INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
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INFO Fachbereich Sport Regierungspräsidium Karlsruhe • Abteilung 7 Schule und Bildung Ausgabe 2017 Heft 45 REGIERUNGSPRÄSIDIUM KARLSRUHE
Schwerpunktthema: Mehrperspektivischer Sportunterricht HERausgeber IMPRESSUM/INHALTSVERZEICHNIS Vorwort 2 Regierungspräsidium Karlsruhe Abteilung Schule und Bildung Leitartikel: Mehrperspektivischer Sportunterricht – Faktum oder Fiktion? 3 Prof. Peter Neumann, Institut für Gesellschaftswissenschaften Fachbereich Fachbereich Sport Sportwissenschaft/Sportpädagogik, Pädagogische Hochschule Heidelberg Aus den Schulen Schüler werden Spielexperten und entwickeln kreative Sportspiele 9 mit Alltags- und Recyclingmaterialien zusammenstellung und Dr. Hans-Christian Kleppel, Ludwig–Marum–Gymnasium Pfinztal redaktion Tanzen mit Jungs!? – Es lohnt sich! Hip Hop in der Schule 15 Frank Hoffmann Otto Adolf, Friedrich-List-Schule Karlsruhe (Berufliches Gymnasium) Peter Reich Manfred Reuter Leistungsentwicklung im Schulsport erfahrbar machen 17 Christian Mahnke, Johanna-Geissmar-Gymnasium Mannheim Leichtathletik-Sportfest an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule Weinheim 21 Petra Odenwald, Dietrich-Bonhoeffer-Schule Weinheim druck und gestaltung Aus den Seminaren Regierungspräsidium Karlsruhe Sportunterricht mit inklusiven Klassen 23 Klaus Lipinski, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) Karlsruhe DSLV Unterrichtsbeispiele für den Schulsport Jahrgang 2016 29 www.rpk-sport.de Jugend trainiert für Olympia Top-Platzierungen für das Ludwig-Frank-Gymnasium Mannheim 30 beim Bundesfinale in Berlin Tobias Kehret, Ilona Werner und Pierre Banek, Ludwig-Frank-Gymnasium Mannheim Spitzensportler in der Schule Pascal Kleyer - großes Nachwuchstalent über die Mittelstrecke am 32 Otto-Hahn-Gymnasium Karlsruhe Georg Zwirner, Otto-Hahn-Gymnasium Karlsruhe Rechtsfragen Organisatorische und rechtliche Fragen zum Sportunterricht 33 Aktuelle Informationen Das Thadden wird versetzt – Zertifizierung als „Bewegte Schule“ 35 Kinderleichtathletik - neues Konzept des Deutschen 36 Leichtathletik-Verbandes (DLV) Redaktionsschluss Aufruf zur Teilnahme an den Bundesjugendspielen 2016/2017 37 Heft 2018 15. November 2017 Fortbildungen Sport im 2. Schulhalbjahr 2016/2017 38 Matthias Harbarth, neuer Fachberater Sport (Gymnasien) 39 Kongress „Wie bringen wir Kinder in Schwung?“ 39 Buchvorstellung Praxisorientierte Biomechanik im Sportunterricht - vom Tun zum Verstehen 40 Dr. Axel Schnur, Gymnasium Karlsbad und Prof. Dr. Hermann Schwameder, Universität Salzburg Bewegungspausen – mit Bewegung durch den Schulalltag 41 Caroline Handtmann, Hardt Grundschule Karlsruhe und Reinhard Horn, Kinderliedermacher 2017 INFO-Fachbereich Sport 1
Vorwort vorwort Mehrperspektivischer Sportunterricht Die Mehrperspektivität im Sportunterricht ist eine zentrale Matthias Harbarth vom Werner-Heisenberg-Gymnasium Forderung im neuen Bildungsplan an allen allgemein bilden- Weinheim wird neuer Fachberater Sport und folgt Rolf Bader den Schulen in Baden-Württemberg, der in den ersten und (Dietrich-Bonhoeffer-Schule Weinheim) nach, der mit viel zweiten Klassen der Primarstufe sowie den 5. und 6. Klas- Lob und Dank für seine Arbeit und für sein jahrzehntelanges sen der weiterführenden Schulen bereits gilt und somit zur Engagement für den Schulsport in den wohlverdienten Ru- Anwendung kommen sollte. Für viele Sportlehrkräfte ist das hestand verabschiedet wurde. eine neue Herausforderung, obwohl diese Mehrperspektivi- Wir wünschen Matthias Harbarth viel Erfolg bei der neuen tät mit Abstrichen bereits Bestandteil eines anspruchsvollen Aufgabe! Vielen Kolleginnen und Kollegen dürfte er bereits Sportunterrichts war und ist - ob bewusst oder unbewusst, als Lehrbeauftragter für das Fach Sport am Staatlichen Se- sei dahin gestellt. Was Lehrkräfte an den verschiedenen minar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) Heidel- Schularten darunter verstehen bzw. wie sie dies umsetzen berg bekannt sein, wo er seit 2010 Referendare für den und wie konkret ein mehrperspektivischer Sportunterricht Schuldienst ausbildet. Mehr über Matthias Harbarth und aussehen könnte, ist das Thema unseres Leitartikels „Mehr- auch darüber, dass die Elisabeth-von-Thadden-Schule Hei- perspektivischer Sportunterricht – Faktum oder Fiktion?“ delberg 2016 als eine weitere „WSB-Schule“ zertifiziert von Prof. Peter Neumann. wurde, ist in der Rubrik „Aktuelle Informationen“ nachzule- Die Beiträge in der Rubrik „Aus den Schulen“ zeigen anhand sen. von vier unterschiedlichen Beispielen, wie Sportunterricht An allen Schulen im Land wächst der Anteil an Schülerinnen oder schulische Sportveranstaltungen unter der Berücksich- und Schülern mit Migrationshintergrund. Nicht wenige tigung der Mehrperspektivität zur Kompetenzförderung der Sportlehrkräfte sind in diesem Zusammenhang verunsi- teilnehmenden Schülerinnen und Schüler gestaltet bzw. or- chert, wie in bestimmten Situationen mit muslimischen ganisiert werden kann. Das gilt insbesondere für den Artikel Schülerinnen und Schülern umzugehen ist. In der Rubrik „Schüler werden Spielexperten und entwickeln kreative „Rechtsfragen“ wird an drei in der Praxis vorkommenden Sportspiele mit Alltags- und Recyclingmaterialien“. Dass die Fällen aufgezeigt, welchen Spielraum wir Unterrichtende im Vermittlung von modernen Tanzstilen wie dem Hip Hop auch Fach Sport haben. Darüber hinaus gibt es Antworten auf Fra- Jungen in der Sekundarstufe 2 großen Spaß bereiten kann, gen zur Klassengröße und zur Rettungsfähigkeit im Schwim- beweist ein Kollege der Friedrich-List-Schule in Karlsruhe. men sowie zur Freistellung vom Sportunterricht aus Krank- Gerade dieser Bereich bietet ein großes Potential, mit Per- heits- oder Verletzungsgründen. spektivwechseln im Sportunterricht zu arbeiten. „Leistungs- Bei den beiden vorgestellten Büchern geht es in einem Fall entwicklung im Schulsport erfahrbar (zu) machen“ stellt eine um die Biomechanik im Sportunterricht, in die die beiden Au- weitere pädagogische Perspektive dar, wie es am Johanna- toren Dr. Axel Schnur und Prof. Hermann Schwameder ei- Geissmar Gymnasium Mannheim praktiziert wird. Mit der nen Einblick liefern, wobei die Verknüpfung zwischen Theo- „Kinderleichtathletik“ verfolgt der DLV ein neues Vermitt- rie und Sportpraxis im Vordergrund steht. Im anderen Fall lungskonzept, das an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule Wein- geht es um die Gestaltung von Bewegungspausen an Grund- heim bei ihrem Leichtathletik-Sportfest umgesetzt wird (sie- schulen im Unterricht abseits der Sporthalle mit musika- he auch