In welchem Umfang können wir uns medizinisch auf den militärischen oder terroristischen Einsatz von Nuklearwaffen vorbereiten?
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MEDIZINISCHER A-SCHUTZ In welchem Umfang können wir uns medizinisch auf den militärischen oder terroristischen Einsatz von Nuklearwaffen vorbereiten? To what Extent can we Prepare for the Military or Terroristic Use of Nuclear Weapons from a Medical Perspective? Cornelius Hermanna, Patrick Ostheima, Andreas Lamkowskia, Birte Diekmeyerb, Stefan Ederc, Michael Grunertd, Burkhard Klemenzd, Michael Abenda, Matthias Porta Zusammenfassung high radiation exposure, especially close to the center of the detonation, mostly in combination with burns and Als eine Konsequenz aus dem Krieg in der Ukraine injuries from blast shock and flying debris. Depending muss der Einsatz staatlich kontrollierter Kernwaffen on the scenario, the fallout of radioactive particles can wieder als reales Bedrohungsszenario angesehen wer- also cause a hazard to people outside the explosion den. Die medizinischen Folgen eines solchen Einsatzes radius. The Bundeswehr Institute of Radiobiology is wären multifaktoriell und auch stark von der Art der working intensively to promote acquisition and ex- Waffe und der Detonationshöhe abhängig. In Summe change of knowledge at both military and civilian sites wird es aber vor allem nahe dem Zentrum der Explo- and is involved in the drafting of preventive and reactive sion zu einer hohen Strahlenbelastung kommen, die recommendations at national and international level. In meist in Kombination mit Brandwunden sowie als Ver- addition, intensive research is conducted to improve letzungen durch Druck und herumfliegende Trümmer- diagnostics and treatment of affected patients, and the teile auftreten wird. Der Niederschlag radioaktiver Par- application of acquired expertise is rehearsed and main- tikel kann, je nach Szenario, auch eine Gefahr für tained together with the Bundeswehr hospitals in Ulm Menschen bedeuten, welche sich außerhalb des Ex- and Koblenz. plosionsradius befanden. Das Institut für Radiobiologie Keywords: nuclear weapon, acute radiation syndrome, der Bundeswehr arbeitet intensiv daran, Wissenser- triage, radiobiology werb und Wissensaustausch auf militärischer wie ziviler Ebene voranzubringen und wirkt auf nationaler und Hintergrund internationaler Ebene bei der Verfassung präventiver und reaktiver Empfehlungen mit. Darüber hinaus wird Der Ukrainekrieg ist eine massive Zäsur in der friedlichen mit Nachdruck an der Verbesserung von Diagnostik und Weiterentwicklung Europas. Die offen in Fernsehsendern Behandlung betroffener Patienten geforscht und die angedrohten Äußerungen russischer Politiker, Nuklear- Anwendung dieser erworbenen Expertise zusammen waffen gegen europäische Staaten einzusetzen, hat mit den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm und Koblenz auch in Deutschland wieder die Ängste gegen diese Be- geübt und vorgehalten. drohung in das Bewusstsein der Bevölkerung gebracht. Schlüsselwörter: Nuklearwaffe, akutes Strahlensyn- Nach Jahrzehnten nuklearer Abrüstung und der fakti- drom, Triage, Radiobiologie schen Reduzierung des Arsenals der Nuklearwaffen der USA und Russlands wurde im Hintergrund auch immer Summary die Modernisierung der Waffentypen vorangetrieben. As a conclusion of the war in Ukraine, the use of Nicht zuletzt die Proliferation von Nuklearwaffen in immer state-controlled nuclear weapons must again be con- mehr Staaten, darunter auch diktatorische Regime, be- sidered a