Hessisches Ärzteblatt - Landesärztekammer Hessen

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Hessisches Ärzteblatt - Landesärztekammer Hessen
Landesärztekammer Hessen K.d.ö.R.

Hessisches
Ärzteblatt
                                                                             3 2012
Die Zeitschrift der Landesärztekammer Hessen                             März 2012
Auch im Internet: www.laekh.de                                         73. Jahrgang

                                                • Themenheft Diabetes
                                                  –– Diabetikerversorgung in
                                                      Hessen – quo vadis?
  Fit und gesund älter werden                     –– „Entgleist“ oder
                                                     „nicht entgleist“?
                                                  –– Das Diabetische Fußsyndrom
                                                  –– Inkretinbasierte Therapien –
              Diabetes-Prävention                     sinnvoll und nützlich?
     Ein Projekt der Landesärztekammer Hessen     –– „Fit und gesund älter werden“
                                                      startet in Offenbach

                                                • Hessen vorn – Flächendeckende
                                                  Qualitätssicherung dokumentiert
                                                  Verbesserung der Schlaganfall-
                                                  versorgung

                                                • Hessische Hygieneverordnung

                                                • Hessische Hygieneverordnung
                                                   und die Zusatzbezeichnung
                                                  „Krankenhaushygiene“ der
                                                   LÄK Hessen

                                                • Du bist kostbar“ – Hessen erklärt
                                                  2012 zum Krebspräventionsjahr

                                                „Fit und gesund älter werden“ Ein Projekt der LÄK
                                                Hessen unter der Schirmherrschaft des Hessischen
                                                Sozialministeriums              Foto: fotolia.com
Hessisches Ärzteblatt - Landesärztekammer Hessen
3 2012 • Hessisches Ärzteblatt
Hessisches Ärzteblatt
Mit amtlichen Bekanntmachungen                                                                                                     3 | 2012 • 73. Jahrgang
der Landesärztekammer Hessen K.d.ö.R.
und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen K.d.ö.R.

Impressum
Herausgeber:
Landesärztekammer Hessen
Im Vogelsgesang 3, 60488 Frankfurt/M.
Fon: 069 97672-0
Internet: www.laekh.de, E-Mail: info@laekh.de
Schriftleitung (verantwortlich):
Prof. Dr. med. Toni Graf-Baumann                            Editorial                                                                                                144
Vertreter des Präsidiums: Dr. med. Peter Zürner
verantwortlich für Mitteilungen der LÄK Hessen:              Fortbildung
Dr. med. Peter Zürner                                       Tischvorlage „Klassifikation nach Wagner/Armstrong“/DNOAP                                                145
verantwortlich für Mitteilungen der Akademie:
Prof. Dr. med. Klaus-Reinhard Genth                          Diabetikerversorgung in Hessen – quo vadis?                                                             147
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:                          „Entgleist“ oder „nicht entgleist“?                                                                      149
Katja Möhrle, M. A.                                          Das Diabetische Fußsyndrom                                                                               151
Redaktions-Beirat:                                           Inkretinbasierte Therapien – sinvoll und nützlich?                                                      156
Prof. Dr. med. Erika Baum, Biebertal
                                                             Hessen vorn – Flächendeckende Qualitätssicherung dokumentiert
Armin Beck, Flörsheim
Monika Buchalik, Hanau                                      Verbesserung der Schlaganfallversorgung                                                                  161
Prof. Dr. med. Ulrich Finke, Offenbach                       Sicherer Verordnen                                                                                      190
Dr. med. Brigitte Hentschel-Weiß, Groß-Gerau
Prof. Dr. med. Dietrich Höffler, Darmstadt
                                                             Sicherheitsbedenken bzgl. der Behandlung mit Aliskiren-haltigen
Dr. med. Hans-Martin Hübner, Langgöns                        Arzneimitteln bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ II und
Prof. Dr. med. Manuela Koch, Marburg                         Nierenfunktionsstörungen und/oder kardiovaskulären Erkrankungen                                          191
Dr. med. Snjezana Krückeberg, Bad Homburg
Martin Leimbeck, Braunfels
                                                             Landesärztekammer Hessen
PD Dr. med. Ute Maronna, Frankfurt
Dr. med. Edgar Pinkowski, Pohlheim                          „Fit und gesund älter werden“ startet in Offenbach                                                       160
Karl Matthias Roth, Fischbachtal                             Hessische Hygieneverordnung und die Zusatzbezeichnung
Christian Sommerbrodt, Wiesbaden
Dr. med. Gösta Strasding, Frankfurt                         „Krankenhaushygiene“ der Landesärztekammer Hessen                                                        185
Prof. Dr. med. Michael Tryba, Kassel
Prof. Dr. med. Max Zegelman, Frankfurt                       Aktuelles
Arzt- und Kassenarztrecht:                                   Kompetenzzentrum für hochkontagiöse, lebensbedrohliche
Dr. Katharina Deppert,                                       Erkrankungen in Hessen und Rheinland-Pfalz                                                              168
Gutachter- und Schlichtungsstelle
                                                             Hessische Hygieneverordnung                                                                             173
Manuel Maier, Justitiar der LÄK Hessen
                                                            „Du bist kostbar“ – Hessen erklärt 2012 zum Krebspräventionsjahr                                         187
Anschrift der Redaktion:
Angelika Kob, Im Vogelsgesang 3, 60488 Frankfurt/M.
Fon: 069 97672-147, Fax: 069 97672-247                        Akademie für Ärztliche Fortbildung und Weiterbildung, Bad Nauheim                                       175
E-Mail: angelika.kob@laekh.de
Redaktionsschluss:                                            Carl-Oelemann-Schule, Bad Nauheim                                                                       181
fünf Wochen vor Erscheinen
Verlag, Anzeigenleitung und Vertrieb:                       Parlando
Leipziger Verlagsanstalt GmbH
Paul-Gruner-Straße 62, 04107 Leipzig                        Musikmesse 2012 / Und die Kontinente bewegen sich doch ...                                               188
Fon: 0341 710039-90, Fax: 0341 710039-74 u. -99
Internet: www.l-va.de, E-Mail: lk@l-va.de                   Arzt- und Kassenarztrecht
Verlagsleitung:                                             Wie hoch muss die vertragsärztliche Vergütung sein?                                                       191
Dr. Rainer Stumpe
                                                            Von hessischen Ärztinnen und Ärzten                                                                       193
Anzeigendisposition:
Livia Kummer, Fon: 0341 710039-92, E-Mail: lk@l-va.de
                                                            Bekanntmachungen der Landesärztekammer Hessen                                                             195
Druck:
Brühlsche Universitätsdruckerei GmbH & Co KG                Bekanntmachungen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen                                                 206
Am Urnenfeld 12, 35396 Gießen
Layout-Design:
Kathrin Artmann, Heidesheim
                                                            Mit dem Einreichen eines Beitrages zur Veröffentlichung erklärt der Autor, dass er über alle Rechte an dem
in Zusammenarbeit mit der LÄK Hessen
                                                            Beitrag verfügt; er überträgt das Recht, den Beitrag in gedruckter und in elektronischer Form zu veröffentlichen
Zzt. ist Anzeigenpreisliste 2012 vom 1.1.2012 gültig.       auf die Schriftleitung des „Hessischen Ärzteblattes“. Das Hes­­sische Ärzteblatt ist in seiner gedruckten und in
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abgegolten.
                                                            leitung wieder. Die Ver­öffent­li­chung der Beiträge „Sicherer Verordnen“ erfolgt außerhalb der Verantwortung
ISSN: 0171-9661                                             der Schriftleitung und des Ver­lages.

