Herbst 2019 - Jesuitenmission

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Herbst 2019 - Jesuitenmission
Herbst 2019
Herbst 2019 - Jesuitenmission
Editorial

      Liebe Leserinnen und Leser!

      Während ich diese Zeile schreibe, wurde wieder einmal der Temperaturrekord in Deutsch-
      land gebrochen: 42,6 Grad – so heiß war es Ende Juli im niedersächsischen Lingen und
      wir stöhnen unter dieser großen Hitze. Da verspricht der Anblick unseres Titelbildes aus
      Afghanistan ein wenig Kühlung: Bei Schnee und Kälte spielen die beiden Jungs auf den
      matschigen Wegen einer Rückkehrersiedlung in Kabul. Das Leben dort ist sehr ärmlich
      und viele Kinder gehen nicht zur Schule. Im Februar waren meine Mitarbeiterin Judith
      Behnen und ich in Kabul. Eigentlich wollten wir von dort direkt weiter nach Bamiyan und
      Daikundi. Doch Wolken und Schnee machten den Flug in die Berge unmöglich und wir
      saßen eine Woche in Kabul fest. Das Gute daran: Jeder Flug, der nicht stattfindet, ist gut
      für das Klima.

      Keine andere Art der Fortbewegung verbrennt so viel Energie wie eine Flugreise. Obwohl
      der Flugverkehr nur einem kleinen Teil der Erdbevölkerung zur Verfügung steht, trägt das
      Fliegen knapp fünf Prozent zur globalen Erwärmung bei. Unsere Projektpartner im globa-
      len Süden leiden mehr und mehr unter den Folgen: extreme Wetterphänomene, Verstep-
      pung und Trockenheit. Mit dem CO₂-Rechner auf unserer Website wollen wir gemeinsam
      gegensteuern und ökologische Projekte fördern.

      In diesem Jahr bin ich nach Afghanistan und China geflogen und im September geht es
      noch nach Mosambik, Simbabwe und Sambia. Nach unserem CO₂-Rechner ergibt das
      17 Tonnen und 231 Kilo von mir verursachte CO₂-Emissionen und einen Betrag von
      430,80 Euro zum „Ausgleich“. Damit kaufe ich mich nicht frei, aber allein die Zahlen
      machen mir die Konsequenzen meines Handelns deutlich. Ich kann nicht auf alle Projek-
      treisen verzichten. Aber verantwortlich handeln: nicht jede Reise unternehmen, nur weil
      sie möglich ist.

      Zusammen mit Katrin Morales, unserer Geschäftsführerin in Wien, wünsche ich uns einen
      angenehm kühlen Herbst und danke Ihnen für Ihre Unterstützung!

      Klaus Väthröder SJ		               Mag. Katrin Morales
      Missionsprokurator		               Geschäftsführerin in Wien

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Hilfe für Ostafrika
                                                                                                 Inhalt

                                   04 Ernte in Afghanistan
                                   		   Seit 15 Jahren helfen indische Jesuiten im Land

                                   11		 Unsere Spendenbitte für Afghanistan
                                   		   Unterstützen Sie die Bildungsarbeit der Jesuiten

                                   12		 Jugend sucht Gott
                                   		   Schwester Thuy Tien begleitet Exerzitien in Vietnam

                                   16 Jesuit und Agrarwissenschaftler
Titel Afghanistan:                 		   Claus Recktenwald SJ wird in Sambia mitarbeiten
Zwei Kinder in einer Rückkehrer-
siedlung in Kabul                  18		 Menschenfischer
                                   		   Eine Meditation von Joe Übelmesser SJ
Rücktitel Afghanistan:
Bergpanorama mit Kindern und
                                   20 „So viel Jugend hält jung!“
Esel in Bamiyan
                                   		   Heribert Müller SJ leitet eine Schule in Mosambik

                                   24		 Stoffbeutel statt Plastiksackerl
                                   		   Eine Umweltaktion unserer Freiwilligen in Peru

                                   28		 Flüge kompensieren, Klima schützen!
                                   		   Unser CO2-Rechner für ökologische Projekte

                                   30		 „Reden ermöglicht Weiterleben“
                                   		   Bernhard Bürgler SJ trifft Frido Pflüger SJ in Uganda

                                   33		 weltweit notiert
                                   		   Buch, Nachruf, Termine, Impressum

                                                                                      jesuitenweltweit 3
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Ernte in Afghanistan
     Auf dem Weltfriedensindex 2019 belegt Afghanistan den traurigen letzten Platz.
     Ein Land voller Unfrieden und Terror. Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten:
     Der Einsatz indischer Jesuiten im Bildungsbereich seit 15 Jahren gehört dazu.

     E
             s ist kalt. Fürchterlich kalt. Der Buk-   Ehrgeiz, Konzentration und Motivation.
             hari in der Ecke, ein traditioneller      Es sind Winterferien in Afghanistan und
             Holzofen, strahlt in direkter Nähe        die Schule hat eigentlich geschlossen. Drei
     Wärme aus, vermag aber das ganze Zim-             Monate schulfrei, weil es kalt ist, die Wege
     mer nicht zu heizen. Die Mädchen sitzen           zugeschneit und die Schulen das Feuerholz
     eingewickelt in Jacken, Mäntel, Tücher und        für den Bukhari nicht bezahlen können. In
     Schals in den Schulbänken. Ihre Gesichter         diesen drei Monaten darf der Flüchtlings-
     sind blass vor Kälte, die Nasenspitzen rot,       dienst der Jesuiten (JRS) das Gebäude für
     aber all das stört sie nicht. Sie sind freiwil-   seine sogenannten Winterschulen nutzen.
     lig hier und verfolgen den Unterricht mit

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Afghanistan

                                                                    erste Mal in Kabul gelandet: „Der Flugha-
                                                                    fen war damals nur eine Baracke, es waren
                                                                    überall Einschusslöcher zu sehen. Auf den
                                                                    ersten Blick wirkte alles sehr beängstigend.“

                                                                    An die Grenzen gehen
                                                                    Nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001
                                                                    beschließen die Jesuiten der südasiatischen
                                                                    Region, angesichts der großen humanitären
                                                                    Not in Afghanistan aktiv zu werden. Mil-
                                                                    lionen von Flüchtlingen hatten vor allem
                                                                    in den Nachbarländern Iran und Pakistan
                                                                    im Laufe des jahrzehntelangen Bürgerkrie-
                                                                    ges Schutz gesucht, die nun nach und nach
                                                                    zurückkehren in ihre zerstörte und ver-
     Pater Stan (Mitte) und Bruder Noel (rechts) mit Dorfältesten   armte Heimat und vor dem Nichts stehen.
     in Foladi. Großes Foto: Kartoffelernte in Bamiyan.             „In meiner indischen Heimatprovinz Pune
                                                                    haben Jesuiten aus dem deutschsprachigen
     Die Bevölkerung ist jung                                       Raum so viel aufgebaut und uns mitgege-
     Diese Intensivkurse finden nicht nur hier                      ben. Jetzt war es an uns, dem Ruf an die
     in Kabul an verschiedenen Schulen statt,                       Grenzen zu folgen und dorthin zu gehen,
     sondern auch in Herat sowie in vielen Or-                      wo die Not am größten ist“, erklärt Pater
     ten der beiden Provinzen Bamiyan und                           Stan. „Natürlich haben mich viele gefragt:
     Daikundi. Tausende Mädchen und Jungen                          Was willst du als Priester in einem islami-
     erhalten so jedes Jahr von Januar bis März                     schen Land wie Afghanistan? Aber Pater Jo-
     Englisch- und Computerunterricht. Für                          sef Neuner hat mich damals ermutigt und
     Jugendliche der höheren Klassen stehen in                      gesagt, dass für uns Jesuiten Bildung der
     Extrakursen auch die naturwissenschaft-                        Weg ist, um das Evangelium zu verkünden.“
     lichen Prüfungsfächer des afghanischen
     Abiturs auf dem Winterprogramm. Denn                           Ein Schild an der Straße
     anhand dieser Note wird anschließend zen-                      Der Wiederaufbau einer technischen Schu-
     tral entschieden, wer an welcher Universi-                     le in Herat ist 2005 das erste Projekt, das
     tät welches Fach studieren darf. „Gute Bil-                    die Jesuiten in Angriff nehmen. Bruder
     dung ist eines der größten Bedürfnisse hier                    Noel Oliver, der zuvor im indischen Pune
     im Land“, sagt Pater Stan Fernandes. „Die                      eine technische Schule geleitet und in Kam-
     Bevölkerung ist jung, 68 Prozent sind zwi-                     bodscha nach dem Bürgerkrieg ein Berufs-
     schen 12 und 25 Jahre alt. Bildung ist der                     bildungszentrum aufgebaut hatte, erinnert
     Bereich, in dem die Regierung uns um Mit-                      sich: „Ich hatte gedacht, Afghanistan sei wie
     hilfe gebeten hat.“ Der indische Jesuit ist                    eine Wüste. Wo sollte ich Schatten finden?
     für die Projekte in Afghanistan verantwort-                    Aber dann habe ich die Bäume in Kabul
     lich, die von Englischunterricht über Ma-                      und Herat gesehen. Die Leute, die ich in
     turavorbereitung und Lehrerausbildung bis                      Afghanistan getroffen habe, waren ebenso
     hin zum Online-Studium reichen. Vor fast                       wundervoll, genau wie die grünen Bäume.
     fünfzehn Jahren ist der heute 72-Jährige das                   Die Zusammenarbeit mit Mister Karimi,

