In der Krise liegt die Chance - Oliver Meier - ETH Zürich
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Oliver Meier In der Krise liegt die Chance Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nicht- verbreitungsregime S 17 Oktober 2014 Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2014 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Der Atomkonflikt mit Iran und das nukleare Nichtverbreitungsregime 10 Iran und die Verifikation von Nichtkern- waffenstaaten 10 Das System der nuklearen Sicherungs- maßnahmen (»Safeguards«) 12 Die Anwendung neuer Verifikationsinstrumente 14 Verifikation möglicher militärischer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten 17 Die Begrenzung proliferationsrelevanter Aktivitäten 21 Liefergarantien als Mittel der Nichtverbreitung 24 Iran und der Umgang mit Vertragsverletzungen 24 Abgestufte Reaktionen 25 Ein politisches Verfahren? 26 Probleme der Harmonisierung 27 Kapazitätsdefizite und Verfahrenslücken 28 Ausblick 29 Vor der neunten NVV-Überprüfungskonferenz 29 Ansätze zur Stärkung des Nichtverbreitungs- regimes 32 Empfehlungen für die deutsche Politik 34 Abkürzungsverzeichnis 34 Literaturhinweise
Dr. Oliver Meier ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Problemstellung und Empfehlungen In der Krise liegt die Chance. Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Der Konflikt um das iranische Atomprogramm ist die größte Herausforderung für internationale Bemühun- gen, die Proliferation von Nuklearwaffen zu verhin- dern. Iran hat über Jahrzehnte Verpflichtungen nach seinen Sicherungsabkommen mit der Internationa- len Atomenergieorganisation (IAEO) verletzt, um die Fähigkeit zu erlangen, Nuklearwaffen herzustellen. Am 24. November 2014 endet die Frist für die laufen- den Verhandlungen zwischen Teheran und den E3+3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien + China, Russland, USA). Selbst wenn bis dahin eine Einigung über ein langfristiges Abkommen erreicht werden sollte, dürfte es Jahre dauern, bis das internationale Vertrauen in die friedlichen Absichten Irans herge- stellt ist und das Land anderen Nichtkernwaffen- staaten im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) gleichgestellt wird. Wie aber wirkt sich der Konflikt um das iranische Atomprogramm auf das nukleare Nichtverbreitungs- regime aus? Auf vier Problemfeldern gibt es große Überschnei- dungen zwischen den Anstrengungen, zu einer Eini- gung mit Iran zu kommen, und den allgemeinen Diskussionen über eine Stärkung nichtverbreitungs- politischer Normen, Regeln und Prozeduren. Erstens geht es dabei um Möglichkeiten, die Verifi- kation der Verpflichtungen von Nichtkernwaffen- staaten unter dem NVV zu stärken und zu reformie- ren. Zweitens wird in beiden Kontexten das Problem thematisiert, wie sich jene Fähigkeiten begrenzen lassen, die zur Produktion von waffenfähigen Spalt- stoffen nötig sind – nämlich Urananreicherung und Wiederaufbereitung von Plutonium. Im Fokus steht drittens die Frage von Liefergarantien für Nuklear- brennstoff, mit denen Regierungen überzeugt werden sollen, auf die Schließung des Brennstoffkreislaufs im eigenen Land zu verzichten. Viertens steht zur Dis- kussion, wie die internationale Staatengemeinschaft Regelverletzer besser dazu anleiten kann, die eigenen Verpflichtungen (wieder) einzuhalten. Der Atomstreit mit Teheran dürfte sich in diesen Problemfeldern unterschiedlich auf die im Nichtver- breitungsregime verankerten Normen, Regeln und Prozeduren auswirken. Die neunte Überprüfungs- SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 5
Problemstellung und Empfehlungen konferenz des NVV, die vom 27. April bis 22. Mai 2015 diese Lücken zu schließen. Überdies hat der Atomkon- stattfinden wird, bietet eine Gelegenheit, Lehren aus flikt gezeigt, dass es Probleme aufwirft, wenn Straf- dem Nuklearkonflikt zu ziehen und Ansätze zur maßnahmen über einen längeren Zeitraum schritt- Weiterentwicklung des Regimes zu diskutieren. weise aufgehoben werden sollen. Ein Konsultativ- Schon jetzt hat der Konflikt dazu beigetragen, die mechanismus, der etwa durch eine Kompetenzerwei- Kompetenzen der IAEO bei der Überwachung ziviler terung des Sanktionsausschusses beim UN-Sicherheits- Atomprogramme zu klären. Außerdem ist das Zusatz- rat geschaffen würde, könnte die Rückführung von protokoll, das in den 1990er Jahren als Reaktion auf Regelbrechern in das Nichtverbreitungsregime beglei- die Vertragsverletzungen des Irak entstand, als unver- ten und unterstützen. zichtbares Instrument zur Aufklärung nicht deklarier- Insgesamt werden die Bemühungen, Verfahren zur ter Aktivitäten bestätigt worden. Am Ziel, die Umset- Kontrolle und Begrenzung von Atomprogrammen zung eines Zusatzprotokolls zum neuen Verifikations- weiterzuentwickeln, größere Erfolgsaussichten haben, standard zu machen, sollte daher festgehalten werden. wenn sie im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes Im Lauf der Krise hat die IAEO auch ihre Fähigkei- stattfinden. Der NVV ist aus Sicht der Mehrheit seiner ten ausgebaut, mögliche militärische Forschungen Mitglieder ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, bei dem zur Entwicklung von Atomwaffen in Nichtkernwaffen- stärkere Kontrollen einhergehen müssen mit Fort- staaten aufzuklären. Die NVV-Vertragsstaaten sollten schritten bei der nuklearen Abrüstung. Innerhalb der diese Entwicklung würdigen und bestätigen, dass mili- E3+3 ist Deutschland der einzige Nichtatomwaffen- tärische Forschungen Gegenstand von IAEO-Unter- staat und stärkste Protagonist zugunsten atomarer suchungen sein können. Abrüstung. Zugleich wirbt Berlin für einen effektiven Es gibt zwar nur wenige Ansatzpunkte, um die Fort- Multilateralismus. Die Bundesrepublik trägt daher schritte, die in den Verhandlungen mit Teheran bei eine besondere Verantwortung dafür, dass die in den der Begrenzung sensitiver Atomaktivitäten erreicht Gesprächen mit Iran thematisierten Ansätze zur Stär- wurden, in eine internationale Norm zu überführen. kung der nuklearen Kontroll- und Überwachungs- Die NVV-Mitglieder sollten aber positiv zur Kenntnis kapazitäten auch die Interessen der Nichtkernwaffen- nehmen, dass Iran prinzipiell bereit ist, sein Atom- staaten an Abrüstung und Transparenz der Kernwaf- programm für die Laufzeit eines umfassenden Abkom- fenstaaten reflektieren. Im Einzelnen lassen sich fol- mens zu beschränken und beispielsweise auf die Wie- gende Empfehlungen für die deutsche Politik formu- deraufbereitung von Plutonium zu verzichten. lieren: Seit verschiedene Vorschläge zu Liefergarantien für Die Bundesregierung sollte dafür eintreten, dass Iran in den Gesprächen mit den E3+3 gescheitert sind, alle an den E3+3-Gesprächen beteiligten Staaten