Case Management für depressive Patienten in der hausärztlichen Praxis

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227_psy_05_03_Gensichen     16.05.2003     7:33 Uhr     Seite 227

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                                                  Case Management
                                                  für depressive Patienten
                                                  in der hausärztlichen Praxis
                            Jochen Gensichen
                                                  Jochen Gensichen, Martin Beyer, Ferdinand M. Gerlach
                                                  Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

                                                  psychoneuro 2003; 29 (5): 227–233

                  ie WHO erwartet, dass die       Defizite in der ambulanten Behandlung von Patienten mit psychischen Erkrankungen, wie die

          D       Depression 2020 nach der
                  Koronaren Herzerkrankung
           die zweithäufigste Ursache für Be-
                                                  diskontinuierliche und unkoordinierte Versorgung, werden exemplarisch bei Patienten mit De-
                                                  pression deutlich. Case Management als ein situationsgeleitetes und kontinuierliches Betreu-
                                                  ungsangebot für Patienten mit chronischen Erkrankungen wird in seinen Potenzialen für die
           hinderungen sein wird (22). Epide-     ambulante Versorgung vorgestellt. Kernelemente sind: Identifikation, Assessment, Planung,
           miologische Studien zeigen in der      Koordination und Monitoring. Die Modelle unterscheiden sich in ihrer Komplexität: Standard-,
           deutschen Allgemeinbevölkerung         Stärken- und Intensiv-Modell. Eine kritische Auswertung vorliegender Reviews weist auf un-
           eine Prävalenz für depressive          einheitliche Ergebnisse zu den Effekten hin. Das Standard-Modell wird für ein hausarztpraxis-
           Störungen von 6,3% in den letzten      basiertes Case Management für Patienten mit Depression empfohlen.
           sechs Wochen (44). Die Prävalenz in
           deutschen Hausarztpraxen liegt bei
           10,9% (44). Die Inanspruchnahme        diskontinuierlich und unkoordiniert       „Case Management“ als ein kontinu-
           des Gesundheitswesens durch diese      (6). Die Patientenbetreuung ist nur       ierliches Betreuungsangebot für die
           Patienten liegt um 50% über derjeni-   in geringem Maße an der Arzt-Pa-          betroffenen Patienten bietet eine
           gen von Patienten ohne Depression      tienten-Kommunikation bzw. an der         weitere behandlungsstützende Stra-
           (28, 44).                              Patientenstärkung (empowerment,           tegie. Der Sachverständigenrat für
               Neben einer geringen Erken-        self-management, adherence) orien-        die konzertierte Aktion im Gesund-
           nungsrate und der Schnittstellen-      tiert (7, 39). Dies wirkt sich insbe-     heitswesen bestätigt, dass in
           problematik ist die unzureichende      sondere erschwerend in der Be-            Deutschland nur ein geringer Teil
           medikamentöse Therapie ein Kern-       handlung von Patienten mit Depres-        der Menschen mit psychischen
           problem der Versorgung. Insbeson-      sion aus. Derzeit stehen zwar effek-      Störungen eine moderne und adä-
           dere die zu niedrige Dosierung, der    tive psychotherapeutische und             quate Behandlung erhält (29). Er
           zu frühe Therapieabbruch oder die      pharmakologische Therapieoptio-           empfiehlt exemplarisch bei der Ver-
           unregelmäßige Medikamentenein-         nen zur Verfügung (26). Dennoch           sorgung von Menschen mit Depres-
           nahme erhöhen die Chronifizie-         bleibt auch bei erfolgreicher Bewäl-      sion, den hausärztlichen Bereich in
           rungs- bzw. Suizidgefahr (1). In der   tigung einer depressiven Episode für      den Mittelpunkt zu stellen, da lang-
           derzeitigen medizinischen Versor-      die meisten Patienten ein psycho-         fristig hier die meisten Patienten be-
           gung von chronisch Kranken rea-        sozialer Betreuungsbedarf bestehen.       treut werden. Ziel der vorliegenden
           giert der Arzt zumeist auf die vom         Seit einigen Jahren werden in         Arbeit ist, das Instrument Case Ma-
           Patienten geäußerten gesundheitli-     der Medizin innovative Formen ei-         nagement und seine Potenziale für
           chen Beschwerden bzw. auf die          ner patientenorientierten Versor-         die hausärztliche Versorgung von
           durch ihn initiierten Arztbesuche.     gung, z.B. die strukturierte Versor-      Patienten mit Depression vorzustel-
           Die Versorgung ist oft fragmentiert,   gung (40) entwickelt und erprobt.         len.

