Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
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EDITORIAL Editorial Liebe Sportfreundinnen und Sportfreunde, die Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf den organisierten Sport halten uns seit Monaten in Atem. Das zweite große Thema dieser Tage ist mindestens ge- nauso wichtig und genauso aktuell. Im Gegensatz zur Corona-Pandemie ist es aber nicht neu, sondern eine Art negativer Dauerbrenner: Wenn Menschen in aller Welt unter dem Hashtag #blacklivesmatter auf die Straße gehen, mag der Slogan ein relativ neuer sein. Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung ist es nicht. Er ist schon lange notwendig und er ist es noch immer. ser eigenes Handeln reflektieren und den Diskurs suchen mit denen, die potenziell von rassistischen An- Auch der Sport ist davon nicht ausgenommen. Denn feindungen betroffen sind. obwohl sich der Landessportbund Hessen in seiner Sat- zung klar gegen Rassismus sowie antidemokratische, In unserem Schwerpunktthema zeigen wir auf, warum nationalistische und antisemitische Tendenzen positi- der Blick nicht allein auf die Täter gerichtet und die oniert, obwohl in vielen Vereinen hervorragende Inte- Perspektive der Betroffenen stärker in den Mittelpunkt grationsarbeit geleistet wird und das friedliche und gerückt werden sollte. Wir stellen die Kampagne faire Miteinander der Nationen im sportlichen Wett- #engagiertgegenrassismus der Sportjugend Hessen kampf das Leitmotiv der Olympischen Spiele darstellt, vor und lassen Aktive zu Wort kommen. Außerdem wid- gibt es auch in diesem Teil der Gesellschaft offenen men wir uns den Fragen, welche Rolle Migrantensport- und versteckten Rassismus. vereine spielen und was MAKKABI Deutschland gegen Antisemitismus im Sport unternehmen will. Es ist deshalb an jedem Einzelnen von uns, klare Posi- tion zu beziehen. Wir wollen uns deutlich gegen Ras- Daneben informieren wir selbstverständlich über den sismus und Hass im Sport aussprechen. Wir sollten un- aktuellen Stand von lsb h-Projekten, gehen auf Er- kenntnisse der SINUS-Jugendstudie ein – und laden Sie schon jetzt ein zur ersten digitalen Fachtagung und Sportstättenmesse „sportinfra“. Viel Spaß bei der Lek- türe Ihrer „Sport in Hessen“ wünscht Ihre Dr. Susanne Lapp SIH 1 6 / 15.08.2020
2 INHALT Inhalt 3 „sportinfra“ erstmals digital Sportstättenmesse und Fachtagung 6 4 Herausforderung Wiedereinstieg Vereine und Sportkreise berichten Gegen Rassismus im Sport Der schwere Weg zum bunten Sport 18 Kurz notiert Namen und Notizen aus der Sportwelt 19 Übungsleiter Tipps für die Praxis 16 23 Amtliches Am Ball bleiben Neues aus Hessens Vereinen So kann Inklusion gelingen 24 Sinus-Studie Wie die Jugend auf Sportvereine blickt 29 Flüssig laufen 17 Richtig trinken beim Joggen Neues Förderprojekt 31 Gleichstellung im Sport Für mehr Präventionssport in Hessen Mentoring-Programm trotzt Corona 32 Sportliche Lesetipps Neue Bücher 27 34 Bildungsakademie Ausbildungsbroschüre steht online Sportstiftung Hessen Der Traum von Little Olympia 35 ARAG Sportversicherung Schadensfall des Monats 36 Sport und Geschichte Ein Hauch von Indianapolis 37 Sportjugend Hessen Von Demokratie und Beteiligung Impressum Herausgeber: Landessportbund Hessen e. V. (lsb h); Otto-Fleck- Anzeigen Nord/Mitte: Claudia Brummert, Frankfurter Straße 168, Titelfoto: Die. Schneise 4, 60528 Frankfurt, Tel.: 069/6789 -0 34121 Kassel, Tel.: 0561/60280-180, Fax: 0561/60280-199, Foto: D Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Susanne Lapp, Vizepräsidentin für E-Mail: brummert@ddm.de Kommunikation und Marketing, Glauburgstraße 11, 60318 Frankfurt. Anzeigen Süd: Torsten Wethlow, Waldstraße 226, 63071 Offenbach, www.landessportbund-hessen.de Redaktion: Leitung Ralf Wächter (RW), Isabell Boger (ib), Markus Tel.: 069/85008-368, Fax: -394, E-Mail: sih@op-online.de Wimmer (maw), Otto-Fleck-Schneise 4, 60528 Frankfurt. So erreichen Sie uns: Ralf Wächter, rwaechter@lsbh.de, Tel.: 069/6789 Sport in Hessen erscheint vierzehntägig zum Wochenende -262; Isabell Boger, iboger@lsbh.de, Tel.: 069/ 6789-267; Markus Bezugspreis: Jährlich Euro 51,11 einschl. Postgebühren und MwSt. Wimmer, mwimmer@lsbh.de, Tel. 069/6789-437; Fax: 069/6789-300. Bestellungen für Vereine beim Landessportbund Hessen e. V., Verlag: Pressehaus Bintz-Verlag GmbH & Co. KG, Waldstraße 226, für Privatpersonen bei Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG 63071 Offenbach Druck und Vertrieb: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG, Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Verfasser Frankfurter Straße 168, 34121 Kassel. wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keine Abonnementverwaltung: Frankfurter Straße 168, 34121 Kassel, Gewähr übernommen. Eine Rücksendepflicht besteht nicht. Tel.: 0561/60280-452, Fax: 0561/60280-499, E-Mail: abo-sih@dierichs-druck.de SIH XX / XX.XX.2016
SPORTINFRASTUKTUR 3 8. sportinfra findet online statt Sportstättenmesse und Fachtagung am 4. und 5. November erstmals in digitalem Format / Austausch über Live-Streaming, Online-Foren und virtuelle Meeting-Räume D ie Sportstättenmesse und Fachtagung „sportin- fra“ des Landessportbundes Hessen e. V. (lsb h) findet 2020 erstmals in digitaler Form statt. Unter dem Motto „umweltverträglich – digital – leistungsstark“ dreht sich am Mittwoch und Donners- tag, 4. und 5. November, alles um moderne Sport- infrastruktur im urbanen und ländlichen Raum. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Anforderungen künftig an Sportstätten und Bewegungsräume gestellt werden und wie mit einer zukunftsgewandten Planung darauf reagiert werden kann. „Eine Fachtagung mit Messe lebt von guter Informati- onsvermittlung, vor allem aber vom Netzwerken und Austausch untereinander. Mithilfe von Livestreaming- formaten, Online-Foren, virtuellen Meeting-Räumen sowie einem Netzwerkcafé ermöglichen wir diesen Aus- tausch auch digital“, sagt Dr. Frank Weller, zuständiger Vizepräsident des lsb h. Die „sportinfra“, die normalerweise alle zwei Jahre in Frankfurt am Main stattfindet, richtet sich an Verant- Jahren entwickeln muss, um den neuen Anfoderungen OBEN wortliche aus Vereinen und anderen Sportorganisatio- gerecht zu werden. Bequem von zu nen, Vertreter von Kommunen, Schulämtern, Pla- Hause aus teilnehmen und nungs-, Bau- und Sportämtern sowie Architekten oder Herausforderungen der 2020er Jahre dennoch nicht auf Sporthallenbauer. Da zum jetzigen Zeitpunkt unklar Austausch ist, in welcher Form Tagungen im Herbst stattfinden „Wir beobachten in Hessen – wie vermutlich in ganz verzichten: Das soll können, haben sich die Organisatoren gegen eine