Hans J. Wulff: Motorradfahren im Film und die Zyklen der Biker Movies

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Hans J. Wulff:
Motorradfahren im Film und die Zyklen der Biker Movies
Eine Printfassung des folgenden Artikels erschien in der Montage AV 23,1, 2014, S. 11-32.
URL der Online-Ausgabe: http://www.derwulff.de/2-200.

1. Stoffkreise und Genrezyklen: Biking in the Mo-           soziiert. Treten Biker in der Öffentlichkeit auf, sind
vies                                                        ihre Verhaltensweisen auf Provokation, Machtde-
                                                            monstration und die latente Androhung von Gewalt
Das inzwischen fast sechzigjährige Genre des Biker-         ausgerichtet. Biker stehen im populären Urteil auf
Films (biker movies) ist nicht aus dem Leib-Erlebnis        der Grenze zur Kriminalität, fallen so auch aus dem
des Fahrens heraus und auch nicht aus der Mobili-           Gesetzesrahmen heraus, den sich bürgerliche Gesell-
sierung vor allem ärmerer Volksschichten motiviert,         schaften geben und der – nicht nur in der US-ameri-
sondern vielmehr den Motorrad-Clubs (und den von            kanischen Tiefenideologie – einen zivilisatorischen
ihnen abgeleiteten sozialen Formationen) sowie de-          Grundwert ausmacht.
ren Begegnung mit bürgerlichen Siedlungs- und Le-
bensformen gewidmet. In den 1930ern schlossen               Das Interesse an der Innenwelt der Motorradclubs
sich in den USA erste Gruppen von Motorradfahrern           erwachte angesichts der Geschichte des Motorrads
zu Motorcycle Clubs (oder kurz: MCs) zusammen.              und seiner Nutzungsformen – von Ausnahmen abge-
Nach dem Weltkrieg verbreiteten sich derartige For-         sehen – erst spät. In den Dramatisierungen der
mationen in allen Kulturen der Industrienationen.           1950er bis noch 1990er Jahre, die ich im Folgenden
Seitdem ist der Biker (im Deutschen: Rocker) als            vorstellen werde, wurden sie fast immer als eine Art
auch äußerlich auffallender sozialer Typus aus kei-         „gesellschaftliches Außen“ beschrieben, als eine
ner ihrer Realitätsvorstellungen mehr wegzudenken           fremde und möglicherweise bedrohliche Welt. Erst
[1]. Biker markieren dabei fast immer eine Gegen-           in den 1990ern häuften sich dokumentarische Arbei-
welt zur bürgerlichen Normalität, gehen mit einer           ten, die sich der Realität und subjektiven Bedeutung
Vision der essentiellen Störung oder sogar Zerstö-          des Motorradfahrens ebenso annehmen wie der Por-
rung bürgerlicher Weltordnung einher. Die Figur des         trätierung der Motorrad-Clubs. In der semiotischen
Bikers ist Gegenstand einer ausgreifenden Bilder-           Arbeit der Spielfilme hat man es mit „Rocker- oder
und Geschichtenphantasie – sie ist eine Imagination         Biker-Gangs“ und „-Banden“ zu tun, organisiert
der Nicht-Biker, keine oder nur in einem abgeleite-         nach Mustern, die denen von Gangster-Banden ab-
ten Sinne aus realer Erfahrung gespeiste Vorstellung.       gelauscht sind; erst im dokumentarischen Zugriff
Reales und Imaginäres werden miteinander ver-               stellen sich die Gruppen als gesellschaftliche Mikro-
schmolzen. In diesem Sinne ist der Biker Vertreter          Welten dar, mit eigenen Werten, Rollenbeziehungen,
eines eigenen Lebensstils, der sich von bürgerlichen        Ritualen, Kodifizierungen und Umgangsformen. Mit
Normen und gesellschaftlichen Regeln scharf ab-             der Intensivierung der dokumentarischen Zuwen-
grenzt. Es sind die Lederwesten, die sogenannten            dung zum Motorradfahren und seinen zahllosen Er-
Kutten, vielfach in den Farben der jeweiligen Clubs         scheinungsformen wird auch die subjektive Bedeu-
(colors), Club-Embleme, großflächige Tätowierun-            tung des Fahrens neu gefasst. Und eine ganze Reihe
gen mit oft provozierenden Motiven, die im Ge-              von Filmen haben in den letzten zwanzig Jahren das
dächtnis haften. Die Clubs sind zudem soziale Ge-           Motorradfahren mit dem Reisefilm vermählt, das Er-
meinschaften, meist hierarchisch aufgebaut, mit             lebnis der Bewegung mit einer modellhaften Vorstel-
scharfer Trennung der Geschlechterrollen. Die In-           lung einer nicht-moderierten Besichtigung der Welt
nenbeziehungen der Clubs sind durch Ehrenkodizes            integrierend (ein neues Genre, das sich für Verwer-
geregelt, Loyalität ist die wichtigste Tugend, auf die      tungen im Fernsehen anbietet).
sich die Mitglieder verpflichten. So militärisch-mön-
chisch diese Organisationsformen anmuten, so ex-            Das Genre der Biker-Filme handelt also weniger von
zessiv sind die Alltags- und Freizeitpraxen mit der         einzelnen Fahrern als vielmehr von Biker-Gruppen.
oft gewalttätigen Auseinandersetzung mit anderen            Es entstand im Gefolge der innergesellschaftlichen
MCs, Alkohol- und Drogenexzessen, männlich do-              Herausbildung vor allem jugendlicher Subkulturen
minierten Formen der Sexualität und ähnlichem as-           in den 1950er Jahren, die den vielleicht wichtigsten
Trend der kulturellen Entwicklung der USA jener           zudem noch durch Publikumserfolg herausgestellt
Dekade darstellte. Wenn auch die Doktrin von Kir-         sind) und eine Peripherie mit abnehmender Typizität
chen und Politik, von Aufsichtsbehörden und bil-          der Beispiele. Das Modell schließt eine Rezeptions-
dungspolitischen Stellen unverändert an einem Ame-        mit einer Produktionsperspektive kurz: Erfolgreiche
rika christlicher Grundwerte festhielt, nahm sich ge-     Filme nehmen Themen- und Formenbedürfnisse des
rade die Filmindustrie der entstehenden Subkulturen       Publikums auf und werden ihrerseits als Leitlinien
an (Gilbert 1986, 183ff). Eine besondere Rolle spiel-     neuer Produktion genommen. Zyklen sind nicht
ten dabei die Motorrad-Clubs, die vor allem an der        scharf gegeneinander abgegrenzt, sondern überlap-
amerikanischen Westküste entstanden waren. In ei-         pen einander.
ner Verbindung von Motorradfahren, Gruppenbil-
dung, Verhalten, Outfit und gemeinsamer Musikstile        Die Geschichte des Biker-Films läßt sich in drei der-
entstanden (in der Realität, vor allem aber in den fik-   artige Zyklen gliedern, die jeweils auf einen (oder
tionalen Welten des Kinos) gesellschaftliche Gegen-       zwei) Kernfilme zurückgehen:
welten, die sich manchmal rigide gegen die umgrei-        (1) die Rockerfilme, die im Anschluss an THE WILD
fende Gesellschaft abschotteten. Doch das Genre ist       ONE (1953) entstanden;
nicht homogen, sondern entfaltet sich in mehreren,        (2.1) die Hells-Angels-Filme im Anschluss an THE
klar voneinander unterscheidbaren Zyklen, die im          WILD ANGELS (1966);
Folgenden einzeln vorgestellt werden. Es handelt          (2.2) die Easy-Rider-Filme nach dem gleichbetitel-
sich fast ausnahmslos um amerikanische Produktio-         ten Film (1969);
nen (vgl. die Liste in Wulff 2011), was einerseits auf    (3) und die Mad-Max-Filme nach dem unerwarteten
die besondere Bedeutung der innergesellschaftlichen       Erfolg des Endzeitfilms gleichen Titels (1979).
Differenzierung im US-amerikanischen Kulturraum           Die zahlreichen anderen Filme aus dem Stoffbereich
hindeutet, zum anderen darauf, dass die Filme in ei-      des Motorradfahrens im Film (insbesondere Sport-,
ner noch zu erläuternden Weise Werte der amerika-         Reise- und Dokumentarfilme) gehören keinem die-
nischen Tiefenideologie aufgreifen und thematisie-        ser Zyklen und eigentlich auch nicht dem Genre des
ren.                                                      Biker-Films an, auch wenn sie gelegentlich auf de-
                                                          ren Darstellungsmittel zurückgreifen.
