Im Blickpunkt Information für Vertragspartner - Cannabis als Wundermittel? Multiple Sklerose: Epidemiologie und Therapie Solidaritätsprinzip in ...

 
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                                                          26. Jahrgang, Nr. 1 / Jänner 2016
                                                            30. Jahrgang, Nr. www.bgkk.at
                                                                               2 / April 2018

          Im Blickpunkt
          Information für Vertragspartner
          Cannabis als Wundermittel?
          Multiple Sklerose: Epidemiologie und Therapie
          Solidaritätsprinzip in der Praxis
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I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

       Inhalt
         Vorwort                                                                                               Seite 3

         Cannabis als Wundermittel? Evidenzbasierter Einsatz von Cannabinoiden                                 Seite 4

         Informationsplattform Arzneimittelsicherheit                                                          Seite 9

         Gesundheitseffekte von Übergewicht und Fettleibigkeit in 195 Ländern über 25 Jahre                    Seite 11

         Neu: Evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die Betreuung von
         Erwachsenen/ Kindern mit Übergewicht oder Adipositas                                                  Seite 11

         Multiple Sklerose: Epidemiologie und Therapie                                                         Seite 13

         Solidaritätsprinzip in der Praxis                                                                     Seite 15

         Cannabinoide in der Schmerz- und Palliativmedizin                                                     Seite 17

         Über die (Nicht-)Wirksamkeit teurer Krebsmedikamente                                                  Seite 17

         State of Health in the EU – Österreich. Länderprofil Gesundheit 2017                                  Seite 18

                                                                        Impressum und Offenlegung gemäß §§ 24, 25
                                                                   Mediengesetz Medieninhaberin und Herausgeberin:
               Burgenländische Gebietskrankenkasse, gesetzliche Krankenversicherung, Siegfried Marcus-Straße 5,
                                                                       7000 Eisenstadt, UID Nummer: ATU 16253300
                                               Kontaktadresse: Dipl.-Ing. Berthold Reichardt, Behandlungsökonomie,
                                                       Telefon +43 2682608-1405, E-Mail: berthold.reichardt@bgkk.at
                     Vertretungsbefugte Organe der Burgenländischen Gebietskrankenkasse: Obmann Hartwig Roth,
                                    1.Obmann-Stellvertreter Johann Wagner, 2.Obmann-Stellvertreterin Beate Horvath
                                                                                        Direktor Mag. Christian Moder
                                                             Aufsichtsbehörde: Die österreichische Sozialversicherung
               unterliegt der Aufsicht des Bundes. Oberste Aufsichtsbehörde ist die Bundesministerin für Gesundheit
                                                                      Erscheinungsweise: unregelmäßig ca. 4x jährlich
                Die Publikation und alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.
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              können daraus keinerlei Rechtsansprüche begründet werden. Grundlegende Richtung des peridischen
                            Mediums: Fach- und Informationsblatt für die Vertragspartner/innen der Burgenländischen
                      Gebietskrankenkasse und Entscheidungsträger/innen im Burgenländischen Gesundheitssystem
                                           Druck: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien
                                                                                    Satz- und Druckfehler vorbehalten
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 Vorwort

Sehr geehrte Damen und Herren,

der medizinische Einsatz von Cannabis-            Die Multiple Sklerose wird aus unterschiedlichen
produkten wird nicht nur häufig in                Perspektiven behandelt: Epidemiologie aus
Publikumsmedien thematisiert, einschlägige        österreichischen Abrechnungsdaten, neue
Zubereitungen wurden im letzten Jahr auch         Therapieempfehlungen und die intravasalen
häufiger rezeptiert. Der erste Beitrag bewertet   Immunglobuline als Nichtempfehlung.
dies aus medizinisch wissenschaftlicher,
fachärztlicher Perspektive.                       Österreichische Zahlen zum Solidaritätsprinzip
Die Gesundheit Österreich GmbH berichtet über     und Zusammenfassungen aktueller
das Österreichische Gesundheitsportal als ein     Publikationen runden die Themenvielfalt ab.
Informationsservice zur Unterstützung einer
sicheren und effizienten Verschreibung von
Arzneimitteln und die aktuelle Erweiterung zu
Kinderarzneimittel.                                                            Freundliche Grüße
                                                                               Berthold Reichardt
Übergewicht und Fettleibigkeit ist nicht nur in
Österreich ein gesundheitliches Problem, die
Prävalenz steigt weltweit. In einer Kooperation
zwischen dem Hauptverband der öster-
reichischen Sozialversicherungsträger und der
Medizinischen Universität Graz wurde ein
(Be-)Handlungspfad für Übergewicht &
Adipositas erstellt.

                                                                                                        3
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           Cannabis als Wundermittel? Evidenzbasierter
           Einsatz von Cannabinoiden

         Einleitung:                                        Biologische Grundlagen:
         In letzter Zeit wird vor allem medial viel über    Die beiden bekannten Cannabinoid-
         einen möglichen medizinischen Einsatz von          Rezeptoren-Typen CB1 und CB2 sind unter-
         Cannabis oder cannabis-haltigen Produkten          schiedlich verteilt:1 CB1 findet man im Gehirn
         gesprochen. Leider wird speziell in der            und beeinflusst Gedächtnis, Emotions-
         Boulevardpresse Cannabis als Wundermittel          verarbeitung, Kognition, Motivation und
         gegen Schmerzen, Depression, Schlafstörung         Bewegungskoordination. Dieser Rezeptor ist
         und andere Krankheitsbilder angepriesen. In der    somit auch für die psychoaktive Wirkung von
         Bevölkerung entsteht der Eindruck der              Cannabis verantwortlich. CB2 ist im Körper weit
         Harmlosigkeit verbunden mit einem steigenden       verbreitet und hat abgesehen von der
         Druck auf Mediziner, cannabis-haltige              Modulation des Immunsystems auch Wirkungen
         Medikamente off-label zu verschreiben.             auf unterschiedliche Organe wie Gastro-
                                                            intestinaltrakt, Leber, Herz, Muskel, Haut und
         Die Cannabis-Pflanze enthält weit über hundert     Reproduktionsorgane.
         unterschiedliche Cannabinoide, von denen nur
         eine Minderheit psychoaktiv wirken, allen voran    Im Gegensatz zum fein abgestimmten Einfluss
         Tetrahydrocannabinol (THC) und                     der Endocannabinoide wie Anandamide kann
         Cannabidiol (CBD), die teils Gegenspieler sind.    von außen zugeführtes THC eine übersteigerte
         Nur die weibliche Hanfpflanze der Gattungen        Dopamin-Ausschüttung im ventralen Striatum
         „Cannabis sativa“ und „Cannabis indica“            bewirken, was letztlich verantwortlich ist für die
         enthalten in den Blüten und blütennahen Blättern   berauschende Wirkung aber auch mögliche
         ausreichend THC, um eine Rauschwirkung zu          psychotische Nebenwirkungen. Speziell beim
         erzeugen. Konsumiert wird Cannabis in Form         Rauchen von Cannabis-Produkten kommt es
         von Marihuana oder Haschisch. Unter                innerhalb weniger Sekunden zu einem Wirkein-
         Marihuana verstehen wir die getrockneten           tritt, wobei die rasche Anflutung von THC das
         Blüten, Haschisch wiederum ist das                 Belohnungssystem besonders anregt und damit
         gewonnene Harz aus den Drüsen der Blüte.           für das Suchtpotential verantwortlich ist. Auch
         Abgesehen vom Inhalieren des Rauches oder          wenn die subjektiv meist angenehm empfundene
         Dampfes in Form von Joints oder Wasserpfeifen,     Wahrnehmungsveränderung nur wenige
         kann THC durch die hohe Fettlöslichkeit in Öl      Stunden anhält, kann die Verminderung der
         oder Butter gelöst und zum Kochen oder             kognitiven und motorischen Funktionen noch
         Backen verwendet werden.                           Tage nachwirken und unter anderem die
                                                            Fahrtüchtigkeit beeinflussen.2
         Immer mehr Länder erlauben den Einsatz von
         Marihuana auf Rezept. Zuletzt ist nun seit März    Abgesehen von den Wirkstoffen aus der Hanf-
         2017 für besondere Fälle die Verschreibung in      pflanze wurden seit Anfang der 1980er Jahre
         Deutschland legalisiert worden. Einen sinnvollen   aus wissenschaftlichen Zwecken mehrere
         medizinischen Grund für den Einsatz dieser         Hundert synthetische Cannabinoide entwickelt,
         getrockneten Blüten, die meist als Joints          die seit Anfang dieses Jahrtausends unter
         geraucht werden, gibt es nicht. Denn verschreib-   Namen wie „Spice“ oder „K2“ eine zunehmende
         bare Arzneimittel auf Basis von Cannabis gibt es   Rolle als illegale Drogen spielen, da sie meist
         bereits.                                           stärker wirken als THC und leider noch günsti-

