SuchtAkademie Konsumkompetenz zwischen individueller und kollektiver Verantwortung

 
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SuchtAkademie Konsumkompetenz zwischen individueller und kollektiver Verantwortung
SuchtAkademie
Konsumkompetenz zwischen
individueller und
kollektiver Verantwortung

GRUNDLAGEN UND DENKANSTÖSSE
SuchtAkademie Konsumkompetenz zwischen individueller und kollektiver Verantwortung
Einleitung

                                                                                Unsere Gesellschaft ist geprägt von permanenter Verfüg-      Als möglichen Verständigungsansatz zwischen marktwirt-
                                                                                barkeit von Gütern und Dienstleistungen jeglicher Art. Für   schaftlichen und gesundheitspolitischen Interessen hat die
                                                                                welche Angebote man sich dabei entscheidet, steht jedem      nationale SuchtAkademie 2013 den Begriff der Konsumkom-
                                                                                und jeder Einzelnen weitgehend frei. Doch in einem Umfeld,   petenz zur Diskussion gestellt. 80 Fachleute aus Praxis, Wis-
                                                                                das unsere Konsumbedürfnisse unablässig umwirbt, während     senschaft und Verwaltung haben gemeinsam mit weiteren
                                                                                unsere biopsychosozialen Voraussetzungen für kompetente      Schlüsselpersonen aus Politik, Justiz/Polizei, Medien, Kon-
                                                                                Konsumentscheide ganz unterschiedlich verteilt sind, wird    sumentenschutz und Genusskultur Wege aufgezeigt, wie
                                                                                der Ausgleich zwischen individueller und kollektiver Ver-    individuelle Ressourcen gestärkt und gesellschaftliche Rah-
                                                                                antwortung zur gemeinsamen Herausforderung aller Betei-      menbedingungen gefördert werden können, die einem kom-
                                                                                ligten. Dies gilt in besonderem Masse für den Konsum von     petenten Konsumverhalten zuträglich sind.
                                                                                psychoaktiven Substanzen und anderes Konsumverhalten mit
                                                                                                                                             Die diskutierten Lösungsansätze richten sich einerseits am
                                                                                Abhängigkeitspotenzial.
                                                                                                                                             gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schaden-
                                                                                                                                             und Nutzenpotenzial der einzelnen Substanzen und Ver-
                                                                                                                                             haltensweisen aus. Andererseits orientieren sie sich an den
Impressum                                                                                                                                    gesellschaftlichen Realitäten und den lebensweltlichen Kon-
Konzeption und Fachlektorat                                                                                                                  texten des Konsums, indem sie die Angebotsstrukturen, die
Konzeptgruppe SuchtAkademie 2013: Toni Berthel,                                                                                              Konsummuster und die Bedürfnisse der Konsumierenden be-
Jean-Alain Dubois, Laurence Fehlmann Rielle, Olivier Guéniat,   SuchtAkademie und sozietales Lernen                                          rücksichtigen.
Yvonne Hofstetter, Jakob Huber, Iwan Reinhard,
Jann Schumacher, René Stamm                                     Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Suchtproblematiken sowie
                                                                                                                                             Die Verantwortlichen der Expertengruppe Weiterbildung
                                                                der Umgang mit psychoaktiven Substanzen und Suchtverhalten unterlie-
Text und Redaktion                                                                                                                           Sucht EWS haben die gesammelten Diskussionsbeiträge auf-
Lukas Vögeli, Expertengruppe Weiterbildung Sucht                gen starkem Wandel. Unter dem Titel «sozietales Lernen» setzt
                                                                                                                                             gearbeitet und weiter vertieft. Aus diesen Arbeiten gehen
                                                                sich die Expertengruppe Weiterbildung Sucht EWS mit solchen gesell-
Illustration                                                                                                                                 einerseits eine differenzierte Begriffsbestimmung von Kon-
Kornel Stadler, kornel.ch                                       schaftlichen Lern- und Deutungsprozessen auseinander.
                                                                                                                                             sumkompetenz und andererseits je vier Handlungsfelder für
Grafik und Layout                                               Mit der alle zwei Jahre stattfindenden nationalen SuchtAkademie              die individuelle und für die kollektive Ebene hervor. Begriffs-
grafikwerkstatt upart, Bern, upart.ch
                                                                fördert die EWS den direkten Austausch zwischen verschiedenen                bestimmung und Handlungsfelder werden im vorliegenden
Druck                                                                                                                                        Diskussionspapier präsentiert.
                                                                Akteuren aus Politik, Medien, Polizei/Justiz, Wissenschaft, Verwaltung
Vetter Druck AG, Thun
                                                                und Praxis. Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive
Herausgeber
                                                                                                                                             Das Diskussionspapier soll Denkanstösse liefern für künftiges
                                                                werden in diesem Rahmen aktuelle suchtpolitische Themen von
Expertengruppe Weiterbildung Sucht                                                                                                           Handeln in den Institutionen der Suchtprävention und Sucht-
                                                                nationalen Meinungsführern breit diskutiert. Die SuchtAkademie ist
                                                                                                                                             hilfe, in der Verwaltung, in politischen Gremien und in zivilge-
                                                                ein Dialoggefäss, an welchem Fachleute aus dem Suchtfeld und
                                                                                                                                             sellschaftlichen Organisationen. Es kann als Ausgangspunkt
© Expertengruppe Weiterbildung Sucht, Bern 2014                 angrenzenden Feldern ihre Erfahrungen und Ideen frei austauschen
                                                                                                                                             dienen für eine Neubetrachtung des Verhältnisses zwischen
Diese Publikation erscheint in deutscher und in                 und mögliche Lösungsansätze anregen.
                                                                                                                                             individueller und kollektiver Verantwortung.
französischer Sprache. Sie kann als Broschüre bezogen werden
und ist elektronisch als PDF-Dokument verfügbar.                Die Ergebnisse werden in geeigneter Form einer grösseren Öffentlich-
www.SuchtAkademie.ch; www.Academie-des-dependances.ch           keit zur Verfügung gestellt. In den Zwischenjahren wird der Diskurs unter
                                                                den Fachleuten auf regionaler Ebene weitergeführt.

                                                                     3
SuchtAkademie Konsumkompetenz zwischen individueller und kollektiver Verantwortung
Konsumkompetenz

  Inhalt
   Konsumkompetenz                                                                Der Begriff der Konsumkompetenz ist den Leitlinien
   Begriffsbestimmung Konsumkompetenz                                             des Public-Health-Ansatzes verpflichtet: Er zielt
   Konsumkompetenz und andere gesundheitsbezogene Kompetenzbegriffe               auf die Prävention von problembehaftetem Konsum
   Handlungsfelder auf individueller Ebene                                        und problembehafteten Verhaltensweisen und
1. Widerstandsfähigkeit im Alltag erhöhen – Lebenskompetenz fördern               strebt die Reduktion der gesundheitlichen Beeinträchti-
2. Erwachsene Bezugspersonen in Familie, Schule und Freizeit stärken              gungen und Folgeschäden für das Individuum, das
3. Bewährung vor Bewahrung – Risikokompetenz fördern                              soziale Umfeld und für die Gesellschaft als Ganzes an.
4. Konsumlernen in der Peer-Group unterstützen
                                                                                  An der SuchtAkademie wurde mit folgendem Begriffs-
   Handlungsfelder auf kollektiver Ebene
                                                                                  verständnis gearbeitet:
5. Kohärenten Regulierungsrahmen schaffen
6. Neue Regulierungsmodelle erproben – Laboratorien und Pilotprojekte einsetzen   Unter Konsumkompetenz verstehen wir die
7. Markttransformation durch Druck von unten                                      Fähigkeiten, welche dem Einzelnen dabei helfen, das
8. Interessen wirksamer durchsetzen – Allianzen bilden                            Konsumverhalten so zu gestalten, dass die eigene
                                                                                  körperliche, geistige und soziale Gesundheit,
                                                                                  aber auch die Gesundheit des Umfelds erhalten wird.

