WTF! Highlights vom Zündfunk Netzkongress 2017 - #zf17
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Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................................................2 Netzkongress 2017 Das große F .......................................................................................................................3 Datenschutz Wie bekommen wir die Kontrolle zurück? .................................................................7 Unsterblichkeit Aber ewig leben? Nein Danke! ......................................................................................9 Constanze Kurz „Deutschland ist in Hackerdingen immer noch Kreisliga“ .................................... 10 Unser digitales Erbe Was wird aus meinen Daten, wenn ich sterbe? .......................................................12 Digitale Sprach-Assistenten Wie weit sind Alexa und Co. wirklich? ......................................................................14 Bundestagswahl 2017 Höhere Bot-Aktivität als vor der US-Wahl ................................................................16 Wikipedia „Die Anonymität gibt mir Schutz“ ............................................................................. 17 Neue Nähe Wie Instant Messaging unsere Freundschaften verändert.................................... 20 Wolf Siegert Den Menschen ihre Geschichte zurückgeben........................................................... 21 #couplegoals Typologie der Instagram-Paare ................................................................................... 23 Vielen Dank! ...................................................................................................................27 Impressum ......................................................................................................................28
Netzkongress 2017 Das große F Eineinhalb Tage Netzkongress, mehr als 40 Vorträge, Panels und Workshops – und unzählige Antworten auf die Frage: “What the…?”. Was haben wir beim Zündfunk Netzkongress 2017 gelernt? Eine Annäherung in vier Schritten – natürlich mit F Von Caspar Schwietering WTF – was für ein beliebiges Motto. Denn das F in WTF sollte auf diesem Zündfunk Netzkongress ja ausdrücklich für vieles stehen. Für Femism, Fake, Fun, Fan, Future, Freedom. Programmatische Kapitulation also vor den vielfältigen Phänomenen der Digitalisierung? Schnell zeigte sich am Freitag, dass die Organisatoren diesem Netzkongress sehr wohl einen Fokus gegeben haben: Future ist sozusagen das Leit-f. Die Frage, wie das Digitale unser Leben verändern und prägen wird, hat diesen Kongress bestimmt. Und hinter dieser Leitfrage lauerte dann stets die Frage danach, wie wir diesen Digitalisierungsprozess politisch gestalten wollen. Daneben wurden aber auch einige digitale Gegenwartsphänomene verhandelt und sogar die Frage nach dem Danach – nach unserem Erbe – gestellt. 1. Future Den Auftakt auf der großen Bühne machte Ole Reißmann vom Onlineportal Bento. Und er zeichnete gleich ein äußerst dunkles Bild von der Zukunft. Einige wenige, supermächtige Internetkonzerne wie Facebook, Google und Amazon werden darin die Welt beherrschen und zugrunde richten. Die Manager dieser Konzerne, meint Reißmann, werden diese dann als gute Transhumanisten hinter sich lassen und für das ewige Leben gen Mars verschwinden. Zurück bleiben wir – die Internetproletarier. Es sind genau diese Dystopien, die Dirk von Gehlen von der Süddeutschen Zeitung regelmäßig aufregen. Von Gehlen findet die Debatten über neue Technologien zu sehr geprägt von Angst. Auf dem Netzkongress stimmte von Gehlen deshalb einen Lobgesang auf das Smartphone an, das er für das wichtigste technische Werkzeug der Gegenwart hält. Wie jede wirklich durchschlagend erfolgreiche Erfindung werde das Smartphone nun erst mal verteufelt. Wem aber nütze es, fragt von Gehlen, wenn wir immer nur darüber redeten, wie sehr uns das Smartphone ablenke. Von Gehlen plädiert statt des Technik-Pessimismus nicht für einen naiven Optimismus, sondern für Pragmatismus. Das Smartphone werde unsere nahe Zukunft bestimmen und wir müssten lernen, damit umzugehen. Vor allem aber, meint er, sollten wir unseren Kindern helfen, ein gesundes Verhältnis zum Smartphone zu entwickeln. Die blödeste Idee ist es für ihn, wenn wir das Smartphone – wie in Bayern – aus den
Klassenzimmern verbannen und unseren Kindern einreden, dass sie wegen des Smartphones verblöden. „Was nützt es mir, wenn mein Gehirninhalt auf eine Festplatte hochgeladen wird?“ – Godehard Brüntrup Im Bezug auf zukünftige – im Entstehen begriffene – Technologien tun sich aber auch die technikaffinen Besucher des Netzkongresses schwer mit dem Optimismus. Den Träumen der Transhumanisten, das ewige Leben zu erreichen – durch die Verknüpfung des menschlichen Körpers mit technischen Geräten – konnten die Philosophen Godehard Brüntrup und Janina Loh nichts abgewinnen. „Was nützt es mir,“ fragte Brüntrup, „wenn mein Gehirninhalt auf eine Festplatte hochgeladen wird? Auch wenn ich dann mit anderen Computerhirnen kommunizieren kann, ohne Bewusstsein und die Möglichkeit die Welt zu erfahren, ist das kein Leben.“ Auch die Vorstellung ewig im eigenen Körper zu leben, findet Brüntrup nicht verheißungsvoll. „Nun bin ich 60 Jahre alt und da wird das Leben irgendwann schon recht repetitiv. Da ist der Gedanke, dass das irgendwann ein Ende hat, ohne depressiv zu sein, schon recht tröstlich“, meinte er. Die wesentlich jüngere Janina Loh konnte da nur heftig mit dem Kopf nicken. Und die Kryonik, die andere große Idee der Transhumanisten, ist für Brüntrup und Loh der ultimative Ausdruck des Egoismus. Sich wie Han Solo in Stars Wars einfrieren lassen, um sich dann in 300 Jahren wieder auftauen zu lassen? Allein aufgrund des Energieverbrauchs eine völlig absurde Vorstellung. Der britische Wissenschaftler Paul Graham Raven zeigte eine Alternative zum Transhumanismus auf: Die Rückbesinnung auf die Infrastruktur. Während der Transhumanismus nur einigen, wenigen Superreichen aus dem Silicon Valley das ewige Leben sichern solle, könnte eine verbesserte Infrastruktur einer wachsenden Weltbevölkerung ein halbwegs komfortables Zusammenleben auf der Erde ermöglichen. Die Künstliche Intelligenz (KI) wurde auf dem Zündfunk Netzkongress ebenfalls vor allem als Bedrohung diskutiert. Obwohl der Publizist Mads Pankow von der KI fasziniert ist, fragte er nur danach, ob eine kreative KI den Menschen Jobs wegnehmen könnte. Das Fazit: All die Kreativen auf dem Netzkongress können aufatmen; wirklich kreativ werden Computer ohne menschliche Hilfe auch in Zukunft kaum sein. Klaudia Seibel versucht mit ihrer Arbeit, die ewige Technikangst zu überwinden. Dafür liest sie Science Fiction. Häufig, werde der Fortschritt einseitig anhand der technologischen Entwicklung gestaltet, sagte Seibel auf dem Netzkongress. In der Science Fiction stünden dagegen immer die menschlichen Bedürfnisse im Vordergrund. Die Literaturwissenschaftlerin Seibel sucht in Science Fiction Romanen nach Technologien, die sich die Menschen wirklich wünschen. Und berät damit anschließend Firmen bei der Entwicklung.
