Schulblatt5/2021 Mädchen und MINT - Freude wecken, Selbstvertrauen stärken - Kanton Zürich
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Kanton Zürich Schulblatt Bildungsdirektion 5/2021 Mädchen und MINT Freude wecken, Selbstvertrauen stärken Bildungspreis Margrit Stamm für ihr Lebenswerk geehrt Stafette In der Klinikschule der Tagesklinik für Kinder Begabtenförderung Der Kulturbon ermöglicht eine kreative Auszeit
6 20 Magazin Fokus: Volksschule Mädchen und MINT 4 20 Kommentar 12 «Kulturagent.innen» Bildungsdirektorin Silvia Digital Days for Girls Ein Projekt fördert Steiner über MINT- Weibliche Lernende im das künstlerische Profil Förderung, die sich auszahlt ICT-Bereich machen von Schulen Sekschülerinnen ihre Berufe 5 schmackhaft 22 Im Lehrerzimmer Stafette Sekundarschule Bubikon 16 Die Klinikschule der Im Gespräch Tagesklinik für Kinder 6 Naturwissenschaftsdidakti Persönlich kerin Susanne Metzger 25 Der ungewöhnliche Weg erklärt, wie man Mädchen In Kürze der Erziehungswissen für MINT gewinnt schafterin Margrit Stamm 9 Meine Schulzeit Reto Lipp, Wirtschaftsjournalist und Fernsehmoderator Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Inhalt Wichtige Adressen Impressum Nr. 5/2021, 10.12.2021 Bildungsdirektion: www.zh.ch/bi Generalsekretariat: 043 259 23 09 Herausgeberin: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Walcheplatz 2, 8090 Zürich Erscheinungs Bildungsplanung: 043 259 53 50 Volksschulamt: 043 259 22 51 weise: fünfmal jährlich, 136. Jahrgang, Auflage: 19 000 Ex. Redaktion: jacqueline.olivier@ M erufsbildungsamt: 043 259 78 51 Amt für Ju ittelschul- und B bi.zh.ch, 043 259 23 07; pascal.turin@bi.zh.ch, 043 259 23 94; Sekretariat schulblatt@ gend und Berufsberatung: 043 259 96 01 Lehrmittelverlag Zürich: bi.zh.ch, 043 259 23 09 Abonnement: Lehrpersonen einer öffentlichen Schule im Kanton 044 465 85 85 Fachstelle für Schulbeurteilung: 043 259 79 00 Bil Zürich können das « Schulblatt» in ihrem Schulhaus g ratis beziehen (Bestellwunsch an die dungsratsbeschlüsse: www.zh.ch/bi > Bildungsrat Regierungsrats Schulleitung). Bestellung des «Schulblatts» an Privatadresse s owie Abonnemente für wei beschlüsse: www.zh.ch > Organisation > Regierungsrat > Aufgaben tere Interessierte: a bonnemente@staempfli.com, 031 300 62 52 (Fr. 40.– pro Jahr) O nline: und Beschlüsse www.zh.ch/schulblatt G estaltung: www.bueroz.ch Druck: www.staempfli.com Inserate: mediavermarktung@staempfli.com, 031 300 63 87 Re daktions- und Inserateschluss Titelbild: Sophie Stieger nächste Ausgabe: 27.1.2022 Das nächste «Schulblatt» erscheint am: 25.2.2022 Weiterbildungsangebote Unter den nachfolgenden Links finden Sie zahlreiche Schulungs- und Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen, Fachlehrpersonen, Schulbehörden und Schul leitende: Volksschulamt: www.zh.ch/bi > Volksschulamt > Aus- und Weiterbildungen Pädagogische Hochschule Zürich: www.phzh.ch > Weiterbildung Unter strass.edu: www.unterstrass.edu UZH/ETH Zürich: www.webpalette.ch > Sekundarstufe II > Gymnasium > UZH und ETH Zürich, Maturitätsschulen HfH – Inter kantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich: www.hfh.ch > Weiterbildung ZAL – Zürcher Arbeitsgemeinschaft für Weiterbildung der Lehrpersonen des Kantons Zürich: www.zal.ch > Kurse EB Zürich, Kantonale Berufsschule für W eiterbildung: www.eb-zuerich.ch ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Soziale Arbeit: www.zhaw.ch/sozialearbeit > Weiterbildung > Weiterbildung nach Thema > Kindheit, Jugend und Familie 2
28 34 Mittelschule Berufsbildung 39 Amtliches 26 32 Lernnavi Kulturbon 44 Neues Unterrichtstool hilft, Aussergewöhnliches schule & kultur Deutsch- und Mathematik- Begabungsförderungsprojekt kenntnisse zu verbessern an der Schule für Gestaltung 46 Agenda 28 34 Digitale Berufslehre heute Unterrichtsprojekte Hauswirtschafts- Satellitengestützte Fern praktiker EBA erkundung bereichert den Geografie-Unterricht 37 In Kürze 31 In Kürze Editorial In unserer hoch technologisierten Welt mangelt es an Fachkräften. MINT- Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Inhalt Förderprogramme von öffentlicher und privater Seite sind deshalb en vogue. Und immer mehr davon richten sich explizit an Mädchen, denn Frauen sind Jacqueline Olivier in naturwissenschaftlich-technischen Berufen teilweise stark untervertreten. Die «Schulblatt»-Redaktion wollte wissen, warum dies so ist und wie es gelin- gen kann, Schülerinnen für Informatik, Physik oder Mathematik zu begeistern. Antworten darauf gibt die Physikerin und Naturwissenschaftsdidaktikerin Susanne Metzger im persönlichen Gespräch. Für die zahlreichen Angebote, von denen Mädchen Gebrauch machen können, stehen die Digital Days for Girls der Swisscom. Wir haben uns vor Ort umgesehen und umgehört. Zudem stellen wir weitere neue kreative Ansätze der MINT-Förderung vor. So viel ist sicher: Junge Frauen, die sich für einen Beruf im Bereich Mathematik, Infor- matik, Naturwissenschaften und Technik entscheiden, werden bei der Stellen- suche die Qual der Wahl haben. 3 Die Redaktion freut sich über Reaktionen auf das «Schulblatt»: jacqueline.olivier@bi.zh.ch, pascal.turin@bi.zh.ch
Kommentar renden der Geografie, Biochemie, Mathe- MINT-Förderung matik oder Physik machen inzwischen knapp 18 Prozent aller Studierenden der UZH aus (+5 Prozent im Vergleich zu zahlt sich aus 2010). Auch an den Gymnasien haben in den letzten Jahren mehr Jugendliche ein naturwissenschaftliches Profil gewählt. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen – von Silvia Steiner, Bildungsdirektorin und in der Berufsbildung besonders auch junge Frauen für die zukunftsweisenden MINT-Berufe begeistern. Schaut man sich die Zahl der Frauen in diesen Berufsfel- dern an, gehören sie nämlich immer noch Der Moment, als diesen Sommer ein hefti- zu einer klaren Minderheit. In der Infor- ger Gewittersturm über Zürich fegte und matik beispielsweise verharren die Berufs grosse Zerstörung anrichtete, bleibt wohl abschlüsse von Frauen schweizweit seit vielen noch lange in Erinnerung. Die über einem Jahrzehnt bei rund 10 Prozent. Sturmnacht kann auch als Anschauungs- Das ist bedeutsam, weil in vielen tech beispiel für den Unterricht unter dem Ge- nischen Berufen ein Fachkräftemangel sichtspunkt «Naturphänomene konkret herrscht und gleichzeitig der Bedarf an erleben» dienen. Wir wissen aus der Päda Fachkräften in diesem Bereich durch die gogik, wie bedeutend die praktische Er- Digitalisierung weiter steigt. fahrung für das Lernen ist. Bereits Kon In Zürcher Schulzimmern werden fuzius soll gesagt haben: «Erkläre es mir und ich werde es vergessen. Zeige es mir «Die Bemühungen schon