erlahmte auch die internationale Diskussion darüber, zusagen, den Vertrag über das umfassende Verbot inwiefern multilaterale Modelle zur Versorgung mit von Nuklearversuchen (CTBT) zu ratifizieren. Nuklearbrennstoff als Mittel der Nichtverbreitung Deutschland sollte darauf drängen, dass eine Auf- taugen. Die NVV-Mitgliedstaaten sollten daher hervor- klärung der möglichen militärischen Dimension heben, dass bescheidene Ansätze wie der Aufbau einer von Irans Atomprogramm so umfassend und trans- Lieferreserve für niedrig angereichertes Uran unter parent erfolgt, dass auch die Nichtkernwaffen- IAEO-Kontrolle durchaus dazu beitragen können, staaten im NVV diese Aktivitäten unabhängig ein- Staaten wie Iran von einer Begrenzung nuklearer schätzen können. Anreicherungskapazitäten zu überzeugen. Berlin sollte darauf achten, dass Iran bei einer mög- Die institutionellen Verfahren zum Umgang mit lichen Lösung des Atomkonflikts keine Sonderrech- dem Regelbrecher Iran im Gouverneursrat der IAEO te zuerkannt werden, etwa in Bezug auf die Liefe- und im UN-Sicherheitsrat waren hinreichend flexibel, rung ziviler Nukleartechnologie. Eine solche Privile- um diplomatische Ansätze zur Konfliktlösung zu gierung könnte dazu führen, dass multilaterale unterstützen. Zugleich hat der Atomstreit mit Teheran Regeln und Standards aufgeweicht werden. aber auch institutionelle Defizite des NVV deutlich gemacht. Der Vertrag beschreibt kein Verfahren, wie mit Regelverstößen umzugehen sei. Es fehlt ein Sekre- tariat, das eine kontinuierliche Diskussion zwischen den NVV-Mitgliedern über solche Themen ermöglichen würde. Die Überprüfungskonferenz sollte versuchen, SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 6
Der Atomkonflikt mit Iran und das nukleare Nichtverbreitungsregime Der Atomkonflikt mit Iran und das nukleare Nichtverbreitungsregime Die Regelung des Konflikts um das iranische Atom- breitungspolitischen Regeln und Normen internatio- programm wird erhebliche Auswirkungen auf das nal Gehör, vor allem in den Reihen der Bewegung der nukleare Nichtverbreitungsregime (NV-Regime) haben. neutralen und nicht paktgebundenen Staaten (Non- Deutschland, Frankreich und Großbritannien versuch- Aligned Movement, NAM), der größten Staatengruppe ten seit 2003, mit Iran einen Kompromiss in der Frage innerhalb des NVV. zu finden, wie nukleare Aktivitäten in dem Land effek- Die Suche nach Antworten auf spezifische nicht- tiver kontrolliert und begrenzt werden können, um verbreitungspolitische Krisen hat in der Vergangen- die Gefahr eines militärischen Missbrauchs zu mini- heit oft Diskussionen über immanente Probleme mieren. Dabei wird Iran sein Atomprogramm über der nuklearen Ordnung ausgelöst. Entsprechende das rechtlich vorgeschriebene Maß hinaus temporär »Schocks«, etwa nach Aufdeckung geheimer Program- öffnen und einschränken müssen, um Vertrauen in me zum Bau von Massenvernichtungswaffen, trugen dessen friedlichen Charakter herzustellen. dazu bei, dass Regeln und Prozeduren modifiziert Probleme bei der Kontrolle ziviler Atomprogramme wurden. 2 Alyson Bailes beschreibt diesen Prozess als sind weder neu noch iran-spezifisch. Seit Beginn des rüstungskontrollpolitische Evolution, bei der ein Wan- Nuklearzeitalters diskutiert die internationale Ge- del der Umstände zu einer abrupten Fort- (oder Rück-) meinschaft darüber, wie sich zivile Atomaktivitäten Entwicklung führen kann. 3 verifizieren und begrenzen lassen. Mit Gründung der Weniger klar ist, wie solche Krisen auf das NV- IAEO 1957 und der Einigung auf den NVV 1968 kam Regime wirken. Im Fall des Atomkonflikts mit Iran die Frage hinzu, wie im Rahmen des nuklearen Nicht- gibt es ein ganzes Spektrum von Interpretationen, verbreitungsregimes Regelbrecher dazu angeleitet an dessen Enden sich zwei Perspektiven gegenüber- werden können, vereinbarte Regeln, Normen und stehen. Aus der ersten Sichtweise heraus betrachten Prozeduren (wieder) zu beachten (»compliance«). einige Beobachter den Umgang mit dem Atompro- Allerdings hat der Konflikt um das iranische Atom- gramm als Präzedenzfall. Sie argumentieren entwe- programm eine andere Qualität als bisherige NV-Krisen. der, dass Lösungsansätze, die in diesem Konflikt ent- Iran ist kein unbedeutender nuklearer Aspirant – wie wickelt werden, direkt im internationalen Rahmen, dies in der Vergangenheit etwa Libyen war –, sondern etwa im NVV, übernommen werden sollten, 4 oder eine einflussreiche Regionalmacht. Teherans erklärter Anspruch ist, zu den führenden Nuklearnationen zu gehören und über alle modernen Atomtechnologien Press, 2013 (Studies in Security and International Affairs), zu verfügen. Dabei hat sich Iran – anders als Nord- S. 337–365 (350). 2 William Walker, A Perpetual Menace: Nuclear Weapons and korea – internationalen Kontrollen nicht durch Aus- International Order, London/New York 2012, S. 15. tritt aus dem NVV entzogen. Das Land hat jedoch 3 Bailes benutzt dabei das Bild des »punktuierten Gleichge- mehrfach die Autorität zentraler Institutionen bis hin wichts« aus der Evolutionsbiologie, nach dem stabile Systeme zum UN-Sicherheitsrat offen in Frage gestellt und ist als Reaktion auf eine plötzliche Änderung ein neues Gleich- bis heute nicht bereit, deren Beschlüsse umzusetzen. gewicht anstreben. Alyson J.K. Bailes, »The Evolution of Arms Teheran fordert die nukleare Ordnung – und deren Control: A Longer-term Perspective«, in: The Future of Arms Control, Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, 2014, S. 14–23 (14). Für zentrale Stütze, den NVV – also gleichsam von innen eine allgemeinere Diskussion siehe Harald Müller/Marco heraus. 1 Dabei findet die iranische Kritik an nichtver- Fey/Carsten Rauch, »Winds of Change. Exogenous Events and Trends as Norm Triggers (or Norm Killers)«, in: Müller/Wun- 1 Harald Müller hebt hervor, dass gerade solche »intrinsi- derlich (Hg.), Norm Dynamics in Multilateral Arms Control [wie schen Ereignisse« Regimeteilnehmer veranlassen können, Fn. 1], S. 141–160. »neue Pfade« zu beschreiten, und ihnen daher eine beson- 4 Victor Gilinsky/Henry Sokolski, »The Iran Interim Agree- dere Bedeutung für die Normentwicklung zukommt. Harald ment: An International Precedent for Nuclear Rules«, in: Müller, »Conclusion. Agency Is Central«, in: ders./Carmen The Bulletin of the Atomic Scientists, 6.12.2013, (eingesehen am 5.1.2014). SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 7