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Afghanistan

dem Direktor der technischen Schule in         Männer an verschiedenen Standorten stu-
Herat, gehört zu meinen schönsten Erin-        dieren und ein international anerkanntes
nerungen.“ Der Kontakt kommt damals            Diplom erhalten.
zufällig zustande, erzählt Bruder Noel: „Zu
Beginn unserer Zeit in Afghanistan ging es     Kompass statt Blaupause
darum, die Situation zu beurteilen und Vor-    Insgesamt rund fünfzig Jesuiten haben seit
schläge zu machen, wie wir sinnvoll helfen     2005 in Afghanistan gearbeitet, einige für
konnten. Als wir eines Tages auf der Straße    mehrere Jahre, andere für ein paar Monate
entlangfuhren, fiel mir ein Schild ins Auge:   oder für gezielte Trainings- und Beratungs-
Herat Technical Vocational High School.        einsätze. „Aufgrund der stets instabilen
Sofort bat ich unseren Übersetzer anzuhal-     und unvorhersehbaren Lage in Afghanistan
ten und zu schauen, ob wir die technische      haben wir immer flexibel reagiert, um un-
Schule besuchen konnten.“ Aus dieser ers-      sere Ziele zu erreichen“, meint Pater Stan.
ten Begegnung entwickelt sich eine jahre-      „Wir haben nie eine statische Blaupause
lange Zusammenarbeit. Abdurahim Karimi,        gehabt, sondern eher einen Kompass, der
der damalige Direktor, sagt im Rückblick:      uns die Richtung anzeigt, damit wir den
„Alles, was der JRS getan hat, war wie ein     Weg nehmen, der am besten zu der jewei-
persönliches Geschenk für mich und ich         ligen Situation und unseren vorhandenen
werde es niemals vergessen. Die technische     Ressourcen passt.“ Neben der Flexibilität
Schule auf den jetzigen Stand zu bringen,      ist die Nähe zu den Menschen ein wesent-
hat der jungen Generation Hoffnung gege-       liches Kriterium für den Erfolg der Arbeit.
ben. Die hier ausgebildeten Ingenieurinnen
und Ingenieure tragen zur Entwicklung der
gesamten Region bei.“

Das Netzwerk wächst
Nach und nach ergeben sich weitere Kon-
takte. Unter dem organisatorischen Dach
des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) be-
ginnen sich die indischen Jesuiten in un-
terschiedlichen Bereichen zu engagieren: In
Sohadat, einer tristen Rückkehrersiedlung
bei Herat, helfen sie beim Aufbau einer
Grundschule und der Wasserversorgung.
An der Universität von Kabul unterrichten
sie. In Bamiyan beginnen sie mit Englisch-,
Pädagogik- und Mathematikkursen für
angehende Lehrerinnen und Lehrer, un-
terstützen Landwirtschaftsprojekte sowie
Selbsthilfegruppen für Frauen und bauen
die Winterschulen auf, die sich bald auch
auf andere Regionen ausdehnen. Über das
Hochschulprogramm Jesuit Worldwide             In Sohadat, einer Rückkehrersiedlung bei Herat, haben die
Learning (JWL) können junge Frauen und         Jesuiten geholfen, die Wasserversorgung zu installieren.

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Venezuela

     Schulkinder in Sohadat. Foto unten: Einer der indischen Jesuiten auf dem Weg zur technischen Schule in Herat.

     Bruder Noel bringt ein anschauliches Bei-                     Fahrrad durch die Straßen zu fahren, ist für
     spiel dafür: „Wir haben in Herat nicht                        Ausländer so gut wie undenkbar. Es herrscht
     hinter Sicherheitszäunen gelebt, sondern                      Angst vor Entführungen und Anschlägen.
     eine Wohnung gemietet und Tür an Tür                          Parteizentrale, Militärakademie, Universität:
     mit unseren afghanischen Nachbarn gelebt.                     Allein im Juli sind diese öffentlichen Ein-
     Ich erinnere mich noch, wie ich zu Beginn                     richtungen in der afghanischen Hauptstadt
     meinen Mitbruder Santiago fragte, ob ich                      Ziele von Bombenanschlägen geworden.
     ein Motorrad kaufen solle, damit wir mobil                    Wir fahren im Taxi durch Kabul – auf dem
     seien. Er antwortete: Nein, wir werden Fahr-                  sichersten Weg von der Schule bis zum Haus
     räder benutzen. Also habe ich zwei Fahrräder                  der Jesuiten. Das Zentrum meiden, kleinere
     gekauft und als ich sie am Büro vorbeischob,                  Wohnstraßen nehmen, nicht an internatio-
     sagte einer der Mitarbeiter sofort: Oh, du                    nalen, militärischen oder politischen Institu-
     bist einer von uns! Wie alle anderen sind wir                 tionen vorbeifahren, nur persönlich bekann-
     mit dem Fahrrad ins Büro gefahren, zu Fuß
     auf den Markt gegangen und haben für wei-
     tere Strecken den Bus genommen. Ich glau-
     be, dass unser Jesuiten-Team es geschafft hat,
     eine sehr enge Beziehung zur lokalen Bevöl-
     kerung aufzubauen. Wir waren für viele wie
     Familienmitglieder.“

     Enger Bewegungsradius
     Was 2005 in Herat möglich war, ist im heu-
     tigen Kabul deutlich schwieriger. Mit dem

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Afghanistan

ten Taxifahrern vertrauen und auf keinen
Fall feste Routen und wiederkehrende Mus-
ter erkennen lassen, all diese Regeln gehören
in Kabul zum normalen Alltag.

Lehrertraining in Kabul
Im Haus der Jesuiten in Kabul, das neben
einem großen Schulungsraum und Büros ei-
nen Wohntrakt beherbergt, leben dauerhaft
zurzeit nur zwei Leute: Die Schweizerin Sil-
via Käppeli, die als Gesundheitsexpertin seit
2013 den JRS Afghanistan verstärkt sowie
Bruder Tommy, der in Indien viele Jahre
Schulleiter war und hier für Lehrertrainings
verantwortlich ist. Einen Tag in der Woche
kommen alle Lehrerinnen und Lehrer der          Studieren mit Jesuit Worldwide Learning (JWL).
Winterschulen in Kabul in zwei Schichten
zur Fortbildung. Bruder Tommy führt sie         Anahita und Qandi erzählen
auf Englisch durch, so dass sie gleichzeitig    Anahita ist 21 Jahre alt, lernt beim JRS Eng-
gutes Sprachtraining bieten. Er legt viel       lisch und unterrichtet in der Winterschule
Wert auf Gruppenarbeit, freie Diskussi-         in Herat. Sie erinnert sich an ihre Kindheit:
onen und Aufgaben, die zum kritischen           „Es ist elf Uhr vormittags an einem heißen
Denken herausfordern und zum Suchen             Sommertag und unser Schultag im Schatten
kreativer Lösungen. Rund dreißig junge          eines Baumes war beendet. Als ich hungrig
Frauen und Männer sitzen um den großen          und durstig wieder zu Hause angekommen
Tisch im Schulungsraum. Lebhaft und in-         war, hörte ich von meiner Mutter nur: Du
teressiert verläuft das Gespräch mit mir.       faules Mädchen! Warum sitzt du herum?
Untereinander wird kontrovers diskutiert:       Geh, geh, kümmere dich um die Schafe und
Wie sieht die Zukunft für sie in Afghanis-      Kühe, bring sie hinaus, damit sie Futter fin-
tan aus? Träumen sie von einem Leben im         den. Meine Augen füllten sich mit Tränen,
Ausland? Müssen Frauen in der Gesellschaft      aber ich nahm die Tiere und ging hinaus.
durch Männer beschützt werden? Wie lässt        Es war sehr heiß, wie in einer Wüste, aber
sich das Bildungssystem verbessern? Viele,      ich war daran gewöhnt. Auch die Blasen an
die zum JRS-Team gehören, sind seit Jahren      meinen Füßen bemerkte ich nicht mehr.
dabei: erst als Schüler, dann als Studieren-    Aber die Fragen in meinem Kopf kamen
de, um jetzt als Mitarbeitende Verantwor-       nicht zur Ruhe: Würde ich mein Leben lang
tung zu übernehmen. Vor allem die jungen        Schäferin bleiben? Warum lässt mich mei-
Frauen aus den ländlichen Regionen von          ne Familie nicht lernen? Ist es, weil ich ein
Bamiyan und Daikundi müssen oft große           Mädchen bin?“ Qandi stammt aus Daikun-
Widerstände innerhalb ihrer Familien über-      di und möchte studieren. Sie erzählt: „Ich
winden, um für weiterführende Bildung in        komme aus einem Dorf, das in einem tiefen
die nächstgelegene Stadt ziehen zu dürfen       Tal zwischen drei hohen Bergen liegt. Sechs
oder mit einem Stipendium der Jesuiten für      Monate im Jahr sind die Zugangsstraßen
einige Zeit gar in Indien zu studieren.         wegen Schnee oder Schlamm unpassierbar.