In aller Regel wird das Genre homogen behandelt.
Die Bezeichnung ist allerdings schwankend – man-
che sprechen vom Biker-Film, manchmal wird es             2. Erster Zyklus: Die Rockerfilme
komplett dem Road-Movie zugeordnet, manchmal
werden die Biker-Filme im engeren Sinne als outlaw        Zum öfters bearbeiteten Thema und zu einem mehr-
biker movies separiert oder als biker gang film titu-     fach variierten Motiv des Kinos wurde der Biker
liert; selbst die Bezeichnung chopper operas wird         resp. die Biker-Gang erst mit dem Aufkommen der
gelegentlich verwendet. Ich werde im Folgenden            Jugendkultur in den 1950er Jahren. Es war Marlon
von dem von Thomas Schatz (1981), Rick Altman             Brando, der der Erscheinung des Rockers für viele
(1999) und anderen vorgeschlagenen Modell ausge-          Jahre das Vorbild abgab. Der Film THE WILD ONE
hen, das Genres gerade nicht als homogene Gebilde         (USA 1953, Laszlo Benedek) lieferte fast so etwas
ansieht, sondern von einer permanenten Veränderung        wie eine dramatische und narrative Schablone, auf
der Formen und Stoffe ausgeht und darum Genrege-          die sich zahlreiche Folgefilme beziehen konnten:
schichte in Zyklen gliedert – Gruppen von Filmen,         Ein kleines Städtchen wird von einer Rocker-Gruppe
die auf verwandte Themen, Erzählmuster, dramati-          terrorisiert, gerät gar in eine Auseinandersetzung
sche Konstellationen etc. rekurrieren. Oft (aber nicht    zwischen zwei Gangs. Ein Mann stirbt, doch ist der
immer) werden Zyklen durch erfolgreiche Filme             Anführer der einen Gruppe, der des Totschlags be-
ausgelöst, die zu einer Art „serialisierter Produktion“   zichtigt wird, unschuldig. Es ist ausgerechnet die
führen, in der das erfolgreiche Grundmuster variiert,     Tochter des Sheriffs, die ihn entlastet.
moduliert und mit anderen Mustern amalgamiert
wird. Dabei kommt es auch zum Rezyklieren einst           Der Film etablierte das Bild des Rockers: Er fährt
standardisierter Genreformate, die eigentlich längst      Motorrad und tritt meistens in Gruppen auf. Die
durch neue Formen abgelöst zu sein schienen. Zy-          Gruppen fühlen sich nicht durch Sitte und Anstand
klen haben insofern jeweils einen zentralen Bereich       gebunden, lavieren immer an der Grenze zur Illega-
der besonders prägnanten und typischen Filme (die         lität. Der Biker ist aber kein Gangster im herkömm-
lichen Sinne – Konflikte trägt er nicht mit Waffen,        tungsmuster, in denen die Objektwelt behandelt
sondern durch körperliche Auseinandersetzung aus.          wird, so stark von der Normalität abweichen.
Der Rocker trägt Lederkleidung. Brandos Erschei-
nungsbild nimmt zwar dress codes der Biker seiner          Dabei ist der Rocker dieses Genres keine Kunstfigur.
Zeit auf, doch er popularisiert sie und macht sie          Die Realität selbst bildet den Unterboden, auf dem
weltweit bekannt. Sie blieben bis in die Punk-Ära als      schon die Story von THE WILD ONE entstanden war:
Leitbilder in Funktion (Phillips 2005; Stern/Stern         Sie geht zurück auf eine Kurzgeschichte, die 1951 in
1987, 57).                                                 Harper‘s Magazine erschienen war und ihrerseits
                                                           auf Geschehnissen aus dem kalifornischen Städt-
Der Rocker ist eine antibürgerliche Schreckensge-          chen Hollister basiert, das 1947 von mehreren hun-
stalt, in der sich die Abwehr der oft als rebellisch an-   dert Motorradfahrern überfallen und tagelang terrori-
gesehenen Jugendstile djener Zeit kondensiert.             siert worden war (vgl. Rubin 1994, 359f; Stiglegger
Selbst ein so biederer Film wie DER PAUKER (BRD            2006, 50f). Das Titelbild der Life, die über das Ge-
1958, Axel von Ambesser) inszeniert die von Klaus          schehen in Hollister berichtete, zeigt einen Biker in
Löwitsch gespielte Figur des problematischen Ju-           genau jenem Outfit, das Marlon Brando später so
gendlichen in den Kleidungsstilen des Rockers (und         populär machte (Stern/Stern 1987, 56, 206). Die fil-
es nimmt nicht wunder, dass ausgerechnet er sich           mische Inszenierung lehnte sich eng an reale Vorbil-
der pädagogisch kontrollierten Verbürgerlichung ent-       der an.
zieht, von der der Film erzählt). Die Biker-Figur ge-
hört zu den Ausdrucksformen der juvenile delin-            Auch die Anlage der Figur hat mit realhistorischen
quency (zu ihrer Filmgeschichte vgl. McGee/Ro-             Ereignissen zu tun. Dass sich der Rocker schon in
bertson 1982), die parallel zur Altersdifferenzierung      den 1960ern zu einem stereotypen Bösewicht entwi-
der Gesellschaft die Jugendlichen in einer oft nur         ckelte – gewalttätig, sexuell bis zur Vergewaltigung
ungenau zu umreißenden Opposition steht, in einer          aggressiv, rachsüchtig, Drogen genießend, am Ende
diffusen Rebellion gegen die Dominanz der Väter,           zur Bildung krimineller Vereinigungen bereit – ist
gegen die Enge der Konventionen, die Disziplinie-          ebenso der Realität selbst abgelauscht. Zur ideolo-
rung aller Formen der Lust. Dass gerade die Welt der       giegeschichtlichen Einschätzung des Genres ist auf-
Biker-Gruppen sich als eine rabiat-machistische            fallend, dass die Figur aus der Perspektive der bür-
Männerwelt darstellt, die in sich hochritualisiert ist     gerlichen Gesellschaft gezeichnet ist, nicht aus jener
und viel schärfere Hierarchien kennt als die umge-         der Rockergruppen. Russ Meyers MOTORPSYCHO
bende Gesellschaft, wirkt angesichts der rebellischen      (1965) ist ein Inbegriff dieser Konzeptionierung des
Grundhaltung fast grotesk. Und wie eng die Bindung         Rockers, dessen Charakteristik in variierenden Kon-
an die Mutterkultur ist, kann auch an der Travestie-       texten bis heute fortentwickelt worden ist, dessen
rung bürgerlicher Rituale wie Hochzeiten und Beer-         Grundelemente ihm aber viel länger anhaften: Ge-
digungen abgelesen werden [2].                             walt, Sex, Drogen gehören zum Image der Rocker-
                                                           Gruppen bis heute (ein Bild, das auch manche der
Andere Filme gingen über das Spiel mit der sich vor        realen Motorrad-Clubs wie die Hells Angels oder die
allem im Symbolgebrauch formierenden Provokati-            Bandidos immer wieder unterfüttern). Bereits die
on hinaus und stellten die Biker-Abweichler nicht          schweren Auseinandersetzungen zwischen den bei-
nur in einen narrativen Konflikt, sondern untersuch-       den Subkulturstilen der Mods und der Rockers im
ten vor allem ihre Sachkultur auf tiefere Bedeutun-        England der frühen 1960er [4] verfestigten die Vor-
gen hin: Insbesondere SCORPIO RISING (1964, Ken-           stellung einer antikulturellen, ja sogar latent antige-
neth Anger) inszenierte das Outfit und die Motorrä-        sellschaftlichen Tendenz, die den verschiedenen Ju-
der – verbunden mit Rock‘n‘Roll-Titeln der Zeit –          gendkulturen anlastete. Stanley Cohen (1972) titu-
fast wie Fetisch-Objekte, so dass die verborgenen          lierte seinerzeit insbesondere die Rockerfiguren als
(homo-)erotischen Bedeutungen und die veränderten          folk devils, die Reaktion der bürgerlichen Gesell-
Umgangsweisen mit Sinnlichkeit und Körper lesbar           schaft verstand er als „moralische Panik“, die unmit-
wurden, die mit den Objekten der Bikerkultur ver-          telbar zu politischen und juristischen Verhärtungen
bunden waren [3]. Auch dieser Film stellt die              im Umgang mit der Jugendkultur geführt habe.
