INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT

Die Seite wird erstellt Sven Haase
 
WEITER LESEN
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
INFO
               Fachbereich Sport
               Regierungspräsidium Karlsruhe • Abteilung 7 Schule und Bildung

               Ausgabe 2017                                Heft 45

REGIERUNGSPRÄSIDIUM KARLSRUHE
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
Schwerpunktthema: Mehrperspektivischer Sportunterricht
HERausgeber

                                                                                                                 IMPRESSUM/INHALTSVERZEICHNIS
                                Vorwort                                                                      2
Regierungspräsidium Karlsruhe
Abteilung Schule und Bildung    Leitartikel: Mehrperspektivischer Sportunterricht – Faktum oder Fiktion?     3
                                Prof. Peter Neumann, Institut für Gesellschaftswissenschaften Fachbereich
Fachbereich Sport
                                Sportwissenschaft/Sportpädagogik, Pädagogische Hochschule Heidelberg

                                Aus den Schulen
                                Schüler werden Spielexperten und entwickeln kreative Sportspiele             9
                                mit Alltags- und Recyclingmaterialien
zusammenstellung und            Dr. Hans-Christian Kleppel, Ludwig–Marum–Gymnasium Pfinztal
redaktion
                                Tanzen mit Jungs!? – Es lohnt sich! Hip Hop in der Schule                   15
Frank Hoffmann                  Otto Adolf, Friedrich-List-Schule Karlsruhe (Berufliches Gymnasium)
Peter Reich
Manfred Reuter                  Leistungsentwicklung im Schulsport erfahrbar machen                         17
                                Christian Mahnke, Johanna-Geissmar-Gymnasium Mannheim

                                Leichtathletik-Sportfest an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule Weinheim         21
                                Petra Odenwald, Dietrich-Bonhoeffer-Schule Weinheim

druck und gestaltung            Aus den Seminaren
Regierungspräsidium Karlsruhe   Sportunterricht mit inklusiven Klassen                                      23
                                Klaus Lipinski, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung
                                (Gymnasien) Karlsruhe

                                DSLV
                                Unterrichtsbeispiele für den Schulsport Jahrgang 2016                       29
www.rpk-sport.de
                                Jugend trainiert für Olympia
                                Top-Platzierungen für das Ludwig-Frank-Gymnasium Mannheim                   30
                                beim Bundesfinale in Berlin
                                Tobias Kehret, Ilona Werner und Pierre Banek,
                                Ludwig-Frank-Gymnasium Mannheim

                                Spitzensportler in der Schule
                                Pascal Kleyer - großes Nachwuchstalent über die Mittelstrecke am            32
                                Otto-Hahn-Gymnasium Karlsruhe
                                Georg Zwirner, Otto-Hahn-Gymnasium Karlsruhe

                                Rechtsfragen
                                Organisatorische und rechtliche Fragen zum Sportunterricht                  33

                                Aktuelle Informationen
                                Das Thadden wird versetzt – Zertifizierung als „Bewegte Schule“             35

                                Kinderleichtathletik - neues Konzept des Deutschen                          36
                                Leichtathletik-Verbandes (DLV)
Redaktionsschluss
                                Aufruf zur Teilnahme an den Bundesjugendspielen 2016/2017                   37
Heft 2018
15. November 2017               Fortbildungen Sport im 2. Schulhalbjahr 2016/2017                           38

                                Matthias Harbarth, neuer Fachberater Sport (Gymnasien)                      39

                                Kongress „Wie bringen wir Kinder in Schwung?“                               39

                                Buchvorstellung
                                Praxisorientierte Biomechanik im Sportunterricht - vom Tun zum Verstehen    40
                                Dr. Axel Schnur, Gymnasium Karlsbad und Prof. Dr. Hermann Schwameder,
                                Universität Salzburg

                                Bewegungspausen – mit Bewegung durch den Schulalltag                        41
                                Caroline Handtmann, Hardt Grundschule Karlsruhe und
                                Reinhard Horn, Kinderliedermacher

2017		                                INFO-Fachbereich Sport		                                               1
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
Vorwort
vorwort

                           Mehrperspektivischer Sportunterricht

          Die Mehrperspektivität im Sportunterricht ist eine zentrale      Matthias Harbarth vom Werner-Heisenberg-Gymnasium
          Forderung im neuen Bildungsplan an allen allgemein bilden-       Weinheim wird neuer Fachberater Sport und folgt Rolf Bader
          den Schulen in Baden-Württemberg, der in den ersten und          (Dietrich-Bonhoeffer-Schule Weinheim) nach, der mit viel
          zweiten Klassen der Primarstufe sowie den 5. und 6. Klas-        Lob und Dank für seine Arbeit und für sein jahrzehntelanges
          sen der weiterführenden Schulen bereits gilt und somit zur       Engagement für den Schulsport in den wohlverdienten Ru-
          Anwendung kommen sollte. Für viele Sportlehrkräfte ist das       hestand verabschiedet wurde.
          eine neue Herausforderung, obwohl diese Mehrperspektivi-         Wir wünschen Matthias Harbarth viel Erfolg bei der neuen
          tät mit Abstrichen bereits Bestandteil eines anspruchsvollen     Aufgabe! Vielen Kolleginnen und Kollegen dürfte er bereits
          Sportunterrichts war und ist - ob bewusst oder unbewusst,        als Lehrbeauftragter für das Fach Sport am Staatlichen Se-
          sei dahin gestellt. Was Lehrkräfte an den verschiedenen          minar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) Heidel-
          Schularten darunter verstehen bzw. wie sie dies umsetzen         berg bekannt sein, wo er seit 2010 Referendare für den
          und wie konkret ein mehrperspektivischer Sportunterricht         Schuldienst ausbildet. Mehr über Matthias Harbarth und
          aussehen könnte, ist das Thema unseres Leitartikels „Mehr-       auch darüber, dass die Elisabeth-von-Thadden-Schule Hei-
          perspektivischer Sportunterricht – Faktum oder Fiktion?“         delberg 2016 als eine weitere „WSB-Schule“ zertifiziert
          von Prof. Peter Neumann.                                         wurde, ist in der Rubrik „Aktuelle Informationen“ nachzule-
          Die Beiträge in der Rubrik „Aus den Schulen“ zeigen anhand       sen.
          von vier unterschiedlichen Beispielen, wie Sportunterricht       An allen Schulen im Land wächst der Anteil an Schülerinnen
          oder schulische Sportveranstaltungen unter der Berücksich-       und Schülern mit Migrationshintergrund. Nicht wenige
          tigung der Mehrperspektivität zur Kompetenzförderung der         Sportlehrkräfte sind in diesem Zusammenhang verunsi-
          teilnehmenden Schülerinnen und Schüler gestaltet bzw. or-        chert, wie in bestimmten Situationen mit muslimischen
          ganisiert werden kann. Das gilt insbesondere für den Artikel     Schülerinnen und Schülern umzugehen ist. In der Rubrik
          „Schüler werden Spielexperten und entwickeln kreative            „Rechtsfragen“ wird an drei in der Praxis vorkommenden
          Sportspiele mit Alltags- und Recyclingmaterialien“. Dass die     Fällen aufgezeigt, welchen Spielraum wir Unterrichtende im
          Vermittlung von modernen Tanzstilen wie dem Hip Hop auch         Fach Sport haben. Darüber hinaus gibt es Antworten auf Fra-
          Jungen in der Sekundarstufe 2 großen Spaß bereiten kann,         gen zur Klassengröße und zur Rettungsfähigkeit im Schwim-
          beweist ein Kollege der Friedrich-List-Schule in Karlsruhe.      men sowie zur Freistellung vom Sportunterricht aus Krank-
          Gerade dieser Bereich bietet ein großes Potential, mit Per-      heits- oder Verletzungsgründen.
          spektivwechseln im Sportunterricht zu arbeiten. „Leistungs-      Bei den beiden vorgestellten Büchern geht es in einem Fall
          entwicklung im Schulsport erfahrbar (zu) machen“ stellt eine     um die Biomechanik im Sportunterricht, in die die beiden Au-
          weitere pädagogische Perspektive dar, wie es am Johanna-         toren Dr. Axel Schnur und Prof. Hermann Schwameder ei-
          Geissmar Gymnasium Mannheim praktiziert wird. Mit der            nen Einblick liefern, wobei die Verknüpfung zwischen Theo-
          „Kinderleichtathletik“ verfolgt der DLV ein neues Vermitt-       rie und Sportpraxis im Vordergrund steht. Im anderen Fall
          lungskonzept, das an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule Wein-        geht es um die Gestaltung von Bewegungspausen an Grund-
          heim bei ihrem Leichtathletik-Sportfest umgesetzt wird (sie-     schulen im Unterricht abseits der Sporthalle mit musika-
          he auch Hinweis in der Rubrik „Aktuelle Informationen“).         lischer Unterstützung. Zu diesem Zweck hat sich Caroline
          Angesichts einer zukünftig eher zunehmenden Zahl an Inklu-       Handtmann vom Regionalteam Sport am SSA Karlsruhe mit
          sionskindern an allgemeinbildenden und beruflichen Schu-         dem Kinderliedermacher Reinhard Horn zusammengetan.
          len ist es wichtig, bereits in der Ausbildung neuer Lehrkräfte   Uns Redakteuren war es bei der Zusammenstellung dieser
          darauf methodisch und didaktisch vorzubereiten wie am            Ausgabe eine Freude, mit Autoren zusammenarbeiten zu
          Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymna-       können, die auf uns aktiv zugegangen sind, um ihre Unter-
          sien) in Karlsruhe. Ohne einen mehrperspektivischen Ansatz       richtsideen hier in der Sport-INFO vorstellen zu können. An-
          kommt man hier nicht weit. So ist es erfreulich, dass junge      gesichts der nicht unerheblichen Belastung für uns Pädago-
          Lehrkräfte sich auf diesem Feld des mehrperspektivischen         ginnen und Pädagogen, in zunehmendem Maß auch abseits
          Sportunterrichts bereits probieren, wie so manches Unter-        des Unterrichts, unserem eigentlichen Kerngeschäft, ist das
          richtsbeispiel 2016 zeigt (siehe Rubrik „DSLV“).                 eine großartige zusätzliche Leistung im Bereich des Ehren-
          „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, war der Schlachtruf    amts. Wir wünschen uns auch für die Zukunft Kolleginnen
          gleich dreier Teams unterschiedlicher Sportarten des LFG         und Kollegen, die ihre Erfahrungen mit anderen teilen möch-
          Mannheim, die sich für das Bundesfinale beim Wettbewerb          ten und mit ihren Artikeln die Sport-INFO als Veröffentli-
          „Jugend trainiert für Olympia“ qualifiziert hatten und mit       chungsplattform nutzen. Interessante Beiträge zum Thema
          hervorragenden Ergebnissen wieder nach Hause fuhren,             Schulsport sind uns immer willkommen.
          wie im Artikel in dieser Rubrik nachzulesen ist.
          In der Rubrik „Spitzensportler in der Schule“ erfährt der Le-
          ser von Pascal Kleyer, einem großen Nachwuchstalent auf
          der 800m-Mittelstrecke am Otto-Hahn-Gymnasium Karlsru-
          he, u.a. wie sich Schule und Leistungssport vereinbaren las-     Die Redaktion
          sen.