                                                                                  Bezogen auf den Suchtkontext besteht die
                                                                                  Konsumkompetenz einer Person in ihren Fähigkeiten
                                                                                  für einen gesunden Umgang mit all jenen psycho-
                                                                                  aktiven Substanzen und Verhaltensweisen mit
                                                                                  Abhängigkeitspotenzial, welche in ihrem persönlichen
                                                                                  Lebensumfeld verfügbar sind.
SuchtAkademie Konsumkompetenz zwischen individueller und kollektiver Verantwortung
Begriffsbestimmung
Konsumkompetenz

Keine Universalkompetenz, sondern substanz-                       Die kritische Bedürfnisreflexion erlaubt eine Abwägung zwi-          von Konsumentscheiden in den unterschiedlichen Situatio-                                       Keine empirische Evidenz,
und verhaltensspezifisch ausgeprägt                               schen dem angestrebten persönlichen Gewinn und den zu                nen des Alltags aktiviert wird und die ständig erneuert wer-                                   sondern eine Hypothese
                                                                  erwartenden positiven und negativen Folgen des Konsums.              den muss. So bietet Konsumkompetenz einerseits Schutz vor
Konsumkompetenz ist als ein Bündel von Kompetenzen zu                                                                                                                                                                                 Konsumentscheide werden nicht im Vakuum getroffen. Eben-
                                                                                                                                       problembehaftetem Konsum und Abhängigkeit. Andererseits
verstehen, die spezifisch auf den Umgang mit bestimmten           Die Fähigkeit, Wissen, Einstellungen, Bedürfnisse                                                                                                                   so wenig ist Konsumkompetenz bloss eine Frage der autono-
                                                                                                                                       kann sie auch die Rückkehr zum risikoarmen Konsum unter-
Substanzen und Verhaltensweisen gerichtet sind: Konsum-           und Emotionen in konsistente Konsumhaltungen und                                                                                                                    men Fähigkeiten des Individuums. Sie ist vielmehr mitgeprägt
                                                                                                                                       stützen, wenn bereits ein problematischer Konsum oder eine
kompetenz setzt substanz- und verhaltensbezogene Kennt-           schliesslich in entsprechendes Handeln umzusetzen.                                                                                                                  von den kulturellen, marktwirtschaftlichen und politischen
                                                                                                                                       Abhängigkeit vorliegt.
nisse voraus, sie kann je nach Substanz und Verhaltensmuster      Unterstützend wirken dabei grundlegende Kompetenzen                                                                                                                 Rahmenbedingungen und wird von diesen in ihren Funk-
unterschiedlich gut entwickelt sein und sie resultiert für ver-   der Selbstwahrnehmung, Fähigkeiten zur Bewältigung von                                                                                                              tionen unterstützt – aber auch untergraben. So haben die
                                                                  Konflikten und Drucksituationen, aber auch Strategien zur
                                                                                                                                       Kein Schönwetterbegriff,
schiedene Substanzen und Verhaltensweisen in unterschied-                                                                                                                                                                             gesellschaftlich verankerten Konsumpraktiken, das Produk-
                                                                  Reduktion der Gefährdung in Risikosituationen. Rituale und
                                                                                                                                       sondern ambivalent im Output
lichen Konsumhaltungen. Vollständige Abstinenz, genussori-                                                                                                                                                                            temarketing oder der Legalstatus einen unmittelbaren Ein-
entierter Konsum oder unter Umständen auch kontrollierter         Konsumroutinen können risikoarme, genussorientierte Kon-             Konsumkompetenz ist funktional bestimmt: Das Kompe-                                            fluss auf die individuellen Konsumentscheide. Derweil sind
Risikokonsum sind mögliche Ausprägungen.                          sumformen stabilisieren. Ebenso können Verweigerungsrou-             tenzniveau einer Person bemisst sich an den konkreten                                          die biologischen, psychischen, sozialen und ökonomischen
                                                                  tinen den Konsumverzicht vereinfachen. Beides entlastet das          Konsumentscheiden, die sie im alltäglichen Leben trifft. Als                                   Voraussetzungen, um ausreichende Konsumkompetenzen
Kein eindimensionales Konzept, sondern                            Individuum von der Herausforderung, laufend bewusst «rich-           Bezugsgrösse dient dabei gemäss Definition ihre eigene Ge-                                     zu entwickeln, in der Bevölkerung sehr unterschiedlich ver-
ein komplexes System der Handlungskontrolle                       tige» Entscheide treffen zu müssen.                                  sundheit und die Gesundheit des Umfeldes. Setzt man aber                                       teilt: Wer einer tiefen Einkommens- oder Bildungsschicht
                                                                                                                                       Gesundheit als weites Konzept voraus, das entsprechend der                                     angehört oder wem bestimmte genetische oder mentale Di-
Um spezifische Konsumkompetenzen auszubilden, ist das             Diese drei Fähigkeiten helfen dem Individuum, einen Aus-
                                                                                                                                       WHO-Definition einem Zustand des vollkommenen körperli-                                        spositionen fehlen, hat deutlich schlechtere Aussichten, ein
Individuum auf folgende generelle Fähigkeiten angewiesen: 1       gleich zwischen unbewussten Handlungsimpulsen und re-
                                                                                                                                       chen, geistigen und sozialen Wohlbefindens entspricht, dann                                    gesundes Konsumverhalten zu entwickeln und sich vor einer
                                                                  flektierten Entscheiden zu finden. Sie bilden so ein komplexes
Die Fähigkeit zur effektiven Informationssuche und                                                                                     ergeben sich im alltäglichen Konsumhandeln Zielkonflikte: 4                                    Abhängigkeit zu schützen. Dies legt es nahe, den Begriff der
                                                                  System der Handlungskontrolle. Weil sich die dafür zuständi-
-verarbeitung.                                                    gen Hirnregionen zum Teil erst in der Pubertät und Adoles-
                                                                                                                                       Zum Beispiel kann psychisches und soziales Wohlbefinden,                                       Konsumkompetenz als eine Hypothese aufzufassen, die für
Diese ermöglicht es, aus öffentlich zugänglichen Informatio-                                                                           das durch gemeinschaftlichen Konsum von Alkohol, Canna-                                        gewisse Personen und unter gewissen Rahmenbedingungen
                                                                  zenz entwickeln, dauert es bis ins Erwachsenenalter hinein,
nen und Erfahrungen im eigenen Lebensumfeld Wissen und                                                                                 bis oder Videogames erzeugt werden kann, einer Einbusse an                                     zutrifft, für andere Personen oder Kontexte aber verworfen
                                                                  bis die neurobiologischen Voraussetzungen für kompetentes
Einstellungen zum Konsum von Substanzen und Verhaltens-                                                                                körperlichem Wohlbefinden am Folgetag gegenüberstehen.                                         werden muss. Aus dieser Sicht sind einer als individuell ver-
                                                                  Konsumverhalten überhaupt voll ausgebildet sind. 2
weisen zu generieren. Dazu gehören Informationen sowohl                                                                                Umgekehrt kann durch einen gesundheitlich motivierten                                          standenen Konsumkompetenz Grenzen gesetzt. Das hat zur
zu den schädlichen wie auch zu den günstigen Wirkungen                                                                                 Konsumverzicht auch die Teilhabe an Freizeitaktivitäten einer                                  Konsequenz, dass Gesellschaft, Politik und Wirtschaft immer
                                                                  Kein Zielzustand,
und Konsumfolgen für das Individuum, sein Umfeld und die                                                                               sozialen Gruppe beeinträchtigt sein. Damit führt Konsum-                                       auch eine kollektive Mitverantwortung gegenüber vulne-
                                                                  sondern eine dynamische Ressource
Gesellschaft als Ganzes.                                                                                                               kompetenz zu Konsumhandlungen, die in ihren Konsequen-                                         rablen Gruppen und Menschen in Notlagen tragen. Diese
                                                                  Konsumkompetenz wird durch informelles Lernen vornehm-               zen durchaus ambivalent sind. Welches Verhalten als kompe-                                     Verantwortung besteht insbesondere darin, für möglichst
Die Fähigkeit zur Einschätzung der Motive und Bedürf-
                                                                  lich in der Familie und in Peer-Groups erworben und entwi-           tent gelten kann, hängt deshalb nicht zuletzt davon ab, ob                                     gesundheitsverträgliche Konsumanreize zu sorgen. Gleich-
nisse, die den eigenen Konsumwünschen zu Grunde
                                                                  ckelt sich durch mehr oder weniger beabsichtigte Angebote            ein kurz- oder langfristiger Fokus angelegt wird und ob die                                    zeitig steht auch das Individuum in der Verantwortung, die
liegen, und die Fähigkeit zum Umgang mit Emotionen,
                                                                  der Information, Bildung und Beratung. Die rasche Entwick-           Zielgrösse Gesundheit als eng medizinisch-physiologisches                                      Konsumverhältnisse durch sein eigenes Konsumhandeln in
die mit dem Konsum verbunden sind.
                                                                  lung des Konsumangebots, aber auch die Flüchtigkeit von              oder auch als psychosoziales Phänomen interpretiert wird.                                      positiver Weise mitzugestalten.
Dazu gehören nicht nur Vergessen, Kompensation oder Lin-
                                                                  Konsumstilen führen dazu, dass sich die Anforderungen an
derung von psychischen, physischen und sozialen Problemen,
                                                                  die Konsumierenden fortlaufend verändern. Aus diesem
sondern auch Genuss und sinnliches Lustempfinden, Rau-
                                                                  Grund wird die Entwicklung von Konsumkompetenz zuneh-
scherleben und Selbstentgrenzung, soziale Zugehörigkeit,
                                                                  mend zu einer Aufgabe des lebenslangen Lernens. 3 Konsum-            1 Rychen, Dominique S. & Salganik, Laura H. (2002): DeSeCo Symposium: Discussion Paper. Bundesamt für Statistik BFS/Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit OECD.
Normenverstoss oder die Suche nach Gefahr und Risiko.                                                                                  http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber15/deseco/deseco_discpaper_jan15.pdf, Zugriff 26. 05. 2014, Zugriff am 26. 05. 2014.
                                                                  kompetenz ist insofern nicht als ein idealer Zielzustand, son-       2 Roth, Gerhard (2001): Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophische Konsequenz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
                                                                  dern als eine Ressource zu verstehen, die für die Bewältigung        3 Piorkowsky, Michael-Burkard/Becker, Tilman/Hansen, Ursula/Leonhäuser, Ingrid-Ute/Reisch, Lucia (2008): Verbraucherkompetenz für einen persönlich erfolgreichen und
                                                                                                                                       gesellschaftlich verantwortlichen Konsum. Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMELV. Berlin: Bundesministerium für
                                                                                                                                       Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, 6. http://www.bmelv.de/cae/servlet/contentblob/382606/publicationFile/23041/Verbraucherkompetenz.pdf, Zugriff 26. 05. 2014
                                                                                                                                       4 WHO, World Health Organization (1947): Constitution of the World Health Organisation. Genf, 2.