klas- Deutschland – zwei gegenläufige Entwicklungen: In die 8. sportinfra sische Präsenzveranstaltung entschieden. „Mit dem di- den urbanen Räumen wächst die Bevölkerung und wird ermöglichen. gitalen Format betreten wir Neuland. Gleichzeitig se- im Durchschnitt jünger. Dadurch lastet ein immenser Grafik: pixabay.com/ hen wir diesen Schritt als Chance für die Zukunft“, so Druck auf den wenigen vorhandenen Flächen. In den Montage: Boger Weller. Die „sportinfra“ könne Vorreiter werden für an- ländlichen Räumen sorgt der demografische Wandel dere Fachtagungen im Sport. dafür, dass wir uns über Zentrierung und eine Siche- rung der Daseinsvorsorge Gedanken machen müssen“, Teilnahme von jedem beliebigen Ort aus beschreibt Dr. Frank Weller. In beiden Bereichen be- Mehr Informationen stehe die Herausforderung darin, die vorhandene zu den Fachforen und Einer der großen Vorteile besteht darin, dass die digi- Sportinfrastruktur an die aktuellen Bedürfnisse anzu- Ausstellern sowie zur Onlineanmeldung tale „sportinfra“ von jedem Ort aus „besucht“ werden passen sowie neue Formen der Bewegungsförderung zu unter www.sportinfra. kann. Insbesondere den vielen Ehrenamtlichen in den integrieren. Wie das gelingen kann, wird die zentrale de. hessischen – und anderen deutschen – Sportvereinen Fragestellung der „sportinfra“ sein. erleichtert dies die Teilnahme. Der technische Zugang wird dabei so einfach wie möglich gestaltet. Die Sportstättenmesse, die traditionell parallel zur Fachtagung stattfindet, wird ebenfalls in den digitalen Qualitativ müssen die Teilnehmenden keine Einschnitte Raum übertragen. In virtuellen Räumen können die Bei Fragen wenden befürchten: Die dreizehn zweistündigen Foren werden Besucher/innen individuelle und kompetente Beratun- Sie sich bitte an live ins Internet übertragen. Im Fokus stehen dabei gen durch Expert/innen aus der Wirtschaft, Wissen- Stefanie Süß, E-Mail: ssuess@lsbh.de, Themen wie Sportvereinsstudios, Kunststoffrasen- schaft und dem Sport erhalten und sich über Neuheiten oder Frank Grübl, plätze, Umwelt und Klimaschutz, Sportstättenentwick- informieren. Beim direkten Kontakt mit den Ausstel- E-Mail: fgruebl@ lungsplanung oder – passend zum Format – die Digita- lern können zudem eigene Projektideen ausge- lsbh.de. lisierung der Sportinfrastruktur. Den Rahmen bildet tauscht und besprochen werden. die Frage, wie sich die Sportinfrastruktur in den 2020er Isabell Boger SIH 1 6 / 15.08.2020
4 CORONA-PANDEMIE Zerbrechliche Freiheit Covid-19: Seit August gelten weitreichende Lockerungen für den Sport / Infektionszahlen bestimmen weiteren Weg / Unterschiedliche Regelungen vor Ort S eit dem 1. August darf Vereinssport in Hessen wieder ohne eine Beschränkung der Personen- zahl ausgeübt werden. Der Sport- und Wett- kampfbetrieb ist auf den Sportanlagen, im Freien und in Hallen unter Beachtung der ausgewiese- nen Hygieneschutzmaßnahmen wieder möglich, zwi- schen den Sportlerinnen und Sportlern muss der Min- destabstand im Trainings- und Wettkampfbetrieb somit nicht mehr eingehalten werden. Insbesondere für die Mannschafts- und Kontaktsport- arten ist dies eine erhebliche Erleichterung. Allerdings unterscheiden sich die weiterhin geltenden jeweiligen Hygienerichtlinien der Kreise und Gemeinden zum Teil erheblich und somit gestaltet sich für die Vereine auch der Wiedereinstieg in den Sport recht unterschiedlich. Überdies können bzw. müssen die Lockerungen bei Be- Fußball-Teams Gebrauch machen. „Das werden wir in darf auch wieder zurückgenommen werden. Im Folgen- begrenztem Ausmaß auch machen, da die Anste- den geben wir einen (unvollständigen) Überblick über ckungsgefahr während des Spielens laut DFB nicht als OBEN die Situation in verschiedenen Sportkreisen Anfang so hoch eingeschätzt wird“, sagt Ihlefeld. Er nimmt die Der Ball darf in Hessen August (Stand: 07.08.), allerdings könnte sich die Lage durchaus ernst und setzt zusammen mit seinen auch mit mehr als zehn Personen auf dem Platz Lage seitdem durchaus wieder geändert haben. Vereinskollegen die Hygieneregeln konsequent um. wieder rollen. „Wir wollen auf keinen Fall, dass die SG Rosenhöhe Foto: pixabay.com/ Zerbrechliche „Normalität“ plötzlich zum Corona-Hotspot wird.“ Capri23 Denn wie zerbrechlich diese neue „Normalität“ im Unterschiedliche Regelungen Sport sein kann, zeigt das Beispiel der Stadt Offen- bach. Dort gelten die Lockerungen nicht, denn die Zahl Einheitlich sind die Regelungen für den Wiedereinstieg der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschritt nicht, da in den Landkreisen und Kommunen unter- den Wert von 20. Dort könnten, abhängig von der wei- schiedliche Vorgaben gelten. Vereine, die städtische teren Entwicklung der Infektionszahlen, frühestens ab und kreiseigene Hallen nutzen, mussten stellenweise dem 16. August Lockerungen möglich sein. Auch im ganz unterschiedliche Regeln beachten. Rheingau-Taunus-Kreis lag die Zahl der täglichen Neu- infektionen höher als 20, am 6. August überschritt Die SKV Mörfelden ist ein solcher Verein. Sie hat eine auch der Odenwaldkreis diesen Grenzwert. eigene Halle, nutzt aber auch Hallen, die der Stadt, bzw. dem Landkreis gehören. Während in der eigenen Nicht zum Corona-Hotspot werden Halle das Hygienekonzept des Vereins eingehalten werden musste, galten in den anderen Hallen auch et- „Am 2. August hatten wir ein Testspiel gegen die was andere Regeln. „Als Verein konnten wir die Regeln Kickers und waren richtig stolz, dass wir das Hygiene- für unsere Sportanlagen recht schnell anpassen, bei konzept des Hessischen Fußball-Verbandes nahezu den Hallen von Stadt und Kreis hat es entsprechend perfekt umsetzen konnten. Das ist jetzt alles wieder länger gedauert“, erinnert sich Elke Hentzel von der hinfällig“, kommentiert Patrick Ihlefeld, Vorsitzender Geschäftsstelle der SKV. der Fußballabteilung der SG Rosenhöhe Offenbach die Entwicklung. „Jetzt gelten wieder die alten Regeln: „Vor allem die Begrenzung der Teilnehmer auf zehn pro maximal zehn Personen auf dem Platz, keine Duschen, Hallendrittel war für uns schwierig, weil wir die Grup- keine Umkleiden, keine Eltern als Zuschauer.“ pen entsprechend auf die jeweiligen Hallen verteilen mussten.“ Auch war die Gerätebenutzung in den Hallen Allerdings besteht für die Offenbacher Sportler die der Stadt und des Kreises zunächst untersagt. Möglichkeit, Spiele jenseits der Stadtgrenzen auszu- tragen, und somit immer „auswärts“ zu spielen. Eine Im großen Ganzen beschreibt sie den Wiedereinstieg Regelung, von der laut Ihlefeld fast alle Offenbacher aber als fast reibungslos. Die Beachtung der allgemei- SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
