"Ich beneide Sie um diese Welt der Vielfalt" - Bundeskanzlerin Angela Merkel beim DW-Jubiläum
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k en n t ä r e t e s Verstößr Meinuine e ge g n g s - e c h rt überngen deW hier e i ts r ie u rm ränk t die ensur D . i he edom inre Einscich b ietgegen Z f o h e Fre jekt DWinFsrbeesonihdeeit. ZVuegrlneetzung ro e, fre ten s P recht tions i a D nd ma e l t we Gru Infor zur w d un tform t Pla om r e ed /f om .com e ed d w f r w_ om @d e ed F r DW
Editorial ©©DW/J. Röhl Die Bilanz ist ernüchternd. Der größte In ihrer Rede beim Festakt zum 65-jäh- Aufgabenplanung haben wir den Weg zu Teil der Menschheit lebt inzwischen in Län- rigen Bestehen des deutschen Auslands- einer weiteren deutlichen Steigerung un- dern, in denen es keine uneingeschränkte senders gratulierte Bundeskanzlerin Angela serer wöchentlichen Nutzer aufgezeigt. Informations- oder Meinungsfreiheit gibt. Merkel der DW zu ihrer Erfolgsgeschichte Dabei spielen digitale Verbreitungskanäle Selbst in Europa ist die Pressefreiheit auf und betonte ihre wachsende Bedeutung als eine wichtige Rolle. dem Rückzug. Stimme der Freiheit. Auslandskommunika- Ihre Relevanz im internationalen Wett- Wir beobachten diese dramatische tion habe in einer zunehmend vernetzten bewerb erhalten die journalistischen An- Entwicklung nicht schweigend und ohne Welt einen eigenen Stellenwert, sagte die gebote der DW durch ihre hohe Glaubwür- Widerstand. Offener und ungehinderter Kanzlerin und ergänzte, es sei deshalb kein digkeit. Im Zeitalter von Propaganda und Austausch von Information ist Grundstein Zufall, dass einige Länder ihre Auslandssen- manipulierten Nachrichten steht die Deut- für Fortschritt. der massiv ausbauen. sche Welle für objektiven, verlässlichen Die DW schließt in vielen Ländern die Die erkennbare Wertschätzung der DW Journalismus mit Haltung. Populismus, Informationslücke, die von den lokalen durch das Parlament und die Bundesregie- Zensur und Filterblasen stellen unabhän- Medien nicht abgedeckt werden kann oder rung bestärkt uns in diesem Zusammen- gige Medien auf die Probe. Die DW stellt darf. Mit umfassender Aufklärung und hang besonders, denn auch die DW sieht sich dieser Herausforderung. Wie vielfältig die Aufgaben und The- men sind, die mit der rasanten Entwicklung Die DW steht für objektiven, in Medien, Journalismus und welt weiter Kommunikation einhergehen, haben auch verlässlichen Journalismus mit Haltung. die Diskussionen auf unserem Global Media Forum im Juni in Bonn gezeigt. In pluralistischer Information begegnet sie sich nicht nur durch Medienmärkte, die dieser Weltzeit vermitteln wir Ihnen einen Propaganda und Desinformation. Mit ihren zunehmend reguliert und eingeschränkt Einblick in diese Bandbreite. journalistischen Angeboten und ihrer Aka- werden, vor großen Herausforderungen. demie befähigt die DW Menschen weltweit, Durch die Digitalisierung hat sich das Ihr Peter Limbourg, sich auf Basis unabhängiger Informationen Nutzerverhalten in den Zielgebieten der Intendant und verlässlicher Fakten eigene Überzeu- DW teils noch radikaler verändert, als man gungen zu bilden und diese in gesellschaft- es hierzulande erlebt. Das begreifen wir twitter.com/DW_Limbourg lichen Debatten zu vertreten. als einmalige Chance. In unserer aktuellen Deutsche Welle 3
MENSCHEN BEGEGNEN ©©DW Philipp Bilsky – hier mit Reporterin Zhang Ci – baut seit März die- sei es aufgrund der Zeitdifferenz sehr schwierig ses Jahres ein DW-Büro in Taipeh, Taiwan, auf. „Sich gewesen, stets aktuell über die Region zu berichten, journalistisch mit China zu beschäftigen ist extrem erklärt Bilsky. „Mit den neuen Mitarbeiterinnen und spannend und fordernd zugleich“, so der 40-jährige Mitarbeitern in Taiwan können wir jetzt viel schnel- Sinologe, der seit vier Jahren als Redaktionsleiter ler reagieren.“ Das Team in Taipeh liefert auch dem das chinesische Angebot der DW verantwortet. Vor englischen TV-Kanal der DW zu – mit Schalten und seinem Wechsel in die Chinesisch-Redaktion war er Berichten über Ereignisse in der Region. So kann die unter anderem als TV-Reporter auf mehreren Kon- DW die Kompetenz der Chinesisch-Redaktion für das tinenten für die DW im Einsatz. Später ging er als Gesamtangebot noch besser nutzen. Referent in die Chefredaktion. Die Präsenz in Taipeh stärkt die China-Berichterstattung der DW. Früher ©©DW 4 Weltzeit 2 | 2018
Inhalt MENSCHEN BEGEGNEN 24 J | Journalismus-Netzwerke Weltweite Recherchen – jenseits des Egos 6 IMS für Geflüchtete Hoffnung auf Perspektive in der Heimat 25 K | Kunst und Kultur Artivism: Kreativ die Welt verbessern 6 DW Akademie Carsten von Nahmen neuer Leiter 26 L | Lösungen Konkret, geprüft, adaptierbar 7 Neu in Lagos Flourish Chukwurah berichtet 26 M | Medienkompetenz aus Westafrika Schlüssel zur Verständigung 7 Rundfunkrat 28 N | Nichtregierungsorganisationen Vier neue Mitglieder Partner schaffen Vielfalt 28 O | Online-Propaganda 65 JAHRE DW 16 Weißhelme unter Beschuss 8 Festakt in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel: 30 P | Populismus und Polarisierung „Auch heute noch für viele ein Stachel“ Das selbstreferenzielle Milieu verlassen 32 Q | Qualitätsjournalismus T I T E LT H E M A Mehr als der Pudding an der Wand 10 Rückblick und Ausblick 33 R | Russland und die EU Das Global Media Forum von A bis Z Zivilgesellschaft als Hoffnungsträger 11 A | Algorithmen 34 S | Satire Ganz oben auf der Agenda Tell a Joke – Save the World? 12 B | Broadcaster 35 T | Tabu Das ganze Bild Shababtalk: Mut als Markenzeichen 13 C | Constructive Journalism 36 U | Ungleichheit Mehr Licht – weniger Schatten? 28 Journalisten als Verbündete 14 D | Datenjournalismus 38 V | Verifizierung „Dahinter stecken fast immer Menschen“ Nicht in die Falle tappen 15 E | Engagement 40 W | Worth It? Das Publikum zum Dialog anregen Neue Video-Reihe auf InfoMigrants 16 F | Freedom of Speech Award 40 X | Xenophobie Sadegh Zibakalam gegen die Diskriminierung und Rassismus Scharfmacher im Fußball 18 G | Generation Z 42 Y | Youth Digitale Unruhestifter „Bildung ist die beste Impfung“ 20 H | Hate Speech 43 Z | Zensurumgehung Die Ohnmacht des Adressaten „Wir müssen kreativ bleiben“ 22 I | Impressionen 36 Deutsche Welle 5