Rocker-Figur deutlich gegen die bürgerliche Kultur,        In manchen Teilen der Populärkultur trat die Rocker-
behauptet sie als Gegenkultur, gerade weil die Deu-        Figur in den 1960ern in der holzschnittartigen Präg-
                                                           nanz, wie sie im thematischen Feld der juvenile de-
linquency movies der 1950er sich herausgebildet hat-     went looking for America, and couldn‘t find it any-
te, wieder zurück. Sie hatte aber auch dann ein lan-     where!“
ges Nachleben. Noch die Figur des Eric Von Zipper
und seine sich selbst als „Rat Pack“ bezeichnende        Manche Biker-Filme der Zeit beziehen sich deutlich
Gruppe zitieren und ironisieren das Stereotyp zehn       auf die dramatischen Konflikte des Western, ein Be-
Jahre später in den so harmlosen Coming-of-Age-          zug, an dem man die tiefenideologischen Bedeutun-
Filmen des Beach-Party-Zyklus (zuerst in BEACH           gen dieser Filme ermessen kann [6]. In THE BORN
PARTY, 1963, William Asher). Und auch der MC             LOSERS (1967, Tom Laughlin) gerät der Protagonist
„Black Widows“, der in dem Clint-Eastwood-Film           bei seiner Rückkehr aus Vietnam mit einer Biker-
ANY WHICH WAY YOU CAN (USA 1980, Buddy Van               Gruppe aneinander. Vor seinem Einsatz als Soldat
Horn) den Helden quer durch Amerika verfolgt und         hatte er seinen Lebensunterhalt als Cowboy und Ro-
ihn eigentlich daran hindern soll, sein Ziel zu errei-   deo-Reiter verdient; danach konnte man davon nicht
chen, wird zum Opfer einer ganzen Reihe grober           mehr leben, Motorradfahren hat das Reiten abgelöst.
Slapstickiaden – seine ursprüngliche Gefährlichkeit      Das Western-Thema der Ablösung angestammter Ar-
ist zwar noch ikonografisch angezeigt, narrativ ist      beits- und Lebensformen einer agrarischen Kultur
der Club dagegen nur noch komische Nebenfigur.           durch moderne, mit Maschinen assoziierte Produkti-
                                                         ons- und Lebensformen findet sich auch hier (wenn-
                                                         gleich der Vergleich unter realistischer Perspektive
3. Zweiter Zyklus: Antihelden und Bösewichter –          fast absurd unglaubwürdig ist). Man mag auch die
Easy Riders und Hells Angels                             Angriffe von Bikern auf Kleinstädte als Konfrontati-
                                                         on älterer ruraler Lebensformen mit solchen urbaner
Ein neues Bedeutungsfeld entstand in der zweiten         Herkunft ansehen – auch hier steht die Frage der
Hälfte der 1960er – und wieder waren es reale Be-        Modernität der sozialen Aggregationsformen zur
dingungen, auf die die Filme der Zeit antworteten.       Diskussion. (Erinnert sei daran, dass der Gangster-
Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg, Studenten-           film mit seinen sozialen Formationen ein rein urba-
und Rassenunruhen: Eine tiefe Spaltung der ameri-        nes Phänomen und gebunden an das industrialisierte
kanischen Gesellschaft in ein konservatives und ein      Amerika des 20. Jahrhunderts ist.) Westernbezüge
kritisches Lager wurde an vielen Stellen sichtbar [5].   haben auch die „Biker-Cops“, die „legitime Nach-
Ausgerechnet ein Film wie EASY RIDER (1969, Den-         fahren von Cowboy und reitendem Marshall [sind],
nis Hopper) stellte die Frage nach den Werten der        die ältere Einheit von Pferd und Reiter wird zur Ver-
amerikanischen Tiefenideologie – und beantwortete        schmelzung von Biker & Bike“ (Kaczmarek o.J.)
sie mit einer fast paradoxalen Konsequenz: Zwar          [7].
stoßen die Helden der Geschichte überall auf Ab-
wehr und Missverständnis; ihre Ungebundenheit, ihr       So sehr sich die Verwandtschaften der Biker-Filme
freizügiger Umgang mit Sexualität, der explizit be-      zum Western auch aufdrängen, so deutlich sind doch
nannte Drogenkonsum fügten sich so gar nicht in die      die Unterschiede: Im Bikerfilm stehen nicht die
Wertvorstellungen der kleinen ländlichen Gemein-         good guys im Zentrum, sondern die outlaws. Erst am
den, die sie auf ihren Fahrten berührten. Und doch       Ende der Filme werden die Biker-Helden bestraft;
können sie sich auf die in der amerikanischen Ver-       bis dahin stehen sie im Zentrum der Geschichte, sie
fassung garantierte individuelle Ungebundenheit und      bilden die Anker für die Partizipation des Zuschau-
Freiheit berufen. Wenn ihnen mit oft aggressiver Ab-     ers (Stern/Stern 1987, 56). Western behandeln die
wehr begegnet wird, so sind es genau diese Vertreter     Zivilisierungsgeschichte, treiben die frontier in ei-
einer amerikanischen Normalität, die Grundwerte          nem positiven Sinne voran; Biker-Filme dagegen
aufgeben, das Projekt der américanité verraten. Die      sind Geschichten der De-Zivilisierung, erzählen von
Protagonisten des Films sind Antihelden, die zwar        der inneren Gefährdung der Werte der Zivilisation
moralisch im Recht sind, aber dennoch zu Opfern          und der Kultur (Stern/Stern 1987, 56).
der Umstände und der Geschichte werden. Die Ma-
cher von EASY RIDER waren sich der tiefenideologi-       Auch das schon in THE WILD ONE bezogene Genre
schen Bedeutung des Films durchaus bewusst, als          des small town movie bildet einen konzeptionell-ge-
sie ihn mit einem Slogan bewarben, der die para-         nerischen Hintergrund der Biker-Filme: Die small
doxale Anlage der Geschichte akzentuierte: „A man        town ist ein soziales Gebilde mit hoher Innenkon-
                                                         trolle, das auf äußere Störungen sehr sensibel rea-
giert. Sie ist in den USA ein Kern-Symbol nationaler    ter liegt dagegen gefesselt im Sarg. Die Orgie endet
Ideologie und muss in Verbindung mit den Wertvor-       erst, als Heavenly Blues zur Beerdigung ruft. Der
stellungen gesehen werden, die mit Heirat, Familie      Sarg wird überhastet durch das kleine Dorf getragen,
und Freundschaft, Sexualität und Status, Arbeit und     angeführt und gefolgt von den Bikern auf ihren Mo-
öffentlichem Leben sowie kommunaler Politik ver-        torrädern. Nach einer Schlägerei mit den Dorfbe-
bunden sind – die den Werthorizonten des Biker-Le-      wohnern auf dem Friedhof kündigt sich die Polizei
bens fast konträr entgegengesetzt sind (vgl. dazu       mit ihren Sirenen an, als die Biker fliehen. Nur Hea-
Levy 1991; McKinnon 1984).                              venly Blues beibt zurück, resigniert, Erde in das
                                                        noch offene Grab werfend. So grotesk das Gesche-
Eine paradox-widersprüchliche Beziehung der Ge-         hen in der Kirche und die Prozession zum Friedhof
schichten zur Moral der Geschichten durchzieht das      scheinen, schwenken die Sympathien des Zuschau-
Genre von Beginn an: Auf der einen Seite sind die       ers am Ende auf die Flüchtenden und vor allem auf
Figuren der Biker-Bösewichter diejenigen, die die       die zurückbleibende Figur, die die Konfrontation mit
größte Faszination an sich binden; von ihnen gehen      der bürgerlichen Gesellschaft auch nach der (nicht
die Handlungsimpulse aus, sie verankern den Zu-         gezeigten) Festnahme fortsetzen wird.