                                                                                                       psychoneuro 2003; 29 (5)          227
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     Schwerpunkt

                   Case Management                       schriftliche Versorgungspläne, um              Patienten festgelegte Therapie-
                    Unter Case Management wird ein       die Bedürfnisse zu erfüllen, eine sys-         ziele
                situationsgeleitetes und kontinuierli-   tematische Nachsorge, Hilfestellung        •   Koordination: Interdisziplinäre
                ches Betreuungsangebot an den Pati-      zur Eigenverantwortung (Self-ma-               Umsetzung der Behandlung
                enten zur Vermeidung einer Krank-        nagement) sowie eine regelmäßige,          •   Monitoring: Kontinuierliche Be-
                heitsverschlechterung verstanden         dem Bedarf entsprechende Über-                 obachtung der Ergebnisse und
                (9). Der Begriff wurde bereits um        prüfung der Behandlungspläne ein“              rechtzeitige Veranlassung indi-
                1850 in der Sozialarbeit entwickelt      (23).                                          zierter Maßnahmen.
                (41). Dies ging mit der Einführung ei-       Die „Task Force on Community
                ner individuellen Betreuung von be-      Preventive Service“ des „Center for            Die in Tabelle 1 gezeigte Über-
                sonders gefährdeten (vulnerablen)        Disease Control and Prevention“            sicht stellen in Anlehnung an Mueser
                Personen einher, insbesondere in der     nennt in einem Review folgende             zusammenfassend Charakteristika
                Jugend-, Sucht- und Wohnungslosen-       fünf maßgebliche Komponenten von           der verschiedenen Anwendungsmo-
                hilfe oder in der Reintegration (43).    Case Management (25):                      delle dar (siehe Kasten) (21). Die Zu-
                Seit ca. 1960 wird Case Management       • Identifikation: Aktives Erfassen         nahme der Komplexität der jeweili-
                in der medizinischen Versorgung bei          und Auswahl der bedürftigen Pa-        gen Modelle wird erkennbar.
                der Entwicklung von gemeindenahen            tienten                                    Eine angemessene Einschätzung
                (community based) Versorgungskon-        • Assessment: Regelmäßige, um-             der Effektivität von medizinischen
                zepten insbesondere für psychiat-            fassende Erhebung der individu-        Behandlungen kann durch die Bewer-
                risch erkrankte Patienten angewandt          ellen Patientenbedürfnisse             tung wissenschaftlicher Studien nach
                (19). In den 80er-Jahren rückte die      • Planung: Gemeinsam mit dem               den Prinzipien von evidence based
                Stärkung der Selbstverantwortung
                (empowerment) von chronisch er-             Modelle des Case Managements in der Versorgung von
                krankten Patienten in den Vorder-           Patienten mit psychischen Störungen
                grund (z.B. durch Self-management)
                (12). Aktuelle Anwendungen von            Standard Case Management: In diesem historisch ältesten Modell stellt ein
                Case Management finden sich in der        Case Manager den Bedarf des Patienten fest, ermittelt die Unterstützungsmaß-
                ambulanten Langzeitversorgung von         nahmen und koordiniert die langfristige Behandlung (20). Der Mangel an psy-
                geriatrischen Patienten (4) oder in       chiatrischer Fachkenntnis bei den Case Managern beschränkte ihren Erfolg. Kli-
                der sektorgrenzenüberschreitenden         nisch besser ausgebildete Case Manager konnten später zusätzliche Aufgaben
                integrierten Versorgung (z.B. koordi-     erfolgreich übernehmen: Psychoedukation, Förderung der Alltagskompeten-
                nierte Krankenhausentlassung)(24).        zen, Beratung für Angehörige und Monitoring der Erkrankung bzw. rechtzeiti-
                In Abgrenzung zum aktuell viel dis-       ges Einleiten indizierter Maßnahmen. Beim Standard Case Management wer-
                kutierten bevölkerungsbezogenen           den meist standardisierte Versorgungspfade/Leitlinien fallbezogen (nicht indi-
                Ansatz „Disease Management“ (46)          vidualisiert) umgesetzt (8, 14, 17).