MENSCHEN BEGEGNEN ©©DW/E.-M. Senftleben Die vier Auserwählten: (v. l.) Pascal Sevadouno, Laila Kaddah, Khaled Karkali und Fares Abdulkarim Hoffnung auf eine Perspektive in der Heimat Aus über 100 Bewerbungen auf die Studienplätze für Geflüchte- mit der DW: die Deutschlernangebote. Für die Kurse der DW Aka- te haben sie es geschafft: Laila Kaddah, Fares Abdulkarim und demie hat er bereits als Übersetzer gearbeitet. Khaled Karkali aus Syrien sowie Pascal Sevadouno aus Guinea. Khaled Karkali stammt ebenfalls aus Syrien, hat dort Engli- Sie nehmen im Herbst den Masterstudiengang „International sche Literatur studiert und als Journalist gearbeitet. Er hofft, Media Studies“ (IMS) auf. mit dem IMS-Master in der Tasche auch in seiner Heimat eine Perspektive zu haben. „Der Krieg in Syrien ist auch ein Krieg der Die DW Akademie bietet die Studienplätze für Geflüchtete Ideen. Menschen wie ich, Journalisten mit guten Englischkennt- zum zweiten Mal an. Bewerberinnen und Bewerber müssen ein nissen, waren eine Bedrohung, weil wir nach draußen vermitteln Studium abgeschlossen haben und Erfahrung im Medienbereich konnten, was im Land passiert. Sollte dieser Krieg irgendwann nachweisen. Der Studiengang für jeweils rund 30 Studierende vorbei sein, brauchen wir nicht nur Ingenieure und Ärzte, son- wird in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn und der Fach- dern auch Medienprofis.“ hochschule Bonn-Rhein-Sieg durchgeführt. Pascal Sevadouno studierte Musikwissenschaften und spezi- Laila Kaddah hat in Damaskus Englische Literaturwissen- alisierte sich in Guinea auf Musikinformatik. Als Tontechniker für schaften studiert und arbeitet seit 2012 als Journalistin. Sie war einen Radiosender kam er schließlich auch als Moderator vor das als Nachrichtenredakteurin und Fernsehmoderatorin in Jordani- Mikrofon. In Deutschland war er als Referent für „Bildung trifft en tätig, bis sie 2015 nach Deutschland flüchtete. In Bonn schreibt Entwicklung“ tätig, eine Initiative von Engagement Global. Seit sie für das Online-Magazin firstlife.de. 2017 verstärkt er die französischsprachige Redaktion der DW. Fares Abdulkarim aus Aleppo hat ein Architekturstudium ab- geschlossen. Er arbeitete als Grafikdesigner. Sein erster Kontakt dw.com/masterstudiengang Neuer Leiter der DW Akademie Carsten von Nahmen, zuletzt Korrespon- „Weltweit baut die DW Akademie freie ©©DW dent im DW-Studio Washington, ist neuer Mediensysteme auf und ermöglicht Nut- Leiter der DW Akademie. Eine Rückkehr zern einen kritischen und verantwortungs- an alte Wirkungsstätte. vollen Umgang mit Medien. Sie ist dabei sehr erfolgreich“, so von Nahmen. Im Ein- Die DW Akademie ist Carsten von satz für freie Medien und das Recht auf ahmen bestens vertraut: Rund zehn Jah- N freie Meinungsäußerung werde man die re war er in der Medienentwicklung aktiv: Zusammenarbeit mit allen Bereichen der ab 2005 als Leiter der Regionen Nahost/ DW noch verstärken. Nordafrika, dann Europa und Zentralasien Carsten von Nahmen absolvierte sein und schließlich Afrika. Ab 2013 koordinier- Studium der Journalistik und Geschichte te er als Leiter der Medienentwicklungs an der TU Dortmund. Als Journalist und zusammenarbeit das operative Geschäft Korrespondent war er bei weiteren Medi- der DW Akademie weltweit. 2014 wurde en tätig, darunter WDR, Frankfurter Rund- von Nahmen stellvertretender Chefredak- Zum 1. September übernimmt Carsten schau, BBC und Namibian Broadcasting teur und Leiter der Hauptabteilung Nach- von Nahmen die Leitung der DW A kademie Corporation. richten der DW. Ab Februar 2017 berichtete als Nachfolger von Christian Gramsch, der er als Senior Correspondent aus den USA. die DW im Mai verlassen hat. dw-akademie.com 6 Weltzeit 2 | 2018
Hoher Einsatz Drei Stunden zur Arbeit, drei Stunden wieder zurück: Für Flourish Chukwurah ist das Alltag. Seit März berichtet die 24-Jährige für die DW aus Lagos, Nigerias 18-Millionen- Metropole – nach Kairo die größte Stadt Afrikas. Schreiben, Interviews führen und Videos drehen: ©©DW Flourish Chukwurah – rechts mit Adrian Kriesch „Ich habe die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Das spornt mich Schreiben, Interviews führen und Videos drehen: oft in Ei- unglaublich an“, sagt die junge Journalistin. Dafür nimmt sie stun- genregie, manchmal auch gemeinsam mit ihrem Kollegen Adrian denlange Busfahrten auf sich. Lagos ist ihre Heimatstadt. Hier Kriesch, der seit der Eröffnung des DW-Büros für West- und Zen- studierte sie Massenkommunikation. Nach der Abschlussarbeit, tralafrika 2014 in Lagos arbeitet. einer Film-Dokumentation über Zwangsheirat, stand fest: Sie Laut Reporter ohne Grenzen ist Nigeria für Journalisten ei- wollte Journalistin werden. In den USA studierte Chukwurah ein nes der gefährlichsten Länder Afrikas – auf der Rangliste der Jahr „Broadcast and Digital Journalism“. Zurück in Lagos, nahm Pressefreiheit 2018 belegt es Platz 119. Entmutigen lässt sich sie nach einer Zwischenstation bei CNN ihre Arbeit als Korrespon- Chukwurah davon nicht; ihr Auftrag für die DW werde dadurch dentin für die DW auf. umso wichtiger. Neu im Rundfunkrat ©©Alle Fotos: © DW/B. Geilert Der Rundfunkrat der Deutschen Welle ter, und Thomas Silberhorn (MdB), Parla- Olympischen Sportbunds (DOSB). Sie folgt hat in seiner jüngsten Sitzung vier neue mentarischer Staatssekretär bei der Bun- auf Michael Vesper, vormals DOSB-Präsi- Mitglieder begrüßt. desministerin der Verteidigung. dent, der diesen Posten aus Altersgründen Der Deutsche Bundestag hat Elisabeth aufgab. Von der Bundesregierung entsandt Motschmann (MdB, 2. v. r.) neu für den Der Rundfunkrat vertritt bei der Deut- wurden (v. l.) Michelle Müntefering (MdB), Rundfunkrat benannt. Die Sprecherin der schen Welle die Interessen der Allgemein- Staatsministerin im Auswärtigen Amt CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Kultur heit. Das 17-köpfige Gremium berät über (AA), und der Parlamentarische Staats- und Medien übernimmt diese Aufgabe Fragen grundsätzlicher Bedeutung für den sekretär beim Bundesminister für wirt- von Marco Wanderwitz (MdB), nun Staats- Sender. schaftliche Zusammenarbeit und Entwick- sekretär im Bundesinnenministerium. lung, N orbert Barthle (MdB). Sie folgen Ebenfalls neu im Rundfunkrat ist Petra dw.com/rundfunkrat auf M ichael Roth (MdB), AA-Staatsminis- Tzschoppe, Vizepräsidentin des Deutschen Deutsche Welle 7
