Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV

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Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
Nr. 16 | 15. August 2020 | 74. Jahrgang

                  Titel-
                 thema

Kein Platz für

Rassismus
im Sport
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
EDITORIAL

                                                  Editorial

              Liebe Sportfreundinnen und Sportfreunde,

              die Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf den
              organisierten Sport halten uns seit Monaten in Atem.
              Das zweite große Thema dieser Tage ist mindestens ge-
              nauso wichtig und genauso aktuell. Im Gegensatz zur
              Corona-Pandemie ist es aber nicht neu, sondern eine
              Art negativer Dauerbrenner: Wenn Menschen in aller
              Welt unter dem Hashtag #blacklivesmatter auf die
              Straße gehen, mag der Slogan ein relativ neuer sein.
              Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung ist es
              nicht. Er ist schon lange notwendig und er ist es noch
              immer.                                                   ser eigenes Handeln reflektieren und den Diskurs
                                                                       suchen mit denen, die potenziell von rassistischen An-
              Auch der Sport ist davon nicht ausgenommen. Denn         feindungen betroffen sind.
              obwohl sich der Landessportbund Hessen in seiner Sat-
              zung klar gegen Rassismus sowie antidemokratische,       In unserem Schwerpunktthema zeigen wir auf, warum
              nationalistische und antisemitische Tendenzen positi-    der Blick nicht allein auf die Täter gerichtet und die
              oniert, obwohl in vielen Vereinen hervorragende Inte-    Perspektive der Betroffenen stärker in den Mittelpunkt
              grationsarbeit geleistet wird und das friedliche und     gerückt werden sollte. Wir stellen die Kampagne
              faire Miteinander der Nationen im sportlichen Wett-      #engagiertgegenrassismus der Sportjugend Hessen
              kampf das Leitmotiv der Olympischen Spiele darstellt,    vor und lassen Aktive zu Wort kommen. Außerdem wid-
              gibt es auch in diesem Teil der Gesellschaft offenen     men wir uns den Fragen, welche Rolle Migrantensport-
              und versteckten Rassismus.                               vereine spielen und was MAKKABI Deutschland gegen
                                                                       Antisemitismus im Sport unternehmen will.
              Es ist deshalb an jedem Einzelnen von uns, klare Posi-
              tion zu beziehen. Wir wollen uns deutlich gegen Ras-     Daneben informieren wir selbstverständlich über den
              sismus und Hass im Sport aussprechen. Wir sollten un-    aktuellen Stand von lsb h-Projekten, gehen auf Er-
                                                                       kenntnisse der SINUS-Jugendstudie ein – und laden
                                                                       Sie schon jetzt ein zur ersten digitalen Fachtagung und
                                                                       Sportstättenmesse „sportinfra“. Viel Spaß bei der Lek-
                                                                       türe Ihrer „Sport in Hessen“ wünscht

                                                                       Ihre

                                                                       Dr. Susanne Lapp

SIH 1 6 / 15.08.2020
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
2                                                                                                                                                                                            INHALT

                                                                                         Inhalt

                                                                                                                                 3      „sportinfra“ erstmals digital
                                                                                                                                        Sportstättenmesse und Fachtagung

                                                           6                                                                    4       Herausforderung Wiedereinstieg
                                                                                                                                        Vereine und Sportkreise berichten
                                                           Gegen Rassismus im Sport
                                                           Der schwere Weg zum bunten Sport                                    18       Kurz notiert
                                                                                                                                        Namen und Notizen aus der Sportwelt

                                                                                                                               19       Übungsleiter
                                                                                                                                        Tipps für die Praxis
                                                           16                                                                  23       Amtliches
                                                           Am Ball bleiben                                                              Neues aus Hessens Vereinen
                                                           So kann Inklusion gelingen
                                                                                                                              24        Sinus-Studie
                                                                                                                                        Wie die Jugend auf Sportvereine blickt

                                                                                                                              29        Flüssig laufen

                                                           17                                                                           Richtig trinken beim Joggen

                                                           Neues Förderprojekt                                                 31       Gleichstellung im Sport
                                                           Für mehr Präventionssport in Hessen                                          Mentoring-Programm trotzt Corona

                                                                                                                               32       Sportliche Lesetipps
                                                                                                                                        Neue Bücher

                                                           27                                                                 34        Bildungsakademie
                                                                                                                                        Ausbildungsbroschüre steht online
                                                           Sportstiftung Hessen
                                                           Der Traum von Little Olympia                                       35        ARAG Sportversicherung
                                                                                                                                        Schadensfall des Monats

                                                                                                                              36        Sport und Geschichte
                                                                                                                                        Ein Hauch von Indianapolis
                                                           37
                                                           Sportjugend Hessen
                                                           Von Demokratie und Beteiligung

    Impressum

    Herausgeber: Landessportbund Hessen e. V. (lsb h); Otto-Fleck-          Anzeigen Nord/Mitte: Claudia Brummert, Frankfurter Straße 168,         Titelfoto: Die.
    Schneise 4, 60528 Frankfurt, Tel.: 069/6789 -0                          34121 Kassel, Tel.: 0561/60280-180, Fax: 0561/60280-199,               Foto: D
    Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Susanne Lapp, Vizepräsidentin für    E-Mail: brummert@ddm.de
    Kommunikation und Marketing, Glauburgstraße 11, 60318 Frankfurt.        Anzeigen Süd: Torsten Wethlow, Waldstraße 226, 63071 Offenbach,        www.landessportbund-hessen.de
    Redaktion: Leitung Ralf Wächter (RW), Isabell Boger (ib), Markus        Tel.: 069/85008-368, Fax: -394, E-Mail: sih@op-online.de
    Wimmer (maw), Otto-Fleck-Schneise 4, 60528 Frankfurt.
    So erreichen Sie uns: Ralf Wächter, rwaechter@lsbh.de, Tel.: 069/6789   Sport in Hessen erscheint vierzehntägig zum Wochenende
    -262; Isabell Boger, iboger@lsbh.de, Tel.: 069/ 6789-267; Markus        Bezugspreis: Jährlich Euro 51,11 einschl. Postgebühren und MwSt.
    Wimmer, mwimmer@lsbh.de, Tel. 069/6789-437; Fax: 069/6789-300.          Bestellungen für Vereine beim Landessportbund Hessen e. V.,
    Verlag: Pressehaus Bintz-Verlag GmbH & Co. KG, Waldstraße 226,          für Privatpersonen bei Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG
    63071 Offenbach
    Druck und Vertrieb: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG,               Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Verfasser
    Frankfurter Straße 168, 34121 Kassel.                                   wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keine
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                                                                                                                                                                                   SIH XX / XX.XX.2016
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
SPORTINFRASTUKTUR                                                                                                                            3

                                   8. sportinfra
                                findet online statt
                       Sportstättenmesse und Fachtagung am 4. und 5. November erstmals in digitalem Format /
                              Austausch über Live-Streaming, Online-Foren und virtuelle Meeting-Räume

D
        ie Sportstättenmesse und Fachtagung „sportin-
        fra“ des Landessportbundes Hessen e. V. (lsb h)
        findet 2020 erstmals in digitaler Form statt.
        Unter dem Motto „umweltverträglich – digital –
leistungsstark“ dreht sich am Mittwoch und Donners-
tag, 4. und 5. November, alles um moderne Sport-
infrastruktur im urbanen und ländlichen Raum. Im
Mittelpunkt steht die Frage, welche Anforderungen
künftig an Sportstätten und Bewegungsräume gestellt
werden und wie mit einer zukunftsgewandten Planung
darauf reagiert werden kann.

„Eine Fachtagung mit Messe lebt von guter Informati-
onsvermittlung, vor allem aber vom Netzwerken und
Austausch untereinander. Mithilfe von Livestreaming-
formaten, Online-Foren, virtuellen Meeting-Räumen
sowie einem Netzwerkcafé ermöglichen wir diesen Aus-
tausch auch digital“, sagt Dr. Frank Weller, zuständiger
Vizepräsident des lsb h.

