Herzliche Einladung zum Heimatkreistreffen am 05. September 2020 in Nienburg - Heimatstube - HKG-Bartenstein eV
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Heimatblatt für den ehem. Kreis Bartenstein/Ostpr. mit den Städten Bartenstein Domnau Friedland Schippenbeil Jahrgang 71 Juli 2020 Sommerausgabe 2/2020 Heimatstube Herzliche Einladung zum Heimatkreistreffen am 05. September 2020 in Nienburg.
Aus dem Inhalt: Kreis Bartenstein - Heimatkreistreffen in Nienburg 2020 S. 34 Heimatkreistreffen am - Wahl zum erweiterten Vorstand der HKG S. 35 Sonnabend, 05. September 2020 - Ämterwechsel S. 35 in Nienburg - Abschied von der Nach dem langen Ausfall Heimatstube S. 36-37 aller Großveranstaltun- - Der Marktplatz in gen wegen der Corona- Bartenstein S. 37-38 Krise haben wir die posi- tive Erwartung, dass bis - Ostpreußen - Teil 2 S. 39-42 September die Auflagen wieder gelockert werden - Zurück in meine und wir unser jährliches Vergangenheit S. 43-46 Treffen abhalten können. - Schmorkohl S. 47 Allerdings wollen wir diesmal mit einem Anmeldeverfahren die Kalkulation für den Wirt – Familie Gallmeyer – vereinfachen, da - Gedenktag für die möglicherweise bei den aktuellen Verhältnissen doch nicht 50 – 60 Opfer von Flucht Teilnehmer zu erwarten sind. und Vertreibung S. 48-49 Daher bitten wir spätestens bis zum 30. August um Anmeldung - Arbeiten für telefonisch bei Ilse Markert: 07903-7248 oder bei Christian v. d. den Frieden Groeben: 09349-929252 bzw.: csgroeben@gmx.de. in Ostpreußen S. 50-51 - Schützenfahne des Geplanter Ablauf: Schützenvereins Bartenstein/Ostpr. S. 51-52 10:00 Uhr: Kranzniederlegung an den Gedenksteinen der Berufsbildenden - Der Herr Major hat Schulen (Berliner Ring). gesacht... S. 52 Die Heimatstube ist leider nicht mehr geöff- - Ostpreußisches net, da das Gebäude anders genutzt wird Liebesgestammel S. 52 und unser Inventar verpackt ist und auf die künftige Einrichtung in neuen Räumen wartet. - Gedenktafel in Preußisch Eylau S. 53 ab 10:30 Uhr: Saalöffnung „Hotel zur Krone“, Großer Saal (wegen Corona), - DRK Weltkriegs- Verdener Landstr. 245, Suchdienst 31582 Nienburg, Tel: 05021-64333 wird eingestellt S. 59 ab 12:00 Uhr: Mittagessen (Buffet) - Friedland/ Prawdinsk S. 60-62 ab 13:00 Uhr: Vorstellung des am Vorabend neugewählten - Jugendseite S. 63 Vorstands mit Berichten zur Aufgaben- - Die Eiche des heiligen verteilung und aktuellen Themen wie UB, Jodokus S. 64 Heimatstube usw. - Willkommen und ab 14:30 Uhr: Vortrag von Jörg Ulrich Stange: Abschied S. 64 „Peter III. – der Zar, der Ostpreußen rettete“ - Familiengeschichts- ab 15:30 Uhr: Kaffee- und Kuchenbuffet forschung S. 65-66 Grußworte der örtlichen - Vorschau S. 67 Repräsentanten und Freunde - Bartensteiner Seite S. 68 Gemütliches Beisammensein und Ausklang Familiennachrichten S. 54-58 Die örtlichen Repräsentanten sind - wie immer - natürlich herz- Impressum S. 72 lich eingeladen! 34
Kreis Bartenstein Wahl zum erweiterten Vorstand der Heimatkreisgemeinschaft Bartenstein/Ostpr. Im letzten „Unser Bartenstein“ UB 1/2020 war auf Seite 5 der Wahlaufruf für die im Jahr 2020 erforderliche Neuwahl des Erweiterten Vorstandes abgedruckt. Nach § 2 (4) unserer Wahlordnung hatte der Vorstand 6 Kandidaten vorgeschlagen, wobei Karin Cox am 09.05.2020 ihre Kandidatur zurückgezogen hat. Weitere Vorschläge sind bis zur Einreichungsfrist am 01.06.2020 beim Vorsitzenden des Wahlausschusses nicht eingegangen. Da somit nach § 4 (5) unserer Wahlordnung nur 5 Bewerber zur Verfügung stehen, gelten die Vorgeschlagenen als gewählt und wir werden auf eine Briefwahl verzichten können. Die Wahl des neuen Vorstandes für die folgende Wahlperiode (bis 2024) erfolgt am Vortag des diesjährigen Heimatkreistreffens, also am 04.09.2020 in Nienburg – „Hotel zur Krone“ – unter Leitung des Vorsitzenden des Wahlausschusses (Christian von der Groeben) oder seines Vertreters (Siegfried Olm). Das Ergebnis dieser Vorstandswahl wird beim Heimatkreistreffen am 05.09.2020 und in „Unser Bartenstein“ 3/2020 bekanntgegeben. Nachfolgende Mitglieder unserer Heimatkreisgemeinschaft bilden somit ab 05.09.2020 den künftigen Erwei- terten Vorstand (früher Kreistag) in alphabetischer Reihenfolge: Günter Morwinsky Hans-Gerhard Steinke Klaus-Günter Tammer Christiane Trampenau Dirk Trampenau geb. 1947 im Kreis Rostock, geb. 1942 in Bartenstein, geb. 1950 in Vlotho Bonne- geb. 1971 in Brehna, geb. 1970 in Dortmund, Eltern aus Schippenbeil Kaufmann, berg, Eltern aus Domnau, Krankenschwester, Vater aus Schippenbeil, Heizungsinstallateur, 25497 Prisdorf, Uhrmachermeister, 04509 Delitzsch, Verwaltungsfachangestellter, 18107 Rostock, Fasanenweg 12, 32278 Kirchlengern, Lauesche Str. 14, 04509 Delitzsch, Sassnitzer Str. 30, Tel: 04101-5686660 Holzmiers Hof 6, Tel. 034202-324120 Lauesche Str. 14, Tel. 0381-722706 Tel. 05223-71668 Tel. 034202-324120 Ämterwechsel Liebe Heimatfreunde, am 04. September wird der neue Vorstand in seine Ämter eingeführt. Es war mir eine Ehre, 16 Jahre lang der HKG Bartenstein vorzustehen und diverse Veranstaltungen und Ereignisse zu begleiten. Der notwendige Generationenwechsel wird nun vollzogen und ich bin dankbar, dass auch heute noch einige wenige Aktive bereit sind, die Erinnerung an unseren ehem. Kreis Bartenstein wachzuhalten. Der mit mir im Jahr 2004 angetretene Erweiterte Vorstand ist in den zurückliegenden Jahren geschrumpft, und nun treten die „Betagten“ in die zweite Reihe zurück. Für ihr jahrelanges Engagement habe ich allen zu danken, da es nach den Turbulenzen Anfang der 90-er Jahre bei uns keine Intrigen oder persönliche Eitelkeiten mehr gab wie in vielen anderen Kreisgemeinschaften: So hat Rosemarie Krieger als gebildete und professionelle Schriftführerin besonders auch den Stil von UB mitgeprägt; Ilse Markert hat nach Helmut Mischke die Schriftleitung von UB verantwortet und die Familien- nachrichten mehrmals geordnet. Sie war telefonisch stets Ansprechpartnerin für Sorgen und Nöte vieler Heimatfreunde; Manfred Eckert hat mit Hingabe und unermüdlichem Arbeitseinsatz unsere Heimatstube betreut nun zur vorübergehenden „Abwicklung“ bis zu einem Neuanfang durch seinen Nachfolger in neuen Räumen in Nienburg. Unser Ehrenbürger von Bartenstein/Ostpr. Helmut Breuer hat viele Jahre unauffällig im Hintergrund bzw. vor Ort in Ostpreußen wertvolle materielle Beiträge in unserem Namen geleistet. Sie alle bleiben uns mit ihrer Erfahrung natürlich auch in Zukunft verbunden. Mit Tatkraft und neuen Ideen wird der verkleinerte Vorstand uns durch die nächsten Jahre führen, wobei die Rahmenbedingungen nicht leichter werden. Dazu ist wichtig und wünschenswert für den Erhalt unserer Kreisgemeinschaft, dass die Erlebnisgeneration Kinder und Enkel motiviert, sich für die Wurzeln und die Heimat ihrer Vorfahren zu interessieren und zu engagieren. Dank der bisherigen Spendenfreudigkeit der Leser wird „Unser Bartenstein“ als Bindeglied hoffentlich noch lange erhalten bleiben. Auch die Unterstützung durch unsere Paten - Stadt und Landkreis Nienburg, sowie Bartenstein/Wttb. - werden wir auch in Zukunft dankbar annehmen und nach Kräften pflegen. Alle guten Wünsche begleiten unsere Heimatkreisgemeinschaft in die Zukunft! Christian von der Groeben 35