schauer in der Filmhandlung. Der Zuschauer ist
nicht mehr in einer Position des Rechts konstituiert,   In den wenigen Jahren der Blütezeit des Genres ha-
sondern in einer der Angst. Die im klassischen Wes-     ben sich eine ganze Reihe von Schlussformeln her-
tern so selbstverständliche Erwartung des „guten        ausgebildet: Es mag die Wiederherstellung von
und gerechten Endes“ ist ausgesetzt. Zwar sorgen        Recht und Ordnung sein (wie in THE WILD ONE), es
alle Filme dafür, dass die Bösewichter am Ende zur      mag die Eigeninitiative der bürgerlichen Bevölke-
Rechenschaft gezogen, zumindest vertrieben wer-         rung sein, die zur Vertreibung der Biker (in THE
den, doch wirken diese Schlüsse so stereotyp wie        SAVAGE SEVEN, 1968, Richard Rush, ist es ähnlich
unorganisch mit der Geschichte verknüpft. Es mag        wie in BORN LOSERS ein einzelner, der den Kampf
zur Charakteristik des Exploitation-Kinos gehören,      gegen die Biker aufnimmt) oder sogar zu ihrem Tod
dass die Schlüsse nur ironisch genommen werden          führt (in MOTORPSYCHO werden drei Rocker am Ende
können, als Zugeständnisse an die Zensur und an die     von einem Arzt umgebracht), es mag die Einsicht
bürgerliche Gerechtigkeitsvorstellung, die das Kino     sein, dass Biker keine „freien Geister“, sondern Kri-
bedient. Wie in einem subversiven Schulterschluss       minelle sind (so dass sich die von Jack Nicholson
legen die Filme aber zumindest die affektive Solida-    gespielte Hauptfigur „Poet“ am Ende von HELLS
rität der Zuschauer mit den Bösewichtern nahe, be-      ANGELS ON WHEELS, 1967, Richard Rush, von den
vor der Schluß sich der moralischen Doktrin des Ki-     Bikern abwendet), es mag die Vollendung einer Ra-
nos unterwirft.                                         che sein, zu der die Biker in Dienst genommen wer-
                                                        den mussten (wie in CHROME AND HOT LEATHER,
Sicher ein Extremfall ist das lange Finale von THE      1971, Lee Frost, sich ein Ex-Soldat einer guten Bi-
WILD ANGELS (USA 1966): Nach dem Tode eines der         ker-Gruppe anschließen muss, mit der er Rache an
MC-Mitglieder soll die Leiche in einer kleinen Ka-      einer bösen Gruppe übt, die seine Freundin verge-
pelle mit einem Gottesdienst geehrt werden (die mit     waltigt und umgebracht hatte). Am Ende all dieser
Insignien der Biker wie einem invertierten Haken-       Filme wird Normalität wiederhergestellt, oft kehren
kreuz auf leuchtend rotem Grund geschmückt ist).        die Protagonisten in ihre bürgerliche Identität zu-
Doch es kommt zum Wortwechsel zwischen dem              rück. Zumindest das narrative Schema der Neueta-
Priester und dem charismatischen Führer der Fruppe      blierung der Ordnung, das fast alle Gewaltfilme re-
( namens Heavenly Blues), jener fordert Freiheit und    giert, wird so gewahrt [8].
das Recht, tun zu können, was – gemeint ist die Bi-
ker-Gruppe – man wolle, vor allem grenzenlosen          Es ist die Leistung der Antihelden-Filme, sich über
Genuss. Die bis dahin nur grob gewahrte Ordnung         diese zynische Repositionierung des Zuschauers hin-
bricht zusammen, eine anarchistisch anmutende Par-      wegzusetzen, die Biker-Figuren als tatsächliche Hel-
ty beginnt, Drogen, rauschhafter Tanz, Vergewalti-      den ihrer Geschichten zu behandeln. Mit dieser Ver-
gung, Zerstörung der Kircheneinrichtung, durchgän-      schiebung verkehrt sich auch das innere Wertever-
gig mit Handkamera gefilmt, nahe an den Akteuren.       hältnis der Filme, die Beziehung von Normalität und
Der Leichnam wird zwischen die ekstatisch Feiern-       Abweichung wird gewissermaßen invertiert. Ob da-
den gesetzt, mit einer Zigarette im Mund; der Pries-    mit auch eine Legitimierung mancher Verhaltens-
weisen der Biker-Helden (vor allem der promiske         selbst gespielt. Der Film enthält nur wenige hundert
Umgang mit Sexualität und der Drogenkonsum)             Zeilen Dialoge; er erzählt eher lakonisch vom vor-
vollzogen wird, sei dahingestellt.                      geblichen Leben der Biker – von Alkoholexzessen,
                                                        Vergewaltigungen, Kriegen mit anderen Biker-Grup-
Die Phase der Antihelden im amerikanischen Kino         pen, Schlägereien; am Ende steht eine Beerdigung,
ist recht kurz (auch wenn sie gelegentlich im Einzel-   die in eine wilde Orgie übergeht [11].
fall wieder auftauchen) und datiert etwa von 1967
bis 1975. Für den Figurentypus des an EASY RIDER        Gelegentlich treten in diesen Jahren auch schon
angelehnten Antihelden ist extreme Mobilität die        weibliche Biker-Gangs auf (wie in THE HELLCATS,
wohl zentralste Charakteristik. Manche dieser Figu-     1967, Robert F. Slatzer, oder in SHE-DEVILS ON
ren sind mit Autos unterwegs (erinnert sei an den       WHEELS, 1968, Herschell Gordon Lewis), die ver-
Film VANISHING POINT, 1971, Richard C. Sarafian,        glichen mit den männlichen Konkurrenz-Gruppen
oder an den Trucker-Film CONVOY, 1978, Sam              noch brutaler und rücksichtsloser gegen ihre Opfer
Peckinpah), manche mit dem Motorrad. Es mag mit         vorgehen. Gemessen an dem gängigen Hells-Angels-
der intensivierten sensorischen Begegnung mit der       Stereotyp als einer zumindest latent kriminellen Ver-
Umwelt zusammenhängen, dass das Motorrad in der         einigung nimmt sich ein Film wie HELLS ANGELS '69
oppositionellen Kultur so große Bedeutung genoss;       (1969, Lee Madden) fast naiv aus, thematisiert aber
vor allem aber trägt es ein anderes Image (das Auto     das Image der Angels indirekt: Er erzählt von zwei
zählte seinerzeit zu den Statussymbolen bürgerlicher    Gangstern, die als Angels verkleidet das Caesar‘s
Existenz, das Motorrad nicht). EASY RIDER – verbun-     Palace in Las Vegas ausrauben; natürlich verfolgt
den mit der ungemein einprägsamen und erfolgrei-        die Polizei die Hells Angels, dem allgemeinen Urteil
chen Musik der Gruppe Steppenwolf [9] – bot sich        über ihre Bösartigkeit aufsitzend.
als prägnantes Leitmodell für eine Romantisierung
der Bilder des Bikertums an, nahm seinerseits eine      Die Konflikte zwischen den verschiedenen subkultu-
weit verbreitete reale Praxis des Fahrens (und der      rellen Stilen bleiben bestehen, bilden gelegentlich
besonderen Abarten des Motorrads wie dem Chop-          die Grundlage des Dramas. ANGELS HARD AS THEY
per) auf [10].                                          COME (USA 1971, Joe Viola) spielt in einer fast alle-
                                                        gorisch wirkenden, mitten in der Wüste gelegenen
Ist der Chopper bis heute ein Symbol für die Hippie-    Geisterstadt namens „Lost Cause“. Sie ist der Ort ei-
Zeit, steht ihm mit der Harley-Davidson ein anderes     ner brutalen und nihilistischen Auseinandersetzung
Gefährt gegenüber, das einen härteren Stil des being    zwischen zwei Biker-Gangs und einer Hippie-Kom-
on the road anzeigt. Es sind insbesondere die Ge-       mune, die gehofft hatte, ihre Utopie des Zusammen-
schichten um die Hells Angels, die die Tradition des    lebens hier in friedlicher Abgeschiedenheit realisie-
antibürgerlich-kriminellen Biker- und Rockertums        ren zu können.
im Film der 1960er fortsetzten. Der so fatale Mord
an einem Fan während des Rolling-Stones-Konzerts        In der Konkurrenz dieser Modelle des Bikertums
in Altamont (1969; dokumentiert in dem Rockumen-        nimmt sich Klaus Lemkes Film ROCKER (BRD
tary GIMME SHELTER, 1970, Albert Maysles, David         1971), der in fast ethnografischer Zurückhaltung
Maysles, Charlotte Zwerin) verfestigte die Vorstel-     sich in die Lebenswelt seiner Protagonisten hinein-
lung zusätzlich, dass die Gruppe in einem außerge-      zutasten versucht, wie ein Fremdkörper aus – ver-
sellschaftlichen Niemandsland operierte. In die         gleichbar den dokumentarischen Arbeiten, die das
Schlagzeilen geriet die Gruppe nach der Vergewalti-     Leben der Biker-Gruppen als gesellschaftliche Mi-
gung zweier Minderjähriger im Jahre 1964 (vgl.          krowelten darstellen, datieren erst viele Jahre später.