viele verschiedene Ansätze erprobt und erfolgreich umgesetzt. Und weiterhin und ich werde mich erinnern. Lass es mich selber tun und ich werde es verstehen.» zeigen bereits profitieren alle Kinder, wenn engagierte Lehrpersonen gewaltige Naturereignisse Junge Menschen für die Welt der Tech Wirkung.» wie in diesem Sommer als anschauliches nik und der Naturwissenschaft, für Infor- Unterrichtsbeispiel zu nutzen wissen. matik und für Mathematik, also für die Ich bin davon überzeugt, dass sich die MINT-Fächer zu begeistern, ist ein Bil- Diese Bemühungen auf den verschie- gemeinsamen Anstrengungen in der MINT- dungsziel, das wir im Kanton Zürich schon densten Ebenen zeigen nun Wirkung. An Förderung positiv bemerkbar machen. Ei- seit Längerem verfolgen. Es gibt zum Bei- den Hochschulen gibt es eine deutliche nes wissen wir schon heute mit Sicher- spiel Programme an Mittelschulen, die Zunahme der Studierenden in diesem Be- heit: Junge Menschen wählen ihren Beruf das Interesse an MINT-Fächern insbeson- reich. Allein an der Universität Zürich ist oder ihre Ausbildung auch unter Berück- dere bei Mädchen wieder wecken sollen. die Zahl der Studierenden an der Mathe- sichtigung des sozialen Umfeldes, der Ar- Mit dem Projekt Gymnasium 2022 erfolgt matisch-naturwissenschaftlichen Fakultät beitssituation und der Begeisterungsfähig die Stärkung der MINT-Fächer auch for- in den vergangenen zehn Jahren um die keit der Lehrenden und Ausbildner. Und mell. Ganz unabhängig davon haben mit Hälfte gestiegen (2010: 3228 Studierende, Mathematik, Informatik, Naturwissen- dem Lehrplan 21 MINT-Fächer an der 2020: 4877 Studierende). Auch anteilsmäs schaften und Technik sind genauso Mäd- Volksschule mehr Gewicht erhalten. sig ist die Fakultät gewachsen: Die Studie- chensache wie Bubensache. Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Magazin Mein Traumschulhaus Noel (6), 1. Klasse, Primarschule Otelfingen 4
Im Lehrerzimmer Sekundarschule Bubikon Wo Lehrpersonen aus Alt- und Neubau aufeinandertreffen Fotos: Marion Nitsch Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Magazin In der Mitte des Gebäudes kommen die Lehrpersonen aus dem Alt- und dem Neubau in den Pausen und zu Sitzungen zusammen. Nicht ein, sondern zwei Räume bilden zusammen das Lehrerzimmer, ein Arbeitsraum gehört auch dazu. Ein alter massiver Werk- tisch aus Holz im grossen Raum mit zwei Küchenfronten dient dem Team je nach Bedarf als Küchentisch oder Stehbar. Kaffee und weitere Getränke werden von der Schulpflege gespendet. Die grosse Terrasse mit Blick ins Grüne ist der Treffpunkt an wärmeren Tagen. Zwei Gasgrills verraten, wozu sie ausser zum Luftschnappen sonst noch benutzt wird. Von den 200 Schülerinnen und Schülern der Sekundarschule Bubikon kommt fast die Hälfte aus Wolfhausen – die beiden Dörfer sind eine Gemeinde. A-, B- und C-Schüler werden in gemischten Klassen unterrichtet, auf Niveaufächer wird verzichtet. Der Klassenzusammenhalt sei stark, sagt Schulleiter Peter Brandt, die Herausforderung für die 30 Lehrpersonen aber gross. 120 bis 140 Kilometer pro Tag radeln die Drittklässler auf der jährlichen freiwilligen Veloreise bis nach Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue. Im Freifach «Event management» wird von den Drittklässlern jeweils das Frühlings- und das Abschlussfest organisiert. [jo] 5
Persönlich doch an der Uni zu studieren, öffnete ihr Grande Dame aber schliesslich die entscheidende Tür. «Ich selbst hätte mir dies nicht zugetraut.» Ein Jahr lang studierte sie Psychologie, der Pädagogik anschliessend Erziehungswissenschaften. «Damit habe ich meine Berufung gefun- den.» Ihre Dissertation schrieb sie über Hochbegabungsförderung an Schweizer Die Erziehungswissenschafterin Volksschulen, damals noch ein Tabuthe- ma. «In den Kantonen stiess ich mit mei- Margrit Stamm wurde mit dem Bildungs- nen Recherchen teilweise auf Widerstand. preis der PH Zürich ausgezeichnet. Erst als ich fragte, was man mit unterfor- derten Kindern machte, bekam ich Ant- worten.» Unterforderte Kinder – heute ein Text: Jacqueline Olivier Foto: Raffael Waldner weiteres Schlüsselthema ihrer Forschung. Tanzen als Ausgleich Nach mehreren Jahren, in denen sie als Dozentin an verschiedenen Hochschulen unterrichtete, war es der bekannte P äda- Für das eigene Lebenswerk geehrt zu jungen Mann aus einer bildungsnahen goge und Professor Fritz Oser, der sie an werden, dürfte für eine emeritierte Pro- Familie, wurde Mutter. Und legte eine acht die Universität Freiburg einlud. «Er wurde fessorin eher ungewöhnlich sein. Umso jährige Familienpause ein. Das sei für sie mein Mentor und setzte mir in den Kopf, mehr hat sich Margrit Stamm gefreut, als nicht nur einfach gewesen. «Ich verspürte ich sollte doch habilitieren.» Was sie 2004, ihr Ende Oktober der diesjährige Bil- immer den Drang nach mehr, wusste aber mit über 50, tat. Ein grosser Schritt für sie, dungspreis der Pädagogischen Hochschu- nicht, was aus mir noch werden sollte.» wie sie sagt. 2011 gründete sie das Zent- le Zürich explizit unter dieser Prämisse Für ihre Kinder sei es sicher von Vorteil rum für frühkindliche Bildung, ein Jahr überreicht wurde. Denn ihre Forschung gewesen, dass sie in den ersten Jahren zu später wurde sie emeritiert – vorzeitig und hat die Erziehungswissenschafterin nie Hause war, meint sie. «Mein Mann und ich auf eigenen Wunsch. Die zeitliche Belas- im Elfenbeinturm betrieben, wie sie sel- hatten keinen Stress, beide gleichzeitig tung war zu hoch geworden. Seither ma- ber sagt. An der Preisverleihung sei dies unsere Karrieren vorantreiben zu müssen.» che sie nur noch das, was sie gern mache. erwähnt worden. Und ebenso, dass sie Noch ein Thema, das sie heute beschäf- «Ich habe den schönsten Beruf der Welt.» keinen geradlinigen Bildungsweg gegan- tigt. «Als Paar müsste man eine Lebens- Und das heisst für sie, an dem von ihr ge- gen sei. «Das hat mich auch sehr gefreut.» planung vornehmen und die eigenen Kar- gründeten und geleiteten Forschungsins- Wobei wir bei einer ihrer wichtigsten riereschritte abwechselnd angehen, so- titut Swiss Education ihrer wissenschaft- Botschaften wären: Auch mit einem nicht dass sich immer ein Elternteil zugunsten lichen Arbeit nachzugehen, in der sie linearen Bildungsweg kann man seine der Familie etwas zurücknehmen könnte.» auch mit 71 noch immer völlig aufgeht. Ziele erreichen. «Heute ist der Druck Wenn immer beide alles gleichzeitig er- Was ist es, was sie antreibt? «Die Ab- gross, dass man schon in jungen Jahren reichen wollten, nützten die besten Kitas weichung von der Norm interessiert möglichst viel erreicht haben muss», sagt nichts. Den Stress der Eltern zu