Stadt Bartenstein Abschied von der Heimatstube in der Verdener Straße Seit über 20 Jahren besteht unsere Heimatstube im Hause des Kreis- und Stadtarchivs in Nienburg in der Verdener Straße. Ende August müssen wir sie leider aufgeben. Bei unseren jährlichen Treffen ge- hörte es zum festen Programm, nach der Kranzniederlegung an der Ehrenstätte die Heimatstube zu besuchen. Wir hatten uns be- müht, jedes Mal etwas Neues zu bieten. Das wird in diesem Jahr nun nicht mehr möglich sein. Der neue Besitzer des Hauses hat- te der Stadt mitgeteilt, dass er das Gebäude ab September selbst nut- zen und umbauen möchte. Auch Grafschaft Hoya. 1982 erhielt alles te aus aufgelösten anderen Ar- das Stadt- und Kreisarchiv ist da- einen neuen Anstrich, man reno- chiven, großzügige Holzspenden von betroffen. Schon seit einigen vierte die Räume, und wir beka- der Firma Sielmann ermöglichten, Jahren besteht von der Stadt Nien- men einen eigenen Eingang. Regale und Ablagen anzufertigen. burg der Plan, in der Innenstadt ge- Für den riesigen Fundus an Fo- Unsere Sammlungen hatten aber genüber dem alten Rathaus einen tografien erwarb man bewegliche inzwischen derart zugenommen, Neubau zu errichten und uns darin Stellwände, die an Öffnungstagen dass es zu eng wurde. Die Stadt mit aufzunehmen. Vom Architekten im Foyer in zusammengehörenden bot uns daraufhin 1997 einen grö- liegt auch schon ein Entwurf vor, Gruppen aufgestellt werden konn- ßeren Raum im Stadt- und Kreis- aber der Baubeginn lässt noch auf ten. In UB 2/2002 schrieb Herr archiv an. 1998 erfolgte der Umzug sich warten. Zwischenzeitlich will Klaus-Joachim Lange hierzu einen in die Verdener Straße, und man man uns zwei Räume im Rathaus anschaulichen Besuchsbericht. begann, es neu einzurichten. Gün- zur Verfügung stellen. Wie man ter Zeiß und Fritz Schlifski haben Herr Zeiß gab 2007 aus gesund- sie gestaltet, steht noch nicht fest. zusammen die neue Heimatstube heitlichen Gründen seine Tätigkeit Angefangen hat es 1962 ganz be- aufgebaut. Das Mobiliar stamm- in der Heimatstube auf. Danach scheiden im Museumsgebäude Ni- enburg, vier Jahre nachdem die Stadt Nienburg die Patenschaft für die vier Städte des früheren Krei- ses Bartenstein übernommen hat- te. Frau Dora Jandt war die erste Initiatorin. Mit einem Aufruf in „Un- ser Bartenstein“ vom Juli 1962 bat sie um Fotografien, Erinnerungs- stücke und Berichte, um zunächst drei Schauvitrinen damit zu füllen. Sie betreute die Heimatstube 16 Jahre lang bis 1978. Danach über- nahm Frau Wanda Kosuch diese Aufgabe. Seit Anfang der 70er Jahre be- fand sich unsere Heimatstube im Amtshaus der Kreisverwaltung Ni- enburg, einem im 18. Jh. errichte- ten schmucken Fachwerkgebäude für die Amtmänner der einstigen 36
Stadt Bartenstein kümmerte sich Frau Karola Siel- Als Vorbereitung auf den Umzug mann um den Bestand und Erhalt haben wir begonnen, alles in Kar- Manfred Eckert hat nach Gün- aller Erinnerungsstücke. Da sie tons zu verpacken und in einer neu- ter Zeiß 12 Jahre lang unsere aus Hamburg immer eine weite en, erweiterten Liste, die u.a. auch Heimatstube betreut, geordnet Anreise hatte und es ihr zu viel etwas über den Inhalt, Verfasser, und katalogisiert. Bei allen wurde, hat sie mich gebeten, es Druckort und Jahrgang aussagt, Kreistreffen in Nienburg hat weiter zu führen. anzufertigen. Interessierte haben er eine große Zahl Besucher damit die Möglichkeit, über das In- empfangen und ihnen Expona- Mit vielen Helfern sind wir darange- te und Bilder sowie Unterlagen ternet zu erfahren, ob das von ih- gangen, die umfangreiche Samm- erläutert. Bei seinen Arbeiten nen Gesuchte bei uns zu finden ist. lung von Büchern und Dokumen- wurde er zeitweise unterstützt Den Textilien und Gegenständen ten nach Inhalten zu sortieren und vom verstorbenen Walter sind Beschreibungen beigefügt. in eine Inventarliste aufzunehmen. Tiedtke, von Günter Morwinski Bei einer Neueinrichtung werden Soweit möglich, erhielten Ausstel- und von Klaus-Günter Tammer sie sicherlich im Vordergrund ste- lungsstücke erklärende Texte, um mit seinem Bruder. Auch Karin hen. Für die umfangreiche Foto- sie dem Beschauer verständlich Cox reiste von Kaiserslautern sammlung besteht die Möglichkeit, zu machen. Viel Interessantes und an, um aktiv mitzuarbeiten. Mit sie zu digitalisierten. Aber das sind Neues tauchte dabei auf und hat seinem Engagement für unse- Zukunftspläne. uns beim Auflisten zu einem Stu- re Heimatstube hat er sich – dium angeregt. Es war auch man- Mit Ablauf dieser Legislaturperio- trotz der nun vorübergehenden ches aus anderen Kreisen zu fin- de gebe ich nun den Stab ab. Ich Schließung – ein bleibendes den, vieles war mehrfach kopiert, wünsche dem Nachfolger (Klaus- Denkmal geschaffen, wofür so dass viel Zeit fürs Aussortieren Günter Tammer) ein gutes Ge- ihm Dank und Anerkennung aufgewandt wurde. Es kam auch lingen und recht viele Helfer zur gebührt. einiges aus Nachlässen hinzu und Wiedereinrichtung. Vorstand HKG ergänzte die Ausstellung. Manfred Eckert Der Marktplatz in Bartenstein ersteht neu Der Bartensteiner Marktplatz soll- te komplett umgestaltet werden. Nach einem schleppenden Be- ginn, bei dem auch archäologische Arbeiten anfielen, und der in der Stadt wegen der vielen Behinde- rungen einigen Unmut hervorrief, ist jetzt Erfreuliches zu melden: Die Bilder zeigen es: Der Markt- platz zeigt sein neues Gesicht. Die alten Bartensteiner erkennen vertraute Züge und freuen sich mit den heutigen Bewohnern auf ein bald schön vollendetes Werk. Alle Bilder von Rafał Krześcijański. Rafał Krześcijański Wydział Kultury Sportu Współpracy i Rozwoju Urząd Miasta Bartoszyce Tel. 0 89 762 98 03 37
Stadt Bartenstein Hinweis an unsere Leser: In UB 1 / 2020 wandte sich Dr. Artur Ogledzki, der Pfarrer der Bartenstei- ner Stadtkirche, an die ehemaligen Bartensteiner mit der Bitte, sich an den Kosten für die Innenrenovierung der Kirche zu beteiligen. Wir bringen diesen Appell erneut: Um Verwechslungen oder Verzöge- rungen und Irrläufer zu vermeiden, wurde bei der Hannoverschen Volks- bank ein Sonderkonto eingerichtet. Spenden für die Stadtkirche bitte ein- zahlen auf das Sonderkonto „Unser Bartenstein“ der Heimatkreisgemein- schaft Bartenstein e. V. IBAN: DE94251900010176773903 BIC: VOHADE2HXXX Kennwort: Stadtkirche Bartenstein 38