2. Politik oder, nun ja…, Freedom Und wie reagiert die Politik auf all diese Zukunftsszenarien? Versucht sie die Entwicklung zu gestalten? Auf einem Panel zu Beginn des Kongresses machte Dirk von Gehlen hier ein großes Defizit aus: Die noch amtierende Bundesregierung habe sich in der vergangenen Legislaturperiode mal wieder kaum um die Digitalisierung gekümmert, kritisierte er. Um zu begründen, dass die Politik beim Thema nicht auf der Höhe der Zeit sei, reichte ihm schon ein Verweis auf den Digitalminister Dobrindt. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club wollte das so nicht stehen lassen. Alexander Dobrindt (CSU) und die anderen zuständigen Minister hätten durchaus einige Gesetze zu digitalen Fragen auf den Weg gebracht. Fehlende Gesetze seien nicht das Problem. Das Problem ist für Kurz ganz entschieden die fehlende Debatte. So habe Dobrindt etwa eine Regelung zu autonom fahrenden Autos ermöglicht, die alles andere als verbraucherfreundlich sei. Nur habe das keiner mitgekriegt. Überhaupt kümmert sich die Union intensiv um die Digitalisierung, meint Kurz. „Merkel spricht in jeder ihrer Reden, die sich keiner zu Ende anhört, über die Digitalisierung.“ In Kurz’ Augen betreibt die Kanzlerin aber die falsche Politik. Die Daten der Menschen seien da das neue Öl. Und überhaupt betreibe die Union eine entschieden industriefreundliche Politik. „Merkel spricht in jeder ihrer Reden, die sich keiner zu Ende anhört, über die Digitalisierung.“ – Constanze Kurz Enttäuscht zeigte sich Kurz vor allem von der SPD. Sie fragte, warum es der Partei nicht gelänge ihre Wertvorstellungen ins Digitale zu übersetzen. An dieser Stelle konnten Kurz alle Diskussionsteilnehmer zustimmen. Dass Martin Schulz im Wahlkampf den Entwurf für eine europäische digitale Grundrechte-Charta nicht einmal erwähnt hat, obwohl er sie noch wenige Monate zuvor mitverfasst hat, fanden auch Dirk von Gehlen, der Grünen-Europapolitiker Jan-Philipp Albrecht und die österreichische Wissenschaftlerin Martina Mara äußerst seltsam. Jan-Philipp Albrecht wurde auf dem Netzkongress außerdem für die Europäische Datenschutzverordnung gefeiert, die er als Berichterstatter im Europäischen Parlament auf den Weg gebracht hat. Auch Constanze Kurz wollte daran nicht mehr rummäkeln, mehr sei für Albrecht nicht drin gewesen, meinte sie. Beim Panel zum Thema Datenschutz zeigte sich deutlich ein grundsätzliches Problem dieses Netzkongresses. Es fehlte oft an Gegenstimmen. Warum wurde etwa nicht jemand wie Joachim Herrmann (CSU) eingeladen, um zu begründen, warum die Union Sicherheitsinteressen für vorrangig hält? Beim Datenschutz musste stattdessen der Künstler und Satiriker Shahak Shapira widerwillig als Gegenspieler herhalten. Constanze Kurz kritisierte ihn für eine seiner Kunstaktionen. Im August sprühte Shapira Hasskommentare, die Twitter nicht gelöscht hatte, vor der Deutschland-Zentrale des Konzerns auf die Straße. Für Kurz die unterkomplexe Behandlung eines schwierigen Problems. Die ganze
Löschdebatte, befürchtet sie, werde am Ende nur dazu führen, dass die sozialen Netzwerke automatische Löschfunktionen schaffen werden. Und diese Programme würden dann auch Satire- und Kunstaktionen wie jene von Shapira löschen, weil sie den Unterschied zu herkömmlichen Hasskommentaren gar nicht bemerken. 3. Die Gegenwart oder: Fuck, Fun, Feminism Überhaupt spielten Hasskommentare auf dem Netzkongress eine große Rolle. Shahak Shapira bekannte in einem Interview am Rande des Kongresses, dass ihn die vielen Hasskommentare, die er nach seinen Aktionen erhalte, allmählich zermürben würden. Er frage sich immer mehr, ob sich das noch lohne, sagte Shapira. Und neben anderen sprach auch Juliane Wieler über den Hass im Netz. Wieler moderiert Hip-Hop Sendungen beim Jugendsender Puls und findet unter ihren Beiträgen immer wieder jede Menge sexistische Kommentare. Ein Phänomen, das Wieler aber nicht der Hip-Hop Comunity zuschreiben will. Sexismus gebe es überall im Netz, meint sie. Vor allem aber dort, wo Menschen anonym posten können. Aber nicht nur der Hass hat den Netzkongress beschäftigt auch die Liebe. Verena Fiebiger von Puls analysierte in ihrem Beitrag, wie Paare auf Instagram ihr Intimleben präsentieren und dabei alte Rollenbilder reproduzieren. Und Katharina Brunner und Elisabeth Gamperl von der Süddeutschen Zeitung erzählten auf dem Netzkongress, wie Freundschaft in Zeiten von Instant Messaging funktioniert. Gespräche zwischen engen Freunden hätten heute keinen Anfang und kein Ende mehr, erläutern die beiden. Während manche diese Entgrenzung bedrohlich finden mögen, sehen Brunner und Gamperl sie als Gewinn. Wir seien heute unseren Freunden so nah wie nie, behaupten sie. Und dabei hätten wir gleich noch eine neue Sprachform erfunden: Das digitale Reden. Wir schreiben, folgen aber den Regeln der mündlichen Kommunikation. 4. Das Erbe oder die “digital Funeral” Was aber geschieht mit unserer digitalen Kommunikation, wenn wir einmal verschwunden sind? Für den Publizisten Wolf Siegert sind Blogs und vor allem die Facebook- und Instagramprofile der Menschen die digitale Form des Tagebuchs. Eine Entwicklung, die ihn beunruhigt. Denn wenn wir Firmen wie Facebook unsere Biografie anvertrauten, müssten wir damit leben, dass diese unsere Daten weitergeben, ohne dass wir das kontrollieren können. Die Konsequenzen seien potentiell beunruhigend. Wolf Siegert plädiert deshalb dafür, Lebensgeschichten nicht bei Facebook und Co. sondern anderswo zu erzählen. Und er fordert Journalisten, Künstler und Historiker auf dies zu tun. Auf dem Zündfunk Netzkongress zeigte er deshalb die