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ger erhältlich sind. Der größte Teil hiervon wird     rung zwischen 15 und 64 Jahren an, zumindest
in China mehr oder weniger legal produziert und       einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert
über das Internet gehandelt.                          zu haben. Die Zahl derer, die Cannabis in den
                                                      letzten 30 Tagen konsumiert hat, liegt bei den
Aber auch natürliches Cannabis wird zuneh-            letzten Erhebungen um 5 Prozent, allerdings mit
mend gefährlicher, denn die Konzentration von         einer deutlich steigenden Tendenz in den
THC ist in den letzten drei Jahrzehnten um das        letzten 15 Jahren. Genaue Angaben zur
10- bis 15-fache gestiegen durch entsprechend         Prävalenz von Cannabis-Abhängigkeit liegen in
professionelle Züchtungen. Da die Hanfpflanze         Österreich nicht vor. In Deutschland leiden laut
THC und CBD aus der gleichen Vorläufersubs-           Deutscher Hauptstelle für Suchtfragen
tanz synthetisiert, geht die erhöhte THC-Pro-         0,5 Prozent an Cannabis-Abhängigkeit und
duktion  auf Kosten
Zusammenfassung:      der  CBD-Synthese.  Dadurch     weitere 0,5 Prozent an Cannabis-Abusus nach
ist das heutige Marihuana nicht nur weit ge-          DSM IV Kriterien.
Cannabis-haltige
fährlicher als früherArzneimittel
                      wegen dem können    für manche Indikationen nach Ausschöpfung anderer
                                  extrem hohen
Alternativen
THC-Gehalt von einebis
                     legitime Möglichkeit
                       zu 30 Prozent,     darstellen. Wie
                                      sondern             bei anderen
                                                      Langfristige       Medikamenten
                                                                      Folgen    des      auch
müssen    hier  Wirksamkeit   und potentielle
auch wegen der niedrigen CBD-Konzentration.   Nebenwirkungen    sorgfältig
                                                      Cannabis-Konsums:    abgewogen    werden.
 CBD wirkt
Medial    wirdbei entsprechender
                Cannabis              Dosis antipsycho-
                             in den letzten     Jahren als Freizeitdroge
                                                                  Im Gegensatz   weitgehend
                                                                                    zum Mythos,  verharmlost   und als
                                                                                                     Cannabis wäre   eine
 tisch und könnte
Medikament       zumsoWundermittel
                         die Psychosehochgepriesen.
                                          als Nebenwir- Dadurch             wird die   Kluft zwischen    der
                                                                  harmlose Droge, gibt es zunehmende Evidenz
 kung des THC von
Mystifizierung     verhindern.
                         Cannabis Nochundvorden
                                             20 Jahren
                                                  tatsächlichenfürwissenschaftlichen         Fakten
                                                                       die Gefährlichkeit eines        immer größer.
                                                                                                   regelmäßigen  Kon-
 lag im
Die      Marihuana ein
      Legalisierung     vonVerhältnis
                             Cannabis  zwischen     THC
                                          als Genussmittel        ist keine   medizinische     sondern    eine
                                                                  sums. An dieser Stelle können nur beispielhaft
 und CBD von ca. 10 zu 1Frage.
gesellschaftspolitische          vor. Heute   ist eseiner
                                        Vorteile      fast solchen    Legalisierung
                                                                  einige                wären
                                                                           wenige Studien        Entkriminalisierung
                                                                                             zitiert werden. Im Rahmen
der Konsumenten, Entlastung der Exekutive und Justiz,
 100  zu  1 für THC.  3
                        Somit   ist das  Argument      jener,     einer 25 Steuereinnahmen        usw. Der Nachteil
                                                                             Jahre dauernden Langzeit-Studie       in
läge   in der in
 die meinen    erhöhten    Verfügbarkeit,
                  den 1960er,    70er oder 80erwelcheJahresicherlich   zu  mehr  Konsum      und   damit  mehr
                                                                  Neuseeland wurden bei 1000 Personen Verän-
assoziierten     Erkrankungen
 Marihuana geraucht       zu habenführen     würde.einen
                                      ohne davon        Aufgabederungen
                                                                    der Medizindes ist es, einerseits (IQ) zwischen
                                                                                   Intelligenz-Quotient
entsprechende
 Schaden genommen   Aufklärungsarbeit
                           zu haben nichtzu      leisten und andererseits
                                              unbedingt                          die  gleichen
                                                                  dem 18. und 38. Lebensjahr      Qualitätsstandards
                                                                                                      gemessen und
wie   auch bei
 umlegbar        anderen
             auf das  heutigeArzneimittel
                                 Marihuana.anzuwenden. mit dem individuellen Cannabis-Konsum korre-
                                                                  liert.4 Bei den Personen, die als Minderjährige
 Prävalenz von Konsum und Sucht:                                  mit regelmäßigem Konsum begannen, fiel der
Abbildung     1: Veränderung        des  IQ
 Laut Drogenbericht der Gesundheit Österreichvom    18.  bis   zumIQ38.
                                                                      bisLebensjahr     durch Cannabis.
                                                                           zum 38. Lebensjahr      hoch signifikant um
Signifikante    Reduktion     des   IQ  bei
 GmbH geben 20 bis 25 Prozent der Bevölke-   Beginn     des   regelmäßigen
                                                                  ca. 10 Prozent (p=0,0002) (siehe in
                                                                                Cannabis-Konsums            der
                                                                                                         Abbildung   1).
Jugend.

    Abbildung 1: Veränderung des IQ vom 18. bis zum 38. Lebensjahr durch Cannabis. Signifikante
          Reduktion des IQ bei Beginn des regelmäßigen Cannabis-Konsums in der Jugend.
Literatur
    1. Hu SS et al: Distribution of endocannabinoid system in the central nervous system. In:
       Pertwee RG: Handbook of experimental pharmacology. Springer 2015
                                                                                                                               5
    2. Volkow ND: Adverse health effects of marijuana use. NEJM 2014; 370(23): 2219-27
    3. ElSohly MA et al: Changes in Cannabis Potency Over the Last 2 Decades (1995-2014):
Im Blickpunkt Information für Vertragspartner - Cannabis als Wundermittel? Multiple Sklerose: Epidemiologie und Therapie Solidaritätsprinzip in ...
I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