real threat scenario. The medical conse- deutet eine signifikante Gefahr des Einsatzes in aktuellen quences of such a strike would be multifactorial and und zukünftigen Konflikten. Die Verschärfung der russi- also strongly dependent on the type of weapon and the schen Doktrin zeigt auch, dass zunehmend Nuklearwaf- detonation altitude. In general, however, there will be fen genutzt werden, um den politischen Druck auf be- nachbarte oder, aufgrund der Reichweite und des möglichen Einsatzes von U-Booten, auf jeden Staat der a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München Welt zu erhöhen. Im Jahr 2022 wurden auch in deutschen b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XV – Nuklearme- Medien die verschiedenen Optionen des Einsatzes von dizin Nuklearwaffen diskutiert. Dabei wurden vermehrt der c Sanitätsakademie der Bundeswehr, Abteilung F – Medizinischer ABC- Schutz, München russische Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe gegen d Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung XV – Nuklearmedizin die Ukraine sowie ein militärisch verursachter Kritikali- WMM 2023 – 67(3) 65
MEDIZINISCHER A-SCHUTZ tätsunfall in einem Kernkraftwerk als reale Gefahren ein- Schutzstrukturen und vielen weiteren Faktoren. Zusätz- gestuft [2,10,11]. lich ist zu beachten, dass eine mit Radionukliden bela- Neben dem aus humanitären und auch aus Sicht der dene Fallout-Wolke (eigentlich eine Luftmasse) in Wind- Autoren nicht zu rechtfertigenden primären Einsatz einer richtung die Radioaktivität breitflächig verteilt (Abbildung Nuklearwaffe durch einen Staat halten führende inter- 1). Der radioaktive Fallout bedeutet eine große Gefahr nationale Experten auch den Einsatz von improvisierten für darin befindliche Personen, wie auch der „groundshi- Nuklearwaffen (improvised nuclear device, IND) durch ne“ (Radioaktivität ausgehend von auf dem Boden terroristische Gruppen für möglich [24]. In den USA fan- abgelagerten Radionukliden) oder die Aufnahme von den dazu schon im letzten Jahrzehnt Forschungsarbeiten Radionukliden durch kontaminierte Lebensmittel und und Kongresse statt [5]. Eine IND ist eine eher am Boden Trinkwasser [3, 8]. gezündete Nuklearwaffe. Ihre Sprengkraft wird auf 10 bis 100 kT eingeschätzt, womit diese mit den in Hiroshima Wie können wir uns als Individuen schützen und und Nagasaki eingesetzten Atombomben vergleichbar ist. was kann medizinisch getan werden? Was sind die medizinischen Folgen eines Zunächst gilt es, die Exposition wo immer möglich zu Nuklearwaffeneinsatzes? vermeiden. Dazu sind im ersten Schritt das Sammeln von Kenntnissen über die Gefahren erforderlich und im Im primären Wirkungskreis der Nuklearwaffe existiert ein zweiten Schritt prophylaktische Maßnahmen vorzuberei- innerer Bereich, in dem ohne Schutz kein Überleben ten, anzuordnen und durchzuführen. Ferner sind für mög- möglich ist. Angrenzend an diesen Feuerball finden sich liche Patienten Vorbereitungen zu treffen, damit diese im Areale, in denen primär Überlebende zumeist von Kom- Ereignisfall nach den besten in diesen Situationen an- binationsverletzungen betroffen sein werden. Diese wendbaren Maßstäben versorgt werden können. Einen Verletzungen beinhalten neben der radioaktiven Strah- umfassenden Lösungsvorschlag können leider auch die lenexposition auch konventionelle Traumata (z. B. Split- Autoren hier nicht liefern, jedoch Anhalte und Hinweise, terverletzungen) wie auch Verbrennungen und Schäden wie man sich derzeit auf solche Ereignisse vorbereitet durch die Druckwelle. Man kann dies u. a. im Werk