Lebensgeschichten von einigen Teilnehmern des letztjährigen Kongresses in einer Theaterperformance. Die Veranstalterin Sabine Landes zeigte den Teilnehmern ihres Workshops, wie sie ihren digitalen Nachlass regeln können. Für viele ist es eine gruselige Vorstellung, dass nach dem eigenen Tod noch Social-Media-Profile von einem im Netz stehen. Längst gibt es professionelle Anbieter – etwa Bestattungsunternehmen -, die diese Zombie-Profile löschen. Bei Sabine Landes konnten die Teilnehmer lernen, wie sie die Löschung ihrer Profile vor ihrem Tod selber veranlassen können. Und was bleibt am Ende des Zündfunk Netzkongress? Memes! Traditionell ging die Veranstaltung mit dem großen Meme Jeopardy von Anna Bühler und Christian Schiffer zu Ende. Und wie immer waren dafür noch mal alle zur Großen Bühne gekommen. Der unbestrittene Jeopardy-König: Shahak Shapira. Vier Memes hat Shapira richtig erraten. Und eins der vorgestellten Memes – BosbachLeavingThings – stammt gar von ihm selbst. Datenschutz Wie bekommen wir die Kontrolle zurück? Shahak Shapira, Jan Philipp Albrecht und Constanze Kurz diskutieren über den Umgang mit personenbezogenen Daten. Dabei gab es vor allem Kritik, Ratlosigkeit und wenige Lösungen. Von Irini Bafas „Wenn ich indische Speisen esse, bekomme ich Durchfall“, sagt Shahak Shapira. „Ich weiß das und trotzdem bestelle ich sie immer wieder. Erst wenn ich auf der Toilette sitze, denke ich darüber nach. Genauso ist das, wenn du Cookies bestätigst.“ Das Publikum im großen Saal des Münchner Volkstheaters lacht und klatscht, wie bei fast allem, was Shapira sagt. Dabei trifft seine Kritik bestimmt auch viele Leute im vollen Saal. Shapira hat seinen linken Fuß auf dem rechten Knie abgelegt, lehnt sich im Stuhl auf der schwarzen Bühne zurück. Er sitzt zwischen der Netzaktivistin Constanze Kurz und dem Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht. Die drei diskutieren darüber, wie wir mitbestimmen können, wer was mit unseren Daten macht. Wie wir die Macht über unsere Daten zurückbekommen können. „Bei den meisten Websites in
Deutschland kann man Cookies nicht ablehnen, sondern nur die Info wegklicken. Das ist Verarsche und außerdem ist es rechtswidrig“, sagt Albrecht. Bei Cookies auf „Okay“ zu klicken ist also nicht wie Essen, das man nicht verträgt. Es ist wie hungrig sein, aber es gibt nur eine ekelige Speise. Der Vergleich passt nicht nur in Bezug auf Cookies, er lässt sich auf alle Daten übertragen, die jeder Einzelne im Netz preisgibt. Keiner will es und doch tut es fast jeder. In den Daten könnten Namen und sogar Passwörter von E-Mail Accounts stecken, sagt Albrecht: „So entsteht Diskriminierung. Andere bekommen die Marktmacht und Kontrolle über uns, und das ist das eigentliche Problem“. Seit 2012 treibt er als Abgeordneter im Europaparlament die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union voran, die ab Mitte 2018 allen EU-Bürgern ein Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten soll. „Die Staaten sind zu schwach, Grundrechte zu schützen“ Durch eine sogenannte „Öffnungsklausel“ können die einzelnen Länder allerdings weiterhin eigene Regelungen erlassen. Es bleibt also unklar, wie die Verordnung durchgesetzt werden soll. „Auch wird es weiterhin Situationen geben, in denen wir Daten freigeben, ohne gefragt zu werden, zum Beispiel beim Direktmarketing“, sagt er. Bis jetzt sind die Staaten immer noch zu schwach, die Grundrechte im Netz zu schützen. „Die wenigsten wissen, wie einfach es ist, ihre Daten technisch auszuwerten“, sagt Constanze Kurz. „Die Politik müsste transparenter mit dem Thema umgehen und die Werbeindustrie entlarven, die alles von uns verfolgt.“ Kurz ist Informatikerin und forscht zu Überwachungstechnologien und Ethik in der Informatik. Sie ist auch die Verantwortliche dafür, dass es in Deutschland bislang keine Wahlcomputer gibt. In ihrer Promotion hat sie gerade erst gezeigt, wie leicht es wäre, die Technologie zu hacken und damit die Wahlen zu manipulieren. Auf der Bühne startet ein Video. Es zeigt Shahak Shapira dabei, wie er in einer neongelben Warnweste vor der deutschen Twitter-Zentrale in Hamburg Hass- Tweets auf den Boden sprüht. Über ein halbes Jahr lang hat er 300 Tweets gemeldet – und nur neun Antworten vom Konzern bekommen. Der Rest wurde ignoriert und blieb online. „Schwule raus aus Auschwitz“, hat er auf den Boden gesprayt. „Rechtsradikal, frauenverachtend, menschenfeindlich“, kommentiert ein Passant. All das wird gefilmt und später per Presseverteiler verschickt. Constanze Kurz bezeichnet solche Aktionen als sinnlos. „Wir können froh sein, dass wir überhaupt eine Antwort kriegen“, sagt sie. In anderen Ländern sei die Lage noch schlimmer. Für Shapira hat die mediale Inszenierung aber funktioniert: Er wollte mit der Aktion den Hass aus dem Internet in die Realität holen. Twitter hat sich zu der Provokation nicht geäußert – aus Datenschutzgründen.
Unsterblichkeit Aber ewig leben? Nein Danke! Von Niklas Schenk „Unsterblichkeit? Ja? Nein? Vielleicht?“ Moderator Christian Schiffer nimmt den Titel der Veranstaltung dankbar auf, um das Stimmungsbild im Publikum abzufragen. Das Ergebnis: Knapp die Hälfte votierte mit Nein, ist also gegen Unsterblichkeit. Mehr als zwei Dutzend Zuschauer stimmten aber auch mit Ja oder Vielleicht. Anschließend taten die beiden Experten – der Münchner Philosoph Godehard Brüntrup und die Wiener Technikphilosophin Janina Loh – auf der Bühne alles, um auch diese Zuschauer noch umzustimmen: „Die Verlängerung des Lebens ist das absolute Grauen“, so Brüntrup. Man solle sich alleine mal vorstellen, Millionen mal jeden Morgen im Edeka einkaufen gehen zu müssen – diese Idee könne doch niemandem gefallen. Gelächter im Publikum, auch Janina Loh stimmte Brüntrup zu. Diese nannte zwei Bedingungen für ein ewiges Leben: Erstens müssten Körper und Geist gesund bleiben und zweitens dürfte man nicht als einziger Mensch unsterblich sein, um nicht einsam weiterzuleben. „Nun bin ich 60 Jahre alt und da wird das Leben irgendwann schon recht repetitiv. Da ist der Gedanke, dass das irgendwann ein Ende hat, ohne depressiv zu sein, schon recht tröstlich.“ Godehard Brüntrup Vor allem im Silicon Valley investieren einige schwerreiche Männer wie Jeff Bezos oder Peter Thiel Millionen in die Unsterblichkeitsforschung. Beide Philosophen kritisierten dies scharf. „De facto ist das schon der letzte Traum einiger weniger reicher, westlicher Männer, die es sich leisten können“, sagte Loh. Brüntrup ergänzte: „Das ist die Ausgeburt des Egoismus, zu denken, dass man selbst unbedingt weiterleben muss, weil andere Menschen das nicht so gut können wie man selbst.“ Ein Leben dürfe nicht danach beurteilt werden, wer noch länger oder besser Leben, warnte Janina Loh. Das sei ihre Hauptkritik am Transhumanismus. Die Angst vorm Tod – oder die Angst vorm ewigen Leben Die Angst vor dem eigenen Tod – ein Thema, das die Menschen schon immer umtreibt. „Ich bin selbst schon mal wiederbelebt worden und kann deshalb sagen: Sterben ist etwas völlig anderes, als die meisten Menschen denken“, schilderte Godehard Brüntrup.