         Andere Faktoren wie Schulbildung, Alkohol- oder       allerdings nicht legal, weshalb der Umweg über
         Drogenkonsum und psychische Erkrankungen              CBD beschritten wird. Nabilone ist ein voll
         wurden statistisch kontrolliert und erklären somit    synthetisches THC-Analogon. Während Drona-
         nicht dieses Ergebnis. Auch wenn diese Studie         binol und Nabilone ausschließlich THC bzw. ein
         kontrovers diskutiert wurde, stellt sich die Frage,   THC-Derivat enthalten, besteht Sativex aus etwa
         ob die betroffenen Personen bei weiterem              gleich viel THC und CBD, und ist somit
         häufigen Cannabis-Konsum im Laufe der                 medizinisch gesehen sinnvoller, weil Cannabidiol
         kommenden Jahrzehnte einer vorzeitigen                Nebenwirkungen des THC wie Psychose entge-
         dementiellen Entwicklung entgegensteuern              genwirkt. Sativex ist allerdings in Österreich nicht
         werden.                                               im Erstattungscodex und die Kosten werden nur
                                                               im ausreichend begründeten Einzelfall übernom-
         Dass es einen Zusammenhang zwischen                   men. CBD selbst gilt als Nahrungsergänzungs-
         THC-Konsum und gehäuftem Auftreten von                mittel und wird somit ohne strenge Auflagen
         Schizophrenie gibt, ist oft beschrieben worden.       von verschiedensten Firmen angeboten. Diese
         Mittels PET-CT konnte gezeigt werden, dass            Regelung ist nicht nachvollziehbar, auch wenn
         auch bei Verwandte ersten Grades von Schizo-          CBD keine berauschende Wirkung und kein
         phrenen nach einmaligem Cannabis-Konsum die           Suchtpotential birgt.
         Dopamin-Ausschüttung stark ansteigt im
         Striatum, bei Gesunden ohne genetische Vor-           Die klassischen Indikationen der THC-haltigen
         belastungen hinsichtlich Psychose aber kaum.5         Arzneimittel ist Übelkeit unter Chemotherapie
         Genetische Faktoren sind also relevant für die        und Kachexie bei lebensbedrohlichen Erkran-
         Entwicklung einer chronischen Psychose durch          kungen. Ansonsten hilft THC manchmal bei
         Cannabis.                                             Spastik z.B. im Rahmen von multipler
                                                               Sklerose oder bei neuropathischen Schmerzen.
         In letzter Zeit beschreiben immer mehr wissen-        Bei all diesen Erkrankungen können die am
         schaftliche Veröffentlichungen die Zusammen-          Markt befindlichen THC-Medikamente zwar
         hänge zwischen dem Rauchen von Canna-                 helfen, allerdings sind die Nebenwirkungen
         bis-Produkten und Pneumonie, chronische               häufig stärker als bei anderen Medikamenten
         Bronchitis, COPD und Lungenkrebs.6                    für die gleichen Indikationen, so dass von einem
                                                               Mittel 1. Wahl nicht gesprochen werden kann.
         Dauerhafter Cannabis-Konsum bewirkt deutliche         Und der Einsatz von Marihuana selbst wird
         Leistungseinbußen bei Gedächtnis, Motivation          entsprechend der vorliegenden Daten für diese
         und kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit.           Indikationen explizit nicht empfohlen.8 Für andere
         Bei Beginn des regelmäßigen Konsums in der            Erkrankungen wie Morbus Crohn, rheumatische
         Jugend können diese Symptome auch nach                oder gar psychiatrische Erkrankungen wird vom
         Beendigung des Cannabis-Abusus persistie-             Einsatz von jeglichem Cannabis abgeraten.9
         ren.7 Da die Prozesse der Hirnreifung ungefähr
         bis zum 25. Lebensjahr andauern, sollte also          Interessant könnte in Zukunft die Anwendung
         aus medizinischer Sicht vom Cannabis-Konsum           von CBD in der Medizin werden. Es wirkt zwar
         nicht nur während der Jugend, sondern auch            nicht berauschend, hat aber unter anderem
         während des jungen Erwachsenenalters dringlich        antiepileptische, anxiolytische und antipsychoti-
         abgeraten werden.                                     sche Eigenschaften.10
                                                               In einer Studie wurden Amisulprid und CBD
         Cannabis als Medizin:                                 doppelblind in ihrer antipsychotischen Wirkung
         Dronabinol ist ein Medikament, das in einem           bei akuter Schizophrenie verglichen bei gleicher
         etwas umständlichen Prozess aus der natür-            Dosierung von 600 bis 800 mg. Beide
         lichen Hanfpflanze gewonnen wird, in dem das          Substanzen schnitten fast gleich gut ab.11
         CBD extrahiert wird, um daraus in einem che-          Tatsächlich hat die Pharmaindustrie bereits
         mischen Verfahren THC herzustellen. Natürlich         begonnen, Hanfpflanzen zu züchten, bei denen
         wäre es per se viel einfacher, von vornherein aus     das Verhältnis zwischen CBD und THC
         der Pflanze THC zu extrahieren. Dies ist              umgekehrt also zu Gunsten von CBD ist.

   6
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Für die Anwendung als Freizeitdroge spielen        Vorteile einer solchen Legalisierung wären
solche Züchtungen mangels berauschender            Entkriminalisierung der Konsumenten, Entlas-
Wirkung natürlich keine Rolle.                     tung der Exekutive und Justiz, Steuereinnahmen
Die üblichen Qualitätsstandards in der Medizin     usw. Der Nachteil läge in der erhöhten Verfüg-
erfordern bei der Verschreibung eines Arznei-      barkeit, welche sicherlich zu mehr Konsum und
mittels die genaue Angabe der Substanz,            damit mehr assoziierten Erkrankungen führen
Dosierung, Einnahmefrequenz und -dauer.            würde.
All dies ist bei der Anwendung von Marihuana
nicht möglich. Weder kann man die Substanz         Aufgabe der Medizin ist es, einerseits entspre-
eingrenzen, da die Blüte der Hanfpflanze viele     chende Aufklärungsarbeit zu leisten und ande-
verschiedene Cannabinoide enthält, von denen       rerseits die gleichen Qualitätsstandards wie auch
die meisten noch nicht einmal in ihren Wirkungen   bei anderen Arzneimittel anzuwenden.
und Nebenwirkungen ausreichend untersucht
sind.                                              Literatur
                                                   1. Hu SS et al: Distribution of
Ebenso wenig ist eine genaue Dosis-
                                                      endocannabinoid system in the central
angabe möglich, zumal je nach Gattung und
                                                      nervous system. In: Pertwee RG: Handbook
Züchtung die Konzentration von THC und das
                                                      of experimental pharmacology. Springer 2015
Verhältnis von THC zu CBD unterschiedlich sind.
Dementsprechend machen Angaben zu                  2. Volkow ND: Adverse health effects of
Einnahmefrequenz und Dauer auch wenig Sinn.           marijuana use. NEJM 2014; 370(23):
Und je nach Applikationsform, also Rauchen            2219-27
des Joints, Inhalieren des Dampfes mittels         3. ElSohly MA et al: Changes in Cannabis
Wasserpfeife oder Zubereitung in Lebensmittel,        Potency Over the Last 2 Decades
unterscheidet sich auch die aufgenommene              (1995-2014): Analysis of Current Data in
Menge, Absorptionsgeschwindigkeit, maximaler          the United States. Biol Psychiatry 2016;
Blutspiegel und Wirkdauer. Somit widerspricht         79(7):613-9
die Verschreibung von Marihuana als Medika-        4. Meier MH et al: Persistent cannabis users
ment jeglichem Standard der modernen                  show neuropsychological decline from
evidenzbasierten Medizin. Dies wiederrum wirft        childhood to midlife. Proc Natl Acad Sci
die Frage auf, ob das Rezeptieren von                 2012; 109(40):e2657-64
Marihuana ethisch vertretbar wäre, sofern          5. Kuepper R et al: Delta-9-tetrahydro-
gesetzlich zugelassen wie in weiten Teilen der        cannabinol-induced dopamine release as
USA und seit Kurzem in Deutschland.                   a function of psychosis risk: 18F-fallypride
                                                      positron emission tomography study. PLoS
Zusammenfassung:
                                                      One 2013; 8(7):e70378
Cannabis-haltige Arzneimittel können für           6. Macleod J et al: Cannabis, tobacco smoking,
manche Indikationen nach Ausschöpfung                 and lung function: a cross-sectional
anderer Alternativen eine legitime Möglichkeit        observational study in a general practice
darstellen. Wie bei anderen Medikamenten auch         population. Br J Gen Pract 2015;
müssen hier Wirksamkeit und potentielle Neben-        65(631):e89-95
wirkungen sorgfältig abgewogen werden.
                                                   7. Hall W et al: The health and social effects of
Medial wird Cannabis in den letzten Jahren als
                                                      nonmedical cannabis use. WHO 2016
Freizeitdroge weitgehend verharmlost und als
Medikament zum Wundermittel hochgepriesen.         8. Petzke F et al: Efficacy, tolerability and safty
Dadurch wird die Kluft zwischen der Mystifizie-       of cannabinoids for chronic neuropathic pain:
rung von Cannabis und den tatsächlichen               A systematic review of randomized controlled
wissenschaftlichen Fakten immer größer. Die           trials. Schmerz 2016;30(1):62-88
Legalisierung von Cannabis als Genussmittel ist    9. Fitzcharles MA et al: Efficacy, tolerability and
keine medizinische sondern eine gesellschafts-        safty of cannabinoids in chronic pain
politische Frage.                                     associated with rheumatic deseases