Der Atomkonflikt mit Iran und das nukleare Nichtverbreitungsregime befürchten, dass Kompromisse mit Teheran zu einer mechanismen zu stärken, die Debatte voranzubrin- Verwässerung allgemeiner Kontrollnormen führen. 5 gen, wie sich proliferationssensitive Brennstoffkreis- Aus der zweiten Perspektive heraus argumentieren lauf-Aktivitäten begrenzen lassen, und den Umgang andere, dass Ansätze zur Beilegung des Nuklearkon- mit Regelbrechern zu verbessern. Grundsätzlich kön- flikts singulär nur auf den »Sonderfall« Iran anzuwen- nen die Versuche, den Atomstreit mit Teheran zu den wären. 6 Insbesondere solle vermieden werden, lösen, das NV-Regime auf verschiedene Weise beein- so die These, dass durch eine Einigung mit Teheran flussen. Dies kann dadurch geschehen, dass neue NV-Standards gesetzt werden, die dann allge- sich politische Interessen beteiligter Akteure durch meingültige Reichweite hätten. 7 den Konflikt ändern, Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Der Umgang Iran Privilegien zuerkannt werden, die eine Eini- mit dem iranischen Atomprogramm hat die Weiter- gung auf allgemeine Regeln erschweren, entwicklung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes eine iran-spezifische Regelung zum Präzedenzfall bereits beeinflusst und wird dies weiter tun, ohne für eine neue Norm wird, dass allerdings die mit Teheran diskutierten Lösungs- eine iran-spezifische Regelung Fortschritte auf ansätze direkt im internationalen Rahmen übernom- einem nebengeordneten Problemfeld erleichtert men werden dürften. Dafür sind die Historie des Kon- oder erschwert, flikts und die Interessenlagen der beteiligten Haupt- der Verzicht auf bestimmte Technologien deren akteure zu speziell. Kontrolle erleichtert. Iran-spezifische Lösungsansätze wurden in den Es wird wesentlich vom Ausgang der Iran-Gespräche Verhandlungen der E3 (ab 2006 E3+3) mit Teheran und der Umsetzung eines möglichen langfristigen diskutiert. Die IAEO-Mitglieder (insbesondere die im Abkommens abhängen, ob und wie sich Gelegenhei- Gouverneursrat vertretenen Staaten) 8 und die NVV- ten zur Stärkung des Nichtverbreitungsregimes nut- Mitglieder thematisierten in diesem Zusammenhang zen lassen. Eine Analyse der Schnittmenge zwischen sowohl allgemein bessere Möglichkeiten zur Kontrolle Atomkonflikt und NV-Regime ist aber schon deshalb und Begrenzung besonders missbrauchsrelevanter lohnend, weil dabei Handlungsfelder identifiziert Atomaktivitäten als auch spezielle Ansätze, wie im werden können, auf denen NV-politische Initiativen Fall Iran Vertrauen in die friedlichen Absichten hinter besonders aussichtsreich sind. Selbst wenn keine dem Nuklearprogramm hergestellt werden kann. Einigung mit Iran gelingt, bleibt es wichtig, die all- Möglichkeiten zur Stärkung des NV-Regimes könn- gemeinen Probleme zu lösen, die im Laufe des Atom- ten sich gerade aus dem Zusammenspiel zwischen streits offenbar geworden sind. iran-spezifischen und generellen Diskussionen erge- Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kern- ben. In der Krise liegt die Chance, Verifikations- waffen bildet die Grundlage solcher Bemühungen; die dort verankerten Normen und Regeln sind der Bezugs- 5 Yuval Steinitz, »Iran Deal Could Encourage, Rather than punkt für die Diskussion um das iranische Atom- Limit, Nuclear Activity«, in: The Washington Post, 1.3.2014, programm. Mit 190 Vertragsstaaten 9 hat der NVV fast (ein- staaten wie Iran zu überwachen. Zentraler Ort für die gesehen am 6.3.2014). 6 Daniel Joyner, »Is the Iran Agreement a Precedent for Debatte um Teherans Atomprogramm wiederum ist Nuclear Export Controls Generally?«, in: Arms Control Law, der UN-Sicherheitsrat, weil dieser als letzte Instanz zur 6.12.2013, nahmen gegen Regelverletzer verhängen kann. (eingesehen am 1.8.2014). Die Ausfuhrkontrollregime, in denen wichtige Lie- 7 Dies ist zum Beispiel die Position Russlands. Am 12. Juli 2014 sagte der stellvertretende russische Außenminister ferstaaten ihre Exportpolitiken für Atomtechnologie Sergei Ryabkov, nach Moskaus Vorstellungen solle niemand harmonisieren – wie die Gruppe der nuklearen Liefer- ein Abkommen mit Iran so interpretieren, dass dies neue länder (Nuclear Suppliers Group) und das Zangger- Maßstäbe für nukleare Aktivitäten setze. »P5+1 Not Intend to Extend Talks with Iran – Russia’s Deputy Foreign Minister«, 9 Nordkorea ist hier mitgezählt. Das Land hat zwar am ITAR-TASS, 12.7.2014, 10. Januar 2003 seinen Austritt aus dem NVV erklärt, doch (eingesehen am 24.9.2014). einige Vertragsstaaten zweifeln die Rechtmäßigkeit dieses 8 Deutschland ist seit 1972 ohne Unterbrechung im IAEO- Schritts an. Eine aktuelle Liste der NVV-Vertragsstaaten findet Gouverneursrat vertreten. sich unter . SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 8
Der Atomkonflikt mit Iran und das nukleare Nichtverbreitungsregime Komitee –, stehen hier nicht im Zentrum der Unter- suchung. Zwar gibt es vor dem Hintergrund des Atom- streits mit Teheran Reformanstrengungen innerhalb dieser Gruppen, doch Iran selbst ist dort kein Mitglied. Eine zentrale Rolle wird das iranische Atompro- gramm auf der neunten Überprüfungskonferenz des NVV spielen, die vom 27. April bis 22. Mai 2015 in New York stattfindet. Schlimmstenfalls kann der Konflikt – wie 2005 – zu einem Scheitern der Konferenz beitra- gen. Im besten Fall aber können die Vertragsstaaten Fortschritte bei der Lösung des Nuklearkonflikts nut- zen, um das Regime insgesamt zu stärken. Eine solche Entwicklung läge im deutschen Inter- esse. Die Bundesrepublik hat sich stets konsequent dafür eingesetzt – vor allem im Rahmen der EU, aber auch darüber hinaus –, das internationale Regelwerk zur Kontrolle von Atomwaffen auszubauen. Dabei betont Berlin regelmäßig, dass der Konflikt mit Iran nur im Rahmen und auf Grundlage bestehender inter- nationaler Regeln gelöst werden kann. Deutschland nimmt zudem als einziger Nichtatomwaffenstaat der E3+3 direkt an den Verhandlungen mit Teheran teil. Auch aus dieser Sonderstellung erwachsen besondere Möglichkeiten und eine größere Verantwortung, den Atomstreit für eine Stärkung NV-politischer Normen, Regeln und Prozeduren zu nutzen. Inhaltliche Überschneidungen zwischen den Ver- handlungen im Atomkonflikt und den Bemühungen um eine Stärkung des NV-Regimes existieren vor allem auf vier Problemfeldern. Erstens geht es in beiden Kon- texten um die Verifikation von zivilen Atomprogram- men und die Aufklärung etwaiger verbotener Aktivi- täten zur Entwicklung von Atomwaffen in Nichtkern- waffenstaaten. Zweitens steht hier wie dort eine Be- grenzung des Umfangs ziviler Atomaktivitäten im Fokus. Drittens ist die Frage relevant, wie sich den Nichtkernwaffenstaaten durch Liefergarantien für Nuklearbrennstoff Anreize dafür bieten lassen, auf die eigene Entwicklung von Anreicherungs- und Wieder- aufbereitungskapazitäten zu verzichten. Viertens wirft der Konflikt mit Iran die Problematik auf, wie mit Regelbrechern umzugehen ist. Auf diesen vier Feldern dürfte die Regelung des Atomstreits besonders große Auswirkungen auf Nichtverbreitungsbemühungen haben. SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 9