                                                                                                                             6     7
SuchtAkademie Konsumkompetenz zwischen individueller und kollektiver Verantwortung
Konsumkompetenz und                                                                                                                                             Handlungsfelder
andere gesundheitsbezogene                                                                                                                                      auf individueller Ebene
Kompetenzbegriffe

                                                                                                                                                1

                                                                                                                                                2
Konsumkompetenz kann als Teilbegriff von Lebenskompetenz (life skills) und von Gesund-
                                                                                                                                                3
                                                                                                                                                                Der Konsum von Suchtstoffen ist eingebettet in
heitskompetenz (health literacy) verstanden werden. Konsumkompetenz schliesst ihrer-
                                                                                                                                                4               kulturelle Handlungs- und Deutungsrahmen. Durch
seits den Begriff Risikokompetenz (risk literacy) als Teilbegriff mit ein.
                                                                                                                                                                die rasche Entwicklung des Angebots und die
Lebenskompetenz                                                                                                                                                 zunehmende Differenzierung von Konsummustern und
Lebenskompetenzen werden von der WHO definiert als «diejenigen Fähigkeiten (...), die ei-
                                                                                                                                                                Konsumstilen verlieren kulturelle Normen und
nen angemessenen Umgang sowohl mit unseren Mitmenschen als auch mit Problemen und                                                                               Routinen an Orientierungsmacht und werden zuneh-
Stresssituationen im alltäglichen Leben ermöglichen.» 5 Insbesondere bestehen Lebens-                                               Vereinfachte Darstellung:   mend frei und individuell gehandhabt.
kompetenzen in den persönlichen, sozialen, kognitiven und physischen Fertigkeiten, die es                                                       1
                                                                                                                                       Lebenskompetenz
den Menschen ermöglichen, ihr Leben zu steuern und auszurichten und ihre Fähigkeit zu
                                                                                                                                                2
                                                                                                                                                                Angesichts der steigenden Anforderungen an das
entwickeln, mit den Veränderungen in ihrer Umwelt zu leben und selbst Veränderungen                                                  Gesundheitskompetenz
                                                                                                                                                                Individuum gilt es, jene persönlichen Ressourcen und
zu bewirken. 6                                                                                                                                  3
                                                                                                                                       Konsumkompetenz          Kompetenzen gezielt zu fördern, die ihm ein nach-
                                                                                                                                                4
Gesundheitskompetenz                                                                                                                    Risikokompetenz         haltig gesundes Konsumhandeln in seiner Umgebung
Die Definition von Gesundheitskompetenz des BAG fasst diese als «die Fähigkeit des Ein-                                                                         ermöglichen. Dies bedeutet auch, die verschiedenen
zelnen, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit                                                                       Sozialisierungsinstanzen, welche für den Erwerb
auswirken – zu Hause, am Arbeitsplatz, im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft                                                                             von Konsumkompetenz wichtig sind, in ihrer Aufgabe
ganz allgemein.» 7 auf. Eine gesundheitskompetente Person nutzt Gestaltungs- und Ent-
                                                                                                                                                                zu stärken.
scheidungsmöglichkeiten in Gesundheitsfragen. Sie ist motiviert und befähigt, Gesund-
heitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und in Handeln umzusetzen.
                                                                                                                                                                Besonderes Augenmerk liegt dabei auf sozial und
                                                                                                                                                                ökonomisch benachteiligten Zielgruppen, auf
Risikokompetenz
                                                                                                                                                                physisch und psychisch benachteiligten Personen
Der Begriff Risikokompetenz bezeichnet die Fähigkeiten, unterschiedliche Risiken auf-
grund der Kenntnis von Konsequenzen und Eintretenswahrscheinlichkeiten gegeneinan-                                                                              sowie auf Kindern und Jugendlichen.
der abwägen zu können und diese Kenntnis auch in Entscheidungssituationen präsent zu
haben. Wichtiges Element der Risikokompetenz ist es ferner, informierte Entscheidungen
auch unter Bedingungen von reduzierter Aufmerksamkeit, Zeit und Gruppendruck treffen
zu können und aus Fehlern die entsprechenden Konsequenzen ziehen zu können. 8

5 WHO, World Health Organization (1994): «Life Skills». Praktische Lebenskunde – Rundschreiben. Zusammenfassung der
englischen «Skills for Life Newsletter» No. 1–3. Genf: WHO.
6 WHO, World Health Organization; Regionalbüro für Europa (1994): Terminology for the European Health Policy Conference.
Kopenhagen: WHO.
7 Kickbusch, Ilona/Maag, Daniel/Saan, Hans (2005). Enabling healthy choices in modern health societies. Background paper for the
European Health Forum, Badgastein 2005, 10 (deutsche Übersetzung durch das Bundesamt für Gesundheit BAG, April 2006).
http://old.ilonakickbusch.com/health-literacy/Gastein_2005.pdf, Zugriff am 26. 05. 2014.
8 Weibel, Janosch/Scheuber, Nathalie/Blakeney, Charles/Blakeney, Ronnie/Rihs-Middel, Margret ( et al. (2008): Risikokompetenz und
Drogenmündigkeit im Spannungsfeld von Kritik- und Genussfähigkeit: Literaturanalyse und Empfehlungen für die Praxis der Sucht-
prävention. Zürich: Suchtpräventionsstelle Stadt Zürich, 14.
https://www.stadt-zuerich.ch/content/dam/stzh/ssd/Deutsch/Gesundheit%20Praevention/Suchtpraevention/Publikationen%20und%20
Broschueren/Berichte/Bericht_Risikokompetenz_Margret_Rihs-Middel.pdf, Zugriff am 26. 05. 2014.