                                                                                                                                                                               143
Hessisches Ärzteblatt - Landesärztekammer Hessen
3 2012 • Hessisches Ärzteblatt
      Editorial

      Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

                             hätten Sie gedacht, sätze, die Verhältnisse zu verbessern.            Umso mehr freut es mich, dass sich offen-
                             dass es im Verhalten Den Kritikern, die das Ganze abfällig als        sichtlich doch die Erkenntnis durchsetzt,
                             von Sperlingen einige „Ärztegesetz“ bezeichnen, ist nicht einge-      dass für die häusliche Versorgung von
                             Parallelen zu dem fallen, dass man eher von einem „Patienten-         Schwerstkranken mit BTM-Medikamenten
                             von Menschen geben Gesetz“ sprechen könnte, das sicherlich            eine praktikable Regelung für die Zeiten
                             könnte? Der Sperling noch weiter verbessert werden kann. Alle         außerhalb der Regelversorgung gefunden
                             hat sich vor mehr als Beteiligten werden es mit Leben erfüllen        werden muss. Hier ist die Politik doch
                            10.000 Jahren als so- müssen. Und hier fällt mir jetzt, wo ich         dem Rat der Ärzteschaft gefolgt. Auch die
                             genannter Kulturfolger über diesen Zeilen sitze, ein weiterer Ver-    Apotheker haben erkannt, dass dadurch
Dr. med. Gottfried von
                             in die Gefolgschaft des gleich ein. In dieser zur Zeit herrschenden   nicht gleich das ganze Dispensierrecht
Knoblauch zu Hatzbach        Menschen begeben. Kälte versuchen wir, den gefiederten                ausgehebelt wird. Alle Beteiligten haben
(Foto: privat)               Und heute stellen wir Freunden mit Futter das Leben zu ermög-         sich der Erfordernis zu gemeinsamen Han-
                             fest: Sperlinge finden lichen. Mancher stellt dazu ein wunder-        deln im Sinne der am meisten Hilfe Be-
                            zum Teil in den Städ- schönes Futterhäuschen auf und freut sich,       dürftigen gestellt. Es ist nun auf eine bal-
       ten eine bessere Lebensgrundlage als auf wenn die Vögel das annehmen. Sie beloh-            dige Umsetzung zu hoffen.
       dem Land. Nachdem auf dem Lande weni- nen uns dafür mit ihrem Gesang und fan-               Zuversichtlich sind wir auch bei der Betei-
       ger Tiere frei gehalten werden, die Körner- gen im Sommer das Ungeziefer.                   ligung von Ärztekammer, Kassenärztlicher
       futter bekommen, ist das Leben für die                                                      Vereinigung und Patientenvertreter in den
       Sperlinge dort schwieriger geworden. In Nebenbei sind Sperlinge sehr sozial. Fällt          in Hessen eingerichteten Gesundheitskon­
       den Städten fanden sie auch nach dem z.B. ein Junges bei den ersten Flugversu-              ferenzen. Es ist für das Onkologiekonzept
       Verschwinden der Pferde reichlich Nah- chen in eine Dachrinne, fliegt die ganze             zu begrüßen, wenn das Sozialministerium
       rung. Ganze Berufsstände haben aufgrund Sippe mit bis zu 40 Vögeln tschilpend heran         bei dem Ziel einer flächendeckenden Ver-
       der veränderten Lebens- und Arbeitsbe- und polstert das Junge mit Heu und Äst-              sorgung die schon bestehenden stationä-
       dingungen und der kulturellen Entwick- chen, bis es sich für einen neuen Start              ren und ambulanten Strukturen bewusst
       lung in der Gesellschaft die Landflucht erholt hat. Dieser Zusammenhalt und die             einbezieht und nicht dem Bestreben großer
       ergriffen oder sind sogar verschwunden. Fürsorge für die Artgenossen haben na-              Zentren nach einer Zentralisierung nach-
       Nun, Ärzte als Vertraute und Helfer des türlich bei uns Menschen eine noch ganz             gibt. Auch die Verbesserung der psycho-
       Patienten wird es immer geben. Aber auch, andere Qualität. Gerade der ärztliche Be-         somatischen Versorgung wird nicht durch
       wenn Altruismus, Zuwendung und Barm- ruf ist durch soziale Kompetenz gekenn-                Aufstockung oder Umwidmung von Betten
       herzigkeit immer noch eine Maxime ärzt- zeichnet. Sie gilt dem einzelnen Patienten          erreicht werden. Letztlich kommt es nach
       lichen Handelns sind, und sich gerade genauso wie dem Gemeinwesen. Das er-                  einer Bestandsaufnahme vorhandener Ver­
       junge Ärztinnen und Ärzte am Anfang ihres fordert aber auch über die rein medizi-           sorgungsmöglichkeiten auf eine möglichst
       Berufes sowie Medizinstudierende durch nisch ärztliche Tätigkeit hinaus Einfluss-           gute Vernetzung von ambulant und statio­
       Idealismus auszeichnen, erleben wir mehr nahme auf das sozial- und gesellschafts-           när an. Dann erst wird zu erkennen sein,
       und mehr, dass die Verhältnisse in der politische Geschehen. Dies ist ursprüng-             ob tatsächlich ein Bedarf neuer Einrich-
       Lage sind, diesen im Laufe des Berufsle- lich mit ein Anlass für das Staatswesen            tungen besteht.
       bens auszutreiben. Handwerksberufe, aber gewesen, den Freien Berufen Verantwor-             Auch wenn dies von dem Einen oder der
       auch die Bildungseinrichtungen unterliegen tung und Mitbestimmung in einer Körper-          Anderen Kompromisse abverlangt, ist die
       aus verständlichen Gründen dem Zwang schaft öffentlichen Rechts zu übertragen.              Gemeinsamkeit ein Garant für freie Berufs­
       der Zentralisierung. Nur, die so oft be- In verschiedenen Veranstaltungen der               ausübung und bestmögliche Patienten-
       mühte demographische Entwicklung und letzten Zeit haben Politiker sich deutlich             versorgung. Ich setze mit Ihnen auch in
       auch die „post labora Phase“ (= Freizeit in hinter dieses Konzept gestellt. Aber bei        Zukunft auf eine gemeinsam getragene
       den zu Schlafsiedlungen gewordenen manchen nimmt man nur Lippenbekennt-                     Selbstverwaltung.
       Dörfern) oder die Benachteiligten in den nisse wahr und einige sehen darin nur
       strukturschwachen Gebieten (dazu gehö- Lobbyisten, die man sich auf Distanz halten          Ihr
       ren auch Problemzonen in Städten) ver- muss. In einer Zeit, in der die Kompetenz
       langen nach ärztlicher Präsenz, zumin- Angehöriger von Berufsgruppen ange-
       dest in der Grundversorgung. Das verab- mahnt wird, wäre es ganz einfach, den Rat
       schiedete Versorgungsstrukturgesetz und dieser Kompetenz einzufordern und ihn zu
       der Hessische Pakt zur Sicherstellung der berücksichtigen, statt dies allein als ein-       Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach
       gesundheitlichen Versorgung zeigen An- seitiges Interessengerangel abzutun.                 Präsident
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Tischvorlage zum Beitrag „Das Diabetische
Fußsyndrom“ auf Seite 151
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                                                                                                                      Fortbildung
                                                                                                                           Rubrik

Diabetikerversorgung in Hessen – quo vadis?
Diabetes – die Seuche des 21. Jahrhunderts (WHO)
Sind wir in Hessen darauf vorbereitet? Wenn man sich die derzeitige (Versorgungs-)Lage
ansieht, bin ich eher pessimistisch gestimmt.

Christian Klepzig

Ich möchte dies an vier Beispielen aus-        Der Hinweis auf die existierenden DMP als    wendigkeit von innovativen Ideen abge-
führen:                                        strukturierte Versorgung kann dem in die-    legt.
                                               ser Versorgung Tätigen nur ein Lächeln auf
1. Ambulante                                   die Lippen bringen. Was ist das für eine     2. Ausbildungssituation
   Diabetikerversorgung                        Strukturierung, die auch ein unbegründe-        für Diabetologen
Die ambulante Diabetikerversorgung be-         tes Abweichen von Behandlungspfaden           Die Diabetologie ist in den letzten 15 Jah-
ruht in Hessen im Gegensatz zu nahezu          und Schnittstellen weder reflektiert, noch    ren zu einem Fachgebiet geworden, das
allen anderen Bundesländern in ihrer Grund­    kommentiert oder gar sanktioniert?            wesentlich in der ambulanten Versorgung
struktur unverändert auf einem Schulungs­                                                    stattfindet. Angesichts der wachsenden
vertrag von 1997(!), der im Laufe der Jahre    Bedauerlicherweise verweigern sich die       Zahl von Diabetikern wäre eine Steigerung
um einige Versatzstücke ergänzt wurde,         hessischen Krankenkassen jeglicher Dis-       der Ausbildungszahlen von Diabetologen
aber nach wie vor nur die Ideen zur Struk-     kussion über einen Strukturvertrag zur        wünschenswert und sinnvoll.
tur einer vernünftigen Diabetikerversor-       Diabetikerversorgung. Dies ist umso be-       Eine Weiterbildung zum Diabetologen soll­
gung von vor 15 Jahren widerspiegelt.          trüblicher, weil von Seiten der KV Hessen    ­te idealerweise in einem Weiterbildungs-
                                               und der Genossenschaft der Diabetologen      verbund ambulant-stationär stattfinden.
Weder gibt es eine flächendeckende haus­       in Hessen ein innovativer und vernünfti-     Allerdings müsste dann den DSPP im am-
arztzentrierte Versorgung mit der verbind­     ger Vertragsentwurf vorgelegt wurde.          bulanten Bereich eine Refinanzierung der
lich definierten Schnittstelle zur Diabetes-                                                 Kosten eines Weiterbildungsassistenten
Schwerpunktpraxis (DSPP), noch gibt es         Auch der AOK-Bundesverbandsvorsitzen-         ermöglicht werden. Die Selbstverwaltung
eine verbindlich definierte Schnittstelle      de Graalmann, dem ich angeboten habe,         bietet hierzu keine Lösungen an, die Poli-
zur spezialisierten klinischen Diabetologie.   dieses Versorgungskonzept einmal vorzu-       tik schweigt oder ergeht sich in Sonntags-
Von realer flächendeckender integrierter       stellen, schweigt sich aus. In Sonntagsre-    reden über die Notwendigkeit von innova-
Versorgung können hessische Diabetiker         den wird dann aber stets das Bekenntnis       tiven Konzepten – Realabsurdität des
nur träumen.                                   zur verbesserten Versorgung und zur Not-      deutschen Gesundheitswesens.