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Ostpreußen - Teil 2 bieten unterbrochen wird. Größte konnten sich in Ostpreußen viele Flüsse sind der Pregel und die Me- im Rest des damaligen Deutsch- Das historische Ostpreußen er- mel, weitere Flüsse sind die Łyna lands bereits ausgestorbene Tie- streckt sich an der Ostseeküste bzw. Lawa (Alle), die Angrapa (An- re erhalten. So gab es 1945 in vom Weichseldelta bis nördlich gerapp), die Krasnaja (Rominte) Ostpreußen eine Population von der Memelmündung bei Memel/ und die Dejma (Deime). Im Norden Elchen und Wölfen. Auffällig sind Klaipėda, wo bei Nimmersatt „das der Oblast befindet sich – angren- noch heute die vielen Störche in Reich sein Ende hat“. Das nördlich zend an das Kurische Haff – die Ostpreußen, was bereits Wesent- der unteren Memel am Kurischen Elchniederung (Losinaja Dolina) liches über die dort vorherrschen- Haff gelegene Memelland wurde und das Große Moosbruch, eine den Landschaftsformen und ihre 1920 durch den Völkerbund von Moorlandschaft, die zum Teil tro- Bewirtschaftung aussagt. Ostpreußen abgetrennt, war von ckengelegt worden ist. 1923 bis Anfang 1939 von Litau- Zu den Naturereignissen in Ost- en annektiert und gehört seit dem Im Südosten liegt die Rominter preußen, die in voraufgeklärten Kriegsende wieder zu Litauen. Heide mit dem Wystiter See und Zeiten auch als Schicksals- oder Der nördliche Teil (etwa 35 %) des dem Wystiter Hügelland. Weite Himmelszeichen verstanden wur- restlichen Ostpreußens ist heute Teile der dünnbesiedelten Land- den, gehörten im nordöstlichen der russische Oblast Kaliningrad, schaft im südlichen Ostpreußen Mitteleuropa Erdbeben, Kometen, der südliche Teil (etwa 65 %) die sind durch die Masurische Se- Nordlicht und Sonnenfinsternisse. polnische Woiwodschaft Ermland- enplatte geprägt. Im Westen ragt Die verkürzte Fruchtperiode und Masuren. Im Mai 1939 umfasste das Samland als Halbinsel in die die meist kargen Böden machten Ostpreußen, einschließlich des Ostsee. Im Südwesten liegt das die Lebensbedingungen im späte- Memellandes, 39.840 km² mit Frische Haff. Ostpreußen hatte ren Ostpreußen schwierig. Extre- 2.649.017 Einwohnern. Es war Anteil an der Kurischen und der me Klimaschwankungen brachten mit 66,5 Einwohnern je km² ver- Frischen Nehrung. zusätzliche, oft genug katastropha- gleichsweise dünn besiedelt. In Große Teile des Bodens gehören le Belastungen. Vor 1835 brachten der Hauptstadt Königsberg lebten zu den Bodenklassen 4 und 5. Als die Jahre 1308, 1349, 1360, 1497, damals 372.000 Einwohner. Rohstoffe sind Sand und Kies für 1510, 1701, 1702, 1768 und be- das Bauwesen und Lehm, Torf und sonders 1818 schwere Orkanschä- Das Landschaftsbild des nördli- Ton für die keramische Industrie den. 1308 wurde das Tief an der chen Ostpreußen wird von leicht interessant. Etwa 30 Prozent des Frischen Nehrung verändert. 1510 gewelltem Flachland mit Moränen- Gebietes sind von Wäldern be- entstand das Pillauer Tief. hügeln, größtenteils versteppten Wiesen und Feldern sowie viel deckt. Das Pillauer Tief oder auch Pillau- Wald bestimmt, der von breiten Durch die geringe Bevölkerungs- er Seetief ist eine nach der Stadt Flussniederungen und Moorge- dichte (66,5 Einwohnern je km²) Pillau benannte, die Frische Neh- rung durchtren- nende natürliche See-Durchfahrt, durch die Fri- sches Haff und Ostsee auf dem Wasserweg mit- einander verbun- den sind. Die Zufahrt zum Frischen Haff auf dem Wasserweg hat sich in der Vergangenheit ständig geän- dert. So war dies im Mittelalter das Lochstedter Tief, weswegen auch die Burg Lochs- tedt angelegt wurde. Aber das Lochstedter Tief Pillauer Tief in einer Seekarte von 1880. 39
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes versandete etwa zwischen 1308 man auf der Ostsee Schlitten; • 1907/08 schneereicher Winter, und 1311 infolge einer Sturmflut, Folgen Misswuchs, Hungersnot, 175.696 Kubikmeter Schnee ge- woraufhin das Alte Tief gegenüber Teuerung und die Große Pest. – räumt, Kosten 235.860 Mark der Burg Balga entstand, das aber Siehe auch: Jahrtausendwinter • 1910 im Juli Halley’scher Komet auch wieder versandete. Größeren von 1708/1709 Schiffen war es unmöglich, in das • 1911/12 Landgraben bis auf den • 1711 Königsberg leidet unter Haff und damit weiter nach Königs- Grund zugefroren Heuschreckenschwärmen berg einzufahren. 1497 entstand • 1912 am 7. April fast totale Son- durch eine Sturmflut das Pillauer • 1739/40 sehr strenger Winter; Ei- nenfinsternis. Heißer Sommer, an Tief mit 550 m Länge, 360 m Brei- chen geborsten; Wein und Bier Königsberger Schulen 25 mal Hit- te. Diese neue Durchfahrt durch gefroren; Wachposten, Wild und zeferien die Frische Nehrung zwischen Fri- Geflügel erfroren; die Ostsee öff- schem Haff und Ostsee war nun net sich erst Mitte Mai • 1918 im Januar heftiges Winter- auch wieder für die Koggen der gewitter • 1766 am 12. April totale Sonnen- Hanse passierbar. 1626 wurde die • 1928/29 sehr harter Winter, Ost- finsternis Durchfahrt mit der Festung Pillau see bis zum Horizont zugefroren; gesichert. 1890 wurde dazu noch • 1771 strenger Winter mit Frost bis am 7. Januar 42 cm Schneehöhe, der Königsberger Seekanal (heute Ende April, Früh-Sommer extrem am 10. Februar −34,4 °C, mittle- Kaliningrader Seeschifffahrtska- trocken, danach „unaufhörlicher re Februartemperatur −13,8 °C, nal) erbaut, wodurch die Schiffe bis Regen“ vom 10. Juli bis 15. Okto- noch im Mai Eis an der Kurischen heute ohne Probleme Kaliningrad ber (Kirchenbuch Heiligenwalde) Nehrung. Meist Nordostwind (Königsberg) anlaufen können. • 1794/95 große Kälte • 1934 ungeheure Schneefälle; die Folgende außergewöhnliche • 1801 am 3. November Westorkan Maifeier fällt aus Naturphänomene sind für Ost- mit gewaltigem Rückstau; Schiffe preußen vom 14. Jahrhundert liegen auf Wiesen und in Königs- Folgende Unglücke und Katas- bis zum Jahr 1934 dokumen- berg auf dem Wall trophen sind von 1352 bis 1944 tiert: für Ostpreußen dokumentiert: • 1806 ein Orkan über Königsberg • 1322/23 kalter Winter, fast alle fegt einen der drei Schlosshof • 1352 Pest in Königsberg, in 4 Mo- Obstbäume erfroren Giebel des Berwartbaus herab naten 5.078 Tote • 1427 Dürre, Ostern bis August • 1818 im Januar verwüstet ein • 1529 Englischer Schweiß in Kö- kein Regen Orkan weite Teile Ostpreußens, nigsberg und Ostpreußen, 25.500 • 1506 Birnbäume tragen zweimal Schadensumme 4.414.710 Taler Tote Frucht • 1832 kalter Sommer, in Julinäch- • 1549 Pest in Königsberg und Ost- • 1556/57 sehr kalter Winter ten Reif und Eis preußen, 15.000 Tote • 1572 „Wunderzeichen am Him- • 1834 Hitze und Dürre; zweimali- • 1550 Große Raupenplage in Kö- mel“, Polarlicht ges Blühen und zweimal Früchte nigsberg und im Samland • 1577 großer Komet über Königs- • 1836 großes Nordlicht • 1620 Hochwasser; Überflutung berg • 1849 große Kälte, bis −35 °Ré = des Bodens vom Königsberger −43,75 °C Dom; die Köttelbrücke wird fort- • 1585 großes Nordlicht für ein gerissen „schreckliches Zeichen“ gehalten • 1868 heißer Sommer, am 13. Au- gust 35,8 °Ré = 44,75 °C • 1693 Das morsche Bollwerk ne- • 1642 der Storch kommt bereits ben der Holzbrücke stürzt ein, 20 Ende Januar • 1871 am 1. Juni Schnee Tote • 1680 am 23. Dezember „nach • 1889 kalter Winter mit 92 Schnee- • 1709 Beginn der Großen Pest dem Sonnen Untergang ein tagen schrecklicher Cometstrahl 52° • 1718 Orkan mit Überschwem- hoch zum ersten Mal gesehen • 1894 im Februar Weststurm, mung von Königsberg worden“, Halley’scher Komet großer Rückstau; der Damm des • 1747 Das Bollwerk neben der Nassen Gartens bricht • 1706 am 12. Mai totale Sonnen- Grünen Brücke stürzt ein, viele finsternis, um 11 Uhr völlige Dun- • 1899/1900 schneereicher Win- Tote kelheit ter; die Schneemassen werden • 1807 Flecktyphus und Ruhr in in 28.721 Fuhren geräumt • 1709 im Januar ungeheure Kälte; Königsberg, 10.000 Tote, Vieh- im Lustgarten gehen seltene Bäu- • 1905 im Juni geringfügiger Erd- sterben, große Teuerung, 1.949 me ein; noch Anfang Mai fährt bebenstoß Geburten, 6.392 Todesfälle 40