CORONA-PANDEMIE 5 nen Hygieneregeln oder auch die Verwaltung der Lis- Im Vogelsbergkreis dürfen Sportgeräte hingegen be- ten mit den Namen der Teilnehmenden gehören inzwi- nutzt werden, auch waren dort einige Hallen während schen schon zum Alltag. Sowohl der Einstieg im der Sommerferien geöffnet. Der Landkreis hat ver- Fitnessstudio als auch der Neustart der verschiedenen sucht, die Schließungszeiten der Hallen während der Sportgruppen habe keine wirklichen Probleme verur- Sommerferien auf maximal drei Wochen zu begrenzen, sacht. „Einige unserer Gruppen mit Älteren haben be- Duschen und Umkleiden waren aber bis zum Ferien- schlossen, dass sie zunächst noch im Freien trainieren ende weiterhin geschlossen. wollen, ansonsten läuft der Betrieb wieder fast normal.“ „Die geschlossenen Duschen waren für uns das einzige ‚Problem‘ beim Wiedereinstieg“, berichtet Oliver Hahn Für jede Gruppe ein Konzept vom geschäftsführenden Vorstand des TV Alsfeld. „An- sonsten durften wir auf Grundlage unseres eigenen Hy- Auch der TSV Auerbach im Kreis Bergstraße stand vor gienekonzepts in den Hallen trainieren“, was für den einer ähnlichen Situation. Roland Scherer, Geschäfts- Verein, vor allem was den administrativen Aufwand an- führer und Übungsleiter: „Wir mussten im Grunde für ging, eine echte Erleichterung gewesen sei. jede Gruppe ein eigenes Konzept entwickeln. Das be- traf sowohl die Gruppengrößen als auch die Ein- und Absprachen mit den Schulen notwendig Ausgangssituation, die so gestaltet werden musste, dass sich die Gruppen nicht begegnen. Am Anfang ha- Im Main-Kinzig-Kreis sind die Hallen ab dem 17. Au- ben wir noch ohne Handgeräte gearbeitet, das hat sich gust mit Schulbeginn wieder freigegeben, dann ist dort inzwischen geändert. Allerdings bedeutet dies natür- auch die Nutzung von Matten und Geräten erlaubt, al- lich auch viel Mehrarbeit für die Übungsleiter, denn sie lerdings nur nach Abstimmung mit den jeweiligen sind für die Desinfektion der Geräte nach Gebrauch Schulen, die die kreiseigenen Hallen für den Sportun- zuständig.“ terricht nutzen. Die Vereine müssen dabei die Vorga- ben einhalten, die unter anderem auf der Homepage Als schwierig empfindet Scherer die Situation im Kin- des Landessportbundes veröffentlicht sind, außerdem derturnen: „Da können wir momentan nur wenige für die Reinigung der genutzten Anlage sorgen. Ein Übungen machen. Und Konditionsübungen sprechen Punkt, der sicher mit viel Aufwand verbunden ist. leider nur die Leistungsgruppen an. In den Breiten- sportgruppen laufen uns die Kinder davon, wenn wir Auch im Werra-Meißner-Kreis soll ab dem 17. August nur noch Konditionstraining anbieten.“ Im Rückblick ein „Normalbetrieb“ wieder möglich sein. Ob Duschen beurteilt er den Wiedereinstieg als sehr positiv. Sowohl und Umkleiden dort wieder genutzt werden dürfen, war die Teilnehmenden als auch die Übungsleitenden hät- bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht ten die Einschränkungen und Regelungen akzeptiert geklärt. Fest steht aber: Was in diesem Zusammenhang und gut und diszipliniert umgesetzt. als „Normalbetrieb“ bezeichnet werden kann, ist weit entfernt von dem, was vor Corona noch völlig üblich Lüften vorgeschrieben war. Im Lahn-Dill-Kreis hat der Kreis seine Hallen auch ab Belastung für die Vereine dem 1. August freigegeben, auch dort wurde ein neues Hygienekonzept veröffentlicht. Begegnungen von „Wir haben ein eigenes Hygienekonzept erstellt, einen Sportgruppen sollte vermieden werden, die Übungszei- Hygienebeauftragten ernannt und schon das erste ten reduzieren sich um jeweils zehn Minuten vor Be- Freundschaftsspiel gespielt, bei dem 70 Zuschauer an- ginn und vor Ende der jeweiligen Übungseinheiten. So wesend waren“, berichtet Uwe Bartholomai vom TSV soll gewährleistet werden, dass die Sporthallen ausrei- Wichmannshausen. Umkleiden und Duschen dürfen ak- chend durchlüftet werden, bevor neue Nutzergruppen tuell nur einzeln benutzt werden, dort spielt das Desin- die Hallen betreten. fizieren der Räume eine große Rolle. Er empfindet die Bedingungen als große Belastung für den Verein. „Die Unter welchen „Wir haben die Übungsgruppen verkleinert, die Senio- Konzepte klingen durchdacht, sind umsetzbar und Bedingungen sind ren sind beispielsweise draußen im Freien und nutzen auch sinnvoll. Aber auf Dauer stellt sich doch die Frage, Sport und andere Vereinsaktivitäten ihre eigenen persönlichen Sportgeräte. Ansonsten ar- ob der notwendige Aufwand für die Umsetzung lang- derzeit möglich? beiten wir aktuell nur mit Kleingeräten, die sich prob- fristig leistbar ist.“ Darüber informiert der lemlos desinfizieren lassen“, berichtet Carmen Orthner Landessportbund vom Vorstand des Turnvereins Hermannstein. Sie be- Für Bartholomai und seine Mitstreiter gestaltet sich die Hessen jederzeit dauert, dass aktuell noch nicht geklärt ist, wann und Einhaltung der Hygienevorschriften durchaus proble- aktuell auf seiner wie die Angebote für Kinder wieder aufgenommen wer- matisch. „Unser Sportgelände ist nicht eingezäunt, Webseite. Kurz-URL: den können. was es viel schwieriger macht, die Zuschauer mit ihren yourls.lsbh.de/ corona-faq Adressen zu erfassen. Auch die Mindestabstände zwi- In Waldeck-Frankenberg sind die kreiseigenen Hallen schen den Zuschauern zu gewährleisten, erweist sich geöffnet, die Umkleiden sind ebenfalls zugänglich, al- manchmal schwieriger als gedacht. Wenn wir ein Derby lerdings dürfen dort die Duschen nicht benutzt wer- spielen und 250 Zuschauer haben, dann stoßen wir an den. Ebenfalls tabu für Vereine sind die Sportgeräte, unsere organisatorischen Grenzen“ beklagt er. deren Desinfizierung nach Gebrauch vorgeschrieben Markus Wimmer ist. SIH 1 6 / 15.08.2020
