Infoeins19 Das Fremde - DSGTA-Info
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infoeins19 SCHWERPUNKT-THE MA: Das Fremde Wann ist das Fremde das Gegenteil des Vertrauten und wann ist es eine Projek- tion des Eigenen? Was ist der Reiz des Fremden und wann macht es uns Angst? Schwerpunkt-Thema: Das Fremde mit Andreas Becker S. 04, René Isenschmid S. 08, Silvia Schnorf S. 13, Gabriela Egeli S. 24 und Tanja Kernland S. 29 | Jahresbericht des Vorstandes DSGTA S. 19 Wichtige Mitteilung S. 20 | Protokoll DSGTA-Generalversammlung 9. März 2018 S. 21 Buchrezension von Maya Bentele: Tim Marshall | Abschottung – Die neue Macht der Mauern S. 33
DAS LEBENSSKRIPT IN AKTION PRÜFUNGSVORBEREITUNG CTA C/E/O Almut Schmale-Riedel, TSTA-P/C Probeexamen, Teilprobeexamen, Tonbänder, professionelle ➜ 16./17. August 2019: Freitagabend + Samstag Selbstdarstellung u.ä. mit Franz Liechti-Genge TSTA-C/E, Antonia Giacomin PTSTA-E und Kathrin Rutz, TSTA-O ZU VIEL UND ZU WENIG ➜ 6/7. September 2019 Dr. Gudrun Jecht, TSTA-P ➜ 13./14. September 2019: Freitagabend + Samstag EIDG. FACHAUSWEIS AUSBILDER/IN Zusatzmodul nach der TA-Grundausbildung und SVEB I POP-UP TA ➜ Start am 20. Mai 2019, 6 Tage Nach der Grundausbildung oder als CTA TA-Modelle und Konzepte auffrischen PTSTA-TRAINING «LEHREN LERNEN» ➜ Mi, 11. September 2019, 17.30 - 21.00 Uhr ➜ Mo, 18. November 2019, 17.30 - 21.00 Uhr Ausbildung Level II mit Franz Liechti-Genge, TSTA-C/E ➜ 1./2. Juli 2019 BESUCHEN SIE UNSERE WEBSITE: WWW.EBI-ZUERICH.CH Ausbildung am Institut b-weg Professionalisierung in Transaktionsanalyse > Bereiche Organisation & Beratung > Kommunikationskompetenz Der 101-Basiskurs in Transaktionsanalyse > Beraterkompetenz Grundausbildung in Transaktionsanalyse Dreijährige Grundausbildung > Systemische Transaktionsanalyse Master-Gruppe > Weiterbildung für PTSTA Für lehrende TA’lerinnen Institutsleiterin www.b-weg.ch Maya Bentele TSTA - O/C www.bentele.ch Weiterbildungen in Winterthur, Institut taat Tel: +41 (0)44 253 23 36
DAS FREMDE IST LEBENSLANG QUELLE MENSCHLICHEN LERNENS. Liebe Leserinnen, liebe Leser. wicklung geschehen kann? Warum „Das Fremde ist lebenslang Quel- löst Fremdes das Gefühl von Fremd- le menschlichen Lernens.“ Das war sein aus und warum macht uns Frem- eine der Konklusionen, die Prof. Dr. des so leicht Angst? Was passiert Lena Lämmle an ihrem Referat an mit uns, wenn wir mit Fremden der GV der DSGTA zog. Mir gefällt konfrontiert sind? Was geschieht, diese Aussage und ich finde es sehr wenn uns die Eltern fremd werden, spannend, jedes Wort in den Kontext weil sie eine Demenz entwickeln? des Fremden zu stellen: Lebenslang Und – was ist der Reiz des Fremden, gibt es Erfahrungen, die neu sind, die beispielsweise beim Reisen? Wann uns immer wieder herausfordern, beginnt sich der Bezugsrahmen zu Isabelle Thoresen ja sogar unsere letzte Erfahrung in verändern? Über diese Fragen haben diesem Körper ist vermutlich eine der sich die Autorinnen und Autoren der fremdartigsten. Das Fremde ist eine aktuellen Schwerpunktbeiträge Ge- Quelle. Während eine (Wasser)Quelle danken gemacht. Garniert ist dieser im Grunde genommen eigentlich ja bunte Blumenstrauss mit einem irri- auch etwas Fremdes symbolisiert, tierenden Fremdkörper, der aneckt. nämlich Wasser, das scheinbar aus Nicht zuletzt, weil selbst der feine dem Nichts aus dem Boden fliesst, Humor in dieser Geschichte fremd- ermöglicht sie dort Leben. Ein Quell artig wirkt. ist auch Inspiration: Fremdes – so- fern es im richtigen