Iran und die Verifikation von Nichtkernwaffenstaaten Iran und die Verifikation von Nichtkernwaffenstaaten Der Konflikt um das iranische Atomprogramm offen- Dieses verpflichtet Teheran, der Wiener Behörde Spalt- barte schnell die Grenzen des Systems der nuklearen material und Atomanlagen zu melden, und beschreibt Sicherungsmaßnahmen (»Safeguards«) der IAEO. Im Verfahren zur Überprüfung der entsprechenden Mit- August 2002 enthüllte eine iranische Oppositions- teilungen. Nach dem klassischen Safeguards-Ansatz gruppe auf einer Pressekonferenz in Washington die fokussierte die IAEO ihre Aktivitäten darauf zu kon- Existenz einer im Bau befindlichen Anreicherungsan- trollieren, ob der überwachte Staat kein deklariertes lage in Natanz und einer Schwerwasser-Produktions- Nuklearmaterial für verbotene Zwecke – also den Bau anlage in Arak. Davor hatte die IAEO keine eigenen von Atomwaffen – abzweigt. Ein solcher Ansatz der Kenntnisse über diese Einrichtungen besessen. In der Spaltstoffflusskontrolle ist erfolgversprechend, weil Folge richtete die Behörde ihr Augenmerk verstärkt alle bekannten Atomwaffen auf der Verwendung von auf die Überwachung des iranischen Atomprogramms. hoch angereichertem Uran oder Plutonium beruhen. Zudem wurden immer mehr Hinweise bekannt, dass Wenn die IAEO die friedliche Nutzung der relevanten Teheran auch militärische Forschungen unternom- Spaltstoffe kontrolliert, sollte es einem Nichtkern- men hatte, um Nuklearwaffen und Trägermittel dafür waffenstaat unmöglich sein, Atomwaffen herzustel- zu entwickeln. len. 11 Iran argumentierte zu Beginn des Atomkonflikts, dass die IAEO unter dem CSA kein Recht habe, Infor- Das System der nuklearen Sicherungs- mationen über Aktivitäten zu verlangen, die nicht in maßnahmen (»Safeguards«) einem direkten Zusammenhang mit Spaltstoffen ste- hen. So seien etwa die Entwicklung von Gas-Ultrazen- Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt der Diskussion um trifugen und die Forschung daran nur dann melde- die Verifikation der als zivil deklarierten Atomanlagen pflichtig, wenn dabei Uran verwendet werde. Teheran Irans: Welche Möglichkeiten bietet das vorhandene nahm die Position ein, dass die IAEO ihre Kompetenzen Safeguards-Regime? Und wie können bestehende Ver- überschreite, wenn sie nach nicht meldepflichtigen fahren und Instrumente weiterentwickelt werden, um Anlagen und Materialien suche. 12 den friedlichen Charakter des Nuklearprogramms zu Seit November 2004 stellte die IAEO in ihren Berich- verifizieren? Beide Probleme haben auch über den Fall ten fest, sie habe keine Hinweise gefunden, dass dekla- Iran hinaus Bedeutung. Der Konflikt mit Teheran hat zur Klärung beigetra- kein oder nur sehr wenig Nuklearmaterial verfügen, statt gen, welche Verifikationsrechte die IAEO gemäß beste- eines CSA ein Protokoll betreffend geringe Mengen (Small Quantities Protocol, SQP) abschließen. henden juristischen Instrumenten hat. Erstens ging es 11 Walter Sandtner, »Die Entwicklung des IAEO-Safeguards- um die Frage, ob ein umfassendes Sicherungsabkom- systems«, in: Dirk Schriefer/Walter Sandtner/Wolfgang men (Comprehensive Safeguards Agreement – CSA) Rudischhauser (Hg.), 50 Jahre Internationale Atomenergie-Organi- auch die Suche nach Anlagen, Einrichtungen und sation IAEO. Ein Wirken für Frieden und Sicherheit im nuklearen Zeit- Materialien erlaubt, die der kontrollierte Staat nicht alter, Baden-Baden 2007, S. 58–75 (63). gemeldet hat. Wie alle anderen Nichtatomwaffen- 12 IAEA, »Communication of 5 March 2004 from the Perma- nent Mission of the Islamic Republic of Iran concerning the staaten, die dem NVV angehören, ist Iran verpflichtet, Report of the Director General contained in GOV/2004/11«, ein solches Abkommen mit der IAEO abzuschließen. 10 INFCIRC/628, Wien 2004, (eingesehen am 10 Iran hat 1974 sein Sicherungsabkommen mit der IAEO 18.7.2014), Paragraph 11.d. Für eine Ausführung dieses abgeschlossen. International Atomic Energy Agency (IAEA), Arguments siehe Daniel Joyner, »The IAEA Applies Incorrect »Text of the Agreement Between Iran and the Agency for the Standards, Exceeding its Legal Mandate and Acting Ultra Application of Safeguards in Connection with the Treaty on Vires Regarding Iran«, in: Arms Control Law, 13.9.2012, (eingesehen am 24.9.2014). SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 10
Das System der nuklearen Sicherungsmaßnahmen (»Safeguards«) riertes Nuklearmaterial in Iran abgezweigt worden Spaltmaterial zu erfolgen. In den frühen 1990er Jah- sei. 13 Teheran behauptete daraufhin, dass eine weitere ren wurde der Text der ergänzenden Vereinbarung Sonderbehandlung des Landes – und insbesondere modifiziert; seither muss früher über neue Anlagen eine Überweisung des Falles an den UN-Sicherheitsrat informiert werden, nämlich sobald die Planung für – unrechtmäßig sei, weil die eigenen Meldungen an den Bau beginnt. Dies ist festgelegt in Abschnitt (oder die IAEO korrekt gewesen seien. 14 »Code«) 3.1 des geänderten Textes. Doch Irans Rechtsposition setzte sich nicht durch; Im September 2009 gaben Frankeich, Großbritan- innerhalb der Staatengemeinschaft erhielt das Land nien und die USA bekannt, dass Iran eine zweite, bis keine signifikante Unterstützung für die enge Inter- dahin unbekannte Anreicherungsanlage nahe der pretation seiner Verpflichtungen. Die IAEO argumen- Stadt Ghom errichte. 17 Die Führung in Teheran hatte tierte erfolgreich, dass ein umfassendes Sicherungs- diese Anlage, die später in den Berichten der IAEO als abkommen durchaus die rechtliche Grundlage biete, Fordow Enrichment Plant gekennzeichnet wurde, um auch die Vollständigkeit der Deklarationen von zwar kurz vor der Enthüllung selbst der Behörde ge- Nichtatomwaffenstaaten zu überprüfen. 15 meldet – doch offensichtlich nur deshalb, weil sie Wann muss ein Nichtatomwaffenstaat eine im Bau erfahren hatte, dass der Bau nicht mehr geheim war. befindliche Nuklearanlage melden? Dies war ein zwei- Die drei westlichen Regierungen beschuldigten Tehe- ter Streitpunkt bei der Interpretation bestehender ran daraufhin des Bruchs internationaler Verpflich- rechtlicher Pflichten. Eine möglichst frühzeitige Be- tungen, insbesondere auch mit dem Argument, die kanntgabe ist wichtig, um Vertrauen herzustellen, Anlage sei nicht rechtzeitig gemeldet worden. 18 dass die neue Anlage nicht verbotenen Zwecken die- Die iranische Regierung wies dies zurück. Zwar nen soll. Aus technischer Sicht erleichtert eine baldige habe man im Februar 2003 eingewilligt, die modifi- Meldung die Verifikation, denn die IAEO kann dann zierte Version der ergänzenden Vereinbarung um- schon in der Planungsphase technische Möglichkeiten zusetzen. Allerdings habe man der IAEO bereits im zur späteren Überprüfung vorschlagen. Besonders März 2007 mitgeteilt, dass man die neue Fassung wichtig ist dies für große Anreicherungs- und Wieder- nicht mehr anwende. Erst danach habe man mit dem aufbereitungsanlagen, die inhärente Probleme der Bau der Anreicherungsanlage in Ghom begonnen. Im Verifikation mit sich bringen. 