          2		                                                INFO-Fachbereich Sport		                                             2017
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
Mehrperspektivischer Sportunterricht – Faktum

                                                                                                                                         leitartikel
oder Fiktion ?
Prof. Peter Neumann, Institut für Gesellschaftswissenschaften Fachbereich Sportwissenschaft/Sportpädagogik,
Pädagogische Hochschule Heidelberg

Mehrperspektivischer Sportunterricht           gewichtige Funktion auf, die Mehrper-          sium, 2004, S. 300). Welche Perspekti-
feiert – von vielen vermutlich unbe-           spektivität im neuen Bildungsplan              ven allerdings genau gemeint waren,
merkt – im Jahr 2017 seinen vierzigs-          (2016) übernehmen soll, um vor die-            blieb ein wenig im Dunkeln, auch wenn
ten Geburtstag. Seit seiner Einführung         sem Hintergrund nach möglichen Dif-            auf derselben Seite einige perspekti-
und Etablierung im fachdidaktischen            ferenzen zu fragen, die sich mit Blick         vennahe Kompetenzformulierungen zu
Diskurs Mitte der 1970er Jahre durch           auf die alltägliche Auslegung mehrper-         finden waren.
Ehni (1977) und Kurz (1977) genießt            spektivischen Sportunterrichts durch
dieser ein hohes und ungebrochenes             Sportlehrkräfte in Baden-Württemberg           Im Bildungsplan 2016 werden folgende
Ansehen - sowohl innerhalb der Fach-           ergeben. Bezug genommen wird auf               pädagogische Perspektiven benannt
didaktik als auch bundesweit in den            eine qualitative Interviewstudie, die im       und knapp beschrieben:
Curricula des Sportunterrichts.                Sommer 2016 realisiert wurde. Ausbli-
                                               ckend stelle ich eine modifizierte Aus-
Stand anfänglich das Motiv im Vorder-          legung mehrperspektivischen Sportun-           • W ahrnehmungsfähigkeit verbessern
grund, den Sportunterricht mit Hilfe           terrichts zur Diskussion.                        und Bewegungserfahrungen erwei-
von sechs Sinngebungen vielfältiger                                                             tern
und für ein lebenslanges Sporttreiben          Mehrperspektivität im aktuellen                • Das Leisten erfahren und reflektieren
anschlussfähiger zu machen, wird mit           Bildungsplan (2016)                            • Sich körperlich ausdrücken und Be-
dem mehrperspektivischen Sportun-              Sowohl im Bildungsplan 1994 als auch              wegungen gestalten
terricht heute eine stärkere pädagogi-         im Bildungsplan 2004 wurde schon Be-           • Etwas wagen und verantworten
sche Akzentuierung des Sportunter-             zug genommen auf einen mehrper-                • Gemeinsam handeln, wettkämpfen
richts verbunden (vgl. Balz & Neu-             spektivischen Sportunterricht. Standen            und sich verständigen
mann, 2015) und in diesem Zuge wird            im Bildungsplan 1994 die Handlungs-            • Gesundheit verbessern und Gesund-
eine auf den Perspektivenwechsel ab-           perspektiven von Ehni (Erkunden,                  heitsbewusstsein entwickeln2
zielende Unterrichtsgestaltung favori-         Üben, Trainieren, Spielen, Wettkämp-
siert, um fruchtbare Bildungsmomente           fen) im Vordergrund, fanden Lehrkräfte
zu ermöglichen (vgl. Balz, i. Dr.). Im         im Bildungsplan 2004 folgenden Hin-            Diese Perspektiven sollen – so die In-
Mittelpunkt steht - nach wie vor - die         weis: „In einem mehrperspektivischen           tention im Bildungsplan – ein sichtbarer
Idee einer mehrperspektivischen Sach­          Sportunterricht werden den Schüle-             pädagogischer Anspruch und Akzent
erschließung, d. h. einen ausgewählten         rinnen und Schülern die verschiedenen          des Sportunterrichts sein und „das pä-
Gegenstand des Sportunterrichts aus            Sinnrichtungen des sportlichen Han-            dagogische Potenzial des Faches Sport
wechselnden (unterschiedlichen) Pers-          delns zugänglich gemacht und mit ihrer         (bilden)“ (Bildungsplan Sport – Sekun-
pektiven zu thematisieren.1                    persönlichen Erfahrungs- und Erlebnis-         darstufe 1, 2016, S. 8). Im Unterschied
Der folgende Beitrag zeigt zunächst die        welt verknüpft“ (Bildungsplan Gymna-           zum Bildungsplan 2004 treten die pä-
                                                                                              dagogischen Perspektiven – zumin-
                                                                                              dest auf dem Papier – damit deutlich
                                                                                              stärker in Erscheinung und sie haben
                                                                                              die Funktion, den kompetenzförder-
                                                                                              lichen Sportunterricht zu konturieren.

                                                                                              Kompetenzförderung wird dabei recht
                                                                                              komplex gedacht: Es geht um das Zu-
                                                                                              sammenspiel prozessbezogener Kom-
                                                                                              petenzerwartungen (Bewegungs-, Per-
                                                                                              sonal-, Sozial- und Urteilskompetenz)
                                                                                              mit inhaltsbezogenen Kompetenzer-
                                                                                              wartungen. Letztere werden auf die im
                                                                                              Schulsport vielerorts üblichen Bewe-
                                                                                              gungsfelder bezogen (z. B. Spielen;
                                                                                              Laufen – Springen – Werfen; Bewegen
                                                                                              an Geräten etc.) und auf drei „Ebenen“
                                                                                              abgebildet: motorisch, kognitiv/reflexiv
                                                                                              und kreativ/gestalterisch3

                                                                                              Wie die perspektivische Abstimmung
                                                                                              und Rahmung dieses kompetenzorien-
Foto 1: m Sportunterricht neue Perspektiven eröffnen: Wahrnehmungsfähigkeit verbessern und
         Bewegungserfahrungen erweitern                                                       tierten Sportunterrichts konkret ausse-

2017		                                                 INFO-Fachbereich Sport		                                                     3
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
hen soll, wird im Bildungsplan (2016)
              nicht geklärt. Interessierte Sportlehr-
leitartikel

              kräfte bekommen nur knappe Informa-
              tionen zur unterrichtlichen Gestaltung:
              „Die didaktische Umsetzung erfolgt
              durch einen mehrperspektivisch ange-
              legten Sportunterricht, welcher sich
              entweder aus Unterrichtsvorhaben zu-
              sammensetzt, die Perspektiven an un-
              terschiedlichen Inhalten akzentuieren,
              oder solchen, in denen ein Inhalt unter
              verschiedenen Perspektiven zum Un-
              terrichtsgegenstand wird“ (S. 8).