                wird Case Management als ein indivi-
                dualmedizinisches Vorgehen ver-           „Stärken“ Modell im Case Management: Stärken wird hier im doppelten Sinne
                standen. Vom „National Committee          gebraucht: Im Sinn einer Intensivierung und im Sinn des Anknüpfens an die Stär-
                for Quality Assurance, NCQA“ Wash-        ken/Reserven des Patienten. Entsprechend des Salutogeneseansatzes (3, 31)
                ington DC, wurde eine Definition von      steht in diesem Modell die Förderung der individuellen Patientenressourcen im
                Case Management erarbeitet (derzeit       Mittelpunkt (42). Die vertrauensvolle und kontinuierliche Beziehung zwischen
                noch unveröffentlichter Entwurf), die     dem Case Manager und Patienten bildet hier den wesentlichen Wirkungsmecha-
                in deutscher Übersetzung folgender-       nismus (34). Zusätzlich sollen Ressourcen der Gemeinde bzw. des sozialen Um-
                maßen lautet:                             feldes für eine positive Entwicklung des Patienten genutzt werden (27). Die Be-
                    „Das Case Management (CM) ist         treuung auf Grundlage eines individuellen Behandlungsplans wird durch einen
                ein Bündel von Leistungsangeboten         speziell geschulten Case Manager zumeist innerhalb der gewohnten Umgebung
                zur Koordinierung der Versorgung          angeboten. Das Ziel ist die Förderung der sozialen Rehabilitation (2, 5).
                und Nachsorge (follow up) von Pati-
                enten mit ernsthaften oder chroni-        Intensives Case Management: Insbesondere für Patienten mit starken psychi-
                schen Erkrankungen, um sicherzu-          schen Beeinträchtigungen und hoher Nutzung medizinischer Versorgungsein-
                stellen, dass die Versorgung den An-      richtungen wurde diese besonders personalintensive Form entwickelt (35).
                forderungen evidenzbasierter Leit-        Wurden in den zuvor dargestellten Modellen bis zu 30 Patienten von einem
                linien entspricht. CM ist ein geplan-     Case Manager betreut, sind es hier max. bis zu 10 Personen (33). Stand in den
                ter und strukturierter Ansatz zur         vorhergehenden Modellen die Koordination der unterschiedlichen Hilfeleistun-
                Versorgung von chronisch kranken          gen im Vordergrund, sollen hier alle Hilfen – bis zur Unterstützung des Patien-
                Menschen. (...) CM-Leistungsange-         ten im Alltagsleben – im Rahmen eines umfassenden Behandlungsprogramms
                bote schließen eine Erhebung von          möglichst durch den interdisziplinär ausgebildeten Case Manager erbracht wer-
                Patientenbedürfnissen in den ver-         den (13, 37). Im Modell des Assertive Community Treatment (ACT) wird dies
                schiedenen Gesundheitsbereichen           durch ein in der Gemeinde etabliertes multidisziplinäres Team geleistet (10, 36)
                (biologisch, psychologisch, sozial),

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            Tab. 1 Anwendungsmodelle (nach 21)
                                         Modell
                                         Standard CM                   Stärken CM                       Intensives CM
            Patientenstärkung            Self-monitoring               + Self-management                idem
            Aspekte der Versorgung       medizinische Versorgung       + psycho-soziale Versorgung      idem
            Integration der              Fallorientierung Leitlinien   Patientenorientierung            Umfassende
            Behandlungskonzepte                                        Individuelle Pläne               Behandlungsprogramme
            Personal                     Hilfskraft                    Professioneller Case Manager     Team

           medicine (EbM) gut begründet wer-                Holloway (15) wertete 23 Stu-        sungsrate und der Abbrecherrate er-
           den (16). Hierbei gelten Therapiestu-        dien mit 11 randomisiert kontrol-        reichten. Bislang wurden aus
           dien, in denen der Interventions-            lierten Studien (RCT) zu allen drei      Deutschland lediglich in einer Pilot-
           gruppe eine Kontrollgruppe gegenü-           Anwendungsmodellen aus. Er stellte       studie erste positive Effekte zu ei-
           bergestellt wird, als besonders hoch-        fest, dass Case Management eine          nem Intensiv Case Management für
           wertig, weil sie den Ursache-Wir-            deutliche Reduktion der Kranken-         Patienten mit schizophrenen Er-
           kungs-Mechanismus der Behandlung             hausdauer, eine Erhöhung der Pati-       krankungen publiziert (30).
           klarer belegen können. Die zufällige         entenzufriedenheit und eine Ver-             In einer aktuellen Übersicht von
           Zuordnung der Patienten in die jewei-        besserung der sozialen Versorgung        11 RCTs verglich von Korff (38) die
           lige Gruppe (Randomisierung) ver-            der Patienten erreichen kann. Mar-       Effekte von ambulanten Program-
           hindert, dass einzelne Patientenei-          shall (18) analysierte 11 RCTs aus-      men für Patienten mit Depression.