6 TITELTHEMA DISKRIMINIERUNG IM SPORT Der schwierige Weg zum bunten Sport Auch der Sport ist nicht frei von Diskriminierung und Rassismus / Perspektive der Betroffenen stärker in den Mittelpunkt rücken R assismus existiert auch im Sport. Das wird wohl erreihen erzählen. Es ist die Weitsprung-Weltmeisterin kaum jemand bestreiten. Doch wie wird die Situa- Malaika Mihambo, die als Kind das Gefühl gehabt habe, tion in den hessischen Sportvereinen wahrge- als „Mensch nicht in Ordnung zu sein, nichts wert zu nommen? „Das gab und gibt es bei uns nicht“, er- sein“, weil etwa ein Mitschüler aufgrund ihrer Haut- OBEN klärt eine Frau aus Dreieich auf der lsb h-Facebookseite. farbe nicht neben ihr sitzen wollte und sie daraufhin In der Partie gegen „In unserem Sport schwer vorstellbar“, schreibt Foot- einen anderen Platz einnehmen musste. Hannover 96 solidarisieren sich ball-Funktionär. Im Ringkampfsport „selten bis gar die Spieler von SV nicht. Kann mich da in meiner 30-jährigen Zugehörig- Da ist eine 23-jährige Hessin, die davon erzählt, dass Darmstadt 98 mit der keit höchstens an eine Handvoll ,Vorfälle‘ erinnern“, be- ihr Sportverein bei der Anwerbung neuer Mitglieder „Black Lives richtet ein Dritter. Auch Ilyas Osman, 21, vor fünf Jahren darauf hinwies, die Flyer nur in Briefkästen mit „deut- Matter“-Bewegung. als somalischer Flüchtling nach Deutschland gekommen schen“ Nachnamen zu werfen. Da sind Geflüchtete mit Foto: Jan Hübner und heute erfolgreicher Mittelstreckenläufer des TV muslimischem Glauben, die sich beim Vereinsfest mit Waldstraße Wiesbaden, sagt: „Im Sport habe ich nie Ras- Bier und Bratwurst nicht so wirklich willkommen fühl- sismus erlebt. Der Verein ist wie eine Familie für mich.“ ten. Da ist die junge Frau mit ungewöhnlichem Vorna- men, die der Trainer beim Schnuppertraining so lange Für Angelika Ribler, Referatsleiterin Sport- und Ju- danach fragt, woher sie denn komme, bis sie endlich gendpolitik der Sportjugend Hessen und seit Jahren versteht: Er meint nicht ihren Wohnort. Er meint mit der Thematik betraut, passen diese Aussagen ins nicht ihren Geburtsort oder die Stadt, in der sie Bild: „Wenn man Teilnehmende in Aus- und Fortbildun- aufgewachsen ist. Er meint das Land, aus dem gen fragt, ob es in ihrem Verein Rassismus gibt, wird ihre Vorfahren einst als Gastarbeiter nach Gegen dies meistens verneint. Es gebe zwar Rassismus im Deutschland gekommen sind. Rassismus Sport, aber nicht im eigenen Verein, so lauten häufig die Antworten.“ Doch wie kommt diese Diskrepanz zu- Da ist der 800-Meter-Läufer Dennis Biederbick im Sport stande? Für Ribler hat es viel damit zu tun, dass Rassis- (Eintracht Frankfurt), kenianische Mutter, für mus und Diskriminierung häufig nur dann als solche er- den Rassismus im Sport „eigentlich nie ein Thema“ kannt oder zumindest benannt werden, wenn Personen war. Trotzdem kennt er sie, die vielen Nachfragen, wo- offen beleidigt oder ausgegrenzt werden. her seine dunklere Hautfarbe komme. Er hat es schon erlebt, dass Leute ihn auf Englisch ansprachen, weil sie Vielfältige Formen der Diskriminierung ihn für einen Flüchtling hielten, und auch dabei blie- ben, als er in Deutsch antwortete. Er kennt auch die Dabei sind Rassismus und Diskriminierung deutlich Meinung der vielen, die – oft wohlmeinend – behaup- vielschichtiger, wie Ribler auf den Seiten 8/9 genauer ten, „Afrikaner“ könnten einfach ausdauernder laufen. darlegt. Davon zeugen auch die Berichte zahlreicher Sportlerinnen und Sportler, die – ermutigt durch die Ilyas Osman, der junge Geflüchtete, der heute für den Bewegung #blacklivesmatter („Schwarze Leben zäh- TV Waldstraße Wiesbaden startet, kennt diese Aussagen len“) von ihren eigenen rassistischen Erfahrungen be- ebenfalls. „Es stimmt einfach nicht. Dass Ostafrikaner richtet haben. Da sind bewunderte Nationalspieler wie bei Wettkämpfen besser abschneiden, hat vor allem da- Jerome Boateng, die von Affenlauten aus den Zuschau- mit zu tun, dass sportliche Erfolge für sie die einzige SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT 7 Möglichkeit sind, aus der Armut herauszukommen. Und jedoch an Sportstätten, auf dem Podium, bei offiziellen anders als in Deutschland, wo viele Sportarten zur Aus- Zeremonien oder im Olympischen Dorf. Die weltweiten wahl stehen, bleibt ihnen oft nur das Laufen.“ Proteste von Sportler/innen gegen Rassismus und Poli- zeigewalt haben zu intensiven Diskussionen über diese Mündige Sportler/innen Regel geführt. Im Juni hat der DOSB die Athlet/innen des Teams Deutschland daher motiviert, „sich aktiv an Dass Sportler/innen auf der ganzen Welt heute klar Stel- der Diskussion zu beteiligen und gerne auch Vorschläge lung gegen Rassismus beziehen, ist nicht zuletzt dem für mögliche Verbesserungen einzubringen“. Der Kont- Football-Profi Colin Kaepernick zu verdanken, der sich rollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes hat unter- 2016 erstmals weigerte, bei der amerikanischen Natio- dessen bereits reagiert. Solidaritätsbekundungen ein- nalhymne aufzustehen. „Ich werde mich nicht hinstellen zelner Bundesligaspieler für die „Black Lives Matter“- und stolz auf eine Flagge sein, die für ein Land steht, das Bewegung stufte er nicht als politisches Statement – Schwarze und andersfarbige Menschen unterdrückt“, das nach DFB-Regelwerk verboten wäre –, sondern als begründete er seine Aktion, die Nachahmer fand – und „mutiges Zeichen für Zivilcourage“ ein. in deren Folge er bald ohne Profivertrag dastand. Ein Drittel der Hessen mit Migrationsgeschichte Die Situation in Deutschland, sagen Sportler wie Osman und Biederbick, sei mit der in den Vereinigten Staaten Wer solche Diskussionen für eine abgehobene Debatte nicht zu vergleichen. „Die Geschichte der Unterdrü- hält, die nur wenige betrifft, der irrt. Immerhin haben ckung ist dort eine andere, dort sind die Proteste, die in Hessen 33,6 Prozent der Bevölkerung einen Migrati- wir jetzt erleben, überfällig.“ Zu protestieren, seine onshintergrund. Rund zwei Drittel davon sind selbst zu- Meinung frei äußern zu dürfen – auch als Sportler – fin- gewandert. Wie viele Menschen dunkelhäutig sind, wird den beide wichtig. Doch ob Sport oder Politik: „Hasspa- in Deutschland nicht erhoben. Ein Umstand, den die rolen helfen ebenso wenig weiter wie Gewalt“, findet UN-Arbeitsgruppe für Menschen afrikanischer Abstam- der Läufer und Polizist Biederbick. Ilyas Osman sagt: mung 2017 scharf kritisiert hat: Deutschland brauche „Wir leben im Jahr 2020. Wer verschiedene Religionen, „ethnisch-basierte Daten, um die Politik über systema- Hautfarben, Sexualitäten nicht akzeptiert, der muss tische Benachteiligungen informieren zu können“. sich weiterbilden.“ Sportler/innen sieht er als mögliche Vorbilder: „Wenn du etwas Gutes tust und zeigst, was Bei den Entscheider/innen im hessischen Sport spiegelt Solidarität bedeutet, kann das andere inspirieren.“ sich diese Vielfalt noch nicht so stark wider. Das muss kein Problem sein. Es kann aber. Nämlich dann, wenn sie Ein starkes Zeichen setzen – das könnten Sportler/in- die Deutungshoheit, ob es in ihrer Organisation Rassis- nen vor allem dort, wo sie im Fokus stehen: im Wett- mus gibt, bei sich sehen. Angelika Ribler sagt aus ihrer kampf oder auf dem Podium. So haben es bei den Olym- Erfahrung heraus: „Was diskriminierend ist, entscheidet pischen Spielen 1968 die afroamerikanischen Sprinter nicht der Sender, sondern der Empfänger: Wie kommt Tommie Smith und John Carlos getan, als sie bei der eine Handlung oder Aussage beim Betroffenen an?