                                                                                                            7
I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

                                                              Buchtipp: Autor: Dr. Kurosch Yazd
                                                              verharmlost wird und wer daran ve
             (fibromyalgia syndrome, back pain,
             osteoarthritis, rheumatoid arthritis):
             A systematic review of randomized
             controlled trials. Schmerz. 2016;30(1):47-61
         10. Devinsky O et al: Cannabidiol: pharmacology
             and potential therapeutic role in epilepsy and
             other neuropsychiatric disorders. Epilepsia.
             2014; 55(6):791-802
         11. Leweke FM et al: Cannabidiol enhances
             anandamide signaling and alleviates
             psychotic symptoms of schizophrenia.
             Transl Psychiatry 2012; 20;2:e94

         Buchtipp:
         Autor: Dr. Kurosch Yazdi, Titel: Die Cannabis-
         Lüge. Warum Marihuana verharmlost wird und
         wer daran verdient. Verlag: Schwarzkopf &
         Schwarzkopf, 2017, Berlin

         Verfasser:
         Dr. Kurosch Yazdi, Facharzt für Psychiatrie und
         psychotherapeutische Medizin
         Leiter der Klinik für Psychiatrie mit
         Schwerpunkt Suchtmedizin, Kepler
         Universitätsklinikum
         kurosch.yazdi@kepleruniklinikum.at

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 Informationsplattform Arzneimittelsicherheit
 Plattform unterstützt bei sicherer Arzneimittelverschreibung und Vermeidung
 von Medikationsfehlern

Ärztinnen und Ärzte sind bei der Verschrei-               zum Arzneimittelsystem und dient dem raschen
bung von Arzneimitteln mit zahlreichen                    Nachlesen wie der individuellen Fortbildung.
Informationen und Anforderungen konfrontiert.             Zu finden ist sie im Bereich Professional unter
Besondere Herausforderungen stellen sich bei              „gesundheit.gv.at“. Es gelten die strengen Quali-
Zielgruppen wie Älteren    oder  Kindern,  bei-           tätskriterien des österreichischen Gesundheits-
                        Informationsplattform Arzneimittelsicherheit
spielwiese durch Polypharmazie oder erhöhten              portals, wie Transparenz und Unabhängigkeit.
Off-Label-Use. Leitlinien und Informationen dazu
        Plattform unterstützt bei sicherer Arzneimittelverschreibung und Vermeidung von
sind oft nicht „auf einen Griff“ zu finden.               Themenschwerpunkt
Die Gesundheit Österreich GmbH hat daher     Medikationsfehlern
                                                          „Polypharmazie & ältere Menschen“:
Anfang 2017 im Österreichischen Gesundheits-              Gerade im höheren Lebensalter steigt das Risiko
                                           Mag. Heidi Stürzlinger
portal ein Informationsservice zur Unterstützung          von Arzneimittelwechselwirkungen      durch die
                                       Gesundheit Österreich      GmbH
einer sicheren und effizienten Verschreibung von          gleichzeitige Einnahme    mehrerer  Medikamente.
                                          Stubenring 6, 1010 Wien
Arzneimitteln eingerichtet.                               Viele Substanzen oder Substanzkombinationen
Ärztinnen und Ärzte sind bei der Verschreibung            sindvon
                                                               außerdem    nicht fürmit
                                                                   Arzneimitteln     ältere Menschen unter-
                                                                                        zahlreichen
Ziel der Plattform ist es, „Health Professionals“         sucht. Auch Leitlinien gehen meist bestenfalls
Informationen
zu ausgewähltenund      Anforderungen
                    Themen                konfrontiert. Besondere Herausforderungen stellen sich
                              mit evidenzbasierten        kursorisch auf diese Patientengruppe ein. Inter-
Informationen und praxisrelevanten Instrumen-beispielwiese
bei  Zielgruppen     wie Älteren  oder  Kindern,                   durch Polypharmazie oder erhöhten
                                                          aktionen, Wechselwirkungen (auch zwischen
Off-Label-Use.
ten in gebündelter Leitlinien
                      Form zu und   Informationen
                               versorgen.  Sie bietetdazu verschriebenen
                                                           sind oft nicht „auf  einen Griff“ zu
                                                                           rezeptpflichtigen     finden. Die
                                                                                              Medikamenten
Zugriff sowohl   auf themenbezogene      Tools
Gesundheit Österreich GmbH hat daher Anfang 2017und             im Österreichischen
                                                          und OTC-Präparaten             Gesundheitsportal
                                                                                  oder Nahrungsergän-
Leitfäden,  als auch   auf allgemeine  Grundlagen
ein Informationsservice zur Unterstützung einer sicheren  zungsmitteln)  „Therapiemüdigkeit“
                                                                     und effizienten            und für von
                                                                                      Verschreibung     diese
Arzneimitteln eingerichtet.

Ziel der Plattform ist es, „Health Professionals“ zu ausgewählten Themen mit
evidenzbasierten Informationen und praxisrelevanten Instrumenten in gebündelter Form zu
                                                                                                                   9
versorgen. Sie bietet Zugriff sowohl auf themenbezogene Tools und Leitfäden, als auch auf
allgemeine Grundlagen zum Arzneimittelsystem und dient dem raschen Nachlesen wie der
I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

         Zielgruppe potenziell inadäquate Medikation ge-       unterschiedlichen Ebenen aufgegriffen: Einerseits
         hören zu den Herausforderungen und bewirken           soll durch mehr Kinder einschließende Arzneimit-
         in Summe möglicherweise, dass Therapieziele           telstudien das Wissen zum Thema Arzneimittel
         nicht erreicht werden. Verschiedenste Strategien      für Kinder und die Zahl der Zulassungen von
         wurden in den letzten Jahrzenten international        Arzneimitteln für Kinder erhöht werden. Ande-
         und national entwickelt, um dem zu begegnen           rerseits gilt es, den verschreibenden Ärztinnen
         und negative Folgewirkungen zu reduzieren;            und Ärzten konkrete Hilfestellungen in die Hand
         dabei geht es sowohl um das Weglassen unge-           zu geben – so wurden in verschiedenen euro-
         eigneter als auch die Aufnahme geeigneter Me-         päischen Ländern Projekte zur Entwicklung von
         dikamente ins Therapieregime. Instrumente zur         Online-Datenbanken für pädiatrische Dosierun-
         Medikationsbewertung unterstützen beispiels-          gen verwirklicht.
         weise dabei – periodisch oder anlassgebunden
         – individuelle Medikamentenlisten von Patientin-      Die Plattform bietet Detailinformationen zu
         nen/Patienten zu durchforsten und systematisch        folgenden Themenbereichen:
         zu überprüfen.                                        • Kurzzusammenfassungen relevanter Informa-
                                                                   tionen zur Anwendung von Arzneimitteln
         Die Plattform bietet Detailinformationen zu               an Kindern,
         folgenden Themenbereichen:
                                                               • eine Übersicht zu Datenbanken zur Anwen-
         • Leitfragen zur Medikationsbewertung:                    dung von Arzneimitteln an Kindern (jeweils
             Ein Gerüst an Leitfragen wie beispielsweise           gegliedert nach Quelle/Zugriffsmöglichkeit,
             beim „Medication Appropriateness Index“               Land, Sprache, Pro und Kontra, inhaltlicher
             (MAI) hilft, strukturiert und pro Medikament          Fokus, Anwenderzielgruppe)
             alle wichtigen Punkte, von der Indikation über
                                                               • Kurzzusammenfassungen relevanter Informa-
             Wechselwirkungen bis hin zur Therapiedauer
                                                                   tionen zur Forschung von Arzneimitteln an
             und Wirtschaftlichkeit durchzugehen und be-
                                                                   Kindern.
             rücksichtigt eine mögliche Unterversorgung.
         • Listen „potenziell ungeeigneter“ bzw.
                                                               Erarbeitet werden die Inhalte für die Seite
             „potenziell geeigneter“ Medikamente
                                                               über eine Internet- und Literaturrecherche, er-
             wie z.B. die Österreichische PIM-Liste
                                                               gänzt durch den Austausch mit einschlägigen
         • Leitlinien, Leitfäden, Broschüren                   Expertinnen/Experten. Nach Sichtung und Be-
         • Weitere Informationen                               wertung der Informationsquellen nach vorher
             z.B. über Literatur zum Weiterlesen und           festgelegten Kriterien wird die Konzeptfassung
             Österreichische Studien                           in einem Workshop ärztlichen und pharmazeuti-
                                                               schen Expertinnen/Experten aus verschiedenen
         Themenschwerpunkt                                     Bereichen des Gesundheitswesens präsentiert
         „Kinderarzneimittel“:                                 und zur Diskussion gestellt.
         Die Verschreibung von Arzneimitteln für Kinder
                                                               WEITERE INFORMATIONEN:
         und Jugendliche stellt Ärztinnen und Ärzte vor
                                                               https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitssys-
         eine besondere Herausforderung, da für viele
                                                               tem/professional/arzneimittelsicherheit/inhalt
         Arzneimittel - aufgrund fehlender Studiendaten -
         eine pädiatrische Indikation fehlt oder nur die An-
         wendung an bestimmten Altersgruppen empfoh-
         len wird. Das zieht die verstärkte Notwendigkeit
         eines Off-Label-Einsatzes nach sich. Zahlreiche
         Projekte in Österreich, anderen europäischen
         Ländern, und auf EU-Ebene verdeutlichen die
         Aktualität der Thematik. Entsprechende Leitlinien
         werden von Fachgesellschaften entwickelt, in
         vielen Bereichen fehlen jedoch fundierte Daten.
         Die Problematik des Off-Label-Use wird auf