des (preparedness) [8, 23, 25]. „Gründungsdirektors“ des Instituts für Radiobiologie der Nach einer lebensbedrohlichen akuten Ganzkörperbe- Bundeswehr (InstRadBioBw), Oberstarzt Prof. Dr. Mess- strahlung von etwa 4 Gy1 (zum Vergleich: Die Strahlen- erschmidt, nachlesen [15]. Die schädigenden physikali- schen Kräfte nehmen mit zunehmender Entfernung von 1 Gy = Gray: Maßeinheit für die Energiedosis, die durch ionisierende „ground zero“ ab. Diese Kräfte sind u. a. abhängig von Strahlung von einer Masse absorbiert wird; 1 Gy entspricht einer auf- der Art der Nuklearwaffe, der Einsatzhöhe, möglichen genommene Energiedosis von 1 J/kg. Abb.1: Wirkradius und Fallout bei verschiedenen Detonationsarten eines 150 kT Nuklearsprengkörpers 66 WMM 2023 – 67(3)
MEDIZINISCHER A-SCHUTZ belastung einer Computertomographie liegt im Bereich schutzvereinigungen, darunter dem europäischen Bio- von einigen mGy) sterben ohne Therapie etwa 50 % der dosimetrienetzwerk (RENEB), dem Fachverband Strah- exponierten Patienten innerhalb von 60 Tagen. Unter op- lenschutz oder der internationalen Vereinigung für timaler Therapie kann dieser Wert auf etwa 8 Gy ange- Retrospektive Dosimetrie (IABERD) sichert auch hier den hoben werden [1, 12, 26]. Modellierungen von Kernwaf- Zugang zu Wissen und bedient die zivil-militärische Zu- feneinsätzen in Großstädten zeigen, dass, optimale sammenarbeit. Therapie vorausgesetzt, zehntausende Patienten poten- ziell gerettet werden könnten. Zu den verfügbaren Die aktive Beteiligung des InstRadBioBw an internatio- Therapiemöglichkeiten gehören intensivmedizinische nalen Tagungen bildet eine weitere Plattform zum Wis- Überbrückungstherapien inklusive Substitution von Blut- sensaustausch, der darüber hinaus durch eine eigene produkten, Infektionsprophylaxen und -therapien, Radio- Strahlenschutztagung gefördert wird. Unter dem Kürzel nuklid-Dekorporationstherapien, optimierte OP-Strate- „ConRad“ (Conference on Radiation Topics) finden im gien und die psychologische Betreuung von Patienten zweijährigen Turnus an der Sanitätsakademie der Bun- und Angehörigen. Neuere Entwicklungen zeigen den deswehr (SanAkBw) diese institutseigenen, international Nutzen einer sehr frühen Zytokintherapie [7, 9, 16, 19, besetzten und sehr gut besuchten Strahlenschutztagun- 22], in Einzelfällen den Einsatz mesenchymaler Stamm- gen statt. Ein herausragendes Ergebnis bzgl. der Erarbei- zelltherapie und in absoluten Ausnahmefällen auch die tung von Empfehlungen ist ein Lehrbuch zur Strahlen- Knochenmarktransplantation. notfallmedizin der SSK [25]. In diesem Zusammenhang ist auch eine Empfehlung zum „Stockpiling“ (Vorratshal- Um die ressourcenaufwendigen und sehr begrenzt vor- tung) der WHO zu nennen [281]. handenen Therapien den Patienten zur Verfügung zu stellen, bei denen der größte Nutzen zu erwarten ist, sind Das InstRadBioBw bildet approbierte Soldatinnen und frühzeitig verfügbare Diagnostikverfahren erforderlich Soldaten an der SanAkBw sowie auch Studierende im [27]. Leider wird in einem solchen Szenar auch eine englischsprachigen Masterstudiengang Radiobiologie Triage erforderlich sein, die entsprechende Kenntnisse der Technischen Universität München aus. Auch wurde über die sich im weiteren Verlauf potenziell entwickeln- ein Kurs (StTARS Workshop) zur Anwendung von Soft- den Krankheitsbilder erfordert. waretools für die Triage von Strahlenverunfallten ent wickelt und angeboten. Kurzfristige Fortbildungen im Bundeswehr-Aktivitäten zur medizinischen Vorbe- Bereich des medizinischen Managements akuter Strah- reitung auf