spüren, mich.» Auch der Begriff «Chancengerech- sie und hält gleich dagegen: «Nein! Man sei für Kinder belastender, als wenn tigkeit» fällt im Gespräch öfter. Diese muss einfach stets neugierig und hartnä- Mama und Papa wenig zu Hause seien. funktioniere nach wie vor nicht. Mehr be- ckig bleiben.» Und ja, Margrit Stamm gabten Kindern aus Arbeiter- und Mig- weiss genau, wovon sie spricht. Dass sie Mit über 30 an die Uni rantenfamilien den Weg ans Gymnasium heute als «Grande Dame der Pädagogik» Margrit Stamm hatte ihre eigene Karriere zu ebnen, ist für Margrit Stamm eine Her- gilt, wie es in der Medienmitteilung der nicht geplant, jedenfalls nicht so, wie sie zensangelegenheit. Natürlich könne man PH Zürich hiess, wurde ihr nicht in die schliesslich verlief. Sie habe das Glück ge- heute dank des durchlässigen Bildungs- Wiege gelegt. Als Tochter einer Arbeiter- habt, immer wieder auf Menschen getrof- systems auch später noch durchstarten. familie im Kanton Aargau stiess sie mit fen zu sein, die ihr den Rücken gestärkt «Aber das darf keine Ausrede sein.» Auf ihrem Wunsch, Lehrerin zu werden, zu hätten. Allen voran ihr Mann, Arzt mit ei- der anderen Seite liessen heute manch Hause zunächst auf taube Ohren. «Bil- gener Praxis. Als sie mit über 30 beschloss, gut situierte Eltern nicht locker, bis sie für dung hatte bei uns einen eher schweren ein Studium in Angriff zu nehmen, habe ihr Kind die Diagnose Hochbegabung er- Stand.» Rückblickend meint sie, ihre er sie «uneingeschränkt unterstützt». Dies hielten. «Sie ist zu einem Statussymbol ge- Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Magazin Eltern hätten wohl Angst gehabt, ihre sei damals, in den 1980er-Jahren, nicht worden.» Entscheiden über eine akademi- Tochter könnte sich von ihnen entfernen. selbstverständlich gewesen. «Die Frau ge- sche Ausbildung sollten aber ausschliess- Und sie schlägt gleich den Bogen zu ihrem hörte zur Familie oder bestenfalls in die lich Neigungen und intellektuelle Fähig- jüngsten Forschungsprojekt. Dieses be- Praxis ihres Mannes. Ich war immer nur keiten, lautet ihr unumstössliches Credo. schäftigt sich mit Kindern aus Arbeiter die Frau Doktor.» An der Universität Zü- Sie selbst achtet mittlerweile mehr auf familien, die es ins Gymnasium geschafft rich sei sie jedoch gut aufgenommen wor- ihre Work-Life-Balance, auf die sie stolz haben. «Obwohl sich die Zeiten geändert den. «Für mich war es eine wunderschöne ist. «Das jetzt sind meine besten Jahre», haben, gibt es immer noch viele Eltern, Zeit. Ich war wie ein Schwamm, habe alles erklärt sie. Im Element fühlt sie sich bei- die gegenüber einer höheren Bildung aufgesogen.» Dabei hatte sie eigentlich spielsweise beim Tanzen, sei es beim Ge- skeptisch sind, und junge Menschen, die vorgehabt, am C.G.-Jung-Institut eine Aus- sellschaftstanz mit ihrem Mann, sei es es mit ihren Ambitionen in der Familie bildung in Kinderpsychologie zu absolvie- beim Ballett, mit dem sie vor fünf Jahren schwer haben.» ren. Doch nach dem Assessment, auf das angefangen hat. Natürlich mache sie kei- Ihr Traum wurde schliesslich doch sie sich lange vorbereitet hatte, teilte man nen Spitzentanz, «aber das Training ist Wirklichkeit: Sie absolvierte das Lehrer- ihr mit, sie sei dafür noch nicht reif genug. wunderbar, man lernt den eigenen Körper seminar in Aarau, unterrichtete sechs Jah- In jenem Moment sei für sie eine Welt zu- kennen. Und es ist eine gesundheitliche re lang als Primarlehrerin, heiratete einen sammengebrochen. Der Rat, stattdessen Altersvorsorge.» 6
In der Erziehungswissen- schaft hat Margrit Stamm ihre Berufung gefunden. Nun wurde die emeritierte Professorin der Universität Freiburg für ihr Lebens- werk ausgezeichnet. Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Magazin 7
Finanzkompetenz spielerisch vermitteln FinanceMission World Das eLearning-Angebot für die Sekundarstufe I • Entwickelt von Lehrpersonen • Digital und pfannenfertig • Individuell auf das Niveau der Schüler*innen anpassbar • Entspricht dem Lehrplan 21 Infos und Musterlektionen auf: www.financemission.ch Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 8
Welche Schulreise ist Ihnen speziell Meine Schulzeit «Ich hatte gute in Erinnerung und warum? Eine Schulreise führte in den 1970er- Jahren zu den Burgen ins Bündnerland. Noten im Aufsatz» Weniger die Burgen sind mir in Erinne- rung geblieben als ein Klassenkamerad, der auf der ganzen Reise immerzu den damals aktuellen Hitparadenhit «It’s a Heartache» von Bonnie Tyler sang. Schon komisch, dass einem das auch mehr als Fünf Fragen an Reto Lipp, Wirtschafts 30 Jahre später noch in Erinnerung ist. journalist und Fernsehmoderator Während sonst alles hinter dem Schleier des Vergessens verschwunden ist. Welche Lehrperson werden Sie nie vergessen? Meinen Sekundarlehrer Schranz: Er war ein Mann von Prinzipien und gnaden losem Drill. Dass ich heute noch französi- sche Verben vor- und rückwärts konjugie- dabei geht es doch immer um einen selbst. ren kann, habe ich nur ihm zu verdanken. Gelernt habe ich vor allem einiges über Damals habe ich das natürlich gehasst, mich – dass ich beispielsweise gut im heute weiss ich, dass «üben, üben, üben» Kommunizieren und schlecht in mathe- ein Prinzip ist, das hilft, eine ge wisse matischen Fächern bin. Und ich habe ge- Meisterschaft in einem Fach zu erreichen. lernt, dass man immer dann erfolgreich Welches war Ihr liebstes Fach ist, wenn man etwas mit Leidenschaft und und weshalb? Engagement macht. Sonst sollte man es Deutsch und Geschichte waren schon gleich lassen. immer meine Lieblingsfächer – später die Was hat Ihnen in der Schule Sprachen Französisch und Englisch. Ich gar nicht gefallen? hatte stets gute Noten im Aufsatz und In den 1970er-Jahren gab es den Begriff habe mich immer gemeldet, wenn es galt, «Mobbing» noch nicht, aber es gab zwei etwas vorzulesen. Obwohl ich eigentlich Typen in oberen Klassen, die sich gerne Reto Lipp (61) studierte Ökonomie an der schüchtern war. Manchmal denke ich, be- mal an den Kleinen «abgearbeitet» haben, Universität Zürich und stieg parallel dazu ruflich mache ich heute immer noch das sprich, sie haben sie gemobbt. Dieses beim damaligen Lokalsender Radio Z in den Journalismus ein. Nach Stationen bei Gleiche wie in der Schule. Ich präsentiere ohn mächtige Gefühl, als Kleiner von der «Handelszeitung», dem Anlegermagazin Themen und Texte, jetzt einfach am TV. Grösseren bedrängt zu werden, war eine «Stocks» und der UBS wurde er 2007 Mode- rator von «Eco», dem Wirtschaftsmagazin Was haben Sie in der Schule der schlechtesten Erfahrungen in meiner des Schweizer Fernsehens. Seit August 2021 fürs Leben gelernt? gesamten Schulzeit. Glücklicherweise war präsentiert er mit «Eco Talk» die neue Wirtschafts-Talkshow. Daneben moderiert Leider hat man als Schüler oft das Gefühl, der Spuk nach einem Klassenwechsel er «SRF Börse» und ist öfter präsent in der man lerne für den Lehrer oder die Noten, vorbei. «Tagesschau» und in «10 vor 10». Bildungs-Slang Ruedi Widmer, Cartoonist, interpretiert Begriffe aus Bildung und Schule – diesmal: Lernarchitektur Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Magazin 9