                                                                                                                                                            8
SuchtAkademie Konsumkompetenz zwischen individueller und kollektiver Verantwortung
Widerstandsfähigkeit                                                                                                                                                  Erwachsene Bezugspersonen
im Alltag erhöhen –                                                                                                                                                   in Familie, Schule
Lebenskompetenz fördern                                                                                                                                               und Freizeit stärken

H A ND LUNG SFE L D 1                                                                                                                                                 H AN D LUNGS FE L D 2

Lebenskompetenz ermöglicht uns einen angemessenen Umgang sowohl mit unseren                                                    BEI S PI E LE                          Das familiäre Erziehungs- und Betreuungsumfeld und die Haltung der erwachsenen Be-                                                    BEI S PI E LE
Mitmenschen als auch mit den Anforderungen und Problemsituationen des alltäglichen                                                                                    zugspersonen gegenüber Risikoverhalten und Suchtmittelkonsum sind für Kinder und
Lebens. Im Einzelnen beinhaltet Lebenskompetenz grundlegende Selbst- und Sozialkom-                                            Lebenskompetenz                        Jugendliche prägend. Eltern, aber auch Lehrpersonen und Betreuende im Freizeitbereich                                                 FemmesTische
petenzen, die sich teilweise gegenseitig bedingen und verstärken. Dazu gehören die Fä-                                         entwickeln                             handeln gleichzeitig als Rollenvorbilder und als Erziehungsinstanzen. Auf diese Weise sind                                            Diskussionsrunden von
higkeiten zur Selbstwahrnehmung, zur Gefühls- und Stressbewältigung, zum Treffen von                                           Arbeitsinstrument für Schulen          sie massgeblich am Erwerb von Lebenskompetenzen und an der Entwicklung von Schutz-                                                    Frauen mit Migrations-
                                                                                                                               zur Förderung von Lebenskom-                                                                                                                                                 hintergrund zu Fragen der
Entscheiden und zum Lösen von Konflikten, ferner die Fähigkeit zur Empathie sowie die                                                                                 und Risikofaktoren für Sucht und problematischen Konsum beteiligt.
                                                                                                                               petenzen                                                                                                                                                                     Erziehung, Lebensalltag
Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit.
                                                                                                                               von Schülerinnen und                   In ihrer erzieherischen Verantwortung sind erwachsene Bezugspersonen vermehrt und                                                     und Gesundheit, Elternbildung
Lebenskompetenzen stellen Schutzfaktoren für problembehafteten Konsum und Abhängig-                                            Schülern, Kanton Aargau                gezielt zu stärken. Im Vordergrund steht dabei die Unterstützung bei der Kommunikation                                                CH

keitserscheinungen dar und werden als Grundlagen einer erfolgreichen Präventionsarbeit                                                                                und Kontrolle altersgerechter Regeln, sei dies zur Nutzung elektronischer Medien, zum
gesehen. Fähigkeiten zur konstruktiven Problemlösung vermeiden das Risiko, Suchtmittel                                         Programm zur Förderung                 Kaufverhalten oder zum Konsum von Tabak, Alkohol und anderer psychoaktiver Substan-                                                   feel-ok.ch
                                                                                                                               Alternativer                                                                                                                                                                 Internetportal für Jugend-
als Ausweich-, Kompensations- und Rückzugsmöglichkeit einzusetzen. Selbstwertgefühl                                                                                   zen. Neben der reinen Wissensvermittlung benötigen die Bezugspersonen auch konkrete
                                                                                                                               Denkstrategien PFADE                                                                                                                                                         liche zur Suchtprävention mit
und Selbstwirksamkeit helfen dabei, sich in eine Gruppe zu integrieren und Verlockungen                                                                               Entscheidungshilfen, wie sie solche Regeln im Alltag ausgestalten und umsetzen können
                                                                                                                               Lehrmittel zur Förderung von                                                                                                                                                 didaktischen Materialien
und Drucksituationen zu widerstehen. Und Fähigkeiten für eine aktive und sinnhafte Frei-                                       sozialen Kompetenzen bei               – beispielsweise in Form von Empfehlungen zu altersentsprechenden Konsummengen,                                                       für Lehr- und andere Fachper-
zeitgestaltung erschliessen Alternativen beispielsweise zu riskanten Rauscherlebnissen. 9                                      Kindern im Primarschul- und            von Leitfäden zur Früherkennung problematischen Konsums oder von Argumentarien und                                                    sonen, Schweizerische Gesund-
                                                                                                                               Kindergartenalter, Institut für        Tipps für die Gesprächsführung. 11 Sinnvolle Empfehlungen helfen Erziehungspersonen, kla-                                             heitsstiftung Radix
Programme zur Förderung von Lebenskompetenz haben sich vorwiegend im schulischen
                                                                                                                               Erziehungswissenschaft der             re Haltungen einzunehmen, aber lassen gleichzeitig Spielraum, um nach eigenem Ermes-
Kontext und insbesondere bei Kindern und jüngeren Jugendlichen bewährt. Sie gehören zu                                         Universität Zürich
                                                                                                                                                                      sen individuelle Regeln festzulegen.
den wirksamsten Ansätzen der verhaltensorientierten Suchtprävention, indem sie einen
frühen Einstieg hemmen und teilweise auch den Substanzgebrauch verringern. Sie sind                                                                                   Konsumfreie Zonen und Zeiten für Erwachsene sind ein wirksames Mittel, um problema-
umso wirksamer, je aktiver die Zielgruppe in die Massnahmen eingebunden wird und je                                                                                   tisches Vorbildhandeln und schädliche Auswirkungen für Kinder und Heranwachsende zu
mehr die Teilnehmenden dabei unterstützt werden, die erworbenen Fertigkeiten einzu-                                                                                   reduzieren. Rauchfreie Familienwohnräume, rauch-, alkohol- und drogenfreie Sportanla-
üben und im Alltag zu erproben. Sie sind in dem Sinne hoch effektiv, als sie diese präventiv                                                                          gen und Spielplätze oder medienfreie Hauptmahlzeiten stellen dabei verhältnismässig
wirkenden Grundvoraussetzungen spürbar verbessern. 10                                                                                                                 einfach zu etablierende Minimalziele dar. Demgegenüber bietet etwa eine bewusste Ess-,
                                                                                                                                                                      Trink- oder Medienkultur einen Rahmen, um in generationenübergreifenden Ritualen risi-
Indes darf man nicht vergessen, dass Jugendliche und Erwachsene nicht nur aus Mangel
                                                                                                                                                                      koarme Konsummuster einzuüben und mithin auch Rauscherlebnisse in einem geschütz-
an Bewältigungsstrategien und Handlungsalternativen konsumieren, sondern auch explo-
                                                                                                                                                                      ten Umfeld zu ermöglichen.
rativ handeln und ihr Konsumverhalten als selbstverständlichen Ausdruck ihrer kulturellen
Teilhabe zielgerichtet einsetzen. Um Konsumkompetenzen aufzubauen, sollten deshalb                                                                                    Für die Wirksamkeit von entsprechenden Massnahmen ist entscheidend, dass möglichst
Lebenskompetenzprogramme ergänzt werden durch Angebote zur Vermittlung von sub-                                                                                       viele Bezugsebenen wie Eltern, Schule, Vereine gemeinsam involviert werden und dass
stanzbezogenem Wissen und von Strategien der Risikoabwägung (s. dazu auch das Hand-                                                                                   dabei bestehende Strukturen wie die Schule oder religiöse und ethnische Communities
lungsfeld zu Risikokompetenz auf der nachfolgenden Doppelseite).                                                                                                      genutzt werden. Verstärkte Anstrengungen sind künftig nötig, um sozial benachteiligte
                                                                                                                                                                      Zielgruppen besser zu erreichen, um den kulturellen Hintergrund gezielter einzubeziehen
Lebenskompetenz und Resilienz liegen inhaltlich nahe beieinander. Als Ansatz der ressour-
                                                                                                                                                                      und um mehr geschlechterspezifische Angebote zu schaffen. 12 Ferner fehlen im Familien-
cenorientierten Intervention ist auch das Empowerment-Konzept eng mit der Vermittlung
                                                                                                                                                                      bereich nach wie vor verbindliche Formen der Zusammenarbeit und der Koordination im
von Lebenskompetenz verbunden.
                                                                                                                                                                      bereits sehr vielfältigen Angebot.