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes • 1825 Hochwasser, Bootsverkehr Westbaltische Hügelgräberkultur. Der Angelsachse Wulfstan bereis- auf Plantage, Weidendamm, te die Ostseeländer im 10. Jahr- Zwischen Braunswalde und Wil- Fischbrücke und Philosophen- hundert. In seinem Bericht unter- lenberg nahe Marienburg wurde damm schied er das östlich der Weichsel im Jahre 1873 ein eisenzeitliches gelegene „Witland“ vom westlich • 1829 winterlicher Weststurm, Gräberfeld mit etwa 3000 Gräbern des Flusses gelegenen Land der schwere Überschwemmung, gefunden. Die nach dieser Fund- Winoten und bezeichnete seine Eisstau an den Pregelbrücken, stätte benannten Braunswalde- Einwohner, wie die antiken Auto- Albertinum unter Wasser, losge- Willenberg-Funde, heute auch ren auch als „Ēstas“. rissene Wittinen, Pregelkrug und als Wielbark-Kultur bezeichnet, Bretterkrug weggerissen zeichnet sich durch eine Mischung Die ostbaltischen Litauer wurden skandinavischer und kontinentaler im 11. Jahrhundert erstmals be- • 1831 Cholera in Königsberg, Elemente aus und wird allgemein schrieben. Doch erst mit der Zeit 2.200 Erkrankungen, 1.327 Tote, als Zeichen für die Zuwanderung der Christianisierung und der da- siehe auch Cholera-Aufstand in der Goten angesehen. Zu ihrem mit verbundenen Schriftkultur fing Königsberg Verbreitungsgebiet gehörte nur man an, schriftliche Dokumente zu • 1866 Cholera in Königsberg, der äußerste Westen Ostpreu- führen, die detaillierte Informatio- 3.967 Erkrankungen, davon 517 ßens. Die Goten waren im letzten nen enthalten. Soldaten; 2.671 Tote Jahrhundert vor der christlichen Die Prussia-Sammlung war die • 1869 Beim Besuch Wilhelms I. Zeitenwende in das Gebiet um die bedeutendste Sammlung archäo- bricht das Geländer der Schloß- untere Weichsel gekommen, wan- logischer Fundstücke. teichbrücke beim Abendfest auf derten aber ab etwa 200 n. Chr. nach Südosten ab. Die Prussia-Sammlung war eine dem Königsberger Schlossteich, wichtige archäologische Samm- 32 Tote Im restlichen Gebiet Ostpreußens lung zur Vor- und Frühgeschichte • 1871 Pocken, 771 Erkrankungen war seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. Ostpreußens. Sie war im Prussia- die archäologische Westbaltische • 1871 Cholera, 3.741 Erkrankun- Museum im Königsberger Schloss Kultur verbreitet, mit der Olsztyn- gen, 1.790 Tote ausgestellt. Um 1943 umfasste sie Gruppe, der Sudauer Gruppe, der etwa 240.000 (nach anderen Quel- • 1914 im August/September Rus- Dollkeim-Gruppe und der Memel- len rund 450.000) Exponate. Im seneinfall mit Verwüstung von 39 land-Gruppe. Spätestens die Trä- und nach dem Zweiten Weltkrieg Städten und 1900 Dörfern ger dieser Kultur müssen als balti- wurde sie auseinandergerissen sche Gruppen angesehen werden. • 1916 am 4. Juli Munitionsexplo- und galt lange Zeit als verschollen. sion in Rothenstein, 44 Tote, 95 98 n. Chr. berichtete Tacitus in sei- Große Teile der Prussia-Samm- Verletzte ner Germania über das Volk der lung befinden sich heute in Muse- Aesti gentes. Diese waren aller en in Berlin, Kaliningrad (Königs- • 1920 Rothensteiner Unglück: am Wahrscheinlichkeit nach die Vor- berg) und Olsztyn (Allenstein). 10. April Explosion der Munitions- gänger der ab dem 9. Jahrhundert fabrik mit vielen Toten; die Kuppel 1844 gründete Ernst August Ha- als Prußen bezeichneten westbal- gen mit einer Gruppe Königsber- des Krematoriums mit Otto Ewels tischen Stämme. Fresken stürzt ein ger, die sich für Geschichte inter- Im 2. Jahrhundert erwähnte Clau- essierten, den Verein Altertums- • 1944 Ende August Luftangriffe dius Ptolemäus die Stämme der gesellschaft Prussia. Ziel dieser auf Königsberg Galindoi und Sudinoi, die wahr- Hobbyhistoriker war es, Kulturgut scheinlich den westlichen (Olsz- und Geschichte der Pruzzen und Archäologische Funde bezeugen tyn-Gruppe) bzw. den östlichen deren Vorfahren zu sichern, er- menschliche Besiedlung an der Teil (Sudauer Gruppe) des später forschen und dokumentieren. Ein Südküste der Ostsee nach dem ostpreußischen Gebietes bewohn- herausragendes Projekt des Ver- Ende der Eiszeit (die Vereisung en- ten. eins wurde die Prussia-Sammlung. dete in Litauen z. B. um 16.000 v. Sie umfasste archäologische In seiner um 550 verfassten Geti- Funde aus 5000 Jahren der Re- Chr.), etwa im Allerød-Interstadial ca zählt der gotische Geschichts- gionalgeschichte: Exponate aus (11. Jahrtausend v. Chr.). Im End- schreiber Jordanes die Aesti zum Stein, Eisen, Gold, Silber, Bron- Mesolithikum sind sowohl Neman- Gotischen Reich, das bis etwa 375 ze, Bernstein und Ton. Darunter als auch Narva-Kultur vertreten. nördlich des Schwarzen Meeres waren Gebrauchsgegenstände, Im Neolithikum ist die Haffküsten- gelegen hatte. Schmuck, Waffen und Münzen aus Kultur, eine Gruppe der Schnur- keramik, nachgewiesen. In der Im 9. Jahrhundert wird erstmals der Stein-, Bronze- und Eisenzeit, frühen Eisenzeit (6. – 1. Jhd. v. ein Volk namens Pruzzi erwähnt, der Antike, dem Mittelalter und der Chr.) lebten im Gebiet zwischen von einem als Bayerischer Geo- Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert. Ermland und Memel die Träger der graph bekannten Chronisten. 41
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Die Exponate waren zuerst in der Univer- sitätsbibliothek un- tergebracht, bis dem Museum 1879 um- fangreiche Räum- lichkeiten im Königs- berger Schloss zur Verfügung gestellt wurden. Das Muse- um wurde aus ver- schiedenen Quellen bereichert. So wur- de hier ab 1881 die Sammlung von Lan- desaltertümern des Königlichen Staats- archivs aufbewahrt. 1905 übernahm das Museum Magazin- bestände des Ost- preußischen Provin- zialmuseums. 1925 wurde das Museum Prußische Stammesgebiete im 13. Jahrhundert. verstaatlicht und hieß seitdem offi- ziell Landeskundliches Provinzial- Die im Südflügel des Königs- Es stellte sich bald heraus, dass Museum. berger Schlosses ausgestellte es dem Museum aufgrund man- Ab etwa 1943 wurden Teile der Schausammlung, der wertvollste gelnder finanzieller und fachlicher Sammlung nach und nach ver- Teil des Prussia-Museums, blieb Mittel unmöglich war, den Fund in packt und Richtung Westen ab- jedoch bis 1945 in der Stadt und überschaubarer Zeit zu restaurie- transportiert. überstand fast unversehrt die ren und zu dokumentieren. Dar- Teile der Magazinbestände, Ka- Bombardierungen Ende August aufhin beschloss die ZEIT-Stiftung taloge, Grabungsdokumente und 1944, infolge derer das Schloss Ebelin und Gerd Bucerius im Ok- Sammlungsstudien wurden zuerst fast komplett ausbrannte. Erst An- tober 2005 eine „Prussia-Arbeits- nach Rastenburg-Carlshof (heute fang 1945 wurden die wertvolls- stelle“ in Kaliningrad einzurichten Karolewo in Polen) abtransportiert. ten Exponate in Kisten verpackt und Restaurierungsarbeiten zu Von hier aus konnten die meisten und aus der Stadt abtransportiert. finanzieren. Fachlich wurde das Metallobjekte und Dokumente bis Nach dem Krieg