Fokus Mädchen und MINT Fotos: Sophie Stieger hat die Digital Days for Girls besucht. Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus 11
Die Mediamatik-Lernende Nadja Schuler hat die Digital Days for Girls mitorganisiert und die Schülerinnen drei Tage lang begleitet. Digital Days for Girls Mehrere gestanzte Platten mit winzigen Mädchen Erhebungen, legoartige Kunststoffteil- chen, Schrauben, Drähte, Lämpchen und ein Gewirr von feinen Kabeln in allen Far- für ICT-Berufe ben: Beim Blick in die geöffnete schwarze Kiste präsentiert sich Laien ein ziemlich rätselhaftes Bild. Doch genau das aus gewinnen geklügelte Zusammenspiel dieser zahl reichen technischen Elemente erlaubt unseren unentbehrlich gewordenen Ar- beits- und Spielgeräten wie Handys oder MINT-Förderprogramme haben Tablets, all die erstaunlichen Funktionen auszuüben. Wie die meisten Menschen zurzeit Konjunktur. Diverse richten haben auch die acht Mädchen im Schu- sich zudem explizit an Mädchen. lungsraum wohl noch nie gewagt, ihren Computer zu öffnen und sich das Innen So will etwa die Swisscom mit den leben anzuschauen. «Das sieht kompli- ziert aus», sagt Sara. «Es ist spannend zu Digital Days for Girls den Frauen erfahren, wo die Daten gespeichert wer- Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus anteil im Computerbereich erhöhen. den und wie das alles funktioniert.» Ende Oktober hat die Swisscom in Das Konzept: Weibliche Lernende Zürich die Digital Days for Girls durch geführt, die seit 2012 jährlich in verschie- bringen Sekundarschülerinnen denen Schweizer Städten stattfinden. ihre Berufe näher. Während dreier Tage stellt sie Sekundar- schülerinnen ihre ICT-Ausbildungen vor: Informatikerin, Mediamatikerin, ICT- Text: Andrea Söldi Fachfrau und Interactive Media Designe- rin. Damit will die Telecom-Firma den Frauenanteil erhöhen in diesen Berufen, die immer noch stark männlich dominiert sind. Mittlerweile sind bei der Swisscom gut ein Viertel der knapp 500 ICT-Ler 12 nenden Frauen – Tendenz leicht steigend.
Informatikerin Alice Gregus (rechts) erklärt Sara das Innenleben eines Computers. In der Mediamatik und im Interactive Media D esign, die einen hohen gestalte rischen Anteil aufweisen, sind Frauen «Mint & Pepper» fördert Nachwuchs besser vertreten als etwa in der Infor Sie lernen, wie man einen Roboter zum Tanzen bringt, oder erleben die Faszina- matik, bei der es hauptsächlich um den tion der Elektrotechnik: «Dance-Bots» und «Magic Cube» sind nur zwei Kurse Aufbau und Betrieb der Netzwerke und von «Mint & Pepper» für Schülerinnen und Schüler. Entstanden ist dieses Ange- Serversysteme geht. Frauen würden bei bot an der ETH Zürich. Erste Pilotprojekte an Schulen starteten im Jahr 2011. der Bewerbung aber nicht bevorzugt, um Seit 2018 ist man als Nachwuchsförderungsprojekt Teil von Wyss Zurich, einem die Quote zu e rhöhen, versichert Medien- Start-up-Förderer von ETH und Universität Zürich. Finanziell ermöglicht wurde sprecherin Sabrina Hubacher: «Aus- der Aufbau von Wyss Zurich durch den Unternehmer und Mäzen Hansjörg Wyss. schlaggebend ist das persönliche Rekru- «Mint & Pepper» hat zum Ziel, Kinder und Jugendliche für die MINT-Fächer, tierungsgespräch.» Auf jährlich 160 aus- also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, zu begeistern. geschriebene ICT-Lehrstellen gehen in «Wir richten uns an Schulen, aber auch an Vereine oder Freizeitangebote», sagt der Regel etwa 2500 Bewerbungen ein. Projektleiterin Hanna Behles. Im Projekt «Magic Cube» lernen Schülerinnen und Schüler beispielsweise, was eine elektronische Schaltung ist, wie Energie Von Lernenden organisiert umgewandelt, verteilt und gespeichert wird. Die Kinder und Jugendlichen ar Die Digital Days for Girls werden laut beiten in Zweierteams an unterschiedlichen Aufgabenstellungen, etwa an einem Sabrina Hubacher oft von Schülerinnen kleinen Elektroauto, das, von Solarstrom angetrieben, eine definierte Strecke besucht, die sich grundsätzlich für die abfahren soll. Angeleitet werden sie von MINT-Studierenden. «Es geht nicht Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus vorgestellten ICT-Berufe interessieren. Es nur darum, zu programmieren. Wir wollen einen sinnvollen Einsatz der Technik hätten jedoch durchaus schon Mädchen zeigen», erklärt Behles. Die Kurse können gemischt oder geschlechtergetrennt teilgenommen, die eigentlich mit einer durchgeführt werden. kaufmännischen Ausbildung oder ande- Der Testlauf zum Angebot «Magic Cube» fand mit einer Schulklasse am Mathe ren Berufen liebäugelten, sich aber einen matisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium Rämibühl statt. «‹Magic Cube› ist Überblick über weitere Optionen ver- ein cooles Projekt, um Jugendliche für die MINT-Fächer zu begeistern», sagt schaffen wollten. Ihre Teilnahme findet Physiklehrerin Axelle Krayenbühl. Es sei sehr gut durchdacht. Von den Anforde- in der Regel im Rahmen des Berufswahl- rungen eigne es sich für die Sekundarschule und die gymnasiale Unterstufe. prozesses statt, die drei Tage gelten oft Auch die Schülerin Felicita Rasscevska empfand die Zusammenarbeit mit Leuten als Schnuppertage. Einige Schülerinnen, von der ETH sehr interessant: «Es hat uns Spass gemacht, die Aufgaben zu lösen, erzählt die Mediensprecherin, gäben zum weil alles verständlich war und wir in gutem Tempo vorankamen.» Für sie sei Schluss den Verantwortlichen einen Be- der Höhepunkt gewesen, dass sie «Magic Cube» zu viert im Rahmen der Schwei- urteilungsbogen zum Ausfüllen ab, um ihn zer Digitaltage 2020 im Livestream hätten vorstellen dürfen. [pat] in der Schule vorweisen zu können. Eini- www.mintpepper.ch 13 ge Schulen machten die Schülerinnen