“ Siegerehrung zum 200-Meter-Lauf aus Solidarität zur „Black Power“-Bewegung die Köpfe senkten und eine Im Umkehrschluss heißt das, dass Sportorganisationen Faust nach oben reckten. Das IOC wertete die Aktion als sich ganz genau anschauen müssen, was in ihrem Ver- „willentlicher und gewaltsamer Bruch der fundamenta- ein gesprochen oder gedacht wird. Denn auch, wenn len Prinzipien der olympischen Idee“. Die beiden Athle- der Sport eine große integrative Kraft besitzt, achten ten wurden aus der Mannschaft entfernt und in ihrer nicht alle Aktive die freiheitlich-demokratische Grund- Heimat Ziel von Anfeindungen und Morddrohungen. ordnung. Der Attentäter von Hanau, der Hauptver- dächtige im Mordfall Walter Lübke: Beide waren Mit- Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit? Nicht glieder in einem Schützenverein. Hätten die Vereine LINKS ganz: Laut der Regel 50.2 der Olympischen Charta sind etwas merken müssen, etwas tun können? Und wie Ilyas Osman politische Statements zwar bei Pressekonferenzen, in sieht es mit Fußballclubs aus, die wissen, dass einige (liegend), 2015 als minderjähriger Interviews oder auf eigenen Kanälen zugelassen, nicht ihrer Fans der Neonazi-Szene angehören? Flüchtling nach Deutschland Ein Anfang, sagt Ribler, ist es, sich in der Satzung klar gekommen, fühlt zu Werten zu bekennen. „Wenn man immer wieder sich beim TV deutlich macht, für was der Verein steht und dass nur Waldstraße der willkommen ist, der diese Werte teilt, ist das ein Wiesbaden wohl. Der starkes Zeichen. Dann fällt es auch leichter, sich gegen Verein habe ihn wie eine Familie die zu stellen, die sich durch einschlägige Kleidung aufgenommen, oder Äußerungen davon distanzieren.“ Außerdem Rassismus habe er dürften unangenehme Diskussionen nicht vermieden dort nie erlebt. werden. Alexandra Faulhaber, die bei der Sportjugend Foto: Günter Jung das Projekt „DemoS!“ betreut, bringt es so auf den Punkt: „Antirassistische Arbeit ist kein Sprint, sondern ein Ultralauf. Sie verlangt viel Kraft und einen sehr langen Atem, ist aber unvermeidbar für alle, die in ei- ner starken, bunten, freien Gesellschaft leben wollen. Isabell Boger SIH 1 6 / 15.08.2020
8 TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT Rassismus erkennen und entgegenwirken Angelika Ribler zu den Hintergründen von Alltagsrassismus im Sportverein, Handlungsmöglichkeiten und den Bedürfnissen von Betroffenen A ngelika Ribler ist Psychologin, Sportwissen- schaftlerin und Sportmediatorin. Als Referatslei- terin bei der Sportjugend Hessen berät sie seit vielen Jahren hessische Sportvereine – auch im Hinblick auf Integration, Rassismus und Diskriminie- rung. Der Begriff Rassismus, sagt sie, werde häufig auf rassistische Äußerungen gegenüber dunkelhäutigen Menschen verkürzt. „Struktureller Rassismus bzw. All- tagsrassismus ist aber vielschichtiger, betrifft viel mehr Menschen und wird oft nicht erkannt. Und: Es gibt ihn auch im Sport.“ Doch wie kann man sich aktiv gegen All- tagsrassismus engagieren? Was hat das mit den engli- schen Begriffen bzw. Mechanismen „Belonging“ und „Othering“ zu tun? Und was brauchen die Betroffenen? Diese Fragen versucht sie nachfolgend zu beantworten: „Wir“ und „die Anderen“ In Deutschland ist Herkunft immer noch ein Aspekt, überbetont, institutionalisiert und moralisiert werden. OBEN der nicht selten überbetont wird. Wenn wir von Inte Die (Nicht-)Zugehörigkeit kann man mit dem Begriff Du bist anders: Wer gration sprechen, denken wir an Menschen mit Migra- „Belonging“ bezeichnen: Belonging meint emotionale dieses Gefühl vermittelt, gibt dem tionshintergrund, die in UNSERE Gesellschaft, in UNSE- Verbundenheit mit sozialen Gruppen und/oder Orten. anderen das Gefühl, REN Sportverein integriert werden sollen. Dabei wird Wer gehört dazu? Wie entsteht Zugehörigkeit? Wem nicht richtig das „Wir“ als homogene deutsche Gesellschaft bzw. ho- wird Zugehörigkeit (nicht) zugestanden? Menschen dazuzugehören. mogener deutscher Verein gedacht, zu dem „andere“ können sich unterschiedlichen und mehreren sozialen Foto: Yeexin Richelle / hinzukommen. Und Vereine wie „Türk spor“ oder „FC Gruppen zugehörig fühlen, auch einem Sportverein. shutterstock.com Bosna“, die von Personen mit Migrationshintergrund Sportvereine basieren auf dem Prinzip der offenen und gegründet wurden, werden als „(mono)ethnische Ver- freiwilligen Mitgliedschaft. Dennoch finden nicht alle UNTEN eine“ bezeichnet. Beides bildet nicht die Realität ab. Bevölkerungsgruppen gleichermaßen Zugang. Angelika Ribler hat bereits viele Vereine beraten und ist auch Denn eine homogene deutsche Gesellschaft gab es nie. Zugehörigkeit wird nicht zugestanden Anlaufstelle für In der deutschen Geschichte wanderten stets Menschen Betroffene. Die aus anderen Ländern ein. Und in „(mono)ethnischen“ Belonging/Zugehörigkeit im Sportverein kann auf vier Beratung ist Vereinen treiben Menschen mit sehr unterschiedlichen Arten nicht zugestanden werden: 1. Verwehrung von kostenlos und auf kulturellen und sozialen Hintergründen sowie vielen Teilnahme, 2. Ablehnung/Abwehr von Geflüchteten(pro- Wunsch anonym. Identitäten Sport. Denn auch wenn Familienmitglieder jekten), 3. Anpassungserwartungen/Anpassungsdruck vor zwei Generationen nach Deutschland eingewandert und 4. Stigmatisierungen/Othering (nach Prof. Dr. Tina sind, sind sie, ihre Kinder und Enkel eben Frankfurter, Nobis, Humboldt Universität Berlin). Wenn man Alltags- Groß-Gerauerinnen oder Wetzlarer. Sie sind Busfahrer, rassismus verstehen will, ist die Reflexion dieser oft un- Ärztinnen, Reinigungskräfte. Sie sind jung oder alt. Sie sichtbaren Mechanismen sehr hilfreich. Wenn man über- sind im Verein oder nicht, aber sie sind WIR. legt, was man in seinem Verein tun kann, um Rassismus und andere Diskriminierungen zu erkennen und sinnvoll Vom Fremdmachen und Dazugehören zu handeln, ist es außerdem wichtig, die (potenziell) Betroffenen in den Blick zu nehmen. Fühlen sich alle im Die Vorstellung von ethnisch homogenen Völkern bzw. Verein wohl? Gibt es eine/n Ansprechpartner/in, an die/ Vereinen schlägt sich in unserer Sprache und unserem den man sich wenden kann? (siehe nächste Seite). Kontakt, Fragen, Denken nieder und hat Folgen für die als „andere“ mar- Anregungen? kierten Menschen: Sie gehören nicht automatisch dazu Sport bietet enorme Möglichkeiten Sportjugend Hessen, Angelika Ribler, und sollen „integriert“ werden. Dieses „Fremdmachen“ Tel.: 069 6789-401, nennt man „Othering“. Othering beschreibt einen Pro- Auch wenn in Sportvereinen nicht alle Menschen einer E-Mail: ARibler@ zess, in dem sozialen Gruppen „Anders-Sein“ zuge- Gemeinde, eines Stadtteils zusammenkommen, bieten sportjugend-hessen.de schrieben wird und in dem Unterschiede pauschalisiert, die Kontakte über den Sport enorme