Ich rate selektiv zur Vorsicht" - DJE Kapital AG
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
moneytitel INTERVIEW Ich rate selektiv zur Vorsicht“ Mit mehr als 50 Jahren Erfahrung ordnet Vermögensverwalter und Fondsmanager Jens Ehrhardt das aktuelle Börsengeschehen ein und erläutert die Auswirkungen des Ukraine- Konflikts, die Politik der US-Notenbank Federal Reserve und die guten Aussichten für die europäischen Börsen – insbesondere für den deutschen Aktienmarkt 12 Foto: DJE FOCUS-MONEY 9/2022
von MIKA HOFFMANN UND MARIO LOCHNER Sie haben mit Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung als Vermögensverwalter und Fondsmanager schon einige internationale Krisen erlebt – vom Vietnam-Krieg über die Afghanistan-Konflikte, die Irak-Invasionen bis hin zum Ukraine-Konflikt. Wie sollten sich Anleger in einer solch unübersichtlichen Lage verhalten? Jens Ehrhardt: Alle kriegerischen Auseinandersetzungen, die ich erlebt habe, haben die Börsen immer nur sehr kurzfristig gedrückt. Die Roh- stoffpreise sind oft kriegsbedingt gestiegen, teilweise auch längerfristig, wie während des Vietnam-Kriegs. Die Ukraine-Krise ist spiegelbildlich zu sehen zu der Kuba-Krise 1962, als die Russen versuchten, durch Ra- keteninstallationen in Kuba in die amerikanische Einflusssphäre vorzu- dringen. Kennedy drohte mit Atomwaffeneinsatz, was die Russen zum FAVORITENWECHSEL: Rückzug bewegte. Sollte der Westen die Aufrüstung der Ukraine inklusi- „Dieses Jahr dürfte die ve Nato-Mitgliedschaft stoppen, dürften sich auch die Russen zurück- Bewertung im Vorder- grund stehen“, erwartet ziehen. In der Kuba-Krise hatten die Aktienkurse ihre Verluste nach drei Jens Ehrhardt Monaten wieder voll aufgeholt. Für den Kriegsfall kann man sich mit klei- neren Put-Beträgen absichern. Absicherung mit Anleihen macht wenig Sinn. Die US-Zinsen dürften vorerst weiter steigen und die Anleihenkur- se fallen. Goldabsicherung dürfte Sinn machen, zumal das Edelmetall eine längerfristige Inflationsabsicherung ist – und die lange Zeit absti- nenten Käufer aus Indien und China zurückgekehrt sind. Welche Risiken sehen Sie für Anleger im Ukraine-Konflikt? Und: Was würde eine Vita russische Invasion der Ukraine für die internationalen Finanzmärkte bedeuten? Ehrhardt: Ich halte einen russischen Angriff nach wie vor für unrealis- Dr. Jens Ehrhardt tisch. Russland wie der Westen würden dabei gleichermaßen verlieren. Käme es wirklich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen 120 000 bis 150 000 Russen und angeblich 250 000 bis 420 000 ukrai- Geboren am 17. März 1942 nischen Soldaten, wie in Medien zu lesen ist, würde dies zu extremen in Hamburg Preissteigerungen bei Öl, Erdgas und einigen Metallen wie Palladium – Russland ist Hauptproduzent neben Südafrika – führen. Deutschland 1962–1968 Studium der kann höchstens zehn Prozent seines aus Russland importierten Ener- Betriebswirtschaftslehre in Hamburg und München 1969–1974 Partner der Vermögensverwaltung Wackelige Börsen Portfolio Management Besonders die Technologieaktien an der Nasdaq erwischten einen schlechten Start ins Jahr 2022, aber auch Dax und Dow Jones verlo- 1974 Promotion und Start ren zuletzt. Hohe Inflationsraten, drohende Zinserhöhungen der US- seiner bankenunabhängigen Notenbank und die Ukraine-Krise machen Anleger nervös. Vermögensverwaltung, die seit 2008 unter DJE Kapital Aktienindizes für USA und Deutschland AG firmiert Entwicklung seit 1.1.2020 in Prozent +60 1988 Auflegung des FMM- Nasdaq-Composite +40 Fonds Dow Jones +20 Dax 0 –20 –40 2020 2021 2022 Quelle: Bloomberg FOCUS-MONEY 9/2022 13