           genschaften in einer Gruppe beson-           schließlich zum Standard Modell.         Er zeigte, dass ausschließlich Inter-
           ders häufig vertreten sind (Selekti-         Demnach führte Case Management           ventionen, die ein Case Manage-
           onsfehler). Systematische Übersichts-        zu einer verstärkten Nutzung der         ment für die betroffenen Patienten
           arbeiten (Reviews) fassen die Ergeb-         psychiatrischen Versorgungsein-          beinhalten, im Vergleich zur Kon-
           nisse der methodisch begutachteten           richtungen, zu vermehrten Kranken-       trollgruppe Verbesserungen der
           Einzeluntersuchungen zusammen.               hauseinweisungen und zur Verlän-         Symptome erreichen können. Posi-
           Dennoch werden, wie in den Reviews           gerung der Krankenhausaufenthalte.       tive Effekte könnten schon durch
           zum Case Management für Patienten            Obwohl eine Verbesserung der Com-        einfache Maßnahmen, wie z.B. das
           mit psychischen Erkrankungen (Schi-          pliance erreicht wurde, konnte keine     Telefonmonitoring entsprechend ei-
           zophrenie, Angststörungen, Depres-           Symptomverbesserung festgestellt         nes Standard Case Managements er-
           sionen), z.T. sehr unterschiedliche Er-      werden. In einem weiteren Review         reicht werden.
           gebnisse festgestellt. Dies liegt u.a. an    (17 RCTs) wies Marshall (18) auf die
           folgenden Faktoren:                          Reduktion von Krankenhausaufent-              Anwendungsbeispiel
           • Die Studien wurden in unter-               halten bzw. -Dauer und die Siche-
               schiedlichen Gesundheitssyste-           rung der kontinuierlichen Patien-
               men mit teilweise gut ausgebau-
               ten gemeindenahen psychiatri-
                                                        tenversorgung durch das ACT Mo-
                                                        dell hin. Die mit 72 Studien (18 RCTs)
                                                                                                  D     ie Intervention folgt dem Standardmodell des
                                                                                                        Case Managements: Praxishelferinnen der be-
                                                                                                  teiligten Hausarztpraxen übernehmen die Aufgabe
               schen Versorgungen durchge-              bislang umfassendste Analyse von          der Case Managerin. Sie erhalten zu diesem Zweck
               führt, sodass sich der Unter-            Mueser (21) zeigte, dass Intensiv         eine kurze Vorbereitung zum Krankheitsverständnis
               schied der Intervention gegen-           Case Management-Modelle die               der Depression und eine Anleitung, wie sie den Kon-
               über den ebenfalls gut versorg-          Krankenhausaufenthaltsdauer redu-         takt zu den Patienten aufrechterhalten und den Be-
               ten Kontrollgruppen verringert.          zieren, die soziale Versorgung insbe-     handlungsverlauf dokumentieren bzw. monitoren
           • Die Studien können z.T. keine              sondere für sog. „Vielnutzer-Patien-      sollen. Im Rahmen der hausärztlichen Behandlung
               präzisen Definitionen ihrer In-          ten“ verbessern und moderate Ver-         wird ihnen die Verantwortung übertragen, Kontakt
               terventionen darlegen, sodass            besserungen in der Symptomatik            zu den Studienpatienten zu halten (ggf. zu festge-
               insbesondere die Effekte der un-         der Patienten erreicht werden. Eine       legten Zeitpunkten die Patienten anzurufen, wenn
               terschiedlich intensiven Case            aktuelle Metaanalyse von Ziguras          der Kontakt zur Praxis unterbrochen ist), die Regel-
               Management Modelle relativiert           (45), die sich nicht nur wie die o.g.     mäßigkeit der Rezeptintervalle, Wahrnehmung der
               werden.                                  Arbeiten auf RCTs beschränkt, son-        Folgekonsultationen und v.a. eventueller Überwei-
           • Die Studien haben z.T. sehr un-            dern auch Fall-Kontroll-Studien ana-      sungen (insbesondere zur fachpsychiatrischen Mit-
               terschiedliche Patientengruppen          lysiert (44 Studien), zeigte, dass so-    behandlung) zu überwachen. Den Patienten sollen
               eingeschlossen. Die größte Pro-          wohl das Standard- als auch das in-       sie als Gesprächspartner z.B. über Symptome, Ne-
               bandengruppe waren Patienten             tensive Assertive Community Treat-        benwirkungen von Medikamenten bzw. Auffällig-
               mit schizophrenen Störungen,             ment-Modell eine Verbesserung der         keiten zur Verfügung stehen und sie auch aktiv zur
               sodass die Wirksamkeit des Case          Symptome, der sozialen Funktionen         Behandlungstreue motivieren. Nach jedem Patien-
               Managements bei anderen psy-             und der Patientenzufriedenheit so-        tenkontakt plante sie mit dem Hausarzt in einer
               chischen Störungen nur unzurei-          wie eine Reduktion der Kranken-           Kurzbesprechung das weitere Vorgehen.