Die „sportinfra“, die normalerweise alle zwei Jahre in
Frankfurt am Main stattfindet, richtet sich an Verant-     Jahren entwickeln muss, um den neuen Anfoderungen         OBEN
wortliche aus Vereinen und anderen Sportorganisatio-       gerecht zu werden.                                        Bequem von zu
nen, Vertreter von Kommunen, Schulämtern, Pla-                                                                       Hause aus
                                                                                                                     teilnehmen und
nungs-, Bau- und Sportämtern sowie Architekten oder        Herausforderungen der 2020er Jahre
                                                                                                                     dennoch nicht auf
Sporthallenbauer. Da zum jetzigen Zeitpunkt unklar                                                                   Austausch
ist, in welcher Form Tagungen im Herbst stattfinden        „Wir beobachten in Hessen – wie vermutlich in ganz        verzichten: Das soll
können, haben sich die Organisatoren gegen eine klas-      Deutschland – zwei gegenläufige Entwicklungen: In         die 8. sportinfra
sische Präsenzveranstaltung entschieden. „Mit dem di-      den urbanen Räumen wächst die Bevölkerung und wird        ermöglichen.
gitalen Format betreten wir Neuland. Gleichzeitig se-      im Durchschnitt jünger. Dadurch lastet ein immenser       Grafik: pixabay.com/
hen wir diesen Schritt als Chance für die Zukunft“, so     Druck auf den wenigen vorhandenen Flächen. In den         Montage: Boger
Weller. Die „sportinfra“ könne Vorreiter werden für an-    ländlichen Räumen sorgt der demografische Wandel
dere Fachtagungen im Sport.                                dafür, dass wir uns über Zentrierung und eine Siche-
                                                           rung der Daseinsvorsorge Gedanken machen müssen“,
Teilnahme von jedem beliebigen Ort aus                     beschreibt Dr. Frank Weller. In beiden Bereichen be-      Mehr Informationen
                                                           stehe die Herausforderung darin, die vorhandene           zu den Fachforen und
Einer der großen Vorteile besteht darin, dass die digi-    Sportinfrastruktur an die aktuellen Bedürfnisse anzu-     Ausstellern sowie zur
                                                                                                                     Onlineanmeldung
tale „sportinfra“ von jedem Ort aus „besucht“ werden       passen sowie neue Formen der Bewegungsförderung zu
                                                                                                                     unter www.sportinfra.
kann. Insbesondere den vielen Ehrenamtlichen in den        integrieren. Wie das gelingen kann, wird die zentrale     de.
hessischen – und anderen deutschen – Sportvereinen         Fragestellung der „sportinfra“ sein.
erleichtert dies die Teilnahme. Der technische Zugang
wird dabei so einfach wie möglich gestaltet.               Die Sportstättenmesse, die traditionell parallel zur
                                                           Fachtagung stattfindet, wird ebenfalls in den digitalen
Qualitativ müssen die Teilnehmenden keine Einschnitte      Raum übertragen. In virtuellen Räumen können die          Bei Fragen wenden
befürchten: Die dreizehn zweistündigen Foren werden        Besucher/innen individuelle und kompetente Beratun-       Sie sich bitte an
live ins Internet übertragen. Im Fokus stehen dabei        gen durch Expert/innen aus der Wirtschaft, Wissen-        Stefanie Süß, E-Mail:
                                                                                                                     ssuess@lsbh.de,
Themen wie Sportvereinsstudios, Kunststoffrasen-           schaft und dem Sport erhalten und sich über Neuheiten
                                                                                                                     oder Frank Grübl,
plätze, Umwelt und Klimaschutz, Sportstättenentwick-       informieren. Beim direkten Kontakt mit den Ausstel-       E-Mail: fgruebl@
lungsplanung oder – passend zum Format – die Digita-       lern können zudem eigene Projektideen ausge-              lsbh.de.
lisierung der Sportinfrastruktur. Den Rahmen bildet        tauscht und besprochen werden.
die Frage, wie sich die Sportinfrastruktur in den 2020er                                             Isabell Boger

SIH 1 6 / 15.08.2020
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
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                       Zerbrechliche Freiheit
                               Covid-19: Seit August gelten weitreichende Lockerungen für den Sport /
                          Infektionszahlen bestimmen weiteren Weg / Unterschiedliche Regelungen vor Ort

    S
           eit dem 1. August darf Vereinssport in Hessen
           wieder ohne eine Beschränkung der Personen-
           zahl ausgeübt werden. Der Sport- und Wett-
           kampfbetrieb ist auf den Sportanlagen, im
    Freien und in Hallen unter Beachtung der ausgewiese-
    nen Hygieneschutzmaßnahmen wieder möglich, zwi-
    schen den Sportlerinnen und Sportlern muss der Min-
    destabstand im Trainings- und Wettkampfbetrieb somit
    nicht mehr eingehalten werden.

    Insbesondere für die Mannschafts- und Kontaktsport-
    arten ist dies eine erhebliche Erleichterung. Allerdings
    unterscheiden sich die weiterhin geltenden jeweiligen
    Hygienerichtlinien der Kreise und Gemeinden zum Teil
    erheblich und somit gestaltet sich für die Vereine auch
    der Wiedereinstieg in den Sport recht unterschiedlich.
    Überdies können bzw. müssen die Lockerungen bei Be-        Fußball-Teams Gebrauch machen. „Das werden wir in
    darf auch wieder zurückgenommen werden. Im Folgen-         begrenztem Ausmaß auch machen, da die Anste-
    den geben wir einen (unvollständigen) Überblick über       ckungsgefahr während des Spielens laut DFB nicht als       OBEN
    die Situation in verschiedenen Sportkreisen Anfang         so hoch eingeschätzt wird“, sagt Ihlefeld. Er nimmt die    Der Ball darf in Hessen
    August (Stand: 07.08.), allerdings könnte sich die         Lage durchaus ernst und setzt zusammen mit seinen          auch mit mehr als zehn
                                                                                                                          Personen auf dem Platz
    Lage seitdem durchaus wieder geändert haben.               Vereinskollegen die Hygieneregeln konsequent um.
                                                                                                                          wieder rollen.
                                                               „Wir wollen auf keinen Fall, dass die SG Rosenhöhe         Foto: pixabay.com/
    Zerbrechliche „Normalität“                                 plötzlich zum Corona-Hotspot wird.“                        Capri23

    Denn wie zerbrechlich diese neue „Normalität“ im           Unterschiedliche Regelungen
    Sport sein kann, zeigt das Beispiel der Stadt Offen-
    bach. Dort gelten die Lockerungen nicht, denn die Zahl     Einheitlich sind die Regelungen für den Wiedereinstieg
    der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschritt       nicht, da in den Landkreisen und Kommunen unter-
    den Wert von 20. Dort könnten, abhängig von der wei-       schiedliche Vorgaben gelten. Vereine, die städtische
    teren Entwicklung der Infektionszahlen, frühestens ab      und kreiseigene Hallen nutzen, mussten stellenweise
    dem 16. August Lockerungen möglich sein. Auch im           ganz unterschiedliche Regeln beachten.
    Rheingau-Taunus-Kreis lag die Zahl der täglichen Neu-
    infektionen höher als 20, am 6. August überschritt         Die SKV Mörfelden ist ein solcher Verein. Sie hat eine
    auch der Odenwaldkreis diesen Grenzwert.                   eigene Halle, nutzt aber auch Hallen, die der Stadt,
                                                               bzw. dem Landkreis gehören. Während in der eigenen
    Nicht zum Corona-Hotspot werden                            Halle das Hygienekonzept des Vereins eingehalten
                                                               werden musste, galten in den anderen Hallen auch et-
    „Am 2. August hatten wir ein Testspiel gegen die           was andere Regeln. „Als Verein konnten wir die Regeln
    Kickers und waren richtig stolz, dass wir das Hygiene-     für unsere Sportanlagen recht schnell anpassen, bei
    konzept des Hessischen Fußball-Verbandes nahezu            den Hallen von Stadt und Kreis hat es entsprechend
    perfekt umsetzen konnten. Das ist jetzt alles wieder       länger gedauert“, erinnert sich Elke Hentzel von der
    hinfällig“, kommentiert Patrick Ihlefeld, Vorsitzender     Geschäftsstelle der SKV.
    der Fußballabteilung der SG Rosenhöhe Offenbach die
    Entwicklung. „Jetzt gelten wieder die alten Regeln:        „Vor allem die Begrenzung der Teilnehmer auf zehn pro
    maximal zehn Personen auf dem Platz, keine Duschen,        Hallendrittel war für uns schwierig, weil wir die Grup-
    keine Umkleiden, keine Eltern als Zuschauer.“              pen entsprechend auf die jeweiligen Hallen verteilen
                                                               mussten.“ Auch war die Gerätebenutzung in den Hallen
    Allerdings besteht für die Offenbacher Sportler die        der Stadt und des Kreises zunächst untersagt.
    Möglichkeit, Spiele jenseits der Stadtgrenzen auszu-
    tragen, und somit immer „auswärts“ zu spielen. Eine        Im großen Ganzen beschreibt sie den Wiedereinstieg
    Regelung, von der laut Ihlefeld fast alle Offenbacher      aber als fast reibungslos. Die Beachtung der allgemei-