65 JAHRE DW „Auch heute noch für viele ein S tachel“ 1953 ging die DW an den Start. 65 Jahre später ist für Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entwicklung des deutschen Auslandssenders eine „Erfolgs- geschichte“. Beim Festakt zum Jubiläum am 5. Juni in Berlin bekräftigte die Kanzlerin die Unterstützung durch Bundes regierung und Bundestag. Text Berthold Stevens, Unternehmenskommunikation Bei der Veranstaltung im Paul-Löbe- Haus sagte Merkel, die DW stehe für se- riösen Journalismus und Objektivität. Sie sei „als verlässlicher Partner in der Welt geschätzt“ und gefragter denn je. „Denn sie gab und gibt jenen eine Stimme, die aufgrund der Unfreiheit in ihrer Heimat Fotos: © DW/J. Röhl zu verstummen drohen.“ Merkel verwies angesichts zunehmender Desinforma- tion und gezielter Falschmeldungen auf die wachsende Bedeutung der DW als glaubwürdige Informationsquelle. „Die Deutsche Welle ist auch heute noch für Die DW gibt jenen eine Stimme, die Kanzlerin und richtete ihre Botschaft direkt an Marie-Christine Saragosse, Präsidentin aufgrund der Unfreiheit in ihrer Heimat von France Médias Monde, die aus Paris ins zu verstummen drohen. Paul-Löbe-Haus gekommen war. Für Stärkung des Senders viele ein Stachel“, so die Kanzlerin. Die Und die DW-Angebote zur Vermittlung Rolle der freien Medien sei „gar nicht der deutschen Sprache seien – auch vor Die Vorsitzende des Bundestagsausschus- hoch genug einzuschätzen“. Europäische dem Hintergrund der Zuwanderung – von ses für Kultur und Medien, Katrin Budde Sichtweisen auf die Welt aufzuzeigen, großer Bedeutung, so die Kanzlerin. Merkel (SPD), bezeichnete die Deutsche Welle diese Aufgabe werde nicht zuletzt durch begrüßte sowohl die enge Kooperation der als „Stimme des Deutschen Bundestags“. den B rexit wichtiger. DW mit den ARD-Landesrundfunkanstal- Der Sender stehe für Fakten. In Zeiten von Daher könne die DW „darauf setzen, ten, mit ZDF und Deutschlandradio als auch zunehmendem Populismus, Terror und dass Sie weiterhin die Unterstützung der die internationale Vernetzung. Ausdrück- Propaganda wachse die Bedeutung der Bundesregierung bekommen“, sagte Mer- lich verwies sie auf die Zusammenarbeit DW. Budde betonte, dass der Ausschuss kel, die zudem auf das Wirken der DW Aka- mit den französischen Auslandsmedien. mehrheitlich die finanzielle Stärkung des demie für weltweite Medienentwicklung „Ein guter Beitrag zur deutsch-französi- Senders befürworte. und Medienkompetenz einging. „Das ist schen Kooperation insgesamt, über die wir Die Staatsministerin für Kultur und Me- Arbeit für die Freiheit, für die Demokratie.“ in diesen Tagen viel sprechen“, lobte die dien, Monika Grütters, aus deren Etat die 8 Weltzeit 2 | 2018
Die DW ist die Stimme des Deutschen Bundestags. DW im Wesentlichen finanziert wird, be- ist s chärfer geworden. Propaganda, Des- zeichnete die DW in einer Stellungnahme information und der Versuch, die EU zu zum Jubiläum als „Stimme des Qualitäts- spalten, sind traurige Realität.“ Die DW journalismus“ und bescheinigte „große werde künftig noch mehr Menschen infor- Professionalität und Unabhängigkeit“. Der mieren – „gerade dort, wo sie Zensur und Katrin Budde, Vorsitzende des deutsche Auslandssender sei als „Garant Propaganda ausgesetzt sind“. Bundestagsausschusses für Kultur für Presse- und Meinungsfreiheit unver- Die DW wolle zum kulturellen Aus- und Medien zichtbar“ und „für die Vermittlung demo- tausch anregen und „die Weltoffenheit kratischer Grundwerte wichtiger denn je“. vermitteln, die die Grundlage unseres Er- folgs als Land ist und die sich in den Wer- heit und Menschenrechten, Demokratie „Wir vermitteln Weltoffenheit“ ken deutscher Künstler genauso zeigt wie und Toleranz. „Das sind die Werte, für die in den Anstrengungen der deutschen Ent- Deutschland und die DW in der Welt ste- DW-Intendant Peter Limbourg betonte wicklungszusammenarbeit oder den Akti- hen“, so der Intendant. vor rund 350 Gästen aus Politik, Kultur vitäten der deutschen Wirtschaft“. Die DW als Spiegel der Weltoffenheit – und Medien die „große und breite Unter- Als Teil dieser Weltoffenheit verstehe das beeindruckte auch die Kanzlerin. „Ein stützung“, die die DW erfahre, und dank- sich auch die DW selbst, wo Menschen aus bisschen beneide ich Sie, dass Sie jeden te Bundestag und Bundesregierung für 60 Nationen eng zusammenarbeiten, um Tag in einer solchen Welt der Vielfalt ar- die Wertschätzung. Diese sei auch wei- journalistische Inhalte in 30 Sendespra- beiten“, sagte Merkel. terhin notwendig: „Der internationale chen zu gestalten. Sie alle verbinde eine Wettbewerb der Ideen und Meinungen gemeinsame Haltung: die Idee von Frei- dw.com/65jahre Im Gespräch: (v. l.) Staatsministerin Monika Grütters, Claudia Mast, Universität Beifall für die Kanzlerin: Peter Hohenheim, Mitglied im DW-Verwaltungsrat, Prälat Karl J üsten, Vorsitzender des Limbourg, Michelle Müntefering, DW-Rundfunkrats, und DW-Moderator Jaafar Abdul Karim Katrin Budde und Claudia Roth Innovative Projekte: Die DW Aus erster Hand: die Kanzlerin präsentierte sich den Gästen mit Intendant Limbourg und an Infoständen Staatsministerin Grütters Deutsche Welle 9
T I T E LT H E M A Das Global Media Forum von A bis Z Das Global Media Forum (GMF), die internationale Medienkonferenz der Deutschen Welle, steht für einen vielfältigen, nachhaltigen, interdisziplinären Erfahrungsaustausch zu großen Herausforderungen. Das Hauptaugenmerk gilt dabei Entwicklungen in Medien und Kom- munikation. „Globale Ungleichheiten“ war das Fokusthema 2018. Rund 2.000 Gäste aus 100 Ländern suchten im Juni in Bonn nach Antworten. In 80 Panel-Diskussionen, Workshops und weiteren F ormaten. Zu einer Fülle von Aspekten. In dieser Weltzeit aufbereitet von A wie Algorithmen bis Z wie Zensurumgehung. Kein Rückblick, vielmehr ein Ausblick. ©©DW/F. Görner dw.com/gmf 10 Weltzeit 2 | 2018