einen Artikel in The Nation, 17.5.1965; Rubin 1994,
361ff), die als Monterey Rape in die Geschichte der
Gruppe einging. Der Produzent und Regisseur Roger       4. Der dritte Zyklus: Endzeit-Biker
Corman nahm nach einem Bericht über eine Biker-
Beerdigung in Life (28.1.1966) den Kontakt zu den       Erst Ende der 1970er formierte sich ein neues Ste-
Hells Angels auf (McGee 1988, 55). Peter Fonda          reotyp des Bikers: Es war der australische Film MAD
und Nancy Sinatra sollten die Hauptrollen in THE        MAX (1979, George Miller), der sich von der wäh-
WILD ANGELS (1966) übernehmen. Die meisten Rol-         rend der 1960er Jahre nur wenig sensationalisierten
len des Films wurden durch Mitglieder der Gruppe        Kleidung der Biker [12] verabschiedete. Nun fahren
die miteinander verfeindeten Gruppen in abenteuer-        lung von Männlichkeit, Insignien des Terrors, eine
lichen Verkleidungen in der Gegend herum, auf der         selbstbewusste Inszenierung von Körperlichkeit,
Suche vor allem nach Benzin. Die Geschichte spielt        Elemente der Todessehnsucht (als Symboliken eines
in einer nur ungenau datierten Zukunft nach dem           intensivierten Lebens): Die neuen Werthorizonte, in
Dritten Weltkrieg in einer verwüsteten und unfrucht-      die die Symboliken eintreten, nehmen Reste der ur-
baren Realität. Alle gesellschaftlichen Strukturen        sprünglichen Bedeutung auf, assimilieren sie aber in
sind zusammengebrochen, es gibt weder geordnete           einen neuen Kontext. Biker-Sein ist eng verbunden
Produktionszusammenhänge noch irgendeine Form             mit einer Symbolpolitik, die sich gegen die Konven-
von Rechtssicherheit. Das alleinige Recht des Stär-       tionalisierungen und Wertbesetzungen der Bedeu-
keren gilt. Es mag wiederum zu den internen Logi-         tungssphäre stellt und deren anarchistischer Grund-
ken derartiger Endzeitszenarien gehören, dass in den      gestus darum gerade auf einer symbolischen Ebene
Sequels des Films auch totalitäre Stadtstrukturen         Irritation und Abwehr erzeugen muss.
einschließlich martialischer Gladiatoren-Kämpfe
thematisiert werden. Eine wie auch immer geartete         Mit den MAD-MAX-Filmen werden die Biker-Grup-
Bindung an bestimmte oder benennbare historische          pen und Reste ihrer Genre-Geschichten endgültig zu
Kulturen ist aufgelöst. Insbesondere die Bewaffnung       Spielmaterial, das mit Genres wie Horror- und Splat-
dieser Gruppen umgreift die gesamte Zivilisations-        terfilm, Thriller und Krimi, Gladiatoren- und Kriegs-
geschichte; selbst römische Kampfwagen tauchen            film fast beliebige Mischungen eingehen kann [14].
auf [13].                                                 So kann es geschehen, dass eine weibliche Biker-
                                                          Gang sich in einer Stadt voller Zombies findet und
So bedeutsam bis dahin die Realgeschichte für die         den Kampf gegen die Untoten aufnehmen muss
Entwicklung der Biker- oder Rocker-Images gewe-           (CHOPPER CHICKS IN ZOMBIETOWN, 1989, Dan Hos-
sen ist, so ist sie nun ausgesetzt, als habe eine post-   kins). Selbst die Figuren verlieren ihre realistischen
moderne Poetologie Einzug in das Genre gehalten.          Grundlagen: Es treten diverse Zombie- und Geister-
Biker-Geschichten sind in einer rein fiktionalen          Biker auf (etwa in HOT WAX ZOMBIES ON WHEELS,
Spielewelt angesiedelt (und es dürfte eigene Überle-      1999, Michael Roush). Bereits 1971 hatte sich eine
gungen wert sein, die Verbindungen der Mad-Max-           Biker-Frau in einen Werwolf verwandelt, als ihre
Motive mit der sich gleichzeitig entwickelnden Bild-      Gang sich in einem abgelegenen Kloster mit Mön-
und Handlungswelt der Computer-Kampfspiele zu             chen auseinandersetzen musste, die satanistische Ri-
untersuchen). Revisionistische Vorformen gibt es be-      tuale vollführten (WEREWOLVES ON WHEELS, 1971,
reits seit den frühen 1970ern. NAM'S ANGELS (1970,        Michel Levesque). Die De-Realisierung des Spiels
Jack Starrett) erzählt die Geschichte der Rocker-         erstreckt sich bis auf die Konfliktstrukturen. In dem
Gruppe „Devil's Advocates“, die zu einer Spezial-         auf einem Marvel-Comic beruhenden Film GHOST
einheit der US-Armee gemacht wird, die mit Motor-         RIDER (2007, Mark Steven Johnson) gibt der Prot-
rädern einen von den Vietcong gefangenen Agenten          agonist seine Seele auf, um sich mit seinem Motor-
befreien soll; die Yamaha-Räder werden mit Maschi-        rad dem machthungrigen und bösen „Blackheart“ zu
nenpistolen und Granaten ausgerüstet; schließlich         stellen, dem Sohn des Teufels persönlich.
wird das Gefangenen-Camp gestürmt.
                                                          So sehr die Handlungsrealitäten der Biker-Geschich-
Das Verfahren einer im Grunde beliebigen Amalga-          ten in eine mit der Realität kaum noch angebundene
mierung von Requisiten-Kulturen gilt auch für die         Spiel-Welt transformiert sind, sie bleiben doch in der
neue Ausprägung des Biker-Genres: Bis in die              Dimension der Moral-von-der-Geschichte realitäts-
1970er hinein hatten die Filme eigene formelhafte         nah. Immer wieder geht es am Ende um Selbsthilfe.
Erzählungen ausgebildet, sei es als Bedrohung bür-        Die moralisch-politische Botschaft mancher Filme
gerlicher Lebenswelten, sei es als Gegenentwurf ge-       dieses nachzivilisatorischen Modells der Biker- oder
gen die Verkrustungen der bürgerlichen Gesellschaft.      Rockerfigur ist ebenso schlicht wie problematisch:
Von Beginn an hatte die Selbstinszenierung der Bi-        Wenn die gesellschaftlichen Kontrollorgane ausfal-
ker auf Provokation gesetzt. Vor allem christliche        len, bleibt den Bürgern nur, ihre Interessen in die ei-
und Nazi-Symboliken wurden offensiv verwendet,            gene Hand zu nehmen. Beispielhaft mag ein Film
aus ihrem ursprünglichen Bedeutungskreis aber her-        wie HELLRIDERS (1984, James Bryant) für eine ganze
ausgebrochen und mit Bedeutungen aufgeladen, die          Gruppe von Filmen stehen: Eine brutale Rockerban-
den Biker-Kulturen zugehörten. Exzessive Ausstel-         de (die „Hellriders“, im Deutschen: die Höllenengel)
fallen in eine verträumte Kleinstadt im Mittelwesten    hervorgeht, dass der Film ein Vielfaches der Produk-
der USA ein (die dramatische Grundkonstellation         tionskosten einspielte).
von THE WILD ONE gilt also immer noch). Ihre Mit-
glieder zerstören alles, was sich ihnen in die Quere    Die Filme unterlagen einer strengen Zensur, obwohl
stellt. Die Männer werden zusammengeschlagen, die       sie (oft allerdings abseits der normalen Distribution
Frauen vergewaltigt. Erst als sich beherzte Bürger      der Hollywoodproduktionen) ein großes Publikum
zusammentun, sich bewaffnen und dem Terror ent-         erreichten. Ausgelöst durch THE WILD ONE, musste
gegentreten, gerät das Ende der Geschichte in Sicht.    der Produzent Stanley Kramer seine Filme der Pro-
                                                        duction Code Administration (der freiwilligen
                                                        Selbstkontrolle der US-Filmwirtschaft) vorlegen;
5. Der gesellschaftliche Rahmen                         man hatte dem Film antikapitalistische, sprich: anti-
                                                        amerikanische Tendenzen unterstellt; der Schluss
Biker-Filme gehören durch die Bank dem Exploita-        musste geändert werden (Perlman 2007; Simons
tion Cinema an und sind oft unter äußerster Be-         2008). Insbesondere in Großbritannien wurde eine
schränkung der Produktionsmittel entstanden. Nur        ganze Reihe von Biker-Filmen verboten; unter ihnen
die wenigsten Filme entstammen dem Hollywood-           wurde THE WILD ONE (1953) bis 1968 mit Auffüh-
Mainstream-Kino [15]. Vor allem die Filme der           rungsverbot belegt (Robertson 1993, 104-110); zu
1960er Jahre wurden in den Drive-In-Kinos mit           den Verbotsfilmen gehörte auch THE WILD ANGELS
großem Erfolg ausgewertet, was angesichts der ge-       (1966; vgl. The Filmgoer‘s Companion, 1972, 694)
ringen Mittel, mit denen sie hergestellt werden         und HELLS ANGELS ON WHEELS (1967; vgl. den Ein-
konnten, schnell zu Gewinnen führte – sie waren on      trag in der Datenbank von Time Out, 2011) [16].