9 Högger, Dominique (2012): Lebenskompetenz entwickeln. Eine Arbeitshilfe für Schulen. Aarau: Schwerpunktprogramm
«Gsund und zwäg i de Schuel», Departemente Bildung, Kultur und Sport sowie Gesundheit und Soziales, Kanton Aargau, 10.
10 Bühler, Anneke & Heppekausen, Kathrin (2005): Gesundheitsförderung durch Lebenskompetenzprogramme in Deutschland.
Grundlagen und kommentierte Übersicht. (=Reihe Gesundheitsförderung konkret Bd. 6). Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche                                          11 Kraus, Ludwig (2013): «Starker Konsum oder Substanzstörung? Überlegungen zum Suchtkonzept.» Suchtmagazin 6/2013, 15.
Aufklärung, 38–47.                                                                                                                                                    12 Ernst, Marie-Louise & Kuntsche, Sandra (2012). Bericht zum Stand der familienbezogenen Suchtprävention. Lausanne: Sucht Schweiz.

                                                                                                                                                           10    11
Bewährung vor Bewahrung –                                                                                                                                                  Konsumlernen in der
Risikokompetenz fördern                                                                                                                                                    Peer-Group unterstützen

H A ND LUNG SFE L D 3                                                                                                                                                      H AN D LUNGS FE L D 4

Rausch und Risiko sind ambivalent besetzt: Einerseits werden sie als mögliche Gefährdung                                           BEI S PI E LE                           Peer-Groups ermöglichen Jugendlichen die gemeinsame Erfahrung ähnlicher Lebenslagen                                                  BEI S PI E LE
für die Gesundheit moralisch verworfen, andererseits von der Werbung insbesondere für                                                                                      im Übergang von der Familiensphäre in grössere gesellschaftliche Bezugssysteme. Sie bie-
den Freizeitbereich junger Menschen gewinnbringend vermarktet. Die Motive, sich riskant                                            Risflecting                             ten Erlebnis- und Experimentierräume, in denen Jugendliche unter ihresgleichen Werte ent-                                            PeerAkademie
zu verhalten, sind dabei vielfältig: Sie liegen nicht nur darin, in rauschhaften Zuständen                                         Pädagogisches Handlungs-                wickeln, Risiken eingehen und neues Rollenverhalten erlernen. Dazu gehört auch die Aneig-                                            Dialoggefäss zur Förderung
Lust, Euphorie und Ekstase zu erleben, sondern auch darin, in ausseralltägliche Erfahrungs-                                        modell zur Entwicklung                  nung von Konsummustern im Zusammenhang mit Alkohol, Tabak oder digitalen Medien.                                                     und Weiterentwicklung
                                                                                                                                   von Rausch- und Risikokompe-                                                                                                                                                 des Peer-Group-Education-
bereiche vorzustossen und Grenzüberschreitungen zu wagen – unter Umständen liegen
                                                                                                                                   tenzen, Risflecting/                    Mit dem Ansatz der Peer-Group-Education bietet sich ein Potenzial, den Aufbau von Kon-                                               Ansatzes in Schweiz,
sie sogar im Kontrollverlust oder der Selbstschädigung an sich. 13
                                                                                                                                   ExpertInnenpool für Rausch-             sumkompetenzen unter Gleichaltrigen zu unterstützen. Wenn Mitglieder einer Peer-Group                                                Expertengruppe Weiterbildung
Prävention und Schadensminderung auf der Basis von Risikokompetenz setzt das Risiko an                                             und Risikopädagogik                     als positive Rollenmodelle und Wissensvermittler wirken, kann dies die informellen Lern-                                             Sucht EWS

sich als wesentliche Entwicklungssehnsucht des Menschen und als ein wichtiges Entwick-                                                                                     prozesse unter Gleichaltrigen im Sinne der Gesundheitsförderung beeinflussen und einer
lungs- und Lernfeld voraus. Die Risikopädagogik will im Gegensatz zur Risikovermeidung                                             Love Life – und bereue nichts           Aneignung problematischer Konsummuster entgegenwirken. 15 Neben der Sensibilisierung                                                 Voilà
                                                                                                                                   Kampagne gegen HIV und                                                                                                                                                       Ferienlager von Jugend-
Gefährdungen in Risikosituationen reduzieren, indem sie Rausch- und Risikostrategien                                                                                       der Gruppenmitglieder sind je nach Bereich auch die Verankerung von Risikostrategien
                                                                                                                                   andere sexuell übertragbare                                                                                                                                                  verbänden mit Themen zur
vermittelt. Dabei orientiert sie sich in erster Linie an Kontexten und Zielgruppen, in denen                                                                               (z. B. Bestimmung eines Gruppenmitglieds, das an einem Abend nur wenig oder gar nicht
                                                                                                                                   Infektionen, Bundesamt für                                                                                                                                                   Gesundheitsförderung
Risikohandeln bereits ein Bestandteil der alltäglichen Konsumpraktiken ist.                                                        Gesundheit BAG                          trinkt) oder von funktional gleichwertigen Handlungsalternativen (z. B. Bar mit alkoholfrei-                                         für Kinder und Jugendliche,
                                                                                                                                                                           en Drinks) mögliche Ziele einer Intervention. Durch die Schulung und die gemeinsame Be-                                              Schweizerische Arbeits-
Um Risiken richtig einschätzen zu können, ist zum einen die Kenntnis der Gefahren und
                                                                                                                                                                           arbeitung von Präventionsthemen entsteht eine enge Beziehung zwischen Fachleuten und                                                 gemeinschaft der Jugendver-
möglichen Folgeschäden und ihrer Eintretenswahrscheinlichkeit notwendig, welche mit
                                                                                                                                                                           den jugendlichen Peer-Leadern, durch welche insbesondere die involvierten Peers selbst                                               bände SAJV
Substanzkonsum oder anderem Risikoverhalten verbunden sind. 14 Zum anderen setzt der
                                                                                                                                                                           gestärkt werden. Die Fachleute ihrerseits profitieren insofern, als sie aus erster Hand Ein-
Ansatz der Risikopädagogik auf die Vermittlung von gefährdungsmindernd wirkenden
                                                                                                                                                                           blick in die Konsummuster, aber auch in die Bedürfnisse der Peer-Group erhalten.
Handlungsroutinen. Dazu gehört, dass vor riskanten Konsumentscheiden das soziale Set-
ting und die persönliche Befindlichkeit analysiert werden, fixe Reflexionsphasen und Aus-                                                                                  Gerade in homogenen Gruppen entstehen Werte und Einstellungen, welche manchmal
stiegspunkte integriert sind und die Erfahrungen im Nachhinein in der Gruppe verarbeitet                                                                                   auch falsch sind. Beispielsweise stufen Jugendliche den Anteil gleichaltriger Raucherinnen
werden. Diese Handlungsroutinen unterstützen die Konsumierenden darin, auch unter                                                                                          und Raucher viel zu hoch ein. Peer-Group-Education ist eine geeignete Schutz- und Prä-
Bedingungen reduzierter Aufmerksamkeit, Zeit und Gruppendruck die für sie bestmögli-                                                                                       ventionsmethode, um hier korrigierend wirken zu können und Jugendlichen Impulse zu
chen Entscheide zu treffen und Rauscherfahrungen zu machen, ohne ihre Gesundheit zu                                                                                        geben, sich fundiert mit einer Thematik auseinanderzusetzen und eine eigene Meinung
schädigen.                                                                                                                                                                 zu entwickeln.