                                                                                                                           SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
CORONA-PANDEMIE                                                                                                                                 5

nen Hygieneregeln oder auch die Verwaltung der Lis-        Im Vogelsbergkreis dürfen Sportgeräte hingegen be-
ten mit den Namen der Teilnehmenden gehören inzwi-         nutzt werden, auch waren dort einige Hallen während
schen schon zum Alltag. Sowohl der Einstieg im             der Sommerferien geöffnet. Der Landkreis hat ver-
Fitnessstudio als auch der Neustart der verschiedenen      sucht, die Schließungszeiten der Hallen während der
Sportgruppen habe keine wirklichen Probleme verur-         Sommerferien auf maximal drei Wochen zu begrenzen,
sacht. „Einige unserer Gruppen mit Älteren haben be-       Duschen und Umkleiden waren aber bis zum Ferien-
schlossen, dass sie zunächst noch im Freien trainieren     ende weiterhin geschlossen.
wollen, ansonsten läuft der Betrieb wieder fast
normal.“                                                   „Die geschlossenen Duschen waren für uns das einzige
                                                           ‚Problem‘ beim Wiedereinstieg“, berichtet Oliver Hahn
Für jede Gruppe ein Konzept                                vom geschäftsführenden Vorstand des TV Alsfeld. „An-
                                                           sonsten durften wir auf Grundlage unseres eigenen Hy-
Auch der TSV Auerbach im Kreis Bergstraße stand vor        gienekonzepts in den Hallen trainieren“, was für den
einer ähnlichen Situation. Roland Scherer, Geschäfts-      Verein, vor allem was den administrativen Aufwand an-
führer und Übungsleiter: „Wir mussten im Grunde für        ging, eine echte Erleichterung gewesen sei.
jede Gruppe ein eigenes Konzept entwickeln. Das be-
traf sowohl die Gruppengrößen als auch die Ein- und        Absprachen mit den Schulen notwendig
Ausgangssituation, die so gestaltet werden musste,
dass sich die Gruppen nicht begegnen. Am Anfang ha-        Im Main-Kinzig-Kreis sind die Hallen ab dem 17. Au-
ben wir noch ohne Handgeräte gearbeitet, das hat sich      gust mit Schulbeginn wieder freigegeben, dann ist dort
inzwischen geändert. Allerdings bedeutet dies natür-       auch die Nutzung von Matten und Geräten erlaubt, al-
lich auch viel Mehrarbeit für die Übungsleiter, denn sie   lerdings nur nach Abstimmung mit den jeweiligen
sind für die Desinfektion der Geräte nach Gebrauch         Schulen, die die kreiseigenen Hallen für den Sportun-
zuständig.“                                                terricht nutzen. Die Vereine müssen dabei die Vorga-
                                                           ben einhalten, die unter anderem auf der Homepage
Als schwierig empfindet Scherer die Situation im Kin-      des Landessportbundes veröffentlicht sind, außerdem
derturnen: „Da können wir momentan nur wenige              für die Reinigung der genutzten Anlage sorgen. Ein
Übungen machen. Und Konditionsübungen sprechen             Punkt, der sicher mit viel Aufwand verbunden ist.
leider nur die Leistungsgruppen an. In den Breiten-
sportgruppen laufen uns die Kinder davon, wenn wir         Auch im Werra-Meißner-Kreis soll ab dem 17. August
nur noch Konditionstraining anbieten.“ Im Rückblick        ein „Normalbetrieb“ wieder möglich sein. Ob Duschen
beurteilt er den Wiedereinstieg als sehr positiv. Sowohl   und Umkleiden dort wieder genutzt werden dürfen, war
die Teilnehmenden als auch die Übungsleitenden hät-        bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht
ten die Einschränkungen und Regelungen akzeptiert          geklärt. Fest steht aber: Was in diesem Zusammenhang
und gut und diszipliniert umgesetzt.                       als „Normalbetrieb“ bezeichnet werden kann, ist weit
                                                           entfernt von dem, was vor Corona noch völlig üblich
Lüften vorgeschrieben                                      war.

Im Lahn-Dill-Kreis hat der Kreis seine Hallen auch ab      Belastung für die Vereine
dem 1. August freigegeben, auch dort wurde ein neues
Hygienekonzept veröffentlicht. Begegnungen von             „Wir haben ein eigenes Hygienekonzept erstellt, einen
Sportgruppen sollte vermieden werden, die Übungszei-       Hygienebeauftragten ernannt und schon das erste
ten reduzieren sich um jeweils zehn Minuten vor Be-        Freundschaftsspiel gespielt, bei dem 70 Zuschauer an-
ginn und vor Ende der jeweiligen Übungseinheiten. So       wesend waren“, berichtet Uwe Bartholomai vom TSV
soll gewährleistet werden, dass die Sporthallen ausrei-    Wichmannshausen. Umkleiden und Duschen dürfen ak-
chend durchlüftet werden, bevor neue Nutzergruppen         tuell nur einzeln benutzt werden, dort spielt das Desin-
die Hallen betreten.                                       fizieren der Räume eine große Rolle. Er empfindet die
                                                           Bedingungen als große Belastung für den Verein. „Die        Unter welchen
„Wir haben die Übungsgruppen verkleinert, die Senio-       Konzepte klingen durchdacht, sind umsetzbar und             Bedingungen sind
ren sind beispielsweise draußen im Freien und nutzen       auch sinnvoll. Aber auf Dauer stellt sich doch die Frage,   Sport und andere
                                                                                                                       Vereinsaktivitäten
ihre eigenen persönlichen Sportgeräte. Ansonsten ar-       ob der notwendige Aufwand für die Umsetzung lang-
                                                                                                                       derzeit möglich?
beiten wir aktuell nur mit Kleingeräten, die sich prob-    fristig leistbar ist.“                                      Darüber informiert der
lemlos desinfizieren lassen“, berichtet Carmen Orthner                                                                 Landessportbund
vom Vorstand des Turnvereins Hermannstein. Sie be-         Für Bartholomai und seine Mitstreiter gestaltet sich die    Hessen jederzeit
dauert, dass aktuell noch nicht geklärt ist, wann und      Einhaltung der Hygienevorschriften durchaus proble-         aktuell auf seiner
wie die Angebote für Kinder wieder aufgenommen wer-        matisch. „Unser Sportgelände ist nicht eingezäunt,          Webseite. Kurz-URL:
den können.                                                was es viel schwieriger macht, die Zuschauer mit ihren      yourls.lsbh.de/
                                                                                                                       corona-faq
                                                           Adressen zu erfassen. Auch die Mindestabstände zwi-
In Waldeck-Frankenberg sind die kreiseigenen Hallen        schen den Zuschauern zu gewährleisten, erweist sich
geöffnet, die Umkleiden sind ebenfalls zugänglich, al-     manchmal schwieriger als gedacht. Wenn wir ein Derby
lerdings dürfen dort die Duschen nicht benutzt wer-        spielen und 250 Zuschauer haben, dann stoßen wir an
den. Ebenfalls tabu für Vereine sind die Sportgeräte,      unsere organisatorischen Grenzen“ beklagt er.
deren Desinfizierung nach Gebrauch vorgeschrieben                                                 Markus Wimmer
ist.