moneytitel giebedarfs aus anderen Quellen de- Es ist nicht alle Aktien verkaufen müssen, weil cken, was angesichts der Abhängig- keit Deutschlands extreme Folgen überraschend, sie zu teuer waren. hätte. Dazu wären russische Cyber- angriffe realistisch mit ebenfalls dass einige Was ist der Grund für die Unsicherheit der Anleger? extremen Folgen. Bisher hat Russland in diesem Jahr Kurse zurück- Ehrhardt: Die Unterstützung von der Zinsseite ist nicht mehr so groß: gefallen sind“ vertragsgemäß geliefert. Ohne Krieg Die Renditen für zehnjährige US- würden Öl- und Gaspreise fallen, Staatsanleihen sind kräftig gestiegen aber nur begrenzt. Die Opec liefert – von 0,5 auf bis zu 2,0 Prozent. Das zu wenig und die Lager haben spezi- ist prozentual eine ganze Menge. ell in Europa Tiefstände. Viele Unternehmen und Privatleute sowie vor allem die Staaten haben Eine Börsianerweisheit sagt: „Politische hohe Schulden aufgenommen – da Börsen haben kurze Beine.“ Gilt das auch dieses Mal oder sollten schlägt eine Vervierfachung der Zinslast in absoluten Zahlen Anleger jetzt aufgrund der geopolitischen Lage vorsichtiger sein? durch. Dazu kommen in vielen Fällen noch höhere Löhne – für Insbesondere auch im Hinblick auf den hohen Ölpreis? Unternehmen wirken einige Belastungsfaktoren zusammen. Ehrhardt: Der Börsenspruch „Politische Börsen haben kur- Da ist es nicht überraschend, dass einige Kurse zurückgefal- ze Beine“ hat sich aus meiner Erfahrung meistens bestätigt. len sind. Längerfristig können geopolitische Auseinandersetzungen die Börsen aber belasten, wie der längerfristige Konflikt zwi- Geht es weiter nach unten? schen den USA und China, um das Aufstreben Chinas zu ver- Ehrhardt: Ich will keine generelle Baisse ankündigen, son- hindern. Der Ölpreis dürfte auch unabhängig von der Geopo- dern rate selektiv zur Vorsicht. Alle konzentrieren sich auf die litik unterstützt bleiben, da einerseits die Opec ihre Nasdaq und die großen Technologiewerte. In der monatlichen Lieferprobleme kaum überwinden dürfte und andererseits Fondsmanager-Umfrage der Bank of America gehörten die im „grüne Politik“ die Investitionen der Ölfirmen bei der Ölsuche vergangenen Monat immer noch zu den beliebtesten Anlagen, bremsen wird – was zu preissteigerndem, vermindertem An- den sogenannten most crowded trades. Das kann wochen- gebot führen dürfte. Auch zahlreiche Rohstoffe dürften so oder sogar monatelang gut gehen. Wenn es zu kriseln beginnt mehr nachgefragt und damit im Preis getrieben werden. – beispielsweise wie jetzt durch den Zinsanstieg –, sollte man den Ausgang genau im Auge behalten. Eine Zwischenrally ist Schon ohne die Ukraine-Krise wackelten die Börsen in den vergan- aber immer einmal denkbar. genen Wochen. Droht ein Absturz? Robert Shiller schließt einen Kurs- rückgang von 50 Prozent nicht aus. Was entgegnen Sie dem Nobel- Was raten Sie Anlegern jetzt stattdessen? preisträger? Ehrhardt: Dieses Jahr dürfte die Bewertung im Vordergrund Ehrhardt: Shiller mag zwar einen Nobelpreis haben. Aber