Mit der Rundum-Kamera fangen die Schülerinnen ungewohnte Bilder ein. Alyssa, Julia und Emma (von links) haben sie bei der Tramhaltestelle Toni-Areal auf dem Perron platziert. auch aktiv auf das Angebot aufmerksam «It’s MINT» sucht noch Partnerschulen und motivierten sie dazu, davon Gebrauch zu machen. Mädchen sollen fernab von Geschlechterstereotypen mit den Themen Mathe Besonders ansprechend für die Schü- matik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – kurz: MINT – vertraut lerinnen: Von der Organisation bis zur gemacht werden. Das Projekt «It’s MINT» wurde im Sommer lanciert und spricht Durchführung werden die Digital Days Schülerinnen von der 3. bis 6. Klasse an. Angeboten werden die freiwilligen for Girls vollumfänglich von weiblichen Kurse von der Fachstelle Jumpps (Jungen- und Mädchenpädagogik, Projekte für Lernenden gestaltet, mit Unterstützung Schulen). Jeder Kurs wird laut der Fachstelle von einer geschulten MINT-Stu- einer ausgebildeten Fachfrau. Die Ler- dentin oder einer Frau aus einem MINT-Beruf betreut. Die Mädchen erhalten nenden stellen den Schülerinnen ihren von weiblichen Vorbildern auf eine spielerische Art Zugang zu MINT-Themen. Berufsalltag vor und beantworten ihre Sie dürfen experimentieren und selber kleine Forschungsprojekte durchführen. Fragen. Zudem dürfen die Teilnehmerin- So haben die Teilnehmerinnen eines Kurses beispielsweise mit Salzteig einen nen selber Hand anlegen: Sie erstellen Stromkreislauf erstellt und LED-Lämpchen zum Leuchten gebracht. Das Ziel ist, eigene Videos, fotografieren, gestalten dass die Mädchen Spass haben und ihr Interesse geweckt wird. Vielleicht wird eine Website und machen erste Gehver- aus einigen dann später eine Informatikerin oder eine Naturwissenschafterin. suche im Programmieren. Weiter gibt es Projektleiterin Franziska Schwab ist mit dem Start zufrieden. «Aktuell laufen einen Bewerbungsworkshop, in dem sie Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus zwölf Kurse, die meisten davon im Kanton Zürich», sagt sie. Aber auch in Basel Tipps und Tricks erhalten. seien Schulen dabei. «It’s MINT» ist vorerst bis Ende 2022 angelegt und wird Im Schulungsraum greift Alice Gregus von der Pädagogischen Hochschule Bern evaluiert. Schwab ist aber optimistisch, nun in die offene Kiste und nimmt eine dass die Kurse über das nächste Jahr hinaus angeboten werden können. kleine Platte heraus. «Das ist der Haupt- Für kommendes Jahr werden weitere Partnerschulen gesucht, die bereit sind, prozessor», erklärt die Informatikerin, die sogenannte MINT-Treffs durchzuführen. Ein Kurs besteht jeweils aus zehn selber vor 21 Jahren bei der Swisscom als Terminen à 90 Minuten, die ausserhalb der regulären Schulzeiten stattfinden. Mediamatik-Lernende begonnen hat. «Es Die Planung erfolgt gemeinsam mit den Schulen. Diese bestimmen zusammen ist sozusagen das Herzstück jedes Com- mit der Fachstelle die Rahmenbedingungen. puters. Darüber laufen alle Rechenauf Gefördert wird «It’s MINT» vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung von gaben.» Weiter zeigt Gregus den Mädchen Frau und Mann sowie von der Werner-Siemens-Stiftung. Interessierte können die Festplatte, auf der die Daten nach dem sich direkt bei Projektleiterin Franziska Schwab unter f.schwab@jumpps.ch Herunterfahren des Computers abgespei- melden. [pat] chert werden, sowie den Arbeitsspeicher – www.jumpps.ch ein etwa 15 Zentimeter langer Streifen, 14 der ein wenig wie ein Massstab aussieht.
Darauf würden die aktuell ausgeführten Programme sowie die Daten vorüberge- hend gespeichert, erklärt Gregus. «Etwa so Geschlechtergetrennter Unterricht wie im Kurzzeitgedächtnis des Gehirns.» an der Kantonsschule Büelrain Anschliessend gibt es ein Hardware-Quiz, Naturwissenschaften und Technik vereint: «NaTech» nennt sich das Fach, bei dem eine Packung Schokolade zu ge- welches an der Kantonsschule Büelrain Winterthur (KBW) seit 2015 im ersten winnen ist. Eine Frage lautet zum Beispiel: Jahr des Kurzzeitgymnasiums auf dem Stundenplan steht. Es hat zum Ziel, das Welche physische Verbindung ist aktuell Interesse der Schülerinnen und Schüler an den Naturwissenschaften zu fördern. die universellste? Die meisten Mädchen Generell sollen mit dem Fach «NaTech» positive Erfahrungen ermöglicht wer- tippen richtig: der USB-Anschluss. den. Ausserdem haben Schülerinnen und Schüler aus der Sekundarschule und solche aus dem Untergymnasium teilweise recht unterschiedliches Vorwissen. Mit Rundum-Kamera unterwegs Sie können darum in Lerngruppen passende Aufgaben wählen. Speziell ist, dass Unterdessen darf die andere Hälfte der Mädchen und Jungen separat in Halbklassen unterrichtet werden. «Die Mädchen Teilnehmerinnen mit einer 360-Grad- sollen nicht in ihre geschlechtertypischen Rollen zurückfallen», sagt Christina Kamera experimentieren. Auf dem Kopf Nef. Sie ist die MINT-Koordinatorin (Mathematik, Informatik, Naturwissen des handgrossen Geräts sind drei runde, schaften und Technik) an der KBW. Häufig übernähmen die Jungen das Experi- gewölbte Linsen angebracht, die in ver- mentieren, während die Mädchen alles feinsäuberlich aufschreiben würden. schiedene Richtungen zeigen und Ansich- Sogenannter monoedukativer Unterricht im Chemie- oder Physikpraktikum ten gleichzeitig von vorne, hinten und stärke das Selbstbild bezüglich der eigenen Fähigkeiten. «Mädchen gehen an- oben abbilden. 360-Grad-Kameras kom- ders an Themen heran, wenn sie unter sich sind», erklärt Nef. Die praktischen men zum Beispiel bei Aufnahmen eines Aufgaben hätten immer einen Alltagsbezug, zum Beispiel die Untersuchung Areals oder von Gebäudeinneren zum der Wasserqualität des Flusses Töss und ein Vergleich mit jener eines Bachs. Einsatz. Betrachter können danach mit Doch trotz des geschlechtergetrennten Unterrichts: Ein direkter Effekt auf das der Maus oder einer VR-Brille navigieren Interesse der Mädchen an Naturwissenschaften und Technik konnte bis jetzt und sich um die eigene Achse drehen, wie nicht nachgewiesen werden. «Ein Erfolg ist es schon, wenn die Schülerinnen wenn sie mittendrin stehen würden. nicht die Lust verlieren, bevor sie dann ab dem zweiten Jahr den regulären Julia, Emma, Kylee und Alyssa haben MINT-Unterricht besuchen», sagt die Biologielehrerin. ihre Kamera bei der Tramhaltestelle Toni- Von der Akademie der Wissenschaften Schweiz hat die KBW – als erstes reines Areal auf dem Perron platziert. Auf dem Wirtschaftsgymnasium – das Label «MINT-aktives Gymnasium» erhalten. Mit Bildschirm des Smartphones beobachten der Auszeichnung sollen auch Kantonsschulen ohne mathematisch-naturwissen sie, wie das Tram heranfährt, die Leute schaftliches Profil zur Förderung der MINT-Fächer motiviert werden. [pat] aussteigen und die Gleise überqueren. Die beiden Bilder zeigen das Tram zuerst von der einen und dann von der anderen Seite. Durch die runden Linsen ergibt sich in Frage. In diesem Beruf geht es haupt- seln halbjährlich in ein anderes Team und ein ungewohnt verzerrtes Bild: Riesen- sächlich um das Entwickeln interaktiver arbeiten an verschiedenen Projekten für grosse Schuhe und Hosenbeine an klei- digitaler Kommunikationsmittel. «Dabei Kunden mit. Sie verbringe viel Zeit am nen Körpern mit noch kleineren Köpfen kommt man auch mit anderen Leuten in Computer, erzählt die junge Frau, k önne bewegen sich von der Kamera weg und Kontakt», weiss Alyssa. «Man teilt Ideen aber auch immer wieder an externe An- auf sie zu. und tauscht sich aus.» Dieser Aspekt ist lässe gehen, um zu filmen und zu foto ihr wichtig. In Betracht gezogen hat sie grafieren. Die Berufsschule besucht Nadja Gern am Computer zuvor auch eine Lehre als Konditorin. Schuler in Biel. In ihrer Klasse sind im- «Oh my God», entfährt es Kylee. «Das Doch wegen der frühen Arbeitszeiten und merhin ein Drittel Frauen. sieht ja cool aus.» Die 3.