location zu drehen (also ohne Studio-Aufwand), mit      Eine internationale Liberalisierung der Zensur deute-
kaum ausgearbeiteten Drehbüchern und nicht-pro-         te sich angesichts EASY RIDER (1969) an; zwar stieß
fessionellen Darstellern. THE WILD ANGELS (1966)        auch er auf erhebliche Abwehr – in zwei Bundes-
spielte 5 Millionen US-$ ein, war bei minimalen         staaten der USA erhielt er Aufführungsverbot (Spie-
Einstandskosten der zwölft-umsatzstärkste Film des      gel-Online / EinesTages, 17.7.1969) –, doch wurde
Jahres. Zudem waren die Drive-In-Kinos zu Orten         er zugleich auf den Filmfestspielen in Cannes aufge-
geworden, die nicht nur wegen der niedrigeren Ein-      führt und in den meisten Ländern ohne größere
trittpreise, sondern auch aus einer grundlegenden       Schnittauflagen freigegeben.
Veränderung der Kinopublika und der Konventionen
des Kinobesuchs resultierend ein primär jugendli-       Die Geschichte der Zensurierung des Bikerfilms ist
ches Publikum aus der lower class hatten (Austin        ungeschrieben. Es dürfte aber deutlich geworden
1985; vgl. Rubin 1994, 369f). Drive-In-Kinos spiel-     sein, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen: Weil
ten in ihrer Blütezeit (1950-1970) bis zu 25% der       gerade im Versuch, die Erzählungen und Erzählwei-
Box-Office-Einnahmen ein.                               sen des kleinen Genres, die sozialen Aggregations-
                                                        formen, die strikte Altersdifferenzierung der sozialen
Neben die Marktmacht der Off-Hollywood-Kinos            Welt der Geschichten qua Zensur unter Kontrolle zu
trat der geringe finanzielle Aufwand, den die Filme     bringen, mittelbar das Kino als ein Ort der Auseinan-
erforderlich machten. THE WILD ANGELS (1966) z.B.       dersetzung um gesellschaftliche Veränderungen aus-
wurde nicht nur mit minimalen Mitteln realisiert,       gewiesen wird. So fingiert und fiktional die Ge-
sondern macht bis heute einen überaus rohen und         schichten des Kinos sich auf den ersten Blick auch
unbearbeiteten Eindruck, als solle die Tatsache, dass   darstellen, so stehen sie doch im Horizont der Welt
Mitglieder der Hells Angels den größten Teil der Fil-   der Zuschauer, diskursivieren Tiefenthemen des so-
m-Rollen gespielt hatten, auch in einem quasi-doku-     zialen Feldes.
mentarischen look des Films ausgedrückt werden;
gleichwohl wurde er ein großer Erfolg, lief sogar auf   Manches an diesen Vorstellungen ist durch die Rea-
den Festivals von Cannes und Venedig (Stern/Stern       lität gestützt, anderes einer sozialen Phantasie ge-
1987, 57). Der wohl größte ökonomische Erfolg war       schuldet, die sich in den imaginären Handlungswel-
EASY RIDER: Bei Kosten von 300.000 US-$ spielte er      ten des Kinos und anderer Medien der populären
mehr als 30 Millionen ein (die Literatur berichtet      Kultur um Gegenbilder bemühen muss. Das ist nicht
sehr unterschiedliche Zahlen, aus denen aber immer      naturwüchsig, geht nicht nur auf reale Erfahrung im
                                                        Umgang mit Bikern zurück, sondern ist in vielfacher
Weise Gegenstand filmischer Produktion gewesen,         nes Mofas für einen alten Mann hat, wird etwas von
Produkt daramturgischer kalkulation. Die Imagina-       diesem Gefühl der Ungebundenheit und seinen sub-
tionen des Bikers antworten auf Geschichten, die im     jektiven Bedeutungen spürbar, die zu den höchsten
Kino erzählt worden sind. Heute lösen sich die Bil-     Werten der Kulturen der Nachkriegszeit zählen.
der des Bikers im Film auf. An die Stelle der strikt
regulierten Clubs treten Vorstellungen einer viel       Die Verbindung von Maschinen- und Körperbeherr-
tieferen Individualisierung und einer viel stärker      schung, die beim Speedway- und Motorcross-Fahren
subjektiven Aufladung des biking mit Bedeutungen        erforderlich ist, hat schon früh dazu geführt, dass
der Mobilität, eines nicht touristisch kontrollierten   sich der Motorrad-Sport auch im Film manifestiert
Er=Fahrens der Welt, individualisierter Körpererfah-    hat. Der nur neunminütige Film MOTODROM (BRD
rung und der zumindest zeitweiligen Entbindung aus      2006, Jörg Wagner) ist ein neueres Beispiel. Der
sozialen Zwängen und Konventionen des Alltagsle-        zwischen Dokumentar- und Experimentalfilm
bens. Die als Biker verkleidete Kernfigur eines ge-     schwebende, dem Lyrischen zuneigende kleine Film
sellschaftlich Anderen oder sogar Bösen hat sich aus    beginnt mit sehr nahen Aufnahmen der Handgriffe
dem Dunstkreis kollektiver Bildvorstellungen und        an den Maschinen, Füßen, die ruckartig die Motoren
narrativer Stereotype verflüchtigt, ist abgelöst wor-   starten, Details der Motoren, bevor er sich in das In-
den durch neue Vorstellungsmodelle des Motorrad-        nere des Motodroms begibt und der atemberauben-
fahrens.                                                den Fahrt der Männer an der Steilwand folgt. Auf
                                                        Musik wird ebenso verzichtet wie auf jeden Dialog;
Tatsächlich ist die filmische Bearbeitung des Stoff-    einzig das Dröhnen der Maschinen ist zu hören: Und
kreises so alt wie die Geschichte des Kinos, ohne da-   gerade die spartanische akustische Ausstattung des
bei aber genreartige Konventionalität zu erreichen      Films intensiviert den Eindruck der Geschwindig-
und zu einem sozialen Figurentypus kondensiert zu       keit, der veränderten Schwerkraftverhältnisse, der
werden. Schon im Stummfilm finden sich Motorrad-        ungeheuren Konzentration, die die Fahrt den Akteu-
fahrer-Figuren. Und auch Motorradrennen wurden          ren abverlangt. Das Faszinosum des Motorradfah-
zumindest als Film-Szenen ausgeführt – man denke        rens unter reduziertesten Bedingungen wirkt bis heu-
etwa an MABEL AT THE WHEEL (USA 1914), einen            te.