                                                                                                                                           147
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      Fortbildung

      3. Politisch geforderter                         der Krankenversicherung, gespart wird in       Unternehmerisches Handeln, das immer
         Wettbewerb vs. real                           diesem Fall in der Pflegeversicherung. Kom­    eingefordert wird, hat einen längeren Zeit-
         existierende Planwirtschaft                   munizierende Röhren gibt es nicht. Da die      horizont. Politiker sind gefordert statt kurz­
      Der Diabetes als chronische Erkrankung           Krankenkasse die Kosten eines IV-Vertra-       sichtiger Flickschusterei endlich für pers-
      bedarf insbesondere beim Auftreten der           ges aber durch Einsparungen refinanzie-        pektivisches Handeln zu sorgen und dies
      immens teuren Folgeerkrankungen einer            ren muss, die Einsparungen aber nicht im       zu ermöglichen.
      gut aufeinander abgestimmten integrier-          Bereich der GKV erfolgen, muss die minis-
      ten Versorgung.                                  teriale Aufsicht einschreiten und solche       4. Klinische Diabetologie
                                                       (sinnvollen und insgesamt wirtschaftlichen)    Neben der Abschaffung des Faches Diabe-
      Im Bereich des diabetischen Fußsyndroms          Verträge ggf. beenden.                         tologie und Endokrinologie als eigenstän-
      (vergl. Artikel auf Seite 151) ist dies gut zu                                                  diger Lehrstuhl in Frankfurt und Marburg
      zeigen. Absurd wird es jedoch, wenn eine         Folge ist, dass das volkswirtschaftlich        ist der Druck der Vergütungssituation im
      Krankenversicherung wie die AOK Hessen           sinnvolle, medizinisch notwendige und          DRG-System auch für die nicht-universitä-
      mit gutem Beispiel vorangeht und einen           menschlich gebotene unterbleibt, weil es       ren klinischen Diabeteseinrichtungen exis­
      IV-Vertrag schließt, der volkswirtschaft-        sich in der Krankenversicherung nicht re-      tenzgefährdend. Eine vernünftige und
      lich sinnvoll ist, da er Majoramputationen       finanziert und damit für die Krankenver­       strukturierte Versorgung ohne klinische
      reduziert, diese Krankenkasse dann aber          sicherung nicht zulässig ist.                  Diabetes-Behandlungseinrichtungen ist
      trotz medizinischen Erfolges eines sol-                                                         jedoch weder sinnvoll, noch machbar oder
      chen Vertrages möglicherweise aufsichts-         Wieso müssen sich Investitionen von Kran­      gar wünschenswert. Auch hier ist die Poli-
      rechtliche Probleme bekommt.                     kenkassen in verbesserte Versorgung            tik einmal mehr in der Pflicht rasch unsin-
      Warum?                                           chronisch erkrankter Menschen binnen           nige Fehlentwicklungen ihrer Gesetzge-
      Die Mehrausgaben für Behandlung und              eines Jahres aus Einsparungen refinanzie-      bung zu korrigieren.
      Versorgung mit Hilfsmitteln entstehen in         ren? Das ist rational nicht nachvollziehbar.
                                                                                                      Fazit
                                                                                                      Es wird sich in Hessen in nächster Zeit
                                                                                                      aufgrund der politischen Rahmenbedin­
                                                                                                      gun­gen und der Immobilität der Kosten-
                                                                                                      träger wohl weiterhin nichts bewegen.
                                                                                                      Schade, dass der Schatz an Ideenreich-
                                                                                                      tum und die Innovationskraft der Realme-
                                                                                                      diziner in Praxen und Kliniken weiterhin
                                                                                                      nicht gehoben wird.

                                                                                                      Anschrift des Verfassers
                                                                                                      Dr. med. Christian Klepzig
                                                                                                      Facharzt für Allgemeinmedizin
                                                                                                      Diabetologe DDG & LÄK Hessen
                                                                                                      Diabetes-Schwerpunktpraxis Offenbach
                                                                                                      Fußambulanz am Klinikum Offenbach
                                                                                                      Kleiner Biergrund 31
                                                                                                      63065 Offenbach a.M.
                                                                                                      E-Mail: klepzig@diabetologie-offenbach.de

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„Entgleist“ oder „nicht entgleist“?
Korrekte Kodierung bei jedem Diabetiker erforderlich

Dieter Klein

 Bei der Kodierung des Diabetes muss bei      Schwankungen nach oben oder unten, so-             während der letzten drei Monate mit
 jedem Patienten mittels der letzten Stelle   wie ein guter HbA1c-Wert. Wenn dieses              entsprechender therapeutischer Würdi-
 angegeben werden, ob es sich um einen        Ziel erreicht ist, liegt zweifellos ein „nicht     gung während des stationären Aufent-
„entgleisten“ Diabetes oder um einen „nicht   entgleister“ Diabetes vor. Wann ist der            haltes (mindestens dreimal tägliche Kon­
 entgleisten“ Diabetes handelt. Diese klare   Diabetes aber nun „entgleist“?                     trolle und Therapieanpassung)
 und eindeutige Kodierung ist immer zwin-                                                      • Mindestens dreimal Werte > 300 mg/dl
 gend erforderlich. Es gibt keine Möglich-    Einzig verbindlich sind die offiziellen „Deut­     mit mehrfacher Therapieanpassung
 keit der Abstufung („vielleicht“, „ein we-   schen Kodierrichtlinien“ (Abb. 1).               • Bei Werten unter 300 mg/dl: aufwändi-
 nig“, „mäßig“ oder „deutlich“), sondern                                                         ges Management mit an mehreren Tagen
 nur ein „ja“ oder „nein“. Eine „Entglei-     Es gibt unterschiedliche Stellungnahmen            mehr als dreimal tgl. Kontrollen und do­
 sung“ muss durch entsprechende Doku-         bzw. Kommentare, die sich zum Teil deut-           kumentiertem Nachspritzen von Alt­insu­
 mentation in der Krankenakte nachgewie-      lich unterscheiden:                                lin oder kurzwirksamen Insulinanaloga.
 sen werden.
                                             MDK-Kodierempfehlung Nr. 9:                       Diese Empfehlung gilt nicht beim Thera­
Da es bei der Eingruppierung in eine Fall- Diabetes, entgleist                                 piemanagement nach dem Basis-Bolus-
pauschale im Krankenhaus erlösrelevant Ein Diabetes mellitus gilt dann als ent-                Prinzip.
sein kann, ob der Diabetes als „entgleist“ gleist, wenn mindestens einer der folgen-           DRG-Kodierempfehlungen, SEG 4 der MDK-
oder als „nicht entgleist“ bezeichnet wur- den Punkte erfüllt ist:                             Gemeinschaft [2]
de, wird die Kodierung vom MDK im Auf- • Rezidivierende (an mehreren Tagen) Hy­
trag der Krankenkassen überprüft. Da es        ­ oglykämien unter 50 mg/dl mit Sympto­
                                               p                                               So erkennt der MDK eine Entgleisung u.a.
keine rechtsverbindliche Definition gibt,      men mit mindestens dreimal täglichen            bei rezidivierenden Hypoglykämien unter
kann es bei solchen MDK-Prüfungen zu           BZ-Kontrollen und Therapieanpassung             50 mg/dl oder einem HbA1c-Wert über
Diskussionen kommen.                         • Stark schwankende BZ-Werte (Unter-              10 % an, weiterhin bei Blutzuckerwerten
                                               schied mindestens 100 mg/dl) mit min-           über 300 mg/dl trotz Therapieanpassung.
In der Diabetologie ist das oberste Ziel der   destens dreimal täglichen BZ-Kontrollen         Allerdings betont der MDK ausdrücklich,
Diabetestherapie das Erreichen einer an-       und Therapieanpassung                           dass seine Empfehlungen nicht verbind-
nähernden Normoglykämie mit normnahen • Deutlich erhöhtes HbA1c (größer als 10 %)              lich sind und insbesondere bei der Be­
Blutzucker-Tagesprofilen ohne stärkere         als Parameter der Stoffwechselsituation         hand­lung nach dem Basis-Bolus-Prinzip
                                                                                               nicht gelten.