einen möglichen Nuklearwaffeneinsatz lenschäden wurden in Anbetracht der aktuellen Bedro- hungssituation auch für Ärzte und Ärztinnen in der Uk- Wissenserwerb, Wissensaustausch, Empfehlungen raine durchgeführt. Mitarbeitende des InstRadBioBw sind in diversen Gre- mien zum Austausch von Strahlenschutzwissen und zur Forschung zur Verbesserung der Diagnostik Vorbereitung von Empfehlungen tätig. Dazu gehört u. a. In Hinblick auf konkrete und unmittelbare Anwendbarkeit die Teilnahme an einer NATO-Forschungsgruppe. Diese forscht das InstRadBioBw u. a. an der wissenschaftlichen wird seit mehreren Jahren durch den stellvertretenden Weiterentwicklung der diagnostischen Fähigkeiten aku- Institutsdirektor, Oberstarzt Prof. Dr. Abend, geleitet. An ter oder später auftretender gesundheitlicher Strahlen- dieser NATO-Forschungsgruppe sind alle im Themen- schäden. Hier sind im Besonderen die biologische Dosi- gebiet relevanten militärischen, medizinisch-radiobiolo- metrie sowie Neuentwicklungen zur Vorhersage akut gisch tätigen Forschungseinrichtungen beteiligt. Darüber auftretender gesundheitlicher Strahlenschäden zu nen- hinaus leitet der Institutsleiter, Oberstarzt Prof. Dr. Port, nen (Abbildung 2). den Notfallausschuss der Strahlenschutzkommission (SSK) und eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von H-Modul Schutzstrategien bei Nuklearwaffeneinsatz. Er ist Mit- Zur Triage innerhalb der ersten Tage nach Strahlen glied in Arbeitsgruppen der Weltgesundheitsorganisation exposition konnte eine IT-basierte Lösung entwickelt (WHO), der Global Health Security Initiative (GHSI) und werden, welche auf Grundlage der weltweit größten beratend für die Berufsgenossenschaft tätig. Datenbank für Strahlenunfallpatienten eine Prognose- abschätzung mittels Differenzialblutbild ermöglicht [5, 13, Das InstRadBioBw ist zudem Liaison Institut des Radia- 14]. Es können nun bereits anhand von Lymphozyten-, tion Emergency Medical Preparedness and Assistance Granulozyten- und Thrombozyten-Werten eines einzel- Network (REMPAN) der WHO und aktiv im Response nen Tages Vorhersagen für ein sich eventuell später ent- and Assistance Network (RANET) der Internationalen wickelndes schweres Strahlensyndrom getroffen wer- Atomenergiebehörde (IAEA) involviert. In diesen und den. Ein einziges Blutbild ist ausreichend, um nach einer vielen weiteren Gremien engagieren sich auch weitere Exposition mit einem Vorhersagewert zwischen 75 % und Mitarbeiter des Institutes. Aktive Mitarbeit in Strahlen- 96 % eine richtige Diagnose zu stellen und eine erste WMM 2023 – 67(3) 67
MEDIZINISCHER A-SCHUTZ Abb. 2: Dargestellt sind die verschiedenen Methoden zur Abschätzung der Strahlendosis bei Patienten, die damit im Ernstfall auch Grundlage für eine Therapieempfehlung bieten. Diese wurden im Rahmen einer Übung des europäischen Biodosimetrienetzwerkes „RENEB“ unter der Koordi- nation durch das InstRadBioBw durch weltweit 40 Teams beübt. Weitere Informationen finden sich unter https://www.reneb.net. Triage durchzuführen. Somit können Patienten entweder was in einem realen wissenschaftlichen Versuch mit der der ambulanten Überwachung oder der stationären The- Bearbeitung von 1 000 Proben in 30 h (unter optimalen rapie einschließlich eines möglicherweise indizierten Voraussetzungen) gezeigt werden konnte [18]. Auch die- Zytokineinsatzes zugeführt werden. Die einfache und se Signatur steht der Fachöffentlichkeit zur Nutzung zur sehr frühe Nutzbarkeit, die weit verfügbare Möglichkeit Verfügung und könnte unkritisch in weitere Laborstruk- der Erstellung von