Möglichkeiten, SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT 9 sich umeinander zu kümmern und zu agieren, wenn je- tische Äußerung muss so gemeint sein – man kennt die mand beleidigt oder (rassistisch) diskriminiert wird. Motivation des Akteurs nicht. Wichtig ist, das Gesche- Wenn sich zudem der Vorstand, vielleicht gemeinsam hen ernst zu nehmen und gut abzuwägen, welche mit den Abteilungsleitungen, Trainer/innen, Eltern Handlung am sinnvollsten ist, um den/die Betroffene/n und Sportler/innen die oben genannten Fragen stellt zu unterstützen. (wer kommt zu uns, bilden wir die Zusammensetzung unseres Wohnviertels ab, wer fühlt sich ggf. nicht zu- Zwischen Person und Handlung trennen Gegen gehörig, wie sprechen wir über Integration und „Men- schen mit Migrationshintergrund“ etc.) und einen ras- Zunächst ist es wichtig, zwischen einer Hand- Rassismus sismuskritischen Blick auf das Vereinsgeschehen entwickelt, ist die Chance groß, dass sich alle Mitglie- lung (z. B. einer die Menschenwürde verletzende Äußerung) und der Person (die sich entspre- im Sport der und die, die sich nun noch eher angesprochen füh- chend äußert) zu unterscheiden. Nicht die Person len und kommen, im Verein wohlfühlen! wird abgelehnt und verurteilt, sondern die Äuße- rung. Die Fokuserweiterung auf die Bedürfnisse von Eine weitere Möglichkeit bietet die Ansprache und Ein- Betroffenen sowie die solidarische Aktivierung der Be- bindung junger Menschen. Sie sind oftmals an eine teiligten eröffnet weitere Handlungsoptionen. Im so- „vielfältige Normalität“ durch Schule, Ausbildung und genannten „TOZ“ (Täter-Opfer-Zuschauer oder besser Studium gewöhnt. Auch verbinden vor allem sie sich Akteur-Betroffene-Beteiligte)-Modell wird dies zurzeit stark über die sozialen Medien mit der veranschaulicht: #blacklivesmatter-Bewegung. Ein Blick auf die (potenziell) Betroffenen Gleichwohl ist es wichtig, die (potenziell) Betroffenen in den Blick zu nehmen. Denn in unserer Gesellschaft (und in vielen anderen Gesellschaften) stehen bei Ras- sismus, Antisemitismus und anderen Diskriminierun- gen sowie auch bei Fällen von Kindeswohlgefährdung oftmals die Täter/innen im Vordergrund. Die häufigste Frage von Vereinen lautet daher: „Sollen wir ihn raus- schmeißen?“ Auch die Sportgerichtsbarkeit, beispiels- weise im Fußball, ist durch ihre Strafordnung auf die Sanktionierung der Täter/innen ausgerichtet. Viel zu selten wird gefragt: Wie geht es den Betroffenen? Was brauchen sie? Werden ihre Bedürfnisse gesehen? In Fortbildungen können mit dem TOZ-Modell anhand Werden sie ggf. gefragt und beim weiteren Vorgehen von Fallbeispielen Handlungsoptionen gesammelt wer- OBEN einbezogen? Zudem fehlt oft die Sicht auf die Beteilig- den. Wenn z. B. mein Trainer einen Spieler diskrimi- Das TOZ-Modell lenkt ten (Zuschauer/innen, Eltern, Mitspieler/innen, …) – niert und ich Angst habe, etwas laut dagegen zu sagen, den Blick auf die Bedürfnisse der was hätten sie tun können, um den/die Betroffene/n zu weil ich dann beim nächsten Spiel vielleicht nicht auf- Betroffenen und die schützen, zu unterstützen, sich zu solidarisieren? gestellt werde, kann ich nach dem Training auf den be- Möglichkeiten der troffenen Spieler zugehen und unter vier Augen fra- Beteiligten, selbst Wie können Beteiligte reagieren? gen, wie es ihm geht. Nach Absprache mit ihm können einzugreifen (nach: wir gemeinsam die Situation in der Umkleidekabine mit Kaletsch/Rech, 2015) Wenn man als Mitspieler/in, Trainer/in, Elternteil (…) den Mitspielern besprechen und wir überlegen alle zu- Grafik: ib in einer solchen Situation ist, fühlt man sich oftmals sammen, wie wir unseren Trainer darauf ansprechen. hilflos oder ohnmächtig. Was hätte man in der Situa- tion sagen sollen? Später fallen einem dann oft Ideen Für eine Kultur der Menschenrechte ein. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass man das Geschehen nicht ernst nimmt, solche Situationen „Eine konsequent diskriminierungskritische und betrof- schon kennt und sie „normal“ findet – ein „blöder fenensensible Haltung kann dabei helfen, die die Men- Spruch eben“. Vielleicht erkennt man rassistische oder schenwürde infrage stellenden Positionen als das zu er- antisemitische Diskriminierungen aber auch nicht? kennen, was sie im Kern sind: ein Angriff auf das Und vielleicht unterschätzt man auch die Wirkung auf menschenrechtsbasierte, demokratische Zusammenle- die Betroffenen … ben. Damit betrifft es alle in dem Gemeinwesen und Bei Interesse kann sollte als Aufforderung verstanden werden, für den Er- dieses Thema im Eine mögliche Reaktion ist die direkte Ansprache des halt einer Kultur der Menschenrechte einzutreten und Rahmen eines Online-Seminars Täters bzw. „Akteurs“. Auch wenn dies eine sehr sinn- sicherzustellen, dass alle sich gleichermaßen wohl und vertieft werden. volle Aktion sein kann, um z. B. ihm nach einer rassisti- sicher fühlen“ (Christa Kaletsch, Projekt „Zusammenle- Kontakt: ARibler@ schen Äußerung Einhalt zu gebieten und somit Zivil- ben neu gestalten“, 2019). Diese Auffassung wird auch sportjugend-hessen.de courage zu zeigen, kann sich jemand hierdurch in in und mit der Satzung des Landessportbundes Hessen Gefahr bringen. Insbesondere, wenn der Akteur ein ge- und der Sportjugend Hessen deutlich. Und sie spiegelt schlossenes rechtsextremes/rassistisches Weltbild hat sich in dem, was wir als die Werte des Sports begreifen. und dieses aggressiv verteidigt. Aber nicht jede rassis- Angelika Ribler SIH 1 6 / 15.08.2020
10 TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT Über den Sport hinaus „Migrantensportvereine“ im Spannungsfeld von Integration und Heimatverbundenheit: kein neues Phänomen W enn über Rassismus und Fremdenfeindlich- keit im Sport diskutiert wird, geraten auch „Migrantensportvereine“ immer wieder in den Blickpunkt. Anlassgeber hierfür sind oft Berichte über Auseinandersetzungen beim Sport, vor- nehmlich im Fußball. Die Vereine werden als „proble- matisch“, als „Fremdkörper“ im Sportsystem oder so- gar als Integrationshemmnis bezeichnet. Professor Dr. Michael Mutz, Sportsoziologe an der Justus-von-Lie- big-Universität in Gießen forscht und veröffentlicht schon seit Langem zu den Themen Integration und Rassismus im Sport sowie der Rolle von „Migranten- sportvereinen“. Er zeichnet ein differenzierteres Bild. „In der Tat scheint es solche Konflikte häufiger im Fuß- ball zu geben als in anderen Sportarten. Aus meiner Sicht gibt es mehrere Gründe dafür: Die Spielsituation hoch empfunden wurden. Im Rahmen dieser Entwick- ist ja erstens durch Wettbewerb geprägt, also ein Ge- lung entstand vielerorts der Wunsch, am „richtigen“ OBEN geneinander und nicht durch ein