Daraus ergeben sich zwei Implikationen für Programme der Risikokompetenzförderung:                                                                                         Dabei muss allerdings unbedingt vermieden werden, dass Jugendliche im Interesse von
Erstens sollte über Rausch- und Risikoerfahrungen, -sehnsüchte und -strategien eine offe-                                                                                  Public-Health-Zielen instrumentalisiert werden. Sollen Peer-Education-Massnahmen ge-
ne Diskussion kultiviert werden, in welcher Rauscherleben nicht bloss tabuisiert oder pro-                                                                                 lingen, dann sollten die Jugendlichen freiwillig teilnehmen können, sie sollten massgebend
blematisiert, sondern ambivalent thematisiert wird. Und zweitens sind soziale und örtliche                                                                                 in die Gestaltung und Steuerung von Massnahmen mit einbezogen werden und sie sollten
Lernräume zu schaffen oder zu tolerieren, die Begleitung anbieten und in denen Risikohan-                                                                                  kontinuierlich von Fachleuten unterstützt werden. Entscheidend ist, dass die Jugendlichen
deln geübt und verarbeitet werden kann.                                                                                                                                    nicht die Normen der Erwachsenenwelt überbringen müssen, sondern jene Werte vermit-
                                                                                                                                                                           teln können, die sie für ihr eigenes Leben als interessant empfinden. 16

                                                                                                                                                                           15 Kern-Scheffeldt, Walter (2005): «Peer-Education und Suchtprävention». Suchtmagazin 5/2005, 3–10.
13 Koller, Gerald & Rögl, Nicole (Hrsg.) (2003): Risflecting. Grundlagen, Statements und Modelle zur Rausch-und Risikopädagogik.                                           16 Licht, Flemming (1999): «Peer-Group Education». In: Koller, Gerald (Hrsg.): Meet the need. Guidelines for Peer-group-Education
Ein Studien- und Lesebuch. Salzburg: Akzente Suchtprävention, 100–106.                                                                                                     preventing addiction in out-of-school-youthwork. Münster: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Koordinationsstelle für Drogenfragen
14 Gigerenzer, Gerd (2013): Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. München: C. Bertelsmann.                                                                  und Fortbildung.

                                                                                                                                                                 12   13
Handlungsfelder
auf kollektiver Ebene

Problembehaftetes Konsumverhalten und seine Folgen
werden in der breiten Bevölkerung und der Politik eher mit
individuellem Fehlverhalten in Verbindung gebracht
als mit gesellschaftlichen und marktwirtschaftlichen
Verhältnissen. Damit verbunden ist der fortgesetzte Trend,
die Verantwortung für ein gesundes Konsumverhalten
und die Kosten der unerwünschten Konsumfolgen
allein den Konsumenten zu überlassen. Dabei geht leicht
vergessen, dass strukturelle Massnahmen oft nicht
nur effektiver, sondern auch kostengünstiger sind als Inter-
ventionen zur Verbesserung des individuellen Verhaltens.

In diesem Umfeld stehen Gesellschaft, Politik und
Wirtschaft in der Pflicht, die kollektive Mitverantwortung
und die Eigenverantwortung in einem ausgewogenen
Verhältnis zu halten. Im Zentrum der Anstrengungen auf
kollektiver Ebene stehen daher die Förderung gesunder
Lebensumwelten und die gemeinsame Arbeit an der
«Architektur des Entscheidens»: an den politischen Rahmen-
bedingungen, den marktwirtschaftlichen Angebots-
strukturen und den kulturellen Normen und Ritualen, in
denen Konsumentscheide gefällt werden.
Kohärenten Regulierungs-                                                                                                                                                     Neue Regulierungsmodelle
rahmen schaffen                                                                                                                                                              erproben – Laboratorien
                                                                                                                                                                             und Pilotprojekte einsetzen

H A ND LUNG SFE L D 5                                                                                                                                                        H AN D LUNGS FE L D 6