Differenzialblutbildern und die hohe turen der Bundeswehr überführt werden. Derzeit arbeitet Verlässlichkeit machen das Tool zusammen mit typi- das Institut an der Möglichkeit, diese Fähigkeit auch als schen, wenn auch nicht spezifischen klinischen Zeichen „Point of Care“ Diagnostik basierend auf einer mikro- (u. a. Übelkeit, Erbrechen, Temperaturanstieg, Diarrhoe, fluidischen Karte zu etablieren. Weitere Entwicklungen Erythem) als schnell zu trainierendes und hochskalier- zielen auf eine weiter verbesserte Sensitivität in den Be- bares Werkzeug für die Verwendung im Rahmen eines reich kleinster Strahlendosen ab. Zudem wird an einer Nuklearwaffenszenars besonders geeignet. Das soge- Verwendung leichter zugänglichen Patientenmaterials, nannte „H-Modul“ steht als App für Android und Apple frei wie z. B. der Nutzung von Speichelproben, gearbeitet. zur Verfügung. Nachteilig bei der app-basierten Version Weitere anwendungsrelevante Ergebnisse der For- ist, dass Blutbilder immer nur von einem Patienten nach- schung finden sich auch bei Radionuklidinkorporationen, einander eingegeben und analysiert werden können. Um welche mittels Proteinmarker sehr empfindlich durch eine hunderte oder tausende Blutbilder im Hochdurchsatz zu interne Arbeitsgruppe nachgewiesen werden können [20, analysieren, wurde kürzlich eine serverbasierte Version 21]. Zusammen mit der neu aufzubauenden Expertise der App online gestellt. Nach Eingabe der Blutbilder als eines diagnostischen Radionuklidlabors kann hier an der definierte Datensätze wird eine Auswertung durchgeführt Generierung dringend benötigten Wissens auch für in- und die für den Kliniker entscheidenden Therapieemp- korporierte Radionuklide nach Nuklearwaffeneinsatz ge- fehlungen für jeden einzelnen potenziellen Patienten arbeitet werden. generiert. Zur Einweisung in solche und andere Softwa- Etablierte und am InstRadBioBw sogar akkreditierte re-Triagetools dient der von der NATO-Forschungsgrup- Standardtechniken wie die Zytogenetik – das Arbeits- pe entwickelter Kurs namens „Software Tools for the pferd der Biodosimetrie – werden mit Hochdruck weiter- Evaluation of Clinical Signs and Symptoms in the Medi- entwickelt. So sind derzeit Untersuchungen zu Neutro- cal Management of Acute Radiation Syndrome“ (StTARS). nenbestrahlung und gemischten Strahlenfeldern in der Dieser Workshop wurde 2019 zum ersten Mal unter Fe- Planung. Weitere hochinnovative Felder der Diagnostik, derführung des InstRadBioBw und in enger Kooperation aber auch im Hinblick auf Folgeschäden und neuen The- mit Partnern aus Frankreich und Großbritannien durch- rapieoptionen werden von weiteren Forschungsgruppen geführt. Der nächste StTARS-Workshop ist für November des Instituts bearbeitet. Ein Artikel zu Sequenzierungs- 2023 in den USA geplant. techniken ist in dieser Ausgabe zu finden. Bio-Dosimetrie Anwendung und Bereitstellung der Expertise Mit einer Gensignatur von vier Genen hat das InstRad- Mit der Schaffung einer Task-Force medizinischer A- BioBw eine PCR-basierte Diagnostikplattform entwickelt Schutz und der „Reachback“-Fähigkeit steht das Wissen [17], die sich nicht nur in Ringversuchen als Triagetool für Soldatinnen und Soldaten und auch für zivile Ein- hervorragend bewährt, sondern auch gut skalierbar ist, richtungen zur Verfügung. Die Expertise der Task-Force 68 WMM 2023 – 67(3)