Miteinander. Da darf Sport teilzunehmen und sich ins Sport- und Ligasystem Im Fußball kommt es man nicht Integration und Harmonie erwarten. Zwei- zu integrieren. Die Entstehung dieser Vereine ist somit immer wieder zu Konflikten zwischen den tens ist Fußball ein Kampfspiel mit robustem Körper- kein Ergebnis mangelnder Integrationsbereitschaft, Teams von Migranten- einsatz. Was für den einen noch ‚gesunde Härte‘ ist, sondern eher ein Zeichen dafür, dass man im Sport sportvereinen und empfindet ein anderer als brutales Foul. Und solche „dazugehören“ wollte. An dieser Stelle waren die Mig- „deutschen“ Teams. Die Wahrnehmungen, also wo diese Grenze zur Unfairness rantensportvereine somit der damaligen offiziellen Unterscheidung liegt, scheinen sich in verschiedenen Herkunftsgrup- „Integrationspolitik“ ein ganzes Stück voraus. zwischen „gesunder pen durchaus zu unterscheiden. Drittens kommen Härte“ und unfairem wechselseitige Vorurteile ins Spiel: Während deutsche Unterschiedliche Motivlagen Spiel sorgt dabei oft für Zündstoff. Spieler oft von übermäßiger Härte ausgehen, fühlen Foto: lsb NRW/Andrea sich viele Migrantenteams systematisch benachteiligt Und so, wie sich die Integrationspolitik im Laufe der Bowinkelmann und sind rassistischen Pöbeleien ausgesetzt. Das alles Jahrzehnte geändert hat, haben sich auch die Motive sind Bedingungen, unter denen sich negative Emotio- zur Gründung „eigener“ Vereine gewandelt. „Die Grün- nen schnell aufschaukeln und im ungünstigsten Fall Si- dungsmotive für Migrantensportvereine sind komplex tuationen komplett eskalieren können.“ und vielschichtig: Manche Sportvereine wurden aus Kultur- und Heimatvereinen heraus gegründet, weil Kein neues Phänomen man dort eben auch mal Sport treiben wollte. Andere sind aus informellen Freizeitsportgruppen heraus ent- Dass Migranten eigene Sportvereine gründen, ist we- standen, die sich am Wochenende regelmäßig im der ein neues noch ein speziell deutsches Phänomen. Stadtpark getroffen haben und dann am Spielbetrieb Irische Einwanderer spielten und spielen in den USA in teilnehmen wollten. Wieder andere existierten als Ab- eigenen Hurling-Ligen, deutsche Einwanderer gründe- teilung in „deutschen“ Vereinen und haben sich ir- ten in Südamerika Turnvereine, die bis heute existieren gendwann abgespalten, um unabhängiger zu sein“, und in Deutschland gab es bereits vor weit mehr als nennt Prof. Mutz einige Gründe für das Entstehen von 100 Jahren polnische Turnvereine. In den 1960er-Jah- Migrantensportvereinen. ren entstanden vor allem im Umfeld der „Gastarbeiter- Betreuung“ der Kirchen, Konsulate oder sozialen Orga- Ein weiteres Motiv für diese Vereinsgründungen sieht OBEN nisationen Sportgruppen. Damals stand Integration Mutz darin, dass bestimmte Sportarten aus den Her- Prof. Dr. Michael nicht auf dem Plan, sondern das „Rotationsprinzip“ kunftsländern in Deutschland wenig populär sind und Mutz beschäftigt sich wissenschaftlich mit sorgte dafür, dass Arbeitsverträge auf ein halbes Jahr kaum „deutsche“ Vereinsstrukturen existieren. Cricket, Migrantensportverei- befristet waren und die „Bleibedauer“ somit ohnehin Capoeira, asiatische Kampfkünste oder das russische nen. begrenzt war. Das Rotationsprinzip wurde Anfang der Sambo sind entsprechende Beispiele. Foto: PRV 1970er-Jahre vor allem auf Drängen der Wirtschaft im- mer mehr infrage gestellt und aufgeweicht, da die Ein- „Ich denke, bis heute haben sich die Gründungsmotive arbeitungskosten für den kurzen Aufenthalt als zu gar nicht so stark verändert. Was sich aber verändert SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT 11 hat, ist die Sportvereinslandschaft insgesamt, die viel- benhilfe, über kulturelle Angebote wie Folklore, Musik fältiger und offener ist als früher. Der Weg in einen und Tanz bis hin zur Sozialarbeit im Stadtteil. Unge- ‚deutschen‘ Sportverein ist jetzt für viele Migrantinnen achtet dieser Aktivitäten, wird das Argument, Migran- und Migranten sicher leichter als vor 50 Jahren“, ist er tensportvereine behinderten die Integration mehr, als überzeugt. sie zu fördern, immer wieder ins Feld geführt. Was ist eigentlich ein Migrantensportverein? „Das wird auch in der Wissenschaft kontrovers disku- tiert“, weiß Prof. Mutz. „Grundsätzlich findet Integra- Doch was ist eigentlich ein typischer „Migrantensport- tion natürlich auch in Migrantenvereinen statt: Auch verein“? „Grundsätzlich würde ich einen Sportverein dort finden Menschen Gleichgesinnte und Freunde, es dann als Migrantensportverein bezeichnen, wenn die gibt Unterstützung und Hilfeleistungen, das Gefühl Mitglieder und die verantwortlichen Funktionsträger wertgeschätzt und ‚aufgehoben‘ zu sein. Gleichwohl überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund gibt es einige Integrationsforscher, die zeigen können, sind“, sagt Mutz. Schaue man allerdings genauer hin, dass es für Migrantinnen und Migranten langfristig zeige sich ein sehr breites und heterogenes Spektrum: auch Vorteile bringt, wenn sie Kontakte zu Deutschen „Neben ethnischen Vereinen (wie z. B. türkischen oder haben.“ Dennoch haben Migrantensportvereine in sei- jüdischen Vereinen) existieren Aussiedlersportvereine, nen Augen durchaus eine Berechtigung: „Ich denke, multikulturelle Sportvereine oder Integrationsvereine Migrantensportvereine bereichern die Vereinsland- für geflüchtete Menschen.“ Seiner Wahrnehmung nach schaft und geben all denen eine sportliche Heimat, die gibt es hinsichtlich der Mitgliederstrukturen immer we- sich in ‚deutschen‘ Vereinen eben nicht zu Hause niger komplett „homogene“ Vereine, wo also wirklich fühlen.“ nur Personen aus einer bestimmten Herkunftsgruppe anzutreffen sind. Und wo immer dies der Fall sei, han- Migrantensportvereine im Wandel dele es sich meist um Kleinstvereine, die es schwer hätten, sich zu behaupten. Darüber hinaus entwickeln und verändern sich „Mig- rantensportvereine“ natürlich auch. Ein gutes Beispiel Sind Migrantensportvereine unnötig? ist der FC Serkevtinspor 1992 e. V. in Frankfurt. Ur- sprünglich als „kurdischer“ Sportverein von Freizeitki- Kritiker der Migrantensportvereine betonen gerne, ckern gegründet, spricht er inzwischen Sporttreibende dass solche Vereine eigentlich unnötig seien und Mig- aus allen Nationen an. „Unser Verein und die Teams ranten sich problemlos in „deutsche“ Vereine integrie- sind inzwischen ein Spiegelbild der Frankfurter Stadt- ren könnten. Das dies offensichtlich nicht immer gesellschaft. Hier spielen Menschen unterschiedlichs- der Fall ist, zeigt die im Rahmen von „#black- ter Herkunft, aus allen Kulturen und Religio- livesmatter“ entstandene Debatte über nen“, sagt der Gründungsvorsitzende Haci strukturellen Rassismus, der im Sport Hacioglu. Er ist nicht nur im Verein enga- ebenso festzustellen ist, wie in ande- ren gesellschaftlichen Strukturen. Gegen giert, sondern auch Fußballschiedsrich- ter, Vorstandsmitglied des Sportkreises Rassismus Frankfurt und Mitglied der Kommunalen Insbesondere der soziale und gesellige Aspekt des Vereinssports spielt neben im Sport Ausländervertretung. „Wir haben in Frankfurt über 50 Fußballvereine, davon dem reinen Sportangebot eine wichtige sind vielleicht 15 sogenannte Migranten- Rolle, wenn es darum geht, einen Verein sportvereine und der Rest „deutsche“ Ver- attraktiv zu machen und zwar unabhängig von eine. Auf dem Platz ist das aber kaum noch der Herkunft der Mitglieder. Doch genau auf diesem wahrnehmbar, da fast alle Teams inzwischen multikul- Feld scheinen immer noch Defizite zu existieren. „Auf turell sind und Spieler mit unterschiedlichsten Her- der einen Seite scheinen manche Vereine den Migran- künften miteinander spielen.