galt dieser Teil der Projekt durch das Archäologische nach Demmin gebracht werden. Sammlung lange Zeit als verschol- Landesmuseum Schleswig-Hol- 1949 wurden diese unterdessen len. Nach späteren Erkenntnissen stein unterstützt. Im Dezember teilweise geplünderten Bestände wurde die Sammlung in das Fort 2000 wurden drei Kaliningrader nach Berlin in die Akademie der III am Stadtrand von Königsberg Archäologen nach Deutschland Wissenschaften überführt, wo sie gebracht. Dieses Fort aus dem 19. eingeladen und mit modernen mehr als 40 Jahre im Keller lager- Jahrhundert, Teil des Festungs- Archivierungsmethoden vertraut ten. Erst nach der deutschen Wie- rings rund um Königsberg, wurde gemacht. dervereinigung wurden sie wieder- nach dem Zweiten Weltkrieg von In einer Ausstellung in Kaliningrad entdeckt und dem Berliner Muse- sowjetischen Streitkräften genutzt vom Dezember 2001 bis Mai 2002 um für Vor- und Frühgeschichte und erst 1999 geräumt. Der im konnten bereits mehr als 1000 re- übergeben. Seit 1992 erfolgt hier Fort versteckte Teil der Prussia- staurierte Funde präsentiert wer- eine Neuordnung und Neukatalo- Sammlung war nach dem Krieg den. Seit Juli 2005 ist eine Prus- gisierung der rund 45.000 archäo- mehrmals geplündert worden. sia-Dauerausstellung geöffnet. logischen Objekte und der rund Bei archäologischen Ausgrabun- Das Museum für Vor- und Frühge- 50.000 Blatt Dokumentation. gen in den Jahren 1999 und 2000 schichte in Berlin-Charlottenburg Die in Carlshof zurückgelassenen haben Kaliningrader Archäologen zeigte bis zum 26. April 2009 eine Objekte, ein großer Teil davon aus dort etwa 25.000 Gegenstände Ausstellung zur Geschichte der Keramik, befinden sich im Muse- der Prussia-Sammlung gefunden legendären Prussia-Sammlung in um für Ermland und Masuren in und in das Museum für Geschichte Königsberg. Dabei wurden eigene Olsztyn. und Kunst in Kaliningrad gebracht. Bestände einbezogen. 42
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Zurück in meine Vergangenheit Erinnerungen von Albert Stadie Ich nehme Sie mit auf unseren Hof in Landskron, Ostpreußen. Es ist der 27. Januar 1945, klir- rende Kälte, unter -25 Grad. Die Rote Armee steht vor Allenstein. Luftlinie zu unserem Dorf ca. 40 km. Mein Vater ist noch zum Volks- sturm eingezogen worden. Es klingelt das Telefon, meine Mutter nimmt ab, und am anderen Ende spricht mein Vater. Er ist bereits in Schippenbeil, welches ca. 2 km entfernt ist, und wir sollen ihn ab- Blick auf den Hof der Familie Stadie. Links steht die Scheune mit Tau- holen. Meine Mutter gibt Edi (belgi- benschlag. Rechts das Wohnhaus. scher Kriegsgefangener), der seit längerer Zeit mit seinem Kamera- den Battis auf unserem Hof wohnt und arbeitet, den Auftrag, den gel- ben Kutschwagen anzuspannen und meinen Vater abzuholen, ich darf mitfahren. In Schippenbeil wimmelt es nur so von Menschen, es ist kaum durch- zukommen, auch viele Soldaten der SS Division Großdeutschland sind darunter. Plötzlich hebt sich ein Arm mit Karabiner aus der Men- ge empor, es ist mein Vater. Er hat noch die Volkssturm-Schirmmütze auf und hatte uns schon kommen sehen. Zuhause angekommen ent- scheidet mein Vater, heute Nacht noch die Flucht anzutreten. Auf Meine Mutter im gelben Kutschwagen, daneben Jagdhund Senta. unserem Hof ist der Treck eines Gutes untergezogen, um Mensch und Tier zu versorgen. In diesen ging alles nur im Schritttempo. Die Eisdecke war so stark, dass Treck wollen wir uns heute Nacht Plötzlich kam die Kunde von Wa- hunderte von Fuhrwerken darü- mit unserem vorbereiteten Leiter- gen zu Wagen, dass der Russe berfahren konnten. Ab Braunsberg wagen einreihen. Es war gefähr- bei Elbing den Kessel geschlossen begann die Auffahrt auf das Eis. lich, weil der Fluchtbefehl vom habe. Wir saßen mitten drin und Es wurde nur nachts gefahren Gauleiter Erich Koch noch nicht nun in der Falle. Was nun? Dann wegen der russischen Tiefflieger. gegeben war. kam eine neue Kunde, dass das Bevor wir auffuhren, stand an der Im Morgengrauen setzt sich der Frische Haff zugefroren sei, und Auffahrt die Feldgendarmerie, im Treck langsam in Bewegung, und der Treck werde nunmehr über Soldatenjargon „Kettenhunde“ ge- unsere Flucht beginnt. Edi fährt mit das Eis auf die Frische Nehrung nannt, und hielt jeden Wagen kurz uns, während Battis den zweiten geleitet. an. Es folgte eine Einweisung, wie Wagen mit den noch verbliebenen wir uns auf dem Eis zu verhalten Mitarbeitern auf unseren Hof kut- Das Haff ist von der Wasserflä- hatten. Nicht zu dicht auffahren schiert. Irgendwann hatten wir uns che größer als der Bodensee. Es und nicht stehenbleiben. Zudem mit unserem Wagen in den großen war ein Geschenk Gottes, da das wurde uns noch ein verwundeter Treck nach Westen eingereiht. Es Haff üblicherweise nicht zufriert. Soldat und eine Mutter mit drei Kin- 43
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes dern übergeben, die wir auf der Am 01. Juli 1945 setzte sich der wurden wir auch von einem Treiber Nehrung dem Roten Kreuz über- kleine Treck in Richtung Osten in angesprochen, ob wir nicht Lust gaben. Bewegung. Es war ausgemacht, hätten, ein paar Kilometer mit der dass wir keine Schleichwege ge- Herde mitzugehen. Wir waren Auf der Nehrung angekommen, hen wollten, um uns nicht Gefah- begeistert von dem Gedanken, setzte der Treck seine langsame ren auszusetzen. Also wurden die ja wo wir denn wohnen würden, Fahrt gen Westen fort. Am 06. offiziellen Wege genutzt, dabei ka- damit sie uns am nächsten Tag März 1945 waren wir hinter Stolp, men wir auch an den eingerichte- abholen könnten. Ich erzählte das Provinzhauptstadt von Pommern, ten Kommandanturen vorbei. Hier meinen Eltern und bei meinem nahe dem Ort Karzin. Da kam die passierte folgendes. Die Russen Vater schrillten die Alarmglocken. nächste Kunde, der Russe hat bei kamen raus und erkundigten sich Am nächsten Morgen versteckte Stettin den Kessel geschlossen. nach unserem Vorhaben, entwe- er mich in unserem Taubenschlag Wir waren wieder drin. Jetzt fuhren der ließen sie uns ziehen, oder und ich konnte von oben beobach- wir in den Ort Karzin und fanden sie nahmen eine oder auch zwei ten, wie jemand kam, um mich ab- auf einem Bauernhof Quartier. Wir Frauen mit in das Gebäude. Dann zuholen. Ich sah meinen Vater mit waren mit vielen Flüchtlingen zu- haben wir gewartet, bis sie wie- ihm sprechen und derjenige ging sammen, nur so fühlte man sich derkamen. Ich habe das damals dann ohne mich vom Hof. Wäre es einigermaßen sicher. nicht verstanden, erst meine Eltern anders gekommen, dann würde erzählten mir, dass diese Frauen es mit Sicherheit meinen Bericht Nachts standen dann plötzlich die vergewaltigt wurden. Stalin hatte heute nicht geben. ersten russischen Soldaten vor ja seinen Soldaten die Deutschen uns allen. Sie verlangten Schmuck Frauen und Mädchen als Beute Eines Tages kamen zwei Rus- und alle Uhren, was alle abgaben. freigegeben. Es wurden Tausende sen auf unseren Hof und nahmen Die Soldaten trugen ihre Waffe vor geschändet. Die Soldaten konnten meinen Vater mit hinter die Scheu- der Brust. Sie sah aus wie ein gro- alle zwei deutsche Worte: „Frau, ne. Hier musste mein Vater sich ßer Trommelrevolver. Die Flucht komm!