SIH 1 6 / 15.08.2020
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
6                                                                                                   TITELTHEMA DISKRIMINIERUNG IM SPORT

                               Der schwierige Weg
                                zum bunten Sport
                    Auch der Sport ist nicht frei von Diskriminierung und Rassismus / Perspektive der Betroffenen
                                                    stärker in den Mittelpunkt rücken

    R
           assismus existiert auch im Sport. Das wird wohl       erreihen erzählen. Es ist die Weitsprung-Weltmeisterin
           kaum jemand bestreiten. Doch wie wird die Situa-      Malaika Mihambo, die als Kind das Gefühl gehabt habe,
           tion in den hessischen Sportvereinen wahrge-          als „Mensch nicht in Ordnung zu sein, nichts wert zu
           nommen? „Das gab und gibt es bei uns nicht“, er-      sein“, weil etwa ein Mitschüler aufgrund ihrer Haut-         OBEN
    klärt eine Frau aus Dreieich auf der lsb h-Facebookseite.    farbe nicht neben ihr sitzen wollte und sie daraufhin        In der Partie gegen
    „In unserem Sport schwer vorstellbar“, schreibt Foot-        einen anderen Platz einnehmen musste.                        Hannover 96
                                                                                                                              solidarisieren sich
    ball-Funktionär. Im Ringkampfsport „selten bis gar
                                                                                                                              die Spieler von SV
    nicht. Kann mich da in meiner 30-jährigen Zugehörig-         Da ist eine 23-jährige Hessin, die davon erzählt, dass       Darmstadt 98 mit der
    keit höchstens an eine Handvoll ,Vorfälle‘ erinnern“, be-    ihr Sportverein bei der Anwerbung neuer Mitglieder           „Black Lives
    richtet ein Dritter. Auch Ilyas Osman, 21, vor fünf Jahren   darauf hinwies, die Flyer nur in Briefkästen mit „deut-      Matter“-Bewegung.
    als somalischer Flüchtling nach Deutschland gekommen         schen“ Nachnamen zu werfen. Da sind Geflüchtete mit          Foto: Jan Hübner
    und heute erfolgreicher Mittelstreckenläufer des TV          muslimischem Glauben, die sich beim Vereinsfest mit
    Waldstraße Wiesbaden, sagt: „Im Sport habe ich nie Ras-      Bier und Bratwurst nicht so wirklich willkommen fühl-
    sismus erlebt. Der Verein ist wie eine Familie für mich.“    ten. Da ist die junge Frau mit ungewöhnlichem Vorna-
                                                                 men, die der Trainer beim Schnuppertraining so lange
    Für Angelika Ribler, Referatsleiterin Sport- und Ju-         danach fragt, woher sie denn komme, bis sie endlich
    gendpolitik der Sportjugend Hessen und seit Jahren           versteht: Er meint nicht ihren Wohnort. Er meint
    mit der Thematik betraut, passen diese Aussagen ins          nicht ihren Geburtsort oder die Stadt, in der sie
    Bild: „Wenn man Teilnehmende in Aus- und Fortbildun-         aufgewachsen ist. Er meint das Land, aus dem
    gen fragt, ob es in ihrem Verein Rassismus gibt, wird        ihre Vorfahren einst als Gastarbeiter nach                   Gegen
    dies meistens verneint. Es gebe zwar Rassismus im            Deutschland gekommen sind.                                 Rassismus
    Sport, aber nicht im eigenen Verein, so lauten häufig
    die Antworten.“ Doch wie kommt diese Diskrepanz zu-          Da ist der 800-Meter-Läufer Dennis Biederbick               im Sport
    stande? Für Ribler hat es viel damit zu tun, dass Rassis-    (Eintracht Frankfurt), kenianische Mutter, für
    mus und Diskriminierung häufig nur dann als solche er-       den Rassismus im Sport „eigentlich nie ein Thema“
    kannt oder zumindest benannt werden, wenn Personen           war. Trotzdem kennt er sie, die vielen Nachfragen, wo-
    offen beleidigt oder ausgegrenzt werden.                     her seine dunklere Hautfarbe komme. Er hat es schon
                                                                 erlebt, dass Leute ihn auf Englisch ansprachen, weil sie
    Vielfältige Formen der Diskriminierung                       ihn für einen Flüchtling hielten, und auch dabei blie-
                                                                 ben, als er in Deutsch antwortete. Er kennt auch die
    Dabei sind Rassismus und Diskriminierung deutlich            Meinung der vielen, die – oft wohlmeinend – behaup-
    vielschichtiger, wie Ribler auf den Seiten 8/9 genauer       ten, „Afrikaner“ könnten einfach ausdauernder laufen.
    darlegt. Davon zeugen auch die Berichte zahlreicher
    Sportlerinnen und Sportler, die – ermutigt durch die         Ilyas Osman, der junge Geflüchtete, der heute für den
    Bewegung #blacklivesmatter („Schwarze Leben zäh-             TV Waldstraße Wiesbaden startet, kennt diese Aussagen
    len“) von ihren eigenen rassistischen Erfahrungen be-        ebenfalls. „Es stimmt einfach nicht. Dass Ostafrikaner
    richtet haben. Da sind bewunderte Nationalspieler wie        bei Wettkämpfen besser abschneiden, hat vor allem da-
    Jerome Boateng, die von Affenlauten aus den Zuschau-         mit zu tun, dass sportliche Erfolge für sie die einzige

                                                                                                                               SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT                                                                                                             7

Möglichkeit sind, aus der Armut herauszukommen. Und           jedoch an Sportstätten, auf dem Podium, bei offiziellen
anders als in Deutschland, wo viele Sportarten zur Aus-       Zeremonien oder im Olympischen Dorf. Die weltweiten
wahl stehen, bleibt ihnen oft nur das Laufen.“                Proteste von Sportler/innen gegen Rassismus und Poli-
                                                              zeigewalt haben zu intensiven Diskussionen über diese
Mündige Sportler/innen                                        Regel geführt. Im Juni hat der DOSB die Athlet/innen
                                                              des Teams Deutschland daher motiviert, „sich aktiv an
Dass Sportler/innen auf der ganzen Welt heute klar Stel-      der Diskussion zu beteiligen und gerne auch Vorschläge
lung gegen Rassismus beziehen, ist nicht zuletzt dem          für mögliche Verbesserungen einzubringen“. Der Kont-
Football-Profi Colin Kaepernick zu verdanken, der sich        rollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes hat unter-
2016 erstmals weigerte, bei der amerikanischen Natio-         dessen bereits reagiert. Solidaritätsbekundungen ein-
nalhymne aufzustehen. „Ich werde mich nicht hinstellen        zelner Bundesligaspieler für die „Black Lives Matter“-
und stolz auf eine Flagge sein, die für ein Land steht, das   Bewegung stufte er nicht als politisches Statement –
Schwarze und andersfarbige Menschen unterdrückt“,             das nach DFB-Regelwerk verboten wäre –, sondern als
begründete er seine Aktion, die Nachahmer fand – und          „mutiges Zeichen für Zivilcourage“ ein.
in deren Folge er bald ohne Profivertrag dastand.
                                                              Ein Drittel der Hessen mit Migrationsgeschichte
Die Situation in Deutschland, sagen Sportler wie Osman
und Biederbick, sei mit der in den Vereinigten Staaten        Wer solche Diskussionen für eine abgehobene Debatte
nicht zu vergleichen. „Die Geschichte der Unterdrü-           hält, die nur wenige betrifft, der irrt. Immerhin haben
ckung ist dort eine andere, dort sind die Proteste, die       in Hessen 33,6 Prozent der Bevölkerung einen Migrati-
wir jetzt erleben, überfällig.“ Zu protestieren, seine        onshintergrund. Rund zwei Drittel davon sind selbst zu-
Meinung frei äußern zu dürfen – auch als Sportler – fin-      gewandert. Wie viele Menschen dunkelhäutig sind, wird
den beide wichtig. Doch ob Sport oder Politik: „Hasspa-       in Deutschland nicht erhoben. Ein Umstand, den die
rolen helfen ebenso wenig weiter wie Gewalt“, findet          UN-Arbeitsgruppe für Menschen afrikanischer Abstam-
der Läufer und Polizist Biederbick. Ilyas Osman sagt:         mung 2017 scharf kritisiert hat: Deutschland brauche
„Wir leben im Jahr 2020. Wer verschiedene Religionen,         „ethnisch-basierte Daten, um die Politik über systema-
Hautfarben, Sexualitäten nicht akzeptiert, der muss           tische Benachteiligungen informieren zu können“.
sich weiterbilden.“ Sportler/innen sieht er als mögliche
Vorbilder: „Wenn du etwas Gutes tust und zeigst, was          Bei den Entscheider/innen im hessischen Sport spiegelt
Solidarität bedeutet, kann das andere inspirieren.“           sich diese Vielfalt noch nicht so stark wider. Das muss
                                                              kein Problem sein. Es kann aber. Nämlich dann, wenn sie
Ein starkes Zeichen setzen – das könnten Sportler/in-         die Deutungshoheit, ob es in ihrer Organisation Rassis-
nen vor allem dort, wo sie im Fokus stehen: im Wett-          mus gibt, bei sich sehen. Angelika Ribler sagt aus ihrer
kampf oder auf dem Podium. So haben es bei den Olym-          Erfahrung heraus: „Was diskriminierend ist, entscheidet
pischen Spielen 1968 die afroamerikanischen Sprinter          nicht der Sender, sondern der Empfänger: Wie kommt
Tommie Smith und John Carlos getan, als sie bei der           eine Handlung oder Aussage beim Betroffenen an?“
Siegerehrung zum 200-Meter-Lauf aus Solidarität zur
„Black Power“-Bewegung die Köpfe senkten und eine             Im Umkehrschluss heißt das, dass Sportorganisationen
Faust nach oben reckten. Das IOC wertete die Aktion als       sich ganz genau anschauen müssen, was in ihrem Ver-
„willentlicher und gewaltsamer Bruch der fundamenta-          ein gesprochen oder gedacht wird. Denn auch, wenn
len Prinzipien der olympischen Idee“. Die beiden Athle-       der Sport eine große integrative Kraft besitzt, achten
ten wurden aus der Mannschaft entfernt und in ihrer           nicht alle Aktive die freiheitlich-demokratische Grund-
Heimat Ziel von Anfeindungen und Morddrohungen.               ordnung. Der Attentäter von Hanau, der Hauptver-
                                                              dächtige im Mordfall Walter Lübke: Beide waren Mit-
Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit? Nicht          glieder in einem Schützenverein. Hätten die Vereine          LINKS
ganz: Laut der Regel 50.2 der Olympischen Charta sind         etwas merken müssen, etwas tun können? Und wie               Ilyas Osman
politische Statements zwar bei Pressekonferenzen, in          sieht es mit Fußballclubs aus, die wissen, dass einige       (liegend), 2015 als
                                                                                                                           minderjähriger
Interviews oder auf eigenen Kanälen zugelassen, nicht         ihrer Fans der Neonazi-Szene angehören?
                                                                                                                           Flüchtling nach
                                                                                                                           Deutschland
                                                              Ein Anfang, sagt Ribler, ist es, sich in der Satzung klar    gekommen, fühlt
                                                              zu Werten zu bekennen. „Wenn man immer wieder                sich beim TV
                                                              deutlich macht, für was der Verein steht und dass nur        Waldstraße
                                                              der willkommen ist, der diese Werte teilt, ist das ein       Wiesbaden wohl. Der
                                                              starkes Zeichen. Dann fällt es auch leichter, sich gegen     Verein habe ihn wie
                                                                                                                           eine Familie
                                                              die zu stellen, die sich durch einschlägige Kleidung
                                                                                                                           aufgenommen,
                                                              oder Äußerungen davon distanzieren.“ Außerdem                Rassismus habe er
                                                              dürften unangenehme Diskussionen nicht vermieden             dort nie erlebt.
                                                              werden. Alexandra Faulhaber, die bei der Sportjugend         Foto: Günter Jung
                                                              das Projekt „DemoS!“ betreut, bringt es so auf den
                                                              Punkt: „Antirassistische Arbeit ist kein Sprint, sondern
                                                              ein Ultralauf. Sie verlangt viel Kraft und einen sehr
                                                              langen Atem, ist aber unvermeidbar für alle, die in ei-
                                                              ner starken, bunten, freien Gesellschaft leben wollen.
                                                                                                          Isabell Boger