Constanze Kurz „Deutschland ist in Hackerdingen immer noch Kreisliga“ Die Welt 2017: Seit den Snowden-Leaks vor vier Jahren steckt zumindest Europa in einer IT-Vertrauenskrise. Die US-Wahl 2016 und die Spekulationen um mögliche russische Hacks tat ihr übriges. Befinden wir uns mitten im digitalen Krieg, mitten im „Cyberwar“? Von Jasmin Körber Eine schwierige Frage, denn die Szene tut sich schwer mit der Definition des Begriffs „Cyberwars“. Denn der digitale Krieg – wenn man ihn so nennen will – spielt sich ja vor allem im zivilen Netz ab – und zielt auch auf zivile Ziele. Die Cyberwar-Strategie der USA Die Strategie der USA im digitalen Krieg hat Edward Snowden 2013 mit den NSA- Leaks offengelegt. Er hat aber auch bewiesen: Die Vereinigten Staaten spionieren vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Auf der „To Hack“-Liste stehen vor allem EU-Institutionen, Botschaften, G20, Diplomaten, die OPEC, die Weltbank, und interessanterweise Kommunikationsunternehmen wie die Belgacom. Interessant findet Kurz das deshalb, weil die Belgacom ähnlich der Telekom als kritische Infrastruktur zu werten ist: „Wir haben es also bei diesem Hack mit dem Angriff eines NATO-Landes gegen ein anderes zu tun“, so Kurz. Versteckte Wirtschaftsinteressen Umso interessanter, dass die Berichterstattung zum Thema „Cyberwar“ sich eher selten den dahinterstehenden Wirtschaftsinteressen widmet, dafür aber zu oft von martialischer Militärsprache und politischen Plänkeleien geprägt ist. Beispielsweise wird vom „Hand-to-Hand Combat“ gesprochen, wenn die NSA die Russen gehackt hat – und diese beim Hacken der NSA beobachtet… In der Berichterstattung wird ebenfalls ausgeklammert, dass ein riesiger Schwarzmarkt an den Sicherheitslücken auf unseren Geräten verdient – und dass er von Steuergeldern bezahlt und erhalten wird, weil staatliche Geheimdienste Informationen zu diesen Sicherheitslücken aufkaufen. Oder dass „professionelles Hacking heute vorrangig von Steuergeldern bezahlt“ wird, wie Constanze Kurz es formuliert. Wenig weiß die Allgemeinheit auch von den spezialisierten Firmen, die ihre Hackingdienste an den Meistbietenden verhökern. Und, und, und. “Da müssen wir ran!” „Wir nehmen nicht wahr, dass da ein Problem ist, und zwar ein richtig strukturelles Problem“, sagt Kurz und fordert: „Da müssen wir ran“. Denn die Probleme seien nicht unlösbar.
„Ich will hier keine Doomsday-Stimmung verbreiten. Ich glaube, dass wir das fixen können. Wenn man sich dem Glauben hingibt, dass es nichts zu verändern gibt, dann haben wir eh schon verloren.“ Constanze Kurz Genfer Konvention für die digitale Welt? Einen Plan hat Kurz auch schon parat: Wir könnten beispielsweise eine Art Genfer Konventionen für die digitale Welt beschließen. Immerhin gelten fürs Militär im klassischen Kampf klare Regeln: Zivilisten müssen soweit wie möglich geschützt werden. Diese Regeln müssten wir aufs Digitale übertragen – und zum Beispiel kritische zivile Infrastrukturen wie Stromerzeuger, Mobilfunknetze und Krankenversorger von militärischen Aktionen abkoppeln. Gerade Deutschland sei zwar „ein mächtiges Land, aber in Hackerdingen immer noch Kreisliga“. Deshalb müsse Deutschland ein gesteigertes Interesse an einer klaren Regelung zur digitalen Kriegsführung haben. „Ein demokratischer Staat muss sich entscheiden, ob er strukturelle IT-Sicherheit will oder die Lücken ausnutzen will“, so Kurz. Wie viele Länder wagt auch Deutschland gerade noch einen schwierigen Spagat: Auf der einen Seite steht der Wunsch, Sicherheitslücken für eigene Zwecke auszunutzen. Auf der anderen wird man selbst natürlich äußerst ungern Opfer von Hacks und Exploits. Bessere Verschlüsselung dank Snowden Aber auch wir Nutzer können viel erreichen und Einfluss nehmen. Weil Deutschland als attraktiver Markt für Tech-Firmen gilt, hat sich hier nach den Snowden-Leaks einiges getan: WhatsApp, Yahoo, Gmail bieten bessere Verschlüsselung – weil sie müssen: „Für die Firmen ist das auch ein Imageproblem, wenn sich da jeder einhacken kann.“ Constanze Kurz selbst ist auch aktiv geworden: Gemeinsam mit britischen NGOs hat sie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die umfassende Überwachung der britischen Regierung geklagt. Am 7. November ist die Anhörung, sie freut sich über Aufmerksamkeit in jeglicher Form: Schreiben, twittern, „sogar Facebook wär mir recht!“
Unser digitales Erbe Was wird aus meinen Daten, wenn ich sterbe? Unsere Autorin hat diese Frage ewig unbeantwortet vor sich hergeschoben. Höchste Zeit für Lösungen. Von Helena Ott Was soll mit meinen Spuren im Netz passieren, wenn ich plötzlich sterbe? Eine Frage, die in meinem Kopf weit hinter der Patientenverfügung, die ich schon längst schreiben wollte, rangiert. Ich würde einen heillosen Wust hinterlassen. Den Überblick habe ich nach 12 Jahren online längst verloren. Auf Anhieb denke ich an Facebook, Spotify, meine vier Mail-Accounts, meinen Amazon- und Zalando- Account. Aber eigentlich passiert es ständig, dass ich im Netz nur weiter klicken kann, wenn ich Mailadresse und Passwort angebe: Stadt-Newsletter, Fluganbieter, Orga-Tools wie Trello und Zeitungen mit Registrier-Schranke; alle haben irgendwann einmal nach meinen Daten gefragt und ich habe sie ihnen gegeben. Dann ist da der ganze Kram auf meinem Laptop, dessen Vorgänger, Festplatten, ein paar Sticks und Speicherkarten. Ordner mit dem kryptischen Namen „Fotos Januar bis Juni 2016“ – unsortiert vom Smartphone und der Kamera runtergezogen. Und was, wenn ich einen tödlichen Unfall habe und wenige Tage später bei Facebook noch unter „Kennst du vielleicht“ vorgeschlagen werde, oder Facebook-Freunde aufgefordert werden, mir zum Geburtstag zu gratulieren? Es wäre ganz schön fies, wenn sich meine Familie durch das alles kämpfen müsste. Immerhin bin ich nicht die Einzige, die sich noch nie die Frage gestellt hat, was mit all den digitalen Schnipseln passieren soll. Laut einer aktuellen Bitcom-Studie sagen 80 Prozent, dass sie ihren digitalen Nachlass noch überhaupt nicht geregelt haben. Wenn ich darüber nachdenke, will ich eigentlich, dass das Netz mich nach meinem Tod einfach verschluckt. Aber wenn es morgen soweit wäre, würde genau das nicht passieren. Was also tun? Dass das Thema „Digitaler Nachlass“ nicht im Trend liegt, hat auch Medienwissenschaftlerin Sabine Landes aus München vor zwei Jahren erkannt. Sie fühlt sich berufen, das zu ändern. Auf digital-danach.de hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Praxisanleitungen zusammengetragen und organisiert bald einen Kongress in München, der Menschen vernetzt, die sich mit dem digitalen Erbe beschäftigen. Auf dem Zündfunk-Netzkongress spricht sie heute in einem Workshop. Diese eine Stunde nehme ich mir. Auf dem Tisch liegen 50 Kärtchen: Logos von Online- Diensten, W-LAN, Lupe, Weltkugel. Wir sollen ein Symbol auswählen, das wir mit unserem digitalen Leben verbinden. Obwohl ich mich zu den Leuten zähle, die beim