A | ALGORITHMEN Ganz oben auf der Agenda Bestseller! Das T-Shirt „Moda Rapido Men“ Text- und Bilderkennung) und Personalisierung (Empfehlun- gen für Related Content und Ausspielwege, automatische Zu- des indischen Online-Kaufhauses Myntra sammenfassungen). Denn A lgorithmen schreiben, schneiden gefällt den Kunden. Das Design mit g roßen und publizieren schneller als Journalisten. Und das inklusive Blocks treifen in oliv, weiß, blau und gelb Suchmaschinenoptimierung (SEO), Social-Media-Posts und Metadaten. Daher wird ihr Einsatz im Medienbereich zunächst stammt aber nicht von einem Modedesigner. insbesondere dort stark zunehmen, wo große Datenvolumi- Zwei Algorithmen, also eine klar definierte na zu bewältigen sind, strukturierte Informationen vorliegen oder in Mengen produziert wird – etwa zu Großereignissen wie Abfolge von Anweisungen zur Steuerung Wahlen oder bei Nachrichtenagenturen. Nicht von ungefähr eines Computerprogramms, haben sich hat Associated Press (AP) schon 2015 den ersten „News Auto- das „ausgedacht“. mation Editor“ eingestellt. Hier aber lauert ein weiteres KI-Medien-Szenario, das weit Text Wilfried Runde, Leiter Forschungs- und bedrohlicher scheint als die mögliche Veränderung journalisti- Kooperationsprojekte scher Aufgabenprofile: von Algorithmen massenhaft produzierte Inhalte, die andere KI-Instanzen, etwa Social-Media- oder Mes- senger-Bots, blitzschnell weiterverbreiten und damit wiederum Ein Algorithmus entwickelt zufällige Bilder farbiger Kleidung, ebenfalls KI-basierte Suchmaschinen und Social- Media-Feeds der andere vergleicht diese mit den vorhandenen Artikeln, bis ein beeinflussen. Diese Inhalte gefährden den demokratischen Dis- Design entsteht, das zum Angebot passt, ohne eine reine Kopie kurs und die journalistische Berichterstattung weltweit. zu sein. Algorithmen übernehmen kreative Arbeiten. Damit drin- „Algorithmen müssen transparent sein, und jeder muss die gen sie als „Künstliche Intelligenz“ (KI) zu Aufgaben vor, die Me- Möglichkeit haben zu erfahren, wie sie zustande kommen.“ Die- dienschaffenden zunehmend Sorgen um Inhalte und Ausgestal- se von Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierte Forderung tung ihrer künftigen Jobs bereiten. Dies betrifft journalistische wurde auch auf dem GMF 2018 erhoben. Sie ist gerade im Me- Ressorts wie auch technische Produktionsbereiche. Unter der dienbereich weiter dringlich, angesichts des scharfen globalen stets etwas zu bedrohlichen Überschrift „Roboterjournalismus“, Wettbewerbs um die besten Algorithmen für künftige KI-An- die gern mit metallenen Maschinenhänden auf Tastaturen illus- wendungen aber kaum durchsetzbar. Immerhin will EU-Kom- triert wird, diskutieren und analysieren Experten unterschiedli- missarin Mariya Gabriel das Thema „ganz oben auf die europäi- cher Fachrichtungen seit Jahren, ob Computer schon bald Jour- sche Agenda setzen“, wie sie in Bonn versprach. nalistinnen und Journalisten ersetzen. Oder ob sie doch nur die Werkzeuge liefern, um lästige Arbeiten zu übernehmen – gern Der Begriff Algorithmus wurde aus dem Namen des per- genannt: Börsendaten, Sportergebnisse, Geschäftsberichte, sischen Rechenmeisters Muhammad Ibn-Musa al-Hwarzimi Wetter, Wahlergebnisse. Mehr Zeit für Recherche und das Erzäh- abgeleitet: al-Charzimi – al-gorismi – Algorismus. len guter Geschichten wäre der Effekt. Tatsächlich begegnen wir bereits heute täglich computer generierten Texten und zunehmend auch Videos mit sehr unter- schiedlichem Informations- und Unterhaltungswert. Während die automatische Überführung strukturierter Informationen in ständig wiederholte Satzbausteine, zum Beispiel auf diversen Reiseportalen oder bei US-amerikanischen Sportergebnisdiens- ten, schnell ermüdet, überrascht die Qualität mancher Maschi- nentexte. Beispiel: das „Feinstaubradar“ der Stuttgarter Zeitung, für das Algorithmen des deutschen Marktführers AX Semantics genutzt werden. Prognosen reichen daher von „90 Prozent aller Nachrichten kommen in fünf Jahren von Roboterjournalisten“ (BBC 2017) bis zu „Guten, fantasievollen Journalismus wird auch in 50 Jahren kein Roboter produzieren“ (Journalistik-Professor Algorithmen müssen Thomas Hestermann 2017). Mit Blick auf die aktuellen Forschungsprojekte der DW transparent sein. ist der vermehrte Einsatz von KI in den nächsten Jahren vor allem in folgenden Bereichen zu erwarten: Sprachtechnolo gien (automatische Übersetzung, Transkription und Unterti- telung), Semantik (automatische Generierung von Metadaten, Deutsche Welle 11
T I T E LT H E M A B | BROADCASTER Das ganze Bild Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat große Bedeutung für den demokratischen Diskurs und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb muss sein Fortbestand gesichert in der Lage zu sein, bei einer Vielzahl von werden. Das erfordert auch: Journalisten müssen ihre Filter- Themen mitzudiskutieren, braucht eine Gesellschaft an erste Stelle eine gemein- blase verlassen und nicht nur urbane Eliten im Blick haben. same Basis an Wissen. Als Voraussetzung für einen faktenbasierten Diskurs. Dieses Text Tom Buhrow, WDR-Intendant breite Angebot an Wissen zu vermitteln – genau das leisten die öffentlich-rechtli- chen „Broadcaster“. Denn erstens: Die Menschen vertrau- en uns. Gleich, welche Studien man zurate Eine Studie des Instituts für Journa- und gehören zur Avantgarde der digita- zieht, die große Mehrheit der Deutschen lismus an der Universität Mainz besagt: len Medien. bescheinigt uns Glaubwürdigkeit. Der Es gibt eine „Entfremdung“ bestimmter Doch viele Menschen haben ein völlig zweite Grund ist unsere Reichweite. Eine Gesellschaftsgruppen in Bezug auf die anderes Leben. Sie wohnen auf dem Land, aktuelle Umfrage der ARD ergab: Wir errei- Medien. Ein Viertel der Menschen meint, in Kleinstädten. Die meisten von ihnen chen täglich rund 80 Prozent der deutschen ihre Anliegen würden nicht ernst genom- haben keinen Hochschulabschluss. Die- Bevölkerung. 94 Prozent der Deutschen men. Weitere 20 Prozent sagen, die Medi- se Menschen haben manchmal den Ein- nutzen mindestens einmal die Woche ein en hätten Leute wie sie gar nicht mehr auf druck, dass Journalisten keine Vorstellung ARD-Angebot. dem Radar. davon haben, wie sie leben und was sie be- Wir schaffen auf diese Weise einfa- Dies sollte ein Weckruf für uns sein. wegt. Wenn dieses Gefühl auch für einen chen Zugang zu Information. Wir befähi- Auch wenn die Mehrheit uns vertraut, öffentlich-rechtlichen Sender gilt – und gen die Menschen dazu, sich eine eigene fühlen sich doch bestimmte Teile der davon bin ich überzeugt –, dann müssen Meinung zu bilden. Damit sie teilhaben Gesellschaft von den Medien vergessen. wir diese Wahrnehmungslücke schließen. können an gesellschaftlichen Entschei- Sie glauben, ihre Sorgen würden von uns Eine demokratische Gesellschaft dungsprozessen. Das ist extrem wichtig Journalisten ignoriert. Ein Grund dafür braucht die öffentliche Debatte. Und um für eine Demokratie. Und deshalb gibt könnte sein, dass auch Journalisten in ih- rer Filterblase leben. Denn wo leben die meisten von ihnen? In Städten und Metro- polen mit multikulturell geprägter Bevöl- Wir müssen unsere kerung. Journalistinnen und Journalisten haben in der Regel eine höhere Bildung Wahrnehmungslücke schließen. 12 Weltzeit 2 | 2018