16 Übrigen sei die modifizierte Vereinbarung nie rechts- Der Zeitpunkt, zu dem eine neue Anlage gemeldet wirksam geworden, weil das iranische Parlament das werden muss, ist in der »ergänzenden Vereinbarung« Dokument nicht ratifiziert habe. Da man nicht plane, (subsidiary agreement) zu einem CSA festgelegt. Nach innerhalb von 180 Tagen nach der Meldung Spalt- der ursprünglichen Fassung dieses Zusatzabkommens, material in Fordow zu verwenden, sei aus rechtlicher die aus dem Jahr 1976 stammt, hatte die Mitteilung Sicht alles in Ordnung, so die iranische Regierung. spätestens 180 Tage vor der ersten Verarbeitung von Die IAEO widersprach dieser Sichtweise. Sie machte geltend, dass Staaten nicht einseitig ihre Safeguards- 13 IAEA Board of Governors, »Implementation of the NPT Abkommen aussetzen könnten. 19 Auch sei es nicht Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran«, GOV/2005/67, Wien 2005, Paragraph 51, (ein- in: Arms Control Today, 10 (2009), (eingesehen am 8.5.2012). Tatsächlich hatten 14 IAEA, »Statement to the IAEA General Conference 2005 die Geheimdienste der drei Staaten seit 2006 Kenntnisse von by H.E. Reza Aghazadeh, Vice-President of the Islamic Repub- der Anlage; seit Anfang 2009 vermuteten sie, dass es sich um lic of Iran«, Wien, September 2005, (eingesehen am 18.7.2014). 18 Zudem wiesen sie darauf hin, dass die für 3000 Zentrifu- 15 Diese Position ist durch den NVV gedeckt. Siehe »Final gen ausgelegte Anlage relativ klein sei und daher kommer- Document of the 2010 Review Conference of the Parties to ziell wenig Sinn mache. Der Umstand, dass die Einrichtung the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons«, tief in einem Berg liegt und militärisch schwer angreifbar NPT/CONF.2010/50 (Vol. I), New York 2010, Paragraph 13, ist, galt als weiteres Indiz dafür, dass sie zur Produktion von (eingesehen 19 IAEA, »Implementation of the NPT safeguards agreement am 24.9.2014). in the Islamic Republic of Iran«, GOV/2003/40, Wien 2003, 16 Henry Sokolski, »After Iran: Back to the Basics on . Siehe auch James M. Acton, »Iran Violated Interna- (eingesehen tional Obligations on Qom Facility«, Washington, D.C.: am 24.9.2014). Carnegie Endowment for International Peace, 25.9.2009, SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 11
Iran und die Verifikation von Nichtkernwaffenstaaten notwendig, solche technischen Abkommen zu ratifi- den war dieses Instrument in Reaktion auf die Ver- zieren, damit sie rechtskräftig werden. Diese Argu- tragsverletzungen des Irak. Anfang der 1990er Jahre mentation hat sich im Verlauf des Konflikts durchge- wirkte es als Schock, als offenbar wurde, dass der Irak setzt. Unter anderem bestätigte der UN-Sicherheitsrat, seine Sicherungsabkommen unterlaufen und versucht dass Safeguards-Abkommen sowie ergänzende Verein- hatte, in nicht deklarierten Anlagen Spaltmaterial für barungen rechtsverbindlich sind, auch wenn sie nicht Kernsprengköpfe herzustellen. Die IAEO-Mitglieder vom jeweiligen nationalen Parlament ratifiziert wur- initiierten daraufhin einen Prozess, um der Behörde den. 20 So bleibt Iran der einzige Staat mit einem um- neue Instrumente an die Hand zu geben. Ziel war, fassenden Sicherungsabkommen, der seine Pflichten künftig besser herausfinden zu können, ob sich in unter dem modifizierten Code 3.1 nicht erfüllt. einem Nichtatomwaffenstaat geheime Nuklearanla- Hätte der iranische Standpunkt sich durchgesetzt, gen oder -materialien befinden. wären weitreichende Folgen für die Rechtsverbind- 1997 verabschiedete der IAEO-Gouverneursrat das lichkeit der ergänzenden Vereinbarungen – und damit Muster-Zusatzprotokoll, dessen Umsetzung allerdings letztlich aller Safeguards-Abkommen – unvermeidlich freiwillig blieb. Staaten, die ein solches Protokoll gewesen. 21 Dann hätten auch andere Länder unter unterzeichnen, verpflichten sich, der IAEO mehr Infor- Hinweis auf das iranische Beispiel die Implementie- mationen über ihre Atomprogramme zur Verfügung rung ihrer Sicherungsabkommen aussetzen können. 22 zu stellen. Sie müssen Inspektoren den Zugang zu Dank der Reaktion der Staatenwelt auf Teherans Regel- nicht gemeldeten Anlagen und Einrichtungen ermög- verstöße wurde eine solche Aufweichung internatio- lichen, die sich auf gemeldeten nuklearen Liegen- naler Regeln verhindert. schaften befinden. Ebenso erweitert das Zusatzproto- koll die Rechte der IAEO, verbesserte Verifikations- techniken anzuwenden, wie die Entnahme von Luft- Die Anwendung neuer Verifikations- und Bodenproben. Auf Grundlage dieser Daten und instrumente weiterer Informationen (etwa aus offenen Quellen) generiert die IAEO Länderprofile, die eine umfassende Der Verlauf des Atomkonflikts hat ferner bestätigt, Einschätzung erlauben sollen, ob die Meldungen der wie wichtig das Zusatzprotokoll als integraler Bestand- betreffenden Regierung plausibel sind. teil des IAEO-Verifikationssystems ist. Entwickelt wor- Alle Verhandlungspartner Irans, der IAEO-Gouver- neursrat und der UN-Sicherheitsrat haben Teheran (eingesehen am umzusetzen – ohne dass dies bisher geschehen wäre. 24.9.2014). Die IAEO betonte immer wieder, nur auf Basis eines 20 Vereinte Nationen, Sicherheitsrat, Resolution 1929 (2010), verabschiedet auf der 6335. Sitzung des Sicherheitsrats am Zusatzprotokolls ließen sich Feststellungen treffen, 9. Juni 2010, S/RES/1929 (2010), Paragraph 5, (eingesehen am 7.7.2014). Irans Führung schien die Forderung zu erfüllen, als 21 Christopher A. Ford, »Iran, Nonproliferation and the IAEA: sie im Teheraner Abkommen vom 21. Oktober 2003 A Legal History«, Washington, D.C.: Hudson Institute, Novem- gegenüber den E3 zusagte, ein Zusatzprotokoll zu ber 2012, S. 6, (einge- unterzeichnen, und dies am 13. Dezember 2003 auch sehen am 2.7.2014). tat. 23 Das iranische Parlament leitete danach, wie ver- 22 Dies ist keine abstrakte Gefahr. So stand die Rechtsver- sprochen, das Ratifizierungsverfahren ein, schloss es bindlichkeit von Safeguards-Abkommen zur Diskussion, als aber nicht ab. Im Februar 2006 schließlich beendete 2009 ein solches Abkommen für indische Atomreaktoren Iran im Zusammenhang mit dem Beschluss des IAEO- ausgehandelt wurde. Indien bestand darauf, Sicherungsmaß- nahmen aussetzen zu können, sollte die Versorgung mit Gouverneursrates, den UN-Sicherheitsrat mit dem Nuklearbrennstoff unterbrochen werden. Die IAEO wies die- Atomstreit zu befassen, die freiwillige Umsetzung des se Forderung zurück und beharrte darauf, dass Safeguards- Zusatzprotokolls. Abkommen dauerhaft anzuwenden seien und nicht einseitig suspendiert werden könnten. Vgl. Oliver Meier, »India, the Nuclear Suppliers Group and the Legitimacy of the Nuclear 23 IAEA News and Information Section, »Iran Signs Addi- Non-proliferation Regime«, in: ders. (Hg.), Technology Transfers tional Protocol on Nuclear Safeguards«, Wien, 18.12.2003, and Non-proliferation of Weapons of Mass Destruction. Between Con- trol and Cooperation, London 2014, S. 116–133 (126). (eingesehen am 24.9.2014). SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 12