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Afghanistan

     Als der JRS seine Tätigkeit in meiner Schule                  Vertrauen ist die Basis
     aufnahm, hätte ich nie erwartet, dass sich                    Die Erfahrungen von Anahita und Qandi
     so vieles verändern würde. Ich konnte Eng-                    teilen viele Mädchen. Der JRS hat es an
     lisch lernen und dadurch ging ein Traum                       vielen Orten geschafft, ihre Bildungschan-
     für mich in Erfüllung. Die JRS-Kurse ha-                      cen zu erhöhen. Der Schlüssel für den lang-
     ben mir Selbstvertrauen geschenkt. Vorher                     fristigen Erfolg ist dabei das Vertrauen der
     wusste ich nicht, welche Fähigkeiten ich                      Eltern und die Zusammenarbeit mit den
     habe, aber jetzt kenne ich sie. Ich habe ge-                  lokalen Gemeinschaften. Silvia Käppeli
     lernt, in der Öffentlichkeit zu sprechen und                  warnt davor, Traditionen in Afghanistan
     mich in einer Fremdsprache zu unterhal-                       gegen die im Westen geltenden Freiheiten
     ten. Die Meinung in meinem Dorf lautet:                       auszuspielen: „Im heute weitgehend ge-
     Wenn ein Mädchen allein aus dem Haus                          setz- und rechtsfreien Raum sind gewisse
     geht, bringt dies Schande über ihre Fami-                     Schutzmaßnahmen durchaus gerechtfer-
     lien. Wenn ein Junge aus dem Haus geht,                       tigt.“ Und der indische Jesuit Prem Kumar,
     bringt es Wohlstand. Ich möchte studieren.                    der 2014 von den Taliban entführt und
     Wenn mir das gelingt, kann ich die Vorstel-                   acht Monate in Gefangenschaft gehalten
     lungen verändern, die hier über Mädchen                       wurde, betont: „Wenn wir die Menschen
     bestehen. Ich möchte Ärztin werden, weil es                   nicht verstehen und sie nicht so akzeptieren
     in meinem Bezirk keine Ärztinnen gibt. Ich                    wie sie sind, dann wird unser Dienst nicht
     liebe die Menschen in meinem Land und                         erfolgreich sein.“
     frage mich, wie ich ihnen und auch mir
     selbst helfen kann.“                                                                                  Judith Behnen

     Lernen trotz Kälte: Mädchen der Winterschule in Kabul mit Judith Behnen (hinten Mitte mit violettem Kopftuch).

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jesuitenweltweit
                                                                                         Kirgistan

   Unsere Bitte für Afghanistan
   In der Nähe von Bamiyan liegt diese Mühle, die ich schon vor einigen Jahren besucht
   habe. Sie wird von einem Wasserstrom betrieben, der aus den Bergen kommt und in
   einen wunderschönen See mündet. Es kam gerade ein Mann mit seinem Esel und
   seinem Sohn vorbei, der zwei Säcke Weizen zur Mühle brachte. Wir durften im Inneren
   des kleinen Häuschens zuschauen. Das Korn wird in den Holztrichter geschüttet und
   zwischen den beiden Mahlsteinen zerrieben. Der feine Mehlstaub liegt in der Luft und
   das Licht wird dadurch ganz weich.

   Das ländliche Afghanistan in Bamiyan und Daikundi ist eine Welt, die wir uns aus der
   Ferne fast nicht mehr vorstellen können: Uralte Traditionen und Lebensweisen, feste Famili-
   en- und Clanstrukturen, harte Arbeit mit einfachsten Mitteln. Der Krieg hat tiefe Wunden
   in die Seelen der Menschen geschlagen. Mit ihrer Bildungsarbeit haben die Jesuiten in den
   vergangenen 15 Jahren Vertrauen und Nähe gewonnen, um mit den Familien gemeinsam
   einen Weg zu gehen und vor allem für die Mädchen Türen zu öffnen. Mit Ihrer Hilfe wollen
   wir diesen Weg weiter unterstützen.

   Von Herzen danke ich Ihnen für Ihre Spende!
                                                                     Spendenkonto Österreich
                                                                     IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000
   Klaus Väthröder SJ                                                Spendenkonto Deutschland
   Missionsprokurator                                                IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82
                                                                     Stichwort: X31193 Afghanistan

                                                                                jesuitenweltweit 11
Jugend sucht Gott

     Die Zahlen sind beeindruckend: Mehr als 1.000 Jugendliche nehmen jedes Jahr
     an den von Jesuiten organisierten Sommerexerzitien in Vietnam teil. Die Ordens-
     schwester Thuy Tien berichtet über die Erfahrungen einer solchen Woche.

     I
          ch denke, dass unsere Jugendlichen wie    „Kommt an einen einsamen Ort!“
          die übrigen jungen Menschen auf der       Auf jeden Fall ist es notwendig, auch mal
          ganzen Welt nach Wegweisung und der       innezuhalten: „Kommt mit an einen einsa-
     tieferen Bedeutung ihrer Identität und ih-     men Ort, wo wir allein sind, und ruht ein
     res Engagements suchen. Sie begegnen der       wenig aus“, lädt Jesus seine Jünger mitten in
     Welt mit mutigen Augen voller Hoffnung         der alltäglichen Hektik ein. „Denn sie fan-
     und Freude. Sie haben zweifellos die Ener-     den nicht einmal Zeit zum Essen, so zahl-
     gie und die angeborene Hartnäckigkeit, das     reich waren die Leute, die kamen und gin-
     zu suchen und zu finden, was Gott für sie in   gen“ (Mk 6,31). Jesus lädt nicht ein, weil
     diesem Leben angelegt hat.                     die freie Zeit dazu da ist, sondern weil ihnen
                                                    gerade diese Zeit fehlt. Eine solche Einla-
     Schattensuche in der Cloud                     dung spricht unser Volk sehr an. Ich glaube,
     Aber das Leben ist nicht einfach. Familiäre    dass wir in Vietnam als landwirtschaftlich
     und gesellschaftliche Realitäten verstärken    geprägtes Land eine natürliche Sehnsucht
     oft die existenzielle Unruhe und das Ge-       nach Einfachheit und Einsamkeit haben.
     fühl, in eine Welt ohne klaren Rhythmus        Tatsächlich suchen viele Jugendliche Pago-
     hineingeworfen zu sein. Das Leben wird         den für zen-buddhistische Meditation auf,
     härter im Industrie 4.0-Zeitalter. Techni-     die ihrer Meinung nach die Kirche nicht
     sche Konnektivität führt nicht automatisch     bieten kann. Daher organisierte der Jesui-
     zu bedeutsamen Beziehungen und sozialem        tenpater Thai Son ein Sommerprogramm
     Zusammenhalt, noch führt steigende Effizi-     für junge Menschen in der ignatianischen
     enz automatisch zu einem Mehr an Freizeit      Tradition der Einzelexerzitien.
     und Freiraum für das eigene Selbst. So en-
     den viele Jugendliche damit, ihren eigenen     Sehnsucht trotz voller Kirchen
     Schatten in Cloud-Realitäten voller Ver-       Die ignatianische Vorgehensweise ist unter
     sprechungen hinterherzujagen, die sie aber     Vietnams Katholiken nicht weit verbreitet.
     doch nur leerer, frustrierter und innerlich    Unsere Kirchen sind zu den täglichen Mes-
     noch wütender zurücklassen.                    sen gut besucht und am Sonntag überfüllt.