Shoppen, Lesen oder Kalender bestücken oft den analogen Weg vorziehen, könnte ich jetzt fast zu jeder der Karten greifen. Sabine Landes rät dazu, eine Liste anzulegen mit allen Accounts, allen Passwörtern und einem Vermerk, was damit nach dem Tod geschehen soll. Alternativ empfiehlt sie einen Passwort-Manager, dort kann man alle Logins hinterlegen und bei manchen Anbietern auch eine Notiz dahinter schreiben, was im Todesfall mit dem Account passieren soll. Das bringt aber nur dann etwas, wenn ich mir eine vertraute Person suche, die das Masterpasswort kennt und Zugang zum Passwortmanager hat. Bei vier Geschwistern habe ich immerhin Auswahl. Nur, wie würden die mich ansehen, wenn ich ihnen morgen mein Master-Passwort auf einem Zettel in die Hand drücke oder ihnen sage, wo sie meine Accountliste finden, für den Fall, dass ich sterbe? Ich bin die jüngste in meiner Familie, von mir erwarten die anderen wohl am wenigsten, dass ich über Tod und Nachlass sprechen will. Ich will wissen, wie das bei Facebook ist: In den Einstellungen habe ich ein Feld vor mir, in das ich einen Nachlasskontakt eintragen kann. Spontan fiel mir mein Bruder ein, der am meisten internetaffine in unserer Familie. Weiter unten gab es auch die Möglichkeit: Account löschen. Ich bin überrascht, dass anscheinend nur ein Klick nötig ist. Ja, warum sollte ich noch jemanden damit belästigen, wenn ich hier einfach gleich regeln kann, dass alles gelöscht wird? Klick. Das Dialogfeld „Dein Konto in Zukunft löschen? Bitte bestätige, dass dein Konto nach deinem Tod gelöscht werden soll. Sobald uns mitgeteilt wird, dass du verstorben bist, werden all deine Infos, Fotos und Beiträge permanent von Facebook entfernt und niemand kann dein Profil anzeigen“ öffnet sich. Ich will straight auf den „Nach dem Tod löschen“-Button klicken. Mein Finger stoppt. Sollen meine Freunde aus dem Bachelor in Erfurt, Reisebegleitungen und liebe Menschen aus dem FSJ nicht auch erfahren, dass ich einen tödlichen Fahrradunfall hatte? Nur weil meine Familie nicht mal weiß, dass sie existieren oder sie Kontakt zu ihnen hat. Ich verschiebe meine Entscheidung. Sabine Landes sagt, dass es beim Digitalen Nachlass nicht darauf ankäme „den hinterletzten Shopping-Account, wo man mal den lila Schrankknauf“ bestellt hat, aufzulisten. Stattdessen ginge es darum, den Verbleib von Dingen, die uns im Netz wichtig sind, wie Fotos und Kommunikation für den Notfall zu regeln. Wenn ich über meine Freizeitgestaltung in der nächsten Zeit nachdenke, sehe ich nicht, dass ich in zwei Wochen am Schreibtisch sitze und eine Liste meiner Logins und Passwörter erstelle und dazu notiere, was posthum damit passieren soll. Charmanter scheint mir eine Lösung, die Sabine Landes gegen Ende des Workshops vorstellt: Online-Dienstleister, wie die Firma Columba, bietet Angehörigen an, die 250 meistgenutzten Portale nach bestehenden Registrierungen zu befragen. Auf Wunsch der Angehörigen können die Columba-Mitarbeiter auch gleich die Löschung beantragen.
Für mich würde das bedeuten, ich setze ein Dokument auf, das ich „Digitale Nachlassverfügung“ nenne und schreibe dann – passt wahrscheinlich in zwei Zeilen – dass meine Familie alle meine Accounts über einen solchen Dienstleister vernichten lassen soll, wenn ich sterbe. Dem Anbieter reicht dazu Name und Mailadressen. Eventuell würde ich im Dokument noch den Satz hinzufügen, dass meine Familie bevor sie mein Facebook-Profil löscht, bitte eine kurze Nachricht an meine Freundesliste schickt, dass und unter welchen Umständen ich verstorben bin. Hört sich alles makaber an, aber erspart Angehörigen wohl eine Menge zusätzlichen Frust. Meinen Bruder werde ich schon mal vorwarnen, dass ich mit ihm über meine digitalen Überreste sprechen will. Wenn dann mal viele verregnete Herbsttage aufeinanderfolgen, gibt es meinen letzten digitalen Willen vielleicht auch bald auf Papier. Digitale Sprach-Assistenten Wie weit sind Alexa und Co. wirklich? Ob Siri, Cortana oder Alexa: Der Sprachassistent ist gerade die unangefochtene Lieblingstechnologie der Tech-Szene. Dank ihnen dreht sich die Art und Weise, wie wir mit Maschinen interagieren, gerade um 180 Grad. Von Jasmin Körber Plötzlich verstehen Maschinen, wie wir sprechen. Und dementsprechend viele Fragen hatte das Publikum beim Zündfunk Netzkongress an Malte Kosub, der als Software-Entwickler mit Amazon und Google zusammenarbeitet. Dass es überhaupt erst soweit gekommen ist, dass Mensch und Maschine sich so ungekannt gut verstehen, macht er an drei Faktoren fest. Allein Amazon beschäftigt 5000 Mitarbeiter für Alexa Faktor eins: Die Erkennungsrate von Sprache entwickelt sich rasant weiter. In den 1950er Jahren erfunden, sorgen ab den 80er Jahren statistische Verfahren dafür, dass die maschinelle Spracherkennung immer besser wird. Der Durchbruch kommt aber erst Anfang 2010: Dank Machine Learning liegt die Trefferrate bei der Erkennung von Sätzen bei 95 Prozent. Das heißt: Bei perfekten Umweltbedingungen schneidet die Maschine jetzt besser ab als der Mensch.
Faktor zwei: Tech-Unternehmen weltweit investieren gerade extrem viel Geld in die Sprachassistenten: Allein Amazon beschäftigt 5.000 Mitarbeiter allein für Alexa. Faktor drei: Sogenannte „Voice First-Geräte“ haben Sprachassistenten alltagstauglich gemacht. Den Anfang hat Amazon mit Echo gemacht, Google legte mit Home nach und Apple will noch dieses Jahr folgen. Glaubt man den Hype- Scouts, werden im Jahr 2020 schon 75 Prozent aller US-Haushalte ein Voice First- Gerät haben, 30 Prozent aller Web-Interaktionen werden komplett ohne Bildschirm auskommen. Wenn der Backofen mit dir spricht Auch wenn der Siegeszug der Sprachassistenten auf den Voice First-Geräten begonnen hat, die Technologie dahinter werden wir bald überall finden: In Kühlschränken, Backöfen, Weckern und Autos. BMW hat schon angekündigt, Amazons Alexa integrieren zu wollen. Die Vorteile sind ja klar: Stimmsteuerung ist direkter und niemand muss die Hände vom Lenkrad nehmen. Bei all dem Hype: Alexa, Siri und Co. eignen sich nicht für alle Anwendungsgebiete: Problematisch wird es immer dann, wenn die Lösungsbreite einer Anfrage für den Sprachassistenten zu groß wird. Wer Alexa lediglich gebietet, „etwas von Beethoven“ zu spielen, der darf sich nicht wundern, wenn am Ende ein Deep House- Remix von „Für Elise“ aus den Boxen schallt. Trotzdem: In Zukunft werden unsere Assistenten noch sehr viel menschlicher werden. Und sie werden dank Vernetzung sehr viel über unsere Lebensumstände wissen. Spätestens wenn der Sprachassistent die eigenen Vorlieben besser kennt als man selbst, wird es für viele unheimlich. Klar ist: Keine neue Technologie ohne die Möglichkeit ihres Missbrauchs: Denkbar wäre beispielsweise, dass man eine Pizza beim Lieblingsitaliener bestellen möchte und Alexa fragt, ob man stattdessen nicht lieber bei Pizza Hut bestellen möchte – ganz einfach, weil die Firma dafür gezahlt hat. Zukunftsmusik, zugegeben. Noch ist komplett offen, inwiefern Werbung überhaupt den Weg in die Sprachassistenten finden wird. Aber wenn es so weit ist, werden wir uns sehr viel öfter fragen müssen: „Dient der Sprachassistent mir – oder vielleicht jemand ganz anderem?“.