Die Anwendung neuer Verifikationsinstrumente Erst mit dem Gemeinsamen Aktionsplan (Joint lediglich mit den vorhandenen Instrumenten über- Plan of Action – JPOA), 24 den die E3+3 mit Iran am prüft; vielmehr kam man den Forderungen nach mehr 24. November 2013 in Genf vereinbarten, akzeptierte Offenheit ein Stück weit entgegen. Die entscheidende Teheran verstärkte Maßnahmen zur Überwachung Frage war nun nicht mehr, ob Iran im Rahmen einer (»enhanced monitoring«) seines Atomprogramms. Das langfristigen Lösung des Atomkonflikts zusätzliche JPOA enthält auch Elemente aus Irans Zusatzproto- Inspektionen akzeptiert, sondern nur noch, in wel- koll, etwa zur Meldung von Anlagen und Einrichtun- chem Umfang und für wie lange solche Maßnahmen gen. Zusätzlich zu den bereits vorher kontrollierten durchgeführt werden. 16 Einrichtungen und neun Orten außerhalb von Aus Verifikationssicht ist diese Verbindung zwi- Einrichtungen erhielt die IAEO Zugang zu fünf wei- schen der Verifikationsintensität und der Frage des teren Einrichtungen, als am 20. Januar 2014 die Um- Vertrauens in die friedlichen Absichten eines Staates setzung des JPOA auf Basis einer Implementierungs- wichtig, denn sie bildet den Kern einer Reform der Übereinkunft begann. 25 In dem Aktionsplan erkannte IAEO-Safeguards. Im Rahmen des staatenspezifischen Teheran zudem an, dass das Zusatzprotokoll Teil eines Verifikationsansatzes versucht die IAEO seit Anfang Gesamtpakets zur Lösung des Atomstreits sein müsse. des Jahrhunderts, ihre Verifikationsaktivitäten ziel- Im Laufe des Konflikts ist deutlich geworden, dass genauer auszurichten. So sollen kosten- und personal- das Zusatzprotokoll unter Umständen nicht ausreicht, intensive Routinemaßnahmen in jenen Staaten redu- um Vertrauen in die friedlichen Absichten eines Regel- ziert werden, bei denen es keine Hinweise auf Regel- verletzers herzustellen. Der damalige IAEO-General- verletzungen gibt und die technischen Voraussetzun- direktor Mohammed ElBaradei hatte Iran bereits im gen für einen militärischen Missbrauch ziviler Atom- September 2005 als besonderen Verifikationsfall (»spe- anlagen nicht gegeben sind. 26 cial verification case«) bezeichnet. Er argumentierte, Fehlen Hinweise auf nicht deklarierte Aktivitäten dass zwei Jahrzehnte iranischer Täuschungstaktik es und bestätigt die IAEO, dass die Meldungen des betref- zwingend erforderlich machten, über die im CSA und fenden Staates korrekt sind, kann die Behörde für Län- im Zusatzprotokoll festgelegten Verifikationsmöglich- der, die ein umfassendes Sicherungsabkommen und keiten hinauszugehen, um entstandene Vertrauens- ein Zusatzprotokoll umsetzen, sogenannte »broader defizite auszugleichen. Der IAEO-Gouverneursrat und conclusions« ziehen und dort routinemäßige Verifika- später auch der UN-Sicherheitsrat schlossen sich die- tionsmaßnahmen reduzieren. Bis Ende 2011 hat die ser Forderung an. IAEO solche »broader conclusions« für 63 Länder ge- Iran bestand lange darauf, die im CSA festgeschrie- zogen, bei 51 weiteren wurde dies erwogen. 27 benen Verifikationspflichten buchstabengetreu aus- Die Verbindung zwischen dem staatenspezifischen zulegen. Erst Hassan Rohani machte nach seiner Wahl Verifikationsansatz der IAEO und einer möglichen zum Präsidenten im Juni 2013 den Weg für einen Posi- Lösung des Atomkonflikts könnte noch gestärkt wer- tionswandel frei. Bereits während des Wahlkampfs den, indem man die Feststellung der »broader conclu- war er dafür eingetreten, dass Iran zusätzliche Trans- sions« zur Voraussetzung dafür macht, dass Sanktio- parenzmaßnahmen akzeptiert, um internationales nen gelockert werden. 28 Aus NV-politischer Sicht hätte Vertrauen in die friedlichen Absichten hinter dem Atomprogramm herzustellen. Nach Rohanis Amts- 26 »Towards More Effective Safeguards: Learning Hard antritt beharrte Teheran nicht mehr darauf, dass die Lessons. Opening Plenary Address by IAEA Deputy Direc- IAEO den zivilen Charakter des Atomprogramms tor General Herman Nackaerts«, INMM Annual Meeting, 18.7.2011, (eingesehen am Joint Plan of Action«, INFCIRC/855, Wien, 27.11.2013, (eingesehen am 5.8.2014). Nonproliferation: IAEA Has Made Progress in Implementing 25 Es handelt sich dabei um zwei Uranminen sowie Einrich- Critical Programs but Continues to Face Challenges«, GAO-13- tungen zur Entwicklung und Produktion von Gas-Ultrazentri- 139, Washington, D.C., Mai 2013, S. 13f, (eingesehen am 25.9.2014). über das Zusatzprotokoll hinaus. So können Inspektoren etwa 28 International Crisis Group, Iran and the P5+1: Solving the auf täglicher Basis Zugang zu den Anreicherungsanlagen in Nuclear Rubik’s Cube, Istanbul/Teheran/Genf/Wien/Brüssel, Fordow und Natanz verlangen, um die dortige Überwachungs- 9.5.2014 (Middle East Report 152), S. vii,
Iran und die Verifikation von Nichtkernwaffenstaaten dies den Vorteil, dass Entscheidungen über Fortschrit- der Einschätzung, Teheran habe »mit hoher Gewiss- te im Nuklearkonflikt auf Basis von IAEO-Beschlüssen heit« im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm getroffen würden. Ein solcher Schritt brächte zwar »angehalten«. 30 Im November 2011 bestätigte die IAEO die Gefahr einer Politisierung der Wiener Behörde mit diese Beurteilung; dabei konnte sie aber nicht aus- sich, würde aber die Bedeutung des staatenspezifi- schließen, dass einige der entsprechenden Aktivitäten schen Ansatzes unterstreichen und die Rolle der IAEO weitergeführt werden. 31 Ein eindeutiger Befund lässt bei der Lösung von NV-politischen Krisen über den sich erst erstellen, wenn ein umfassendes und kohä- konkreten Fall Iran hinaus stärken. rentes Bild möglicher militärischer Forschungen vor- handen ist, auf dessen Grundlage dann nachvollzogen werden kann, dass alle relevanten Tätigkeiten beendet Verifikation möglicher militärischer sind. Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten Zweitens kann von einem militärischen Programm eine Proliferationsgefahr ausgehen – selbst dann, wenn Seit 2003 versucht die IAEO, mögliche Programme Iran alle Aktivitäten zur Entwicklung von Atomwaffen Irans zur Entwicklung von Atomwaffen aufzuklären. eingestellt hat. Personen, die im Laufe militärischer Diese Aktivitäten haben dazu beigetragen, das Instru- Forschungen Kenntnisse über die Entwicklung von mentarium der Behörde zu verbessern, zugleich aber Nuklearwaffen gewonnen haben, könnten dieses Wis- auch rechtliche und technische Lücken aufgezeigt. sen an Dritte weitergeben. Der Verbleib von atomwaf- Die Ermittlungen der IAEO zur möglichen militä- fenrelevanten Materialien und Technologien muss ge- rischen Dimension (»Possible Military Dimension« – klärt und ihre sichere Verwahrung gewährleistet sein, PMD) des iranischen Atomprogramms sind schwieri- damit sie nicht in falsche Hände geraten. ger als in den drei vorhergehenden Fällen, die ähnlich Drittens wäre es ein Beleg für die Glaubwürdigkeit gelagert waren. Nach dem Golfkrieg von 1990/91 be- für Irans Beteuerungen, mit dem Atomprogramm nur auftragte der UN-Sicherheitsrat die Behörde, die iraki- friedliche Zwecke zu verfolgen, wenn das Land aktiv schen Programme zur Entwicklung von Atomwaffen an der Aufklärung möglicher militärischer Forschun- abzurüsten. Das »IAEA Action Team« war mit erhebli- gen mitwirken würde. Andernfalls drohen die fort- chen Sondervollmachten ausgestattet und berechtigt, bestehenden Zweifel an Teherans Vertragstreue das Inspektionen jederzeit und an jedem Ort durchzufüh- NV-Regime zu unterminieren. ren. In Südafrika verifizierte die IAEO von 1991 bis Viertens kann die Aufklärung vertragswidriger 1993 erfolgreich die nukleare Abrüstung des Landes, Aktivitäten zur Herstellung von Massenvernichtungs- die zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden hatte. waffen eine Grundlage bilden, um effektivere Verifika- Grundsätzlich kooperierte dabei die Regierung in tionsinstrumente und -verfahren zu schaffen. Erkennt- Pretoria. 29 Auch in Libyen beschränkte sich die Rolle nisse über Vertragsbrüche haben immer wieder dazu der IAEO 2003/2004 im Wesentlichen darauf, offiziell beigetragen, dass Verifikationsregime neu justiert zu bescheinigen, dass die Anstrengungen zur Entwick- und verbessert wurden, etwa bei der Entwicklung des lung von Atomwaffen schon beendet wurden. Anders IAEO-Zusatzprotokolls nach Aufdeckung des iraki- als bei Libyen und Südafrika ist im Fall Iran unklar, schen Atomprogramms. Auch im Falle Irans kann das ob das Land seine Atomwaffenforschungen eingestellt bessere Verständnis eines militärischen Nuklearpro- hat, weil Teheran nur begrenzt an der Aufklärung mit- gramms dazu beitragen, passgenauere Verifikations- wirkt. instrumente zu entwerfen. 32 Es würde dabei sehr für Aus NV-politischer Sicht ist es wichtig, dass Klarheit über eine mögliche militärische Dimension des irani- 30 Peter Rudolf, Das »National Intelligence Estimate« zur iranischen Atompolitik. Hintergründe, Kontroversen, Folgen, Berlin: Stiftung schen Atomprogramms geschaffen wird. Erstens geht Wissenschaft und Politik, Januar 2008 (SWP-Aktuell 2/2008). es darum, die Gefahr zu reduzieren, dass Iran insge- 31 IAEA Board of Governors, »Implementation of the NPT heim weiter an der Entwicklung von Atomwaffen Safeguards Agreement and relevant provisions of Security arbeitet. Die US-Geheimdienste kamen 2007 zwar zu Council resolutions in the Islamic Republic of Iran«, GOV/2011/65, Wien 2011, Paragraph 45, rubiks-cube.pdf> (eingesehen am 25.9.2014). (eingesehen am 15.11.2012). 29 Adolf von Baeckmann/Gary Dillon/Demetrius Perricos, 32 Emily B. Landau/Ephraim Asculai/Shimon Stein, »Atomic »Nuclear Verification in South Africa«, in: IAEA Bulletin, Amnesia: The Forgotten Military Aspects of Iran’s Nuclear 1 (1995), S. 42–48. Program«, in: The National Interest, 3.6.2014,
Verifikation möglicher militärischer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten eine intensivere Nutzung geheimdienstlicher Infor- von Artikel III.1 so interpretieren, dass IAEO- mationen durch die IAEO sprechen, sollte sich heraus- Sicherungsmaßnahmen den Zweck hätten, zu stellen, dass die von den USA gegen Iran erhobenen verhindern, dass Kernenergie für Atomwaffen verwen- Anschuldigungen stichhaltig sind. det wird. 35 Diese Argumente für die Aufklärung einer militä- Zweitens besteht die Gefahr, dass im Laufe des Veri- rischen Dimension von Atomprogrammen sind abzu- fikationsprozesses Nichtatomwaffenstaaten Zugang zu wägen gegen die Schwierigkeiten und Nachteile, die sensiblen Informationen erhalten. Innerhalb der IAEO mit einem solchen Prozess verbunden sind. Zwei wird der Umgang mit solchen Daten daher kompart- Punkte sollten hier beachtet werden. Erstens agiert mentalisiert. Die fünf NVV-Atomwaffenstaaten erhal- die IAEO auf der Grundlage unscharfer Rechtsbestim- ten dabei privilegierten Zugang zu sensiblen Informa- mungen. Es fehlt eine allgemein akzeptierte Defini- tionen. Es besteht die Sorge, die E3+3 und/ oder die tion, wie weit der Begriff der »Herstellung« von Kern- IAEO könnten über die Köpfe der anderen IAEO- und sprengkörpern reicht, wie er in Artikel II des NVV NVV-Mitglieder hinweg entscheiden, wie mit relevan- verwendet wird. Artikel III.1 wiederum verpflichtet ten Informationen über iranische Aktivitäten im Be- jeden Nichtkernwaffenstaat, Safeguards mit der IAEO reich der Atomwaffenforschung umgegangen wird. abzuschließen, Diese Befürchtungen sind nicht gänzlich unbegrün- wobei diese Sicherungsmaßnahmen ausschließlich dazu det. Offenbar hat das IAEO-Sekretariat die E3+3 gele- dienen, die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus diesem gentlich exklusiv darüber unterrichtet, wie sich die Vertrag nachzuprüfen, damit verhindert wird, dass Kern- Gespräche mit Teheran über eine mögliche militäri- energie von der friedlichen Nutzung abgezweigt und für sche Dimension entwickeln. Im Genfer Aktionsplan Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper verwendet und in der Implementierungs-Übereinkunft ist zwar wird. 33 vorgesehen, auf Expertenebene eine gemeinsame Kom- Die Verifikation von Aktivitäten, die mit der Entwick- mission (»Joint Commission«) zwischen E3+3 und IAEO lung von Kernwaffen zusammenhängen, wird also zu bilden. Diese soll sich auch mit dem weiteren Ver- nicht explizit genannt. Zwar kann die IAEO militäri- lauf der Untersuchung militärischer Aktivitäten be- sche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten unter- fassen. Dieses Gremium hat aber bisher keine Rolle suchen, wenn diese in Verbindung mit meldepflich- in den Gesprächen mit Teheran gespielt. 