12 jesuitenweltweit
Vietnam

Das Gemeindeleben ist geprägt von Herz-
lichkeit und aktivem Engagement. Aber ich
spüre die Sehnsucht der Jugendlichen nach
einer persönlicheren Erfahrung inmitten der
gemeinschaftlichen Glaubensfeiern. Daher
investieren wir viel Anstrengung und Auf-
wand in das Sommerprogramm und setzen
dabei alle Mittel ein, auch in den sozialen
Medien mit Kampagnen, Glaubenszeugnis-
sen und Spendenwerbung.

Neugier und Offenheit
Aktuell haben wir im ganzen Land 19 Kurse,      Schwester Thuy Tien begleitet die Sommerexerzitien.
an denen jeweils rund 65 junge Menschen
teilnehmen, also insgesamt etwa 1.200. Viele    wenn der Magen leer bleibt. So ist zu Beginn
kommen zum ersten Mal und bringen un-           der Exerzitien die erste echte Loslösung der
terschiedliche Absichten und Motivationen       Abschied vom Telefon. In Verbindung mit
mit. Sie haben von Erfahrungen früherer         der auferlegten Stille bewegen sich die Teil-
Teilnehmer gehört oder begleiten Freun-         nehmer von nervöser zu extremer Unruhe.
de, ohne selbst zu wissen, was sie außer der    Es gibt immer eine beträchtliche Zahl von
gemeinsamen Zeit erwartet. Einige lockt         Leuten, die sich zu eingeengt fühlen und
einfach die Neugier. Einige zögern mit der      aussteigen wollen. Hat sich die Entschei-
Anmeldung, weil ihnen das Geld fehlt. Eine      dung zum Bleiben durchgesetzt, kommen
Studentin erzählte mir von ihrem Interesse      bald verschiedene Besorgnisse und innere
und gestand, sich die Gebühr nicht leisten zu   Konflikte an die Oberfläche und die emp-
können. Anfangs fühlte ich mich hilflos und     fundene Leere öffnet Herz und Seele für das
zögerte, sie weiter zu ermutigen. Ein paar      geistliche Gespräch mit Gott. Sie werden
Tage später spendete ein Wohltäter einen        in eine neue Sprache eingeführt, in der die
großen Betrag für religiöse Zwecke ohne,        Seele, die so dringend gehört werden will,
dass ich nach ihm gesucht hätte. Von dieser     die göttliche Gegenwart berührt, die tief in
Zeit an versorgte uns Gott weiter, und die      ihrem Inneren allezeit zu wohnen scheint.
Jesuiten arbeiten hart daran, die dürftigen     Aber der Weg dahin ist mühsam.
Teilnehmerbeiträge zu subventionieren.
                                                Veränderung durch Schweigen
Eine Woche ohne Handy                           Die äußeren Sinne, die alltäglich gewohn-
Während der fünftägigen Exerzitien lassen       heitsgemäß angewendet werden, müssen dis-
die Teilnehmenden alle schulischen und be-      zipliniert werden. Die Augen sollen auf eine
ruflichen Aktivitäten ebenso ruhen wie ihre     Schriftstelle, eine Kerze oder ein religiöses
Kontakte zu Mitmenschen. Ich spüre ihr          Bild gerichtet sein, oder in zielloser Kontem-
Widerstreben bei der Abgabe von Telefonen       plation verharren, während die Gedanken
und anderen Geräten, um der Abgeschie-          vorbeistürzen, schwankend zwischen flüchti-
denheit Raum zu geben. Vietnam ist ein ar-      gen Fantasien und plötzlichen Erkenntnissen.
mes Land, aber jeder junge Erwachsene ist       Die Ohren, die den Lärm belebter Straßen
von elektronischen Geräten abhängig, selbst     und nörgelnde Stimmen kennen, müssen den

                                                                                       jesuitenweltweit 13
14 jesuitenweltweit
Vietnam

„leng keng“-Klang der Glocke respektieren,       tungsgespräche zu führen. Ich hatte sogar
die zur nächsten Betrachtungszeit ruft. Die      Zweifel, ob ich noch das umgangssprachliche
Zunge muss im Zaum gehalten werden und           Vietnamesisch der Jugend verstehen könnte.
die Bewegungen des Körpers erfolgen spar-        Überraschenderweise teilten während eines
samer. Es ist ein erstaunlicher Anblick, wie     Gruppenaustausches einige die Früchte ihres
sich die jungen Menschen verändern. Im           Gebets, die sie von meinen Impulsen herlei-
persönlichen Begleitungsgespräch kommt           teten. Sie drücken ihre Dankbarkeit dafür
jeder mit Geschichten, Träumen, Schmerzen        aus, von dem Vortrag so berührt worden zu
und Problemen. Ich sehe deutlich, wie weit       sein. Natürlich ist es stetig und immer wie-
die heutige Welt der Jugend von der meiner       der gesagt worden, dass Gott selbst der Re-
Zeit entfernt ist, als ich selbst in ihrem Al-   gisseur der Exerzitien ist. Aber wie oft vergaß
ter war. Sie kann gleichzeitig so ablenkend      ich es, und wie oft wollte mein Ego glauben,
und betäubend sein. Ich verstehe immer           dass es um mich und meine Leistung ginge.
besser ihre Konflikte und Kämpfe und wie
ihr Glaube trotz bester Absichten ohne einen     Verwandlung und Sendung
Ort für persönliche religiöse Erfahrung mög-     Die jungen Leute zeichnen ihre vergange-
licherweise nie ans Tageslicht kommen kann.      nen Erfahrungen nach und schauen sich ihre
                                                 gegenwärtigen Sorgen an, insbesondere die
Wurzeln schlagen in Gott                         von Schmerz und Trauer, von Hilflosigkeit
Ich erinnere mich an einen Teilnehmer, der       und Entbehrung. Mit erneuerten Augen des
mit Sorgen über sein Studium, seine Bezie-       Herzens erkennen sie, dass Gott sie in gro-
hung und eine Vielzahl anderer Dinge zu          ßer Liebe hält, nie ihre Seite verlässt, mit ih-
mir kam. Unter Tränen teilte er seine Last.      nen die ganze Zeit leidet und weint. Sie sind
Wir sprachen die längste Zeit darüber, wie       Zeugen für Gott geworden, erzählen und
verwirrt und vernachlässigt er sich fühlte. Er   beschreiben ihre Erfahrungen für Freunde,
kam die folgenden Tage nicht mehr zum Ge-        die Familie zu Hause, in der Schule, am Ar-
spräch. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht    beitsplatz und in den sozialen Medien. Die
beten konnte. So betete ich jeden Tag für        letzte Messe des Kurses fühlt sich immer an
ihn. Überraschenderweise kam er am letzten       wie die Aussendung der Jünger. Ich bin allen
Tag und sagte: „Schwester, dies ist das erste    sehr dankbar, die mir das Privileg geben, an
Mal, dass ich getrennt von meinen Eltern         diesem Dienst mitzuwirken. Wie die Exerzi-
an einem neuen Ort bin, das erste Mal, dass      tienteilnehmer, die eine Verwandlung erfah-
ich aufrichtig die Beichte ablege und jemand     ren, bin ich selbst ständig verwandelt, weil
wirklich zuhört, das erste Mal, dass ich Gott    ich die Bewegungen Gottes in ihnen sehen,
begegne. Ich habe diese Art von Freude noch      hören und fühlen darf.
nie verspürt. Es wird für mich die Grundlage                                 Sr. Thuy Tien ACI
sein, um Wurzeln zu schlagen in Jesus und
zu wachsen.“ Später dankte ich unter Tränen
dem Herrn für diese Gnade für den jungen         In Frankfurt und Innsbruck bietet die
Mann und besonders für mich. Sein erstes         Zukunftswerkstatt der Jesuiten für junge
Mal war auch mein erstes Mal in der Leitung      Leute Auszeitwochenenden und Exerzitien:
eines Exerzitienkurses, nachdem ich einige       zukunftswerkstatt-sj.de und
Jahre im Ausland verbracht hatte. Ich fühlte     office@zukunftswerkstatt-innsbruck.org
so viel Angst, Impulse zu geben und Beglei-

                                                                                 jesuitenweltweit 15
Sambia

     Jesuit und Agrarwissenschaftler
     Pater Claus Recktenwald (37) hat sein Zweitstudium der Agrarwissenschaften
     abgeschlossen und wird jetzt im Kasisi Agricultural Training Center (KATC) in
     Sambia mitarbeiten, um Methoden nachhaltiger Landwirtschaft umzusetzen.

                                                    Jünger auf: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Das
                                                    ist zunächst einmal ein Aufruf, nicht gleich-
                                                    gültig zu sein für die Situation der anderen.