                                                                                               BVKD-Kodierempfehlung
  Spezielle Kodierrichtlinie für Krankheiten DKR 0401:
                                                                                               Entgleister Diabetes
  Die letzte Stelle der Verschlüsselung steht für „nicht als entgleist bezeichneten
                                                                                               Entgleisung immer kodieren bei Koma,
  Diabetes“ oder „als entgleist bezeichneten Diabetes“.
                                                                                               Ketoazidose oder Hypoglykämie mit Be-
  Entgleister Diabetes mellitus                                                                wusstlosigkeit und außerdem wenn vor-
  Weder bei Typ-1-Diabetes noch bei Typ-2-Diabetes ist der Blutzuckerspiegel zum               liegen:
  Zeitpunkt der Aufnahme als Kontrollindikator für die Diagnose „entgleister Diabe-            • Rezidivierende (an mehreren Tagen) Hy­
  tes mellitus“ zu nehmen. Die Einstufung als „entgleist“ oder „nicht entgleist“ wird             ­po­­glykämien kleiner/gleich 60 mg/dl bzw.
  generell in Kenntnis des gesamten Behandlungsverlaufs vorgenommen (retrospek-                   bei symptomatischen Hypoglykämien
  tiv). Der Begriff „entgleist“ bezieht sich dabei auf die Stoffwechsellage.                   • Stark schwankende BZ-Werte (Unter-
                                                                                                  schied mindestens 100 mg/dl mit min-
  Deutsche Kodierrichtlinien 2012, InEK, DKG, GKV, PKV [1]
                                                                                                   destens dreimal täglichen BZ-Kontrollen
Abbildung 1                                                                                       und Therapieanpassung
                                                                                                                                                149
3 2012 • Hessisches Ärzteblatt
      Fortbildung

      • Entgleist = Nichterreichen eines HbA1c-    Fachausschuss für ordnungsgemäße Ko-          den müssen. Nach der Behandlung eines
        Wertes unter dem ca. 1,2-fachen der        dierung und Abrechnung (FoKA), Deut-          Patienten muss seine Krankheit kodiert
        oberen Norm der jeweiligen Laborme-        sche Gesellschaft für Medizincontrolling      werden, und zwar möglichst genau und so
        thode (z.B. bei HbA1c-Normbereich 4,3      (DGfM) [4]                                    umfangreich wie nötig.
        bis 6,1 Prozent ➝ 1,2 x 6,1 % = 7,32 % ➝                                                 Im Krankenhaus richtet sich das Entgelt
        HbA1c-Wert größer 7,3 % = entgleister      Der Bundesverband Klinischer Diabetes-        nach Fallgruppen (DRG’s) mit festgeleg-
        Diabetes)                                  Einrichtungen (BVKD) hält die vom MDK         ten pauschalen Vergütungen. Dieses Sys-
      • Mindestens dreimal Werte > 250 mg/dl       vorgeschlagenen Grenzwerte für nicht halt­    tem weist eine hohe medizinische und
        mit mehrfacher Therapieanpassung           bar. Eine „Entgleisung“ sollte kodiert wer-   ökonomische Streubreite auf und wird
      • Bei Werten unter 250 mg/dl: aufwändi-      den u.a. bei rezidivierenden Blutzucker-      ständig weiter verfeinert, um den Schwere­
        ges Management mit an mehreren Tagen       werten unter 60 mg/dl oder einem HbA1c-       grad eines Behandlungsfalles und den
        mehr als dreimal tgl. Kontrollen und       Wert über 7,3 % (= 1,2-fache des oberen       Ressourcenverbrauch differenziert abzu-
        dokumentiertem Nachspritzen von Alt­       Normalwertes von 6,1 %), weiterhin auch       bilden. Erforderlich ist die Abbildung von
        insu­lin oder kurzwirksamen Insulinana-    bei wiederholten Werten über 250 mg/dl        Komplikationen, Komplexitäten und Komor­
        loga.                                      trotz mehrfacher Therapieanpassung. Am        biditäten. Die Vergütung für eine bestimm­
                                                   schwierigsten ist zweifelsohne die Festle-    te DRG ist bundeseinheitlich festgelegt.
      Korrekturvorschlag zu den MDK-Kriterien,     gung eines allgemeinen HbA1c-Grenzwer-
      Bundesverband Klinischer Diabetes-Ein-       tes, da ein Zielwert oft individuell beim    Die Krankenkassen lassen zunehmend
      richtungen (BVKD) [3]                        einzelnen Diabetiker festgelegt werden       durch differenzierte Prüfaufträge vom MDK
                                                   muss.                                        klären, ob die Kodierung korrekt durchge-
      FoKA-Ergänzungen                                                                          führt wurde und ausreichend begründet
      Die aufgeführten Kriterien sind wie folgt    Hintergrund                                  war. Oft führen die Formulierungen im
      zu ergänzen:                                 Die Medizin unterliegt einem ständigen ICD-Katalog und im OPS-Verzeichnis zu
      • Notwendigkeit und Durchführung einer       Wandel, es handelt sich um keine statische Diskussionen zwischen Behandler und
        Hypoglykämiebehandlung mit parente-        Wissenschaft. Diagnostik und Therapie Prüfer. Die offiziellen Deutschen Kodier-
        raler Glukosegabe                          ändern sich kontinuierlich. Neben den richtlinien für die Verschlüsselung von
      • Parenterale Therapie mittels mehrfacher    klassischen Lehrbüchern gibt es Leitlinien, Krankheiten und Prozeduren helfen leider
        Bolusapplikation oder durch kontinuier­    Richtlinien und Empfehlungen der Fachge- auch nicht immer weiter, und so hat der
        liche Insulingabe                          sellschaften, die ständig angepasst wer- MDK eigene Kodierempfehlungen erstellt,
                                                                                                mit dem Ziel der Sicherstellung einer bun-
                                                                                                desweit einheitlichen Kodierqualität.
                                                                                                Bei der Kodierung bestehen oft Unklarhei-
                                                                                                ten und Interpretationsspielräume. Hier
                                                                                                soll eine Datenbank helfen, deren Pflege
                                                                                                der Sozialmedizinischen Expertengruppe
                                                                                               „Vergütung und Abrechnung“ (SEG 4) des
                                                                                                Medizinischen Dienstes der Spitzenver-
                                                                                                bände der Krankenkassen (MDS) obliegt.
                                                                                                Es wird jedoch ausdrücklich betont, dass
                                                                                                deren Kodierempfehlungen nicht rechts-
                                                                                                verbindlich sind! Somit sind vor allem die
                                                                                                medizinischen Fachgesellschaften und
                                                                                               -verbände gefordert, klar Stellung zu be-
                                                                                                ziehen. Die behandelnden Ärzte benöti-
                                                                                                gen solche Richtlinien, auch für eventuel-
                                                                                                le Klagen vor dem Sozialgericht.
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Fazit                                        Für den niedergelassenen Versorgungsbe­ [2] DRG-Kodierempfehlungen des Medizinischen
 Bei jeder Diabeteskodierung muss zwin- reich sind ähnliche Entwicklungen zu er-                  Dienstes der Krankenversicherung, zuletzt ak­­tua­
                                                                                                  lisiert 15.12.2011, http://www.mdk.de/1532htm
 gend angegeben werden, ob der Diabetes warten, wenn das Instrument der morbidi-
                                                                                              [3] Bundesverband Klinischer Diabetes-Einrich-
„nicht entgleist“ ist oder aber als „ent- tätsbedingten Steigerung der Honorar-                   tungen (BVKD), Wolfgang Trosbach: Diabetes
 gleist“ bezeichnet wird. Da die Kodierung summe seitens der GKV konsequent um-                   DRG’s und Kodierung 2011, http://www.bvkd.de/
                                                                                                  fileadmin/media/DRG_2011_neu.pdf
 erlösrelevant sein kann, veranlassen die gesetzt werden sollte. Insoweit lohnt auch
                                                                                              [4] Kommentar FoKA zur Kodierempfehlung der
 Krankenkassen entsprechende MDK-Prü- hier bereits jetzt die konsequente und                      SEG 4, Deutsche Gesellschaft für Medizincontrol­
 fungen. Der MDK richtet sich hierbei nach korrekte Kodierung von „entgleist“ und                 ling (DGfM), http://foka.medizincontroller.de/
                                                                                                  index.php/KDE-9
 seinen eigenen Kodierempfehlungen, die „nicht entgleist“.
 er aber selbst als nicht rechtsverbindlich
 bezeichnet. Der BVKD hat begründete Än- Literatur                                            Anschrift des Verfassers
 derungsvorschläge erarbeitet. Eine Kom- [1] Deutsche Kodierrichtlinien 2012 für die Ver- Dr. med. Dieter Klein
 munikation und Abstimmung zwischen             schlüsselung von Krankheiten und Prozedu- Diabeteszentrum
                                                ren, Hrsg.: Institut für das Entgeltsystem im
 allen Beteiligten ist erforderlich. Es emp-    Krankenhaus (InEK), in Zusammenarbeit mit
                                                                                              Medizinische Klinik II
 fiehlt sich dringend, in der Patientenakte     der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), (Chefarzt: Professor Dr. H. Dancygier)
 nachvollziehbar zu dokumentieren, war-         dem Spitzenverband der gesetzlichen Kran- Klinikum Offenbach
                                                kenkassen (GKV) und dem Verband der priva-
 um der Diabetes als „entgleist“ kodiert        ten Krankenversicherung (PKV), unter Beteili- Starkenburgring 66
 wurde. Häufige Blutzuckerkontrollen und        gung von Bundesärztekammer und Deutschem      63069 Offenbach am Main
                                                Pflegerat, http://g-drg.de/cms/G-DRG-System_
 Nachspritzen von Korrekturinsulin können      2012/Kodierrichtlinien/Deutsche_Kodierricht- Tel. 069 8405-3453
 eine Anerkennung begründen.                    linien_2012                                   E-Mail: diabetes@klinikum-offenbach.de