MEDIZINISCHER A-SCHUTZ speist sich aus den eigenen Forschungsergebnissen, vorhandener Mess- und Schutzmöglichkeiten auch der aber auch dem Wissensaustausch aus Gremien und Sicherheit des eingesetzten Personals. Letzteres ist auch Kongressen. Bestehend aus einem Team von in Strah- zur Steigerung der Resilienz von in Radiobiologie wenig lennotfallmedizin ausgebildeten Ärzten und Ärztinnen ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten extrem wertvoll, sowie technischem Personal können sowohl militärische was sich nicht zuletzt in Übungen eindrücklich gezeigt wie auch zivile Szenare unterstützt werden. Die weltweit hat. einsetzbare und schnell verlegbare Gruppe kann ihr Wis- sen vor Ort verfügbar machen und weitere Partner, wie Reservisten als Multiplikatoren Dekorporationseinrichtungen, Sanitätseinrichtungen der Zur Erhöhung der Durchhaltefähigkeit, aber auch zum Ebenen Role 2–4 unterstützen sowie bei der Patienten- Transfer des Wissens in den zivilen Bereich, dient die versorgung beratend zur Seite stehen. Die am Institut intensive Reservistenarbeit am InstRadBioBw. etablierten Fähigkeiten zur physikalischen und klinischen Um nukleare Szenare unterstützen zu können, trainieren Dosimetrie können Nuklearwaffenopfern unmittelbar zu Soldatinnen und Soldaten des Institutes sowie Reservis- Gute kommen. ten regelmäßig, zuletzt um Aufnahmeübungen in die Eine wesentliche Aufgabe ist auch die Probengewinnung, beiden internen „Prime“-Partner, Bundeswehrkranken- die dann zu diagnostischen Zwecken im Institut, der „Re- haus Ulm und Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz achback“-Einrichtung untersucht werden können. Nicht erweitert (Abbildung 3). Beide Krankenhäuser sind auf- zu vernachlässigen ist die hohe Expertise um die schä- grund der verfügbaren nuklearmedizinischen Expertise digenden Wirkungen ionisierender Strahlung im InstRad- und der hohen Versorgungsqualität in Anästhesie, Inne- BioBw sowie der angeschlossen Task Force. Dieses rer Medizin, Chirurgie, Dermatologie und weiteren Fä- Wissen dient nicht nur den Patienten, sondern mittels chern prinzipiell sehr gut zur Versorgung von Patienten Abb. 3: Übung eines interdisziplinären Teams von InstRadBioBw und BwZKrhs Koblenz (Abteilung XV –. Nuklearmedizin) zur Behandlung eines potenziell radioaktiv kontaminierten Patienten WMM 2023 – 67(3) 69
MEDIZINISCHER A-SCHUTZ nach Nuklearwaffeneinsatz geeignet, benötigen aber wehr bildet hier bereits deutlich intensiver und neben zusätzlicher Weiterbildung in der Strahlennotfall- umfangreicher aus als vergleichbare zivile Institutio- medizin noch eine Aufwertung der technischen und infra- nen. Eine strukturierte Ausbildung im zivilen Bereich strukturellen Voraussetzungen. wird aber auch Anpassungen der internen Trainings erfordern. Auch gilt es, psychologisch geschulte Kri- Können wir mit dem Erreichten zufrieden sein und seninterventionsteams in Fragen der Strahlenbiolo- uns vielleicht sogar zurücklehnen? gie und des Strahlenschutzes zu schulen. • Etablierung von Medikamenten-Stockpiles zur Diese Frage ist eindeutig mit „Nein – keineswegs!“ zu Dekorporation und Therapie des akuten Strahlen- beantworten. Die Vorbereitung für Strahlennotfallereig- syndroms für radionukleare Massenereignisse nisse weist in Deutschland selbst für kleine Ereignisse Dieses kontroverse Thema wird derzeit international noch große Lücken auf. Das Wissen über die gesund- diskutiert. Ein angemessener „Stockpile“ sollte aktu- heitlichen Folgen von Patienten und deren optimaler Ver- elle Empfehlungen, wie die gerade Erarbeiteten der sorgung bei MasCal-Szenaren (Mass Casualty) nach WHO, berücksichtigen. Zur medizinischen Vorberei- einem Nuklearwaffeneinsatz bedarf größerer Anstren- tung gegen Nuklearwaffenfolgen gehören auch inno- gungen als