Hinweis in der Rubrik „Aktuelle Informationen“). lischer Unterstützung. Zu diesem Zweck hat sich Caroline Angesichts einer zukünftig eher zunehmenden Zahl an Inklu- Handtmann vom Regionalteam Sport am SSA Karlsruhe mit sionskindern an allgemeinbildenden und beruflichen Schu- dem Kinderliedermacher Reinhard Horn zusammengetan. len ist es wichtig, bereits in der Ausbildung neuer Lehrkräfte Uns Redakteuren war es bei der Zusammenstellung dieser darauf methodisch und didaktisch vorzubereiten wie am Ausgabe eine Freude, mit Autoren zusammenarbeiten zu Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymna- können, die auf uns aktiv zugegangen sind, um ihre Unter- sien) in Karlsruhe. Ohne einen mehrperspektivischen Ansatz richtsideen hier in der Sport-INFO vorstellen zu können. An- kommt man hier nicht weit. So ist es erfreulich, dass junge gesichts der nicht unerheblichen Belastung für uns Pädago- Lehrkräfte sich auf diesem Feld des mehrperspektivischen ginnen und Pädagogen, in zunehmendem Maß auch abseits Sportunterrichts bereits probieren, wie so manches Unter- des Unterrichts, unserem eigentlichen Kerngeschäft, ist das richtsbeispiel 2016 zeigt (siehe Rubrik „DSLV“). eine großartige zusätzliche Leistung im Bereich des Ehren- „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, war der Schlachtruf amts. Wir wünschen uns auch für die Zukunft Kolleginnen gleich dreier Teams unterschiedlicher Sportarten des LFG und Kollegen, die ihre Erfahrungen mit anderen teilen möch- Mannheim, die sich für das Bundesfinale beim Wettbewerb ten und mit ihren Artikeln die Sport-INFO als Veröffentli- „Jugend trainiert für Olympia“ qualifiziert hatten und mit chungsplattform nutzen. Interessante Beiträge zum Thema hervorragenden Ergebnissen wieder nach Hause fuhren, Schulsport sind uns immer willkommen. wie im Artikel in dieser Rubrik nachzulesen ist. In der Rubrik „Spitzensportler in der Schule“ erfährt der Le- ser von Pascal Kleyer, einem großen Nachwuchstalent auf der 800m-Mittelstrecke am Otto-Hahn-Gymnasium Karlsru- he, u.a. wie sich Schule und Leistungssport vereinbaren las- Die Redaktion sen. 2 INFO-Fachbereich Sport 2017
Mehrperspektivischer Sportunterricht – Faktum leitartikel oder Fiktion ? Prof. Peter Neumann, Institut für Gesellschaftswissenschaften Fachbereich Sportwissenschaft/Sportpädagogik, Pädagogische Hochschule Heidelberg Mehrperspektivischer Sportunterricht gewichtige Funktion auf, die Mehrper- sium, 2004, S. 300). Welche Perspekti- feiert – von vielen vermutlich unbe- spektivität im neuen Bildungsplan ven allerdings genau gemeint waren, merkt – im Jahr 2017 seinen vierzigs- (2016) übernehmen soll, um vor die- blieb ein wenig im Dunkeln, auch wenn ten Geburtstag. Seit seiner Einführung sem Hintergrund nach möglichen Dif- auf derselben Seite einige perspekti- und Etablierung im fachdidaktischen ferenzen zu fragen, die sich mit Blick vennahe Kompetenzformulierungen zu Diskurs Mitte der 1970er Jahre durch auf die alltägliche Auslegung mehrper- finden waren. Ehni (1977) und Kurz (1977) genießt spektivischen Sportunterrichts durch dieser ein hohes und ungebrochenes Sportlehrkräfte in Baden-Württemberg Im Bildungsplan 2016 werden folgende Ansehen - sowohl innerhalb der Fach- ergeben. Bezug genommen wird auf pädagogische Perspektiven benannt didaktik als auch bundesweit in den eine qualitative Interviewstudie, die im und knapp beschrieben: Curricula des Sportunterrichts. Sommer 2016 realisiert wurde. Ausbli- ckend stelle ich eine modifizierte Aus- Stand anfänglich das Motiv im Vorder- legung mehrperspektivischen Sportun- • W ahrnehmungsfähigkeit verbessern grund, den Sportunterricht mit Hilfe terrichts zur Diskussion. und Bewegungserfahrungen erwei- von sechs Sinngebungen vielfältiger tern und für ein lebenslanges Sporttreiben Mehrperspektivität im aktuellen • Das Leisten erfahren und reflektieren anschlussfähiger zu machen, wird mit Bildungsplan (2016) • Sich körperlich ausdrücken und Be- dem mehrperspektivischen Sportun- Sowohl im Bildungsplan 1994 als auch wegungen gestalten terricht heute eine stärkere pädagogi- im Bildungsplan 2004 wurde schon Be- • Etwas wagen und verantworten sche Akzentuierung des Sportunter- zug genommen auf einen mehrper- • Gemeinsam handeln, wettkämpfen richts verbunden (vgl. Balz & Neu- spektivischen Sportunterricht. Standen und sich verständigen mann, 2015) und in diesem Zuge wird im Bildungsplan 1994 die Handlungs- • Gesundheit verbessern und Gesund- eine auf den Perspektivenwechsel ab- perspektiven von Ehni (Erkunden, heitsbewusstsein entwickeln2 zielende Unterrichtsgestaltung favori- Üben, Trainieren, Spielen, Wettkämp- siert, um fruchtbare Bildungsmomente fen) im Vordergrund, fanden Lehrkräfte zu ermöglichen (vgl. Balz, i. Dr.). Im im Bildungsplan 2004 folgenden Hin- Diese Perspektiven sollen – so die In- Mittelpunkt steht - nach wie vor - die weis: „In einem mehrperspektivischen tention im Bildungsplan – ein sichtbarer Idee einer mehrperspektivischen Sach Sportunterricht werden den Schüle- pädagogischer Anspruch und Akzent erschließung, d. h. einen ausgewählten rinnen und Schülern die verschiedenen des Sportunterrichts sein und „das pä- Gegenstand des Sportunterrichts aus Sinnrichtungen des sportlichen Han- dagogische Potenzial des Faches Sport wechselnden (unterschiedlichen) Pers- delns zugänglich gemacht und mit ihrer (bilden)“ (Bildungsplan Sport – Sekun- pektiven zu thematisieren.1 persönlichen Erfahrungs- und Erlebnis- darstufe 1, 2016, S. 8). Im Unterschied Der folgende Beitrag zeigt zunächst die welt verknüpft“ (Bildungsplan Gymna- zum Bildungsplan 2004 treten die pä- dagogischen Perspektiven – zumin- dest auf dem Papier – damit deutlich stärker in Erscheinung und sie haben die Funktion, den kompetenzförder- lichen Sportunterricht zu konturieren. Kompetenzförderung wird dabei recht komplex gedacht: Es geht um das Zu- sammenspiel prozessbezogener Kom- petenzerwartungen (Bewegungs-, Per- sonal-, Sozial- und Urteilskompetenz) mit inhaltsbezogenen Kompetenzer- wartungen. Letztere werden auf die im Schulsport vielerorts üblichen Bewe- gungsfelder bezogen (z. B. Spielen; Laufen – Springen – Werfen; Bewegen an Geräten etc.) und auf drei „Ebenen“ abgebildet: motorisch, kognitiv/reflexiv und kreativ/gestalterisch3 Wie die perspektivische Abstimmung und Rahmung dieses kompetenzorien- Foto 1: m Sportunterricht neue Perspektiven eröffnen: Wahrnehmungsfähigkeit verbessern und Bewegungserfahrungen erweitern tierten Sportunterrichts konkret ausse- 2017 INFO-Fachbereich Sport 3