   10
bgkk.at

 Gesundheitseffekte von Übergewicht und
 Fettleibigkeit in 195 Ländern über 25 Jahre (1)

Die „Global Burden of Disease 2015 Obesity             rechtzeitige Identifikation von Übergewicht und
Collaborators“ haben Daten von 68,5 Millionen          Adipositas gepaart mit der Implementierung und
Personen im Zeitraum 1980 bis 2015 analysiert,         Evaluation von evidenzbasierten Interventionen
um Trends in der Prävalenz von Kindern und             notwendig sind, um die Krankheitslast und die
Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas            Sterblichkeit zu reduzieren. Sehen Sie dazu den
aufzuzeigen. Zusätzlich wurde die Krankheitslast,      Artikel: Neu: Evidenzbasierte Handlungsempfehl-
die durch einen hohen Body Mass Index (BMI)            ungen für die Betreuung von Erwachsenen/
je nach Alter und Geschlecht entsteht, in 195          Kindern mit Übergewicht und Adipositas, die
Ländern zwischen 1990 und 2015 dargestellt.
                                                       Ärzte und andere Gesundheitsberufe unter-
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Prävalenz
                                                       stützen, Patientinnen und Patienten mit
von Adipositas seit 1980 in mehr als 70 Ländern
                                                       Adipositaserfolgreich zu betreuen.
verdoppelt hat und auch in den meisten anderen
analysierten Ländern ansteigt. Ein hoher BMI ist
für 4 Millionen Sterbefälle weltweit verantwortlich,   (1) GBD 2015 Obesity Collaborators: Health
2/3 davon sind auf kardiovaskuläre Erkrankungen        Effects of Overweight and Obesity in 195
zurückzuführen. Die Analysenergebnisse dieser          Countries over 25 Years. N Engl J Med. 2017 Jul
großen Datenmenge machen deutlich, dass eine           6;377(1):13-27

 Neu: Evidenzbasierte Handlungsempfehl-
 ungen für die Betreuung von Erwachsenen/
 Kindern mit Übergewicht und Adipositas,
die Ärzte und andere Gesundheitsberufe unter-          zur Therapie von Übergewicht/ Adipositas, die
stützen, Patientinnen und Patienten mit                seit kurzem vorliegen2. Aus 23 aktuellen evidenz-
Adipositas erfolgreich zu betreuen. Sie haben          basierten Leitlinien (Publikationsdatum ab 2011)
oft unzutreffende Meinungen über Patienten mit         wurden Handlungsempfehlungen mit hohem
Adipositas, kaum Ausbildung in Verhaltens-             Empfehlungsgrad extrahiert für die Bereiche
änderung und wenig Erfahrung dabei, in einem           Anamnese, Diagnostik, Risikoeinschätzung,
interdisziplinären Team zu arbeiten1.                  Ernährung oder Diät, Bewegung, Verhaltensthe-
                                                       rapie, pharmakologische Therapie sowie die Be-
Das Institut für Allgemeinmedizin und evidenz-         treuung vor und nach bariatrischen Operationen.
basierte Versorgungsforschung (IAMEV) der              Die Behandlungspfade (getrennt für Erwachsene
Medizinischen Universität Graz entwickelte nun         und für Kinder/ Jugendliche) wurden als Algorith-
strukturierte, evidenzbasierte Behandlungspfade        mus mit Infoboxen abgebildet.

1 Dietz et al. Management of obesity: improvement of health-care training and systems for prevention
  and care. Lancet 2015; 385(9986): 2521-2533
2 Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung, Medizinische Universität
  Graz. (Be)Handlungspfad Übergewicht & Adipositas auf Primärversorgungsebene, 2016

                                                                                                             11
I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

         Der 2. Teil des Berichtes befasst sich mit der      Ø adipöse Kinder/Jugendliche im Alter von 6-18
         Aufgabenverteilung im multiprofessionellen Team.      Jahren sollen Lebensstilinterventionen mit dem
         Abgeleitet aus den Leitlinien wäre die Begleitung     Ziel der Gewichtsreduktion erhalten
         der Menschen mit Übergewicht/Adipositas auf         Ø insgesamt mindestens eine Stunde/Tag
         Primärversorgungsebene zumindest durch                aktives Spiel, andere Aktivitäten des täglichen
         folgende Berufsgruppen anzustreben: Arzt für          Lebens (z.B. Gehen, Radfahren, Treppen
         Allgemeinmedizin, Qualifizierte Ernährungsfach-       steigen) oder strukturierte Bewegung (z.B.
         kraft, Qualifizierte Fachkraft für Bewegungs-/        Fußball, Schwimmen, Tanzen) mit moderater
         Sporttherapie, Gesundheitsberufe mit einer            bis intensiver Belastung in einer bis mehreren
         PSY-Kompetenz                                         Einheiten von mindestens 10 Minuten Dauer
                                                             Ø zur Erreichung eines gesunden Gewichts-
         Exemplarische Empfehlungen für Erwachsene:            managements sollen strukturierte Verhaltens-
         Ø Therapieziel ist ein Gewichtsverlust von rund       maßnahmen angeboten werden
           0,25 bis 1 kg pro Woche bzw. von 5 – 10 %         Ø Medikamente zur Gewichtsreduktion sollen für
           des Ausgangsgewichts in 6 Monaten                   Kinder und Jugendliche generell nicht einge-
         Ø durch die kalorienreduzierte Diät soll ein          setzt werden
           tägliches Energiedefizit von 500 bis 700 kcal
           bezogen auf den Gesamtumsatz erreicht             Die Behandlungspfade wurden mit Blick auf die
           werden                                            Primärversorgungsebene entwickelt (vor allem
         Ø aufgrund des erhöhten Komplikationsrisi-          PHC-Einrichtungen mit verschiedenen Gesund-
           kos sollen sehr niedrig kalorische Diäten nur     heitsberufen), können aber auch in allen ande-
           durchgeführt werden, wenn eine ausreichende       ren Versorgungsebenen herangezogen werden
           Erfahrung in der medizinischen Betreuung und      (Facharztordination, Einrichtungen der Kranken-
           ein intensives medizinisches Monitoring ge-       kassen, Ambulatorien, Spital sowie Einrichtungen
           währleistet sind                                  für Kuraufenthalt/ Rehabilitation).
         Ø die körperliche Aktivität soll mit insgesamt
                                                             Maßnahmen können im niedergelassenen
           moderater Intensität für zumindest
                                                             Bereich nur insoweit bezahlt werden, als sie in die
           150 Minuten pro Woche (5 Einheit zu je
                                                             Leistungspflicht der Krankenversicherung fallen.
           30 Minuten) erfolgen
         Ø Krafttraining alleine ist für eine Gewichts-      Das Hauptdokument, die Behandlungspfade und
           reduktion wenig effektiv                          Infoboxen sind auf der Homepage des Hauptver-
         Ø die Betreuung kann individuell oder in            bandes der österr. Sozialversicherungsträger als
           Gruppen erfolgen, wobei eine Gruppen-             Download verfügbar:
           betreuung bevorzugt werden soll                   http://www.hauptverband.at/portal27/hvbportal/
         Ø ein „off-label“-Einsatz von Arzneimitteln zur     content?contentid=10007.775475
           Gewichtsreduktion (z.B. Amphetamine,
           Diuretika, humanes Choriongonadotropin,                                     Mag. Bettina Maringer
           Testosteron, Thyroxin und Wachstums-                       Abteilung Vertragspartner Spitäler (VPS)
           hormone ) soll nicht erfolgen                        Hauptverband der österr. Sozialversicherungs-
                                                                                                  träger, Wien
         Empfehlungen für Kinder/ Jugendliche (Auswahl):                                  Tel. 01/71132/3412
                                                                      bettina.maringer@sozialversicherung.at
         Ø Eltern oder Erziehungsberechtigte sollen die
           Verantwortung für die Lebensstiländerung des
           Kindes/Jugendlichen übernehmen, vor allem
           bei jüngeren Kindern bis zum 12. Lebensjahr
         Ø übergewichtige Kinder/Jugendliche (2-18
           Jahre) sowie adipöse Kinder im Alter von 2-5
           Jahren sollen Lebensstilinterventionen mit dem
           Ziel der Gewichtsstabilisierung bzw. der Ver-
           langsamung der Gewichtszunahme erhalten