C | CONSTRUCTIVE JOURNALISM Mehr Licht – weniger Schatten? Bei wichtigen Themen die Perspektive öffnen, Lösungswege aufzei- gen und mit einer neuen Erzählform neue Zielgruppen erreichen – ©©Johnny Miller das ist das Ziel der Video-Reihe The Bright Side. Jüngstes Beispiel dafür, wie die DW C onstructive Journalism umsetzt. Das neue Format will weder schönfärben noch schönreden. Viel- mehr geht es darum, Fakten ausgewogen zu präsentieren und mit Daten und grafischer Visualisierung zu unterlegen. „Wir schaffen eine Möglichkeit, auch das zu zeigen, was gut läuft, statt nur den Fokus auf das zu richten, was schiefläuft“, erläutert DW-Modera- tor Christopher Springate, der The Bright Side präsentiert. „In den Nachrichtensendungen geht es vornehmlich um Unglücke, Konflik- te und Gewalt. Den außerordentlichen Fortschritten, die wir bei der Lösung vieler Probleme über die Jahre gemacht haben, schenken wir nur wenig Aufmerksamkeit.“ Studien zeigen, dass sich Zuschauergruppen abwenden an- gesichts des täglichen Grauens. Konstruktiver Journalismus soll sie zurückgewinnen, indem der Blick auch auf Projekte gelenkt wird, die Lösungen aufzeigen für große Herausforderungen der Menschheit. Die kurzen Videos der Reihe The Bright Side laufen wöchentlich auf den Social-Media-Kanälen und im englischen TV-Programm der Unequal Scenes: mehr zum Foto- DW. Zum Start ging es um den – global betrachtet – signifikanten Projekt von Johnny Miller auf Seite 37 Rückgang an Kriegstoten in den vergangenen Jahrzehnten und um die Erfolge im Kampf gegen den Hunger in vielen Teilen der Welt. Constructive Journalism ist im Informationsangebot des deut- schen Auslandssenders kein Neuland. So stellt beispielsweise das es die Rundfunkgebühr, um den Fortbe- Umweltmagazin Eco@Africa Projekte und Initiativen in Afrika und stand des öffentlich-rechtlichen Rund- Europa vor, die Lösungen anbieten. Die Sendung ist eine Koproduk- funks in Deutschland zu sichern. Für tion der DW mit Partnersendern in Nigeria und Kenia. Ein weiteres alle, die sagen, sie möchten aber nur für Beispiel ist das Projekt The77percent, das sich dem Dialog mit Afri- die Angebote zahlen, die sie auch selbst kas Zukunft widmet. Die unter 35-Jährigen stellen die große Mehr- nutzen, habe ich eine Botschaft: Sie profi- heit der Bevölkerung. Sie wollen ihr Land nicht dauerhaft verlassen, tieren nicht nur von dem Teil unseres Me- sondern die Entwicklung ihrer Gesellschaft aktiv mitgestalten. Die dienangebots, das Sie persönlich nutzen. DW gibt ihnen eine Plattform, ihre Geschichten und Projekte, Pro- Sie profitieren auch davon, wenn andere bleme und Träume zu teilen. K onstruktiv und unterhaltsam – das unsere Angebote nutzen. Die Rundfunk- gilt auch für das Social-Media-Format What Else …? Die Video-Reihe gebühr zahlt man nicht für die Nutzung richtet sich ebenso an junge Menschen in Afrika. eines bestimmten öffentlich-rechtlichen Angebots. Die Rundfunkgebühr zahlt Berthold Stevens, Unternehmenskommunikation man für unseren Beitrag zu einer funkti- onierenden Gesellschaft. twitter.com/SpringateCEG | dw.com/77 | dw.com/ecoafrica ©©DW/P. Böll ©©DW ©©DW/U. Wagner Fakten ausgewogen Wissen vermitteln für faktenbasierten präsentieren: Diskurs: Tom Buhrow auf dem GMF Christopher Springate Deutsche Welle 13
T I T E LT H E M A ©©DW So sind die Visualisierungen Ausgangs- D | DAT E NJOUR N A L I S MU S punkt für unsere Datengeschichten. „Dahinter stecken Bei welchem Thema war ihr Team in jüngster Zeit beispielsweise gefragt? Die Afrika-Abteilung ist mit einer Hypo- fast immer Menschen“ these an uns herangetreten: Man wollte wissen, ob die „gefühlte Wahrheit“ zutrifft, dass es für Afrikaner schwieriger ist, ein Langzeitvisum für Deutschland zu erhal- Seit Sommer 2017 gibt es das DW-Data-Team. ten, als für Menschen aus anderen Regi- onen. Mit Daten vom Auswärtigen Amt Gianna Grün und Eva Lopez a nalysieren große konnten wir belegen, dass die Hypothese Datensätze, um o riginäre Geschichten zu finden zutrifft. Diese Geschichte war erst der Auf- und R edaktionen bei R echerchen zu unterstützen. takt. Wir haben die Auswertung auf Süd- ostasien zugeschnitten wiederholt und Gianna Grün zu den bisherigen E rfahrungen. gemeinsam mit der Russisch- Redaktion die Auswertung auf postsowjetische Staa- Fragen Berthold Stevens, Unternehmenskommunikation ten angepasst. Insgesamt wurde die Ge- schichte so – in verschiedenen Ausprägun- gen – für ein Dutzend Programmsprachen relevant. Welche Kernfragen bewegen eine hat. Hinter den Datenpunkten stecken Welche Kenntnisse und Fertigkeiten soll- Datenjournalistin? fast immer Menschen: Arbeitslosenquo- te eine Datenjournalistin haben? Wie finden wir durch die Analyse von gro- ten – Menschen ohne Job, Zahlen zur Wie bei allen Journalisten steht die Fähig- ßen Datenmengen Geschichten, die noch Migration – Menschen, die Schutz suchen. keit im Mittelpunkt, die richtigen Fragen nicht erzählt wurden? Welche neuen Er- Deren Geschichte kann man bewegend zu stellen. Antworten suchen wir nicht kenntnisse können wir durch die Kombi- erzählen, ob in Text, Bild oder Video. Und zuerst bei Experten, sondern in Datensät- nation von Datensätzen gewinnen? Wie mit Datenvisualisierungen kann man sie in zen. Dann sind Offenheit für Komplexität, können wir große Datenmengen visuali- einen passenden Kontext setzen. Liebe zum Detail, Ausdauer und eine hohe sieren, um unseren Nutzern einen Pers- Frustrationstoleranz wichtig. Hinzu kom- pektivwechsel zu bieten? Die Infografik wird also neu erfunden? men ein statistisches Grundverständnis, Nein. Aber die Art und Weise, wie wir sie Grundlagen der Visualisierung und eine Bewegende Geschichten nicht mit der einsetzen, ist eine andere: Infografiken Toolbox mit Werkzeugen, die man beherr- Kamera, sondern mit riesigen Mengen an entstehen oft, wenn die Geschichte be- schen sollte: von Tabellenprogrammen komplexen Daten – das klingt verwegen. reits steht und einzelne Sachverhalte da- über Programmiersprachen bis zu Visua- Für uns klingt das vielversprechend. Denn raus veranschaulicht werden sollen. Im lisierungssoftware. nicht vor der Menge oder Komplexität Datenjournalismus stehen die Visualisie- zurückzuschrecken bedeutet, mit richti- rungen an erster Stelle: Sie zeigen Trends dw.com/daten | dw.com/data gen Fragen und passenden Analysen Ge- oder Muster auf, deren Ursachen im schichten finden, die sonst noch keiner z weiten Schritt im Artikel erklärt werden. 14 Weltzeit 2 | 2018