Die schweizerische Suchtpolitik mit ihrer Unterteilung nach den Substanzen Alkohol, Ta-                                             BEI S PI E LE                            Eine nationale Suchtpolitik und die entsprechenden Regulierungsbestimmungen können                                      BEI S PI E L
bak und illegale Drogen ist historisch gewachsen und entspringt nicht nur zeitgebundenen                                                                                     in einer föderalen Demokratie kaum durch nationalstaatliche Akteure «von oben» wei-
gesellschaftlichen Werturteilen, sondern ist auch wirtschafts- und produktionsgeschicht-                                            Übersicht über Regulie-                  terentwickelt werden. Sollen die sich verändernden Realitäten einer konsumierenden Ge-                                  Associations de consomma-
lich begründet. Hingegen wurden das Schadenspotenzial und die tatsächliche Problemlast                                              rungsmodelle für                         sellschaft bewältigt und die fortlaufenden Lernprozesse im Umgang mit problematischem                                   teurs de Cannabis
                                                                                                                                    psychoaktive Substanzen                                                                                                                                          Initiative für einen Pilot-
in der Reglementierung bisher zu wenig berücksichtigt. So sind die gesundheitlichen, so-                                                                                     Konsumverhalten auf längere Sicht stabilisiert werden, muss sich die nationale Politik viel-
                                                                                                                                    Bestandesaufnahme                                                                                                                                                versuch mit reguliertem
zialen und wirtschaftlichen Schäden des Alkohol- und des Tabakkonsums beispielsweise                                                                                         mehr auf ein komplexes Spiel der Mehrebenenregulierung einlassen. 19
                                                                                                                                    mit Anregungen für neue                                                                                                                                          Cannabisverkauf zur Verbes-
höher als jene des illegalen Substanzkonsums. 17 Viele gesundheitliche und soziale Folgen
                                                                                                                                    Regulierungslösungen                     Die föderale Struktur der Schweiz bietet an sich ideale Voraussetzungen, um mit Pilot-                                  serung der Sicherheit in
entstehen zudem nicht allein durch Abhängigkeit, sondern generell durch hohen Konsum,                                               im legalen und illegalen Bereich,                                                                                                                                der Stadt, Groupe de réflexion
                                                                                                                                                                             versuchen auf Kantons-, Stadt- oder Gemeindeebene neue Regulierungsmodelle in ver-
und nicht nur durch die unmittelbaren Wirkungen der Substanzen, sondern auch durch                                                  Eidgenössische Kommissionen                                                                                                                                      interpartis du Canton
                                                                                                                                                                             schiedenen politischen und sozialen Rahmenbedingungen auszuprobieren. Kleinräumige
die Begleitumstände des Konsums (z. B. Zugang zu einem illegalen Markt, Verkehrsunfälle                                             für Drogenfragen EKDF,                                                                                                                                           de Genève
                                                                                                                                                                             Initiativen und die Zusammenarbeit lokaler Akteure sind hierbei unabdingbare Elemente.
durch Alkoholkonsum). Ferner gibt es auch substanzungebundene Verhaltensweisen mit                                                  für Alkoholfragen EKAL und
                                                                                                                                    für Tabakprävention EKTP                 In örtlich und zeitlich begrenzten Laboratorien können so neue Ansätze erprobt werden,
Sucht- und mit gesundheitlichem und sozialem Schadenspotenzial (z. B. Spielsucht).
                                                                                                                                                                             um Erfahrungen zu sammeln und funktionierende Lösungen bereit zu haben, die später in
Eine evidenzbasierte und kohärente Regulierung bedürfte deshalb eines umfassenden Be-                                               Marktregulierung in der                  eine übergeordnete Regulierung einfliessen könnten. Die umfassende Evaluation dieser Pi-
wertungsmassstabs, der auf alle psychoaktiven Substanzen und alle Konsumformen an-                                                  Drogenpolitik                            lotversuche sowie ein nationaler Austausch und Wissenstransfer würden es ermöglichen,
wendbar ist. Dieser Massstab müsste auch den Konsum von Medikamenten und neuer                                                      Grundposition und Empfeh-                den Praxisnutzen zu bewerten und die angewandten Lösungen weiterzuentwickeln – oder
pharmazeutischer Mittel zur Leistungssteigerung berücksichtigen und substanzunabhän-                                                lungen zu alternativen                   auch zu verwerfen. Hierin besteht ein möglicher Beitrag der Bundesbehörden.
                                                                                                                                    Formen der Marktregulierung,
giges Konsumverhalten mit Suchtpotenzial mit einschliessen. Kern eines solchen Ansatzes
                                                                                                                                    Nationale Arbeitsgemeinschaft            Entwicklungen in dieser Richtung sind beispielsweise in den US-Bundesstaaten Colorado
bildet eine systematische Neubeurteilung des Schadenspotenzials und der tatsächlichen
                                                                                                                                    Suchtpolitik NAS                         und Washington zu beobachten: Diese haben den Konsum von Cannabis auf Staatsebene
Problemlast für die einzelnen Substanzen und Verhaltensweisen in der Schweiz. Interna-
                                                                                                                                                                             legalisiert und sind daran, Lizenzsysteme für die Produktion und den Handel einzurichten.
tional liegen bereits entsprechende Beispiele vor. 18 An einer solchen Norm orientierte Re-
                                                                                                                                                                             Auch andere Initiativen aus dem Ausland können wertvolle Erfahrungen liefern. So hat
gulierungsmodelle wären infolgedessen neu zu konzipieren. In ihren konkreten Lösungen
                                                                                                                                                                             Uruguay entschieden, Cannabis mit einem Regulierungsmodell von der Produktion über
müssen sie sich an den gesellschaftlichen Realitäten ausrichten und auf den vorhandenen
                                                                                                                                                                             den Handel bis hin zum Konsum aus dem Schwarzmarkt herauszulösen. Und in Spanien
Praxiserfahrungen aufbauen.
                                                                                                                                                                             sind mit sogenannten «Cannabis Social Clubs» bereits mehrjährige Erfahrungen mit einem
Ein solche Art der Regulierung ist – im Gegensatz zum Verbotsansatz – dem humanis-                                                                                           regulierten Markt vorhanden. In der Schweiz haben inzwischen mehrere Städte Interesse
tisch-liberalen Grundgedanken verpflichtet, dass der Umgang bzw. Nicht-Umgang mit allen                                                                                      an einer Initiative aus dem Kanton Genf bekundet, die vorsieht, in einem Pilotversuch
Substanzen und Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial im Prinzip lernbar ist und Menschen                                                                                       lizenzierte Produktions- und Verkaufsgemeinschaften für Cannabis einzuführen. 20
ihren Konsum in grösstmöglicher Freiheit selbst bestimmen sollen. Gleichzeitig verbessern
                                                                                                                                                                             Bei der Konzeption neuer Regulierungsmodelle kann auch auf die Vielfalt der in der Schweiz
sich mit einer Regulierungslösung auch die Voraussetzungen, dass Kinder und Jugendliche
                                                                                                                                                                             bereits existierenden Lösungen zurückgegriffen werden: Auf allen Stufen der Herstellungs-,
sowie andere vulnerable Individuen angemessen geschützt, Menschen in Notlagen aus-
                                                                                                                                                                             Handels- und Konsumkette sind in den Bereichen Alkohol, Tabak, illegale Drogen, Glücks-
reichend versorgt und die negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Konsums
                                                                                                                                                                             spiel oder Medikamente gut funktionierende nationale oder kantonale Regulierungslösun-
besser kontrolliert werden können. Da der Staat mit den erhobenen Konsumsteuern auch
                                                                                                                                                                             gen vorhanden. Diese Erfahrungen gilt es besser als heute zu nutzen und ihre Eignung für
Nutzniesser von Regulierungen ist und dadurch selber strukturellen Abhängigkeiten unter-
                                                                                                                                                                             andere Substanzen, mitunter auch für substanzunabhängiges Konsumverhalten, systema-
liegt (Tabak, Alkohol, Geldspiel), ist seine Rolle dabei stets eine ambivalente.
                                                                                                                                                                             tisch zu überprüfen. So wären etwa Bewilligungspflichten und Zulassungsverfahren, wie
                                                                                                                                                                             sie bei Arzneimitteln oder Alkoholika gelten, auch für Zigaretten denkbar oder ein Verbot
                                                                                                                                                                             gewisser Zusatzstoffe wie bei Tabakprodukten könnte auch bei Alkopops sinnvoll sein.

17 BAG, Bundesamt für Gesundheit (2011): Herausforderung Sucht. Grundlagen eines zukunftsfähigen Politikansatzes für
die Suchtpolitik in der Schweiz. Bern: Steuergruppe der drei Eidgenössischen Kommissionen für Alkoholfragen, für Drogenfragen und                                            19 Cattacin, Sandro (2009): Sozietales Lernen in einer berauschenden Gesellschaft. Genève: Département de sociologie.
für Tabakprävention, 52.                                                                                                                                                     http://www.2009.suchtakademie.ch/Cattacin_HypothesenDeutsch.pdf, Zugriff am 26. 05. 2014.
18 Nutt, David J./King, Leslie A./Philips, Lawrence D. (2010): «Drug harms in the UK: a multicriteria dicision analysis».                                                    20 Zobel, Frank & Marthaler, Marc (2014): Von den Rocky Mountains bis zu den Alpen: Regulierung des Cannabismarktes –
Lancet 376 (9752), 1558–1565.                                                                                                                                                neue Entwicklungen. Lausanne: Sucht Schweiz.

                                                                                                                                                                 16     17
Markttransformation                                                                                                                                       Interessen wirksamer
durch Druck von unten                                                                                                                                     durchsetzen –
                                                                                                                                                          Allianzen bilden

H A ND LUNG SFE L D 7                                                                                                                                     H AN D LUNGS FE L D 8