stehen. Aktien mit einer niedrigen Bewertung, die nicht an der Börse lag er noch nie so gut: Seiner Theorie zufolge – überteuert sind, haben meiner Ansicht nach bessere Pers- dem Shiller-KGV – hätte man schon Ende 2009, Anfang 2010 pektiven. Das war bei steigenden Zinsen eigentlich immer so Damoklesschwert Zinspolitik Schon eingepreist Wenn die Federal Reserve die Zinsen dieses Jahr Mit den Kursrückgängen der vergangenen Wochen tatsächlich siebenmal erhöht, wie einige große US- dürfte ein Teil der Reaktion der Aktienkurse auf die Brokerhäuser vorhersagen, „dann droht in den USA erste Zinserhöhung der Fed, die wohl im März statt- eine Rezession“, warnt Ehrhardt. findet, schon in den Notierungen stecken. US-Leitzins US-Börsenreaktionen nach ersten Zinserhöhungen in Prozent 6 Langzeitprognose –4 Jahresendschätzungen 4 –8 Markterwartungen 2 –12 0 4-Monats-Entwicklung im S&P-500 in Prozent –16 2000 05 10 15 2020 25 1977 80 84 87 94 97 99 2004 13 15 16 2022 Quelle: Finanzwoche Quelle: Bloomberg 14 FOCUS-MONEY 9/2022
Einiges an Liquidität – und dürfte auch dieses Mal so sein. Also sehe ich eher Value- „Für 2022 signalisiert die monetäre Lage keine oder zyklische Aktien als Favoriten. Die Konjunktur für die Baisse“, erläutert Ehrhardt. Die Überschussliquidität nächsten Monate sieht gut aus – auch wenn einige schon wie- liege immer noch bei zwei bis vier Billionen Dollar. der warnen, die abflachende Zinsstrukturkurve signalisiere Außerdem stieg die US-Geldmenge M2 bis zuletzt. eine schwächere Wirtschaftsentwicklung. M2-Geldmengen Entwicklung seit 1.1.2010 in Prozent +140 Die fürchten Sie nicht? USA Ehrhardt: Nein. Die Notenbank und die Politik haben in +100 Amerika irrsinnige Gelder in die Konjunktur gepumpt: Vier Billionen von der Fed und fünf Billionen Dollar von der Re- +60 gierung – die gesamte jährliche US-Wirtschaftsleistung be- trägt gut 20 Billionen! Das verpufft nicht von heute auf mor- +20 gen, da gibt es Multiplikator-Folgeeffekte. Eine schwächere Deutschland Konjunktur erwarte ich deswegen nicht. Aber wenn die Zin- –20 sen nach oben gehen und vor allem wenn die Liquidität ver- 2010 12 14 16 18 20 2022 knappt wird,verschiebt sich das Börsengeschehen: Anleger Quelle: Bloomberg werden dann die teuren Aktien verkaufen und preisgünstige Dividendenaktien sowie Papiere mit einem niedrigen KGV und Kurs-Buchwert-Verhältnis eher kaufen. Ich sehe also keine Baisse, aber eine Verschiebung. Das zeigt ein Blick in Kräftiger Anstieg die Vergangenheit: Monetäre Aktionen haben immer zeitli- Die Renditen bei zweijährigen Staatsanleihen sind che Verzögerungen, die bis zu ein Jahr dauern. Für 2022 in den USA kräftig nach oben gegangen. Sie sind signalisiert die monetäre Lage keine Baisse. Aber Anleger ein gutes Barometer für die Zinserhöhungsängste sollten sich vorsichtiger aufstellen. Die Volatilitäten werden der Anleger. sicher nach oben gehen. Rendite zweijähriger Staatsanleihen in Prozent Sollten Anleger schon wieder die gefallenen Tech-Aktien kaufen? 