SIH 1 6 / 15.08.2020
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
8                                                                                                    TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT

                 Rassismus erkennen und
                     entgegenwirken
                              Angelika Ribler zu den Hintergründen von Alltagsrassismus im Sportverein,
                                   Handlungsmöglichkeiten und den Bedürfnissen von Betroffenen

    A
             ngelika Ribler ist Psychologin, Sportwissen-
             schaftlerin und Sportmediatorin. Als Referatslei-
             terin bei der Sportjugend Hessen berät sie seit
             vielen Jahren hessische Sportvereine – auch im
    Hinblick auf Integration, Rassismus und Diskriminie-
    rung. Der Begriff Rassismus, sagt sie, werde häufig auf
    rassistische Äußerungen gegenüber dunkelhäutigen
    Menschen verkürzt. „Struktureller Rassismus bzw. All-
    tagsrassismus ist aber vielschichtiger, betrifft viel mehr
    Menschen und wird oft nicht erkannt. Und: Es gibt ihn
    auch im Sport.“ Doch wie kann man sich aktiv gegen All-
    tagsrassismus engagieren? Was hat das mit den engli-
    schen Begriffen bzw. Mechanismen „Belonging“ und
    „Othering“ zu tun? Und was brauchen die Betroffenen?
    Diese Fragen versucht sie nachfolgend zu beantworten:

    „Wir“ und „die Anderen“

    In Deutschland ist Herkunft immer noch ein Aspekt,           überbetont, institutionalisiert und moralisiert werden.      OBEN
    der nicht selten überbetont wird. Wenn wir von Inte­         Die (Nicht-)Zugehörigkeit kann man mit dem Begriff           Du bist anders: Wer
    gration sprechen, denken wir an Menschen mit Migra-          „Belonging“ bezeichnen: Belonging meint emotionale           dieses Gefühl
                                                                                                                              vermittelt, gibt dem
    tionshintergrund, die in UNSERE Gesellschaft, in UNSE-       Verbundenheit mit sozialen Gruppen und/oder Orten.
                                                                                                                              anderen das Gefühl,
    REN Sportverein integriert werden sollen. Dabei wird         Wer gehört dazu? Wie entsteht Zugehörigkeit? Wem             nicht richtig
    das „Wir“ als homogene deutsche Gesellschaft bzw. ho-        wird Zugehörigkeit (nicht) zugestanden? Menschen             dazuzugehören.
    mogener deutscher Verein gedacht, zu dem „andere“            können sich unterschiedlichen und mehreren sozialen          Foto: Yeexin Richelle /
    hinzukommen. Und Vereine wie „Türk spor“ oder „FC            Gruppen zugehörig fühlen, auch einem Sportverein.            shutterstock.com
    Bosna“, die von Personen mit Migrationshintergrund           Sportvereine basieren auf dem Prinzip der offenen und
    gegründet wurden, werden als „(mono)ethnische Ver-           freiwilligen Mitgliedschaft. Dennoch finden nicht alle       UNTEN
    eine“ bezeichnet. Beides bildet nicht die Realität ab.       Bevölkerungsgruppen gleichermaßen Zugang.                    Angelika Ribler hat
                                                                                                                              bereits viele Vereine
                                                                                                                              beraten und ist auch
    Denn eine homogene deutsche Gesellschaft gab es nie.         Zugehörigkeit wird nicht zugestanden
                                                                                                                              Anlaufstelle für
    In der deutschen Geschichte wanderten stets Menschen                                                                      Betroffene. Die
    aus anderen Ländern ein. Und in „(mono)ethnischen“           Belonging/Zugehörigkeit im Sportverein kann auf vier         Beratung ist
    Vereinen treiben Menschen mit sehr unterschiedlichen         Arten nicht zugestanden werden: 1. Verwehrung von            kostenlos und auf
    kulturellen und sozialen Hintergründen sowie vielen          Teilnahme, 2. Ablehnung/Abwehr von Geflüchteten(pro-         Wunsch anonym.
    Identitäten Sport. Denn auch wenn Familienmitglieder         jekten), 3. Anpassungserwartungen/Anpassungsdruck
    vor zwei Generationen nach Deutschland eingewandert          und 4. Stigmatisierungen/Othering (nach Prof. Dr. Tina
    sind, sind sie, ihre Kinder und Enkel eben Frankfurter,      Nobis, Humboldt Universität Berlin). Wenn man Alltags-
    Groß-Gerauerinnen oder Wetzlarer. Sie sind Busfahrer,        rassismus verstehen will, ist die Reflexion dieser oft un-
    Ärztinnen, Reinigungskräfte. Sie sind jung oder alt. Sie     sichtbaren Mechanismen sehr hilfreich. Wenn man über-
    sind im Verein oder nicht, aber sie sind WIR.                legt, was man in seinem Verein tun kann, um Rassismus
                                                                 und andere Diskriminierungen zu erkennen und sinnvoll
    Vom Fremdmachen und Dazugehören                              zu handeln, ist es außerdem wichtig, die (potenziell)
                                                                 Betroffenen in den Blick zu nehmen. Fühlen sich alle im
    Die Vorstellung von ethnisch homogenen Völkern bzw.          Verein wohl? Gibt es eine/n Ansprechpartner/in, an die/
    Vereinen schlägt sich in unserer Sprache und unserem         den man sich wenden kann? (siehe nächste Seite).             Kontakt, Fragen,
    Denken nieder und hat Folgen für die als „andere“ mar-                                                                    Anregungen?
    kierten Menschen: Sie gehören nicht automatisch dazu         Sport bietet enorme Möglichkeiten                            Sportjugend Hessen,
                                                                                                                              Angelika Ribler,
    und sollen „integriert“ werden. Dieses „Fremdmachen“
                                                                                                                              Tel.: 069 6789-401,
    nennt man „Othering“. Othering beschreibt einen Pro-         Auch wenn in Sportvereinen nicht alle Menschen einer         E-Mail: ARibler@
    zess, in dem sozialen Gruppen „Anders-Sein“ zuge-            Gemeinde, eines Stadtteils zusammenkommen, bieten            sportjugend-hessen.de
    schrieben wird und in dem Unterschiede pauschalisiert,       die Kontakte über den Sport enorme Möglichkeiten,