“ Vermutlich haben sie das hinstellen, der eine Russe nahm war hiermit zu Ende. Die kämp- eingetrichtert bekommen. seinen Revolver heraus und legte fende Truppe war weiter gezogen auf meinen Vater an, dann sagte in Richtung Berlin. Nun kam der Wir erreichten Landskron am 16. er: „Du Deutscher Offizier“ was Tross, und damit wurde uns allen Juli 1945 nach einem sechzehntä- mein Vater verneinte –er war Un- klar, dass wir ab jetzt schutzlos, gigen Fußmarsch von Karzin. Un- teroffizier im Ersten Weltkrieg- und rechtlos und vogelfrei waren. Es ser Hof war äußerlich unversehrt. seinen Hut abnahm, den er grund- begannen die Plünderungen und Wir blieben ca. hundert Meter vor sätzlich immer trug. Darauf änder- Vergewaltigungen. Unsere Pfer- unserem Hof stehen und beschlie- te der Russe seine Anschlagsrich- de waren wir gleich los. Etwas ßen, dass mein Vater und ich zu- tung der Pistole und schoss das später lernten meine Eltern das erst einmal allein zum Hof gehen, Magazin an meinem Vater vorbei Ehepaar Gerlach mit zwei Töch- um die Verhältnisse zu klären. Wir leer. Danach kam mein Vater mit tern ca. fünfzehn und sechzehn finden unseren Hof leerstehend den beiden Russen zurück über Jahre alt aus Bartenstein, unserer vor, nicht bewohnt, kein lebendes den Hof. Ich weiß nicht, welch dra- Kreisstadt, kennen. Unsere Väter Inventar und so gut wie kein totes matische Minuten meine Mutter er- beschlossen eines Tages, dass wir Inventar. Wir richteten uns in un- lebt hatte. Sie hörte die Schüsse zu Fuß nach Ostpreußen gehen serem Haus in einem ehemaligen und dann kommt mein Vater mit werden. Gesagt, getan! Es wurde Gästezimmer so gut es ging ein. den beiden Russen zurück über eine zweirädrige Karre mit Lade- Während mein Vater und ich zum den Hof. pritsche gezimmert. Es hatte sich Hof gingen, traf meine Mutter die herumgesprochen von unserem Frau unseres ehemaligen Bürger- Haltet einmal inne, und vollzieht Vorhaben. Da wollten sich noch meisters, die auch mit ihren Kin- das dramatische Geschehen in drei oder vier Familien anschlie- dern zurückgekehrt war. Sie be- Gedanken mal nach. ßen, die genaue Zahl weiß ich richtete meiner Mutter, dass sie nicht mehr. Die Familien bestan- mehrmals geschändet worden sei In den Sommermonaten fand dann den aus Müttern und zwei oder drei und viele Demütigungen ertragen die Konferenz der Siegermächte Kindern, sie hatten alle einen klei- musste. Kurze Zeit später verstarb im Cäcilienhof in Berlin statt. Dort nen Bollerwagen, auf dem sie ihre sie an den Folgen der Misshand- wurde beschlossen, alle Deut- Habseligkeiten verstauten. Unser lungen. Es waren vereinzelt wei- schen aus Ostpreußen und Schle- Gefährt zogen die beiden Väter tere Landskroner zurückgekehrt, sien zu vertreiben. und davor die beiden Töchter. Bei und ich fand Spielkameraden. Steigungen und Sandwegen un- Eines Tages zog eine Vieherde Im Sommer 1946 kam dann ein terstützten noch unsere Mütter durch unser Dorf. Für uns Jungs junger Pole, der unseren Hof und ich. eine nette Abwechslung, und so übernahm. Wir mussten auszie- 44
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Von hier ging kamen dort in ein Auffanglager es dann nach nach Uelzen. Hier ging am dritten Bar tenstein, Tag ein Sammeltransport mit über unserer alten tausend Flüchtlingen/Vertriebenen Kreisstadt. nach Norderney. Das war die End- Hier wurden station der Vertreibung. wir in Güter- waggons ver- Für viele Flüchtlinge und Heimat- laden. In je- vertriebene aus den ehemaligen dem Waggon deutschen Ostgebieten ist nach lag ein Stroh- dem Zweiten Weltkrieg die Insel ballen für das Norderney zu einer neuen Heimat N ac ht lag e r. geworden. Der Zug setz- te sich dann Bei einer Gesamtbevölkerung von in Bewegung, 6.525 Personen, von denen 5.600 und nach 6 ständig ortsanwesend waren, be- Tagen kamen lief sich der Anteil der wirklichen wir in Bitter- Flüchtlinge im Mai 1946 auf 560 feld an. Personen (= 9 % der Gesamtbevöl- kerung). Erst zum Ende des Jahres Hier wurden 1946 erhielt die Gemeinde größere wir in einem Kontingente zugewiesen. Lager unter- gebracht und Ende 1947 hatte deren Zahl auf sollten eine 1 267 zugenommen (17 %). Ein vier wöchige Höchststand (1 694 Personen) Quarantäne wurde mit 23 % im Januar 1947 absolvieren. erreicht. Die Hälfte der Flüchtlin- hen und zogen in das Insthaus, Wir sind dann aber vor Ablauf der ge stammte aus Schlesien. 1427 hier wohnten früher unser Melker Quarantäne mit einer Schwester Personen waren in ehemaligen und zwei Gespannführer mit ih- meiner Mutter und deren Töchter Fremdenzimmern von Hotels, Pen- ren Familien. Ende 1946 kam dann schwarz über die sowjetische Zo- sionen sowie bei Privatvermietern der Vertreibungsbefehl. Innerhalb nengrenze durch den Harz von Ell- untergebracht, 187 in der Meierei- von fünfzehn Minuten mussten rich (Thüringen) nach Walkenried kaserne und 80 Personen im „Un- wir uns in der Dorfmitte sammeln. (Niedersachsen) gegangen und terkunftslager“ am Wasserturm. Meiereikaserne in den 20er Jahren 45
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Die Gemeinde betrachtete die Auf- nahme der Flüchtlinge nur als vor- übergehend. Bei der ohnehin prob- lematischen Versorgungslage auf der Insel und fehlenden Arbeits- möglichkeiten erschien die Situa- tion und die Zukunft der Flüchtlin- ge auf Norderney zunächst wenig aussichtsreich. Wenn auch viele Einquartierte die Insel in den Folgejahren wieder Blick auf die Reste vom Hof. Es steht nur noch die Scheune mit dem verließen, so blieben doch viele, Taubenschlag. Das Wohnhaus steht nicht mehr, dafür gibt es dort heute deren Anteil 1968 noch mehr als 9 ein kleines Eigenheim. % der Gesamtbevölkerung betrug. Nicht immer waren die Flüchtlinge willkommen, ihre Lebensumstän- de in den Anfangsjahren schwierig und das Zusammenleben mit der alteingesessenen Inselbevölke- rung nicht einfach. Den meisten Flüchtlingen und Vertriebenen ge- lang jedoch die Eingliederung in die „neue Heimat, zu deren Wie- deraufbau sie in den Nachkriegs- jahren erheblich mit beigetragen haben. Es ist Samstag, der 28. Juni 2003, und mit Maria, Sabine und Ekke- hard betreten wir unseren Hof in Landskron. Es ist kein Traum! Es ist Wirklichkeit! Aber der Reihe nach. Wir buchen eine Bahn/Busreise durch Ostpreußen mit einem Wo- chenendaufenthalt in einem Ho- tel in Nikolaiken. Von hier soll die Reise nach Landskron starten. Ich Ich erkläre die Funktion der Gebäude. An der Scheune nagt der Zahn nehme Verbindung auf mit einem der Zeit, da sie 1920 errichtet wurde. deutsch sprechendem Taxifah- rer, Herr Laska, in Allenstein und vereinbare unsere gewünschten grüßung, und wir dürfen uns frei auch sehr herzlich, und wir fahren Fahrten. Sabine und Ekkehard bewegen, und ich kann meinen Richtung Hotel zurück. Während fliegen nach Warschau und von Lieben alles erklären. der Fahrt erzählt Herr Laska uns, dort mit dem Zug nach Allenstein. dass die Oma ihm erzählt habe, Herr Laska fährt sie zum Hotel, Die Oma, jetzt schon Witwe, hat ihr Mann habe öfters gesagt, die dort treffen wir am Freitag alle ein. den Polen 1950 geheiratet, der kommen wieder, und jetzt stehen Samstag, die Fahrt beginnt. Herr unseren Hof 1946 übernahm. wir plötzlich vor der Tür, was für Laska fragt mich, wo er halten soll. Während wir über Hof und Weiden eine Begebenheit. Jetzt wurde Ich schlage vor, auf dem Hof. Herr streifen, unterhält Herr Laska die das wahr, was meine Eltern immer Laska steigt aus, während wir im Oma. Hier kommt jetzt die Rück- gehofft hatten, aber mit anderen Auto sitzen bleiben. Ein Mädchen blende nach 1946. Als wir vertrie- Vorzeichen. steht am Zaun. Herr Laska sagt ihr ben wurden, sagte mein Vater zu unser Anliegen. Sie ruft ihre Mutter dem jungen Polen: „Bewirtschaf- Hier endet meine Reise in die Ver- und diese die Oma. Wir steigen ten Sie den Hof gut, wir kommen gangenheit. aus. Es folgt eine herzliche Be- wieder“. Die Verabschiedung ist Albert Stadie 46