MindsTalk mit Dima Khatib von AJ+ D | DIGI TA L R IGHT S ©©DW/U. Wagner Länder, in denen Daten gesetzlich nicht geschützt sind, bieten geradezu paradiesische Bedingungen für sehr problematische Eingriffe in die Privatsphäre, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. E | ENGAGEMENT Klickzahlen waren gestern Nighat Dad auf dem GMF Heute zählt Audience Engagement. Denn die besten Ge- schichten und Themen sind die, die unser Publikum akti- vieren, den Dialog aufzunehmen – untereinander und mit uns, den Medien. ©©DW/U. Wagner Wie wichtig es gerade für international agierende Sender ist, die Erwartungen und Reaktionen des Publikums aufzu- nehmen und einzubinden, zeigte der „MindsTalk“ mit Dima Khatib, Managing Director von AJ+, auf dem Global Media Forum. Die Herausforderung, das Verhältnis von Sender und Publikum im digitalen Zeitalter neu zu bestimmen, hat auch die DW angenommen. Menschenrechtsaktivisten sind nicht nur Audience Engagement setzt voraus, dass wir unsere Hackern und Cyber-Angriffen ausgesetzt. Sie Angebote optimieren, indem wir die Interaktionen und Rückmeldungen der Nutzerinnen und Nutzer analysie- stehen auch unter ständiger Beobachtung. ren: Wie oft teilen oder kommentieren sie Inhalte auf den DW-Webseiten und in den Sozialen Medien? Welche Tren- Als Journalisten, Menschenrechtler und ding Topics aus den Zielmärkten sollten wir in unser Pro- Verfechter des freien Zugangs zum Internet gramm aufnehmen? Dazu verstärken wir unser Commu- nity Management: die Moderation und Auswertung der können wir die digitalen Rechte nicht binnen Netz-Diskussionen. weniger Tage revolutionieren. Aber wir kön- Außerdem nutzen wir Analysetools, zum Beispiel nen Menschen und Anwälte unterstützen, die Crowdtangle und die „DW Dashboards“, die uns zeigen, sich für eine Stärkung der Rechte einsetzen. welche Beiträge der DW und ihrer Wettbewerber gerade besonders gut laufen, welche Themen aktuell am häufigs- ten über Suchmaschinen nachgefragt werden und vieles Verletzungen der Privatsphäre mehr. Damit sind wir am Puls unserer Zielgruppe – den im Digitalen werden wir nicht völlig „Minds“, die wir anregen, sich in Debatten engagiert ein- zubringen. stoppen können. Aber wir können Daten- schutzprotokolle stärken, eine bessere Annika Stühler, Referentin | Claudia Laubach, Market and Gesetzgebung, strengere Richtlinien und Audience Insights auch Haftung bei Nichteinhaltung einfordern. Nighat Dad, Gründerin der Digital Rights Foundation, Pakistan digitalrightsfoundation.pk Deutsche Welle 15
T I T E LT H E M A Intendant Peter Limbourg überreichte die Auszeichnung im Rahmen des Global Media Forum in Bonn. Sadegh Zibakalam, Politikwissenschaftler an der Universität Teheran, sagte in seiner Dankesrede, Re- pression treffe in Iran Schriftsteller, Jour- nalisten, Anwälte, Menschenrechtsaktivis- ten, Gewerkschafter, Studenten, Künstler, Dissidenten und oppositionelle Politiker – Frauen wie Männer. Auch religiöse Denker, fügte Zibakalam an. „Denn das Ausmaß der politischen Repression verdeckt oft die religiöse Verfolgung.“ Dass einige Regime- kritiker seit Jahren ohne Gerichtsverfahren unter Hausarrest stehen, auch das hält der Wissenschaftler für vielsagend, was die Menschenrechtslage in Iran betrifft. Aktu- ell würden zudem Umweltaktivisten ver- folgt, „eine neue Dissidentenkategorie“. Der Kampf für Demokratie und Freiheit steht für den Preisträger 2018 im Mittel- punkt der iranischen Zeitgeschichte. Und diese „Sehnsucht nach demokratischen ©©DW/F. Görner Werten“ sei an die junge Generation weiter- gegeben worden. Deshalb sagt Zibakalam auch: Bei aller berechtigten Kritik habe das Soziale Medien sind ein mächtiges F | FREEDOM OF SPEECH AWARD Instrument für Öffnung und Wider die Demokratie. Scharfmacher Land in den vergangenen zwei Jahrzehn- ten „kleine, aber spürbare Fortschritte ge- macht“. Nach seiner Einschätzung könne man beispielsweise „ein halbes Dutzend Zeitungen“ heute als unabhängig bezeich- nen. Und die Sozialen Medien, auf denen Er widme den Preis allen politischen Gefangenen in seinem er selbst aktiv ist, sind für den streitbaren Politologen „ein mächtiges Instrument, Land, sagte Sadegh Zibakalam. Der iranische Politologe um den Kurs der politischen Öffnung und erhielt den DW Freedom of Speech Award 2018. Laudator Demokratie in Iran zu unterstützen, trotz Reinhard Baumgarten mahnte, nicht in Schwarz-Weiß- der ständigen Versuche des Staates, die- sen Einfluss einzudämmen“. Zibakalam Kategorien zu denken und die „zahlreichen Pflänzchen“ resümierte: „Vielleicht wäre es keine Über- in der iranischen Zivilgesellschaft wahrzunehmen. treibung, zu dem Schluss zu kommen, dass die Islamische Republik Iran nicht so düster Text Berthold Stevens, Unternehmenskommunikation und dunkel ist, wie es von außen scheint.“ Ambivalenz? Für ARD-Korrespondent Reinhard Baumgarten ist es vielmehr Ausdruck der Gratwanderung, die Kritik 16 Weltzeit 2 | 2018
©©DW/U. Wagner aus dem Innern der Islamischen Republik an herrschenden Personen und Zustän- den bedeutet. Der Laudator attestierte dem Preisträger Mut und zollte Respekt. „Zibakalam widerspricht den Scharfma- chern seines Landes und legt den Finger in offene Wunden.“ Was angesichts der all- Zibakalam gegenwärtigen Zensur mit hohen Risiken legt den Finger in behaftet sei. „Überwachung wird großge- Laudator Reinhard Baumgarten schrieben, sehr groß“, so Baumgarten. offene Wunden. Zibakalam spreche offen „über das gi- gantische Drogenproblem seines Landes, will es reformieren.“ Dafür müsse man er von eingeschworenen Gegnern ebenso über die hohe Scheidungsrate, die Verar- die sehr komplizierten Machtverhältnisse wie von hartleibigen Befürwortern der mung großer Teile der Bevölkerung, über verstehen, nicht in Schwarz-Weiß-Katego- Islamischen Republik. Manchen gilt er als leere Moscheen, steigende Arbeitslosig- rien denken, wie dies derzeit auf der gro- dienstbarer Geist und Feigenblatt eines keit, den wachsenden Groll vor allem jun- ßen politischen Bühne geschehe, beklagte verruchten Regimes. Anderen als gefähr- ger Menschen und deren Desinteresse an Baumgarten. Zibakalam hingegen kenne licher Konterrevolutionär und Defätist“, vermeintlichen Erfolgen der Revolution“, die politischen und gesellschaftlichen Ver- sagte Baumgarten. sagte Baumgarten, der sechs Jahre aus hältnisse seines Landes „bis ins kleinste Der Laudator empfahl, die „zahlrei- Iran berichtet hat. „Und natürlich schäu- Detail“. Und er finde Gehör – gerade bei chen Pflänzchen“ in der iranischen Zivil men Irans Hardliner, wenn er Sinn und jungen Leuten durch seine Präsenz in gesellschaft wahrzunehmen. Die Verlei- Umfang des iranischen Atomprogramms Sozialen Medien. hung des DW Freedom of Speech Award grundsätzlich und öffentlich infrage stellt.