                                                                                                                               SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
Im Sport - Titel-thema - Landessportbund Hessen eV
TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT                                                                                                             9

sich umeinander zu kümmern und zu agieren, wenn je-         tische Äußerung muss so gemeint sein – man kennt die
mand beleidigt oder (rassistisch) diskriminiert wird.       Motivation des Akteurs nicht. Wichtig ist, das Gesche-
Wenn sich zudem der Vorstand, vielleicht gemeinsam          hen ernst zu nehmen und gut abzuwägen, welche
mit den Abteilungsleitungen, Trainer/innen, Eltern          Handlung am sinnvollsten ist, um den/die Betroffene/n
und Sportler/innen die oben genannten Fragen stellt         zu unterstützen.
(wer kommt zu uns, bilden wir die Zusammensetzung
unseres Wohnviertels ab, wer fühlt sich ggf. nicht zu-      Zwischen Person und Handlung trennen                         Gegen
gehörig, wie sprechen wir über Integration und „Men-
schen mit Migrationshintergrund“ etc.) und einen ras-       Zunächst ist es wichtig, zwischen einer Hand-              Rassismus
sismuskritischen Blick auf das Vereinsgeschehen
entwickelt, ist die Chance groß, dass sich alle Mitglie-
                                                            lung (z. B. einer die Menschenwürde verletzende
                                                            Äußerung) und der Person (die sich entspre-
                                                                                                                        im Sport
der und die, die sich nun noch eher angesprochen füh-       chend äußert) zu unterscheiden. Nicht die Person
len und kommen, im Verein wohlfühlen!                       wird abgelehnt und verurteilt, sondern die Äuße-
                                                            rung. Die Fokuserweiterung auf die Bedürfnisse von
Eine weitere Möglichkeit bietet die Ansprache und Ein-      Betroffenen sowie die solidarische Aktivierung der Be-
bindung junger Menschen. Sie sind oftmals an eine           teiligten eröffnet weitere Handlungsoptionen. Im so-
„vielfältige Normalität“ durch Schule, Ausbildung und       genannten „TOZ“ (Täter-Opfer-Zuschauer oder besser
Studium gewöhnt. Auch verbinden vor allem sie sich          Akteur-Betroffene-Beteiligte)-Modell      wird    dies
zurzeit stark über die sozialen Medien mit der              veranschaulicht:
#blacklivesmatter-Bewegung.

Ein Blick auf die (potenziell) Betroffenen

Gleichwohl ist es wichtig, die (potenziell) Betroffenen
in den Blick zu nehmen. Denn in unserer Gesellschaft
(und in vielen anderen Gesellschaften) stehen bei Ras-
sismus, Antisemitismus und anderen Diskriminierun-
gen sowie auch bei Fällen von Kindeswohlgefährdung
oftmals die Täter/innen im Vordergrund. Die häufigste
Frage von Vereinen lautet daher: „Sollen wir ihn raus-
schmeißen?“ Auch die Sportgerichtsbarkeit, beispiels-
weise im Fußball, ist durch ihre Strafordnung auf die
Sanktionierung der Täter/innen ausgerichtet.

Viel zu selten wird gefragt: Wie geht es den Betroffenen?
Was brauchen sie? Werden ihre Bedürfnisse gesehen?          In Fortbildungen können mit dem TOZ-Modell anhand
Werden sie ggf. gefragt und beim weiteren Vorgehen          von Fallbeispielen Handlungsoptionen gesammelt wer-          OBEN
einbezogen? Zudem fehlt oft die Sicht auf die Beteilig-     den. Wenn z. B. mein Trainer einen Spieler diskrimi-         Das TOZ-Modell lenkt
ten (Zuschauer/innen, Eltern, Mitspieler/innen, …) –        niert und ich Angst habe, etwas laut dagegen zu sagen,       den Blick auf die
                                                                                                                         Bedürfnisse der
was hätten sie tun können, um den/die Betroffene/n zu       weil ich dann beim nächsten Spiel vielleicht nicht auf-
                                                                                                                         Betroffenen und die
schützen, zu unterstützen, sich zu solidarisieren?          gestellt werde, kann ich nach dem Training auf den be-       Möglichkeiten der
                                                            troffenen Spieler zugehen und unter vier Augen fra-          Beteiligten, selbst
Wie können Beteiligte reagieren?                            gen, wie es ihm geht. Nach Absprache mit ihm können          einzugreifen (nach:
                                                            wir gemeinsam die Situation in der Umkleidekabine mit        Kaletsch/Rech, 2015)
Wenn man als Mitspieler/in, Trainer/in, Elternteil (…)      den Mitspielern besprechen und wir überlegen alle zu-        Grafik: ib
in einer solchen Situation ist, fühlt man sich oftmals      sammen, wie wir unseren Trainer darauf ansprechen.
hilflos oder ohnmächtig. Was hätte man in der Situa-
tion sagen sollen? Später fallen einem dann oft Ideen       Für eine Kultur der Menschenrechte
ein. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass man
das Geschehen nicht ernst nimmt, solche Situationen         „Eine konsequent diskriminierungskritische und betrof-
schon kennt und sie „normal“ findet – ein „blöder           fenensensible Haltung kann dabei helfen, die die Men-
Spruch eben“. Vielleicht erkennt man rassistische oder      schenwürde infrage stellenden Positionen als das zu er-
antisemitische Diskriminierungen aber auch nicht?           kennen, was sie im Kern sind: ein Angriff auf das
Und vielleicht unterschätzt man auch die Wirkung auf        menschenrechtsbasierte, demokratische Zusammenle-
die Betroffenen …                                           ben. Damit betrifft es alle in dem Gemeinwesen und           Bei Interesse kann
                                                            sollte als Aufforderung verstanden werden, für den Er-       dieses Thema im
Eine mögliche Reaktion ist die direkte Ansprache des        halt einer Kultur der Menschenrechte einzutreten und         Rahmen eines
                                                                                                                         Online-Seminars
Täters bzw. „Akteurs“. Auch wenn dies eine sehr sinn-       sicherzustellen, dass alle sich gleichermaßen wohl und
                                                                                                                         vertieft werden.
volle Aktion sein kann, um z. B. ihm nach einer rassisti-   sicher fühlen“ (Christa Kaletsch, Projekt „Zusammenle-       Kontakt: ARibler@
schen Äußerung Einhalt zu gebieten und somit Zivil-         ben neu gestalten“, 2019). Diese Auffassung wird auch        sportjugend-hessen.de
courage zu zeigen, kann sich jemand hierdurch in            in und mit der Satzung des Landessportbundes Hessen
Gefahr bringen. Insbesondere, wenn der Akteur ein ge-       und der Sportjugend Hessen deutlich. Und sie spiegelt
schlossenes rechtsextremes/rassistisches Weltbild hat       sich in dem, was wir als die Werte des Sports begreifen.
und dieses aggressiv verteidigt. Aber nicht jede rassis-                                             Angelika Ribler

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                       Über den Sport hinaus
                                    „Migrantensportvereine“ im Spannungsfeld von Integration und
                                             Heimatverbundenheit: kein neues Phänomen

     W
                enn über Rassismus und Fremdenfeindlich-
                keit im Sport diskutiert wird, geraten auch
                „Migrantensportvereine“ immer wieder in
                den Blickpunkt. Anlassgeber hierfür sind oft
     Berichte über Auseinandersetzungen beim Sport, vor-
     nehmlich im Fußball. Die Vereine werden als „proble-
     matisch“, als „Fremdkörper“ im Sportsystem oder so-
     gar als Integrationshemmnis bezeichnet. Professor Dr.
     Michael Mutz, Sportsoziologe an der Justus-von-Lie-
     big-Universität in Gießen forscht und veröffentlicht
     schon seit Langem zu den Themen Integration und
     Rassismus im Sport sowie der Rolle von „Migranten-
     sportvereinen“. Er zeichnet ein differenzierteres Bild.