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Schmorkohl ostpreußische Art (4 Pers.) 850 g Weißkohl, in feine Streifen geschnitten 60 g Gänseschmalz, oder Schweineschmalz 3 Äpfel, säuerliche, geschält, entkernt, in kleine Spalten geschnitten 1 Zwiebel(n), fein gewürfelt 1 TL Majoran, gerebelt 1 EL Mehl Salz und Pfeffer 1 Spritzer Zitronensaft 1 Prise(n) Zucker Das Fett heiß werden lassen, Zwiebeln und Apfelstücke darin glasig anschwitzen und den Kohl mit dem Salz dazu geben. Zugedeckt Wasser ziehen lassen und evtl. noch etwas Wasser an- gießen. Es soll nur wenig Fond entstehen, in dem der Kohl weich geschmort wird. Vorsicht! Nichts anbrennen lassen. Wenn der Kohl gar ist, schmeckt man ihn herzhaft süßsauer mit Salz, Pfeffer, einer Prise Zucker und Zitronensaft ab. Zum Schluss gibt man den Majoran dazu und bindet mit dem angerührten Mehl ab. Noch einige Minuten ziehen lassen. Das Gericht eignet sich prima zum Aufwärmen. Meine Großmutter reichte dazu einen Schweinebraten oder Bratklopse. Heimatkreisblatt Nur Deine Spende kann es - die Brücke zur Heimat - erhalten ! Wir danken allen Spendern, die durch ihren Beitrag unsere Arbeit unterstützt haben. 47
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Gedenktag für die in diesem Aufruf in besonderer Tschechischen Republik, der Weise den Blick auf das schwere Slowakei, Kroatien, Serbien, Slo- Opfer von Flucht Schicksal der nach dem Zweiten wenien, den baltischen Staaten und Vertreibung Weltkrieg in den Herkunftsgebie- und den Ländern der ehemali- ten verbliebenen Deutschen – der gen Sowjetunion leben. Wir erinnern an Flucht, Vertrei- Heimatverbliebenen – richten so- bung und Deportation sowie an wie auf deren Bemühungen zur • Wir erinnern daran, dass sich die das Schicksal der deutschen Aufrechterhaltung der deutschen Lage der deutschen Minderhei- Minderheiten in den Staaten Sprache und Kultur. ten nach der politischen Wende Mittel- und Osteuropas sowie 1989/90 in Abhängigkeit von den in der Sowjetunion und ihren politischen und wirtschaftlichen Nachfolgestaaten. In diesem Sinne setzen wir ein Veränderungen in den einzelnen Zeichen: Ländern unterschiedlich entwi- „Wer die Geschichte kennt und in ckelt hat. Gründe dafür sind bi- die Zukunft schaut, der kann nicht • Wir erinnern daran, dass der von laterale Verträge und Abkommen anders als ein überzeugter Euro- Deutschland begonnene Zweite zu ihren Gunsten sowie die vom päer zu sein.“ Weltkrieg und die nationalsozia- Europarat gezeichnete Europäi- (Zitat von Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch) listische Ideologie dazu geführt sche Charta der Regional- oder haben, dass deutsche Minder- Minderheitensprachen, das Rah- Am 20. Juni 2020 begehen wir den heiten in den Staaten Mittel- und menübereinkommen des Euro- bundesweiten „Nationalen Ge- Osteuropas sowie der Sowjet- parates zum Schutz nationaler denktag für die Opfer von Flucht union oftmals als innere Feinde Minderheiten, aber genauso und Vertreibung“ zum sechsten betrachtet wurden und jahrzehn- die tragfähigen Minderheiten- Mal. Auf diesen bundesweiten Na- telang schwersten Repressionen schutzgesetze in den betroffe- tionalen Gedenktag, der die Erin- ausgesetzt waren. nen Staaten. Hinzu kommt eine nerung an das Schicksal der deut- inzwischen neue Aufgeschlos- schen Heimatvertriebenen nach • Wir erinnern daran, dass nach senheit der Heimatstaaten und dem Zweiten Weltkrieg lebendig Vertreibungen, Deportationen auf deutscher Seite eine höhere hält sowie zu Verantwortung und und Zwangsarbeit es in vielen Aufmerksamkeit zugunsten der Versöhnung mahnt, mussten die Herkunftsgebieten massive deutschen Minderheiten. Heimatvertriebenen jahrzehnte- Schwierigkeiten gab, die eige- lang warten. Seit dem entspre- ne Kultur zu erhalten. Staatliche • Wir erinnern an die im Geiste chenden Bundesratsbeschluss aus Zielsetzung war es oftmals, eine des § 96 Bundesvertriebenen- dem Jahr 2003 hatte es über zehn Assimilierung der Minderheiten gesetz (BVFG) von der Bundes- Jahre gedauert, diesen zu realisie- zu erreichen. Dadurch wurden regierung formulierte Solidari- ren. Mit Beschluss vom 27. August die Beziehungen zu Angehöri- tätsverpflichtung, die deutschen 2014 hat die Bundesregierung den gen der jeweiligen Mehrheitsge- Minderheiten in Mittel- und Ost- 20. Juni (UNO-Weltflüchtlingstag) sellschaften, zu Nachbarn und europa sowie in den Nachfol- als feststehendes Datum ausge- vormaligen Freunden stark be- gestaaten der Sowjetunion bei wählt und der Gedenktag konnte einträchtigt. In ihren nervenauf- der Bewahrung ihrer Identität zu erstmals am 20. Juni 2015 in Ber- reibenden Ausreisebemühungen unterstützen sowie das Kultur- lin feierlich begangen werden. Er wurden viele Deutsche von den gut der Vertriebenen, Aussiedler soll verdeutlichen, dass Flucht und kommunistischen Regierungen und Spätaussiedler im Bewusst- Vertreibung nicht nur für die davon jahrelang hingehalten. In vielen sein des gesamten deutschen Betroffenen eine traurige Bedeu- Staaten wurde durch ein geziel- Volkes zu erhalten. In diesem tung haben, sondern Teil der Ge- tes Vorgehen gegen die Nutzung Sinne unterstützt Deutschland schichte aller Deutschen und Teil und das Erlernen der deutschen beispielsweise den Aufbau gut der europäischen Geschichte sind. Sprache den Gemeinschaften organisierter und zukunftsfä- der wichtigste Faktor ihres Zu- higer Selbstverwaltungen, mit Lag der inhaltliche Schwerpunkt sammenhalts genommen. Die denen die jeweilige deutsche im ersten Aufruf der Landesbeauf- Folgen davon wirken bis heu- Minderheit die Gesellschaft ih- tragten der Länder Niedersachsen, te nach und Sprachkompetenz res Landes aktiv in ihrem Sinne Bayern, Nordrhein-Westfalen, muss mühsam wiederaufgebaut mitgestalten kann. Ein weite- Sachsen und Hessen zu „75 Jah- werden. rer Förderschwerpunkt liegt im re Kriegsende – Wir erinnern an Bereich Sprachförderung und Flucht und Vertreibung der Deut- • Wir erinnern daran, dass bis heu- Jugendarbeit. Die Bundesregie- schen aus dem Osten“ vom 8. te rund 1,2 Millionen Menschen rung strebt eine von Transparenz Mai 2020 auf dem Thema „Flucht als deutsche Minderheiten in und Partnerschaft gekennzeich- und Vertreibung“, so möchten wir Polen, Ungarn, Rumänien, der nete Zusammenarbeit mit den 48