wir in den vergangenen Jahren bereit waren vative Medikamente wie Zytokine. zu investieren. • Professionalisierung der Task-Force medizini- scher A-Schutz Verbesserungspotenziale Eine kontinuierliche Weiterentwicklung auch der Welche Verbesserungspotenziale sehen die Autoren zur opertiven Fähigkeiten von Ressortforschungsinstitu- Erhöhung der Resilienz in Bundeswehr und Gesellschaft ten ist bei gleichzeitig schwindendem Engagement für die medizinischen Fähigkeiten bei einem Nuklear- außerhalb des staatlichen Bereiches zwingend er- waffeneinsatz? forderlich. Diese Forderung betrifft die zivilen Res- • Ausbildung an Schulen, Universitäten etc. zu ioni sorteinrichtungen ebenso wie die Bundeswehr. Bei- sierender Strahlung spielgebend sollte hier die Ausbildung der Grundlegendes Wissen zur Radioaktivität kann leider Komponente des Instituts für Mikrobiologie der Bun- nicht mehr vorausgesetzt werden. Mit dem Ausstieg deswehr sein. aus der Kernenergie scheint sich dieser Wissensver- • Optimierung der Weiterbildung, Ausstattung und lust zu beschleunigen, bei gleichzeitig intensiverer Infrastruktur für designierte Bundeswehrkran- Nutzung ionisierender Strahlung weltweit in Industrie kenhäuser und Medizin sowie bei gesteigerten Bedrohungslagen Nur mit hochmotiviertem und „top“ ausgebildetem durch Nuklearwaffen in Europa und der Welt. Personal kann radionuklearen Großschadenser • Wissensetablierung für radionuklearen Katastro- eignissen, wie dem Einsatz von Nuklearwaffen, an- phenschutz in der Bevölkerung gemessen begegnet werden. Dazu gehört auch die Wesentliche Kenntnisse, die dem unmittelbaren angemessene Verbesserung von Ausstattung und Schutz gegen Folgen von Nuklearwaffen dienen, soll- Infrastruktur. Nicht zuletzt der Eigenschutz der Be- ten jedem Bürger bekannt sein. Dazu gehören auch handlungsteams muss vollends gewährleistet und sehr einfache und wirksame Maßnahmen, wie „go den bestehenden Ängsten des Krankenhausperso- inside, stay inside, stay tuned“ und die Gründe für nals vor ionisierender Strahlung angemessen begeg- diese Empfehlungen. net werden. • Schaffung designierter und sicher vorbereiteter Krankenhäuser für Strahlennotfallpatienten in- Schlussbemerkung klusive Übungen Die Versorgung von Patienten erfordert geschultes Auch wenn die Auswirkungen eines Kernwaffeneinsatzes Personal und angepasste Notfallpläne. Entsprechen- verheerend und in ihrem Umfang kaum vorherzusagen de von nationalen und internationalen Fach- und Be- sind, so ist es existentiell, sich militärisch auf ein solches ratungsgremien ausgearbeitete Handlungsoptionen Szenario vorzubereiten. Das kann auf sanitätsdienstli- sollten konsequenter umgesetzt werden. Dazu ge- cher Ebene nur durch regelmäßige Trainings und inten- hören zwingend auch Übungen mit Krankenhäusern, sive Forschung geschehen. Die Bundeswehr ist hier damit die gesamte Versorgungskette abgebildet und bereits sehr gut aufgestellt, und es wird stetig an einer trainiert wird. Weiterentwicklung gearbeitet. Die glücklicherweise ge- • Ausbildung von Strahlennotfallmedizinern und ringe Wahrscheinlichkeit für einen solchen Einsatz darf Behandlungsteams für radionukleare Szenare in Angesicht der möglichen tausenden von Verwundeten Nur mit fachgerecht ausgebildeten Teams sind nuk- und medizinisch zu Versorgenden nicht als Grund an- leare Großschadensereignisse nach heutigem Wis- gesehen werden, ein solches Szenario in der Vorberei- senstand angemessen zu versorgen. Die Bundes- tung zu vernachlässigen. 70 WMM 2023 – 67(3)
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