hen soll, wird im Bildungsplan (2016) nicht geklärt. Interessierte Sportlehr- leitartikel kräfte bekommen nur knappe Informa- tionen zur unterrichtlichen Gestaltung: „Die didaktische Umsetzung erfolgt durch einen mehrperspektivisch ange- legten Sportunterricht, welcher sich entweder aus Unterrichtsvorhaben zu- sammensetzt, die Perspektiven an un- terschiedlichen Inhalten akzentuieren, oder solchen, in denen ein Inhalt unter verschiedenen Perspektiven zum Un- terrichtsgegenstand wird“ (S. 8). Zudem werden in den Übersichtsdar- stellungen zur Vermittlung der Inhalts- bereiche bestimmte pädagogische Perspektiven vorgeschlagen. Bei- spielsweise finden sich im Wahlpflicht- bereich „Fahren, Rollen, Gleiten“ für die Klassen 7/8 die Perspektiven Foto 2: Im Sportunterricht neue Perspektiven eröffnen: etwas wagen und verantworten „Wahrnehmungsfähigkeit verbessern und Bewegungserfahrungen erwei- Mehrperspektivität in der unterschiedlichen Alters, die an unter- tern“ sowie „etwas wagen und verant- Wahrnehmung von Sport- schiedlichen Schulformen in Baden- worten“. Eine Begründung für diese lehrkräften Württemberg tätig sind. Die Interviews perspektivische Auswahl und ein Bei- Mehrperspektivischer Sportunterricht wurden von Studierenden eines Haupt- spiel für eine perspektivische Unter- war in der Fachdidaktik bislang über- seminars geführt und nach vereinfach- richtsgestaltung finden sich hier nicht. wiegend Gegenstand hermeneu- ten Transkriptionsregeln verschriftet. tischer Forschung. Empirische Studien Die Interviews dauerten zwischen 20- Halten wir fest: Mehrperspektivischer zur mehrperspektivischen Gestaltung 40 Minuten. Umfangsbedingt fokus- Sportunterricht soll den Sportlehrkräf- des Sportunterrichts sind rar. Aktuell siere ich nachfolgend vier Ergebnisse. ten im Bildungsplan 2016 als ein didak- liegen Untersuchungen von Böttcher tisches Unterrichtskonzept dienen, mit (2016; 2014) zur Umsetzung der päda- Der Leitfaden beinhaltet offene Fragen dessen Hilfe die Beachtung und Um- gogischen Perspektive „etwas wagen zur Kenntnis, zum Verständnis, zur Ak- setzung des schulischen Doppelauf- und verantworten“ im Sportunterricht zeptanz und zur Relevanz von Mehrper- trages anvisiert wird (vgl. Baur-Fettah, und von Hapke (2016) bzw. Hapke und spektivität für die Planung, die Durch- Renz & Köhler, 2015, S. 83). Damit soll Sygusch (2014) zu den Perspektiven führung sowie für die Auswertung von die Breite der pädagogischen Förde- „Miteinander“ und „Leistung“ vor. Sportunterricht. Darüber hinaus wird rungsmöglichkeiten im Sportunterricht Des Weiteren existieren etwas ältere nach Schwierigkeiten bei der Umset- deutlich gemacht und eine Verbindung Untersuchungsergebnisse von Schmoll zung sowie nach Vorschlägen gefragt, mit den Kompetenzerwartungen be- (2004) zum Planungshandeln von Sport wie eine Verbreitung mehrperspekti- tont werden. Allerdings ist fraglich, referendaren unter der Berücksichti- vischen Sportunterrichts in der schu- was Sportlehrkräfte unter Mehrper- gung der pädagogischen Perspektiven lischen Praxis unterstützt werden kann. spektivität verstehen und wie sie in Nordrhein-Westfalen. Abschließend beschreiben die Lehr- mehrperspektivischen Sportunterricht kräfte in einer Bilanz den didaktischen auslegen und verfolgen. Im Folgenden stelle ich ausgewählte Er- „Mehrwert“, den sie ihrer Meinung gebnisse meiner qualitativen Interview- nach mit dem mehrperspektivischen studie zur Wahrnehmung von Mehrper- Sportunterricht verbinden. spektivität im Sportunterricht vor. Be- fragt wurden Sportlehrkräfte (N = 11) Geschlecht W: 1 / M: 10 Alter 21-30 31-40 41-50 51-60: 61- ... 2 5 1 3 - Dienstjahre 1-10 11-20 21- ... 4 4 3 Schule Grund- Haupt- Real- Gymnasi- Sonderpädago- Gemein- Gesamtschule schule schule schule um gisches schaftsschu- (GesamtS) (GS) (HS) (RS) (Gy) Förderzentrum (SFZ) le 1 1 1 5 1 1 (GemS) 1 Abb. 1: Überblick über die interviewten Sportlehrkräfte 4 INFO-Fachbereich Sport 2017
1. Mehrperspektivität ist für die gen“ könne und deshalb „muss {man} Leistungsperspektive: „Klar achtet Sportlehrkräfte keine unbekannte den Schülern dann auch mal andere man darauf, dass die Schüler etwas lei- leitartikel Größe Möglichkeiten geben, sich sportlich zu sten müssen im Sportunterricht, aber Um die befragten Sportlehrkräfte im In- betätigen“ (V_SFZ_3). es gibt ja auch andere Perspektiven, terview nicht vor den Kopf zu stoßen, warum man Sport treiben kann“ (z. B. sollten sie nach zwei einleitenden Fra- Neben Leistung finden vor allem das Miteinander, Ausdruck) (V_SFZ_1). gen zu den momentan unterrichteten soziale Miteinander (Kooperation) und Sport – so eine andere Lehrkraft – sei Themen darlegen, ob und wo ihnen der das „Wagnis“ Beachtung und Erwäh- doch eben mehr „als eine technische Begriff „mehrperspektivischer Sport- nung. Interessant ist in diesem Zusam- Fertigkeit“ (III_GS_2) und folglich sei unterricht“ schon einmal begegnet ist. menhang, dass einige Lehrkräfte ge- nicht nur die sportmotorische Leistung, schlechterbezogen und altersbezogen sondern auch Gemeinsamkeit wichtig Von 10 der 11 Befragten werden Be- argumentieren. Beispielsweise diffe- (IX_HS_2; vgl. auch IX). Trotz solcher griff und Idee erinnert. Im Mittelpunkt renziert ein Sportlehrer in „Jungenklas- Relativierungen gelte jedoch, die „old stehen die Sinnperspektiven von Kurz, sen“ und „Mädchenklassen“ und school Leistungsperspektive“ nicht aber nicht die pädagogischen Perspek- nennt für Jungenklassen die Perspekti- gleich zu „verteufeln“ (VI_RS_1). tiven des Bildungsplans oder die Hand- ven Miteinander, Wagnis, Leistung und lungsperspektiven von Ehni. Das Studi- Gesundheit (IV_GemS_3). Zweitens verbinden einige Sportlehr- um ist der zentrale Ort der Wissensver- kräfte mit dem mehrperspektivischen mittlung. Daneben werden genannt: Alter und Entwicklungsstand der Schü- Sportunterricht eine inhaltliche Offen- das Referendariat (3), Fortbildung (1) lerinnen und Schüler werden von eini- heit: Mehrperspektivischer Sportunter- und Bildungsplan (1). Insgesamt kön- gen Lehrkräften als leitendes Kriterium richt ermögliche es, „querbeet mög- nen - bis auf einen Sportlehrer - alle Be- für die Perspektivenwahl genannt. Et- lichst viele Dinge abzudecken“ (VIII_ fragten mit der Bezeichnung „mehr- was vereinfachend gesagt, werden all- RS_1), möglichst viele verschiedene perspektivischer Sportunterricht“ ei- tagspragmatisch und mit einem gewis- Sportarten „zu machen“ (VIII_RS_1); nen didaktischen Ansatz verbinden. sen Plausibilitätsanspruch für die Klas- als Beispiel nennt dieser Sportlehrer sen 5 und 6 besonders das Miteinan- die bei vielen Schülerinnen und Schü- 2. Sportlehrkräfte orientieren sich der neben der Leistung als wichtige lern unbekannte Sportart „Ultimate“ hauptsächlich an der Leistungsper- Perspektiven angesehen (VI_RS_2); in (VIII_RS_1). Diesem