-Sek-Schülerin der spärlichen sozialen Kontakte ist sie Zur Auflockerung steht am Ende des aus Glattfelden möchte am liebsten Me wieder von dieser Idee abgekommen. Morgens noch ein Powerpoint-Karaoke diamatikerin lernen. Der Beruf beinhaltet auf dem Programm: In Gruppen müssen das Aufbereiten von Inhalten für elektro- Abwechslungsreicher Beruf die Mädchen aus dem Stegreif möglichst nische und andere Medien – etwa Bilder, Nach zwei Stunden versammeln sich alle humorvoll zu einer vorgefertigten Power- Tonaufnahmen, Videos und Texte – sowie wieder im selben Raum und schauen point-Präsentation referieren – etwa zu das Gestalten und Pflegen von Websites. sich die entstandenen 360-Grad-Filme an. Themen wie Fische, Formel-1-Rennen «Der Job ist vielfältig und kreativ», fin- Rund um das Swisscom-Gebäude sind die oder Informatik. Sara erklärt zum Bei- det Kylee. Lange Stunden vor dem Bild- verschiedenen Gruppen über die Kamera spiel gerade den Begriff «Hardware»: schirm zu sitzen, mache ihr überhaupt gesprungen, haben ein Bäumchen mit «Früher war es schwierig, passende Klei- nichts aus, im Gegenteil: «Ich arbeite, Herbstlaub geschüttelt oder sich auf einer der zum Anziehen zu finden.» Doch spä- Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus lerne und spiele gern am Computer und Rutschbahn gefilmt. «Das ist eine coole ter sei zum Glück die Software erfunden fühle mich dabei wohl.» Sie habe schon Idee», lobt Moderatorin Nadja Schuler. worden, fährt sie unter Gelächter des lange schnuppern wollen, sagt sie, doch Die Mediamatik-Lernende im dritten Publikums fort: «Endlich hat man weiche- wegen der Pandemie sei es letztes Jahr Lehrjahr ist eine der Organisatorinnen re Materialien erfunden, die angenehm zu nicht möglich gewesen. Sollte es mit der der Digital Days und hat die Teilneh- tragen sind.» Lehrstelle als Mediamatikerin nicht klap- merinnen während der ganzen drei Tage pen, wäre das KV ihr Plan B. begleitet. Auch Alyssa ist fasziniert von den «Ich war überrascht, wie offen sie dreidimensionalen Bildern der Kamera. waren und wie gut sie mitgemacht ha- Die 14-Jährige ist aus dem aargauischen ben», sagt die 17-Jährige. Vor vier Jahren Beinwil am See angereist. «Das ist eine hat sie die Digital Days selbst als Teil super Gelegenheit, diese Berufe kennen- nehmerin besucht und daraufhin eine zulernen», sagt die Jugendliche. Neben der Lehrstelle bei der Swisscom in Bern er- Ausbildung zur Mediamatikerin kommt halten. «Es gefällt mir sehr gut», erzählt 15 für sie auch Interactive Media Designerin die Solothurnerin. Die Lernenden wech-
Im Gespräch vermitteln und das Interesse der Kinder «Die Förderung dafür früh zu wecken. Denn dies ist etwas, was man später kaum mehr nachholen wird. Wer eine Sprache in der Schule muss institutiona- nicht oder nicht gut lernt und dies später nachholen möchte, findet ein riesiges An- gebot an entsprechenden Kursen. Für lisiert werden» MINT ist dies anders, das muss man in der obligatorischen Schulzeit lernen. Hat man MINT in der Vergangen- heit vernachlässigt, dass heute der Die Physikerin und Naturwissenschafts Nachholbedarf offenbar so gross ist? In den vergangenen Jahren wurden di didaktikerin Susanne Metzger sieht verse Themen in die Schule getragen, die in Sachen MINT-Förderung für Mädchen früher Sache des Elternhauses waren. Dies ging sicher ein Stück weit auch zu- noch diverse Baustellen. Welche dies lasten der naturwissenschaftlich-techni- schen Fächer. Wobei diese anderen The- sind, wie man sie beheben könnte und men natürlich genauso ihre Berechtigung was bereits gut gemacht wird, erklärt haben. Ein weiterer Punkt ist, dass heute viele Kinder mit den Eltern kaum mehr sie im Gespräch. in die Natur gehen, wo sie beispielsweise beobachten könnten, was in der Pfütze Interview: Jacqueline Olivier Foto: Sophie Stieger im Wald passiert: Was schwimmt obenauf, was sinkt auf den Grund? Für solche Dinge bleibt im Familienalltag oft keine Zeit mehr. Ausserdem sind im Kindergar- ten und in der Primarschule heute mehr- heitlich Frauen tätig, und diese wählen den Beruf in der Regel nicht, weil sie Mathematik oder Naturwissenschaften so toll finden. Deshalb kommen – mit Aus- nahme vielleicht von biologischen The- men – naturwissenschaftliche und tech nische Phänomene auf diesen Stufen oft Haben Sie sich in der Schule für Mathe etwa geht es darum, dem Fachkräfte wenig zur Sprache, obwohl sie für die Kin- und Naturwissenschaften interessiert? mangel entgegenzuwirken. Aber MINT- der sehr spannend wären und sie auch Ja, bereits vor der Schule. Mein Vater war Förderung dient eben auch dem Ziel, dass interessieren würden. Physiker und hat in mir früh die Liebe zur die jungen Leute die Welt besser ver Auch die Mädchen? Fakt ist doch, Mathematik, zu den Zahlen, zur Physik ge stehen. Es ist heute extrem wichtig, Zu- dass junge Frauen deutlich weniger weckt. Ich habe mit seinem alten Metall- sammenhänge verstehen, Folgen abschät- naturwissenschaftlich-technische baukasten aus den 1950er-Jahren Strom- zen oder Problemlösungen erarbeiten zu Berufe wählen als junge Männer. kreise zusammengesteckt, um Lämpchen können. Am Interesse liegt es sicher nicht, der zum Leuchten zu bringen, oder mit Lego- Was trägt MINT zum Verständnis Anteil der Kinder, die sich für Naturwis- steinen allerlei Sachen gebaut. In der der Welt denn konkret bei? senschaften und Technik interessieren, Schule fand ich Physik zunächst aber In der aktuellen Pandemie zum Beispiel ist bei Buben und Mädchen etwa gleich langweilig. Erst in der 8. Klasse habe ich würde ein solides MINT-Verständnis – man gross. Die Probleme sind viel mehr ge festgestellt, dass dieses Fach durchaus könnte auch sagen «scientific literacy» – sellschaftlicher Natur. Die Vorstellung, spannend ist. Dies hatte auch mit einem viel helfen. Zu wissen, wie in der Wissen- Naturwissenschaften und Technik seien Lehrerwechsel zu tun. Später haben Sie Physik studiert – wahrscheinlich als eine von wenigen