                                                    Wachsender Hunger in der Welt
                                                    Nachdem die Zahl der Hungernden in der
                                                    Welt lange Zeit gesunken ist, steigt sie seit
                                                    2015 wieder an und lag im letzten Jahr bei
                                                    etwa 821 Millionen. Über zwei Milliarden
                                                    Menschen haben keinen komplett sicheren
                                                    Zugang zu Lebensmitteln. Dazu kommt,
                                                    dass in den ärmsten Gebieten der Welt die
                                                    Bevölkerung stark wächst, da die Familie
                                                    oft die einzige Versicherung für das Überle-
                                                    ben ist. Und gerade in diesen Gebieten, die

     J
          esuiten versuchen Gott in allen Dingen    oft in Äquatornähe liegen, wird durch den
          zu suchen und zu finden, deswegen ar-     Klimawandel eine drastische Zunahme von
          beiten sie auch in allen nur denkbaren    Wetterereignissen wie Hitze und Dürre,
     Bereichen. Das war die Quintessenz meines      aber auch extreme Regenfälle vorhergesagt.
     ersten Besuchs auf der Homepage des Ordens     In der Landwirtschaft können solche Ereig-
     kurz nach der Jahrtausendwende. Was ich da     nisse große Teile der Ernte vernichten. Die-
     gelesen habe, hat nachhaltigen Eindruck auf    se Situation lässt in Zukunft wahrscheinlich
     mich gemacht.                                  die Zahl der Hungernden weiter ansteigen.
                                                    Es gibt die Tendenz in den wohlhabenden
     „Gebt ihr ihnen zu essen!“                     Ländern, aber auch unter den Reichen der
     Der Gedanke Agrarwissenschaft zu studie-       ärmeren Länder, sich abzuschotten, da ei-
     ren, kam das erste Mal auf dem Pilgerweg       nen selbst die Folgen vermeintlich nicht
     nach Santiago di Compostela. Er war auf        betreffen und man gleichzeitig nichts an
     einmal da und hat mich seitdem begleitet.      seiner Lebensweise ändern möchte.
     Ich habe ihn als einen Ruf Gottes zu deuten
     gelernt, der seitdem eine Reihe von Bestäti-   Keine Vogel-Strauß-Taktik
     gungen, oft auch in der Meditation von Bi-     In der Enzyklika Laudato si‘ schreibt Papst
     belstellen, gefunden hat. Das Gleichnis von    Franziskus dazu: „Es gibt keine politischen
     der wunderbaren Brotvermehrung ist eine        oder sozialen Grenzen und Barrieren, die uns
     dieser Erzählungen. Die Menschen kommen        erlauben, uns zu isolieren, und aus ebendie-
     mit ihrem Hunger zu Jesus und er fordert die   sem Grund auch keinen Raum für die Glo-

16 jesuitenweltweit
Sambia

balisierung der Gleichgültigkeit.“ Der Nati-
onalismus, der in vielen Ländern an Zulauf
gewinnt, erscheint demgegenüber wie die alt-
bekannte Vogel-Strauß-Taktik. Den Auftrag
zum Studium der Agrarwissenschaft und die
Sendung nach Sambia habe ich mir nicht
selbst gegeben, sondern vom Orden bekom-
men. Traditionell verstehen sich die Jesuiten
als „apostolischen Leib“, das bedeutet, dass
jeder Jesuit mit dem, was er tut, einen klei-
nen Beitrag leistet zum großen Ganzen, also
die Frohe Botschaft Jesu lebendig werden zu
lassen. Der Gesamtorden hat vor wenigen
Monaten vier Präferenzen formuliert, wozu
uns Jesus heute ruft. „Für die Schöpfung: In
der Sorge für das gemeinsame Haus zusam-
menarbeiten“ ist eine davon und eine zweite
ruft dazu auf, an der Seite der Benachteilig-
ten für mehr Gerechtigkeit einzutreten. Von
meiner Mitarbeit in Kasisi erhoffe ich mir,
etwas davon konkret werden zu lassen. Ich
gehe als Lernender nach Kasisi. Auf der an-
deren Seite sind die Herausforderungen in
dieser Gegend groß und mein Auftrag ist es,
an ihrer Lösung mitzuarbeiten.

Kleine konkrete Schritte                        Auf der Modellfarm der Jesuiten in Kasisi geht es um die
Als Einzelne können wir schon viel tun, in-     Erforschung und Umsetzung ökologischer Anbaumethoden.
dem wir unseren eigenen Lebensstil verän-
dern, sparsamer leben und uns fragen, wie       ander zu vernetzen. Es sind die kleinen kon-
viel brauche ich denn wirklich? Noch größe-     kreten Schritte, die uns voranbringen. Besser
re Kraft entwickelt unser Einsatz, wenn sich    als alles auf einmal verändern zu wollen ist
Menschen zusammenschließen. Den Orden           es, zunächst einmal die Dinge herauszufin-
selbst erlebe ich in einer Orientierungspha-    den, auf die zu verzichten mir leichtfällt. Das
se. Auf der einen Seite hat das Leben in der    kann bei jedem ganz unterschiedlich sein.
Kommunität viele positive Effekte. So tei-      In der Diskussion mit Studierenden wurde
len wir viele Dinge des alltäglichen Lebens.    aber auch der Aspekt genannt, dass wir eine
Auf der anderen Seite sind viele Dinge aber     Herausforderung brauchen. Wenn wir Men-
auch so eingefahren, dass eine Veränderung      schen im Wettbewerb stehen müssen, kön-
schwerfällt. Bei einer ganzen Reihe von Mit-    nen wir uns auch im guten Sinne gegenseitig
brüdern ist eine wachsende Sensibilität für     anstacheln, um aus unserer Komfortzone
das Thema spürbar. Unsere Herausforderung       auszubrechen und mehr zu erreichen.
ist es, eine Gesprächskultur aufzubauen, die
sensibel ist für diese Frage und uns mitein-                                Claus Recktenwald SJ

                                                                                     jesuitenweltweit 17
Menschenfischer

Der auf dem Steinklotz sitzt,
der sagt zu dem, der vor ihm steht:
ich brauche dich, mein Felsenmann!

Der da den Fisch am Feuer brät,
der sagt zu dem, der Fische fängt:
ich brauche dich als Menschenfischer.

Denn Menschen leben nicht von Brot allein.
Auch nicht allein von Brot und Spielen.
Das Herz will mehr.

Man darf nicht nur mit Netzen fischen.
Oft braucht es eine Angelschnur
und einen Köder, der so faszinierend ist
für Mensch und alle anderen Wesen
wie das lebendige Wort Gottes.

                  Joe Übelmesser SJ

18 jesuitenweltweit
Das Wandgemälde hängt im Manresa Center of Spirituality der Jesuiten in Jingshan/Taiwan. Es stammt von dem
Künstler und ehemaligen Jesuiten Francisco Borboa, der in China für seine religiösen Bilder sehr bekannt ist.

                                                                                              jesuitenweltweit 19
Mosambik

     „So viel Jugend hält jung!“
     Vor mehr als zwei Jahren ist Pater Heribert Fernando Müller im Hochland
     Mosambiks angekommen, um die Ignatius-von-Loyola-Schule (ESIL) zu leiten.

     E
              s ist schon dunkel und ich muss auf-   gelegenen Nordwesten des Landes gezogen.
              passen, dass ich in kein Loch falle.   Nach einem halben Leben in Simbabwe
              Aber der Sternenhimmel ist bezau-      und zwei Jahren als Pfarrer in der mosam-
     bernd!“ Die Stimme von Pater Heribert           bikanischen Hafenstadt Beira ist er nun für
     Fernando Müller dringt klar und deut-           den Ausbau von Schule und Missionsstati-
     lich aus dem Handy. Das Versenden von           on in Tsangano verantwortlich.
     Sprachnachrichten ist für den 58-jährigen
     Jesuiten in Mosambik mit einem Spazier-         Ein tägliches Abenteuer
     gang verbunden: Quer über das weitläufige       „Mit weit über 50 Jahren noch einmal ganz
     Schulgelände der ESIL (Escola Secundária        neu anzufangen, ist für mich ein tägliches
     Inácio de Loyola – Ignatius-von-Loyola-         Abenteuer. Ich hatte immer gehofft, nach
     Schule), hinaus in das grüne Umland und         meiner Zeit in Makumbi in Simbabwe etwas
     hoch auf einen kleinen Berg. Denn nur dort      Neues machen zu dürfen. Ich hatte dabei an
     ist der Empfang stark genug, um Nachrich-       China gedacht oder an die Flüchtlingsarbeit.
     ten übers Internet verschicken zu können.       Nach Mosambik zu kommen, war dann
     Im Februar 2017 ist Pater Müller in den ab-     doch eine Überraschung. Mein Vorgänger