Das Diabetische Fußsyndrom
 Christian-Dominik Möller, Arend Billing, Dieter Klein, Christian Klepzig

Ein 45-jähriger Patient, der seit 1994 an         Daraufhin erfolgte entgegen ärztlichem
einem Typ-2-Diabetes erkrankt ist, macht          Rat die Rückkunft aus dem Ausland mit                Eine farbige Tischvorlage zum
                                                                                                       Heraustrennen „Klassifikation nach
eine Urlaubsreise in die USA.                     sofortiger stationärer nephrologischer und
                                                                                                       Wagner/Armstrong“ finden Sie auf
Trotz vorbestehender Polyneuropathie und          diabetologischer Weiterversorgung. Die               den Seiten 145/146
Versorgung mit geeigneten Fußbettungen            Nierenfunktion erholt sich wieder vollstän­
und Schuhen kauft der Patient in den USA          dig, die Amputationswunde heilt nach Ent­
ungeeignetes Schuhwerk und nutzt dieses           lassung und Weiterbetreuung in einer dia­         6,5 Millionen mit Diabetes mellitus Typ 2.
sofort zu einer längeren Wanderung.               betologischen Schwerpunktpraxis sekun-            Man geht heute von einer Dunkelziffer
                                                  där ab.                                           bisher nicht diagnostizierter Patienten von
Der Patient bemerkt zunächst eine Blase                                                             1-2 Millionen aus. In den nächsten zwan-
an D5 rechts, die sich im Verlauf infiziert.      Epidemiologie                                     zig Jahren werden nach neuesten epide-
Es entwickelt sich eine Phlegmone mit             Nach den neuesten Zahlen der Internationa­        miologischen Daten mehr als 1,5 Millio-
Sepsis und die Zehe wird amputiert. Post-         len Diabetes Föderation (IDF) ist Deutsch-        nen Menschen neu an Diabetes mellitus
operativ wird intermittierend eine Dialyse­       land das Land mit der höchsten Diabetes­          Typ 2 erkranken.
behandlung infolge eines akuten Nieren-           prävalenz in Europa. 12 Prozent der 20-
versagens erforderlich, eine Unterschen-          bis 79-jährigen sind betroffen, insgesamt         Im Alter zwischen 40 und 59 Jahren sind
kelamputation wird bereits zur Diskussion         ca. 7,5 Millionen Menschen mit manifes-           zwischen vier und zehn Prozent der Män-
gestellt.                                         tem Diabetes mellitus, davon mehr als             ner und Frauen an Diabetes erkrankt, bei
                                                                                                                                                       151
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      Fortbildung

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                                                                                                      sionen.
                                                                                                      Die Prävalenz des Diabetischen Fußsyn-
                                                                                                      droms nimmt mit steigendem Lebensalter
                                                                                                      zu, sie liegt bei den über 50-jährigen Pati-
                                                                                                      enten bereits zwischen fünf und zehn Pro-
                                                                                                      zent.

                                                                                                      Pathogenese
                                                                                                      Die Ursachen für die Fußläsionen beim
                                                                                                      diabetischen Fußsyndrom sind multifak-
                                                                                                      toriell. Neben der diabetischen Polyneu-
                                                                                                      ropathie (PNP) ist vordringlich die Makro-
                                                                                                      angiopathie mit peripherer arterieller Ver­
                                                                                                      schlusskrankheit als Ursache zu benennen.

                                                                                                      Die sensorische Neuropathie führt dabei
      Entwicklung der Diabetesprävalenz in Deutschland. Krankenkassendaten der AOK Hessen 1998-2007
                                                                                                      zu einem Verlust der Wahrnehmung schädi­
      Aktualisiert nach Deutschem Gesundheitsbericht Diabetes 2010                                    gender Faktoren oder Traumata, die moto-
                                                                                                      rische Neuropathie bewirkt eine muskuläre
      Menschen im Alter von 60 Jahren und dar-           Folgeerkrankung des Diabetes mellitus        Schwäche und Atrophie kleiner Fußmuskeln
      über sind es zwischen 18 und 28 Prozent.           mit großer Tragweite für die betroffenen     mit Beeinträchtigung des Gangbildes und
      Kumulativ wird derzeit in Deutschland              Patienten. Dabei weisen Menschen mit         einer plantaren Druckumverteilung. Die
      von einer Zahl von 270.000 Neuerkran-              Diabetes gegenüber Nichtdiabetikern ein      autonome Neuropathie führt zu einer tro-
      kungen für Diabetes mellitus Typ 2 pro             auf das 20-fache erhöhtes Risiko für die     ckenen vulnerablen Haut mit Rhagaden
      Jahr in der Bevölkerungsgruppe der über            Entwicklung von Fußulzerationen auf. Die     und Fissuren.
      55-jährigen ausgegangen.                           jährliche Neuerkrankungsrate für diese
      Das Diabetische Fußsyndrom (DFS) ist               liegt zwischen 2,2 und 5,7 % und führt zu    Hinzu kommt eine eingeschränkte Gelenk-
      eine multifaktoriell bedingte, komplexe            einer Zahl von schätzungsweise 250.000       beweglichkeit (Limited joint mobility) auf
                                                                                                      dem Boden einer Proteinglykierung an
                                                                                                      Ge­­lenken, Sehnen und Weichteilen.
                                                                                                      Als weiterer Komplikationsfaktor müssen
                                                                                                      Fußdeformitäten verschiedendster Art, bei­
                                                                                                      spielsweise die bei Neuropathie typischen
                                                                                                      Krallenzehen und der Hallux valgus als
                                                                                                      Orte besonders hoher mechanischer Be-
                                                                                                      lastung gelten.

                                                                                                      Die Summe dieser Faktoren führt zu einer
                                                                                                      unphysiologischen biomechanischen Be-
                                                                                                      anspruchung der Füße mit veränderten
                                                                                                      plantaren Druckverteilungsmustern und
                                                                                                      erhöhten Scherkräften, sorgen für ver-
                                                                                                      mehrte Hornhautbildung, konsekutiv fol-
      Behandlungsprävalenz (%) im Jahr 2004 im Vergleich zum Jahr 1998.
                                                                                                      genden subkeratotischen Hämatomen und
      Anstieg in der Altersgruppe über 40 Jahren, bei Männern stärker als bei Frauen.                 Exulzerationen der Haut bis in das Weich-
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teilgewebe bzw. Gelenk- oder Knochen­
ebene.