Bundestagswahl 2017 Höhere Bot-Aktivität als vor der US- Wahl Bei den US-Wahlen waren sie in aller Munde: Social Bots, die beispielsweise bei Twitter Stimmung für die Republikaner machen. Auch im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 waren die Sorgen groß, dass irgendwelche russischen Botnetzwerke die Abstimmung beeinflussen. Und dann? Irgendwie nichts mehr. Von Lukas Graw Die Wahlen liefen ab und plötzlich sprach jeder über die Verluste der Altparteien und keiner mehr über Bots. Altparteien? Genau solche Begriffe, sagt die Digital- Strategin Tabea Wilke, sind das Zeichen, dass die Beeinflussung funktioniert. Denn der Begriff sei noch vor ein paar Jahren ein klassischer Begriff des rechten Spektrums, jetzt aber sei er im journalistischen Mainstream angekommen. 23 Prozent der Tweets zur Bundestagswahl kamen von Bots Valide Daten über diesen Einfluss könne man leider nicht messen. Noch nicht zumindest, so das Fazit von Tabea Wilke. Sie ist Geschäftsführerin von Botswatch, einem Tool um bei Twitter in Echtzeit erkennen zu können, wie viele Bots bei bestimmten Themen aktiv sind. Und da tat sich im Rahmen der Bundestagswahl bei Twitter so einiges: 23 Prozent aller themenbezogenen Tweets in der deutschen Wahlwoche kamen von Bots. In den USA waren es in der Wahlwoche lediglich 18 Prozent. “Das Fazit ist: Wir hatten eine höhere Botaktivität und einen höheren Botindex als bei den US-Wahlen.” Tabea Wilke Gesetzliche Maßnahmen dauern zu lange Doch wie soll eine Gesellschaft damit umgehen? Eine gesetzliche Lösung wollte Tabea Wilke nicht gelten lassen: Sie dauern schlichtweg zu lange. Denn Netzwerke, und das sei das Spannende an ihnen, würden sich im Wochenrhythmus verändern. Sobald eine Regierung einen Verbotskatalog schaffe, sei dieser veraltet. Man müsse sich andere Möglichkeiten überlegen, mit Social Bots umzugehen. Den Einwand, dass Twitter hierzulande keinen nennenswerten Einfluss habe, weil es zu wenige Nutzer habe, wollte Wilke so nicht stehen lassen. Es gehe nicht um die absoluten Nutzerzahlen von Twitter, sondern um die Menschen, die den Diskurs in Deutschland steuern. Und genau die seien bei Twitter aktiv: Journalisten, Influencer, Prominente. “Wenn ein Account nur 200 Leute erreicht, und das aber die sind, die er erreichen wollte, dann ist der viel wichtiger als einer, der 2.000 Leute erreicht.” Tabea Wilke Es bedarf mehr Diskussion um Social Bots
Können Botarchitekten die Stimmung einer Gesellschaft also dauerhaft beeinflussen? Das ist die große Frage, mit der sich Tabea Wilke beschäftigt, und die ihrer Überzeugung nach viel zu wenig diskutiert wird. Bots sind nützliche Werkzeuge für viele Arbeitsschritte, es kommt nur darauf an, wer sie verwendet. Wikipedia „Die Anonymität gibt mir Schutz“ Für die deutsche Wikipedia schreiben 180.000 User. Sie füllen die Online-Enzyklopädie in ihrer Freizeit mit Wissen und beseitigen Vandalismus. Warum tun sie das? Eine Wikipedianerin erzählt Von Johanna Sagmeister Platon war kein Wettermoderator und Charlie Sheen ist nicht halb Mann, halb Kokain. Ihre Wikipedia-Artikel haben all das aber schon behauptet. Fehler und Vandalismus in Wikipedia-Artikeln: Sie machen die Online-Enzyklopädie unglaubwürdig und rechtfertigen den Satz eines jeden Professors, dass man die Artikel nicht zitieren soll. Dabei sind falsche Informationen dort eigentlich einfach zu beheben. Denn das Prinzip ist: Jeder darf in der Online-Enzyklopädie lesen und jeder darf sie auch bearbeiten. Doch nur die wenigsten machen Letzeres. Wikipedia hat schon seit langem ein Autoren-Problem. „Freddy2001“ ist einer der wenigen Menschen, die etwas gegen das Qualitätsproblem tun. Im Profil ist nicht viel über den Menschen dahinter zu erfahren. Dort steht nur, dass er mehrere Programmiersprachen beherrscht, welche Betriebssysteme er benutzt, dass er sich für Fotografie interessiert und neben Englisch auch ein wenig Holländisch spricht. Auch den richtigen Namen verrät das Profil nicht. Über einen E-Mail-Button kann man den Nutzer kontaktieren. Freddy2001 heißt eigentlich Isabelle und ist 16 Jahre alt. Ihr Pseudonym setzt sich aus ihrem Zweitnamen Friederike und ihrem Geburtsjahr zusammen. Vor fünf Jahren wurde sie durch einen fehlerhaften Artikel über ihr Heimatdorf nahe Mönchengladbach zur Wikipedianerin. Da war sie elf Jahre alt. In dem Artikel war noch der alte Bürgermeister genannt. Der Fehler hat sie so sehr genervt, dass sie ihn nicht stehen lassen wollte. Sie meldete sich an, verlinkte den richtigen Bürgermeister und war von dem simplen Wikipedia-Prinzip angefixt. Bald danach erstellte sie ihren ersten eigenen Eintrag: über den Bahnhof ihres Heimatsortes. Die Informationen holte sie sich aus Büchern oder Internetquellen.