     „In der Tat scheint es solche Konflikte häufiger im Fuß-
     ball zu geben als in anderen Sportarten. Aus meiner
     Sicht gibt es mehrere Gründe dafür: Die Spielsituation     hoch empfunden wurden. Im Rahmen dieser Entwick-
     ist ja erstens durch Wettbewerb geprägt, also ein Ge-      lung entstand vielerorts der Wunsch, am „richtigen“       OBEN
     geneinander und nicht durch ein Miteinander. Da darf       Sport teilzunehmen und sich ins Sport- und Ligasystem     Im Fußball kommt es
     man nicht Integration und Harmonie erwarten. Zwei-         zu integrieren. Die Entstehung dieser Vereine ist somit   immer wieder zu
                                                                                                                          Konflikten zwischen den
     tens ist Fußball ein Kampfspiel mit robustem Körper-       kein Ergebnis mangelnder Integrationsbereitschaft,
                                                                                                                          Teams von Migranten-
     einsatz. Was für den einen noch ‚gesunde Härte‘ ist,       sondern eher ein Zeichen dafür, dass man im Sport         sportvereinen und
     empfindet ein anderer als brutales Foul. Und solche        „dazugehören“ wollte. An dieser Stelle waren die Mig-     „deutschen“ Teams. Die
     Wahrnehmungen, also wo diese Grenze zur Unfairness         rantensportvereine somit der damaligen offiziellen        Unterscheidung
     liegt, scheinen sich in verschiedenen Herkunftsgrup-       „Integrationspolitik“ ein ganzes Stück voraus.            zwischen „gesunder
     pen durchaus zu unterscheiden. Drittens kommen                                                                       Härte“ und unfairem
     wechselseitige Vorurteile ins Spiel: Während deutsche      Unterschiedliche Motivlagen                               Spiel sorgt dabei oft für
                                                                                                                          Zündstoff.
     Spieler oft von übermäßiger Härte ausgehen, fühlen
                                                                                                                          Foto: lsb NRW/Andrea
     sich viele Migrantenteams systematisch benachteiligt       Und so, wie sich die Integrationspolitik im Laufe der     Bowinkelmann
     und sind rassistischen Pöbeleien ausgesetzt. Das alles     Jahrzehnte geändert hat, haben sich auch die Motive
     sind Bedingungen, unter denen sich negative Emotio-        zur Gründung „eigener“ Vereine gewandelt. „Die Grün-
     nen schnell aufschaukeln und im ungünstigsten Fall Si-     dungsmotive für Migrantensportvereine sind komplex
     tuationen komplett eskalieren können.“                     und vielschichtig: Manche Sportvereine wurden aus
                                                                Kultur- und Heimatvereinen heraus gegründet, weil
     Kein neues Phänomen                                        man dort eben auch mal Sport treiben wollte. Andere
                                                                sind aus informellen Freizeitsportgruppen heraus ent-
     Dass Migranten eigene Sportvereine gründen, ist we-        standen, die sich am Wochenende regelmäßig im
     der ein neues noch ein speziell deutsches Phänomen.        Stadtpark getroffen haben und dann am Spielbetrieb
     Irische Einwanderer spielten und spielen in den USA in     teilnehmen wollten. Wieder andere existierten als Ab-
     eigenen Hurling-Ligen, deutsche Einwanderer gründe-        teilung in „deutschen“ Vereinen und haben sich ir-
     ten in Südamerika Turnvereine, die bis heute existieren    gendwann abgespalten, um unabhängiger zu sein“,
     und in Deutschland gab es bereits vor weit mehr als        nennt Prof. Mutz einige Gründe für das Entstehen von
     100 Jahren polnische Turnvereine. In den 1960er-Jah-       Migrantensportvereinen.
     ren entstanden vor allem im Umfeld der „Gastarbeiter-
     Betreuung“ der Kirchen, Konsulate oder sozialen Orga-      Ein weiteres Motiv für diese Vereinsgründungen sieht      OBEN
     nisationen Sportgruppen. Damals stand Integration          Mutz darin, dass bestimmte Sportarten aus den Her-        Prof. Dr. Michael
     nicht auf dem Plan, sondern das „Rotationsprinzip“         kunftsländern in Deutschland wenig populär sind und       Mutz beschäftigt sich
                                                                                                                          wissenschaftlich mit
     sorgte dafür, dass Arbeitsverträge auf ein halbes Jahr     kaum „deutsche“ Vereinsstrukturen existieren. Cricket,
                                                                                                                          Migrantensportverei-
     befristet waren und die „Bleibedauer“ somit ohnehin        Capoeira, asiatische Kampfkünste oder das russische       nen.
     begrenzt war. Das Rotationsprinzip wurde Anfang der        Sambo sind entsprechende Beispiele.                       Foto: PRV
     1970er-Jahre vor allem auf Drängen der Wirtschaft im-
     mer mehr infrage gestellt und aufgeweicht, da die Ein-     „Ich denke, bis heute haben sich die Gründungsmotive
     arbeitungskosten für den kurzen Aufenthalt als zu          gar nicht so stark verändert. Was sich aber verändert

                                                                                                                           SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT                                                                                                             11

hat, ist die Sportvereinslandschaft insgesamt, die viel-   benhilfe, über kulturelle Angebote wie Folklore, Musik
fältiger und offener ist als früher. Der Weg in einen      und Tanz bis hin zur Sozialarbeit im Stadtteil. Unge-
‚deutschen‘ Sportverein ist jetzt für viele Migrantinnen   achtet dieser Aktivitäten, wird das Argument, Migran-
und Migranten sicher leichter als vor 50 Jahren“, ist er   tensportvereine behinderten die Integration mehr, als
überzeugt.                                                 sie zu fördern, immer wieder ins Feld geführt.