Als weiterer Manifestationsfaktor für die
Entstehung von Ulzerationen beim Diabe-
tischen Fußsyndrom gilt die diabetische
Makroangiopathie im Sinne einer periphe-
ren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK).
Keine hinreichende Evidenz fand sich je-
doch für die noch immer häufig postulier-
te okkludierende Mikroangiopathie. Eine
funktionelle Mikroangiopathie ist vielmehr
Folge einer Störung der sympathischen
Innveration im Rahmen der autonomen
Neuroapathie.
Auf dem Boden dieser prädisponierenden
Faktoren kommt es sodann im Rahmen
repititiver Traumatisierungen, in der Regel
durch inadäquates Schuhwerk, zu den ty-
pischen Druckulzerationen, mithin dem
Diabetischen Fußsyndrom.
                                               Eine weitere differentialdiagnostisch be-      nostik mit unterschiedlichsten diagnosti-
Diagnostik                                     deutsame Untersuchung ist die Untersu-         sche Methoden (Duplexsonografie, Mes-
Neben der klinischen palpatorischen Fuß-       chung des peripher arteriellen Gefäßsys-       sung der transkutane Sauerstoffsättigung,
untersuchung stellt eine umfangreiche,         tems. Da das Vorliegen einer pAVK ent-         etc.) erweitern neben invasiven Untersu-
alle Belange des Diabetes mellitus umfas-      scheidend den Erfolg der Behandlung und        chungstechniken (Feinnadelangiografie,
sende Anamnese die Basis der Diagnostik        die Abheilungswahrscheinlichkeit beein-        Angiografie, MRT- oder CT-Angiografie)
von Patienten mit Diabetischem Fußsyn-         flusst, gilt es hier frühzeitig entsprechen-   das angiologische Untersuchungsspek­
drom dar, die insbesondere die typischen       de Veränderungen zu diagnostizieren.           trum und erlauben eine Klassifikation von
Symptome der Neuropathie einschließt,                                                         Durchblutungsstörungen und Planung in-
die im neurologischen Symptomen Score          Neben der obligaten Palpation der Fuß­         terventioneller oder operativer Revasku-
(NSS) erfasst werden können.                   pul­se (A. dorsalis pedis und A. tibialis      larisationsmaßnahmen.
Defizite des Schmerzempfindens (Hyp-           posterior) gilt die arterielle Verschluss-
bis Analgesie), des Vibrationsempfindens       druckmeldung und Bestimmung des Ankle-         Einteilung und Klassifikation
(Pallästhesie), der Thermosensibilität, der    Brachial-Index (ABI) als einfache, leicht      Die Einteilung und Klassifikation der Ulze-
Tiefen- und Oberflächensensibilität und        reproduzierbare Untersuchungsform, die         rationen im Rahmen des Diabetischen
des Reflexstatus können mit einfachen, in      sogar eine Prognose für die Heilungswahr­      Fußsyndroms erfolgt mittels einer Gradu-
jeder Hausarztpraxis vorhandenen Unter-        scheinlichkeit ermöglicht. Bei Verschluss-     ierung nach Wagner und Armstrong, die
suchungsmethoden (Stimmgabel, Tipterm,         drücken < 40 mmHg beispielsweise ist eine      eine einfache Verlaufsdokumentation und
Semmes-Weinstein-Filament, Reflexham-          Spontanheilung ohne Revaskularisations-        Darstellung des therapeutischen Erfolges
mer) diagnostiziert und klassifiziert wer-     maßnahmen unwahrscheinlich. Lediglich          erlaubt.
den. Die Untersuchung auf neurologische        bei der, allerdings im Rahmen des Diabe-
Defizite sollte stets beidseits erfolgen, da   tes mellitus häufigen Mediasklerose, die       Therapie
es sich bei der diabetischen PNP um eine       mit ABI-Indices > 1,3 einhergeht, kommt        Ein multidisziplinäres und multifaktoriel-
distal betonte symmetrische Neuropathie        das Verfahren an seine diagnostischen          les Vorgehen bei der Therapie von Ulzera-
handelt.                                       Grenzen. Eine weiterführende Stufendiag-       tionen beim Diabetischen Fußsyndrom ist
                                                                                                                                            153
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      Fortbildung

      in der Lage, die Komplikations- und Am-             sequentem Exsudatmanagement und                 thiebedingter Analgesie fehlen, gewöhn-
      putationsrate um mehr als 50 % zu ver-              Infektionskontrolle                             lich besteht keine Hautläsion und meist in
      bessern. Diese Behandlungsqualität er-            • Revaskularisationsmaßnahmen (insbe-             diesem Stadium keine radiologischen Ver­
      zielen insbesondere spezialisierte Fußbe-           sondere bei heilungsverzögerten Wun-            änderungen. Bei Verkennung des Krank-
      handlungseinrichtungen, wie sie von der             den oder Amputationsgefahr)                     heitsbildes kommt es im weiteren Verlauf
      Deutschen Diabetes Gesellschaft zertifi-          • Metabolische Kontrolle (einschließlich          zu einer rapiden Progression des Prozes-
      ziert sind (http://www.ag-fuss-ddg.de/              Flüssigkeitskontrolle)                          ses mit Knochenfragmentation und Dest-
      einrichtungen.html). Bei Fußläsionen ab           • Sekundärprophylaxe (Schuhzurichtung,            ruktion von Gelenken. In Folge entstehen
      einem Wagner/Armstrong-Stadium 3B ist               adaptierte Weichbettungen, regelmäßige          auf diesem Wege massive Destruktionen
      darüber hinaus eine stationäre Behand-              Kontrolluntersuchungen, podologische            im Bereich der Fußknochen mit erheblichen
      lung in einem qualifizierten Zentrum an-            Komplexbehandlung, Schulung und                 Deformitäten und funktionellen Problemen,
      zustreben.                                          psy­cho-soziale Betreuung).                     die eine Prädisposition für Druckulzera­
                                                                                                          tionen mit sich bringen.
      Komponenten der Therapie, die der Aus-            Sonderfall(e) Diabetische                         Um dies zu vermeiden, gilt die Empfeh-
      prägung der Läsion entsprechend anzu-             Neuroosteoarthropathie                            lung, einen neuropathischen Patienten mit
      wenden sind, umfassen:                            (DNOAP, sog. Charcotfuß)                          entsprechender Klinik, umgehend in ein
      • Verminderung der mechanischen Belas-            Die Neuroosteoarthropathie (DNOAP) ist            Zentrum mit Spezialisierung in Diagnostik
        tung (Offloading) durch TCC (Total Con-         eine oft verkannte und deshalb spät diag-         und Behandlung des DFS zu überweisen
        tact Cast), druckreduzierende Orthesen          nostizierte schwerwiegende Erkrankung             (http://www.ag-fuss-ddg.de/einrichtun-
        und Gehstützen, Rollstuhlversorgung             aus dem Kreis des Diabetischen Fußsyn-            gen.html).
        oder Bettruhe                                   droms. Auf dem Boden einer Neuropathie
      • Débridement avitaler Gewebsanteile (chi­        und repititiver mechanischer Mikrotrau-           Gedanken zu einer
        rurgisch, mechanisch, autolytisch, bio-         matisierung entsteht eine nichtbakterielle        vernünftigen Strukturierung
        chirurgisch)                                    Entzündung von Knochen und Gelenken               der Versorgung
      • Infektionsbehandlung (lokale Wundanti­          im Fuß, verbunden mit einer mehr oder             Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist der
        septik, erregeroptimierte Antibiose, evtl.      weniger ausgeprägten Weichteilreaktion.           Prototyp eines Krankheitsbildes, das einer
        Drainage-OP)                                    Im Akutstadium findet sich klinisch ein           integrierten Versorgung bedarf.
      • Lokale Wundbehandlung im Sinne einer            überwärmter, erythematöser, geschwolle-           Die Arbeitsgemeinschaft diabetischer Fuß
        stadiengerechten Wundtherapie mit kon­          ner Fuß, Schmerzen können bei neuropa-            (AG Fuß) der Deutschen Diabetes Gesell-

      Abb. 1: Majoramputationsrate hessischer AOK-Versicherter in DDG-zertifi-   Abb. 2: Majoramputationsrate hessischer AOK-Versicherter in DDG-zertifi-
      zierten Fußambulanzen (unpubliziert)                                       zierten Fußambulanzen vs. Integrierte Versorgung (unpubliziert)