Ihre Mitschüler nennen sie “lebendes Lexikon” Mittlerweile verbringt Isabelle mehrere Stunden am Tag in der Wikipedia- Community. Sie ist sogar eines von elf gewählten Mitgliedern des Schiedsgerichts – der höchsten Instanz von Wikipedia. In der Schule wird sie wegen ihres Hobbys aus Scherz „lebendes Lexikon“ genannt. Aber sie sei kein Überflieger, nur eine durchschnittliche Schülerin, sagt Isabelle am Telefon. Aber: „Ich weiß vielleicht besser, wie ich Informationen schnell finde und neutral schreibe”, sagt sie. Wenn Isabelle anderen Wikipedianern erzählt, dass sie drei Monate jünger ist als die Enzyklopädie selbst, wird sie erstaunt angeschaut. „Die Anonymität gibt mir Schutz“, sagt Isabelle. „Ich werde nicht auf mein Alter reduziert. Nur meine Leistung zählt.“ Deshalb möchte sie ihren Nachnamen auch nicht nennen. In der Wikipedia arbeiten nur die wenigsten Autoren mit ihrem Klarnamen. Der Ton bei Artikel-Diskussionen ist rau, nicht selten kommt es dabei zu persönlichen Anfeindungen. Die muss sich Isabelle zum Beispiel anhören, weil sie eine Frau ist. „Es gibt viele männliche Benutzer, die damit ein Problem haben und nicht akzeptieren, dass man auch als Frau gute Beiträge leisten kann”, sagt sie. Frauen sind seit Gründung der Wikipedia vor 16 Jahren unterrepräsentiert. Nur etwa zehn Prozent der deutschen Autoren sind einer Umfrage der Wikimedia nach weiblich. „Ich finde es schade, dass das Frausein in der Wikipedia immer noch eine Angriffsfläche ist”, sagt Isabelle. Viele Frauen hätten keine Lust auf Machtspielchen und soziale Rollenkämpfe und würden ihr Geschlecht deshalb im Profil gar nicht erst preisgeben. Der typische Wikipedianer ist der Statistik nach weiß, männlich, Single und etwa 33 Jahre alt. Kritiker sagen, das beeinflusse die Themen und führe zu einem männlich- dominierten Geschichtsbild in den Artikeln. Verschiedene Gruppen, in denen sich Frauen zusammenschließen, versuchen seit Jahren, das zu ändern und weibliche Autorinnen zu fördern. Nach Erstellen des Artikels geht die Arbeit erst los Isabelle verfasst am liebsten Artikel über Minderheiten, wie zum Beispiel über Transsexuelle. „Der Bereich ist in der deutschsprachigen Wikipedia sehr dünn, da gibt es viele Sachen, die noch geschrieben werden müssen”, sagt sie. In einer entsprechenden Liste werden Personen und Themen gesammelt, für die noch ein Artikel erstellt werden muss. Isabelle und andere interessierte Autoren arbeiten die Liste dann nach und nach ab. Als nächstes wird sie einen Artikel zu der TV-Serie „I am Jazz” schreiben, in der ein Jungen im falschen Körper geboren wurde und zur Frau wird. „Den Artikel gibt es bereits in der englischsprachigen Wikipedia. Ich kann ihn also einfach ins Deutsche übersetzen”, erklärt Isabelle. Und dann geht die Arbeit erst los. Der Artikel muss sich beweisen. Ist das Thema relevant? Reicht die Qualität? Bei diesen Fragen kann jeder angemeldete User mitdiskutieren, den Text verändern oder ganz löschen. Viele Autoren beharren auf ihren Meinungen, zeigen keine
Einsicht. Dadurch wird die separate Diskussionsseite oft länger als der eigentliche Artikel. Noch schlimmer ist es, wenn der Konflikt direkt im Artikel ausgetragen wird. In solchen „Edit-Wars” schreibt ein Nutzer etwas in den Artikel rein, das von einem anderen direkt wieder gelöscht wird. Gewinner ist dann, wer am längsten durchhält, nicht wer das beste Argument hat. Isabelle nerven solche Diskussionen, die sich nur im Kreis drehen. Sogar Wikipedia-Gründer Jimmy Wales kritisierte 2007 in einem Interview mit der New York Times die Einstellung von Wikipedia- Autoren. Er sagte, dass einige Wikipedia-Autoren eingebildete Idioten seien, die nicht gar nicht schreiben sollten. „Der eine ist Professor, der andere Schüler. Bei einem persönlichen Treffen wäre die Hierarchie klar, aber bei Wikipedia zählen nur die besseren Quellen.“ – Isabelle, alias Freddy2001 Vandalismus, Falschnachrichten, Anfeindungen – all das sind Gründe, warum sich immer weniger Freiwillige in der Wikipedia engagieren. Sie alle arbeiten schließlich ehrenamtlich. Isabelle wird aufgrund ihres hohen Engagements aber von der Wikimedia Foundation unterstützt. Sie fährt zu vielen Wikipedia-Treffen, war im Sommer beim Jahrestreffen in Kanada. Die Reisekosten hat die Wikimedia Foundation übernommen. Als Schülerin könne sie sich solche Reisen sonst nicht leisten. Bei den Treffen mit anderen Wikipedianern verschmelzen die Nutzerin „Freddy2001“ und die Person Isabelle. „Ich würde nicht sagen, dass ‚Freddy2001’ und ich sehr verschieden sind, aber online und offline zählen verschiedene Sachen”, sagt sie. Online genießt sie die Diskussionen als Freddy2001, „da muss man sehr spitzfindig sein und die richtige Formulierung oder den entscheidenden Fakt finden, um zu überzeugen”, sagt sie. Wikipedianer haben ihre ganz eigene Art zu diskutieren. Emotionen und Ironie sind über die wenigen Zeilen schwer zu vermitteln. Auch deshalb wirken Diskussionen für Außenstehende kühl und unfreundlich. Bei den Treffen stellt Isabelle oft fest, dass hinter einem sehr draufgängerischen Pseudonym oft eine eher schüchterne Person steckt. In der Wikipedia seien aber alle gleich: „Der eine ist Professor, der andere Schüler. Bei einem persönlichen Treffen wäre die Hierarchie klar, aber bei Wikipedia zählen nur die besseren Quellen.” Die anderen Autoren schätzen Freddy2001 wegen ihrer guten Arbeit. Im September wurde sie von der Wikipedia-Community mit der „SupportEule“ ausgezeichnet. In der Nominierung heißt es über Isabelle: “Diese Benutzerin ist ein echtes Phänomen. Sie kann gefühlt alles, und ist doch erst 16 Jahre alt. Sie kennt sich sehr gut mit allen technischen Belangen aus, programmiert Bots und Vorlagen und steht jederzeit hilfreich zur Verfügung, wenn Fragen dazu aufkommen.“ Wikipedia ist für Isabelle in den letzten Jahren zu mehr als einem Hobby geworden. Die Arbeit fordert viel Geduld im Umgang mit den anderen Mitgliedern, aber sie trägt Verantwortung und kann auch in ihrem jungen Alter etwas bewegen.