Frauen? Im Physikstudium lag der Frauenanteil «Die Vorstellung, Naturwissen Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus damals, in den 1990er-Jahren, bei acht bis schaften und Technik seien eine zehn Prozent. In der Mathematik war der Anteil ein bisschen höher. Ich habe aber Männerdomäne, ist in der keine Nachteile erlebt. Einen Professor hatten wir zwar, der fand, Frauen sollten Gesellschaft stark verankert.» besser nicht Physik studieren. Und wenn ich in einem Seminar gefehlt oder etwas anders gemacht habe als die anderen, ist das immer aufgefallen. Aber sonst war schaft gearbeitet wird, wie man an ein eine Männerdomäne, ist in der Gesell- alles in Ordnung. Und für meine Eltern Problem herangeht, wie Ergebnisse zu- schaft nach wie vor stark verankert. Und war meine Studienwahl nur folgerichtig. stande kommen und was man daraus ab- dies spiegelt sich auch in den Peergroups. Heute ist MINT-Förderung in aller leiten kann – das sind grundlegende Din- Mädchen, die sich für naturwissenschaft- Munde. Warum eigentlich? ge, die man im täglichen Leben braucht. liche und technische Themen interes Die verschiedenen Akteure haben sicher Darum finde ich es wichtig, angewandte sieren, bekommen von ihren Freundin- 16 unterschiedliche Gründe. Der Wirtschaft Wissenschaften in der Schule breit zu nen schnell einmal zu hören: Das ist doch
Bubenzeug. Und wenn die Eltern und die Lehrpersonen ähnlich denken, lässt man es dann halt lieber bleiben. Was ist denn so schlimm daran, wenn die Mädchen andere Themen und andere Berufe bevorzugen? Wenn junge Frauen den Beruf der Pflege- fachfrau lernen oder Sprachen studieren möchten, weil dies ihrem Interesse ent- spricht, ist das natürlich völlig in Ord- nung. Meine Vermutung ist jedoch, dass es viele Mädchen gibt, die erstens das Potenzial und zweitens das Interesse für MINT-Fächer hätten und sich dafür ent- scheiden würden, wenn man sie früher förderte. Es geht also viel Potenzial ver loren, was wir uns in Zeiten des Fach kräftemangels in diesen Berufen nicht leisten können. Kommt hinzu, dass ge- mischte Teams effizienter arbeiten, weil mehr Sichtweisen einfliessen. Auch des- halb wäre es wichtig, dass mehr Frauen in diesen Bereichen tätig würden. Das heisst, es geht um die Frauen, die sich für diese Themen interessieren, aber einen anderen Weg einschlagen, weil sie nicht die nötige Unterstützung erfahren haben. Das ist schade für die betroffenen Frauen und ein Verlust für uns als Gesellschaft. Und ebenso für den Technologiestandort Schweiz. Es gibt in den Naturwissenschaften durchaus Fächer, die Mädchen anspre- chen, vor allem Biologie. Was macht Biologie im Vergleich zu Physik für sie attraktiver? Biologie hat mehr mit dem Leben zu tun Susanne Metzger (49) studierte und promovierte an der Universität Mainz. Ab 2006 und wird auch häufig alltagsnäher unter- war sie als Dozentin für Physik- und Naturwissenschaftsdidaktik an der PH Zürich richtet als andere naturwissenschaftliche tätig und leitete das Zentrum für Didaktik der Naturwissenschaften. Seit 2017 leitet sie an der Fachhochschule Nordwestschweiz das Zentrum Naturwissenschafts- und Fächer. Die Schülerinnen und Schüler Technikdidaktik. Sie arbeitete unter anderem im Fachbereichsteam «Natur, Mensch, verstehen, dass dies etwas mit ihnen, mit Gesellschaft» am Lehrplan 21 mit und war Projektleiterin bei der Entwicklung des Lehrmittels «NaTech 7–9» des Lehrmittelverlags Zürich. Seit 2021 leitet sie das ihrem Körper, mit ihrer Umwelt zu tun Nationale Netzwerk MINT-Bildung und ist Vorsitzende der Fachkommission MINT hat. Gerade für die Mädchen sind solche der Akademien der Wissenschaften Schweiz. Bezüge wichtig. Physikunterricht hinge- gen ist oft viel theoretischer und abstrak- ter. Dabei liesse sich auch in der Physik ganz viel Lebensrealität herstellen. In Ansatz, beginnend mit der Frage, was dem fördern sie die Exzellenz, was eben- unserem Körper zum Beispiel spielen Naturwissenschaften sind, welche Eigen- falls wichtig ist. Aber damit die breite verschiedene physikalische Phänomene schaften die einzelnen Wissenschaften Masse zu erreichen, ist schwierig. eine Rolle. Geht es im Unterricht um das auszeichnen und was sie eint. Themen, Wo hakt es denn? Funktionieren von Pumpen, könnte man die mehrere Naturwissenschaften ein- Das Problem ist, dass es sich oft um Ein- dies am Beispiel des Herzens veranschau- schliessen, werden auch so betrachtet. In zelinterventionen handelt. Wichtig wären lichen, die Hebelgesetze an jenem des der Forschung wird heute stark inter aber Angebote, die kontinuierlich in die Kiefers oder der Arme. In der Chemie disziplinär gearbeitet, und das muss man Schullaufbahn eingebunden und im Un- Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus wiederum könnte man die Verdauung the- in die Schule bringen. Dies bedingt ein terricht laufend vertieft würden. Die För- matisieren. Das würde Mädchen vermehrt Umdenken und braucht deshalb sicher derung muss institutionalisiert werden. ansprechen. etwas Zeit. Dies gilt im Übrigen ebenso Das ist bis anhin noch zu wenig der Fall. Wäre also mehr interdisziplinärer für den Ansatz, die Themen in alltagsnahe, Inzwischen hat man dies seitens Politik Unterricht ein möglicher Ansatz? spannende Kontexte einzubinden. aber erkannt. Im Rahmen des MINT- In der Volksschule wird dieser Ansatz Es gibt heute eine Vielzahl von Mandats 2021– 2024 hat das Staatssekre- heute schon verfolgt. Im Lehrplan 21 sind Initiativen und Projekten, um Mädchen tariat für Bildung, Forschung und Innova- die Naturwissenschaften im ersten und gezielt anzusprechen. In den Zahlen tion die Akademien der Wissenschaften zweiten Zyklus Teil von «Natur, Mensch, schlägt sich das bisher aber kaum Schweiz beauftragt, zusätzliche überregi- Gesellschaft», und auf Sekundarstufe I, nieder. Da könnte man es doch grad onale Projekte – nicht nur für Mädchen – also im dritten Zyklus, werden Biologie, so gut lassen? im Bereich der MINT-Bildung zu fördern. Chemie und Physik unter «Natur und Mit solchen Projekten werden oft die Dabei ist klar vorgegeben, dass der Kon- Technik» zusammengefasst. Das vor Kur- Mädchen angesprochen, die sowieso schon takt mit den kantonalen Behörden und zem erschienene Lehrmittel «NaTech 7–9» ein Interesse für MINT haben. Für sie den Schulen gesucht werden soll, damit 17 verfolgt genau einen solch integrativen sind diese Angebote sicher gut, ausser- solche Projekte im Anschluss in die kan-