7 USA Ehrhardt: Ich würde nicht empfehlen, jetzt schon wieder 5 bei den „gefallenen Engeln“ einzusteigen. Bei den unterbe- Deutschland werteten Titeln erwarte ich solide Kurszuwächse – plus Divi- 3 denden: Bei einigen europäischen Aktien bekommen Sie bis zu vier Prozent Dividendenrendite. Allerdings sollten Anle- 1 ger nicht die Zuwächse wie 2021 erwarten. Aber fünf bis zehn Prozent Depotzuwachs sind durchaus möglich. –1 1995 2000 05 10 15 2020 Der Value-Zug ist also noch nicht abgefahren? Quelle: Bloomberg Ehrhardt: Nein. Es gibt ja noch einige Bereiche, in denen nach wie vor kaum einer investiert, beispielsweise die Tele- komaktien. Im Versorgerbereich haben einige Aktien zwar schon kräftig gewonnen. Die Aktie des größten Netzversor- Wenige Aktien ziehen gers Deutschlands hat 2021 35 Prozent zugelegt – mehr als „Alle konzentrieren sich auf die großen Technolo- der Dax. Aber andere sind gerade erst angesprungen. Gerade gieaktien“ warnt Ehrhardt. „Wenn es zu kriseln be- wenn sie eher auf alternative Energien setzen und ihren Koh- ginnt, sollte man den Ausgang im Auge behalten“ lebereich verkaufen. Das Thema ESG ist für mich weiterhin rät der Fachmann. interessant – auch wenn es in den vergangenen Monaten Bedeutung der 10 größten Aktien im S&P-500 deutliche Kursrückschläge gab. In das Thema Nachhaltigkeit fließt viel Staatsgeld und es wird dirigistische Eingriffe in die- Anteile in Prozent Anteil an der 30 se Richtung geben, das wird sehr gefördert. Für mich ein sehr Marktkapitalisierung interessanter Bereich, auch wenn nicht alles Gold ist, was 25 glänzt. Einige Titel sind weiterhin sehr hoch bewertet. 20 Welche Risiken sehen Sie derzeit vor allem an den Märkten? 15 Ehrhardt: Einen Fehler der Federal Reserve sehe ich derzeit Anteil an den 12-Monats-Gewinnen als das größte Risiko. Man kann sich darüber streiten, ob die 10 Notenbanker schon zu lange mit einer strafferen Geldpolitik 1995 2000 05 10 15 2020 gewartet haben. Viele sagen, die Inflation kommt vom vie- Quelle: Finanzwoche len Gelddrucken. Ich halte viel eher die staatlichen Hilfen FOCUS-MONEY 9/2022 15
moneytitel Große Vermögen von fünf Billionen Dollar für den Auslöser. Allein zwei Billi- onen haben US-Bürger als direkte Hilfen ausbezahlt bekom- Die privaten Finanzvermögen in den USA sind auf men – ohne genaue Prüfung haben einige dann 30 000 oder einen Rekordstand gestiegen. In der Corona-Krise 40 000 Dollar erhalten und hatten damit mehr Geld zum gab es sowohl staatliche Hilfen als auch frisch ge- Ausgeben als vorher. Das meiste floss in den Konsum. Und drucktes Geld in Billionenhöhe. gleichzeitig lief die Produktion aufgrund von Corona-Be- Privates Finanzvermögen in den USA schränkungen, covidbedingten Krankheitsausfällen oder in Prozent des BIP den Schwierigkeiten in den Lieferketten aufgrund der Pan- 6,0 demie nicht auf vollen Touren. Die „Sünden“ haben meiner QE-Ankündigungen der US-Notenbank und der EZB Meinung nach eher im fiskalpolitischen als im monetären 5,0 Bereich stattgefunden. Monetäre Maßnahmen wirken nicht von heute auf morgen. Zinssenkungen lösen beispielsweise 4,0 erst Entscheidungen von Wirtschaftsobjekten aus – das dau- 3,0 ert. Aber wenn sie jemandem Tausende von Dollar in die Hand geben, geht er in der Regel sofort los und kauft etwas. 