Neue Nähe Wie Instant Messaging unsere Freundschaften verändert Doppelhäkchen, Lesebestätigungen und die drei wabernden Punkte. Längst kommunizieren wir mit unseren Freundinnen und Freunden ständig über Messenger wie WhatsApp. Das macht unsere Bindung enger, sagen Zwei, die es wissen müssen. Von Rachel Roudyani Durchschnittlich verbringt ein User 195 Stunden pro Woche auf WhatsApp. Und das ist nur ein Messenger-Dienst. Meistens benutzen wir parallel dazu noch zwei oder drei andere Dienste, um uns mit den gleichen Leuten zu connecten. Mit dem Facebook-Messenger verschickt man den lustigen Hasen-Sticker und Signal wird von Edward Snowden empfohlen, also ist da alles super sicher. Je mehr solcher Kanäle wir mit einem Freund oder einer Freundin benutzen, desto enger wird unsere Bindung, behaupten Elisabeth Gamperl und Katharina Brunner von der Süddeutschen Zeitung. „Wir leben im Zeitalter des digitalen Redens“, sagt Brunner. Dass das digitale Zeitalter Freundschaften oberflächlich macht, sehen die beiden Journalistinnen gar nicht. Instant Messaging bringe uns einander sogar näher. Demokratisierung der Intimität Dabei geht es nicht um Facebook-Freundschaften, betonen Gamperl und Brunner, das fungiere eher als Erinnerungsbox für Freundschaften. Es geht um die Hand voll Menschen, mit denen wir uns fast täglich austauschen. Und zwar intensiv und persönlich. So persönlich, dass sie inzwischen immer in unseren Hosen- und Handtaschen bei uns sind. Egal ob in der U-Bahn oder im Meeting: Handy raus und intime Themen oder lustige Geschichten teilen, bei denen man nicht will, dass alle zuhören. Intimität und Freundschaft werden von Raum und Zeit entkoppelt. Wir teilen vermehrt alltägliches mit unseren Freunden, wie die Bitte nach Mitleid für unser trauriges Frühstück mit grauer Wurst im All-Inclusive-Hotel. Und dem Freundschaftskiller, der „Long-Distance-Friendship“, bieten wir mit ein paar Fingerwischen die Stirn. Das Alltägliche und die tiefen Gespräche schaffen eine solide Freundschaftsbasis. Wer mehr textet, treffe sich auch eher face-to-face. Messaging – ein Hybrid aus schriftlich und mündlich Wir schreiben zwar, aber wir schreiben wie wir reden. Elisabeth Gamperl und Katharina Brunner machen klar, dass nach mündlicher und schriftlicher Kommunikation ein neues Kommunikationszeitalter angebrochen ist: Schriftlich ja, aber Grammatik oder Satzbau dürfen gerne mal leiden, wenn wir die schnelle
Nachricht abschicken. Trotzdem haben wir Zeit unsere Antworten genauer zu planen, eventuell noch mal umzuformulieren. Digitale Kommunikation bedarf neuen Codes: Für Mimik und Gestik, Transportmittel für Emotionen, gibt es Emojis. Wie bei der Gestik, müssen wir lernen, was sie bedeuten. Zum Beispiel, dass Auberginen auf WhatsApp keine Auberginen sind… 2.600 Emojis gibt es inzwischen, die auch in unseren Freundschaften eigne Codes bekommen können. Der Beginn einer neuen Freundschaft Doppelhäkchen, Lesebestätigungen und die drei wabernden Punkte, wenn jemand schreibt – quälendes Warten auf die Antwort. Die ewige Hoffnung und ultimative Enttäuschung unseres Alltags, zitieren Brunner und Gamperl einen New Yorker Kolumnisten. „Zeit ist eine Währung in digitalen Beziehungen“, sagt Elisabeth Gamperl. Drei Minuten ist die durchschnittliche Reaktionszeit auf eine Nachricht. Und wenn es länger dauert, fühlen wir uns schnell bestraft, obwohl vielleicht jemand nur einfach mal nicht aufs Handy geschaut hat. Instant Messaging ist nicht das Ende der physikalischen Freundschaft, sondern erst ihr Beginn, ist die These der beiden Journalistinnen. Entscheidend ist nicht die Technologie, also welchen Messenger wir benutzen, sondern das Gerät. Denn so nah wie jetzt, waren uns unsere Freunde wohl nie. Wolf Siegert Den Menschen ihre Geschichte zurückgeben Wolf Siegert will unser digitales Erbe nicht Google und Facebook überlassen. Deshalb spielt er Theater. Von Caspar Schwietering Ein bisschen verdutzt gucken die Zuschauer schon, als sie um 11 Uhr die kleine Bühne am Volkstheater betreten. Da steht Wolf Siegert, für den sie zur Veranstaltung gekommen sind, auf der Bühne – und applaudiert ihnen zu. Siegert macht sie zu den Akteuren seiner Performance, will ihnen – die in seinen Augen für Facebook, Google und Co. nur noch Datenmaterial sind – ihre Würde zurückgeben. Wolf Siegert sieht sich selbst als Digital-Guru. Seit er in den Siebzigern die Programmiersprache „Fortran“ lernte und mit Lochkarten hantierte, denkt der heute
68-Jährige darüber nach, wie es mit der Digitalisierung weitergehen wird. Einen Changineer nennt er sich. Er erzählt gern, wie er als Veränderer Giganten wie Microsoft, der Telekom und Burda half, das Internet zu verstehen. Niemand wird Siegert also Sendungsbewusstsein abstreiten. Das „Digitale Erbe“ beschäftigt ihn seit Jahren. Dennoch möchte er dazu keinen Vortrag halten. Also stellt er mit demonstrativer Geste das Publikum in den Mittelpunkt. Aus unseren Daten dürfen keine Digital-Klone werden Wie Facebook, Google und Co. hat Siegert Informationen gesammelt – Lebensdaten. Die Besucher des letztjährigen Netzkongresses hat er gebeten, ihm eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die es wert ist, auch nach ihrem Tod noch erzählt zu werden. Jetzt sitzt Siegert etwas gebrechlich, mit langen schlohweißen Haar an einem kleinen Beistelltisch neben der Bühne, und schaut zwei Schauspielschülern zu, wie sie diese Geschichten vortragen. Den Zuschauern ihre Geschichten zurückgeben, nennt Siegert das. Die Leistung sieht er dabei vor allem bei den Geschichtenerzählern – dem Publikum. Deshalb der Applaus. Wenn die Menschen ihre Geschichten Paten wie Facebook anvertrauen, verlieren sie die Kontrolle. Wolf Siegert Die meisten Menschen erzählen heute ihre Lebensgeschichte online auf Plattformen wie Facebook und Instagram. Keine Generation hat so intensiv ihre eigen Biographie in Echtzeit dokumentiert. „Aber wenn die Menschen ihre Geschichten Paten wie Facebook anvertrauen, verlieren sie die Kontrolle“, meint Siegert. „Sie wissen nicht, wie diese Paten ihre Geschichte weiter erzählen, in welcher Form und an wen.“ Schon bald, glaubt Siegert, werde es mithilfe von künstlicher Intelligenz möglich sein, den riesigen Datensätzen von Facebook und Google wieder eine menschliche Form zu geben. Und spätestens wenn diese Digital-Klone einmal existierten, hätten die Menschen die Kontrolle über ihre eigene Biographie verloren. Siegert bringt analoge Datensätze auf die Bühne Er glaubt, dass Journalisten, Künstler und Historiker in Zukunft vor allem eine zentrale Aufgabe haben werden: Aus den riesigen Datensätzen heraus, die entstanden sind, wieder „authentische Geschichten“ zu erzählen. Sie sollten Lebensgeschichten so erzählen, dass sie nicht allein ökonomischen Interessen entsprechen, sondern den Intentionen jener, die diese Leben gelebt haben. Die Geschichten, die Siegert zusammen mit Clara Liepsch und Peter Blum vorträgt, sind größtenteils zunächst wenig spektakulär. Ein Mann erzählt von seinem ersten Tor für die Fußballmannschaft seines Dorfes. Ein Paar erinnert sich an den Urlaub in der türkischen Provinz. Sie erinnern sich daran, wie der Dorfpolizist plötzlich zum Fremdenführer mutierte und ihnen die ganze Gegend zeigte. Manche haben Siegert nur einen Witz erzählt. Andere denken über ihre Beziehung nach, und einer erinnert sich an eine ganz besondere Nacht in einem Club in Damaskus.
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