   12
bgkk.at

 Multiple Sklerose: Epidemiologie und
 Therapie

Epidemiologie (1)                                   - die Therapie soll von einschlägigen Zentren
                                                      initiiert und überwacht werden
Auf Basis von Routinedaten der österreichischen
Sozialversicherungsträger wurden die Erkran-        - Interferon oder Glatiramer sind die Therapien
kungshäufigkeit und die Neuerkrankungsrate der        der Wahl beim klinisch isolierten Syndrom
Multiplen Sklerose (MS) erhoben. 13.205 Perso-      - die Therapie bei schubförmiger MS soll
nen hatten im Analysenzeitraum 2010 bis 2013          frühzeitig beginnen
entweder einen Krankenhausaufenthalt mit der        - Interferon beta-1b, Interferon beta-1a und
Diagnose MS oder eine MS spezifische Medika-          Glatiramer sind die Basismedikamente bei
tion. Mittels eines validen statistischen Modells     schubförmiger MS; die fakultativ notwendige
konnte auch abgeschätzt werden, wie viele             Folgetherapie mit Teriflunomid,
MS-Patienten trotz bestehender Erkrankung in          Dimethylfumarat, Cladribin, Fingolimod,
den SV-Daten nicht abgebildet sind. Mit der           Daclizumab (bereits wieder vom Markt
capture-recapture Methode können unter Ein-           genommen, Anm. der Redaktion),
schluss von zwei Datenquellen auch jene Patien-       Natalizumab oder Alemtuzumab ist von der
ten abgeschätzt werden, die im Untersuchungs-         Patientencharakteristik und den Begleit-
zeitraum weder einen Krankenhausaufenthalt            erkrankungen abhängig, der Schwere der
mit MS-Diagnose noch eine MS-Medikation im            Erkrankung, dem Medikamentenneben-
niedergelassenen Bereich hatten. Die Jahresprä-       wirkungsprofil und der Verfügbarkeit der
valenz lag 2013 bei 13.340 Personen (95 %iges         Substanzen in den jeweiligen Gesundheits-
Konfidenzintervall: 11.811 bis 14.870) und die        systemen
Neuerkrankungen bei 1.638 Personen (1.209 bis
                                                    - bei sekundär progredienter MS steht
2.070).
                                                      Interferon im Vordergrund, bei notwendiger
Das statistische Modell zur Erhebung von
                                                      Folgetherapie Mitoxantron
MS Patienten, die keine medikamentöse Thera-
pie erhalten konnten/wollten, weist ca. 1.600       - bei primär progredienter MS hat nur
Patienten aus. Allerdings hat sich die Anzahl der     Ocrelizumab eine Zulassung (zum Zeitpunkt
verfügbaren Wirkstoffe für die Therapie der           der Veröffentlichung der Leitlinie bezog sich
MS in den letzten Jahren deutlich gesteigert          die Empfehlung auf die Zulassungsstudie, die
und weitere werden erwartet (Masitinib,               EMA-Zulassung erfolgte erst am 8.1.2018)
Ofatumumab, Ozanimod , Ponesimod,
Siponimod, ,…). Die Anzahl an MS Patienten,         Zur Therapiekontrolle wird empfohlen:
denen kein für sie passendes Therapiekonzept        - MRT 6 Monate und 12 Monate nach
angeboten werden kann, wird sich daher                 Therapiestart
deutlich reduzieren.                                - standardisierte MRT Protokolle sollen von MS
                                                       Erfahrenen beurteilt werden; dies inkludiert
Therapie (2)                                           auch das Monitoring einer möglichen
Zwei europäische Fachgesellschaften (European          multifokalen Leukoenzephalopathie
Academy of Neurology und European
Committee of Treatment of Research in               Zusätzlich wird empfohlen, die Vorgaben der
Multiple Sclerosis). haben die aktuellen            Fachinformationen betreffend der Dosierungs-
Leitlinien zur Therapie der MS publiziert und       empfehlung, den Warn- und Vorsichtshinweisen
geben folgende Empfehlungen ab:                     und den Kontraindikationen zu beachten.

                                                                                                        13
I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

         Intravasale Immunglobuline                          Literatur
         Keine Zulassung für die MS haben die                1 Salhofer-Polanyi S, Cetin H, Leutmezer F,
         intravasalen Immunglobuline (IVIg). Sie werden        Baumgartner A, Blechinger S, Dal-Bianco A,
         in der aktuellen europäischen Leitlinie (2) nicht     Altmann P, Bajer-Kornek B, Rommer P, Guger
         einmal angeführt.                                     M, Leitner-Bohn D, Reichardt B, Alasti F,
                                                               Temsch W, Stamm T: Epidemiology of
         Auch die Österreichische Multiple Sklerose            Multiple Sclerosis in Austria.
         Gesellschaft bewertet die IVig sehr kritisch (3):     Neuroepidemiology. 2017;49(1-2):40-44
         „Das Wesentliche in Kürze:                          2 Montalban X, Gold R, Thompson AJ,
         • Eine immunmodulierende Basis-Therapie der           Otero-Romero S, Amato MP, Chandraratna
           MS mit IVIg gilt aufgrund neuer Erkenntnisse        D, Clanet M, Comi G, Derfuss T, Fazekas F,
           als obsolet und ist daher zur Behandlung der        Hartung HP, Havrdova E, Hemmer B, Kappos
           MS nicht zugelassen („Off-Label-Use“).              L, Liblau R, Lubetzki C, Marcus E, Miller DH,
         • IVIg können in speziellen begründeten Ein-          Olsson T, Pilling S, Selmaj K, Siva A,
           zel-Fällen für eine begrenzte Zeit nach der         Sorensen PS, Sormani MP, Thalheim C,
           Geburt als Schubprophylaxe in einer Dosie-          Wiendl H, Zipp F: ECTRIMS/EAN guideline on
           rung von monatlich 0,2g/kg/KG herange-              the pharmacological treatment of people with
                                                               multiple sclerosis.
           zogen werden („Reservemedikament“), eine
                                                               Mult Scler. 2018 Jan 1:1352458517751049
           postpartale Behandlung mit IVIg wird aber
                                                               http://journals.sagepub.com/doi/
           nicht generell empfohlen.
                                                               pdf/10.1177/1352458517751049 Zugriff am
         • Ausschließliches Stillen hat einen moderaten        15.2.2018
           schubmindernden Effekt.                             Eur J Neurol. 2018 Feb;25(2):215-237
         • In den vergangenen Jahren sind neue krank-          http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/
           heitsmodifizierende Medikamente zur The-            ene.13536/epdf Zugriff am 15.2.2018
           rapie der schubförmigen MS zugelassen             3 Stellungnahme des Ärztebeirats der ÖGMS
           worden, die ihre Wirksamkeit durch randomi-         http://www.oemsg.at/artikel/da-
           sierte kontrollierte Studien („Goldstandard der     tum/2015/02/18/therapie-der-multiplen-
           klinischen Forschung“) belegen konnten. Es          sklerose-im-wandel-gibt-es-noch-eine-
           steht dadurch heute ein größeres Therapie-          berechtigung-fuer-den-einsatz-intraven/
           spektrum zur Verfügung (Abb.).                      Zugriff am 15.2.2018
           Die früher berechtigte Möglichkeit, IVIg als      4 Baumhackl U (Hg) (2014) Multiple Sklerose.
           „Zweite-Linie-Therapie“ bei Unverträglichkeit       Prävalenz und Therapie im 12-Jahres-
           oder fehlender Wirksamkeit einer Basisthera-        Vergleich in Österreich. Facultas Verlag
           pie mit Interferon-beta oder Glatirameracetat
           einzusetzen, ist daher nicht mehr zutreffend.
         • 2011 wurden im Rahmen des Projektes
           „Prävalenz der MS“ Daten über die Behand-
           lung in Österreich erhoben (4). Der hohe
           Prozentsatz von 12% an MS-Betroffenen,
           welche zum gegebenen Zeitpunkt eine
           IVIg-Therapie erhielten, zeigt auf, dass eine
           Aufklärung über die aktuelle Studienlage
           dringend erforderlich ist.“