               chend belegt werden kann.                hausaufenthaltsdauer, der Einwei-

                                                                                                           psychoneuro 2003; 29 (5)              231
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     Schwerpunkt

                    Konkretes Umsetzungs-                  seases is presented in its potentials for       vices by the chronic mentally ill – A utilisa-
                    modell für die hausärztliche           outpatient care. Its core-elements are:         tion analysis. Hosp Community Psychiatry
                                                                                                           1988; 39: 1276–1279
                    Versorgung depressiver                 Identification, assessment, planning,           15. Holloway F, Oliver N, Collins E et al. Case
                    Patienten                              coordination, and monitoring. The               Management – A critical review of the out-
                    Wesentliche Anforderungen an           models differ from their complexity:            comes literature. Eur Psychiatry 1995; 10:
                die primärärztliche Versorgung von         Standard-, strength- and intensive              113–128
                                                                                                           16. Kunz R, Ollenschläger G, Raspe H et al.
                Patienten mit Depression sind die          model. A critical analysis of reviews of
                                                                                                           Lehrbuch evidenzbasierte Medizin in Klinik
                Kontinuität der Versorgung, das            effectiveness indicates inconsistent            und Praxis. Köln, Deutscher Ärzte Verlag,
                strukturierte Monitoring des Krank-        results. The standard model has been            2000
                heitsverlaufes und die enge Koope-         recommended for a case management               17. Lamb HR. Young adult chronic patients
                                                                                                           – The new drifters. Hospital and Commu-
                ration mit fachärztlichen Kollegen         for the treatment of patients with De-
                                                                                                           nity Psychiatry 1982; 33: 456–468
                (11). Die o.g. Ergebnisse zeigen, dass     pression in general practices.                  18. Marshall M, Gray A, Lockwood A. Case
                für die Behandlung der psychiatri-                                                         Management for people with severe mental
                schen Erkrankungen Schizophrenie                                                           disorders. (Cochrane Review). The
                                                           Literatur                                       Cochrane Library, Issue 2. 2001, Oxford: Up-
                und Angststörungen ein intensives          1. Ahrens B, Linden M. Faktoren der Chro-       date Software, 2001
                Case Management erforderlich ist.          nifizierung von Depressionen. MMW 1991;         19. Marshall M, Lockwood A. Assertive
                Für die Depression liegen hingegen         133: 49–50                                      community treatment for people with se-
                außerdem Hinweise vor, dass schon          2. Anthony WA, Forbess R, Cohen MR. Re-         vere mental disorders (Cochrane Review) In:
                                                           habilitation orientated case management.        The Cochrane Library, Issue 4, Oxford, Up-
                ein primärärztlich geleitetes Stan-
                                                           In: Harris M, Bergman H. Case Management        date Software, 2002
                dard Case-Management effektiv ist.         for mentally ill patients – Theory and prac-    20. Moore S. A social work practice model
                    Anwendungsbeispiel für ein             tice. Langhorne PA, Harwood Academic Pu-        of case management – The case manage-
                hausarztpraxisbasiertes Case Mana-         blishers, 1993                                  ment grid. Social Work 1990; 35: 444–448
                                                           3. Antonovsky A. Salutogenese – Entmys-         21. Mueser KT, Bond GR, Drake RE et al. Mo-
                gement für Patienten mit Depres-
                                                           tifizierung der Gesundheit. Wiesbaden,          dels of care for severe mental illness – A re-
                sion ist die im Kasten beschriebene        DGVT-Verlag, 1987                               view of research on case management. Schi-
                Intervention einer in Kiel geplanten       4. Bernabei R, Landi F, Gambassi G, et al.      zophr Bull 1998; 24: 37–74
                Studie (11).                               Randomised trial of impact of model of inte-    22. Murray CJ, Lopez AD. Global burden of
                    Die Sicherung einer koordinier-        grated care and case management for older       Disease. Cambridge, MA. Harvard Univer-
                                                           people living in the community. BMJ 1998;       sity Press, 1996
                ten Patientenbetreuung auf den             316: 1348–1351                                  23. National Committee for Quality Assu-
                jeweiligen         Versorgungsstufen       5. Björkman T, Hansson L, Sandlund M.           rance, NCQA. Diskussionsentwurf für eine
                (Schnittstellenproblematik) kann           Outcome of case management based on the         Definition für „Case Management“. M. von
                durch die kontinuierliche und ver-         strength model compared to standard care        Korff     (persönliche      Kommunikation
                                                           – A randomised controlled trial. Soc Psychia-   15.10.02)
                trauensvolle Versorgung der haus-                                                          24. Naylor MD, Brooten D, Campell R et al.