20 jesuitenweltweit
Mosambik

hier an der ESIL wurde nach Rom berufen         le unheimlich preisgünstig: Drei Monate
und ich musste kurzfristig einspringen, ohne    im Internat kosten umgerechnet 60 Euro.
viel Vorbereitung. Ich habe mich darauf ein-    Doch dieser Betrag ist für viele Familien
gelassen und jetzt in den vergangenen zwei      schon zu viel. Und dann gehen die Kinder
Jahren gemerkt: Ja, hier ist mein Platz, hier   ins Nachbardorf, der Vater organisiert eine
kann ich etwas geben. Vieles ist mir bereits    Unterkunft und schickt dann Mais und
zur Heimat geworden.“                           Bohnen, damit das Kind sich selbst versor-
                                                gen kann. Was viele Kinder auszeichnet,
Eine vergessene Region                          ist ein starkes Verlangen nach Bildung. Sie
Eine wunderschöne wie vergessene Land-          haben oft große Schwierigkeiten, Portu-
schaft umgibt die Schule, die einer gan-        giesisch zu sprechen, was im ganzen Land
zen Region Aufschwung verheißt. Das             verpflichtende Unterrichtssprache ist. Die
Hochland von Angonien ist grün soweit           meisten Eltern betreiben zu Hause Land-
das Auge reicht und weit weg von Mosam-         wirtschaft, ganz einfach und oft nur mit
biks Hauptstadt Maputo und den anderen          wenig Land. Sie sind froh, wenn die Kinder
Zentren des südostafrikanischen Landes.         auf unseren Schulfeldern zur Eigenversor-
Die Menschen, die hier leben, sprechen          gung noch einiges lernen, was sie zu Hause
die lokale Sprache Chichewa, nur gut zehn       dann ausprobieren und umsetzen können.
Prozent beherrschen Portugiesisch, die An-      Einer unserer Träume ist es, hier eine klei-
alphabetenquote in der Region liegt mit 80      ne Landwirtschaftsschule anzuschließen, an
Prozent weit über dem Landesdurchschnitt.       der die Schüler eine dreijährige Berufsaus-
Die Schule der Jesuiten wurde 2014 aus der      bildung machen können.“
Taufe gehoben. Im Umkreis von 20 Kilo-
metern gibt es keine weitere Sekundarschu-
le, im ganzen Bezirk Tsangano sind es gera-
de mal zwei: Die Provinz Tete ist auch ein
Vierteljahrhundert nach Ende des 15-jäh-
rigen mosambikanischen Bürgerkriegs nie
auf die Beine gekommen. So stammen die
knapp 650 Schülerinnen und Schüler der
Jahrgangsstufen 8 bis 12, die den hügelum-
säumten Campus bevölkern, aus einem rie-
sigen Einzugsgebiet.

Verlangen nach Bildung
„Einige Kinder kommen jeden Tag zu
Fuß“, erzählt Pater Müller. „230 Mädchen
und Jungen wohnen bei uns im Internat.          644 Mädchen und Buben besuchen die Klassen 8 bis 12.
Aber es gibt mittlerweile auch im nächs-        Pater Müller (links) stammt aus der Diözese Fulda.
ten Dorf Familien, die Schüler aufnehmen.
Unsere Schüler kommen aus sehr einfachen        Träume und Projekte
Verhältnissen. Und die Eltern tun sich oft      Es gibt noch viele weitere Träume und not-
schwer, die Schulgebühren zu bezahlen. Aus      wendige Projekte für die Weiterentwick-
europäischer Perspektive ist unsere Schu-       lung der Schule: Noch fehlt der Anschluss

                                                                                      jesuitenweltweit 21
Mosambik

     Die Kartoffeln für das Internatsessen werden selbst angebaut – die Schüler helfen in der Landwirtschaft mit.

     an das Stromnetz, solarbetriebene Pumpen                     Lehrkräften. Aber unter den Sekundarleh-
     zur Wasserversorgung werden gerade ins-                      rern finden sich nur wenige Frauen, die
     talliert, es gibt noch keine Labore für den                  meisten sind für Grundschulen ausgebildet.
     Physik-, Chemie- und Biologieunterricht,                     Es ist unser Wunsch, dass die jungen Lehrer
     erste Pläne stehen für den Bau einer Ge-                     sich hier wohlfühlen, ESIL zu ihrer Schu-
     sundheitsstation, die neben der Schule auch                  le machen und so mit ganzem Herzen und
     die umliegenden Dörfer versorgen soll, der                   voller Energie dabei sind. Viele kommen
     Bau von ersten Lehrerhäusern hat bereits                     mit ihren persönlichen Fragen und Proble-
     begonnen.                                                    men zu mir. Ich sehe es als meine Aufgabe
                                                                  an, für ein gutes Klima unter den Lehrern
     Junge Lehrer binden                                          zu sorgen. Da kann ich viele Erfahrungen
     „Bis jetzt wohnen die Lehrer in einem                        aus meiner Zeit in Makumbi einbringen:
     Hostel, wo jeder Lehrer ein Zimmer hat.                      das Personal gut zu führen, Gemeinschaft
     Es gibt dort eine gemeinsame Küche und                       zu stiften zwischen Schülern, Lehrern, Ar-
     einen Aufenthaltsraum. Das ist nicht ide-                    beitern, Jesuiten, da zu sein und ein offenes
     al, weil sie praktisch wie Alleinstehende                    Ohr zu haben.“
     leben und ihre Familien irgendwo anders
     sind. In Zukunft wollen wir für die Lehrer                   Schwestern aus Simbabwe
     richtige Familienhäuser bereitstellen. Der                   Um den Frauenanteil an der ESIL zu er-
     mosambikanische Staat bezahlt die Lehrer                     höhen, hat Pater Müller einige Fäden im
     und schickt sie uns. Die Lehrer sind recht                   Hintergrund gezogen: Die simbabwischen
     offen, auch für Fortbildungen, zum Beispiel                  Maria-Ward-Schwestern sind bereit, nach
     was ignatianische Pädagogik angeht und                       Mosambik in einen Konvent auf dem
     den katholischen Charakter unserer Schu-                     Schulgelände zu ziehen und sich in die
     le. Leider haben wir nur zwei Lehrerinnen.                   pädagogische und pastorale Arbeit einzu-
     Ich hätte gerne mehr Frauen unter unseren                    bringen. Der Erzbischof von Tete hat ihnen

22 jesuitenweltweit
Mosambik

bereits einen offiziellen Einladungsbrief
geschrieben und den Aufbau einer Schwes-
ternkommunität an der Schule genehmigt.
Die Freude darüber ist Pater Müller deut-
lich anzumerken: „Ja, die Präsenz von Frau-
en ist einfach wichtig!“

Chichewa statt Shona
Neben Pater Müller gibt es hier fünf wei-
tere Jesuiten. Einer von ihnen betreut die
Pfarrei, alle anderen sind als Lehrer, Fi-
nanzverwalter und Seelsorger an der Schule
tätig. Als Oberer ist Pater Müller auch für
zwei weitere Missionsstationen im Umland       Thiago träumt davon, Arzt zu werden. Die Schule ist auf
mit je einer kleinen Jesuitenkommunität        Spenden angewiesen – Projektcode: X41400 ESIL.
verantwortlich. Portugiesisch hat er durch
seine Zeit in Beira perfekt gelernt, einige    Schülern deutlich: „Ehe ich herkam, konn-
Schwierigkeiten bereitet ihm noch die loka-    te ich fast kein Portugiesisch“, berichtet
le Sprache Chichewa: „Jeden Morgen versu-      der 16-jährige Mario, der Elektroingenieur
che ich, konsequent eine Stunde Gramma-        werden möchte. Eine noch größere Chance
tik und Vokabeln zu lernen. Natürlich kann     erwächst seinem Klassenkameraden Thiago:
ich schon die Messe auf Chichewa feiern,       Er ist Albino und durch seine hellen Haare
aber es fehlt noch das freie Sprechen so wie   und die weiße Haut nicht nur stigmatisiert,
ich das in Simbabwe in der Shona-Sprache       sondern lebt in ständiger Gefahr, da gerade
gewohnt war. Aber langsam baut sich etwas      auf dem Land viele Mosambikaner aber-
auf und ich bin sehr froh darüber.“            gläubisch sind und Albinos magische Kräfte
                                               zuschreiben. Jetzt ist er an der ESIL nicht
Eine Schule für alle                           nur ein geschätztes Mitglied der Gemein-
Wie wichtig die Arbeit von ESIL für die ge-    schaft und kann Vorurteile überwinden,
samte Region ist, wird im Gespräch mit den     sondern vielleicht sogar den Weg ebnen,
                                               um sich seinen großen Traum zu erfüllen:
                                               „Arzt werden und anderen helfen.“

                                               Innere Kraft
                                               Dankbar ist Pater Müller für die große Un-
                                               terstützung aus Deutschland und Öster-
                                               reich: „Für alle Spenden und auch dafür,
                                               dass ihr für uns betet, mitdenkt, mithofft,
                                               liebt. Das ist ganz wichtig und gibt uns in-
                                               nere Kraft. Es gibt so viel, was angepackt
                                               werden muss. Zum Glück bin ich hier um-
                                               geben von so viel Jugend, das hält jung!“

                                                             Steffen Windschall  /Judith Behnen

                                                                                    jesuitenweltweit 23
Jesuit Volunteers

weltbegeistert
                              Stoffbeutel statt Plastiksackerl
6067894_JV-Postkarte.indd 2                                        14.12.15 13:19

                       Marlen Weingartmann aus Weiz in der Steiermark ist nach der Matura 2018 als
                       Freiwillige nach Piura in Peru gereist. Sie berichtet über eine aktuelle Aktion aus ih-
                       rem Projekt CANAT, das sich für Schutz und Bildung arbeitender Kinder einsetzt.