“ Baumgarten ging auch auf die Kritik an Sadegh Zibakalam könne „all jene Aber Zibakalam glaube an die Demo- am diesjährigen Preisträger ein. Sein Wir- stärken und ermutigen, die für Rede- und kratiefähigkeit seines Landes. „Er will das ken sei keineswegs unwidersprochen ge- Meinungsfreiheit in Iran eintreten“. herrschende System nicht abschaffen. Er blieben. „Kritik und Schmähungen erntet Der DW Freedom of Speech Award würdigt eine Person oder Initiative, die eine herausragende Position für Menschenrechte und Meinungs- freiheit bezieht. Im vergangenen ©©DW/U. Wagner Jahr hatte die White House Corres pondents’ Association (WHCA) in Washington, D.C. die Auszeichnung Ex-Präsident Hamid Karsai in Bonn erhalten. Der inhaftierte saudische Blogger Raif Badawi war 2015 der erste Preisträger. 2016 zeichnete die DW den türkischen Journalisten Frieden in Afghanistan? Sedat E rgin aus. Der jüngste Preisträ- ger, der iranische Politologe Sadegh Hinter diese Überschrift gehört nach jahrzehntelangen Konflikten noch heute ein Zibakalam, war im April von einem Fragezeichen. Immer wieder erschüttern Anschläge das Land im Mittleren Osten. Revolutionsgericht zu 18 Monaten „Frieden wird es nur geben, wenn die Afghanen wirklich verantwortlich sind für Haft verurteilt worden, blieb jedoch den Friedensprozess und den innerafghanischen Dialog“, sagte der frühere Präsi- auf freiem Fuß. In einem DW-Inter- dent Hamid Karsai auf dem Global Media Forum. Er wünsche sich eine neue Afgha- view hatte er über innenpolitische nistan-Konferenz in Bonn, um den Friedensprozess in seinem Land zu unterstüt- und soziale Gründe für die landeswei- zen. Weiterhin forderte er Souveränität für die afghanische Führung über innere ten Proteste in Iran gesprochen. Angelegenheiten, die Entwicklung eines neuen Sicherheitsmechanismus durch Zusammenarbeit zwischen internationalen und regionalen Akteuren sowie eine dw.com/freedom Politik im Zeichen der Partnerschaft. Deutsche Welle 17
T I T E LT H E M A ©©Unsplash/Ron Jake Roque F | FREIHEIT Im Visier Teherans Die Verletzung des Grundrechts auf Meinungs- und In- formationsfreiheit hat viele Gesichter – aber stets ein und dasselbe Motiv: Es ist der Versuch, bestimmte Informatio- nen nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, indem Journalisten daran gehindert werden, ihrer professionellen Verpflichtung nachzukommen. Manche Regime betrachten Journalismus als Verbre- chen, das ihre Macht bedroht. Deshalb ergreifen sie Maß- nahmen wie Zensur, Kontrolle der Berichterstattung und Verbreitung von Falschinformationen. Sie verwehren den Menschen den Zugang zu objektiver und unabhängiger Information, indem sie Medienhäuser im eigenen Land schließen und Angebote internationaler Anbieter blocken. Unliebsame Journalisten werden verhaftet, im schlimmsten Fall getötet. Auch in der Islamischen Republik Iran wird das Men- schenrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit weiter- hin verletzt. Besonders bedauerlich sind die Formen: Will- kürlich werden Familienangehörige von Journalisten verhört und verhaftet und diffamierende Falschinformationen über diese Personen verbreitet. So wurden kürzlich ehemalige und aktuelle Mitarbeiter der BBC-Farsi-Redaktion verfolgt und verurteilt. Das Farsi-Team der DW hat bisher zwar noch keine solch G | GE NE R AT ION Z drastischen Konsequenzen zu beklagen. Gleichwohl würde auch den meisten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter die sofortige Verhaftung drohen, wenn sie nach Iran zurückkehren würden. Denn auch die DW ist im Visier der Digitale iranischen Behörden, die versuchen, objektive Berichter- stattung europäischer Sender systematisch zu unterbinden: Die Webseite dw.com/persian wird geblockt, DW-Reportern Unruhestifter die Erlaubnis zur Berichterstattung aus dem Land verwehrt. Eine Blockade der DW-Angebote ist völlig inakzeptabel. Über Jahre hatten Forscher und Vermarkter Das hat Intendant Peter Limbourg mehrfach bekräftigt. die Wesensmerkmale der Millennials im Blick. Unsere Kernaufgabe ist es, demokratische Werte zu ver- teidigen, insbesondere das Recht auf Meinungs- und Infor- Nun richten sie ihre Aufmerksamkeit auf die mationsfreiheit. Nachfolgegruppe: die Generation Z. Auch Gemeinsam mit anderen europäischen Sendern und internationalen Institutionen – darunter die Internatio- sie setzt neue Trends – in ihren Ansichten wie nalen Journalistenvereinigungen IFJ und Reporter ohne in ihrem Verhalten. Die t reibenden Kräfte: Grenzen – appellieren wir an die Vereinten Nationen, uns die Wirtschaft nach der Rezession und die darin zu unterstützen, das Recht auf freien Zugang zu Nachrichten und Informationen für die iranische Öffent- digitale Transformation. lichkeit zu verteidigen. Text Anne Boysen, Zukunftsforscherin Jamshid Barzegar, Leiter der Farsi-Redaktion, am 20. Juni vor dem UN-Menschenrechtsausschuss 18 Weltzeit 2 | 2018
fixierten, trübseligen Teenager sehen, efürchten, dass es nicht genug Süßwas- b wird sein Einfluss weniger über die Tech- ser geben wird. nik definiert, die er beherrscht, als durch die Kombination neuer Ideen, die sein Ge- Nutzen statt besitzen rät vereinfacht. Soziale Plattformen geben jungen Wirtschaftliche Ansichten und ein Inte Menschen Ebenen, auf denen sie ihre resse an der Sharing Economy verändern Identität entwickeln und mit Gleichgesinn- ihre Prioritäten als Konsumenten und als ten interagieren können. In einer Minute angehende Arbeitnehmer. Generation Z werden 300 Stunden Content auf Youtube ist sowohl die Umwelt als auch das künf- hochgeladen. Stimmen, die in traditionel- tige Einkommen wichtig, die Anhäufung Wenn das alte len Medien kaum gehört werden, konkur- materieller Besitztümer hat für sie aber rieren jetzt mit der milliardenschweren weniger Bedeutung als Zugang zu dem System nicht mehr Unterhaltungsindustrie und sorgen für zu haben, was man braucht, wenn man funktioniert, wird eine breite Fächerung der Rollen, die