                                                           try Epidemiol 2002; 37: 147–152
                ärztlichen Praxis geleistet werden.        6. Bodenheimer T, Wagner EH, Grumbach           Comprehensive discharge planning and
                Eine effektive Nutzung von Case Ma-        K. Improving primary care for patients with     home follow-up of hospitalised elders – A
                nagement in der Hausarztpraxis ge-         chronic illness. JAMA 2002; 288(14):            randomised clinical trial. JAMA 1999; 281:
                                                           1775–1779                                       613–620
                lingt, wenn es sich praktikabel in die
                                                           7. Coulter A, Elwyn G. What do patients         25. Norris SL, Nicols PJ, Caspersen CJ et al.
                alltäglichen Praxisabläufe integriert.     want from high quality general practice and     The effectiveness of disease and case mana-
                Dies kann durch die weitestmögliche        how do we involve them in improvement?          gement for people with diabetes – A syste-
                Anknüpfung an vorhandene Struktu-          Br J Gen Pract 2002; 52: 22–26                  matic review. Am J Prev Med 2002; 22:
                                                           8. Deitchman WS. How many case mana-            15–38
                ren bzw. deren Ergänzung erreicht
                                                           gers does is take to screw in a light club?     26. Peveler R, Carson A, Gray R. ABC of psy-
                werden. Die Rolle der Case Manage-         Hospital and Community Psychiatry 1980;         chological medicine – Depression in medi-
                rin bietet eine Qualifizierungsmög-        3: 788–789                                      cal patients. BMJ 2002; 325: 149–52
                lichkeit für das Praxisteam und ist        9. Ferguson JA, Weinberger M. Case ma-          27. Rapp CA. Theory, principles, and me-
                Grundlage für eine Neustrukturie-          nagement programs in primary care. J Gen        thods of strength model of case manage-
                                                           Intern Med 1998; 13: 123–126                    ment. In: Harris M, Bergman H et al. Case
                rung der praxisinternen Arbeitsab-                                                         Management for mentally ill patients –
                                                           10. Freeman J. Can ACT take off? Ment
                läufe. Mit Einführung solcher Struk-       Health Nurs 2000; 20: 124–131                   Theory and Practice. Langhorne PA, Har-
                turen kann die Hausarztpraxis die an       11. Gerlach FM, Gensichen J, Aldenhoff J et     wood Academic Publishers, 1993
                sie gestellten Anforderungen für eine      al. Hausarztbasiertes Case Management zur       28. Rolands C, Kapur N et al. Determinants
                                                           Behandlung von Patienten mit Major De-          of consultation rate in patients with anxiety
                gute Versorgung von chronisch er-
                                                           pression Teilprojekt A. BMBF Hauptantrag        and depressive disorders in primary care.
                krankten Patienten erfüllen.               Qualitätsförderung und strukturierte Ver-       Fam Pract 2002; 19: 23–28
                                                           sorgung Kiel, 2002.                             29. Sachverständigenrat für die Konzer-
                Summary                                    12. Gibson PG, Coughlan J, Wilson AJ et al.     tierte Aktion im Gesundheitswesen. Be-
                Shortcomings in outpatient care such       Self-management education and regular           darfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit.
                                                           practitioner review for adults with asthma      Bd. III, Über-, Unter- und Fehlversorgung.
                as discontinuous and uncoordinated         (Cochrane Review). In: The Cochrane Lib-        Berlin, 2001
                care of patients with mental-health        rary, Issue 3. Oxford, Update Software, 2001    30. Schleuning G, Welschehold. Modellpro-
                problems are exemplarily perceptible       13. Gournay K. Role of the community psy-       jekt psychiatrisches Case Management.
                in patients suffering from depression.     chiatric nurse in management of schizo-         Schriftenreihe des Bundesministerium für
                                                           phrenia. Advances in Psychiatric Treatment      Gesundheit. Bd. 133, Baden-Baden, 2000
                Case management as a situation-con-                                                        31. Schüffel W, Brucks U, Johnen R et al.