                Auch bestehende Therapien mit
               intravasalen Immunglobulinen bei
              MS-Patienten sollten einer kritischen
                 Überprüfung zugeführt werden.

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Solidaritätsprinzip in der Praxis
anhand von Daten der österreichischen Krankenversicherungsträger

      Solidaritätsprinzip in der Praxis
„Die Solidarität der Besserverdienenden und Gesunden sichert die Finanzierung der medizinischen
                                                                                                                        1
Leistungen und gewährleistet die Gleichbehandlung finanziell schlechter gestellter Menschen.“
    anhand     von   Daten    der   österreichischen       Krankenversicherungsträger
Dieses Prinzip soll anhand der Medikamentenkosten der Anspruchsberechtigten der österreichischen
Krankenversicherungsträger veranschaulicht werden. Datenbasis sind die Abrechnungsdaten der SV-
Träger, die Medikation während stationärer oder ambulanter Krankenhausaufenthalte wird daher nicht
berücksichtigt. Die insgesamt 8,6 Mio. Anspruchsberechtigten können in drei Gruppen eingeteilt
werden. Die erste und gleichzeitig größte Gruppe mit gesamt 5.897.244 Personen ist jene, die
  „Die Solidarität
innerhalb          der Besserverdienenden
            eines Jahres     pro Person nichtund   mehr als € Jahres
                                                                100,-- pro    Person nicht mehr
                                                                         für Medikamente             als € 100,– für
                                                                                                mit Kostenübernahme
durch die österreichischen Krankenversicherungsträger erhält. Sie benötigen in Summe durch
  Gesunden    sichert  die Finanzierung     der                 Medikamente      mit  Kostenübernahme        € 110 die
                                                                                                                    Mio.
  medizinischen Leistungen und gewährleistet die                österreichischen Krankenversicherungsträger
des Solidarbudgets. 42 % aller Personen in dieser Gruppe benötigen gar keine von den
  Gleichbehandlung finanziell schlechter gestellter             erhält. Sie benötigen in Summe € 110 Mio. des
österreichischen Krankenversicherungsträgern finanzierte Medikation. Die zweite Gruppe hat einen
  Menschen.“ 1 Dieses Prinzip soll anhand der                   Solidarbudgets. 42 % aller Personen in dieser
Medikamentenbedarf von € 100,-- bis maximal € 1.000,-- pro Kopf und Jahr. Obwohl diese Gruppe mit
  Medikamentenkosten der Anspruchsberechtig-                    Gruppe benötigen gar keine von den österreichi-
2.108.993    Personen um fast
  ten der österreichischen          2/3 kleiner ist als die größte
                               Krankenversicherungs-            schenGruppe,      benötigen sie mit gesamt
                                                                        Krankenversicherungsträgern               € 769
                                                                                                            finanzierte
Mio.  zirka sieben  Mal   so  viel Mittel für Medikamente
  träger veranschaulicht werden. Datenbasis sind              aus  dem    Budget
                                                                Medikation.        der  Krankenversicherungsträger
wie
  diedie erste Gruppe. Dieder
      Abrechnungsdaten         dritte Gruppedie
                                   SV-Träger,   ist mit 609.218 Personen die kleinste Gruppe und umfasst nur
7 Medikation
   % aller Anspruchsberechtigten.
               während stationärer oder  Sie umfasst
                                              ambulanterjene Personen,
                                                                Die zweite dieGruppe
                                                                                am meisten     vomMedikamentenbe-
                                                                                       hat einen     Solidaritätsprinzip
profitieren. Ohne den finanziellen
  Krankenhausaufenthalte       wird daher Ausgleich
                                             nicht     der ersten
                                                                darfbeiden    Gruppen
                                                                      von € 100,–        wäre es €nicht
                                                                                     bis maximal           möglich,
                                                                                                      1.000,–        die
                                                                                                                pro Kopf
  berücksichtigt.
hohen    Medikamentenkosten von über € 1.000,-- pro             und   Jahr.und Jahr vom Gesundheitssystem zu
                                                                   Kopf
tragen. Diese Personen benötigen fast drei Mal so viel          Obwohl    diese Gruppe mitwie
                                                                   Medikamentenbudget           2.108.993    Personen
                                                                                                    die zweite   und 19
  Die insgesamt
Mal    so viel wie 8,6 die
                       Mio.erste
                              Anspruchsberechtigten
                                     Gruppe pro Jahr. In um          fast 2/3leistet
                                                                  Summe        kleinerdas
                                                                                       ist alssolidarisch
                                                                                               die größte Gruppe,
                                                                                                            organisierte
  können in drei Gruppen
Gesundheitssystem             eingeteilt
                        für diese         werden. Die
                                    Anspruchsberechtigten      €benötigen
                                                                  2 Mrd. pro sieJahr
                                                                                 mit gesamt     € 769
                                                                                      nur für ihre     Mio. zirka Die
                                                                                                    Medikamente.
  erste und gleichzeitig größte
gehaltsabhängigen                   Gruppe mit gesamt
                            Krankenversicherungsbeiträge        siebenmitMal so   viel Mittel
                                                                               einer          für Medikamente
                                                                                          solidarisch             aus
                                                                                                            getragenen
  5.897.244   Personen    ist jene,  die innerhalb   eines      dem    Budget   der  Krankenversicherungsträger
Ausgabenfinanzierung stellt die Medikamentenversorgung für alle Anspruchsberechtigten sicher.

         Abbildung 1). Medikamentenkosten aller Anspruchsberechtigten der österreichischen
                         Krankenversicherungsträger; Daten aus BIG, HVB
Abbildung 1). Medikamentenkosten aller Anspruchsberechtigten der österreichischen
Krankenversicherungsträger; Daten aus BIG, HVB
1
    Quelle: https://www.gesundheit.gv.at/lexikon/s/solidaritaetsprinzip-hk                                                    15
I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

         wie die erste Gruppe. Die dritte Gruppe ist mit        Die gehaltsabhängigen Krankenversicherungs-
         609.218 Personen die kleinste Gruppe und               beiträge mit einer solidarisch getragenen Aus-
         umfasst nur 7 % aller Anspruchsberechtigten.           gabenfinanzierung stellt die Medikamenten-
         Sie umfasst jene Personen, die am meisten vom          versorgung für alle Anspruchsberechtigten
         Solidaritätsprinzip profitieren. Ohne den finanziel-   sicher.
         len Ausgleich der ersten beiden Gruppen wäre
         es nicht möglich, die hohen Medikamentenkos-
         ten von über € 1.000,– pro Kopf und Jahr vom
         Gesundheitssystem zu tragen. Diese Personen
         benötigen fast drei Mal so viel Medikamenten-
         budget wie die zweite und 19 Mal so viel wie die
         erste Gruppe pro Jahr.
         In Summe leistet das solidarisch organisierte
         Gesundheitssystem für diese Anspruchs-
         berechtigten € 2 Mrd. pro Jahr nur für ihre
         Medikamente.