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                                                                           schaftliche Bedeu-        roosteoarthropathie („Charcot-Fuß“) die
                                                                           tung, da aufgrund         Behandlung und Koordination der adä­
                                                                           des höheren Durch­        quaten Versorgung der Patienten sicher.
                                                                           schnittsal­ters die       Hierbei ist die enge Abstimmung mit An-
                                                                           be­t roffenen Men-        giologen, Gefäß-, plastischen und orthopä­
                                                                           schen infolge der         dischen Chirurgen sowie Podologen, Or­tho­
                                                                           Amputa­tion we­­­­sent­   pädietechnikern und -schuhmachern zwin­
                                                                           lich häu­figer zu Pfle­   gend erforderlich und sicherzustellen.
                                                                           gefällen wer­den.
                                                                                                     Die Einhaltung vorgegebener Behandlungs­
                                                                           Warum ist aber die        pfade sollte obligat sein.
                                                                           f lächendeckende          Die Vermeidung von Amputationen bei
                                                                           Reduzierung der           Menschen mit Diabetes ist angesichts der
                                                                           Amputationsraten          steigenden Diabetikerzahlen eine Verpflich­
Abb. 3: Prozentuale Verteilung der DFS-Patienten in Altersbereichen (Da-
                                                                           dann trotzdem so          tung.
ten IV DFS, unpubliziert)                                                  schwierig?
                                                                                                     Anschriften der Verfasser
schaft macht sich bereits seit Jahren für          Wesentliche Probleme in der Versorgung            Christian-Dominik Möller
eine strukturierte und sinnvolle Versor-           von chronisch erkrankten Menschen im              Klinik für Diabetologie und
gung des diabetischen Fußsyndroms stark            deutschen Gesundheitswesen sind die feh­          Ernährungsmedizin
und hat mit der Schaffung von „zertifizier-        lende Koordinierung und Steuerung der             Interdisziplinäres Zentrum
ten Einrichtungen zur Behandlung des dia­          Behandlung und das Fehlen einer epide-            Diabetischer Fuß
betischen Fußsyndroms“ eine Pionierleis-           miologischen und Versorgungsforschung.            Bürgerhospital Frankfurt am Main
tung erbracht.                                     Hier haben die strukturierten Behandlungs­        Nibelungenallee 37-41, 60318 Frankfurt
Die Qualität der dort geleisteten Arbeit ist       programme (DMP) letztlich auch keine
hervorragend (s. Abbildung 1). Die Major­          Verbesserung gebracht, da das Missach-            Professor Dr. med. Arend Billing
amputationsraten liegen selbst im inter-           ten der dort angedachten und vorgeschla-          Dr. med. Dieter Klein
nationalen Rahmen hervorragend und                 genen Behandlungspfade für Versicherte            Dr. med. Christian Klepzig
deutlich unterhalb derer in der deutschen          wie Behandler folgenlos bleibt.                   Diabetes-Fußambulanz
Regelversorgung.                                                                                     im Gefäßzentrum Offenbach
Gleichwohl konnte in integrierten Versor-          Am Beispiel des DFS ist besonders gut zu          Klinikum Offenbach gGmbH
gungsverträgen (z.B. Fußnetz Köln-Lever-           erkennen, dass trotz der Vorgabe Fußpa-           Starkenburgring 66, 63069 Offenbach
kusen) noch eine weitere Verbesserung              tienten in eine qualifizierte Fußbehand-
der Versorgung erreicht werden. Auch in            lungseinrichtung zu überweisen, dies z.T.         Literatur
Hessen konnte die weitere Absenkung                nur bei 1,5 % - 26,4 % der Fälle geschieht.       Evidenzbasierte Diabetes-Leitlinie DDG –
                                                                                                     Diabetisches Fußsyndrom 2008
der Amputationsraten im „IV-Vertrag dia-           Sinnvoll wäre eine klare und ggf. auch
                                                                                                     S. Morbach, E. Müller, H. Reike, A. Risse ,
betisches Fußsyndrom“ zwischen der AOK             sanktionierte Strukturierung und Prozes-          G. Rüme­napf , M. Spraul
Hessen, dem Bürgerhospital Frankfurt und           sierung der Versorgung von Patienten mit          Deutsche Diabetes Gesellschaft,
                                                                                                     Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie
dem Klinikum Offenbach erreicht werden             diabetischem Fußsyndrom.
                                                                                                     Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2011
(Abbildung 2).                                     Der Hausarzt hätte in solch einer Struktur        Internationaler Konsensus über den
                                                   die zentrale Rolle und Aufgabe der Früher-        Diabetischen Fuß
                                                                                                     International Working Group on the Diabetic Foot
Angesichts der Altersverteilung der Pa­tien­­      kennung und Behandlungseinleitung des             Amsterdam, Niederlande
ten mit diabetischem Fußsyndrom (Ab­               diabetischen Fußsyndroms.                         http://www.kvn.de/icc/internet/nav/cab/binary
bildung 3) hat jede ver­miedene Major­am­          Der Diabetologe stellt im Falle des Vorlie-       writerservlet?imgUid=98e7012a-a9fd-4821-
                                                                                                     48ae-85b06fa453d5&uBasVaria
putation neben der Vermeidung mensch­              gens einer offenen Wunde, eines Hoch­             nt=11111111-1111-1111-1111-111111111111
lichen Leids auch eine enorme volkswirt-           risikofußes oder einer diabetischen Neu-          http://www.diabetes-deutschland.de/news5.html

                                                                                                                                                        155
3 2012 • Hessisches Ärzteblatt
      Fortbildung

      Inkretinbasierte Therapien – sinnvoll und nützlich ?
      Rüdiger Göke

      Einleitung                                     ten diese Maßnahmen nicht mehr ausrei-        Magenentleerung, fördert das Sättigungs­
      Der Diabetes mellitus Typ 2 ist eine kom-      chen, stehen Substanzen zur Verfügung         empfinden und führt zu einer Gewichtsre-
      plexe Erkrankung und verursacht eine           wie Sulfonylharnstoffe, Glinide, α-Gluko­     duktion [10]. In Studien in denen Typ-2-
      Vielzahl von Problemen bei den Patienten.      sidashemmer, Pioglitazon (in Deutschland      Diabetikern GLP-1 infundiert wurde, kam
      Zum Zeitpunkt der Diagnose findet sich         nur für Patienten mit privater Krankenver-    es zu einer fast vollständigen Normalisie-
      die insulinproduzierende Betazellmasse         sicherung) und/oder Insulin. Zwar kann        rung der Blutzuckertagesprofile [11]. Zwi-
      im endokrinen Pankreas um etwa 50 re-          hiermit oft eine Senkung des Blutzuckers      schenzeitlich liegen Ergebnisse vor, die
      duziert. Zudem ist die Insulinsekretion ge­    erreicht werden, oft geht die Anwendung       auf eine protektive Wirkung von GLP-1 am
      stört. Die Betazellen zeigen keine adäqua-     dieser Substanzen aber mit unerwünschten      Herzen sowie sogar am Zentralnervensys-
      te sekretorische Antwort auf erhöhte Blut­     Wirkungen wie Hypoglykämien, Gewichts-        tem hinweisen [12,13].
      zuckerkonzentrationen. Die erste, post­        zunahme, gastrointestinalen Beschwerden,      GLP-1 besitzt eine kurze Halbwertszeit
      prandial rasch auftretende Phase der nor­      einer erhöhten kardiovaskulären Mortali-      und wird innerhalb weniger Minuten nach
      malerweise zweiphasigen Insulinsekretion       tät oder gar einem erhöhtes Tumorrisiko       Freisetzung aus den L-Zellen abgebaut.
      geht verloren [1]. Somit wird nach Nah-        einher [3,6]. Seit 2005 wurde das Spek­       Hierfür ist neben der Neutralen Endopep-
      rungsaufnahme Insulin zu spät und dann         trum der antidiabetischen Therapien um        tidase 24.11 hauptsächlich die Dipeptidyl-
      in der zweiten Phase eher zu stark freige-     die inkretinbasierten Therapien erweitert.    peptidase 4 (DPP 4) verantwortlich, die
      setzt, so dass in der Frühphase der Diabe-     Diese Therapien machen sich die vielfälti-    ubiqutär vorkommt [14,15]. Um das Poten-
      tesentwicklung sogar postprandial Hypo-        gen biologischen Wirkungen des Inkretin-      tial von GLP-1 trotzdem therapeutisch
      glykämien auftreten können. Beim Typ-2-        hormons Glucagon-like peptide-1 (GLP-1)       nutzen zu können, wurden DPP 4 Hemmer
      Diabetiker tritt postprandial eine Hyper-      zu Nutze. Ergebnisse der Forschung Mar-       und stabile GLP-1 Agonisten entwickelt.
      glukagonämie auf, die zu einer Steigerung      burger Wissenschaftler trugen wesentlich
      der Glukoneogenese führt, was erheblich        zur Entwicklung dieser neuen Therapie bei.    DPP 4 Hemmer
      zu einer Erhöhung der Blutzuckerspiegel                                                      Derzeit für Patienten verfügbar sind drei
      beiträgt [2]. Über 90 % der Typ-2-Diabetiker   Das Inkretinhormon GLP-1                      Substanzen: Sitagliptin, Vildagliptin und
      sind adipös. Besonders nachteilig wirkt        GLP-1 ist ein aus dem Proglukagon stam-       Saxagliptin, die teilweise in Monothera-
      sich eine Vermehrung des viszeralen Fett-      mendes aus 30 Aminosäuren bestehen-           pie, in Kombination mit anderen Antidia-
      gewebes aus, das die Entstehung einer          des Peptid, dass postprandial aus den         betika oder in Fixkombinationen zugelas-
      Insulinresistenz begünstigt. Substanzen,       L-Zellen des Dünn- und Dickdarms in die       sen sind (Tabelle 1). Linagliptin ist europa-
      die im viszeralen Fettgewebe gebildet          Blutzirkulation freigesetzt wird. GLP-1       weit zugelassen, wobei abzuwarten ist,
      werden, fördern eine Thromboseneigung          wirkt über spezifische Rezeptoren an ver-     ob es auch in Deutschland auf den Markt
      sowie die Entwicklung einer Hypertonie         schiedenen Zielorganen. Am endokrinen         kommen wird. Es handelt sich um kompe-
      und tragen zu einem erhöhten Tumorrisiko       Pankreas stimuliert es die Freisetzung        titive DPP 4 Hemmer, die eine hohe Affini-
      bei [3-5]. Sinnvollerweise sollten deshalb     von Insulin und hemmt die Glukagonse-         tät für das Enzym aufweisen. Die Gliptine
      Therapieentscheidungen unter Berücksich­       kretion. Diese Wirkungen treten nur bei       sind oral applizierbar, wobei die Biover-
      tigung der Pathopyhsiologie des Diabetes       erhöhten Blutzuckerspiegeln auf, so dass      fügbarkeit durch Nahrungsaufnahme nicht
      erfolgen. Es ist außerdem zu beachten,         Hypoglykämien nicht zu erwarten sind          wesentlich beeinflusst wird. Nach Einnahme
      dass mikro- und makrovaskuläre Folgeer-        [7,8]. In tierexperimentellen Studien konn-   therapeutischer Dosen kommt es inner-
      krankungen bestehen können, die den Ein­       te eine protektive Wirkung am endokrinen      halb von 15 Minuten zu einer über 90 %igen
      satz bestimmter Medikamente einschrän-         Pankreas nachgewiesen werden: GLP-1           Enzymhemmung, die im Verlauf von 24
      ken oder gar kontraindizieren.                 verminderte die Betazellapoptose und          Stunden zu 70-90 % bestehen bleibt [16].
      Die Behandlung des Typ-2-Diabetes be-          führte zu einer gesteigerten Betazellneo-     DPP 4 Hemmer werden nicht durch Cyto-
      steht zunächst aus Empfehlungen zu Än-         genese und -proliferation [9]. Kein ande-     chrom P450 metabolisiert. Allerdings wird
      derungen des Lebensstils (Ernährungs-          res Antidiabetikum weist eine solches         Saxagliptin durch CYP 3A4/A5 degradiert.
      umstellung, vermehrte körperliche Bewe-        Wirkungsprofil am endokrinen Pankreas         Hierbei entsteht ein Metabolit der eben-
      gung) und der Gabe von Metformin. Soll-        auf. Darüberhinaus verzögert GLP-1 die        falls DPP 4 hemmt, jedoch in geringerem
156
3 2012 • Hessisches Ärzteblatt
                                                                                                                        Fortbildung