                                                           2000: 6: 243–251
                ducted and continuous supply of me-        14. Harris M, Bergmann HC. Misconcepti-         Handbuch der Salutogenese – Konzept und
                dical care for patients with chronic di-   ons about the use of case management ser-       Praxis. Wiesbaden, Ullstein Medical, 1998

     232        psychoneuro 2003; 29 (5)
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           32. Simon G, Ormel J. Health care costs as-
           sociated with depression and anxiety disor-         Psychiatrie und Psychotherapie
           ders in primary care. Arch Gen Psychiatry
           1995; 52: 850–856
           33. Stein LI, Test MA. The evolution of the     Gastpar M, Kasper S, Linden M (Hrsg):      ändert am häufigsten verordnete
           training in the community living model.         Psychiatrie und Psychotherapie, 2. voll-   Nootropikum, wird nur beiläufig er-
           New Dir Mental Health Serv 1985; 26: 7–16       ständig neu bearbeitete Auflage. 468       wähnt, Galantamin überhaupt nicht.
           34. Sullivan WP. Reclaiming the community
                                                           Seiten. Springer – Verlag Wien New         Die Wirksamkeit von Valproat ist nur
           – The strength perspective and desinstitu-
           tionalization. Social Work 1992; 37:            York, ISBN 3–211–83576–8, € 37,20          für die Akutbehandlung der Manie
           204–209                                                                                    gut belegt (wenn auch nicht zugelas-
           35. Surels R, Blanch AK, Shern DL et al. Case        ie psychischen Krankheiten            sen), nicht aber für die Phasenprophy-
           management as a strategy for system
           change. Health Affairs 1992; 11: 151–163
                                                           D    gehören zu den häufigsten Krank-
                                                           heiten überhaupt. Rund ein Viertel
                                                                                                      laxe. Die Kapitel decken nicht nur das
                                                                                                      gesamte Spektrum psychischer
           36. Test MA. Training in community living.
           In: Liberman RR (Hrsg.). Handbook of psy-       der Klientel des Hausarztes leidet         Krankheiten einschließlich umfang-
           chiatric rehabilitation. New York, Mac Millan   primär an psychischen Störungen.           reicher Ausführungen zu den Beson-
           Press, 1992                                     Zum Beispiel rund 80 Prozent der De-       derheiten im Kindes- und Jugendalter
           37. Thompson KS, Griffith E, Leaf PJ. A hi-
           storical review of the Madison model of
                                                           pressionen und Angstkrankheiten            umfassend ab, sondern informieren
           community care. Hosp Community Psychia-         werden vom Hausarzt behandelt. Fast        auch über die Rechtsgrundlagen in al-
           try 1991; 3: 125–134                            jegliches ärztliches Handeln verlangt      len deutschsprachigen Ländern. Kom-
           38. v. Korff M, Goldberg D. Improving out-      zumindest       psychotherapeutische       primierte und dennoch sorgfältige
           comes in depression – The whole process of
                                                           Grundkompetenzen. Über 50 Prozent          Darstellungen der Psychopharmako-
           care needs to be enhanced. BMJ 2001; 323:
           948–949                                         der Psychopharmaka werden von              therapie, Psychotherapie, physikali-
           39. Vermeire E, Hearnshaw H, v.Royen P et       Ärzten verordnet, die über keine spe-      scher Therapieformen und der immer
           al. Patient adherence to treatment: three       zifische Weiterbildung im psychiat-        wichtiger werdenden Soziotherapie
           decades of research – A comprehensive re-
                                                           risch-nervenärztlichen Fachgebiet          und Rehabilitation runden das Buch
           view. J Clin PharmTher2001; 26: 331–342
           40. Wagner EH, Glasgow RE, Davis C et al.       verfügen. Vor diesem Hintergrund ist       ab. Es liefert nicht nur dem Lernenden
           Quality improvement in chronic care – A         es unverzichtbar, bereits im Studium       das unverzichtbare Grundwissen,
           collaborative approach. Jt Comm J Qual Im-      eine solide Wissensbasis zu legen.         sondern auch dem Prüfenden eine
           prov 2001; 27: 63–80                            Hierzu leistet dieses Buch einen ex-       Hilfe, Pflicht von Kür zu unterschei-
           41. Ward MD, Rieve JA. The role of case ma-
           nagement in disease management. In: Todd
                                                           zellenten Beitrag. Nachdem die He-         den. Prägnant formulierte Margina-
           WE, Nash E et al (Hrsg.). Disease manage-       rausgeber ausdrücklich zur Rückmel-        lien erleichtern die Orientierung und
           ment – A system approach to improve pati-       dung einladen: kleinere Schönheits-        die Rekapitulation. Das Werk hat die
           ent outcomes. Chicago, American Hospital        fehler sind unvermeidbar. Die Le-          grenzüberschreitende Verbreitung im
           Publishing Inc., 1997
                                                           gende von Abbildung 3-2 verspricht         gesamten deutschsprachigen Raum
           42. Weick A, Rapp C, Sullivan WP, et al. A
           strength perspective for social work prac-      deutlich mehr als die Abbildung            verdient.