              Zudem werden in den Übersichtsdar-
              stellungen zur Vermittlung der Inhalts-
              bereiche bestimmte pädagogische
              Perspektiven vorgeschlagen. Bei-
              spielsweise finden sich im Wahlpflicht-
              bereich „Fahren, Rollen, Gleiten“ für
              die Klassen 7/8 die Perspektiven                  Foto 2: Im Sportunterricht neue Perspektiven eröffnen: etwas wagen und verantworten
              „Wahrnehmungsfähigkeit verbessern
              und Bewegungserfahrungen erwei-                   Mehrperspektivität in der                      unterschiedlichen Alters, die an unter-
              tern“ sowie „etwas wagen und verant-              Wahrnehmung von Sport-                         schiedlichen Schulformen in Baden-
              worten“. Eine Begründung für diese                lehrkräften                                    Württemberg tätig sind. Die Interviews
              perspektivische Auswahl und ein Bei-              Mehrperspektivischer Sportunterricht           wurden von Studierenden eines Haupt-
              spiel für eine perspektivische Unter-             war in der Fachdidaktik bislang über-          seminars geführt und nach vereinfach-
              richtsgestaltung finden sich hier nicht.          wiegend     Gegenstand     hermeneu-           ten Transkriptionsregeln verschriftet.
                                                                tischer Forschung. Empirische Studien          Die Interviews dauerten zwischen 20-
              Halten wir fest: Mehrperspektivischer             zur mehrperspektivischen Gestaltung            40 Minuten. Umfangsbedingt fokus-
              Sportunterricht soll den Sportlehrkräf-           des Sportunterrichts sind rar. Aktuell         siere ich nachfolgend vier Ergebnisse.
              ten im Bildungsplan 2016 als ein didak-           liegen Untersuchungen von Böttcher
              tisches Unterrichtskonzept dienen, mit            (2016; 2014) zur Umsetzung der päda-           Der Leitfaden beinhaltet offene Fragen
              dessen Hilfe die Beachtung und Um-                gogischen Perspektive „etwas wagen             zur Kenntnis, zum Verständnis, zur Ak-
              setzung des schulischen Doppelauf-                und verantworten“ im Sportunterricht           zeptanz und zur Relevanz von Mehrper-
              trages anvisiert wird (vgl. Baur-Fettah,          und von Hapke (2016) bzw. Hapke und            spektivität für die Planung, die Durch-
              Renz & Köhler, 2015, S. 83). Damit soll           Sygusch (2014) zu den Perspektiven             führung sowie für die Auswertung von
              die Breite der pädagogischen Förde-               „Miteinander“ und „Leistung“ vor.              Sportunterricht. Darüber hinaus wird
              rungsmöglichkeiten im Sportunterricht             Des Weiteren existieren etwas ältere           nach Schwierigkeiten bei der Umset-
              deutlich gemacht und eine Verbindung              Untersuchungsergebnisse von Schmoll            zung sowie nach Vorschlägen gefragt,
              mit den Kompetenzerwartungen be-                  (2004) zum Planungshandeln von Sport­          wie eine Verbreitung mehrperspekti-
              tont werden. Allerdings ist fraglich,             referendaren unter der Berücksichti-           vischen Sportunterrichts in der schu-
              was Sportlehrkräfte unter Mehrper-                gung der pädagogischen Perspektiven            lischen Praxis unterstützt werden kann.
              spektivität verstehen und wie sie                 in Nordrhein-Westfalen.                        Abschließend beschreiben die Lehr-
              mehrperspektivischen Sportunterricht                                                             kräfte in einer Bilanz den didaktischen
              auslegen und verfolgen.                           Im Folgenden stelle ich ausgewählte Er-        „Mehrwert“, den sie ihrer Meinung
                                                                gebnisse meiner qualitativen Interview-        nach mit dem mehrperspektivischen
                                                                studie zur Wahrnehmung von Mehrper-            Sportunterricht verbinden.
                                                                spektivität im Sportunterricht vor. Be-
                                                                fragt wurden Sportlehrkräfte (N = 11)

              Geschlecht         W: 1 / M: 10
              Alter              21-30         31-40        41-50       51-60:          61- ...
                                 2             5            1           3               -
              Dienstjahre        1-10          11-20        21- ...
                                 4             4            3
              Schule             Grund-        Haupt-       Real-       Gymnasi-        Sonderpädago-               Gemein-      Gesamtschule
                                 schule        schule       schule      um              gisches                     schaftsschu- (GesamtS)
                                 (GS)          (HS)         (RS)        (Gy)            Förderzentrum (SFZ)         le           1
                                 1             1            5           1               1                           (GemS)
                                                                                                                    1

              Abb. 1: Überblick über die interviewten Sportlehrkräfte

              4		                                                       INFO-Fachbereich Sport		                                                      2017
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
1. Mehrperspektivität ist für die            gen“ könne und deshalb „muss {man}         Leistungsperspektive: „Klar achtet
Sportlehrkräfte keine unbekannte             den Schülern dann auch mal andere          man darauf, dass die Schüler etwas lei-