jun- ge Menschen beeinflussen und mit denen es braucht. Eine Karriere zu verfolgen, die mit einer positiven Auswirkung auf die es durch bloßes sie sich assoziieren. Welt verbunden ist, hat mehr Prestige als „reich werden“. Fingertippen Von innen aufbrechen Die Generation Z wird nach Jobs stre- ben, die sozial und ökologisch wirkungsvoll implodieren. Diese Generation Z neigt weniger als jede sind und die heute untergewichtet oder andere dazu, sich als ausschließlich hetero- noch nicht existent sind. Unternehmen, sexuell, eindeutig männlich oder weiblich die dieser energischen, Unruhe stiftenden zu identifizieren. Wenn soziale Kategorien Generation von Arbeitnehmern gefallen oder Gruppen als fließend angesehen wer- möchten, sollten sich an diese massive Ver- den, werden soziale Hierarchien flacher. schiebung der Prioritäten anpassen. Durch die Zerlegung der Zwei-Gender- Laut einer britischen Studie vertrauen Idee setzt die Generation Z das System nur zehn Prozent aus der Generation Z da- zweifach zurück. Erstens, indem sie das rauf, dass die Regierung das Richtige tut. Spektrum diversifiziert, was dabei hilft, Diese Generation könnte in ihr politisches Kaum Teenager, sah die Generation Z, unkonventionelle Gender-Identitäten und System so eingreifen, wie sie es mit ihren wie ihre Eltern nach jahrelanger loyaler Ar- Sexualitäten zu normalisieren. Zweitens Smartphones tut: Wenn das alte System beit ihre Jobs verloren. Sie beobachteten könnte die Generation Z es schaffen, be- nicht mehr funktioniert, wird es durch blo- ältere Geschwister, die Schwierigkeiten harrliche Geschlechter-Ungleichheiten von ßes Fingertippen implodieren. Wenn et- hatten, ihre Karrieren in rezessiven Märk- innen aufzubrechen, indem sie Gender- was schiefgeht, „resetten“ sie es. Werden ten zu starten. Großeltern, die um ihren Kategorien von einer binären auf eine fort- wir es wagen, sie unsere Zukunft sprengen Ruhestand betrogen wurden, nachdem laufende Skala verschiebt. zu lassen und uns in eine neue Richtung zu sie ihre Notgroschen beim Börsen-Crash Die Toleranz der Generation Z reicht bewegen? verloren hatten. Aus diesen Eindrücken weiter, als lediglich Verschiedenheit zu entstand eine genügsame, wachsame akzeptieren. Sie betrachtet Diversität auf und werbeskeptische Mentalität. Inmitten von scheiternden Unter- ©©DW/U. Wagner nehmen stieg ein neues Paradigma auf. Die Toleranz Junge Leute, begierig darauf, der Welt ihren Stempel aufzudrücken, wurden mit der Generation Z Technik ausgestattet, die bisher großen Unternehmen vorbehalten war. Schnelles reicht weiter. Internet, hochauflösende Kameras und digitale Netze zur Verbreitung verban- einer Gleitskala und tendiert dazu, sich den sie mit einer größeren Welt. Was sie selbst im anderen zu sehen. an finanzieller Sicherheit verloren, macht An wachsenden Depressions- und Sui- die digital transformierende Technik wett. zidraten bei Teenagern wird oft den Sozia- Wie sie diese neuen Möglichkeiten nutzen, len Medien die Schuld gegeben. Sie tragen formt die Zukunft. in der Tat zu Cybermobbing und verdreh- Bei der digitalen Transformation geht ten, düsteren Sichtweisen bei. Dafür gibt es es weniger um die Technik. Vielmehr geht aber auch reale Ursachen. Ü berwältigende Anne Boysen präsentierte auf dem es um die Veränderungen, die sie in Hän- 87 Prozent der jungen Menschen in 20 Global Media Forum Analysen der den einer neuen Generation ermöglicht. Ländern befürchten, dass die natürlichen nächsten jungen Generation Während wir den Digital Native als Handy Ressourcen zur Neige gehen. 85 Prozent Deutsche Welle 19
H | H AT E S PE ECH Die Ohnmacht des Adressaten Hate Speech im Internet richtet sich gegen Individuen und Gruppen, auch gegen ganze Völker. Adressaten hasserfüll- ter Parolen gibt es überall auf der Welt und in nahezu allen Lebensbereichen. Gibt es ein Gegenmittel? Wie können Opfer sich wehren? Richard Gutjahr, Rokhaya Diallo und Yin Yadanar Thein diskutierten beim Global Media Forum. Doch es waren eher Appelle als überzeugende Antworten. Text Vera Tellmann, Unternehmenskommunikation Diskriminiert werden Sinti und Roma, egeln gelernt, ihre Arbeit perfektioniert. R die LGBT-Community, Muslime und Juden, Sie wissen genau, was sie tun“, so Gutjahr. Menschen mit Behinderung, afrikanische „Sie organisieren sich und orchestrieren und mexikanische Migranten. Und im- Attacken. Der Rest von uns hatte keine mer wieder Frauen – wie beispielsweise Ahnung, dass sie so fortschrittlich und während der Fußball-WM in Russland die uns so weit voraus sind. Ich kenne keinen ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann. Journalisten, der technisch so versiert Der deutsche Journalist Richard Gut- ist.“ Anbieter Sozialer Netze müssten ihre jahr, der bei den Terrorangriffen in Nizza Verantwortung erkennen und entschieden und München im Sommer 2016 zufällig gegen die Verbreitung von Hass und Lügen vor Ort war und spontan via Smartphone vorgehen, so Gutjahr. Die Politik halte nicht die Berichterstattung aufnahm, erlebte Schritt mit der digitalen Revolution und Beleidigungen und Verleumdungen, die überlasse die Rechtsprechung „verrückter- sich auch gegen seine Familie richteten. weise“ den Plattform-Betreibern. „Nutzer Er wurde beschuldigt, Mitarbeiter eines brauchen Nachhilfe in Zivilcourage, Mitge- Geheimdienstes zu sein und von den At- fühl und digitalem Einfühlungsvermögen“, tentaten gewusst zu haben. Gutjahr sag- so der Journalist. Allerdings sei die Lösung te in Bonn, er habe erst lernen müssen, so komplex wie das Internet. dass die vorwiegend antisemitischen On- Eines ist Gutjahr zufolge klar: Hassrede ©©DW/P. Böll line-Angriffe „nicht mir als Person gelten, sei ein „sich selbst erhaltendes Monster, sondern dem, was ich repräsentiere, wo- das sich nicht verzieht, wenn es ignoriert für ich stehe“. wird, sondern jeden Tag stärker wird“. Die Menschen, die ihn im Netz verfol- Opfern von Hate Speech stehen bislang gen, hätten in der Gesellschaft vorhan- nicht viele Mittel und Wege zur Verfügung, dene Ängste erkannt und nutzten sie auf um sich zur Wehr zu setzen. Strafanzeige sehr professionelle Weise. „Sie haben die gegen Unbekannt, das ist der erste Schritt, Nutzer brauchen Nachhilfe in Zivilcourage, Mitgefühl und digitalem Aus eigener Erfahrung gegen Hassrede: Journalist Richard Gutjahr Einfühlungsvermögen. 20 Weltzeit 2 | 2018
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