frühen Charlie-Chaplin-Film, oder an die berühmte
Motorradrenn-Sequenz aus Buster Keatons SHER-           Die Stereotypen und Variationen des Bikerfilms neh-
LOCK, JR. (USA 1924). Durch die ganze Filmge-           men sich gegenüber diesen dramaturgisch, poetisch
schichte hindurch kulminieren vor allem Action-Ge-      oder aus der Figurenkonzeption heraus motivierten
schichten in Verfolgungsjagden, von der von Steve       Anverwandlungen des Motorrads als eines der Dar-
McQueen selbst realisierten Szene in THE GREAT          stellungs- und Ausdrucksmittel des Films und seiner
ESCAPE (1963, John Sturges), COOGAN'S BLUFF             Geschichten wie eine historische Episode aus. Sie
(1968, Don Siegel) über COBRA (1986, George P.          lassen sich nur aus einem Gesellschaftsmodell her-
Cosmatos) bis hin zu BLACK RAIN (1989, Ridley           aus erklären, in dem die Sicherheit bürgerlichen All-
Scott). Es mag die Mischung von Akrobatik und Be-       tagslebens durch Figuren gefährdet werden, die sich
wegung, von Geschwindigkeit und Dichte der dra-         nicht unter der Kontrolle einer regulierten Welt be-
matischen Handlung sein, deren Schauwert derartige      finden. Darum gestattet ein Blick in die ikonischen,
Szenen in so viele Action-Filme befördert hat. Oft      dramatischen und narrativen Konventionen des Bi-
sind es aber nur Seitengeschichten oder episodische     kerfilms einen Blick in die Innenwahrnehmungen ei-
Einlassungen, in denen Motorräder oder Biker eine       ner Gesellschaft, die sich mit massiven Veränderun-
Rolle spielen.                                          gen der gewohnten Realitätsordnungen auseinander-
                                                        setzen musste. Man möchte dagegenhalten, dass der-
Eine ganz andere Bedeutungsdimension des Motor-         artige dramatische Figuren antagonale Rollen reali-
radfahrens wird greifbar, wenn man nach seinen sub-     sieren, die die Gefährdungen der narrativ so wichti-
jektiven Bedeutungen fragt – dann geht es um die        gen Normalität bürgerlichen Alltags verkörpern. Es
Entfesselung einer Mobilität, die den Einzelnen ge-     mag aber (und ganz besonders im Falle der Biker-
genüber seiner Umgebung neu fasst [17]. Selbst in       Filme) zur inneren Dynamik der Konzeptualisierun-
Filmen wie KLEINE FLUCHTEN (Schweiz/Frankreich          gen der Realität gehören, dass der Biker gleichzeitig
1979, Yves Yersin), der von den ungeheuerlich er-       eine Gegenfigur und eine Vorbildfigur gewesen ist,
scheinenden Implikationen erzählt, die der Besitz ei-   Symbol einer tiefen Gefährdung alltäglicher Sicher-
heit wie zugleich aber auch ein Vorbild für den Aus-            Beispielen, die z.B. den Austausch von Küssen zwischen
druck einer fundamentalen Opposition gegen die                  Männern zeigen (vgl. Perlman 2007). Es mag mit der aus-
                                                                gestellten ‚Hyper-Maskulinität‘ der Biker zusammenhän-
Kontrolliertheit, ja Repressivität angestammter All-
                                                                gen, dass derartige Handlungen zulässig sind, weil sie die
tagswelten. Die Zyklen des Bikerfilms begleiten so              Souveränität der Figuren nur unterstreichen. Trotzdem
den Übergang einer hierarchisch gegliederten Ge-                finden sich keine schwulen Biker. Ein Film wie PINK
sellschaftsordnung in die Phase eines individualisier-          ANGELS (1976, Larry G. Brown), der von einer schwulen
ten und deregulierten Spätkapitalismus, in dem es               Biker-Gruppe erzählt, ist im Genre vollkommen isoliert.
weiterhin die so zentralen MCs gibt, die aber ihre
                                                                [4] Vgl. dazu auch den von Arte France produzierten Film
provokative Kraft verloren haben.
                                                                MODS & ROCKERS (Regie: Kamel; Sd.: Arte 2.9.2010).
                                                                Vgl. außerdem QUADROPHENIA (1979, Franc Roddam), der
                                                                diese Zeit dramatisiert. Insbesondere die Mods (Kurzwort,
Anmerkungen                                                     abgeleitet aus modernist) sind insofern eine äußerst auf-
                                                                fallende Gruppierung und Stilistik jugendlicher Subkultu-
[*] Eingegangen sind Hinweise von Ludger Kaczmarek              ren, als sie zwar der englischen working class und der
und Julian Lucks.                                               lower middle class entstammte, aber sich habituell von
                                                                der eigenen Herkunft abzuwenden schien, indem sie sich
[1] Im Deutschen spricht man gemeinhin von Rockern, ei-         in Auftreten und Kleidung eher an Stilistiken der upper
nem Wort des Kunst-Englischen, das wohl aus Rockmusik           middle class orientierte. Durch das Tragen von teurer
abgeleitet wurde. Schon die Wortherkunft deutet darauf          Markenkleidung vor allem nach dem Vorbild italienischer
hin, dass die Bezeichnung erst in den 1950ern entstand,         Couture-Mode wurden Erfolg und sozialer Aufstieg signa-
als die Assoziation von Biker-Gruppen (im Deutschen             lisiert. Die Vespa und die Lambretta – zwei italienische
auch damals meist schon: Rockerbanden) mit den Stilen           Motorroller – wurden zum Gefährt der Mods, oft mit
der Rockmusik durch die Biker-Filme des ersten Zyklus           Acessoires ausgeschmückt, mit ganzen Batterien von zu-
bereits etabliert war. Eine Assoziation, die im übrigen bis     sätzlich angebrachten Lampen in eine Art Exzessform des
heute Bestand hat und meistens die Stilrichtungen von           ursprünglichen Gefährts weiterentwickelt (und dann cu-
Hard-Rock und Heavy-Metal mit den Motorradgruppen               stom roller genannt). So bürgerlich das outfit der Mods
koordiniert.                                                    auch war, so roh wirkten ihre bevorzugten Freizeitvergnü-
                                                                gungen: exzessives Trinken, Drogenkonsum, Schlägereien
[2] Heiraten, Hochzeiten und andere Gelegenheiten die-          mit den „Rockern“, einer gleichzeitigen Jugendkultur/-sti-
nen in den Filmen öfters dazu, Kirchen als Orte der bür-        listik, die ebenfalls der lower class entstammte. Vgl. dazu
gerlichen Gesellschaft für eigene Zwecke zu entfremden.         immer noch Cohen (1972) sowie Feldman (2009).
Als einer der Angels in HELLS ANGELS ON WHEELS (1967)
heiratet, fahren seine Biker-Freunde mit ihren Motorrä-         [5] Eine ganze Reihe der Biker-Filme hat mit der indiani-
dern in die Kirche. In BORN LOSERS dient gar eine alte          schen Bevölkerung zu tun: Der Held in THE BORN LOSERS
Mission als Hauptquartier der Biker, den sie als pleasure       (1967) ist Halbindianer; THE SAVAGE SEVEN (1968) spielt
dome missbrauchen, einem Ritual, das in Massenverge-            in einem Reservat; einer der Biker in SATAN'S SADISTS
waltigungen einmündet. Und die berühmte Drogenszene             (1969) ist Indianer. Auch diese Bezüge verankern die Fil-
in EASY RIDER spielt auf einem Friedhof. Dass derartige         me in den politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit,
Szenen oft als „Schändungsszenen“ wahrgenommen wur-             spielten doch die Rechte der indigenen Bevölkerung in
den, verwundert nicht.                                          der Bürgerrechtsbewegung eine wichtige Rolle. Aller-
          Entgegen dieser antikirchlichen Attitüde finden       dings fehlen schwarze Biker im Genre (wie in der Reali-
sich ein paar Filme, die gerade von missionierenden Bi-         tät) fast völlig; eine der wenigen Ausnahmen ist THE
kern erzählen (IL PROFETA, Italien 1968, Dino Risi;             BLACK SIX (1974). Man mag diese Beobachtung durchaus
ROADSIDE PROPHETS, 1992, Abbe Wool; HE WOULD HAVE               in Verbindung bringen mit der oft strikten rassistischen
RODE A HARLEY, 2000, Mary Beth Bresolin), eine Verdre-          Mitgliederbeschränkung, die in vielen realen MCs gilt.
hung der dominanten Haltung christlichen Werten gegen-
über, die überrascht und irritiert. Ähnlich irritierend wirkt   [6] Die These, dass der Biker eine moderne Form des
der – allerdings nicht zum Biker-Film im engeren Sinne          Cowboys sei, ist mehrfach geäußert worden, angefangen
zählende – Dokumentarfilm DER GEIST DER BIKER (BRD              von Roger Corman (anläßlich seines Film THE WILD
2010, Stefan Kluge) über die Reise eines Bikerclubs nach        ANGELS, 1966); vgl. Perlman 2007.