                       N
                                 ach fast einem Jahr in Piura weiß           Plastik und dessen Auswirkungen auf unsere
                                 ich, dass ich einiges vermissen wer-        Umwelt konzentriert haben, gab es für jeden
                                 de. Die Offenheit der Menschen              eine Stofftasche. Da hier alles in Plastik ver-
                       und das Lachen der Kinder. Was mir defini-            packt wird, wollten wir auch für die Kinder
                       tiv nicht fehlen wird, sind Plastiksackerl, die       Stofftaschen herstellen. Um 250 Stofftaschen
                       in den Bäumen hängen und Plastikflaschen,             zu nähen, fehlten uns die Ressourcen. Im
                       die aus fahrenden Autos geworfen werden.              Gefängnis von Piura gibt es für Häftlinge ein
                       Tagtäglich bin ich von Müll umgeben und er            Programm, bei dem sie Schmuck herstellen,
                       verdeutlicht ein Problem, das uns alle betrifft       nähen oder Computer reparieren. Um die
                       – die Verschmutzung unserer Erde. Meinen              Taschen nicht von irgendwo zu beziehen
                       Mitfreiwilligen und mir war es wichtig, die-          und das Programm im Gefängnis zu unter-
                       ses Thema in unserer Einrichtung aufzugrei-           stützen, haben wir dort einfarbige Taschen
                       fen. CANAT ist ein Ort, an dem Zukunft                produzieren lassen und sie anschließend mit
                       geschaffen wird. Eine Zukunft, in der Kinder          den Kindern bemalt.
                       nicht in einer verdreckten Welt leben sollen.
                       Ein kleiner Schritt ist besser als keiner, also       Spielerisch die Umwelt schützen
                       haben wir uns an die Arbeit gemacht.                  CANAT, das übersetzt für „Hilfszentrum für
                                                                             arbeitende Kinder und Jugendliche” steht,
                       Aus T-Shirt wird Tasche                               leitet drei Programme. Begonnen haben wir
                       Angefangen haben wir mit den Mitarbei-                mit den Kindern und Jugendlichen aus dem
                       tern von CANAT. Wir wollten nicht nur                 Programm Manitos Trabajandos („Arbeiten-
                       theoretisch mit ihnen zum Thema Umwelt                de Hände“). Rund 50 Kinder und Jugendli-
                       arbeiten, sondern ihnen auch etwas Prak-              che im Alter von 7 bis 17 Jahren nehmen an
                       tisches mitgeben. So haben wir uns an die             dem Programm teil. Viele von ihnen arbeiten
                       Nähmaschinen gesetzt und aus alten T-Shirts           und besuchen die Schule nur unregelmäßig
                       und Jacken Taschen für das gesamte Team               oder gar nicht. Da langfristig der einzige Weg
                       genäht. Nach einem Workshop, bei dem wir              aus der Armut Bildung ist, versucht CANAT
                       uns auf die Herstellung und Entsorgung von            alles, damit die Kinder ihre Schulbildung ab-

         24 jesuitenweltweit
Jeder Stoffbeutel wird ein Kunstwerk:
Stolz halten die Kinder ihre Taschen hoch.

                                               Marlen (2.v.l.) und ihre Mitfreiwilligen haben das Umwelt-
                                               projekt auf die Beine gestellt.

schließen. Bei Manitos Trabajandos können      gelmäßig mit ihren Babys an den Ludotecas
sie ihre Hausaufgaben machen, spielen und      teilnehmen, zum Thema Umwelt gearbeitet.
sie bekommen eine warme Mahlzeit. Einen        Für die Kleinen haben wir beispielsweise In-
ganzen Tag haben wir mit ihnen spielerisch     formationen in Form einer Geschichte ver-
Umweltthemen behandelt und anschließend        packt. Anschließend durften alle eine Stoff-
mit ihnen die Stofftaschen bemalt. Mit Krea-   tasche gestalten.
tivität sind sie ans Werk gegangen und haben
so einige Kunstwerke entstehen lassen.         Energiesparmodus einschalten
                                               Zuletzt haben wir mit unserem Umwelt-
Wo die Müllabfuhr nicht kommt                  projekt das Programm Manitos Creciendos
Beim Programm Manitos Jugandos („Spie-         („Wachsende Hände“) besucht. Es richtet
lende Hände“) arbeite ich jeden Tag in so-     sich an junge Erwachsene aus den ländlichen
genannten Ludotecas, was übersetzt so viel     Gegenden um Piura und ermöglicht ihnen
wie „Spielräume“ bedeutet. Die Ludotecas       eine Koch-, Schneider- oder Kosmetikaus-
befinden sich in einem Randbezirk von Piu-     bildung. Viele Jugendliche haben die Schule
ra, in dem Drogen, Gewalt und Prostitution     abgebrochen, um arbeiten zu gehen und ihre
große Probleme bereiten. Die Ludotecas ge-     Familie finanziell zu unterstützen. Bei Mani-
ben rund 100 Kindern einen Ort, an dem sie     tos Creciendos können sie trotz fehlendem
einfach Kind sein können. Denn die meisten     Schulabschluss einen Beruf erlernen. Und
kommen aus schwierigen Familiensituatio-       das oft mit großem Erfolg: Eine der drei Psy-
nen und müssen oft viel zu schnell erwachsen   chologinnen bei CANAT ist eine ehemalige
werden. Spielerisch werden gegenseitiger Re-   Teilnehmerin von Manitos Creciendos. Sie
spekt, Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt      konnte sich durch den erlernten Beruf ein
erlernt. Unsere Umwelt ist in den Ludotecas    Studium finanzieren und ist mittlerweile fest
immer wieder Thema, denn eine funktionie-      bei CANAT angestellt. Mit diesen jungen
rende Müllentsorgung gibt es hier nicht. Wir   Erwachsenen haben wir nach Ideen gesucht,
haben nicht nur mit den Kindern, sondern       wie sie umweltfreundliches Handeln im all-
auch mit einer Gruppe von Müttern, die re-     täglichen Leben direkt in der Praxis umset-

                                                                                       jesuitenweltweit 25
Jesuit Volunteers

                                                                Einmal CANAT – immer CANAT! Viele der
                                                                ehemaligen Freiwilligen hat das Jahr in Piura
      Juan-Carlos arbeitet auf dem Markt von Piura und ist im   sehr geprägt und sie engagieren sich weiterhin
      CANAT-Programm Manitos Trabajandos.                       auf vielfältige Weise für ihr Projekt.