                                                                                                                                   leitartikel
Größe                                        Möglichkeiten geben, sich sportlich zu     sten müssen im Sportunterricht, aber
Um die befragten Sportlehrkräfte im In-      betätigen“ (V_SFZ_3).                      es gibt ja auch andere Perspektiven,
terview nicht vor den Kopf zu stoßen,                                                   warum man Sport treiben kann“ (z. B.
sollten sie nach zwei einleitenden Fra-      Neben Leistung finden vor allem das        Miteinander, Ausdruck) (V_SFZ_1).
gen zu den momentan unterrichteten           soziale Miteinander (Kooperation) und      Sport – so eine andere Lehrkraft – sei
Themen darlegen, ob und wo ihnen der         das „Wagnis“ Beachtung und Erwäh-          doch eben mehr „als eine technische
Begriff „mehrperspektivischer Sport-         nung. Interessant ist in diesem Zusam-     Fertigkeit“ (III_GS_2) und folglich sei
unterricht“ schon einmal begegnet ist.       menhang, dass einige Lehrkräfte ge-        nicht nur die sportmotorische Leistung,
                                             schlechterbezogen und altersbezogen        sondern auch Gemeinsamkeit wichtig
Von 10 der 11 Befragten werden Be-           argumentieren. Beispielsweise diffe-       (IX_HS_2; vgl. auch IX). Trotz solcher
griff und Idee erinnert. Im Mittelpunkt      renziert ein Sportlehrer in „Jungenklas-   Relativierungen gelte jedoch, die „old
stehen die Sinnperspektiven von Kurz,        sen“ und „Mädchenklassen“ und              school Leistungsperspektive“ nicht
aber nicht die pädagogischen Perspek-        nennt für Jungenklassen die Perspekti-     gleich zu „verteufeln“ (VI_RS_1).
tiven des Bildungsplans oder die Hand-       ven Miteinander, Wagnis, Leistung und
lungsperspektiven von Ehni. Das Studi-       Gesundheit (IV_GemS_3).                    Zweitens verbinden einige Sportlehr-
um ist der zentrale Ort der Wissensver-                                                 kräfte mit dem mehrperspektivischen
mittlung. Daneben werden genannt:            Alter und Entwicklungsstand der Schü-      Sportunterricht eine inhaltliche Offen-
das Referendariat (3), Fortbildung (1)       lerinnen und Schüler werden von eini-      heit: Mehrperspektivischer Sportunter-
und Bildungsplan (1). Insgesamt kön-         gen Lehrkräften als leitendes Kriterium    richt ermögliche es, „querbeet mög-
nen - bis auf einen Sportlehrer - alle Be-   für die Perspektivenwahl genannt. Et-      lichst viele Dinge abzudecken“ (VIII_
fragten mit der Bezeichnung „mehr-           was vereinfachend gesagt, werden all-      RS_1), möglichst viele verschiedene
perspektivischer Sportunterricht“ ei-        tagspragmatisch und mit einem gewis-       Sportarten „zu machen“ (VIII_RS_1);
nen didaktischen Ansatz verbinden.           sen Plausibilitätsanspruch für die Klas-   als Beispiel nennt dieser Sportlehrer
                                             sen 5 und 6 besonders das Miteinan-        die bei vielen Schülerinnen und Schü-
2. Sportlehrkräfte orientieren sich          der neben der Leistung als wichtige        lern unbekannte Sportart „Ultimate“
hauptsächlich an der Leistungsper-           Perspektiven angesehen (VI_RS_2); in       (VIII_RS_1). Diesem Verständnis nach
spektive                                     den Klassen 7-9 gelten Leistung und        (andere Inhalte = Mehrperspektivität)
Das Hervorbringen und Steigern moto-         Ausdruck als wichtig („Körper“,            bietet ein mehrperspektivischer Sport-
rischer Leistungen kann als traditionel-     „Kraft“, „Kondition“) und in den höhe-     unterricht Lehrkräften die Option, weg
ler Kern des Sportunterrichts verstan-       ren Klassen vor allem Gesundheit (I_       zu kommen „von den klassischen
den werden, der für viele Sportlehr-         Gy_3).4                                    Sportarten“ (IX_HS_3). Beispielsweise
kräfte und Schülerinnen und Schüler                                                     könne man beim Turnen auf dem Mini-
sinnstiftend ist. In einem mehrper­          Insgesamt dient „Leistung“ den Lehr-       trampolin neben klassischen Sprüngen
spektivischen Sportunterricht sollen je-     kräften als wichtigste Perspektive für     auch „Style-Wettbewerbe“ durchfüh-
doch noch weitere Lernleistungen er-         den Sportunterricht, wobei einige Lehr-    ren.
bracht werden. Um etwas über die per-        kräfte diese Orientierung für ihren Un-
spektivische Breite des Sportunter-          terricht und mit Blick auf das Alter der   Drittens legen einige Sportlehrkräfte
richts zu erfahren, haben wir die Sport-     Schülerinnen und Schüler relativieren:     die mehrperspektivische Idee so aus,
lehrer gefragt, welche Perspektive(n)        „Leistung ist nicht an erster Stelle bei   dass ihnen damit die Möglichkeit gege-
ihnen im Sportunterricht besonders           mir“ (XI_GesamtS_3). Allerdings ma-        ben wird, sich „eigene Schwerpunkte“
wichtig sind?                                chen die Antworten der Befragten uni-      zu setzen (III_GS_1). Die Perspektiven
                                             sono deutlich, dass der genuine An-        – so eine Sportlehrerin – geben ihr die
Tenor ihrer Antworten ist, dass Leis-        spruch der pädagogischen Perspekti-        Möglichkeit „von diesem fertigkeitsori-
tung trotz einiger Relativierungen -         ve, Leistungen im Sport zu verstehen       entierten Modell wegzukommen“ (III_
nach wie vor – als zentrale Perspektive      und zu reflektieren, wenig Beachtung       GS_2). Genutzt werden im Sportunter-
des Sportunterrichts angesehen wird.         findet.                                    richt „gruppendynamische Dinge, sozi-
So wird in allen Aufzählungen der Lehr-                                                 ales Miteinander, dann der Gesund-
kräfte Leistung genannt und manchmal         3. Unter Mehrperspektivität ver-           heitsaspekt“ (I_Gy_2). Erwähnung fin-
auch gewichtet: Ein „Großteil geht na-       stehen die Lehrkräfte einen offe-          det darüber hinaus auch der „Wagnis-
türlich immer noch auf Leistung“, wo-        nen Ansatz                                 bereich“ im Rahmen einer Kletter-AG
bei auch das Miteinander „wichtig“ sei       Aus fachdidaktischer Sicht ist es inte-    (I_GX_2). In dieser Vielfalt sehen Lehr-
(IX_HS_3). Ein anderer sagt: „Nach           ressant zu sehen, in welcher Weise die     kräfte eine wichtige Voraussetzung für
wie vor ist der Leistungsbereich der         befragten Sportlehrkräfte mehrper-         die    Integration   sportschwächerer
Wichtigste“ (I_Gy_2).                        spektivischen Sportunterricht für sich     Schülerinnen und Schüler. Denn nach
                                             deuten und wie nah oder fern sie dabei     Meinung einiger Lehrkräfte „[lehnen]
Dominanz und Relevanz der Leistungs-         normativen Lesarten fachdidaktischer       viele Schüler Sport ab und drücken
perspektive werden jedoch mit Blick          Autoren sind. Das erwartbar breite         sich“ (VII_RS_2).5
auf leistungsschwächere Schülerinnen         Spektrum lässt sich hinsichtlich drei
und Schüler kritisch gesehen: So be-         verschiedener Schwerpunkte bündeln:        Insgesamt artikulierten die befragten
richtet beispielsweise ein Sportlehrer,                                                 Sportlehrkräfte ein positives Verständ-
dass er einige übergewichtige Kinder         Erstens assoziieren einige Sportlehr-      nis mehrperspektivischen Sportunter-
in seiner Klasse habe, „die man über         kräfte mit dem mehrperspektivischen        richts. Sie assoziieren mit Mehrper-
die Leistungsperspektive nicht so krie-      Sportunterricht eine Relativierung der     spektivität unterschiedliche unterricht-

2017		                                              INFO-Fachbereich Sport		                                                  5
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
Bei der Durchführung ihres Sportunter-
                                                                                                           richts stehen für die meisten Sportlehr-
leitartikel

                                                                                                           kräfte mehrperspektivische Aspekte
                                                                                                           nicht im Mittelpunkt. Zwar nennen eini-
                                                                                                           ge Lehrkräfte inhaltliche Beispiele, wie
                                                                                                           Le Parkour (Wagnis und Ausdruck)
                                                                                                           oder Kooperationsaufgaben in Klasse 5
                                                                                                           (alle Schüler sollen einen Mattenberg
                                                                                                           erklimmen), jedoch bleibt unklar, wie
                                                                                                           diese Perspektiven thematisiert wer-
                                                                                                           den. Diese Unschärfe wird auch in den
                                                                                                           folgenden Hinweisen eines Sportleh-
                                                                                                           rers sichtbar, der betont, dass er beim
                                                                                                           ausdauernden Laufen „schon auch auf
                                                                                                           diese Gesundheitsgeschichten zu spre-
                                                                                                           chen“ komme; gemeint ist damit: „ein
                                                                                                           bisschen erklären, Pulsschlag, Ruhe-
                                                                                                           puls, Belastungspuls, dass es wichtig
                                                                                                           ist, dass das Herzkreislaufsystem ge-
                                                                                                           stärkt wird“ (VI_RS_2).
              Foto 3: Im Sportunterricht neue Perspektiven eröffnen: gemeinsam handeln, wettkämpfen und
                       sich verständigen                                                                   Nur drei der befragten Sportlehrkräfte
                                                                                                           deuten eine Perspektivierung an: Beim
              liche Freiräume. Allerdings dürfen die         zogene Überlegungen: „Wenn ich den            Schwimmen geht es einem Sportlehrer
              Aussagen nicht so verstanden werden,           Unterricht plane, denke ich eher an Si-       neben Leistung auch um das Wagnis
              als ob die befragten Sportlehrkräfte al-       cherheitsmaßnahmen, die notwendig             beim „Springen“, um Gesundheit beim
              lesamt mit dem Konzept der Mehrper-            sind“ (IV_GemS_3).                            „Rückenschwimmen“ und um das Mit-
              spektivität gut vertraut wären und die-                                                      einander beim „Staffelschwimmen“
              ses regelmäßig bei ihrer Stundenpla-           Mehrfach finden sich Hinweise darauf,         (III_GS_3). Ein anderer Sportlehrer ach-
              nung und Stundengestaltung berück-             dass Sportlehrkräfte eher „intuitiv“          tet besonders darauf, seiner Klasse
              sichtigen. Einzelne Lehrkräfte geben           (VI_RS_2) Perspektiven in ihrem Sport-        Fußball nicht nur unter der Leistungs-
              nämlich unumwunden zu: „Es ist nicht           unterricht beachten, ohne diese explizit      perspektive anzubieten und damit das
              so, dass ich mir jetzt jede Stunde Ge-         im Voraus zu planen: „Ich setze mich          Interesse starker Vereinsfußballspieler
              danken um Mehrperspektivität mache“            jetzt nicht hin und sage, oh, jetzt müs-      zu bedienen, sondern sein Anspruch
              (IX_HS_2)!                                     sen wir mal wieder was zum Thema              sei es, Fußball jede Woche „einmal an-
                                                             Gesundheit machen“ (VII_RS_4). Ein            ders“ (X_RS_1) spielen zu lassen. Ein
              4. Die (pädagogischen) Perspektiven            anderer Sportlehrer betont, dass bei          weiterer Sportlehrer erwähnt eine
              sind aus Sportlehrersicht noch kei-            ihm die Berücksichtigung der Perspek-         Sportstunde zum Inline Skaten in der
              ne etablierten Planungs-, Durchfüh-            tiven eher unbewusst ablaufe; sein Ziel       Sporthalle, „wo Tricks, aber auch Ge-
              rungs- und Auswertungskategorien!              sei es, den Kindern einen „abwechs-           schicklichkeit und spielerische Momen-
              Neben und nach Fragen zur Kenntnis,            lungsreichen Unterricht“ zu ermögli-          te eine Rolle spielen“ (II_RS_2).
              zum Verständnis und zur Akzeptanz              chen (V_SFZ_3).
              mehrperspektivischen Sportunterrichts                                                        Das Auswerten von Sportunterricht gilt
              ist es von besonderem Interesse, et-           Bewusste perspektivische Planungs-            in der Fachdidaktik als „vernachlässigte
              was über die unterrichtliche Relevanz          entscheidungen werden im Vorfeld ei-          Aufgabe“ der Sportlehrkräfte (Crum,
              der Mehrperspektivität aus Sicht der           ner Unterrichtsreihe kaum getroffen.          1983). Dieser Eindruck wird mit folgen-
              Sportlehrkräfte zu erfahren. Um nicht          Perspektiven finden bei der Unter-            der Aussage sicherlich bestätigt:
              nur pauschale Antworten auf unsere             richtsplanung eher unspezifisch und si-       „Nachbereitung, Auswertung? (lacht)
              Fragen zur Planung, Durchführung und           tuationsbezogen Beachtung (II_RS_2).          ich hab’ volles Deputat – hallo?“ (IX_
              Auswertung      des    (mehrperspekti-         Man habe, so erklärt ein jüngerer Sport-      HS_4). Abgesehen von dieser Stellung-
              vischen) Sportunterrichts zu erhalten,         lehrer, mittlerweile ein Gefühl für das,      nahme geben die Befragten zu erken-
              haben wir die Lehrkräfte gebeten, dazu         „was gut ankommt bei den Schülern“            nen, dass sie ihren Sportunterricht
              Unterrichtsbeispiele zu beschreiben,           (VIII_RS_2). Lediglich ein Sportlehrer        nicht mit Blick auf Mehrperspektivität
              die das Gesagte konkretisieren.                beschreibt seinen Planungsprozess so,         auswerten: „Wenn ich jetzt einen nor-
                                                             wie dieser im Rahmen mehrperspekti-           malen Unterricht hab’, dann überlege
              Bei der Planung ihres Sportunterrichts         vischer Reihenplanung in der Fachdi-          ich danach nicht, welche Perspektive
              spielt Mehrperspektivität bei den meis­        daktik nahe gelegt wird (vgl. Balz &          habe ich jetzt akzentuiert!“ (X_RS_2).
              ten Lehrkräften eine sehr untergeord-          Neumann, 2015): „Also, ich suche mir          Ein anderer ergänzt: „Da [bei der Aus-
              nete Rolle. Beispielsweise stehen bei          nicht eine Perspektive aus und überle-        wertung, PN] denke ich nicht an Mehr-
              einem Hauptschulsportlehrer der rela-          ge mir dann eine Sportart dazu, son-          perspektivität“ (VII_RS_4), sondern
              tiv konfliktfreie und reibungslose Unter-      dern ich habe eine Sportart, die ich um-      eher an die „Organisation“ oder die „El-
              richt „eher im Zentrum als sich Gedan-         setzen will und überlege dann, wie            ternarbeit“ (VII_RS_4), wenn Kinder ih-
              ken über Mehrperspektivität zu ma-             kann ich die verschiedenen Perspekti-         re Sportsachen wiederholt vergessen
              chen“ (IX_HS_3). Bei einem anderen             ven dazu akzentuieren“ (X_RS_1).              oder wenn sie wieder keine Entschuldi-
              Sportlehrer dominieren sicherheitsbe-                                                        gung dabei haben.