Verständnis nach spektive den Klassen 7-9 gelten Leistung und (andere Inhalte = Mehrperspektivität) Das Hervorbringen und Steigern moto- Ausdruck als wichtig („Körper“, bietet ein mehrperspektivischer Sport- rischer Leistungen kann als traditionel- „Kraft“, „Kondition“) und in den höhe- unterricht Lehrkräften die Option, weg ler Kern des Sportunterrichts verstan- ren Klassen vor allem Gesundheit (I_ zu kommen „von den klassischen den werden, der für viele Sportlehr- Gy_3).4 Sportarten“ (IX_HS_3). Beispielsweise kräfte und Schülerinnen und Schüler könne man beim Turnen auf dem Mini- sinnstiftend ist. In einem mehrper Insgesamt dient „Leistung“ den Lehr- trampolin neben klassischen Sprüngen spektivischen Sportunterricht sollen je- kräften als wichtigste Perspektive für auch „Style-Wettbewerbe“ durchfüh- doch noch weitere Lernleistungen er- den Sportunterricht, wobei einige Lehr- ren. bracht werden. Um etwas über die per- kräfte diese Orientierung für ihren Un- spektivische Breite des Sportunter- terricht und mit Blick auf das Alter der Drittens legen einige Sportlehrkräfte richts zu erfahren, haben wir die Sport- Schülerinnen und Schüler relativieren: die mehrperspektivische Idee so aus, lehrer gefragt, welche Perspektive(n) „Leistung ist nicht an erster Stelle bei dass ihnen damit die Möglichkeit gege- ihnen im Sportunterricht besonders mir“ (XI_GesamtS_3). Allerdings ma- ben wird, sich „eigene Schwerpunkte“ wichtig sind? chen die Antworten der Befragten uni- zu setzen (III_GS_1). Die Perspektiven sono deutlich, dass der genuine An- – so eine Sportlehrerin – geben ihr die Tenor ihrer Antworten ist, dass Leis- spruch der pädagogischen Perspekti- Möglichkeit „von diesem fertigkeitsori- tung trotz einiger Relativierungen - ve, Leistungen im Sport zu verstehen entierten Modell wegzukommen“ (III_ nach wie vor – als zentrale Perspektive und zu reflektieren, wenig Beachtung GS_2). Genutzt werden im Sportunter- des Sportunterrichts angesehen wird. findet. richt „gruppendynamische Dinge, sozi- So wird in allen Aufzählungen der Lehr- ales Miteinander, dann der Gesund- kräfte Leistung genannt und manchmal 3. Unter Mehrperspektivität ver- heitsaspekt“ (I_Gy_2). Erwähnung fin- auch gewichtet: Ein „Großteil geht na- stehen die Lehrkräfte einen offe- det darüber hinaus auch der „Wagnis- türlich immer noch auf Leistung“, wo- nen Ansatz bereich“ im Rahmen einer Kletter-AG bei auch das Miteinander „wichtig“ sei Aus fachdidaktischer Sicht ist es inte- (I_GX_2). In dieser Vielfalt sehen Lehr- (IX_HS_3). Ein anderer sagt: „Nach ressant zu sehen, in welcher Weise die kräfte eine wichtige Voraussetzung für wie vor ist der Leistungsbereich der befragten Sportlehrkräfte mehrper- die Integration sportschwächerer Wichtigste“ (I_Gy_2). spektivischen Sportunterricht für sich Schülerinnen und Schüler. Denn nach deuten und wie nah oder fern sie dabei Meinung einiger Lehrkräfte „[lehnen] Dominanz und Relevanz der Leistungs- normativen Lesarten fachdidaktischer viele Schüler Sport ab und drücken perspektive werden jedoch mit Blick Autoren sind. Das erwartbar breite sich“ (VII_RS_2).5 auf leistungsschwächere Schülerinnen Spektrum lässt sich hinsichtlich drei und Schüler kritisch gesehen: So be- verschiedener Schwerpunkte bündeln: Insgesamt artikulierten die befragten richtet beispielsweise ein Sportlehrer, Sportlehrkräfte ein positives Verständ- dass er einige übergewichtige Kinder Erstens assoziieren einige Sportlehr- nis mehrperspektivischen Sportunter- in seiner Klasse habe, „die man über kräfte mit dem mehrperspektivischen richts. Sie assoziieren mit Mehrper- die Leistungsperspektive nicht so krie- Sportunterricht eine Relativierung der spektivität unterschiedliche unterricht- 2017 INFO-Fachbereich Sport 5
Bei der Durchführung ihres Sportunter- richts stehen für die meisten Sportlehr- leitartikel kräfte mehrperspektivische Aspekte nicht im Mittelpunkt. Zwar nennen eini- ge Lehrkräfte inhaltliche Beispiele, wie Le Parkour (Wagnis und Ausdruck) oder Kooperationsaufgaben in Klasse 5 (alle Schüler sollen einen Mattenberg erklimmen), jedoch bleibt unklar, wie diese Perspektiven thematisiert wer- den. Diese Unschärfe wird auch in den folgenden Hinweisen eines Sportleh- rers sichtbar, der betont, dass er beim ausdauernden Laufen „schon auch auf diese Gesundheitsgeschichten zu spre- chen“ komme; gemeint ist damit: „ein bisschen erklären, Pulsschlag, Ruhe- puls, Belastungspuls, dass es wichtig ist, dass das Herzkreislaufsystem ge- stärkt wird“ (VI_RS_2). Foto 3: Im Sportunterricht neue Perspektiven eröffnen: gemeinsam handeln, wettkämpfen und sich verständigen Nur drei der befragten Sportlehrkräfte deuten eine Perspektivierung an: Beim liche Freiräume. Allerdings dürfen die zogene Überlegungen: „Wenn ich den Schwimmen geht es einem Sportlehrer Aussagen nicht so verstanden werden, Unterricht plane, denke ich eher an Si- neben Leistung auch um das Wagnis als ob die befragten Sportlehrkräfte al- cherheitsmaßnahmen, die notwendig beim „Springen“, um Gesundheit beim lesamt mit dem Konzept der Mehrper- sind“ (IV_GemS_3). „Rückenschwimmen“ und um das Mit- spektivität gut vertraut wären und die- einander beim „Staffelschwimmen“ ses regelmäßig bei ihrer Stundenpla- Mehrfach finden sich Hinweise darauf, (III_GS_3). Ein anderer Sportlehrer ach- nung und Stundengestaltung berück- dass Sportlehrkräfte eher „intuitiv“ tet besonders darauf, seiner Klasse sichtigen. Einzelne Lehrkräfte geben (VI_RS_2) Perspektiven in ihrem Sport- Fußball nicht nur unter der Leistungs- nämlich unumwunden zu: „Es ist nicht unterricht beachten, ohne diese explizit perspektive anzubieten und damit das so, dass ich mir jetzt jede Stunde Ge- im Voraus zu planen: „Ich setze mich Interesse starker Vereinsfußballspieler danken um Mehrperspektivität mache“ jetzt nicht hin und sage, oh, jetzt müs- zu bedienen, sondern sein Anspruch (IX_HS_2)! sen wir mal wieder was zum Thema sei es, Fußball jede Woche „einmal an- Gesundheit machen“ (VII_RS_4). Ein ders“ (X_RS_1) spielen zu lassen. Ein 4. Die (pädagogischen) Perspektiven anderer Sportlehrer betont, dass bei weiterer Sportlehrer erwähnt eine sind aus Sportlehrersicht noch kei- ihm die Berücksichtigung der Perspek- Sportstunde zum Inline Skaten in der ne etablierten Planungs-, Durchfüh- tiven eher unbewusst ablaufe; sein Ziel Sporthalle, „wo Tricks, aber auch Ge- rungs- und Auswertungskategorien! sei es, den Kindern einen „abwechs- schicklichkeit und spielerische Momen- Neben und nach Fragen zur Kenntnis, lungsreichen Unterricht“ zu ermögli- te eine Rolle spielen“ (II_RS_2). zum Verständnis und zur Akzeptanz chen (V_SFZ_3). mehrperspektivischen Sportunterrichts Das Auswerten von Sportunterricht gilt ist es von besonderem Interesse, et- Bewusste perspektivische Planungs- in der Fachdidaktik als „vernachlässigte was über die unterrichtliche Relevanz entscheidungen werden im Vorfeld ei- Aufgabe“ der Sportlehrkräfte (Crum, der Mehrperspektivität aus Sicht der ner Unterrichtsreihe kaum getroffen. 