“ tinnen und Migranten eher das Gefühl zu geben, nicht so ganz willkommen zu sein oder auf deren kulturelle Großes Integrationspotenzial der Vereine Besonderheiten keine Rücksicht nehmen zu wollen“ , hat Mutz festgestellt. „Wenn zum Beispiel beim Ver- Dabei entfaltet sich offensichtlich ein Potenzial, das einsfest nur Schweinesteaks auf dem Grill liegen und auch Prof. Mutz ausgemacht hat: „Der Sportverein bie- Bier ausgeschenkt wird, werden Menschen mit musli- tet mit seiner Geselligkeit und den regelmäßigen Tref- mischem Glauben wohl keinen so schönen Abend ha- fen eigentlich ideale Bedingungen, damit solche inter- Weitere Informationen ben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Mig- kulturellen Kontakte entstehen können, sofern man zur Arbeit von Prof. Mutz rantinnen und Migranten, die sich bewusst für einen sich dabei „auf gleicher Augenhöhe“ begegnet. Hierin finden sich unter: www.uni-giessen.de/ Migrantenverein entscheiden, um die Bindung an ihr liegt ein besonderes Integrationspotenzial des Sport- fbz/fb06/sport/arbe/ Herkunftsland ein Stück weit zu pflegen. Darin sehe ich vereins: dass sich Menschen unterschiedlicher Her- sozspo. auch überhaupt nichts Negatives.“ kunft begegnen und kennenlernen können und im bes- ten Fall dabei merken, dass viele Stereotype, die man Über den Sport hinaus über die anderen im Kopf hatte, schlichtweg falsch sind.“ Viele dieser Vereine erfüllen Funktionen, die über den Markus Wimmer reinen Sportbetrieb hinausgehen. Das reicht von Bil- dungsangeboten wie Deutschkursen oder Hausaufga- SIH 1 6 / 15.08.2020
12 TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT „Prävention beginnt damit, sich kennenzulernen“ Alon Meyer und Lasse Müller von MAKKABI Deutschland sprechen im Interview über Antisemitismus, offene Vereine und ihr neues Projekt W ie verbreitet ist Antisemitismus im hessi- schen Sport? Wie kann ihm entgegengewirkt werden? Und spielt es eigentlich eine Rolle, von wem antijüdische Übergriffe ausgehen? Darüber haben wir mit Alon Meyer, Präsident von MAK- KABI Deutschland sowie von Makkabi Frankfurt, und Lasse Müller, Mitarbeiter des neuen MAKKABI-Projekts „Kein Platz für Antisemitismus auf deutschen Sport- plätzen“ gesprochen. Herr Meyer, Herr Müller, 75 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg liest man wieder vermehrt von antisemiti- schen Straftaten. Wie sieht es im Sport aus? Meyer: Auch hier haben die Übergriffe in den letzten Jahren zugenommen. Die Hemmschwelle ist gesunken, die Aggressivitätsbereitschaft gestiegen. Leider be- kommen wir die Flüchtlingswelle hier negativ zu spü- ren. Denn zumindest im Westen Deutschlands, wo Mak- häufig von Alltagsrassismus betroffen sind. Gerade kabi größtenteils aktiv ist, spielen die Übergriffe von deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, sich mit den OBEN Neonazis eine sehr untergeordnete Rolle. Die absolute Wechselwirkungen von erlebtem Rassismus und Antise- Vorurteile abbauen, Mehrzahl der Provokationen im Sport, insbesondere im mitismus im Sport auseinanderzusetzen und hier Stra- Begegnungen fördern: Das hat man Fußball, geht von Gegnern mit arabisch-muslimischem tegien zu entwickeln. Klar ist aber auch: Egal welche sich bei Makkabi Hintergrund aus. Das muss man leider so klar Vorgeschichte jemand mitbringt – es gibt rote Linien, Frankfurt ganz benennen. die nicht überschritten werden dürfen. Das gilt unab- besonders auf die hängig von Religion oder Herkunft. Besonders schlimm Fahnen geschrieben. Macht es – in der Konsequenz – überhaupt einen Un- von Anfeindungen betroffen sind übrigens muslimi- Bild: Makkabi terschied, woher die Übergriffe kommen? sche Sportler, die für Makkabi antreten. Frankfurt Meyer: Auf jeden Fall. Wir müssen die Motivation der Hat sich die Art der Übergriffe und Anfeindungen in Handelnden kennen, um dem Problem begegnen zu den vergangenen Jahren verändert? können. Häufig sind solche Übergriffe antizionistisch geprägt: Als jüdischer Verein – dessen Mitglieder übri- Meyer: Früher gingen sie vorwiegend von den Zuschau- gens nur zu rund einem Drittel jüdischen Glaubens sind ern aus, die sich leicht in der Anonymität verstecken und von denen kaum eines in Israel wahlberechtigt ist können und dadurch schwer zu sanktionieren sind. – werden wir häufig als Generalvertreter des Staates Is- Heute erleben wir auch Übergriffe von Sportlern. Das rael und dessen Politik gesehen. Juden und Israelis reicht von Beleidigungen als „Judensau“, Sprüchen wie werden also in einen Topf geworfen. Das ist eine Hass- „Dich hat man wohl vergessen zu vergasen“ bis hin zu theorie, der man entgegentreten muss. körperlicher Gewalt. Sich den Konsequenzen eines solchen Handelns bewusst zu sein, reicht als Hemm- Ist die Aussage, die Übergriffe gingen vorwiegend von nis scheinbar nicht mehr aus. Das sieht man auch Gegen arabisch-muslimischen Akteuren aus, nicht auch an den Übergriffen auf die Polizei, die wir derzeit Rassismus problematisch? an anderer Stelle erleben. Früher wie heute gilt je- doch: Solches Verhalten erlebt man eher in den un- im Sport Meyer: Natürlich darf man nie pauschalisieren. Man teren Ligen. sollte auch nicht mit Vorurteilen in ein Spiel gehen. Das ist aufgrund unserer Erfahrungen aber nicht immer Wir sprechen gerade viel über Fußball. Ist der Antise- einfach. mitismus hier besonders stark ausgeprägt? Müller: Uns ist schon klar, dass die Spieler von Verei- Müller: Aus der Erfahrung heraus muss man leider sa- nen mit überwiegend muslimischem Hintergrund selbst gen, dass der Fußball anfälliger ist als etwa Tennis oder SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
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