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Regierungen der Herkunfts- tunion. Hierin liegt ein wichtiger Charta muss es weiterhin unser staaten deutscher Minderheiten Teil europäischer Völkerverstän- gemeinsames Ansinnen bleiben, in Europa und in den Nachfol- digung. dieses große Friedensprojekt gestaaten der Sowjetunion an. nicht zu gefährden. Dieses tragen wir tatkräftig mit. • Wir erinnern daran, dass es ganz im Sinne der „Charta der • Wir erinnern daran, dass die deutschen Heimatvertriebenen“ Wenn wir am bundesweiten „Na- deutschen Minderheiten sowie von 1950 das gemeinsame Ziel tionalen Gedenktag für die Opfer die Vertriebenen, Aussiedler und sein muss, immer wieder für ein von Flucht und Vertreibung“ an die Spätaussiedler ein wichtiges geeintes Europa einzutreten, in Nachkriegsopfer und ihr Schicksal Bindeglied zwischen den Kultu- dem die Völker ohne Furcht und erinnern, tun wir dies, damit jetzige ren sind. Sie bieten die Chance Zwang leben können. Damit ge- und künftige Generationen wissen, auf einen eigenständigen Beitrag hörten die Heimatvertriebenen wohin Krieg, Hass und Gewalt füh- zur Entwicklung kultureller und zu den ersten in der deutschen ren und dass die Erinnerung an zivilgesellschaftlicher Brücken Bevölkerung, die ein klares Be- den Krieg sowie die Kriegsfolgen und Netzwerke in die Länder kenntnis zu einem einigen Eu- den Frieden und die Eintracht för- Mittel- und Osteuropas sowie in ropa abgelegt haben. Auch 70 dert. die Nachfolgestaaten der Sowje- Jahre nach Unterzeichnung der 49
Berichte - Impressionen - Erzähltes - Verschiedenes Das nördliche Ostpreußen hat sich ten waren angesagt, besonders zerübungsgelände im Wäldchen in den letzten 16 Jahren erheblich bei den Zollabfertigungen. Dieser befand, gelegen an dem Flüss- – zum Besseren – verändert. Urlaub war für uns nicht nur eine chen Angerapp. Hier war unsere Frau Elfriede Uffhausen – aus Wi- Reise in ein Land, das bis 1992 Wasch- und Badestelle für die cken – schrieb damals einen lan- hinter dem Eisernen Vorhang un- nächsten drei Wochen 200 m von gen Bericht, den wir in 3 Abschnit- erreichbar war, für uns war es nach den Zelten entfernt. Gekocht wur- ten – in UB 2/2020, UB 3/2020 und 50 Jahren ein Wiedersehen mit un- de überwiegend auf offener Feuer- 1/2021 abdrucken. serer Geburtsheimat. Viele Mona- stelle. Die mitgebrachte Feldküche te konnten wir uns seelisch vorbe- machte ständig zeitraubende Pro- reiten auf dieses Land, auf unsere Arbeit für den Arbeit und auf das Lagerleben in bleme; entweder war kein Diesel da, oder es fehlte eine wichtige Frieden in Ostpreu- Zelten. Aus Erzählungen unserer Schraube oder, oder. Also ent- ßen vom 4.8. bis Mütter und Großeltern waren trotz der grauenvollen Fluchterlebnisse schieden wir uns fast nur für die offene Flamme. Herzhäuschen 28.8 1994 Teil 1 Bilder des Glanzes, der Fruchtbar- kennt ein jeder, und wenn diese keit und Schönheit Ostpreußens in schön sauber gescheuert sind, Im August des Jahres 1994 ar- uns vertieft. Diese Erwartungen ist dagegen nichts einzuwenden. beiteten wir auf deutschen und wurden allerdings schon bei der Aber russische Latrinen vertrie- russischen Soldatenfriedhöfen in Fahrt durch den Kanal von Pillau ben bald viele in den umliegenden Nordostpreußen für den Volksbund gänzlich zerschlagen. Das heutige Wald, was kritisch war, wenn uns Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Kaliningrad begrüßt seine Besu- ernährungsbedingte Durchfälle Organisiert wurde dieser Einsatz cher mit Schrottbergen von alten quälten. Zwar hatten wir Order, von der Deutschen Waldjugend. Kriegsschiffen und mit Fabriken nur Abgekochtes zu essen und Wir waren 20 Deutsche aus aus Kaisers Zeiten, die ihren pech- zu trinken, jedoch lässt die Hygie- Hessen, Niedersachsen, Ham- schwarzen Atem in den Himmel ne in einem Zeltlager in Russland burg, Mecklenburg-Vorpommern, hauchen. Eindrücke, als wäre die zu wünschen übrig. Nach einem Sachsen und Schleswig-Holstein. Welt hier vor 50 Jahren zusam- kühlen Bad im Fluss und einem Zusammen mit 25 russischen Ju- mengebrochen und vergessen stärkenden Frühstück im Freien gendlichen sollten wir vier Fried- worden. Das war also das vielge- fuhren wir nach Insterburg (Geld höfe mit zum Teil Massengräbern priesene Königsberg. Entschädigt tauschen, Marktbummel, und Zeit gefallener Soldaten, Deutsche wurden wir aber durch die herz- zur freien Verfügung). Larissa, und Russen aus dem ersten und liche Begrüßung des deutschen eine russische Dolmetscherin be- zweiten Weltkrieg, anlegen. Diese und russischen Lagerleiters und gleitete uns und zeigte uns u.a. Friedhöfe befinden sich in Inster- besonders durch die abreisenden auch das deutsche Hotel „Zum burg (Sprint, ehemaliger Helden- Jugendlichen, die bereits drei Wo- Bären“. Wie oft ertappten wir uns friedhof), ein weiterer in Grünhaus chen bei Temperaturen von über bei dem Gedanken, die Fußspuren (in der Nähe von Trakehnen), und 40° C Vorarbeiten geleistet hatten. von Wolframs Eltern zu suchen! im Kreis Labiau am Rande der Dreckig und abgerackert sahen sie Am Nachmittag haben wir in Ruhe Elchniederung, also in entgegen- alle aus. Die ebenfalls abreisende ausgepackt und eingeräumt. Wir gesetzter Richtung etwa 60 km deutsche Köchin versuchte in Eile hatten fast alle Nahrungsmittel aus von Insterburg entfernt, Laukisch- gute Ratschläge zu geben. Schnell Deutschland mitgebracht eben- ken. Ein kleiner Friedhof Schawalla wurden die an Bord geschriebenen so fehlendes Handwerkszeug. (auf der Höhe von Roßlinde) wurde Briefe an unsere Lieben zu Hau- Über unser Zelt hängten wir ein ebenfalls als Gedenkstätte wieder se mitgegeben; denn alle Post in Rot-Kreuz-Fähnchen (weißes Kü- sichtbar gemacht. Diesen Friedhof Russland geht über Moskau, und chenhandtuch mit rotem Isolier- hatte der Großvater einer Mitarbei- das kann dauern. Bei völliger Dun- band markiert), denn ich hatte u.a. terin nach einer dort stattgefunde- kelheit Abfahrt ins Lager, das wir den Sanitätsdienst übernommen. nen Schlacht im ersten Weltkrieg um 01:00 Uhr nachts erreichten. Also, das sollte unsere Bleibe für angelegt. Jeder suchte seinen Schlafsack die nächsten drei Wochen sein. und seine Isomatte, kroch in ein „ Arbeit für den Frieden „, so stand Zelt oder schlief ganz einfach un- Der erste Sonntag stand zur freien es in mehreren Sprachen auf un- ter freiem Himmel. Die russischen Verfügung. Uns trieb es verständ- seren Autos. Teilnehmer kamen erst am Mon- licherweise nach Grünheide etwa tag, so hatten wir zwei Tage Zeit 20 km von Insterburg entfernt. Das Die Schiffsreise von Kiel nach Kö- für uns. Gut Grünheide besaßen die Eltern nigsberg bei herrlichem Sonnen- meines Mannes. Larissa beglei- schein und sternklarem Himmel 1. Lagertag: Am nächsten Morgen tete uns zusammen mit ein paar dauerte ca. 30 Stunden. Viel Zeit wurde erst einmal das Lager ins- Jugendlichen, und zum ersten Mal und Geduld und noch einmal War- piziert, das sich auf einem Pan- wurde uns bewusst, wie hilflos man 50
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