Tabelle 1                                                                                     di-4 ein schlechtes Substrat für die DPP 4.
                                   Sitagliptin          Vildagliptin       Saxagliptin        Es hat eine deutlich längere Plasmahalb-
 Monotherapie                            +                    +                 -             wertszeit (im Mittel 2,4 h) als GLP-1. Wie
                                 (bei Kontraindi-     (bei Kontraindi-                        GLP-1 stimuliert es die Insulinsekretion
                                 kation o. Unver-     kation o. Unver-                        und hemmt die Glukagonfreisetzung. Es
                                 träglichkeit von     träglichkeit von                        normalisiert das Sekretionsverhalten der
                                   Metformin)           Metformin)                            Betazellen mit einem Wiederauftreten der
 Kombi mit Metformin                    +                    +                  +             ersten Phase der Insulinsekretion. Im Tier­
 Kombi mit Sulfonylhanstoff             +                    +                  +             modell hat Exendin-4 eine protektive, an-
 Kombi mit Pioglitazon                  +                    +                  +             tiapoptotische Wirkung am endokrinen
 Kombi mit Insulin                      +                     -                 +             Pankreas und fördert die ß-Zellprolifera­
                                  (+/- Insulin,                           (+/- Insulin,       tion. Exendin-4 verzögert die Magenent-
                                  wenn stabile                            wenn stabile        leerung, steigert das Sättigungsgefühl
                                  Insulindosis                            Insulindosis        und führt zu einer Gewichtsreduktion [30].
                                  nicht ausrei-                           nicht ausrei-       In den 16 bis 30 Wochen dauernden Zulas-
                                  chend wirkt)                            chend wirkt)
                                                                                              sungsstudien, führte die zweimal tägliche,
 Kombi mit Metformin und                +                     -                 -             subkutane Gabe von 5 bzw. 10 µg Exena­
 Sulfonylharnstoff
                                                                                              tide bei mit Metformin +/- Sulfonylharn-
 Kombi mit Metformin und                +                     -                 -             stoffen vorbehandelten Patienten zu einer
 Glitazon
                                                                                              signifikanten Senkung von HbA1c (bis -1,5 %
                                                                                              vs. +0,2 % in den Placebogruppen), Ge-
Ausmaß (~50 %) als Saxagliptin selbst          scheinen die verschiedenen Gliptine ähn-       wicht (bis -2,8 kg vs. -0,9 kg in den Place-
[17,18]. Bei älteren Patienten sowie Patien­   lich effektiv zu sein. Allerdings existieren   bogruppen) sowie Nüchtern- und post­
ten mit leichter bis moderater Einschrän-      bisher nur wenig Daten aus Studien, die        prandialen Glukosespiegeln. In einer an-
kung der Leberfunktion ist eine Dosisan-       Gliptine direkt miteinander vergleichen.       schließenden open label extension Phase
passung nicht notwendig. Bei einge-            Die bisherigen Erfahrungen mit DPP 4 Hem­      kam es zu einer weiteren Gewichts- bzw.
schränkter Nierenfunktion muss eine Do-        mern zeigen, dass es sich offenbar um gut      HbA1c- Reduktion (-4,4 kg bzw. -1,1 %) [31-
sisanpassung entsprechend der reduzier-        verträgliche Substanzen handelt mit einem      33].
ten GFR erfolgen [19].                         Nebenwirkungsprofil auf Placeboniveau.         Liraglutide weist eine sehr hohe Amino-
DPP 4 Hemmer stimulieren die Insulinse-        Sicherheitsanalysen klinischer Studien, in     säuresequenzhomologie zu nativem huma­
kretion und hemmen die Freisetzung von         denen über 10.000 Patienten über zwei          nem GLP-1 auf. Durch das Einfügen eines
Glukagon, was zu einer Senkung der prä-        Jahre mit DPP 4 Hemmern behandelt wur-         Aminosäurenaustausches sowie das An-
und postprandialen Blutzuckerspiegel führt.    den, ergaben keinen Hinweis auf ein er-        koppeln eine C16 Acylkette wurde die Af-
Sie haben keinen wesentlichen Effekt auf       höhtes Risiko für unerwünschte Wirkun-         finität zu Serumalbumin erhöht sowie die
die Magenentleerung oder das Sättigungs­       gen [26,27]. Auch ein zunächst vermuteter      Bildung von Aggregaten in der Subkutis
gefühl und sind gewichtsneutral. Hinsicht­     Zusammenhang zwischen DPP 4 Hemmern            erleichtert, was die Halbwertszeit dieses
lich des Ausmaßes der HbA1c Senkung            und Induktion einer Pankreatitis konnte        Konstrukts auf 13 h erhöht [34]. Liraglutide
sind sie den anderen oralen Antidiabetika      nicht bestätigt werden [26,28].                weist die gleichen biologischen Wirkun-
nicht unterlegen. Wie Sulfonylharnstoffe,                                                     gen auf wie natives GLP-1. Eine Monothe-
Glinide, Metformin, α-Glukosidasehemmer          GLP-1 Analoga                                rapie mit einmal täglicher subkutaner Ap-
und Pioglitazon senken sie das HbA1c bis         Exendin-4 wurde aus dem Speichel der         plikation von 1,2 mg bzw. 1,8 mg über
zu etwa 1 % (bei Ausgangswert zwischen           Krustenechse Heloderma suspectum iso-        zwölf Monate führte zu HbA1c Senkungen
8-9 %) [20-25]. Im Gegensatz zu anderen          liert. Es weist eine hohe Aminosäurese-      von 0,8 bzw. 1,5 %. In Kombination mit
Antidiabetika kommt es unter DPP 4 Hem-          quenzhomologie zu humanem GLP-1 auf          oralen Antidiabetika kam es nach Gabe
mern nicht zu Hypoglykämien und Gewichts-        und ist ein hochaffiner Agonist am humanen   von 0,6 mg bis 1,8 mg über sechs Mona-
zunahmen. Bezüglich der HbA1c Senkung            GLP-1 Receptor [29]. Allerdings ist Exen-    ten zu HbA1c Senkungen von 0,7-1,5 %
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