Was ist eigentlich ein Migrantensportverein?               „Das wird auch in der Wissenschaft kontrovers disku-
                                                           tiert“, weiß Prof. Mutz. „Grundsätzlich findet Integra-
Doch was ist eigentlich ein typischer „Migrantensport-     tion natürlich auch in Migrantenvereinen statt: Auch
verein“? „Grundsätzlich würde ich einen Sportverein        dort finden Menschen Gleichgesinnte und Freunde, es
dann als Migrantensportverein bezeichnen, wenn die         gibt Unterstützung und Hilfeleistungen, das Gefühl
Mitglieder und die verantwortlichen Funktionsträger        wertgeschätzt und ‚aufgehoben‘ zu sein. Gleichwohl
überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund             gibt es einige Integrationsforscher, die zeigen können,
sind“, sagt Mutz. Schaue man allerdings genauer hin,       dass es für Migrantinnen und Migranten langfristig
zeige sich ein sehr breites und heterogenes Spektrum:      auch Vorteile bringt, wenn sie Kontakte zu Deutschen
„Neben ethnischen Vereinen (wie z. B. türkischen oder      haben.“ Dennoch haben Migrantensportvereine in sei-
jüdischen Vereinen) existieren Aussiedlersportvereine,     nen Augen durchaus eine Berechtigung: „Ich denke,
multikulturelle Sportvereine oder Integrationsvereine      Migrantensportvereine bereichern die Vereinsland-
für geflüchtete Menschen.“ Seiner Wahrnehmung nach         schaft und geben all denen eine sportliche Heimat, die
gibt es hinsichtlich der Mitgliederstrukturen immer we-    sich in ‚deutschen‘ Vereinen eben nicht zu Hause
niger komplett „homogene“ Vereine, wo also wirklich        fühlen.“
nur Personen aus einer bestimmten Herkunftsgruppe
anzutreffen sind. Und wo immer dies der Fall sei, han-     Migrantensportvereine im Wandel
dele es sich meist um Kleinstvereine, die es schwer
hätten, sich zu behaupten.                                 Darüber hinaus entwickeln und verändern sich „Mig-
                                                           rantensportvereine“ natürlich auch. Ein gutes Beispiel
Sind Migrantensportvereine unnötig?                        ist der FC Serkevtinspor 1992 e. V. in Frankfurt. Ur-
                                                           sprünglich als „kurdischer“ Sportverein von Freizeitki-
Kritiker der Migrantensportvereine betonen gerne,          ckern gegründet, spricht er inzwischen Sporttreibende
dass solche Vereine eigentlich unnötig seien und Mig-      aus allen Nationen an. „Unser Verein und die Teams
ranten sich problemlos in „deutsche“ Vereine integrie-     sind inzwischen ein Spiegelbild der Frankfurter Stadt-
ren könnten. Das dies offensichtlich nicht immer            gesellschaft. Hier spielen Menschen unterschiedlichs-
der Fall ist, zeigt die im Rahmen von „#black-                     ter Herkunft, aus allen Kulturen und Religio-
livesmatter“ entstandene Debatte über                                  nen“, sagt der Gründungsvorsitzende Haci
strukturellen Rassismus, der im Sport                                   Hacioglu. Er ist nicht nur im Verein enga-
ebenso festzustellen ist, wie in ande-
ren gesellschaftlichen Strukturen.
                                                 Gegen                    giert, sondern auch Fußballschiedsrich-
                                                                          ter, Vorstandsmitglied des Sportkreises
                                               Rassismus                  Frankfurt und Mitglied der Kommunalen
Insbesondere der soziale und gesellige
Aspekt des Vereinssports spielt neben
                                                im Sport                  Ausländervertretung. „Wir haben in
                                                                         Frankfurt über 50 Fußballvereine, davon
dem reinen Sportangebot eine wichtige                                   sind vielleicht 15 sogenannte Migranten-
Rolle, wenn es darum geht, einen Verein                               sportvereine und der Rest „deutsche“ Ver-
attraktiv zu machen und zwar unabhängig von                       eine. Auf dem Platz ist das aber kaum noch
der Herkunft der Mitglieder. Doch genau auf diesem         wahrnehmbar, da fast alle Teams inzwischen multikul-
Feld scheinen immer noch Defizite zu existieren. „Auf      turell sind und Spieler mit unterschiedlichsten Her-
der einen Seite scheinen manche Vereine den Migran-        künften miteinander spielen.“
tinnen und Migranten eher das Gefühl zu geben, nicht
so ganz willkommen zu sein oder auf deren kulturelle       Großes Integrationspotenzial der Vereine
Besonderheiten keine Rücksicht nehmen zu wollen“ ,
hat Mutz festgestellt. „Wenn zum Beispiel beim Ver-        Dabei entfaltet sich offensichtlich ein Potenzial, das
einsfest nur Schweinesteaks auf dem Grill liegen und       auch Prof. Mutz ausgemacht hat: „Der Sportverein bie-
Bier ausgeschenkt wird, werden Menschen mit musli-         tet mit seiner Geselligkeit und den regelmäßigen Tref-
mischem Glauben wohl keinen so schönen Abend ha-           fen eigentlich ideale Bedingungen, damit solche inter-    Weitere Informationen
ben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Mig-     kulturellen Kontakte entstehen können, sofern man         zur Arbeit von Prof. Mutz
rantinnen und Migranten, die sich bewusst für einen        sich dabei „auf gleicher Augenhöhe“ begegnet. Hierin      finden sich unter:
                                                                                                                     www.uni-giessen.de/
Migrantenverein entscheiden, um die Bindung an ihr         liegt ein besonderes Integrationspotenzial des Sport-
                                                                                                                     fbz/fb06/sport/arbe/
Herkunftsland ein Stück weit zu pflegen. Darin sehe ich    vereins: dass sich Menschen unterschiedlicher Her-        sozspo.
auch überhaupt nichts Negatives.“                          kunft begegnen und kennenlernen können und im bes-
                                                           ten Fall dabei merken, dass viele Stereotype, die man
Über den Sport hinaus                                      über die anderen im Kopf hatte, schlichtweg falsch
                                                           sind.“
Viele dieser Vereine erfüllen Funktionen, die über den                                             Markus Wimmer
reinen Sportbetrieb hinausgehen. Das reicht von Bil-
dungsangeboten wie Deutschkursen oder Hausaufga-

SIH 1 6 / 15.08.2020
12                                                                                                 TITELTHEMA: GEGEN RASSISMUS IM SPORT

            „Prävention beginnt damit,
               sich kennenzulernen“
                           Alon Meyer und Lasse Müller von MAKKABI Deutschland sprechen im Interview über
                                        Antisemitismus, offene Vereine und ihr neues Projekt

     W
               ie verbreitet ist Antisemitismus im hessi-
               schen Sport? Wie kann ihm entgegengewirkt
               werden? Und spielt es eigentlich eine Rolle,
               von wem antijüdische Übergriffe ausgehen?
     Darüber haben wir mit Alon Meyer, Präsident von MAK-
     KABI Deutschland sowie von Makkabi Frankfurt, und
     Lasse Müller, Mitarbeiter des neuen MAKKABI-Projekts
     „Kein Platz für Antisemitismus auf deutschen Sport-
     plätzen“ gesprochen.

     Herr Meyer, Herr Müller, 75 Jahre nach dem zweiten
     Weltkrieg liest man wieder vermehrt von antisemiti-
     schen Straftaten. Wie sieht es im Sport aus?

     Meyer: Auch hier haben die Übergriffe in den letzten
     Jahren zugenommen. Die Hemmschwelle ist gesunken,
     die Aggressivitätsbereitschaft gestiegen. Leider be-
     kommen wir die Flüchtlingswelle hier negativ zu spü-
     ren. Denn zumindest im Westen Deutschlands, wo Mak-        häufig von Alltagsrassismus betroffen sind. Gerade
     kabi größtenteils aktiv ist, spielen die Übergriffe von    deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, sich mit den       OBEN
     Neonazis eine sehr untergeordnete Rolle. Die absolute      Wechselwirkungen von erlebtem Rassismus und Antise-          Vorurteile abbauen,
     Mehrzahl der Provokationen im Sport, insbesondere im       mitismus im Sport auseinanderzusetzen und hier Stra-         Begegnungen
                                                                                                                             fördern: Das hat man
     Fußball, geht von Gegnern mit arabisch-muslimischem        tegien zu entwickeln. Klar ist aber auch: Egal welche
                                                                                                                             sich bei Makkabi
     Hintergrund aus. Das muss man leider so klar               Vorgeschichte jemand mitbringt – es gibt rote Linien,        Frankfurt ganz
     benennen.                                                  die nicht überschritten werden dürfen. Das gilt unab-        besonders auf die
                                                                hängig von Religion oder Herkunft. Besonders schlimm         Fahnen geschrieben.
     Macht es – in der Konsequenz – überhaupt einen Un-         von Anfeindungen betroffen sind übrigens muslimi-            Bild: Makkabi
     terschied, woher die Übergriffe kommen?                    sche Sportler, die für Makkabi antreten.                     Frankfurt

     Meyer: Auf jeden Fall. Wir müssen die Motivation der       Hat sich die Art der Übergriffe und Anfeindungen in
     Handelnden kennen, um dem Problem begegnen zu              den vergangenen Jahren verändert?
     können. Häufig sind solche Übergriffe antizionistisch
     geprägt: Als jüdischer Verein – dessen Mitglieder übri-    Meyer: Früher gingen sie vorwiegend von den Zuschau-
     gens nur zu rund einem Drittel jüdischen Glaubens sind     ern aus, die sich leicht in der Anonymität verstecken
     und von denen kaum eines in Israel wahlberechtigt ist      können und dadurch schwer zu sanktionieren sind.
     – werden wir häufig als Generalvertreter des Staates Is-   Heute erleben wir auch Übergriffe von Sportlern. Das
     rael und dessen Politik gesehen. Juden und Israelis        reicht von Beleidigungen als „Judensau“, Sprüchen wie
     werden also in einen Topf geworfen. Das ist eine Hass-     „Dich hat man wohl vergessen zu vergasen“ bis hin zu
     theorie, der man entgegentreten muss.                      körperlicher Gewalt. Sich den Konsequenzen eines
                                                                solchen Handelns bewusst zu sein, reicht als Hemm-
     Ist die Aussage, die Übergriffe gingen vorwiegend von      nis scheinbar nicht mehr aus. Das sieht man auch              Gegen
     arabisch-muslimischen Akteuren aus, nicht auch             an den Übergriffen auf die Polizei, die wir derzeit         Rassismus
     problematisch?                                             an anderer Stelle erleben. Früher wie heute gilt je-
                                                                doch: Solches Verhalten erlebt man eher in den un-           im Sport
     Meyer: Natürlich darf man nie pauschalisieren. Man         teren Ligen.
     sollte auch nicht mit Vorurteilen in ein Spiel gehen.
     Das ist aufgrund unserer Erfahrungen aber nicht immer      Wir sprechen gerade viel über Fußball. Ist der Antise-
     einfach.                                                   mitismus hier besonders stark ausgeprägt?

     Müller: Uns ist schon klar, dass die Spieler von Verei-    Müller: Aus der Erfahrung heraus muss man leider sa-
     nen mit überwiegend muslimischem Hintergrund selbst        gen, dass der Fußball anfälliger ist als etwa Tennis oder

                                                                                                                              SIH 1 6 / 1 5 . 0 8 . 2 0 2 0
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