1983). Dieser Eindruck wird mit folgen- Sportlehrkräfte zu erfahren. Um nicht Perspektiven finden bei der Unter- der Aussage sicherlich bestätigt: nur pauschale Antworten auf unsere richtsplanung eher unspezifisch und si- „Nachbereitung, Auswertung? (lacht) Fragen zur Planung, Durchführung und tuationsbezogen Beachtung (II_RS_2). ich hab’ volles Deputat – hallo?“ (IX_ Auswertung des (mehrperspekti- Man habe, so erklärt ein jüngerer Sport- HS_4). Abgesehen von dieser Stellung- vischen) Sportunterrichts zu erhalten, lehrer, mittlerweile ein Gefühl für das, nahme geben die Befragten zu erken- haben wir die Lehrkräfte gebeten, dazu „was gut ankommt bei den Schülern“ nen, dass sie ihren Sportunterricht Unterrichtsbeispiele zu beschreiben, (VIII_RS_2). Lediglich ein Sportlehrer nicht mit Blick auf Mehrperspektivität die das Gesagte konkretisieren. beschreibt seinen Planungsprozess so, auswerten: „Wenn ich jetzt einen nor- wie dieser im Rahmen mehrperspekti- malen Unterricht hab’, dann überlege Bei der Planung ihres Sportunterrichts vischer Reihenplanung in der Fachdi- ich danach nicht, welche Perspektive spielt Mehrperspektivität bei den meis daktik nahe gelegt wird (vgl. Balz & habe ich jetzt akzentuiert!“ (X_RS_2). ten Lehrkräften eine sehr untergeord- Neumann, 2015): „Also, ich suche mir Ein anderer ergänzt: „Da [bei der Aus- nete Rolle. Beispielsweise stehen bei nicht eine Perspektive aus und überle- wertung, PN] denke ich nicht an Mehr- einem Hauptschulsportlehrer der rela- ge mir dann eine Sportart dazu, son- perspektivität“ (VII_RS_4), sondern tiv konfliktfreie und reibungslose Unter- dern ich habe eine Sportart, die ich um- eher an die „Organisation“ oder die „El- richt „eher im Zentrum als sich Gedan- setzen will und überlege dann, wie ternarbeit“ (VII_RS_4), wenn Kinder ih- ken über Mehrperspektivität zu ma- kann ich die verschiedenen Perspekti- re Sportsachen wiederholt vergessen chen“ (IX_HS_3). Bei einem anderen ven dazu akzentuieren“ (X_RS_1). oder wenn sie wieder keine Entschuldi- Sportlehrer dominieren sicherheitsbe- gung dabei haben. 6 INFO-Fachbereich Sport 2017
Insgesamt ist eine gewisse Zurückhal- der alltagpragmatischen Orientierung grube, um einer Verdichtung des tung der Lehrkräfte nicht von der Hand der Sportlehrkräfte (entlang der Leis- Sandes und einem Umknicken vor- leitartikel zu weisen, was die Umsetzung mehr- tungsperspektive) auf der anderen Sei- zubeugen; Fegen des Anlauf- sowie perspektivischen Sportunterrichts im te nicht zu übersehen. Deshalb wäre des Absprungbereiches, um ein schulischen Alltag betrifft. Liest man schon ein erster und wichtiger Schritt, Ausrutschen oder gar Stürzen zu die Antworten der befragten Sportlehr- wenn es gelänge, Lehrkräften den päd- verhindern) kräfte quer, erhärtet sich der Eindruck, agogisch bedeutsamen Unterschied dass die Lehrkräfte dem Ansatz unter- zwischen der „Leistungsperspektive“ • W as kann ich tun, um meine Anlauf- richtlicher Mehrperspektivität einer- und der pädagogischen Perspektive geschwindigkeit in Weite zu über- seits zwar positiv gegenüber stehen, „das Leisten erfahren und reflektie- führen? (Wie und woran merke ich, andererseits wird der mehrperspektivi- ren“ aufzuzeigen. Mit Blick auf diesen dass die Gestaltung der beiden letz- sche Sportunterricht den Nimbus einer Unterschied sprechen Kuhlmann & ten Schritte vor dem Absprung opti- „Feiertagsdidaktik“ aber auch nicht Kurz (2013, S. 66) von einer „mehrwer- mal ist? Nehme ich in der Flugphase los. tigen“ pädagogischen Perspektive: mein Absprungbein überhaupt nach vorne?) Für eine Beachtung anderer Perspekti- Unter der Leistungsperspektive im ven als der vielerorts üblichen „Leis- Sportunterricht geht es - vereinfachend • W ie kann ich anderen dabei helfen tung“ spricht aus Lehrersicht vor allem gesagt - vornehmlich darum, in Bewe- und wie können mich andere darin die Suche nach Alternativen für sport- gungs- und Spielaufgaben leistungsori- unterstützen, weit(er) zu springen? schwächere Schülerinnen und Schüler entiert zu handeln, also um Sieg und (z. B.: Fühle ich mich motivierter, oder die für notwendig befundene Aus- Niederlage zu kämpfen, sich zu mes- wenn ich mich mit meinen Mitschü- richtung des Sportunterrichts an sozial- sen, zu verbessern und zu vergleichen, lern vergleiche? Welche Tipps erzieherischen Zielen (zumindest in aber auch verglichen und gemessen zu könnte ich meinem Partner/meiner den unteren Jahrgangsstufen). Darü- werden. Partnerin geben, damit diese(r) wei- ber hinaus verbinden wenige Sport- ter springen kann?) lehrkräfte mit Mehrperspektivität die Unter der pädagogischen Perspektive Option, den Schülerinnen und Schülern soll es darum gehen, sich erstens • E rlebe ich bei meinen Sprüngen einen motivierenden Sportunterricht Leistungsanforderungen zu stellen, Angst und wie kann ich damit um- anbieten zu können. In diesem Zusam- diese zu meistern und seine Leistung gehen, damit mich diese Angst menhang wird Mehrperspektivität zu steigern; zweitens gilt es, den Pro- nicht hemmt? (z. B.: Fühle ich mich eher als Wechsel der Inhalte missver- zess des Leistens zu verstehen und vor der Präsentation meiner standen. Dabei meint mehrperspektivi- Wissen zu erwerben, wie beispiels- Sprungleistung wohl oder was stört scher Sportunterricht vor allem wech- weise Leistungen gesteigert werden mich? Stellt das Springen über ei- selnde Zielstellungen bei gleichem In- können; drittens sollen Schüler befä- nen Bananenkarton eine Lernhilfe halt (vgl. Balz & Neumann, 2015). higt werden, über den Prozess (Lei- für mich dar oder ist das für mich ein sten) und das Produkt (Leistung) zu re- beängstigendes Hindernis?) Ein vermittelnder Vor- flektieren und beides zu beurteilen (vgl. schlag zum Abschluss Kuhlmann & Kurz, 2013). Vermittelt Fußnoten Die Antworten und Aussagen der be- werden soll die Einsicht, dass sport- 1) Dieser Lesart folgend, lässt sich die fragten Sportlehrkräfte zeichnen ein liche Leistungssituationen prinzipiell Geschichte der Mehrperspektivität si- Bild vom Sportunterricht, in dem eher auf willkürlich festgelegten und damit cherlich als eine Erfolgsgeschichte in- selten und situativ mehrperspektivisch auf stets veränderbaren Gütekriterien terpretieren. Angesichts mancher unterrichtet wird. Dabei orientieren basieren, die zur Bestimmung und Be- Missverständnisse auf der Ebene des sich die Sportlehrkräfte