              6		                                                     INFO-Fachbereich Sport		                                                2017
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
Insgesamt ist eine gewisse Zurückhal-        der alltagpragmatischen Orientierung           grube, um einer Verdichtung des
tung der Lehrkräfte nicht von der Hand       der Sportlehrkräfte (entlang der Leis-         Sandes und einem Umknicken vor-

                                                                                                                                      leitartikel
zu weisen, was die Umsetzung mehr-           tungsperspektive) auf der anderen Sei-         zubeugen; Fegen des Anlauf- sowie
perspektivischen Sportunterrichts im         te nicht zu übersehen. Deshalb wäre            des Absprungbereiches, um ein
schulischen Alltag betrifft. Liest man       schon ein erster und wichtiger Schritt,        Ausrutschen oder gar Stürzen zu
die Antworten der befragten Sportlehr-       wenn es gelänge, Lehrkräften den päd-          verhindern)
kräfte quer, erhärtet sich der Eindruck,     agogisch bedeutsamen Unterschied
dass die Lehrkräfte dem Ansatz unter-        zwischen der „Leistungsperspektive“         • W
                                                                                            as kann ich tun, um meine Anlauf-
richtlicher Mehrperspektivität einer-        und der pädagogischen Perspektive             geschwindigkeit in Weite zu über-
seits zwar positiv gegenüber stehen,         „das Leisten erfahren und reflektie-          führen? (Wie und woran merke ich,
andererseits wird der mehrperspektivi-       ren“ aufzuzeigen. Mit Blick auf diesen        dass die Gestaltung der beiden letz-
sche Sportunterricht den Nimbus einer        Unterschied sprechen Kuhlmann &               ten Schritte vor dem Absprung opti-
„Feiertagsdidaktik“ aber auch nicht          Kurz (2013, S. 66) von einer „mehrwer-        mal ist? Nehme ich in der Flugphase
los.                                         tigen“ pädagogischen Perspektive:             mein Absprungbein überhaupt nach
                                                                                           vorne?)
Für eine Beachtung anderer Perspekti-        Unter der Leistungsperspektive im
ven als der vielerorts üblichen „Leis-       Sportunterricht geht es - vereinfachend     • W
                                                                                            ie kann ich anderen dabei helfen
tung“ spricht aus Lehrersicht vor allem      gesagt - vornehmlich darum, in Bewe-          und wie können mich andere darin
die Suche nach Alternativen für sport-       gungs- und Spielaufgaben leistungsori-        unterstützen, weit(er) zu springen?
schwächere Schülerinnen und Schüler          entiert zu handeln, also um Sieg und          (z. B.: Fühle ich mich motivierter,
oder die für notwendig befundene Aus-        Niederlage zu kämpfen, sich zu mes-           wenn ich mich mit meinen Mitschü-
richtung des Sportunterrichts an sozial-     sen, zu verbessern und zu vergleichen,        lern vergleiche? Welche Tipps
erzieherischen Zielen (zumindest in          aber auch verglichen und gemessen zu          könnte ich meinem Partner/meiner
den unteren Jahrgangsstufen). Darü-          werden.                                       Partnerin geben, damit diese(r) wei-
ber hinaus verbinden wenige Sport-                                                         ter springen kann?)
lehrkräfte mit Mehrperspektivität die        Unter der pädagogischen Perspektive
Option, den Schülerinnen und Schülern        soll es darum gehen, sich erstens           • E
                                                                                            rlebe ich bei meinen Sprüngen
einen motivierenden Sportunterricht          Leistungsanforderungen zu stellen,            Angst und wie kann ich damit um-
anbieten zu können. In diesem Zusam-         diese zu meistern und seine Leistung          gehen, damit mich diese Angst
menhang wird Mehrperspektivität              zu steigern; zweitens gilt es, den Pro-       nicht hemmt? (z. B.: Fühle ich mich
eher als Wechsel der Inhalte missver-        zess des Leistens zu verstehen und            vor der Präsentation meiner
standen. Dabei meint mehrperspektivi-        Wissen zu erwerben, wie beispiels-            Sprungleistung wohl oder was stört
scher Sportunterricht vor allem wech-        weise Leistungen gesteigert werden            mich? Stellt das Springen über ei-
selnde Zielstellungen bei gleichem In-       können; drittens sollen Schüler befä-         nen Bananenkarton eine Lernhilfe
halt (vgl. Balz & Neumann, 2015).            higt werden, über den Prozess (Lei-           für mich dar oder ist das für mich ein
                                             sten) und das Produkt (Leistung) zu re-       beängstigendes Hindernis?)
Ein vermittelnder Vor-                       flektieren und beides zu beurteilen (vgl.
schlag zum Abschluss                         Kuhlmann & Kurz, 2013). Vermittelt          Fußnoten
Die Antworten und Aussagen der be-           werden soll die Einsicht, dass sport-       1) Dieser Lesart folgend, lässt sich die
fragten Sportlehrkräfte zeichnen ein         liche Leistungssituationen prinzipiell      Geschichte der Mehrperspektivität si-
Bild vom Sportunterricht, in dem eher        auf willkürlich festgelegten und damit      cherlich als eine Erfolgsgeschichte in-
selten und situativ mehrperspektivisch       auf stets veränderbaren Gütekriterien       terpretieren. Angesichts mancher
unterrichtet wird. Dabei orientieren         basieren, die zur Bestimmung und Be-        Missverständnisse auf der Ebene des
sich die Sportlehrkräfte oftmals noch        wertung sportlicher Leistungen heran-       Sportunterrichts sowie kritischer Ein-
an den von Kurz (1977) geformten             gezogen werden.                             lassungen auf der Ebene der Fachdi-
„Sinnperspektiven“ des Sports. Dass                                                      daktik halte ich dies jedoch für nicht an-
in den Curricula und in der Fachdidaktik     Ein Perspektivenwechsel käme dann           gemessen. Typische Missverständnis-
mittlerweile aber eine pädagogische          ins Spiel, wenn Zusammenhänge zwi-          se lauten beispielsweise: Mehrpers-
Perspektivierung mit dem Anspruch ei-        schen der Leistungsperspektive und          pektivischer Sportunterricht bedeutet,
ner individuellen Entwicklungsförde-         anderen Perspektiven aufgezeigt und         auf Leistung zu verzichten oder in jeder
rung für den Sportunterricht gefordert       im Sportunterricht thematisiert wer-        Sportstunde alle Perspektiven zu be-
bzw. empfohlen wird, bleibt meist un-        den. Denn es gilt doch, über eine ver-      achten oder in jeder Unterrichtsstunde
bemerkt. Vor diesem Hintergrund ist          einfachte Auslegung der Leistungsper-       jeweils eine neue Perspektive zu nut-
es in meinen Augen wenig erfolgver-          spektive hinaus zu kommen: Beispiels-       zen!
sprechend für die zukünftige Rezeption       weise können bei der Vermittlung des
mehrperspektivischen           Sportunter-   Springens in die Weite (Weitsprung)         2) Im Bildungsplan 2016 für „Bewe-
richts, alleinig auf eine stärkere Beach-    die Gesundheits-, die Eindrucks-, die       gung, Spiel und Sport – Grundschule“
tung im Zuge der Implementation des          Gemeinschafts- und die Wagnisper-           heißt diese Perspektive nur „Gesund-
neuen Bildungsplans (2016) zu hoffen.        spektive für den Prozess des Leistens       heitsbewusstsein entwickeln“ (S.9).
                                             und die Leistung mit folgenden Überle-
Meines Erachtens sind die Differenzen        gungen relevant sein:                       3) Dieses „Zusammenspiel“ der bei-
zwischen der geforderten pädagogi-                                                       den Kompetenzlinien scheint mir opti-
schen Akzentuierung des Sportunter-          • W
                                                as muss ich tun und beachten, da-       mierbar zu sein. Zumindest wäre es –
richts (im Sinne der pädagogischen             mit ich mich beim Springen nicht          in meinen Augen – ein Konstruktions-
Perspektiven) auf der einen Seite und          verletze? (z. B.: Rechen der Sprung-      vorteil gewesen, wenn es gelungen