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 Für sie gelesen…

Cannabinoide in der Schmerz- und                    bei der Zulassung der Verschreibungsfähigkeit
Palliativmedizin                                    von Medizinhanf in Deutschland nicht berück-
                                                    sichtigt. Eine Chance für zukünftige evidenzba-
Am 10. März 2017 trat in Deutschland das
                                                    sierte Aussagen zur Wirksamkeit, Verträglichkeit
Gesetz zur „Änderung betäubungsmittelrecht-
                                                    und Sicherheit von Medizinhanf bei spezifischen
licher und anderer Vorschriften“ in Kraft.
                                                    Aussagen bietet die im erlassenen Gesetz vor-
Ärzte dürfen Patienten mit schwerwiegenden
                                                    geschriebene Begleitforschung.
Erkrankungen bei fehlender Therapiealternativen
Cannabinoide auf Kassenkosten verordnen.
                                                           Häuser W, Fitzcharles MA, Radbruch L,
Da die Evidenz für die Wirksamkeit, Verträglich-      Petzke F: Cannabinoids in pain management
keit und Sicherheit von Cannabinoiden in der               and palliative medicine—an overview of
Schmerz- und Palliativmedizin widersprüchlich                  systematic reviews and prospective
beurteilt wird, wurde von Häuser et al. eine         observational studies. Deutsches Ärzteblatt Int
systematische Übersicht über systematische                      2017; 114: 627–34. DOI: 10.3238/
Übersichtsarbeiten von randomisiert kontrollier-                                 arztebl.2017.0627
ten Studien und prospektiven, längerfristigen          https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/
Beobachtungsstudien durchgeführt.                   PMC5645627/pdf/Dtsch_Arztebl_Int-114-0627.
                                                                          pdf Zugriff am 29.3.2018
Während die öffentliche Wahrnehmung Canna-
bisprodukte in der Schmerz- und Palliativmedizin
als wirkungsvoll bewerten, haben diese laut         Über die (Nicht-)Wirksamkeit teurer
systematischen Übersichtsarbeiten und pro-          Krebsmedikamente
spektiven Beobachtungsstudien nur einge-
                                                    Die meisten Krebsmedikamente die zwischen
schränkte Evidenz. Lediglich bei chronischen
                                                    2009 und 2013 auf den Markt gekommen sind,
neuropathischen Schmerzen liegt ein ausrei-         hatten keine eindeutige Evidenz im Hinblick auf
chender (wenn auch aufgrund der niedrigen           Erhöhung der Lebensqualität oder Verlängerung
Stichprobengröße und der kurzen Studiendauer        der Lebenszeit. Auch nach Markteintritt konnte
mit einer niedrigen Validität zu bewertender)       für die meisten dieser Medikamente in
Nutzen vor. Keine ausreichende Evidenz liegt        randomisiert kontrollierten Langzeitstudien kein
vor bei Appetitverlust bei Krebserkrankungen        Nutzen in der Gesamtüberlebensrate oder in der
und HIV/AIDS, Fibromyalgiesyndrom, Morbus           Lebensqualität dokumentiert werden.
Chron, muskuloskelettalen Schmerzen, rheu-          Selbst wenn die Überlebensdauer im Vergleich
matoider Arthritis, chronischer Pankreatitis und    zu Standardtherapie verlängert werden konnte,
Tumorschmerz. Der Einsatz von Cannabinoiden         war dies meist ohne klinische Relevanz. Auch
ist daher nur als individueller Heilversuch anzu-   nach Markteinführung werden nur wenige neue
sehen. Außerdem sollten die relevanten zentral-     Informationen für Patienten und deren
nervösen und psychiatrischen Nebenwirkungen         behandelnde Ärzte generiert und keine Empfeh-
wie Benommenheit, Verwirrtheit und Psychosen        lungen, unter welchen Differentialkriterien solch
mitberücksichtigt werden. Die Europäische           teure Medikamente finanziert werden sollen.
Arzneimittel-Agentur fordert grundsätzlich bei
der Zulassung eines Medikaments zur Schmerz-        Die Bewilligung und Finanzierung von hoch-
therapie zwei Studien mit einer Dauer von min-      preisigen Medikamenten ohne klinisch relevan-
destens 12 Wochen an. Diese Forderung wurde         ten Nutzen bringen nicht nur Nachteile für den

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I N F O R MATION FÜR VERTRAG S PART NE R

         Patienten sondern auch für die Solidargemein-            welche wiederum mit verhaltensbedingten
         schaft mit sich. Die begrenzten Mittel, die dem          Risikofaktoren korrelieren. Diese Risikofaktoren
         Gesundheitssystem zur Verfügung stehen,                  kommen bei Personen mit niedrigem Bildungs-
         müssen sinnvoll und nachhaltig investiert wer-           stand und geringem Einkommen häufiger vor.
         den, um auch in Zukunft die Gesundheitsversor-           Sowohl die Fettleibigkeitsquoten als auch der
         gung der Bevölkerung sicherstellen zu können.            Raucheranteil ist in dieser Bevölkerungsgruppe
                                                                  besonders hoch.
                Davis C, Naci H, Gurpinar E, Poplavska E,
            Pinto A, Aggarwal A: Availability of evidence of      Am österreichischen Gesundheitssystem
             benefits on overall survival and qualityof life of   kritisiert werden vor allem die Komplexität und
           cancer drugs approved by European Medicines            die Fragmentierung aufgrund der überwiegend
               Agency: retrospective cohort study of drug         dezentralen Planung und Verantwortungsüber-
                approvals 2009-13. BMJ 2017;359:j4530.            tragung, genauso wie ein im Vergleich mit ande-
           http://dx.doi.org/10.1136/bmj.j4530 Zugriff am         ren EU-Ländern teures System mit starkem
                                                  29.3.2018       Fokus auf die stationäre Krankenhausversor-
                                                                  gung. Die Primärversorgung steckt dagegen
                                                                  noch in den Kinderschuhen, was auch zu einer
         „State of Health in the EU – Österreich.                 hohen Zahl an vermeidbaren Krankenhausein-
         Länderprofil Gesundheit 2017.“                           weisungen führt. Zukünftig sollen die Reformen
         Um den Gesundheitszustand in der EU zu                   daher auf die Stärkung der Primärversorgung
         erheben, wurden von der OECD und dem                     abzielen, um das österreichische Gesundheits-
         European Observatory on Health Systems and               system auch in Zukunft effizient gestalten zu
         Policies Länderprofile erstellt, die den Gesund-         können.
         heitszustand im Land, die Einflussfaktoren auf
         die Gesundheit, die Organisation des Gesund-                      OECD/European Observatory on Health
         heitssystems und deren Wirksamkeit, Zugang                        Systems and Policies (2017), Österreich:
         und Anpassungsfähigkeit evaluieren. Im Novem-              Länderprofil Gesundheit 2017, State of Health
         ber 2017 wurde die erste Reihe der zukünftig                 in the EU, OECD Publishing, Paris/European
         im 2-jährigen Zyklus erhobenen Länderprofile                Observatory on Health Systems and Policies,
         publiziert.                                                                                     Brussels.
                                                                    http://dx.doi.org/10.1787/9789264285040-de
         Österreich schnitt dabei vor allem im Bereich                                       Zugriff am 29.3.2018
         der Gesundheitsversorgung gut ab. Eine geringe
         vermeidbare Sterblichkeit deutet auf eine hohe
         Wirksamkeit der österreichischen Gesundheits-
         versorgung hin. Auch der Zugang zur Gesund-
         heitsversorgung wird als gut bewertet. Bei der
         Lebenserwartung bei der Geburt liegt Österreich
         zwar über dem EU-Durchschnitt, die Öster-
         reicher verbringen dafür aber weniger Jahre in
         einem guten Gesundheitszustand. Herz-Kreis-
         lauf-Erkrankungen und Krebs sind in Summe für
         mehr als zwei Drittel der Sterbefälle in Österreich
         verantwortlich. Auch Diabetes und Demenz-
         erkrankungen zählen zu den häufigsten Todes-
         ursachen in Österreich. Zur Krankheitsbelastung
         tragen vor allem Probleme mit dem Bewegungs-
         apparat und eine schlechte psychische
         Gesundheit bei. Der Gesundheitszustand der
         Österreicher ist außerdem abhängig vom
         Bildungsstand und dem Einkommensniveau,

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