           tice. Social Work 1989; 34: 350–354             selbst hält. Ginkgo biloba, das unver-             Prof. Dr. Jürgen Fritze, Pulheim
           43. Wendt WR. Case Management – Stand
           und Positionen in der Bundesrepublik. In:
           Löcherbach P et al (Hrsg.). Case Manage-
           ment – Fall- und Systemsteuerung in Theo-
           rie und Praxis. Neuwied Kriftel, Luchter-           Vorsicht Test
           hand, 2002
           44. Wittchen HU. Die Studie Depression          Berth H, Balck F (Hrsg): Psychologische Tests     und Auswertung beziffert, Testvalidität und
           2000. Eine bundesweite Depressions-Scree-
           ning-Studie in Allgemeinarztpraxen. MMW         für Mediziner. 332 Seiten. Springer-Verlag        -reliabilität kritisch kommentiert, Normie-
           Fortschr d Med 2000; 118 (suppl.1): 1–3         Berlin – Heidelberg – New York, 2003, ISBN        rungsstichprobe und damit zusammenhän-
           45. Ziguras SJ, Stuart GW. A meta-analysis      3–540–43503–4, € 34,95                            gender Gültigkeitsbereich beschrieben und
           of the effectiveness of mental health case                                                        die Einsatzmöglichkeiten diskutiert. Die be-
           management over 20 years. Psychiatr Serv
                                                                uantifizierbare Parameter in der Versor-     sprochenen Verfahren decken die Testberei-
           2000; 51(11): 1410–1421
           46. Zitter M. A new paradigm in health care
           delivery disease management. In: Todd WE,
                                                           Q    gung psychisch Kranker tatsächlich
                                                           auch quantitativ abzubilden, spielt bisher im
                                                                                                             che Intelligenz, Leistung, Persönlichkeit, Le-
                                                                                                             bensqualität, Psychopathologie, Psychia-
           Nash E et al (Hrsg.). Disease management a      Alltag (leider) keine allzu große Rolle. Das      trie/Psychotherapie, Beschwerden/Befind-
           system approach to improving outcomes.
                                                           wird sich in der Zukunft ändern, spätestens       lichkeit, Angst und Depressionen, Schmerz,
           Chicago, American hospital publishing Inc.,
           1997                                            wenn ab dem Jahr 2005 in zwei jährlichen          Gesundheits- und Krankheitsverhalten, Al-
                                                           Abständen jedes Krankenhaus einen Qua-            koholismus, Körperbild/Körpererleben, Es-
                                                           litätsbericht wird publizieren müssen. Vor        sverhalten, Neuropsychologie, Zuckerkrank-
           Korrespondenzadresse
           Jochen Gensichen
                                                           diesem Hintergrund ist die kritische Be-          heit, Tinnitus und einige weitere ab. Etwas
           (Dr. med., Dipl.-Päd., FA Allgemeinmedizin)     schreibung von insgesamt 121 psychologi-          bedauerlich – wenn auch nachvollziehbar –
           Institut für Allgemeinmedizin, Universitäts-    schen Testverfahren in diesem Buch ausge-         ist, dass nur Selbstbeurteilungsverfahren
           klinikum Schleswig-Holstein - Campus Kiel,      sprochen willkommen. Die Testinhalte jedes        abgehandelt werden. Zweifellos auch für
           Arnold-Heller-Str. 8
                                                           Verfahrens werden beschrieben, mit Bei-           den Arzt ist das einführende Kapitel über
           24105 Kiel
           E-mail:                                         spielitems illustriert, die Zielgruppe be-        Testgütekriterien als Repetitorium sehr hilf-
           gensichen@allgemeinmedizin.uni-kiel.de          nannt, der Zeitaufwand nach Durchführung          reich.           Prof. Dr. Jürgen Fritze, Pulheim

                                                                                                                psychoneuro 2003; 29 (5)               233
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