2017		                                              INFO-Fachbereich Sport		                                                     7
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
wäre, die Anzahl der prozessbezoge-        Literatur
               nen Kompetenzen zu reduzieren oder         Balz, E. (2017). Perspektivenwechsel     Kuhlmann, D. & Kurz, D. (2013). Leis-
 leitartikel

               diese konsequenter (sichtbarer) mit        als Bildungsmomente. sportunterricht     ten und Leistungen – verbessern,
               den inhaltlichen Kompetenzerwartun-        66, (1).                                 verstehen, meistern. In P. Neumann &
               gen zu verschränken. Beispielsweise                                                 E. Balz (Hrsg.), Sportdidaktik. Pragma-
               wäre es möglich gewesen, die pro-          Balz, E. & Neumann, P. (2015). Mehr-     tische Fachdidaktik für die Sekundar-
               zessbezogenen      Kompetenzen       als   perspektivischer Sportunterricht.        stufen I und II (S. 63-73). Berlin: Cor-
               „Ebenen“ in das inhaltliche Kompe-         sportpädagogik 39 (3+4), 2-7.            nelsen.
               tenzgitter einzuziehen. Angesichts der
               jetzigen Konstruktion gehe ich davon       Baur-Fettah, Y., Renz, F. & Köhler, T.   Hapke, J. (2016). Erziehender Sportun-
               aus, dass sich Sportlehrkräfte eher        (2015). Aktuelle Lehrplanentwicklung     terricht zwischen Anspruch und Wirk-
               oder ausschließlich an den inhaltlichen    im Sport. Der Bildungsplan 2016 in       lichkeit – eine differenzanalytische
               Kompetenzerwartungen        orientieren    Baden-Württemberg. sportunterricht       Untersuchung zur Umsetzung pädago-
               werden, wenn sie ihren Sportunterricht     64 (3), 82-85.                           gischer Perspektiven. Dissertation.
               lehrplankonform planen, durchführen                                                 Erlangen.
               und auswerten wollen.                      Böttcher, A. (2016). „Etwas wagen
                                                          und verantworten“ – Anspruch und         Hapke, J. & Sygusch, R. (2014). Päda-
               4) Eine solche Gewichtung der Pers-        Wirklichkeit einer pädagogischen Pers-   gogische Perspektiven differenzanaly-
               pektiven begründet ein Sportlehrer an      pektive. In D. Wiesche, M., Fahlen-      tisch betrachtet. In E. Balz & P. Neu-
               einer Realschule mit Blick auf die Per­    bock & N. Gissel (Hrsg.), Sportpädago-   mann (Hrsg.), Schulsport: Anspruch
               spektive Miteinander in höheren Klas-      gische Praxis – Ansatzpunkt und Prüf-    und Wirklichkeit. Deutungen, Diffe-
               senstufen wie folgt: „Die Klasse (10)      stein von Theorie (S. 201-208). Ham-     renzstudien, Denkanstöße (S. 109-
               kennt sich seit sechs Jahren. Da muss      burg: Czwalina.                          122). Aachen: Shaker.
               ich jetzt nicht noch sagen, dass sie auf
               einem Zeitungspapier von A nach B          Böttcher, A. (2014). „Etwas wagen        Kurz, D. (1977). Elemente des Schul-
               kommen müssen oder so“ (VIII_              und verantworten“ – eine empirische      sports. Schorndorf: Hofmann.
               RS_3).                                     Prüfung. In E. Balz & P. Neumann
                                                          (Hrsg.), Schulsport: Anspruch und        Schmoll, L. (2004). Unterrichtsplanung
               5) Auffälliges Schülerverhalten im         Wirklichkeit. Deutungen, Differenzstu-   mit dem Sportlehrplan für die gymna-
               Sportunterricht kann also einen Wech-      dien, Denkanstöße (S. 123-134). Aa-      siale Oberstufe in Nordrhein-Westfa-
               sel der Perspektivierung und eine Rela-    chen: Shaker.                            len – Qualitative Analysen der subjek-
               tivierung der Leistungsperspektive be-                                              tiven Planungsarbeit. Dissertation.
               dingen: „Wenn die überhaupt keinen         Ehni, H. (1977). Sport und Schulsport.   Bochum.
               Bock haben, Leistung zu bringen, was       Schorndorf: Hofmann.
               immer häufiger ist, dann versuch’ ich
               mal, wie könnt’ ich denn diese Sportart
               noch angehen, dass ich den Schwer-
               punkt auf eine andere Perspektive leg’
               “(IX_HS_4).

               8		                                               INFO-Fachbereich Sport		                                             2017
INFO Fachbereich Sport - Ausgabe2017 Heft45 - KIT
Schüler werden Spielexperten und entwickeln

                                                                                                                                      aus den schulen
kreative Sportspiele mit Alltags- und
Recycling­materialien
Ein Ansatz zur Umsetzung der neuen Leitperspektive zur
nachhaltigen Entwicklung
Dr. Hans-Christian Kleppel, Ludwig–Marum–Gymnasium Pfinztal

Dieser Artikel zur Steigerung der Hand-       ideen entwickeln und umsetzen’ und          nen gut kombiniert werden und sind
lungsfähigkeit von Schülerinnen und           ‚gemeinsam Regeln entwickeln und            daher flexibel einsetzbar und ortsunab-
Schülern (SuS) ist aus der ,Dokumenta-        akzeptieren’ (siehe Baschta, 2015,          hängig. Dies kann beispielsweise in
tion einer Unterrichtseinheit‘ (Referen-      S. 7) stehen im Vordergrund der Spiel-      Landschulheimen vielfältige Möglich-
dariat am Staatlichen Seminar Karlsru-        entwicklung.                                keiten eröffnen. Unter Beachtung ei-
he (Gymnasien), Fachleiter: Christian         Vor allem ,kleine Spiele‘ bieten vielfäl-   niger Grundsätze (keine scharfen Kan-
Hurle) entstanden und baut auf den            tige Lernerfahrungen im Bereich der         ten oder Verschmutzung) ist das Ver-
Spielvariablenkonzepten von Emrich            konditionellen und koordinativen Fähig-     letzungsrisiko gering. Zudem weisen
(2011), Hurle (2015) und Baschta (2015)       keiten sowie taktischer und sozialer        diese Materialien einen hohen Auffor-
auf. Die hier vorgestellten sowie wei-        Verhaltensweisen, aber auch bezüglich       derungscharakter sowie eine Erzie-
tere Spielformen stehen auf dem Ser-          Regelbewusstsein (Moosmann, 2014).          hungsfunktion zum nachhaltigen Um-
ver des Regierungspräsidiums (https://        Zusätzlich helfen diese Spielformen         gang mit Recyclebarem bzw. Müll auf.
moodle.rpka.ka.schule-bw.de/moodle/           aufgrund ihres ausgeprägten Spaßfak-        Vor allem im Hinblick auf die Leitper-
blocks/exa2fa/login/) zur Verfügung           tors für Kinder beim Erreichen länger-      spektive ‚Bildung für nachhaltige Ent-
und können direkt im Unterricht einge-        fristiger Ziele wie beispielsweise der      wicklung (BNE)’ stellt dies einen Mehr-
setzt werden.                                 Erziehung zum lebenslangen Sporttrei-       wert des Schulsports im Vergleich zu
Die Möglichkeiten des Schulfaches             ben. Für SuS kann die Integration in        üblichen Spielgeräten (Fußball, Hüt-
Sport, einen Beitrag zur Umsetzung            diesen Variationsprozess wertvoll sein.     chen usw.) dar. Nachhaltigkeit ist ein
der Leitperspektiven zu leisten, wird         Die in dieser Unterrichtseinheit ange-      zentraler Wert unserer Gesellschaft.
bislang vor allem bei den Leitperspekti-      strebte Entwicklung der SuS zu Spiel-       So verankern viele Gymnasien in Ba-
ven ‚Bildung für Toleranz und Akzep-          experten zielt auf die Ausbildung allge-    den-Württemberg – auch das Ludwig-
tanz von Vielfalt (BTV)’ und ‚Prävention      meiner Spielfähigkeit, Persönlichkeits-     Marum-Gymnasium Pfinztal (LMG) –
und Gesundheitsförderung (PG)’ (Bil-          bildung und den theoriegeleiteten Um-       diesen Wert in ihrem schulischen Leit-
dungsplan 2016 BW) gesehen. Dieser            gang mit Spielregeln sowie deren Vari-      bild bzw. in ihrer Schulphilosophie.
Artikel setzt neue Akzente und bindet         ationen ab (König, Memmert & Moos-          Jährlich wird am LMG ein Nachhaltig-
die Leitperspektive ‚Bildung für nach-        mann, 2012, S. 13f). Zudem stehen die       keitstag bzw. Eine-Welt-Tag (EWT) ver-
haltige Entwicklung (BNE)’ in den             Reflexions- und Sozialkompetenz im          anstaltet. Die Schule orientiert sich so-
Sportunterricht mit ein.                      Mittelpunkt. Die SuS lernen, „wie sie       mit stark am sozial-aktiven Leben ihres
                                              die Formen und Rahmenbedingungen            Namensgebers. Am EWT werden die
Ausgangslage                                  der vorgegebenen Sportarten verän-          SuS wie auch deren Eltern und Besu-
                                              dern können“ (Aschebrock, 2013,             cher für einen nachhaltigen Umgang
Der Zugang zu Sportspielen und deren          S. 61). Die hier erworbenen Fähigkei-       mit Rohstoffen und Natur sensibilisiert.
Spielregeln fällt einigen SuS zuneh-          ten tragen somit nachhaltig zur Steige-     Die Idee ‚mit Müll Sport zu treiben’
mend schwerer (siehe hierzu Moos­             rung der Handlungsfähigkeit im und          passt daher gut in das soziale Konzept
mann, 2014). Sportspiele stellen eine         durch Sport bei.                            des LMG und vieler weiterer Schulen.
gute Möglichkeit zum Erreichen päda-                                                      Um die Inhalte der hier berichteten Un-
gogischer Ziele sowie der Förderung           Nachhaltigkeit im Sport-                    terrichtseinheit für alle am Schulleben
der Selbständigkeit von SuS im Sport-         spiel                                       Beteiligten sichtbar zu machen, er-
unterricht dar (Bräutigam, 2003; Ach-                                                     scheint es sinnvoll, an einem solchen
tergarde, 2015). Spielen nimmt derzeit        Der Einsatz von Alltags- und Recycling-     EWT ein oder mehrere Sportspiele mit
– glücklicherweise – einen großen Stel-       materialien (wie beispielsweise Blech-      Alltags- und Recyclingmaterialien anzu-
lenwert im Schulsport ein (Baschta,           dosen, Plastikbecher, Kronkorken, Pap-      bieten und durchzuführen. So kann der
2015). Wie auch der Bildungsplan von          prollen und Eierkartons) im Sportspiel      Sportunterricht einen wichtigen Bei-
2004 rückt der neue Bildungsplan 2016         bietet mehrere Vorteile gegenüber           trag zu mehr ‚Bildung für nachhaltige
das Sportspiel inhaltlich in den Mittel-      klassischen Spielsportgeräten (siehe u.     Entwicklung’ leisten.
punkt des Sportunterrichts und ver-           a. Mertens, 2005, S. 7). Aufgrund ihrer     Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt einige
weist auf die Entwicklung von Hand-           Neuartigkeit besteht keine bzw. wenig       Einsatzmöglichkeiten von Alltags- und
lungsfähigkeit bzw. Handlungskompe-           Normierung hinsichtlich des Einsatzes       Recyclingmaterialien im Sportunter-
tenz als zentrale Leitidee. Hierfür ist je-   von Alltags- und Recyclingmaterialien.      richt auf.
doch eine inhaltliche Auseinanderset-         Zudem sind diese Materialien häufig
zung mit der Spielorganisation notwen-        kostenfrei und einfach zu beschaffen.
dig. Kompetenzen wie ‚eigene Spiel­           Alltags- und Recyclingmaterialien kön-

2017		                                               INFO-Fachbereich Sport		                                                    9
Spielorganisation und
                                                                Gemeinsame Einsatzmöglich-                    Alleinstellungsmerkmal von All-
                  -variation
                                                                keiten von Alltagsmaterialien                 tagsmaterialien bzgl. herkömm-
aus den schulen

                                                                und herkömmlichen Sportgerä-                  lichen Sportgeräten
                  Die Schülerinnen und Schüler sollen in
                                                                ten
                  der hier beschriebenen Unterrichtsein-
                  heit durch Ausprobieren und Variieren         •V
                                                                  erbesserung der sportmoto-                 • Weiterentwicklung des kreativen
                  von Staffel-, Fang- und Zielschussspie-        rischen Fähigkeiten                             Handelns
                  len mit Alltags- und Recyclingmateri-          Kräftigung der Muskulatur, Schu-                Variation des Materialgebrauchs,
                  alien zu Spielexperten avancieren. Hier-       lung der Ausdauer, Training der                 Kombination mit anderen Materialien,
                  zu ist es nötig, vorab ein passendes           Beweglichkeit, Weiterentwicklung                Veränderung und Entwicklung von
                  und (auch für die SuS) konsistentes            der koordinativen Fähigkeiten                   Spielideen.
                  Konzept zur Spielorganisation dieser
                  Spielformen vorzustellen. Es existieren       •S
                                                                  chulung der Wahrnehmungs-                  • Aufforderungscharakter
                  bereits mehrere (sehr gute und gute            fähigkeit                                       Unkonventionelle Nutzung fördert
                  einsetzbare) Konzepte zur Einstellung          Verbesserung der Leistungsfähig-                Interesse
                  bzw. Veränderbarkeit verschiedener             keit der Analysatoren, Initiierung
                  Spielformen, die sich in ihren Grundzü-        vielfältiger materialer Erfahrungen          •V
                                                                                                                ielseitige sportmotorische Ent-
                  gen ähneln, sich jedoch aufgrund ihres         usw.                                          wicklung
                  unterschiedlichen Spielformenbezugs                                                          Vielfältige Bewegungsherausforde-
                  im Detail unterscheiden (siehe Basch-         •F
                                                                  örderung sozialer Fähigkeiten               rungen ohne normierte Bewegungs-
                  ta, 2015; Emrich, 2011; Hurle, 2015).          Weiterentwicklung der Koopera-                erfahrungen
                  Der Einsatz von Alltags- und Recycling-        tions- und Teamfähigkeit beim
                  materialien erscheint anhand dieser            gemeinsamen Lösen von Aufga-
                  Konzepte zudem schwierig. Daher wur-           ben, Förderung der Kommunikati-
                  de auf der Basis dieser bereits er-            onsfähigkeit
                  probten Konzepte ein neues Konzept
                  zu Spielvariablen entwickelt (siehe Ab-
                  bildung 1).
                                                               Tabelle 1: Einsatzmöglichkeiten von Alltags- und Recyclingmaterialien im Vergleich zu herkömm-
                  Dynamisches Konzept zu                                   lichen Sportgeräten (u.a. nach Mertens, 2005)
                  Spielvariablen