      zen können: Plastikflaschen wiederverwen-                 Beitrag aus der Ferne
      den, achtsam mit Wasser umgehen oder den                  Knapp vier Jahre ist es her, seit ich von
      Energiesparmodus bei ihren Smartphones                    meinem Freiwilligendienst in Peru zurück-
      einschalten. Danach durften auch sie ihre                 gekehrt bin. Gemeinsam mit vier anderen
      Stofftaschen gestalten.                                   Freiwilligen durfte ich ein Jahr lang Teil von
                                                                CANAT sein und erleben, wie wirkungs-
      Nuestra Pachamama                                         voll diese Arbeit ist. Als wir schweren Her-
      Nun hat jeder eine Stofftasche! Jetzt geht es             zens Abschied von unserem neuen Zuhause
      darum, die Theorie in die Praxis umzusetzen.              nehmen mussten, war für uns klar: Unsere
      Und das betrifft vor allem uns. Zwar waren                Geschichte mit CANAT geht weiter! In den
      wir diejenigen, die über Umweltschutz ge-                 vergangenen Jahren habe ich in verschiede-
      sprochen haben und davon, dass es so nicht                nen Gemeinden über CANAT gesprochen
      weitergehen kann. Jedoch sind es gerade wir,              und um Spenden gebeten, Vorträge über
      die oft zu viel konsumieren, ohne an die Aus-             meinen Freiwilligendienst in Schulen ge-
      wirkungen zu denken, die Dinge für selbst-                halten und eine Kooperation mit einem ge-
      verständlich halten und die Augen vor Pro-                meinnützigen Verein aus meinem Heimatort
      blemen verschließen. Aber selbstverständlich              aufgebaut. Durch die vielen Spenden konnte
      ist nichts – das habe ich hier gelernt: Man               bereits eine Vielzahl an Projekten umgesetzt
      muss dankbar sein für unsere Pachamama,                   werden: die Renovierung des Hauptgebäu-
      unsere Mutter Erde, auf der wir leben.                    des von CANAT und der Bau einer neuen
                                                                Kinderbetreuungsstätte in einem Hütten-
                                  Marlen Weingartmann           viertel. Es ist bewegend zu erleben, wie viel
                                                                Hilfe kommt und wie sehr unser Engage-
                                                                ment geschätzt wird. Bei all diesen Aktionen
                                                                besteht unser einziges Ziel darin, CANAT
                                                                und damit mehrere hundert Kinder und Ju-
                                                                gendliche, die wir zum Teil noch persönlich

26 jesuitenweltweit
Ziel von CANAT: Chance auf Spiel und Ausbildung statt
Kinderarbeit beim Herstellen von Ziegeln.

                                                        Für einen Freiwilligeneinsatz 2020/21 kön-
                                                        nen Sie sich bei uns bis zum 31.10.2019
                                                        bewerben: jesuit-volunteers.org

kennen, zu unterstützen. Wir wissen, dass               türlich, die fantastische Arbeit von CANAT
das Vertrauen, welches uns in Form von                  möglichst vielen vorzustellen und den Un-
Spenden entgegengebracht wird, ein hohes                terstützerkreis, auf den CANAT zwingend
Gut ist. Tag für Tag arbeitet CANAT daran,              angewiesen ist, immer weiter auszubauen.
Kindern einen Weg hinaus aus Armut und
Gewalt zu ebnen und soll dies auch in Zu-                                              Kilian Lenz
kunft tun können. Dafür setzen wir uns ein.

                                 Matthias Gramlich

CANAT auf 24 Seiten
Wer einmal Freiwilliger bei CANAT war,
der wird auch immer selber ein Kind von
CANAT bleiben. Die Institution ist eigent-
lich eine große Familie, in der die Kids ein
zweites Zuhause finden. Gleiches gilt für die
Mitarbeiter und Freiwilligen. Der Kontakt
bleibt immer bestehen und auch wenn es
kein täglicher Austausch wie früher ist, so
weiß man doch immer, was grade so los
ist. Ein Bildband, der 2011 entstand, wur-
de über viele Jahre immer wieder nachge-
druckt, um die vielschichtige Arbeit von
CANAT sinnvoll kommunizieren zu kön-
nen. Leider machte dann die Druckerei in                  Die Broschüre bietet mit vielen Bildern
Piura zu. Außerdem hat sich in acht Jahren                und kurzen Texten auf Englisch und
auch so einiges bei CANAT verändert. Ent-                 Spanisch einen lebendigen Einblick in
standen ist nun eine neue Broschüre, die zu               die Arbeit von CANAT. Gerne schicken
verträglichen Kosten in größerer Stückzahl                wir sie Ihnen kostenlos zu und freuen
einem breiteren Publikum zugänglich ge-                   uns über eine Spende für das Projekt.
macht werden kann. Die Hoffnung ist na-

                                                                                    jesuitenweltweit 27
Aktion

     Flüge kompensieren, Klima schützen!
     Flüge verursachen klimaschädigende Gase. Leidtragende sind vor allem die Men-
     schen im globalen Süden. Unser CO₂-Rechner hilft, Ihren individuellen Aus-
     gleich für Flugreisen zu errechnen.

     O
               b Urlaubsflug oder Dienstreise:       Auf unserer Projektseite können Sie Ihren
               In vielen Situationen können wir      individuellen CO₂-Fußabdruck errechnen
               Emissionen von Treibhausgasen         und die Summe zum Ausgleich spenden.
     kaum vermeiden, aber zumindest „ausglei-        Das Geld fließt in ein Ökologie-Projekt
     chen“. Mit einem CO₂-Rechner laden wir          der Jesuiten in Kambodscha und in das
     alle Flugreisenden ein, dem Aufruf von          „Watershed“-Programm im indischen Ma-
     Papst Franziskus zu „einer neuen und uni-       harashtra. Durch Renaturierung und Auf-
     versellen Solidarität“ zu folgen: Solidarität   forstung, den Schutz der Wasserkreisläufe
     mit jenen, die am schlimmsten unter den         und die Vermittlung von Öko-Landbau
     Auswirkungen der menschgemachten Kli-           helfen wir, die Schöpfung zu bewahren und
     makrise leiden. Unsere Klimaschutzprojek-       sichern die Lebensgrundlagen der lokalen
     te tragen dazu bei, den CO₂-Ausstoß durch       Bevölkerung.
     Aufforstung zu verringern – und sie unter-
     stützen die lokale Bevölkerung in Ländern       Die Wüste zum Paradies machen
     des globalen Südens. Sie mindern Armut          Landbevölkerung ohne Lebensgrundlage:
     vor Ort, indem sie Frauen stärken, Gesund-      In den Dürregebieten Westindiens sind vie-
     heit schützen und Perspektiven schaffen.        le Böden unfruchtbar; der Regen versickert

28 jesuitenweltweit
Aktion

nicht mehr, sondern schwemmt die frucht-
bare Erde weg. Im Bundesstaat Maharashtra
führt der Jesuit Robert D’Costa mit seinen
Mitarbeitern die Arbeit seines Schweizer
Mitbruders Hermann Bacher weiter. Pa-
ter Bacher, der am 12. Oktober 2019 sei-
nen 95. Geburtstag feiern wird, hatte die
Watershed-Methode zur Wiederbegrünung
von versteppten Flächen entwickelt: den
Regen fangen und das karge Land wieder
zum Blühen bringen.

100.000 neue Bäume
Bis heute haben sich schon über 30 Dörfer       P. Robert D’Costa SJ (links) leitet das indische Watershed-
in der Region dafür entschieden, an die-        Programm. Setzlinge für das Projekt in Kambodscha (oben).
sem Programm teilzunehmen. Die meisten
sind Angehörige indigener Stämme, wie der       suit, Umweltexperte und Leiter des Jesuit
Bhil oder Warli. Unter der Anleitung eines      Service Cambodia (JSC), hat im Jänner
15-köpfigen Teams ziehen die Bewohner           2013 angefangen gegenzusteuern. Zu-
Furchen in die Berghänge bis weit ins Tal       nächst haben Gabby und sein Team Flüs-
hinein. Diese werden mit lockerer Erde ge-      se und Wälder im ganzen Land untersucht
füllt und mit jungen Bäumen bepflanzt.          und sich mit anderen Umweltaktivisten
Wenn dann der Regen kommt, zeigt sich           vernetzt. Gemeinsam wurden 15 Orte im
das Wunder: Das Wasser wird in den Fur-         ganzen Land als Öko-Brennpunkte identi-
chen gefangen, versickert und wird im Bo-       fiziert, die das Team mit der Lokalbevölke-
den gehalten. Die Wurzeln der Bäume halten      rung nun konsequent aufforstet.
die Erde fest, der Grundwasserspiegel steigt.
Trinkwasserbrunnen haben wieder Wasser,
ausgedörrte Felder können bewässert werden
und bringen reiche Frucht. „Wir verwan-
deln die Wüste in ein Paradies“, sagt Robert
D‘Costa. 2019 plant er, auf 1000 Hektar in
fünf Dörfern 100.000 neue Bäume zu set-
zen. Geschätzte Kosten: etwa 10.000 Euro.

Schutz der Wälder in Kambodscha
Urbanisierung und Industrialisierung in
Kambodscha haben in den letzten Jahren zu          Ihre Spende gegen die Klimakrise:
einer zunehmenden Zerstörung der Wälder            jesuitenmission.at/Klimakollekte
geführt. Die Konzerne und auch die Regie-          jesuitenmission.de/CO2Rechner
rung nehmen dabei wenig Rücksicht auf die          Errechnen Sie Ihren CO₂-Abdruck und
lokale Bevölkerung, deren Lebensgrundlage          unterstützen Sie die beiden Projekte in
durch den Raubbau immer weiter schwin-             Indien und Kambodscha!
det. Gabriel „Gabby“ Lamug-Nañawa, Je-

                                                                                          jesuitenweltweit 29
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