36 Das IAEO- tigem Spaltmaterial stehen. In einem solchen Fall Sekretariat hat die Generalversammlung der Organi- greifen die umfassenden Safeguards-Abkommen. Was sation oder die NVV-Staatentreffen bisher nicht de- aber ist, wenn die IAEO Aktivitäten verifizieren soll, tailliert über Fortschritte bei der Untersuchung irani- die zwar möglicherweise der Entwicklung von Kern- scher Aktivitäten zur Atomwaffen-Entwicklung unter- waffen dienen, bei denen aber kein Spaltmaterial ver- richtet. Wenn jedoch der Gemeinschaft der Vertrags- wendet wird? Es gibt eine Reihe nicht nuklearer Tech- staaten relevantes Wissen vorenthalten wird, ergeben nologien, deren Beherrschung unentbehrlich ist, um sich Probleme der Inklusivität und damit auch der Kernwaffen zu produzieren. Beispiele sind besondere Legitimität von Verifikationsmaßnahmen. Hochleistungszünder, Raketensprengköpfe oder Com- Vor dem Hintergrund dieser prozeduralen Schwie- putermodelle, die Kernexplosionen simulieren. rigkeiten ist es geradezu erstaunlich, dass sich bei Die rechtlichen Möglichkeiten zur Verifikation sol- der Verifikation von Teherans militärisch relevanten cher Aktivitäten, bei denen ein »Nexus« zu Nuklear- Aktivitäten doch Fortschritte eingestellt haben. Iran material fehlt, bleiben strittig. 34 Manche Experten ist zunächst ein Beispiel dafür, dass Forschungen zur sind der Ansicht, in einem solchen Fall könne die Herstellung von Atomwaffen so viele Spuren hinter- IAEO nicht tätig werden, während andere die Vorgabe lassen, dass die IAEO auch ohne systematische Suche est.org/feature/atomic-amnesia-the-forgotten-military-aspects- iran%E2%80%99s-nuclear-10585> (eingesehen am 9.6.2014). 35 John Carlson/Andreas Persbo, »The IAEA Safeguards 33 »Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen« Function«, London: Verification Research, Training and (deutsche Übersetzung), Artikel II, (eingesehen am 13.10.2014). 36 Mark Hibbs, »Deconstructing Sherman on PMD«, ArmsCon- 34 IAEA Board of Governors, »Implementation of the NPT trolWonk, 19.2.2014, (eingesehen am Fn. 13], Paragraph 49. 25.9.2014). SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 15
Iran und die Verifikation von Nichtkernwaffenstaaten auf sie stößt. 37 Außerdem hat die Behörde in den letz- PMD-Berichts will die IAEO mit Teheran sukzessive ten Jahren ihren Zugang zu relevanten Informationen zwölf offene Fragen und Problemfelder klären. 40 Wenn über die Entwicklung von Atomwaffen gezielt erwei- sich positive Resultate dabei auch sehr viel langsamer tert. Sie nutzt mittlerweile eine Reihe von Informa- zeigen, als viele erhofft hatten, so schreitet der Prozess tionsquellen – einschließlich sogenannter offener doch voran. Dies betrifft etwa den Umgang Irans mit Quellen und Geheimdienstinformationen –, um Daten elektronischen Zündmechanismen (»electronic bridge zu ergänzen, die aus Meldungen der Mitgliedstaaten wire detonator«, Glühbrückenzünder), wie sie auch stammen oder während Inspektionen erhoben wur- zur Detonation von Kernsprengköpfen verwendet den. werden können. Am 20. Mai 2014 stellten IAEO und Der 15-seitige Anhang zum Safeguards-Bericht der Teheran gemeinsam fest, sie hätten »gute Fortschrit- IAEO vom 8. November 2011 bündelte alle Hinweise te« erzielt bei Klärung der Frage, inwiefern Iran diese auf eine mögliche militärische Dimension des irani- Technik erforscht und nutzt – ohne dass die Proble- schen Atomprogramms. Nach Angaben der Behörde matik bisher allerdings endgültig gelöst wäre. Beide beruht die Aufstellung unter anderem auf Informa- Seiten verständigten sich darauf, bei weiteren Themen tionen, die mehr als zehn Mitgliedstaaten verfügbar voranzukommen. Dies betrifft unter anderem militä- gemacht haben – etwa über Beschaffungsaktivitäten rische Forschungen an konventionellen Sprengstoffen, Irans, über Handels- und Finanztransaktionen sowie mit denen Kernwaffen gezündet werden können, so- Reisebewegungen. Bei der Nutzung solcher Daten wie Neutronenforschungen, die sich ebenfalls militä- kann die IAEO sich auf Artikel VIII.A ihres Statuts be- risch nutzen lassen. 41 rufen, der jedem Mitgliedstaat empfiehlt, »die Infor- Offen ist indes, ob die IAEO der iranischen Führung mationen zur Verfügung zu stellen, die seiner Ansicht bis zum etwaigen Abschluss eines langfristigen Ab- nach für die Organisation von Nutzen sind«. Zudem kommens mit den E3+3 bescheinigen könnte, sie habe hat die Behörde ihre eigenen Quellen genutzt – dar- vollständig kooperiert, um offene Fragen über etwaige unter kommerzielle Satellitenbilder – sowie Inter- Aktivitäten zur Atomwaffen-Entwicklung zu klären. views innerhalb und außerhalb Irans geführt. Die Sollte das nicht der Fall sein, stehen die E3+3 eventuell IAEO betonte, gerade diese Vielfalt der Zugänge habe vor der schwierigen Entscheidung, ob sie die Klärung es ihr ermöglicht, Informationen miteinander abzu- einer möglichen militärischen Dimension zur Voraus- gleichen und so ihre Stichhaltigkeit zu evaluieren. setzung dafür machen, dass ein langfristiges Abkom- Im Ergebnis ist der Anhang das bisher ausführlichste men zur Lösung des Atomstreits unterzeichnet wird. Papier der IAEO, das die möglichen Anstrengungen Die größte Hürde bleibt, dass Iran bisher nicht be- eines Nichtatomwaffenstaats beschreibt, Kernwaffen reit ist zuzugeben, dass Aktivitäten zur Entwicklung zu entwickeln. 38 von Atomwaffen im Land stattgefunden haben. Eine Iran wies den PMD-Bericht von November 2011 gesichtswahrende Lösung dieses Problems könnte dar- zunächst als »unprofessionell, absolut unfair, illegal auf hinauslaufen, dass abschließend die genauen und politisiert« zurück, 39 doch mittlerweile akzep- Inhalte einer PMD-Untersuchung geheim gehalten, tiert Teheran das Dokument als Grundlage dafür, deren Grundlagen und Schlussfolgerungen aber trans- eine mögliche militärische Dimension zu klären. Am parent gemacht werden. 42 Ein solches Verfahren ver- 11. November 2013 vereinbarten die IAEO und Iran mindert auch die Gefahr einer Weitergabe sensitiver dazu ein »Framework for Cooperation«. Auf Basis des Kenntnisse an Unbefugte. 37 James Acton/Carter Newman, »IAEA Verification of Mili- tary Research and Development«, London: VERTIC, 2006 (Verification Matters 2006/5), S. 20f, (eingesehen am 25.9.2014). International Atomic Energy Agency«, Wien, 11.11.2013 (Press 38 IAEA Board of Governors, »Implementation of the NPT Release 2013/21), (eingesehen am 12.2.2014). 39 IAEA Board of Governors, »Communication dated 8 De- 41 IAEA, »Joint Statement by Iran and IAEA«, Wien 21.5.2014 cember 2011 received from the Permanent Mission of the (Press Release 2014/11), (eingesehen am 25.9.2014). of the Director General on the Implementation of Safeguards 42 Siehe z.B. Jeffrey Lewis, »We Don’t Want to See Iran’s Full in Iran«, INFCIRC/833, Paragraph 4, Wien 2011, (eingesehen am 25.9.2014). SWP Berlin Der Atomkonflikt mit Iran und seine Auswirkungen auf das nukleare Nichtverbreitungsregime Oktober 2014 16
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