                  Seinen dynamischen Charakter erhält          übergreifend verstanden wer­  den und             variablen von Staffelspielen. Hier be-
                  das Konzept aufgrund seiner allgemein        dienen der Ausdifferenzierung der                 stehen viele Variationsmöglichkeiten.
                  gehaltenen Begriffe und Variablenein-        Spielvariablen. So wird das Konzept für           Als Subvariable ist beispielweise das
                  teilung. So lässt es sich schnell auf        SuS greifbarer.                                   ‚Ablöseverfahren’ für Staffelspiele ein-
                  mehrere Spielformen übertragen bzw.                                                            zigartig. Variationen dieser Subvariable
                  anpassen. Dies erscheint besonders           Dieses übergreifende ‚dynamische                  verändern die Art der Staffel maßgeb-
                  wichtig, da hiermit die allgemeine           Konzept’ kann nun auf unterschiedliche            lich. Praxiserfahrungen zeigen, dass
                  Spielfähigkeit der Schülerinnen und          Spielformen angepasst bzw. einge-                 vor allem das Ablösen mittels einer
                  Schüler ausgebildet werden soll.             stellt werden. Unter Berücksichtigung             Mütze, welche der aktive Spieler trägt,
                  Nachdem passende Spielvariablen vor          der Variationsmöglichkeiten von Staf-             sehr gerne gespielt wird und zudem
                  allem aus den Konzepten nach Emrich          felspielen nach Lang (2007) ist nachfol-          praktikabel ist.
                  (1994, 2011) und Hurle (2015) über-          gendes Konzept für die Einstellung von
                  nommen wurden, erfolgte die Syste-           Spielvariablen bei Staffelspielen ent-
                  matisierung der Spielregeln auf der          standen und dient hier als Grundlage
                  Grundlage von Achtergarde (2007). Um         für alle Staffelspiele (siehe Abbildung
                  das Konzept für mehrere Spielformen          2). Die aufgeführten Variationsmöglich-
                  nutzbar zu machen, mussten weitere           keiten sind (selbstverständlich) nicht
                  Spielvariablen eingeführt bzw. eine          vollständig und können beliebig er-
                  neue Unterteilung (Subvariablen) vor-        gänzt werden.
                  genommen werden. In allen Spiel-             Auf dem Server des RP Karlsruhe (s.o.)
                  formen sollen (auch) Alltags- bzw. Re-       stehen analoge Abbildungen zu den
                  cyclingmaterialien eingesetzt werden.        Konzepteinstellungen für Fang- sowie
                  Um die Wichtigkeit der Materialien zu        Zielschussspiele bereit.
                  verdeutlichen und um deren Einstellung       Es wird deutlich, dass die Spielvariable
                  zu erleichtern, wurden diese z. B. aus       ‚Tore’ hier nicht genutzt wird und somit
                  der Spielvariable ,Spielfeld/-bälle‘ (nach   aus der Übersicht herausfällt, da Toren
                  Hurle, 2015) ausgegliedert und verall-       im eigentlichen Sinn bei Staffelspielen
                  gemeinert (siehe Abbildung 1). Es erge-      keine Bedeutung zukommt. Die ver-
                  ben sich daher neue Spielvariablen wie       bleibenden vier Spielvariablen wurden
                  beispielsweise ,Aufgaben‘, welche vor        hingegen weiter ausdifferenziert. Vor
                  allem für Staffelspiele notwendig er-        allem ‚Aufgaben’ (z.B. Dosenwerfen,
                  scheinen. Die in Abbildung 1 dargestell-     Memory) und ‚Spielregeln’ (z. B. Wen-
                  ten Subvariablen können sportarten­          de-, Pendelstaffel) sind typische Spiel-

                  10		                                                  INFO-Fachbereich Sport		                                                         2017
aus den schulen
Abbildung 1: D
              ynamisches Konzept zur Spielorganisation mittels Spielvariablen: Gesamtübersicht und Einordnung. Die (Sub-)variablen sind hier
             sportspielübergreifend und können ergänzt sowie weggelassen werden.

Abbildung 2: Konzept zu Spielvariablen, eingestellt für Staffelspiele; in Anlehnung an Lang (2007)

2017		                                                   INFO-Fachbereich Sport		                                                               11
Unterrichtsvorhaben – Bei-                       Eine Variationsmöglichkeit der Wurfbu-    Schülervariationen.        Beispielsweise
                  spiele für Sportspiele mit                       den-Staffel ist in Abbildung 4 darge-     musste am Ende der zweiten Woche
aus den schulen

                  Alltags- und Recyclingma-                        stellt. Hier wurden die ‚Spielregeln’     als Hausaufgabe eine Spielvariation in
                  terialien                                        bzw. die beiden Subvariablen ‚Art der     Kleingruppen erarbeitet und anschlie-
                  Nach der Einstellung der Spielvariablen          Fortbewegung’ und ‚Anzahl der Wie-        ßend vor der Klasse vorgestellt werden.
                  auf die jeweilige Spielform können nun           derholungen’ verändert. Die SuS kön-      Das (für die Klasse) interessanteste
                  konkrete Spiele mithilfe dieser Spielkar-        nen eigene Variationsmöglichkeiten        Spiel wurde dann gemeinsam gespielt.
                  ten beschrieben werden (siehe Abbil-             durch Einkreisen der entsprechenden       Die Unterrichtseinheit endete mit der
                  dung 3-6). Die Lehrkraft kann diese              Buttons direkt in der Sporthalle umset-   Wahl ‚des besten Sportspiels’ der Ein-
                  Spielkarten mit in den Unterricht neh-           zen.                                      heit – was, ohne Überraschung, ein von
                  men und so das Staffelspiel effizient an-                                                  Schülern selbst erfundenes Staffelspiel
                  leiten. Die Schülerinnen und Schüler ler-        Die Unterrichtseinheit zum Thema          war: eine Wurfbuden-Staffel mit All-
                  nen (nach einer allgemeinen Einfüh-              ‚Spielexperten werden!’ am Ludwig-        tags- und Recyclingmaterialien. Diese
                  rung) den Umgang mit den Spielvaria-             Marum-Gymnasium Pfinztal wurde            Biathlon-Staffel ist inklusive der Aufbau-
                  blen. Dies steigert nicht nur die Metho-         über drei Wochen (je 3h Sportunter-       skizze in den Abbildungen 5 und 6 dar-
                  denkompetenz der gesamten Klasse,                richt) in einer siebten Klasse durchge-   gestellt. Besonders hervorzuheben ist
                  sondern reduziert auch den Zeitauf-              führt. Neben der Vorstellung des dyna-    die schülereigene Differenzierung der
                  wand der Spielerklärung. Aus eigener             mischen Variablenkonzepts musste zu-      Stations-Aufgabe bzgl. der unterschied-
                  Erfahrung lässt sich sagen, dass diese           nächst geklärt werden, warum Sport-       lichen Wurf-Niveaus der Klasse. Es
                  Spielkarten auf eine hohe Schülerakzep-          spiele variiert werden sollten und was    musste je fünfmal mit Kronkorken auf
                  tanz stoßen. Das Beispiel ‚Wurfbude’             ein gutes Spiel ausmacht.                 die weiter entfernten Dosen (2m Ab-
                  (Abbildung 3) verdeutlicht die Einstel-          Von Beginn an wurden viele Fang-, Staf-   stand) sowie näheren Dosen (1m Ab-
                  lung der Spielvariablen für dieses eine          fel- und Zielschussspiele durchgeführt    stand) geworfen werden. Die Einteilung
                  konkrete Spiel. Die entsprechenden               und mithilfe der Spielkarten (von der     der Mannschaftsmitglieder auf den
                  ‚Buttons’ wurden vorab vom Lehrer ‚an-           Lehrkraft) angeleitet. Die SuS ge-        Grad der Wurfschwierigkeit wurde von
                  geklickt’ und verdeutlichen so die Aus-          wöhnten sich schnell an den Umgang        den Mannschaften selbst durchgeführt.
                  wahl der einzelnen Spielvariablen. Für           mit den Karten. Auffällig war die deut-   Hatte ein Werfer zwei Treffer aus maxi-
                  die SuS ist nun schnell ersichtlich (a)          liche Reduktion der Nachfragehäufig-      mal fünf Würfen erreicht, durfte er ohne
                  wie das Spiel funktioniert und (b) wie           keit nach den Spielerklärungen. Im Ver-   Strafrunde weiterlaufen. Gelang dies
                  das Spiel variiert werden kann. Eigene           lauf der drei Wochen reduzierte die       nach fünf Würfen nicht, musste die An-
                  Ideen können natürlich jederzeit einflie-        Lehrkraft die Spielvorgaben und ließ      zahl der fehlenden Treffer (1 oder 2) in
                  ßen.                                             (zunehmend) mehr Platz bzw. Zeit für      Strafrunden nachgeholt werden.

                    Abbildung 3: Basiskarte für das Staffelspiel Wurfbude

                  12		                                                      INFO-Fachbereich Sport		                                             2017
Sie können auch lesen