tonalen Strukturen übernommen werden Was halten Sie denn von der Idee, Ist man dort genügend für das können und so eine langfristige Imple- MINT zumindest teilweise geschlech- Thema MINT-Berufe für Mädchen mentierung erfolgt. tergetrennt zu unterrichten? sensibilisiert? ICT Switzerland fordert mehr Ich halte das für eine gute Idee. Es gibt Man ist an dem Thema auf jeden Fall dran. gendergerechten MINT-Unterricht. eine Untersuchung für den Physikunter- Die Sensibilisierung muss schon in der Unterstützen Sie das? richt. Sie stammt zwar aus den 1990er- Primarschule beginnen, natürlich nicht Gendergerechten Unterricht braucht es Jahren, aber daran hat sich vermutlich die der Kinder, sondern jene der Eltern auf jeden Fall, das ist eine Grundlage. Man nichts geändert. Demnach wird der grösste und der Lehrpersonen. Es geht schlicht kann auch noch weitergehen und sagen, Erfolg betreffend Motivation oder Lern- um Offenheit. Ich höre immer wieder es braucht einen diversitygerechten Unter zuwachs erreicht, wenn Mädchen und von Lehrpersonen, dass sich eine ihrer richt. Denn es geht nicht ausschliesslich Buben teilweise getrennt und teilweise Schülerinnen für einen technischen Be- um Buben und Mädchen, sondern darum, gemeinsam unterrichtet werden. ruf interessiert, die Eltern ihr dies aber ganz unterschiedliche Zugänge zu ermög- Wie lässt sich das begründen? auszureden versuchen. Und auch die lichen. In der Untersuchung wurde dies nicht er- Wirtschaft ist gefordert. Ein ganz simples Wie sieht denn ein solcher Unter- örtert, aber als ich noch unterrichtete, Beispiel: Wo sind in einem technischen richt konkret aus? habe ich gemerkt: Wenn Mädchen unter Betrieb die Frauentoiletten? Gedanken Am Anfang steht sicher das Erleben von sich an einem Projekt arbeiten, müssen machen sollte man sich beispielsweise naturwissenschaftlichen Phänomenen, also sie alles selbst machen. Sie müssen mes- über Informationen, Präsentationen oder das Experimentieren. Weiter geht es um sen, pröbeln, etwas herausfinden. Und Schnuppertage, die auch die Mädchen die Themen, in die diese Experimente mit der Zeit machen sie das richtig gern ansprechen. Man versucht viel und die eingebettet werden – dies macht es dann und merken: Ich kann das ja auch. Wenn Bereitschaft der Betriebe ist vorhanden, häufig gendergerecht. Dazu gehört auch Mädchen und Jungen hingegen zusam- aber es bedarf zweifellos weiterer An- die Sprache. Statt immer nur «der Pro- menarbeiten, begnügen sich die Mädchen strengungen. grammierer» oder «der Informatiker» zu vielmals mit der Dokumentation oder Immer wieder hört man, Mädchen sagen, sollte man beide Geschlechter gestalten am Schluss das Poster für die brauchen weibliche Vorbilder. Beisst nennen. Man kann auch abwechseln: der Klasse. Mädchen und Jungen gehen oft sich hier die Katze nicht in den Schwanz, weil es in diesen Berufen eben nur wenige Frauen gibt? Das ist sicher ein Problem. Zudem ha- «Es geht nicht ausschliesslich ben die wenigen Frauen, die solche Vor- bilder sein können, kaum Zeit. So muss um Buben und Mädchen, beispielsweise eine Physik-Professorin an einer Universität häufig in vielen Kom- sondern darum, ganz unterschiedliche missionen sitzen, weil sie als Frau derart Zugänge zu ermöglichen.» gefragt ist. Der geringe Frauenanteil in MINT- Berufen ist in grossen Teilen Europas ein Problem, nicht nur in der Schweiz. Bei den Informatikerinnen schneidet Biologe, die Physikerin, der Arzt, die Che- auch unterschiedlich an eine Aufgabe he- laut ICT-Switzerland Bulgarien mit mikerin. Und auch neutrale Formulie ran: Während die Mädchen die Aufgabe 28 Prozent noch am besten ab, die rungen wählen, statt «der Physiker sagt erst genau durchlesen und sich über Schweiz liegt mit 14,5 Prozent im dazu» vielleicht «in der Physik sagt man». legen, wie sie vorgehen sollen, legen die unteren Drittel, unsere Nachbarstaaten Das heisst, wegkommen von den Stereo- Jungen los und machen einfach mal. Wenn liegen irgendwo zwischen 15 und typen, denn wenn ein Kind immer nur man Mädchen und Buben zwischendurch etwas über 18 Prozent. Gibt es gemein- hört «der Physiker», setzt sich das fest. trennt oder ihnen unterschiedliche Auf- same Anstrengungen? Wegkommen muss man auch von stereo- gaben stellt, können alle ihre eigene Kom- Man tauscht sich zumindest aus. Im in typen Kontexten. petenz erleben. Das ist ganz wichtig. ternationalen Vergleich lassen sich zwei Was meinen Sie damit? Und warum denn nicht nur Faktoren ausmachen, die den Anteil der Gendergerechter Unterricht heisst eben getrennten Unterricht? Frauen im MINT-Bereich erhöhen. Zum nicht, dass man in der Physik für die Wenn die Mädchen das im getrennten Ar- einen ist dies die Kinderbetreuung. In Mädchen irgendwelche Küchengeräte zur beiten gewonnene Selbstvertrauen mit- Frankreich zum Beispiel, wo es schon Anschauung beizieht. Es braucht span- nehmen in die Klasse, werden sie merken, lange ganz normal ist, dass die Kinder nende Themen, die mit der Lebensrealität dass sie auch dort bestehen können, und früh in einer Kita betreut werden, gibt es Schulblatt Kanton Zürich 5/2021 Fokus der Kinder und Jugendlichen zu tun ha- werden zusätzlich gestärkt. Ich habe das deutlich mehr Frauen in MINT-Berufen – ben, dann ist es gendergerecht. In der selbst erlebt. In Deutschland habe ich ein weil sie keine langen Berufsunterbrüche Informatik zum Beispiel ist es wichtig, Mädchengymnasium besucht, das in den haben und am Ball bleiben können, was aufzuzeigen, dass dies nicht primär etwas oberen Klassen gemeinsame Leistungs- gerade für Wissenschafterinnen ganz ent- für Nerds ist, die irgendwo im Keller sit- kurse mit der benachbarten Schule anbot, scheidend ist. Zum anderen – und das zen und nur 0 und 1 denken, sondern dass in der vorwiegend Jungen waren. In dem könnte auf Bulgarien zutreffen – nimmt Informatik sehr viel dazu beiträgt, echte Physikleistungskurs, den ich besuchte, der Frauenanteil zu, wenn die Wahl eines Probleme zu lösen, damit es der Welt und konnten wir Mädchen problemlos be MINT-Berufs für die Frauen einen wirt- den Menschen besser geht. Dann wird es stehen, waren sogar oft die besten. Und schaftlichen und sozialen Aufschwung Mädchen und Jungen ansprechen. Denn ich denke, dies hatte genau damit zu tun, bedeutet, es ihnen allenfalls ermöglicht, was Mädchen anspricht, spricht in der dass wir zuvor unter uns gewesen waren im Ausland zu arbeiten. Ich denke, dass Regel auch die Jungen an, das hat der und Vertrauen in unsere eigenen Fähig- wir in Sachen MINT auch ein Wohlstands- deutsche Physiker und Pädagoge Martin keiten gewinnen konnten. problem haben. Bei uns gibt es so viele Wagenschein schon in den 1960er-Jahren Für die Berufswahl spielt die andere Möglichkeiten, das eigene Leben 18 erkannt. Berufsberatung eine wichtige Rolle. zu gestalten.
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