In einem marktwirtschaftlichen Umfeld sind die Angebotsstrukturen naturgemäss auf Kon-                              BEI S PI E LE                         Der Konsum von psychoaktiven Substanzen und anderes Konsumverhalten mit Abhängig-                                              BEI S PI E LE
sum ausgerichtet. Das verfügbare Konsumangebot und dessen Vermarktung beeinflusst                                                                         keitspotenzial ist in der Regel mit weiter gefassten sozialen und wirtschaftlichen Fragen
die Konsummuster und erzeugt neue Trends. Dabei sind jene Produkte, mit denen sich eine                             Unter Strom                           verbunden. Dementsprechend treffen in der Auseinandersetzung mit Suchtfragen meist                                             actionsanté
hohe Wertschöpfung erzielen lässt, nicht notwendigerweise identisch mit jenen, welche                               Rating grosser Schweizer              eine ganze Reihe unterschiedlich gelagerter Interessen aufeinander. Die Argumente der                                          Initiative zur Unterstützung
der Lebensqualität der Konsumierenden längerfristig zuträglich sind. Um aber gesunde                                Unternehmen zum Umgang                Public Health – auch wenn sie noch so stichhaltig sind – vermögen Konsumenten, Anbie-                                          freiwilliger Aktivitäten
                                                                                                                    mit elektrischer Energie,                                                                                                                                            von Unternehmen im Bereich
Lebensumwelten zu fördern, müsste die gesündere Wahl die attraktivere, günstigere, kurz:                                                                  ter und Politik indes selten zu überzeugen. Um den suchtpolitischen Anliegen zu mehr
                                                                                                                    WWF Schweiz                                                                                                                                                          Ernährung und Bewegung,
die naheliegende Option darstellen – immer unter Beibehaltung der Entscheidungsfrei-                                                                      Gewicht und Akzeptanz zu verhelfen, gilt es deshalb, gemeinsame Interessen mit Akteuren
                                                                                                                                                                                                                                                                                         Bundesamt für Gesundheit
heit. 21 So wäre es zum Beispiel ein Leichtes, das vegetarische Menü in Restaurants und                                                                   besser zu nutzen, die ausserhalb des Gesundheitsbereichs tätig sind. 22                                                        BAG
                                                                                                                    Clean Clothes Campaign
Kantinen als Standard-Menü oder «Menü 1» anzubieten, das fleischhaltige Menü hingegen
                                                                                                                    Internationales Kampagnen-            Beispiele für erfolgversprechende Kooperationen mit Herstellern und Anbietern sind etwa
auf Wunsch oder als «Menü 2». Dazu ist aber eine Transformation des Marktes notwendig.                              Netzwerk zur Verbesserung der                                                                                                                                        Jugend und Medien
                                                                                                                                                          im Bereich Ernährung (actionsanté/BAG, Allianzen des WWF) oder elektronische Me-
                                                                                                                    ökologischen und sozialen                                                                                                                                            Programm für erwachsene
Damit sich die Auswahl für die Konsumenten verbessert, kann der Druck «von unten»,                                                                        dien (Jugend und Medien/BSV) zu nennen. Voraussetzung für solche Allianzen ist, dass
                                                                                                                    Produktion bei grossen Marken-                                                                                                                                       Bezugspersonen und
also die Marktmacht des Kollektivs und der Öffentlichkeit, wirksam eingesetzt werden – in                                                                 vorgängig intern für jede Substanz und jede Verhaltenssucht Kriterien für die jeweiligen
                                                                                                                    firmen und Verteilern                                                                                                                                                Institutionen zur Förderung
Zusammenarbeit mit oder in Opposition zu marktwirtschaftlichen Akteuren. Zivilgesell-                               im Textilbereich, Erklärung           Partnerschaften definiert werden, die mit den etablierten suchtpolitischen Zielen über-                                        von Medienkompetenzen
schaftliche Interessenvertreter und Non-Profit-Organisationen beispielsweise aus dem                                von Bern                              einstimmen.                                                                                                                    von Jugendlichen, Bundesamt
Umwelt- und Sozialbereich haben langjährige Erfahrung mit entsprechenden Strategien:                                                                                                                                                                                                     für Sozialversicherungen
                                                                                                                                                          Wo eine direkte Zusammenarbeit mit Produzenten auf absehbare Zeit nicht oder nur sehr
Öffentlichkeitswirksame Kampagnen schaffen Aufmerksamkeit, decken Missstände auf                                                                                                                                                                                                         BSV
                                                                                                                                                          limitiert möglich und zielführend ist, bieten sich zum einen Allianzen mit den Grossvertei-
und machen sinnvolle Konsumalternativen bekannt. Die Alternativen können in verbesser-
                                                                                                                                                          lern oder der Gastronomie an. Diese könnten ihre Produktpalette verbessern, ihre Umsatz-
ten Produkten, aber auch in anders gestalteten Auslagen oder in einer angepassten Preis-
                                                                                                                                                          ziele z. B. mit alkoholfreien Getränken anpassen und dies auch gezielt vermarkten. Zum
gestaltung bestehen. Damit sich das Angebot in der gewünschten Richtung ändert, müssen
                                                                                                                                                          anderen liegt in Koalitionen mit Non-Profit-Organisationen aus den Bereichen Umwelt,
diese Alternativen jedoch von einer spürbaren Zahl von Konsumentinnen und Konsumen-
                                                                                                                                                          Soziales, Konsumentenschutz oder Menschenrechte ein bislang wenig genutztes Poten-
ten nachgefragt werden. Produkte- und Hersteller-Ratings sind hier ein probates Mittel, um
                                                                                                                                                          zial, um die Resonanz bei Herstellern und Handel, aber auch in der Politik zu erhöhen.
dem Markt die gewünschte Konkurrenz zu geben und gegenüber den Anbietern Druck auf-
                                                                                                                                                          Gemeinsame Brennpunkte könnten beispielsweise die Produktdeklaration, die Umwelt-
zubauen. Unverantwortliche Anbieter und ungenügende Produkte öffentlich zu machen, ist
                                                                                                                                                          belastung durch Zigaretten-, Flaschen- und Dosenmüll oder die Arbeitsbedingungen auf
ebenso ein Element dieser Strategie wie die positive Publizität für «Musterschüler».
                                                                                                                                                          Tabak- oder Cocaplantagen sein.
Derweil liegt in einer gesünderen Angebotsgestaltung durchaus Potenzial für unternehme-
                                                                                                                                                          Als Nebenprodukt ergeben sich für die Institutionen aus dem Suchtbereich auch Chancen,
risches Handeln, beispielsweise im Bereich der Imagebildung, der Mitarbeitermotivation,
                                                                                                                                                          die eigene Visibilität zu steigern und Werbung in eigener Sache zu betreiben. Dem steht
im Extremfall auch der Produktehaftung. In der Tat haben freiwillige Massnahmen grosser
                                                                                                                                                          die Gefahr gegenüber, dass die Allianzpartner auch bei Aktivitäten, die den Präventionszie-
Hersteller und Anbieter, aber auch von Arbeitgebern oder öffentlichen Institutionen, einen
                                                                                                                                                          len zuwider laufen, von der hohen Glaubwürdigkeit von Institutionen der Prävention und
ungleich stärkeren und schneller zu erzielenden Effekt auf die verfügbare Auswahl und das
                                                                                                                                                          Suchtarbeit profitieren. In der Tat ist das Spiel der Allianzen mit Risiken behaftet: Will man
Konsumumfeld. Gelingt es, sie von den Vorteilen zu überzeugen, dann lassen sich auch auf
                                                                                                                                                          etwas erreichen, sind Ideallösungen selten zu haben, Zugeständnisse oft unumgänglich
diesem Weg alternative Produkte und Vertriebslösungen lancieren und gesündere Lebens-
                                                                                                                                                          und ein gewisser Kontrollverlust ist schwierig vermeidbar. Eine strategische Analyse der
umwelten fördern. Ein Mittel dazu bieten Qualitätslabels und Zertifizierungen.
                                                                                                                                                          Ziele, der Erfolgsaussichten und der ungünstigen Nebenfolgen muss deshalb jede neue
Übertragen auf die Suchtthematik ergeben sich hieraus vielversprechende Strategien. Die-                                                                  Partnerschaft begleiten. Je nach Umfeld und Interessenlage kann auf längere Sicht durch-
se können beispielsweise zum Ziel haben, die Vermarktung alkoholfreier Trendgetränke zu                                                                   aus auch eine konsuquente Haltung und ein Alleingang berechtigt sein.
verstärken, das Label «rauchfrei» (z. B. für Schulklassen oder Kliniken) besser zu etablieren
oder die technischen Jugendschutzeinstellungen von Internet-Providern, Suchmaschinen
oder Online-Geldspielen zu verbessern.

21 Thaler, Richard H. & Sunstein, Cass R. (2008): Nudge. Improving decisions about health, wealth, and happiness.
New Haven CT: Yale University Press.                                                                                                                      22 BAG, Bundesamt für Gesundheit (2014): «Allianzen – Chancen und Grenzen». Spectra Nr. 104. Bern: Bundesamt für Gesundheit.

                                                                                                                                              18     19
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