrosselter Heizung giehäusern liege und ein Mangel vorlie- überhitzt, da Storen oder Balkonvor- ge, wenn die tatsächliche Temperatur 3 bis hänge fehlten. Zudem sei ihr Bodenbelag 5 Grad davon abweiche. Diese Praxis verfärbt und müsse ersetzt werden. wurde vom Bundesgericht geschützt und Die gemeinschaftlichen Räume seien ver- dürfte bei künftigen Klagen wegen über- schmutzt. Weiter dringe wegen eines hitzter oder zu kalter Wohnung eine will- defekten Garagentors bei starkem Regen kommene Richtschnur sein. Aus dem Wasser in die Tiefgarage ein und über- Entscheid ergibt sich zudem, dass der schwemme auch den gemieteten Park- Mangel nach einem beigezogenen Experten- platz. Das kantonale Gericht gewährte für bericht mit Storen bzw. einem Balkon- die überhitzte Wohnung eine Mietzins- vorhang auf der Südseite behoben werden reduktion von 7.5% und verpflichtete die kann. Die Vermieterin machte dazu aber Vermieterin, auf der Seite des Südbal- geltend, es handle sich um günstigen kons entweder Storen oder einen Balkon- Wohnraum, und der Mieter habe bereits vorhang aus Zeltstoff anzubringen. bei der Besichtigung der Wohnung Für den verfärbten Bodenbelag, die ver- erkennen können, dass ein Sonnenschutz schmutzten Gemeinschaftsräume, fehle. Dem entgegnet das Bundesgericht, den überschwemmten Parkplatz und das dass der Mangel die Überhitzung sei, defekte Garagentor wurden je 5% Miet- Storen oder Balkonvorhang dagegen nur zinsreduktion mit unterschiedlicher die geeignete Behebung dieses Mangels. Dauer zugesprochen. Die Vermieterin Es liege kein Beweis vor, dass dieser wurde verpflichtet, auch diese Mängel zu Mangel bereits bei Vertragsabschluss mit beheben, soweit dies nicht bis dahin einer Mietzinsreduktion abgegolten geschehen war. Die Vermieterin gelangte worden sei. Das Bundesgericht tritt damit ans Bundesgericht. der Auffassung entgegen, dass Mangel- Ob ein Mangel vorliegt, ergibt sich qualität von vornherein nur haben könne, aus dem Vergleich zwischen dem zum vo- was vom besichtigten Zustand und da- rausgesetzten Gebrauch tauglichen (Art. mit von der vertraglichen Vereinbarung ab- 256 Abs. 1 OR) und dem tatsächlichen weiche. Es gibt nach Bundesgericht Grund- Zustand. Nach dieser Differenztheorie eigenschaften eines Mietobjekts, die sich wird auch die geschuldete Mietzinsherab- bereits aus seinem Verwendungszweck Bild M+W setzung bemessen. Das Bundesgericht ergeben. Dazu gehört bei einer Wohnung geht grundsätzlich vom Sachverhalt aus, eine normale Raumtemperatur. auf den sich die Vorinstanz stützt. Da- Die gewährte Reduktion von 7.5% liegt her sind im Mängelrecht höchstrichter- nach Bundesgericht noch innerhalb des liche Entscheide oft nicht sehr erhellend. richterlichen Ermessensspielraums, auch In zwei Punkten allerdings ist der Ent- wenn sie eher hoch sei, weil die Wohnung scheid von allgemeinem Interesse. Sie be- nur an sonnigen Tagen überhitzt ist. Bild M+W treffen die normale Raumtemperatur BGer_4A581/2016 vom 25. April 2017 (Original und den Begriff des Mangels. französisch) Mieten + Wohnen Oktober 2018 Nr. 5 21
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