oftmals noch wertung sportlicher Leistungen heran- Sportunterrichts sowie kritischer Ein- an den von Kurz (1977) geformten gezogen werden. lassungen auf der Ebene der Fachdi- „Sinnperspektiven“ des Sports. Dass daktik halte ich dies jedoch für nicht an- in den Curricula und in der Fachdidaktik Ein Perspektivenwechsel käme dann gemessen. Typische Missverständnis- mittlerweile aber eine pädagogische ins Spiel, wenn Zusammenhänge zwi- se lauten beispielsweise: Mehrpers- Perspektivierung mit dem Anspruch ei- schen der Leistungsperspektive und pektivischer Sportunterricht bedeutet, ner individuellen Entwicklungsförde- anderen Perspektiven aufgezeigt und auf Leistung zu verzichten oder in jeder rung für den Sportunterricht gefordert im Sportunterricht thematisiert wer- Sportstunde alle Perspektiven zu be- bzw. empfohlen wird, bleibt meist un- den. Denn es gilt doch, über eine ver- achten oder in jeder Unterrichtsstunde bemerkt. Vor diesem Hintergrund ist einfachte Auslegung der Leistungsper- jeweils eine neue Perspektive zu nut- es in meinen Augen wenig erfolgver- spektive hinaus zu kommen: Beispiels- zen! sprechend für die zukünftige Rezeption weise können bei der Vermittlung des mehrperspektivischen Sportunter- Springens in die Weite (Weitsprung) 2) Im Bildungsplan 2016 für „Bewe- richts, alleinig auf eine stärkere Beach- die Gesundheits-, die Eindrucks-, die gung, Spiel und Sport – Grundschule“ tung im Zuge der Implementation des Gemeinschafts- und die Wagnisper- heißt diese Perspektive nur „Gesund- neuen Bildungsplans (2016) zu hoffen. spektive für den Prozess des Leistens heitsbewusstsein entwickeln“ (S.9). und die Leistung mit folgenden Überle- Meines Erachtens sind die Differenzen gungen relevant sein: 3) Dieses „Zusammenspiel“ der bei- zwischen der geforderten pädagogi- den Kompetenzlinien scheint mir opti- schen Akzentuierung des Sportunter- • W as muss ich tun und beachten, da- mierbar zu sein. Zumindest wäre es – richts (im Sinne der pädagogischen mit ich mich beim Springen nicht in meinen Augen – ein Konstruktions- Perspektiven) auf der einen Seite und verletze? (z. B.: Rechen der Sprung- vorteil gewesen, wenn es gelungen 2017 INFO-Fachbereich Sport 7
wäre, die Anzahl der prozessbezoge- Literatur nen Kompetenzen zu reduzieren oder Balz, E. (2017). Perspektivenwechsel Kuhlmann, D. & Kurz, D. (2013). Leis- leitartikel diese konsequenter (sichtbarer) mit als Bildungsmomente. sportunterricht ten und Leistungen – verbessern, den inhaltlichen Kompetenzerwartun- 66, (1). verstehen, meistern. In P. Neumann & gen zu verschränken. Beispielsweise E. Balz (Hrsg.), Sportdidaktik. Pragma- wäre es möglich gewesen, die pro- Balz, E. & Neumann, P. (2015). Mehr- tische Fachdidaktik für die Sekundar- zessbezogenen Kompetenzen als perspektivischer Sportunterricht. stufen I und II (S. 63-73). Berlin: Cor- „Ebenen“ in das inhaltliche Kompe- sportpädagogik 39 (3+4), 2-7. nelsen. tenzgitter einzuziehen. Angesichts der jetzigen Konstruktion gehe ich davon Baur-Fettah, Y., Renz, F. & Köhler, T. Hapke, J. (2016). Erziehender Sportun- aus, dass sich Sportlehrkräfte eher (2015). Aktuelle Lehrplanentwicklung terricht zwischen Anspruch und Wirk- oder ausschließlich an den inhaltlichen im Sport. Der Bildungsplan 2016 in lichkeit – eine differenzanalytische Kompetenzerwartungen orientieren Baden-Württemberg. sportunterricht Untersuchung zur Umsetzung pädago- werden, wenn sie ihren Sportunterricht 64 (3), 82-85. gischer Perspektiven. Dissertation. lehrplankonform planen, durchführen Erlangen. und auswerten wollen. Böttcher, A. (2016). „Etwas wagen und verantworten“ – Anspruch und Hapke, J. & Sygusch, R. (2014). Päda- 4) Eine solche Gewichtung der Pers- Wirklichkeit einer pädagogischen Pers- gogische Perspektiven differenzanaly- pektiven begründet ein Sportlehrer an pektive. In D. Wiesche, M., Fahlen- tisch betrachtet. In E. Balz & P. Neu- einer Realschule mit Blick auf die Per bock & N. Gissel (Hrsg.), Sportpädago- mann (Hrsg.), Schulsport: Anspruch spektive Miteinander in höheren Klas- gische Praxis – Ansatzpunkt und Prüf- und Wirklichkeit. Deutungen, Diffe- senstufen wie folgt: „Die Klasse (10) stein von Theorie (S. 201-208). Ham- renzstudien, Denkanstöße (S. 109- kennt sich seit sechs Jahren. Da muss burg: Czwalina. 122). Aachen: Shaker. ich jetzt nicht noch sagen, dass sie auf einem Zeitungspapier von A nach B Böttcher, A. (2014). „Etwas wagen Kurz, D. (1977). Elemente des Schul- kommen müssen oder so“ (VIII_ und verantworten“ – eine empirische sports. Schorndorf: Hofmann. RS_3). Prüfung. In E. Balz & P. Neumann (Hrsg.), Schulsport: Anspruch und Schmoll, L. (2004). Unterrichtsplanung 5) Auffälliges Schülerverhalten im Wirklichkeit. Deutungen, Differenzstu- mit dem Sportlehrplan für die gymna- Sportunterricht kann also einen Wech- dien, Denkanstöße (S. 123-134). Aa- siale Oberstufe in Nordrhein-Westfa- sel der Perspektivierung und eine Rela- chen: Shaker. len – Qualitative Analysen der subjek- tivierung der Leistungsperspektive be- tiven Planungsarbeit. Dissertation. dingen: „Wenn die überhaupt keinen Ehni, H. (1977). Sport und Schulsport. Bochum. Bock haben, Leistung zu bringen, was Schorndorf: Hofmann. immer häufiger ist, dann versuch’ ich mal, wie könnt’ ich denn diese Sportart noch angehen, dass ich den Schwer- punkt auf eine andere Perspektive leg’ “(IX_HS_4). 8 INFO-Fachbereich Sport 2017
Schüler werden Spielexperten und entwickeln aus den schulen kreative Sportspiele mit Alltags- und Recyclingmaterialien Ein Ansatz zur Umsetzung der neuen Leitperspektive zur nachhaltigen Entwicklung Dr. Hans-Christian Kleppel, Ludwig–Marum–Gymnasium Pfinztal Dieser Artikel zur Steigerung der Hand- ideen entwickeln und umsetzen’ und nen gut kombiniert werden und sind lungsfähigkeit von Schülerinnen und ‚gemeinsam Regeln entwickeln und daher flexibel einsetzbar und ortsunab- Schülern (SuS) ist aus der ,Dokumenta- akzeptieren’ (siehe Baschta, 2015, hängig. Dies kann beispielsweise in tion einer Unterrichtseinheit‘ (Referen- S. 7) stehen im Vordergrund der Spiel- Landschulheimen vielfältige Möglich- dariat am Staatlichen Seminar Karlsru- entwicklung. keiten eröffnen. Unter Beachtung ei- he (Gymnasien), Fachleiter: Christian Vor allem ,kleine Spiele‘ bieten vielfäl- niger Grundsätze (keine scharfen Kan- Hurle) entstanden und baut auf den tige Lernerfahrungen im Bereich der ten oder Verschmutzung) ist das Ver- Spielvariablenkonzepten von Emrich konditionellen und koordinativen Fähig- letzungsrisiko gering. Zudem weisen (2011), Hurle (2015) und Baschta (2015) keiten sowie taktischer und sozialer diese Materialien einen hohen Auffor- auf. Die hier vorgestellten sowie wei- Verhaltensweisen, aber