Russland, wo ein legendärer Priester, der zugleich Mit-                  Zum Western vgl. auch die Tatsache, dass HELL'S
glied des Black Bears Yaroslavl MC ist, ihre Motorräder         BELLES (1969, Maury Dexter) den Stoff des James-Ste-
segnen soll.                                                    wart-Westerns WINCHESTER 73 (1950, Anthony Mann) auf
                                                                das Biker-Genre überträgt: Hier geht es um ein Motorrad
[3] Eine genauere Analyse findet sich bei Stiglegger 2006,      und nicht mehr um ein Gewehr; das eine wie das andere
51-54. Vgl. zur Ikonografie der Schwulen im US-Avant-           wird gestohlen und wandert von einem Besitzer zum
gardekino der Zeit Suárez 1996. Gerade die homoeroti-           nächsten. Beide Objekte symbolisieren Männlichkeit und
schen Komponenten des Umgangs mit der Objektwelt,               Macht. Und beide stehen im Zentrum eines Zyklus nicht
aber auch mit anderen Bikern scheint in sich widersprüch-       enden wollender Rache, sind Mittel, den Pessimismus, ja
lich zu sein. Tatsächlich finden sich eine ganze Reihe von      Nihilismus dieser erzählten Welt zu artikulieren. Die Ob-
jekte haben gewechselt, ihre Bedeutungen für die Selbst-       ökonomischen Aufwand oder Erfolg; deshalb fällt die Zu-
bestimmung der Figuren nicht. Die narrative und semanti-       ordnung zunehmend schwer.
sche Grundkonstellation des Western bleibt in Kraft,
könnte man folgern, auch wenn die Figuren inzwischen           [16] THE WILD ONE stieß auch in anderen Ländern auf den
einem anderen Genre angehören.                                 Eingriff der Zensur; in Kanada etwa wurde er 1959 als
                                                               eine „revolting, sadistic story of degeneration“ auf den In-
[7] In einigen Beispielen absolvieren die Polizisten klassi-   dex gesetzt. Zwar lockerten sich die Beurteilungskriterien
schen Streifendienst per Patrouillenfahrten auf dem Krad       der Zensur in den späten 1960ern, doch da sich das Genre
(wie in James William Guercios ELECTRA GLIDE IN BLUE,          deutlich dem Exploitation-Film annäherte und vor allem
1973, sowie in TV-Serien wie CHIPS, 1977-1983; andere          in den Gewaltdarstellungen zu schockierender Explizit-
handeln von Undercover-Ermittlungen in Biker-Gruppen           heit tendierte, wurde noch in den 1970ern ein Film wie
(wie z.B. in MOTORCYCLE GANG, 1957, Edward L. Cahn;            NORTHVILLE CEMETERY MASSACRE (ROCKERSCHLACHT IN
BEYOND THE LAW, 1992, Larry Ferguson; STONE COLD,              NORTHVILLE; USA 1976, William Dear, Thomas L. Dyke)
1991, Craig R. Baxley; MIAMI BEACH COPS, 1992, James           – in dem die Bikergruppe vom realen Motorradclub
Winburn).                                                      "Scorpions" gespielt wurde – mit Auflagen belegt, so dass
                                                               er in den meisten Ländern nur in einer um mehrere Minu-
[8] Zu den Schlüssen vgl. Rubin 1994, 367, 369. Zum all-       ten gekürzten Fassung erschien. Immer richtete sich die
gemeinen Schema der Wiederherstellung der Ordnung              Argumentation der Zensurbehörden auf die Möglichkeit,
vgl. Wulff 1985, cap. 1. Es gibt nur wenige Ausnahmen          dass Bikerfilme sich als Modell jugendlichen Handelns
von dieser Schluss-Konvention. Ein Beispiel ist Kathryn        anbieten und zu Vorbildern realer Jugendgewalt würden;
Bigelows Film THE LOVELESS (1981), der in einer winzi-         vgl dazu Scherl 2008.
gen Stadt im Mittelwesten spielt. Hier dienen die Biker,
die aufgrund eines Motorschadens einige Tage bleiben           [17] Die mobile Unabhängigkeit ist seit den 1950ern ins-
müssen, nur als Katalysatoren, die die latente Gewalttätig-    besondere für Jugendliche ein hoher Wert gewesen. Erin-
keit der Anwohner zu Tage fördern. Am Ende muss eine           nert sei an die Bedeutung der Vespa, die nicht nur zu den
Tochter ihren Vater erschießen, bevor er ihren Biker-Lieb-     bevorzugten Mopeds der Mods gehört hat (vgl. QUADRO-
haber umbringt – und sie nimmt sich das Leben, bevor die       PHENIA, 1979, Franc Roddam), sondern von Italien aus in
Biker den Ort wieder verlassen. Vgl. Lane 1998, 62ff,          ganz Europa verbreitet war. Zahlreiche europäische Ge-
passim, sowie Stiglegger 2006, 62f.                            genwartsfilme der 1950er thematisieren hintergründig die
                                                               Vespa-Kultur, die vor allem für junge Frauen von großer
[9] THE WILD ONE war mit einem jazzigen Sountrack un-          Bedeutung war und ein gerüttelt Maß an Unabhängigkeit
terlegt. Das änderte sich schon im ersten Zyklus des Gen-      signalisierte, das ihnen in der Vor-Vespa-Zeit nicht gege-
res, als vermehrt Rock‘n‘Roll-Titel zum Einsatz kamen.         ben war. Selbst in Europa spielende US-Filme wie ROMAN
In den Filmen der 1960er und 1970er dominierten dann           HOLIDAY (1953, William Wyler) oder THE HAPPY ROAD
Titel der Hardrock-Musik, später auch solche des Heavy-        (1957, Gene Kelly) nehmen den Trend auf, zeigen die
Metal-Rock. Immer waren die Musiken Teil der Rocker-           Protagonisten sogar auf den Filmplakaten auf einer Vespa.
und Biker-Kulturen, so dass sich eine gewisse Perspekti-       Eine Hommage an die Vespa-Zeit ist Nanni Morettis Film
vität der Darstellung auch in der Auswahl nachweisen           CARO DIARIO (1993), in dem der Protagonist auf dem
lässt. Zur „Biker-Musik“ vgl. Ahlsdorf 2008.                   Rücken einer Vespa die Straßen Roms erkundet. Zur
                                                               Filmgeschichte der Vespa vgl. die Unmengen an Bild-
[10] Dagegen sind die Filme des Hells-Angels-Zyklus an-        Nachweisen in der Internet Movie Cars Database, URL:
tiromantisch und zynisch; vgl. Rubin 1994, 369.                http://www.imcdb.org/vehicles.php. Im Jahre 2010 veran-
                                                               staltete das Piaggio Museum in Pontedera eine Ausstel-
                                                               lung „“The Vespa and the Movies”; vgl. die Homepage
[11] Eine genauere Analyse findet sich bei Stiglegger          der Ausstellung, URL: http://www.lavespaeilcinema.it.
2006, 55-59. Vgl. dazu Suarez 1992 und 1996.                             Gelegentlich wurde die These vorgetragen, dass
[12] Man ist geneigt, von einer „Tracht“ zu sprechen, da-      die Biker der Frühzeit des Genres Impersonationen der
mit auf eine implizit traditionsorientiert-konservative Ten-   Differenz und der Opposition zwischen den Alters-Grup-
denz der Biker-Kulturen aufmerksam machend.                    pen der sich modernisierenden und gerade altersmäßig
                                                               differenzierenden Gesellschaft gewesen seien; erst später
[13] Bereits in KNIGHTRIDERS (1981, George A. Romero)          sei die Rolle der Symbolisierung des Protestes (oder der
hatte eine Motorradgang Turniere in mittelalterlichen          Differenz) auf die Rockmusik übergegangen; vgl. etwa
Rüstungen ausgetragen.                                         Schudack 1990, 190ff. Hingewiesen sei darum auch auf
                                                               die Bedeutung des Motorrads und seiner Varianten für
[14] Zu den zahlreichen Genre-Mischungen und -Bezü-            prominente Rock‘n‘Roll-Musiker der Zeit; Elvis Presley
gen schon im Biker-Film der 1960er vgl. Rubin 1994,            besaß nicht nur mehrere verschiedene Motorräder, son-
369ff.                                                         dern nutzte sie auch in mehreren Filmen: In VIVA LAS
                                                               VEGAS (1964) und ROUSTABOUT (1964) fuhr er eine Hon-
[15] Rubin (1994, 377) erwähnt von den Filmen der              da, in CLAMBAKE (1967) eine Harley Panhead, in STAY
1960er einzig C.C. AND COMPANY (1970, Seymour Rob-             AWAY JOE (1968) eine Triumph.
bie), der dem Mainstream-Kino zugerechnet werden kön-
ne. Es geht hier um stilistische Zugehörigkeiten, nicht um
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