2,0 In der kurzen Corona-Rezession ist das verfügbare Einkom- 1950 60 70 80 90 2000 10 2020 men der Amerikaner gestiegen – das gab es noch nie. Quelle: Finanzwoche Hätte die Fed schon früher reagieren müssen? Ehrhardt: Ich sehe den Fehler weniger bei Jerome Powell, dem US-Notenbank-Chef: Hätte er die Zinsen schon früher Günstiger Dax kräftig angehoben, hätte er wahrscheinlich schon die nächste Die Aktien im Deutschen Aktienindex sind deutlich Rezession vorprogrammiert. Die Fed ist zwar hinter der Kur- günstiger bewertet als die im amerikanischen ve. Wenn sie aber die Zinsen so stark erhöhen würde, wie es die S&P-500. Das spricht für Aufholpotenzial – der Inflation erfordert, dann hätten die USA 2023 eine schwere Dax könnte positiv überraschen. Rezession. Ich sehe deswegen derzeit keinen Politikfehler: Kurs-Gewinn-Verhältnis deutscher und US-Aktien Notenbank-Politik muss man in kleinen Schritten machen. Dax-KGV 60 Geht es im März mit den Leitzinserhöhungen schon los? Ehrhardt: Davon gehe ich aus. Durch die hohen Inflations- 50 raten ist der Druck auf Powell sehr hoch. Und im Übrigen auch 40 auf Präsident Biden, dessen Beliebtheitswerte aufgrund der 30 hohen Inflationsraten im Keller sind. Aber wenn die Fed tat- KGV im S&P-500 sächlich stark die Zinsen erhöht – dieses Jahr sieben Schritte –, 20 wie das einige große Brokerhäuser in den USA prognostizie- 10 ren, gibt es in den USA eine Rezession. 2015 16 17 18 19 20 21 2022 Quelle: Bloomberg Trotz Inflation halten Sie zu schnelle Zinserhöhungen für falsch? Ehrhardt: Das wäre in meinen Augen ein Riesenfehler. Gemessen wird Powells Erfolg aber an der Inflation – und da bin ich der Meinung, dass die Preissteigerungsraten relativ Besser gelaufen schnell zurückkommen werden. Natürlich war es voreilig, Expansive Fiskalpolitik führt zu höherem Wachstum von Anfang an zu sagen, die hohen Preissteigerungsraten sei- und höheren Aktienkursen. Das zeigt das Beispiel en nur vorübergehend. Aber letztlich rechne ich damit, dass Frankreich. 2021 ging der Cac-40 um 35 Prozent die hohe Inflation wirklich nur vorübergehend sein wird. Die nach oben – deutlich stärker als der Dax. Güterpreise werden durch eine Art Schweinezyklus be- Deutsche und französische Aktien stimmt. Wenn die Preise steigen, züchtet der Bauer mehr Schweine, die Preise sinken wieder. Der Druck wird von der Entwicklung seit 1.1.2021 in Prozent Angebotsseite wieder sinken. In Europa liegt die Kerninfla- +30 tionsrate bei 2,3 Prozent, die Gesamtinflation bei 5,3 Pro- Cac-40 +20 zent. Die drei Prozentpunkte Differenz entfallen auf Energie. +10 Da sehen Sie Entspannung? Dax Ehrhardt: Vom heutigen Niveau aus gesehen, werden sich 0 die Energiepreise nicht noch einmal verdoppeln oder verdrei- 2021 2022 –10 fachen wie in den vergangenen Monaten. Der Ölpreis geht JAN JAN vielleicht noch auf 100 Dollar, aber nicht wesentlich höher. Quelle: Bloomberg Saudi-Arabien hat noch einige freie Kapazitäten, die an den 16 FOCUS-MONEY 9/2022
Markt kommen können. Wenn sich die Und rechnen Sie wie die meisten Auguren Lage in der Ukraine entspannt, wird auch der Gaspreis sinken. Deswegen Wenn die Fed damit, dass Europa dieses Jahr besser ab- schneiden wird als die USA? dürfte der Preisdruck in Europa zu- rückgehen – und die Europäische Zen- siebenmal Ehrhardt: Ich bin kein Freund da- von, der Herde zu folgen. Aber es gibt tralbank die Füße weitgehend still hal- ten. In den USA wird es meiner die Leitzin- Trends, die sich als nachhaltig er weisen und länger laufen. Die Idee, sen erhöht, Meinung nach – eine gewagte Progno- dass Europa jetzt besser abschneidet, se – nicht zu sieben Zinserhöhungen in ist relativ neu. Für Europa spricht, diesem Jahr kommen. Ich rechne eher dass die Regierungen fiskalpolitisch damit, dass die Fed in der zweiten Jah- reshälfte Pausen einlegt. Das würde gibt es eine expansiver sind. Die europäischen Aktienmärkte sind seit der Jahrtau- dann auch den Dollar etwas zurück- bringen, der im vergangenen Jahr kräf- Rezession“ sendwende bis zum Beginn der Coro- na-Pandemie kaum gestiegen, wenn tig gestiegen ist. Der Dollar-Anstieg Sie die Dividenden nicht berücksich- wirkt schon jetzt wie eine Zinserhö- tigen. Das lag vor allem an der Fiskal- hung. Wenn es zu einer Abschwächung politik. Die Deutschen hatten die kommt, wäre das ein kleines Konjunk- schwäbische Hausfrau als Leitbild – turprogramm für den US-Export. jetzt haben die Europäer dazugelernt. Wenn die Fed in der zweiten Jahreshälfte doch nicht so ag- Man sieht, wie gut das in Italien oder Frankreich klappt: gressiv erhöht, dürfte die Börse wieder Morgenluft wittern. Das Wachstum ist dort dreimal so hoch wie in Deutschland. Im ersten Halbjahr sollte es allerdings Gegenwind geben. Das gibt auch den Börsen Rückenwind. Der französische Cac-40 ist 2021 um 34 Prozent gestiegen. Ich halte es für Wie viele Zinserhöhungen sind jetzt schon in den Kursen eingepreist? wahrscheinlich, dass der positive Trend für europäische Ehrhardt: Es dürfte schon einiges eingepreist sein. Deswegen Aktien anhält. Vor allem, weil die Amerikaner noch nicht sind die Zinserhöhungen kein Belastungsfaktor mehr. Ein stark investiert sind. Und die machen in vielen Bereichen Belastungsfaktor wäre allerdings ein schnelles Quantitative nach wie vor die Kurse. Tightening – wenn die Fed sagt, wir verkaufen die Anleihen, die wir vorher aufgekauft haben. Wenn die Fed zu schnell Liquidi- Und könnte der Dax die positivste Überraschung werden? tät aus dem Finanzsystem nehmen würde, wäre das ein Prob- Ehrhardt: Das halte ich durchaus für möglich. Die Kurs- lem. Aber darüber werden wir uns wohl erst im zweiten Halb- Gewinn-Verhältnisse sind in Deutschland neben Spanien jahr unterhalten müssen. Wenn die Notenbank etwas in Europa am niedrigsten. Wenn wir hierzulande nicht zu Liquidität herausnimmt, ist das kein Beinbruch. Im Moment schnell wieder auf die „schwarze Null“ zusteuern und die ist das US-Finanzsystem noch sehr liquide: Je nach Definition Zinsen in Europa einigermaßen niedrig bleiben, sehe liegt die Überschussliquidität zwischen zwei Billionen und vier ich für deutsche Aktien durchaus Potenzial – zumindest Billionen Dollar. Das ist ein wichtiger Grund, warum ich kei- selektiv. International könnten Goldaktien positiv über nen Crash erwarte. raschen. Starker Dollar Stetig nach oben „Der Dollar-Anstieg wirkt schon jetzt wie eine Zins Der DJE Dividende & Substanz zeigt langfristig einen erhöhung – wenn es zu einer Abschwächung stabilen, nachhaltigen Aufwärtstrend. Mit Value- und kommt, wäre das ein kleines Konjunkturprogramm Dividendentiteln als Anlegerfavoriten hat der Fonds für den US-Export“, analysiert Ehrhardt. weiteres Outperformance-Potenzial. Preis für 1 Euro in US-Dollar DJE Dividende & Substanz Entwicklung seit 1.1.2003 in Prozent +400 1,40 +300 1,20 +200 1,00 +100 0,80 0 2000 05 10 15 2020 2003 05 07 09 11 13 15 17 19 2021 Quelle: Bloomberg Quelle: Bloomberg FOCUS-MONEY 9/2022 17
Sie können auch lesen