auch bezüglich derungscharakter sowie eine Erzie- tere Spielformen stehen auf dem Ser- Regelbewusstsein (Moosmann, 2014). hungsfunktion zum nachhaltigen Um- ver des Regierungspräsidiums (https:// Zusätzlich helfen diese Spielformen gang mit Recyclebarem bzw. Müll auf. moodle.rpka.ka.schule-bw.de/moodle/ aufgrund ihres ausgeprägten Spaßfak- Vor allem im Hinblick auf die Leitper- blocks/exa2fa/login/) zur Verfügung tors für Kinder beim Erreichen länger- spektive ‚Bildung für nachhaltige Ent- und können direkt im Unterricht einge- fristiger Ziele wie beispielsweise der wicklung (BNE)’ stellt dies einen Mehr- setzt werden. Erziehung zum lebenslangen Sporttrei- wert des Schulsports im Vergleich zu Die Möglichkeiten des Schulfaches ben. Für SuS kann die Integration in üblichen Spielgeräten (Fußball, Hüt- Sport, einen Beitrag zur Umsetzung diesen Variationsprozess wertvoll sein. chen usw.) dar. Nachhaltigkeit ist ein der Leitperspektiven zu leisten, wird Die in dieser Unterrichtseinheit ange- zentraler Wert unserer Gesellschaft. bislang vor allem bei den Leitperspekti- strebte Entwicklung der SuS zu Spiel- So verankern viele Gymnasien in Ba- ven ‚Bildung für Toleranz und Akzep- experten zielt auf die Ausbildung allge- den-Württemberg – auch das Ludwig- tanz von Vielfalt (BTV)’ und ‚Prävention meiner Spielfähigkeit, Persönlichkeits- Marum-Gymnasium Pfinztal (LMG) – und Gesundheitsförderung (PG)’ (Bil- bildung und den theoriegeleiteten Um- diesen Wert in ihrem schulischen Leit- dungsplan 2016 BW) gesehen. Dieser gang mit Spielregeln sowie deren Vari- bild bzw. in ihrer Schulphilosophie. Artikel setzt neue Akzente und bindet ationen ab (König, Memmert & Moos- Jährlich wird am LMG ein Nachhaltig- die Leitperspektive ‚Bildung für nach- mann, 2012, S. 13f). Zudem stehen die keitstag bzw. Eine-Welt-Tag (EWT) ver- haltige Entwicklung (BNE)’ in den Reflexions- und Sozialkompetenz im anstaltet. Die Schule orientiert sich so- Sportunterricht mit ein. Mittelpunkt. Die SuS lernen, „wie sie mit stark am sozial-aktiven Leben ihres die Formen und Rahmenbedingungen Namensgebers. Am EWT werden die Ausgangslage der vorgegebenen Sportarten verän- SuS wie auch deren Eltern und Besu- dern können“ (Aschebrock, 2013, cher für einen nachhaltigen Umgang Der Zugang zu Sportspielen und deren S. 61). Die hier erworbenen Fähigkei- mit Rohstoffen und Natur sensibilisiert. Spielregeln fällt einigen SuS zuneh- ten tragen somit nachhaltig zur Steige- Die Idee ‚mit Müll Sport zu treiben’ mend schwerer (siehe hierzu Moos rung der Handlungsfähigkeit im und passt daher gut in das soziale Konzept mann, 2014). Sportspiele stellen eine durch Sport bei. des LMG und vieler weiterer Schulen. gute Möglichkeit zum Erreichen päda- Um die Inhalte der hier berichteten Un- gogischer Ziele sowie der Förderung Nachhaltigkeit im Sport- terrichtseinheit für alle am Schulleben der Selbständigkeit von SuS im Sport- spiel Beteiligten sichtbar zu machen, er- unterricht dar (Bräutigam, 2003; Ach- scheint es sinnvoll, an einem solchen tergarde, 2015). Spielen nimmt derzeit Der Einsatz von Alltags- und Recycling- EWT ein oder mehrere Sportspiele mit – glücklicherweise – einen großen Stel- materialien (wie beispielsweise Blech- Alltags- und Recyclingmaterialien anzu- lenwert im Schulsport ein (Baschta, dosen, Plastikbecher, Kronkorken, Pap- bieten und durchzuführen. So kann der 2015). Wie auch der Bildungsplan von prollen und Eierkartons) im Sportspiel Sportunterricht einen wichtigen Bei- 2004 rückt der neue Bildungsplan 2016 bietet mehrere Vorteile gegenüber trag zu mehr ‚Bildung für nachhaltige das Sportspiel inhaltlich in den Mittel- klassischen Spielsportgeräten (siehe u. Entwicklung’ leisten. punkt des Sportunterrichts und ver- a. Mertens, 2005, S. 7). Aufgrund ihrer Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt einige weist auf die Entwicklung von Hand- Neuartigkeit besteht keine bzw. wenig Einsatzmöglichkeiten von Alltags- und lungsfähigkeit bzw. Handlungskompe- Normierung hinsichtlich des Einsatzes Recyclingmaterialien im Sportunter- tenz als zentrale Leitidee. Hierfür ist je- von Alltags- und Recyclingmaterialien. richt auf. doch eine inhaltliche Auseinanderset- Zudem sind diese Materialien häufig zung mit der Spielorganisation notwen- kostenfrei und einfach zu beschaffen. dig. Kompetenzen wie ‚eigene Spiel Alltags- und Recyclingmaterialien kön- 2017 INFO-Fachbereich Sport 9
Spielorganisation und Gemeinsame Einsatzmöglich- Alleinstellungsmerkmal von All- -variation keiten von Alltagsmaterialien tagsmaterialien bzgl. herkömm- aus den schulen und herkömmlichen Sportgerä- lichen Sportgeräten Die Schülerinnen und Schüler sollen in ten der hier beschriebenen Unterrichtsein- heit durch Ausprobieren und Variieren •V erbesserung der sportmoto- • Weiterentwicklung des kreativen von Staffel-, Fang- und Zielschussspie- rischen Fähigkeiten Handelns len mit Alltags- und Recyclingmateri- Kräftigung der Muskulatur, Schu- Variation des Materialgebrauchs, alien zu Spielexperten avancieren. Hier- lung der Ausdauer, Training der Kombination mit anderen Materialien, zu ist es nötig, vorab ein passendes Beweglichkeit, Weiterentwicklung Veränderung und Entwicklung von und (auch für die SuS) konsistentes der koordinativen Fähigkeiten Spielideen. Konzept zur Spielorganisation dieser Spielformen vorzustellen. Es existieren •S chulung der Wahrnehmungs- • Aufforderungscharakter bereits mehrere (sehr gute und gute fähigkeit Unkonventionelle Nutzung fördert einsetzbare) Konzepte zur Einstellung Verbesserung der Leistungsfähig- Interesse bzw. Veränderbarkeit verschiedener keit der Analysatoren, Initiierung Spielformen, die sich in ihren Grundzü- vielfältiger materialer Erfahrungen •V ielseitige sportmotorische Ent- gen ähneln, sich jedoch aufgrund ihres usw. wicklung unterschiedlichen Spielformenbezugs Vielfältige Bewegungsherausforde- im Detail unterscheiden (siehe Basch- •F örderung sozialer Fähigkeiten rungen ohne normierte Bewegungs- ta, 2015; Emrich, 2011; Hurle, 2015). Weiterentwicklung der Koopera- erfahrungen Der Einsatz von Alltags- und Recycling- tions- und Teamfähigkeit beim materialien erscheint anhand dieser gemeinsamen Lösen von Aufga- Konzepte zudem schwierig. Daher wur- ben, Förderung der Kommunikati- de auf der Basis dieser bereits er- onsfähigkeit probten Konzepte ein neues Konzept zu Spielvariablen entwickelt (siehe Ab- bildung 1). Tabelle 1: Einsatzmöglichkeiten von Alltags- und Recyclingmaterialien im Vergleich zu herkömm- Dynamisches Konzept zu lichen Sportgeräten (u.a. nach Mertens, 2005) Spielvariablen Seinen dynamischen Charakter erhält übergreifend verstanden wer den und variablen von Staffelspielen. Hier be- das Konzept aufgrund seiner allgemein dienen der Ausdifferenzierung der stehen viele Variationsmöglichkeiten. gehaltenen Begriffe und Variablenein- Spielvariablen. So wird das Konzept für Als Subvariable ist beispielweise das teilung. So lässt es sich schnell auf SuS greifbarer. ‚Ablöseverfahren’ für Staffelspiele ein- mehrere Spielformen übertragen bzw. zigartig. Variationen dieser Subvariable anpassen. Dies erscheint besonders Dieses übergreifende ‚dynamische verändern die Art der Staffel maßgeb- wichtig, da hiermit die allgemeine Konzept’ kann nun auf unterschiedliche lich. Praxiserfahrungen zeigen, dass Spielfähigkeit der Schülerinnen und Spielformen angepasst bzw. einge- vor allem das Ablösen mittels einer Schüler ausgebildet werden soll. stellt werden. Unter Berücksichtigung Mütze, welche der aktive Spieler trägt, Nachdem passende Spielvariablen vor der Variationsmöglichkeiten von Staf- sehr gerne gespielt wird und zudem allem aus den Konzepten nach Emrich felspielen nach Lang (2007) ist nachfol- praktikabel ist. (1994, 2011) und Hurle (2015) über- gendes Konzept für die Einstellung von nommen wurden, erfolgte die Syste- Spielvariablen bei Staffelspielen ent- matisierung der Spielregeln auf der standen und dient hier als Grundlage Grundlage von Achtergarde (2007). Um für alle Staffelspiele (siehe Abbildung das Konzept für mehrere Spielformen 2). Die aufgeführten Variationsmöglich- nutzbar zu machen, mussten weitere keiten sind (selbstverständlich) nicht Spielvariablen eingeführt bzw. eine vollständig und können beliebig er- neue Unterteilung (Subvariablen) vor- gänzt werden. genommen werden. In allen Spiel- Auf dem Server des RP Karlsruhe (s.o.) formen sollen (auch) Alltags- bzw. Re- stehen analoge Abbildungen zu den cyclingmaterialien eingesetzt werden. Konzepteinstellungen für Fang- sowie Um die Wichtigkeit der Materialien zu Zielschussspiele bereit. verdeutlichen und um deren Einstellung Es wird deutlich, dass die Spielvariable zu erleichtern, wurden diese z. B. aus ‚Tore’ hier nicht genutzt wird und somit der Spielvariable ,Spielfeld/-bälle‘ (nach aus der Übersicht herausfällt, da Toren Hurle, 2015) ausgegliedert und verall- im eigentlichen Sinn bei Staffelspielen gemeinert (siehe Abbildung 1). Es erge- keine Bedeutung zukommt. Die ver- ben sich daher neue Spielvariablen wie bleibenden vier Spielvariablen wurden beispielsweise ,Aufgaben‘, welche vor hingegen weiter ausdifferenziert. Vor allem für Staffelspiele notwendig er- allem ‚Aufgaben’ (z.B. Dosenwerfen, scheinen. Die in Abbildung 1 dargestell- Memory) und ‚Spielregeln’ (z. B. Wen- ten Subvariablen können sportarten de-, Pendelstaffel) sind typische Spiel- 10 INFO-Fachbereich Sport 2017
aus den schulen Abbildung 1: D ynamisches Konzept zur Spielorganisation mittels Spielvariablen: Gesamtübersicht und Einordnung. Die (Sub-)variablen sind hier sportspielübergreifend und können ergänzt sowie weggelassen werden. Abbildung 2: Konzept zu Spielvariablen, eingestellt für Staffelspiele; in Anlehnung an Lang (2007) 2017 INFO-Fachbereich Sport 11
Unterrichtsvorhaben – Bei- Eine Variationsmöglichkeit der Wurfbu- Schülervariationen. Beispielsweise spiele für Sportspiele mit den-Staffel ist in Abbildung 4 darge- musste am Ende der zweiten Woche aus den schulen Alltags- und Recyclingma- stellt. Hier wurden die ‚Spielregeln’ als Hausaufgabe eine Spielvariation in terialien bzw. die beiden Subvariablen ‚Art der Kleingruppen erarbeitet und anschlie- Nach der Einstellung der Spielvariablen Fortbewegung’ und ‚Anzahl der Wie- ßend vor der Klasse vorgestellt werden. auf die jeweilige Spielform können nun derholungen’ verändert. Die SuS kön- Das (für die Klasse) interessanteste konkrete Spiele mithilfe dieser Spielkar- nen eigene Variationsmöglichkeiten Spiel wurde dann gemeinsam gespielt. ten beschrieben werden (siehe Abbil- durch Einkreisen der entsprechenden Die Unterrichtseinheit endete mit der dung 3-6). Die Lehrkraft kann diese Buttons direkt in der Sporthalle umset- Wahl ‚des besten Sportspiels’ der Ein- Spielkarten mit in den Unterricht neh- zen. heit – was, ohne Überraschung, ein von men und so das Staffelspiel effizient an- Schülern selbst erfundenes Staffelspiel leiten. Die Schülerinnen und Schüler ler- Die Unterrichtseinheit zum Thema war: eine Wurfbuden-Staffel mit All- nen (nach einer allgemeinen Einfüh- ‚Spielexperten werden!’ am Ludwig- tags- und Recyclingmaterialien. Diese rung) den Umgang mit den Spielvaria- Marum-Gymnasium Pfinztal wurde Biathlon-Staffel ist inklusive der Aufbau- blen. Dies steigert nicht nur die Metho- über drei Wochen (je 3h Sportunter- skizze in den Abbildungen 5 und 6 dar- denkompetenz der gesamten Klasse, richt) in einer siebten Klasse durchge- gestellt. Besonders hervorzuheben ist sondern reduziert auch den Zeitauf- führt. Neben der Vorstellung des dyna- die schülereigene Differenzierung der wand der Spielerklärung. Aus eigener mischen Variablenkonzepts musste zu- Stations-Aufgabe bzgl. der unterschied- Erfahrung lässt sich sagen, dass diese nächst geklärt werden, warum Sport- lichen Wurf-Niveaus der Klasse. Es Spielkarten auf eine hohe Schülerakzep- spiele variiert werden sollten und was musste je fünfmal mit Kronkorken auf tanz stoßen. Das Beispiel ‚Wurfbude’ ein gutes Spiel ausmacht. die weiter entfernten Dosen (2m Ab- (Abbildung 3) verdeutlicht die Einstel- Von Beginn an wurden viele Fang-, Staf- stand) sowie näheren Dosen (1m Ab- lung der Spielvariablen für dieses eine fel- und Zielschussspiele durchgeführt stand) geworfen werden. Die Einteilung konkrete Spiel. Die entsprechenden und mithilfe der Spielkarten (von der der Mannschaftsmitglieder auf den ‚Buttons’ wurden vorab vom Lehrer ‚an- Lehrkraft) angeleitet. Die SuS ge- Grad der Wurfschwierigkeit wurde von geklickt’ und verdeutlichen so die Aus- wöhnten sich schnell an den Umgang den Mannschaften selbst durchgeführt. wahl der einzelnen Spielvariablen. Für mit den Karten. Auffällig war die deut- Hatte ein Werfer zwei Treffer aus maxi- die SuS ist nun schnell ersichtlich (a) liche Reduktion der Nachfragehäufig- mal fünf Würfen erreicht, durfte er ohne wie das Spiel funktioniert und (b) wie keit nach den Spielerklärungen. Im Ver- Strafrunde weiterlaufen. Gelang dies das Spiel variiert werden kann. Eigene lauf der drei Wochen reduzierte die nach fünf Würfen nicht, musste die An- Ideen können natürlich jederzeit einflie- Lehrkraft die Spielvorgaben und ließ zahl der fehlenden Treffer (1 oder 2) in ßen. (zunehmend) mehr Platz bzw. Zeit für Strafrunden nachgeholt werden. Abbildung 3: Basiskarte für das Staffelspiel Wurfbude 12 INFO-Fachbereich Sport 2017
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