Mass aufgenom- Mit dem kommenden info (Herbst- men werden kann (und uns nicht ausgabe 2019) werden wir einen wei- masslos überfordert) – inspiriert, teren Schritt in die Fremde machen. befruchtet, gibt neue Ideen, neue Ziel davon ist, Nähe zu schaffen. Sichtweisen. Das Fremde ist aber Nähe zur Romandie. Im nächsten info in gewisser Hinsicht auch etwas werden wir die Schwerpunktartikel zutiefst menschliches, denn es be- gemeinsam mit ASAT-SR publizieren. inhaltet eine Bewertung. Kein ande- Zur Hälfte in Französisch. Und nur res Lebewesen dieser Welt beurteilt noch in digitaler Form. Wir wagen (scheinbar) Fremdes so eigenartig diesen Schritt, weg vom Vertrauten, wie der Mensch. Und das Fremde Geschätzten. Weg von der Tradition lässt uns lernen, Entwicklung ge- des Papiers. Hin in eine neue Welt, schieht immer an der Grenze zum in welcher sich neue Möglichkeiten Unbekannten, zum Neuen. auftun, Möglichkeiten, die unseren Bezugsrahmen erweitern und Quelle In diesem info umkreisen wir das neuer Ideen sein werden. Fremde aus verschiedenen Perspek- tiven. Wie steht das Fremde zum Ver- Ich wünsche Euch viel Inspiration trauten? Inwiefern benötigen sich und neue, bereichernde Gedanken. diese zwei Gegensätze, damit Ent- Isabelle Thoresen info eins 19 Editorial | 1
IMPRESSUM Herausgeberin DSGTA, Postfach 3603, 8021 Zürich Redaktionsschluss info zwei19: 15. September 2019 info eins20: 15. März 2020 Erscheinungsdaten 2019/2020 info zwei19: Ende Oktober 2019 (digital, gemeinsam mit ASAT-SR) info eins20: Ende April 2020 (voraussichtlich digital, gemeinsam mit ASAT-SR) Auflage 900 Exemplare Redaktion Isabelle Thoresen isabelle@thoresen.ch Inserate / Werbebanner und Preise 1⁄1 Seite: Breite x Höhe | 186 × 255 mm | farbig Fr. 1000.– ½ Seite: Breite × Höhe | 186 x 125 mm | farbig Fr. 500.– ¼ Seite: Breite × Höhe | 90 x 125 mm | farbig Fr. 260. – 1⁄₈ Seite: Breite × Höhe | 90 x 60 mm | farbig Fr. 170.– Farbige Inserate werden auf zweiter und dritter Umschlagseite gedruckt. ERINNERUNG infoonline / online Werbebanner: Einfache Werbebanner Fr. 160.– Es besteht immer wieder Unsicherheit Animierte Werbebanner Fr. 200.– in der Anwendung von Titeln in verschie Grösse: 300x250 px | max. 200 KB | mögliche Dateiformate .gif, .jpg denen Ausbildungsstadien der Transak www.dsgta.ch tionsanalyse. Laut EATA dürfen folgende Bezeichnungen Gestaltung verwendet werden: Mediamacs KG, 39100 Bozen, Südtirol, Italien • nach bestandenem Examen: Druckerei geprüfte(r) TransaktionsanalytikerIn Schmid-Fehr AG, 9403 Goldach oder Certifizierte(r) Transaktions analytikerIn oder schlicht Transaktions analytikerIn oder ganz korrekt Textbeiträge/Inserate: TransaktionsanalytikerIn CTA-P Texte als PDF oder als Word-Datei (.doc, .docx, .rtf, .txt). Achtung: TransaktionsanalytikerIn CTA-C Bei Word-Dateien sind Abweichungen in Darstellung und Schrift nicht TransaktionsanalytikerIn CTA-E auszuschliessen. Bilder und Grafiken bitte zusätzlich als separate TransaktionsanalytikerIn CTA-O Dateien liefern, mit Auflösung für Druck (300 ppi). • mit Vertrag: in fortgeschrittener Ausbildung Eingesandte Inserate und Kursangebote werden von der Redaktionsleiterin in Transaktionsanalyse bestätigt. Ohne Bestätigung ist davon auszugehen, dass sie diese nicht bekommen hat. • mit Bestätigung Praxiskompetenz: Praxiskompetenz in Transaktions analyse, z.B. BudgetberaterIn mit Die Redaktionsleiterin Isabelle Thoresen Praxiskompetenz in Transaktions analyse 2 | Editorial
INHALT SCHWERPUNKTTHEMA AUS DEM VORSTAND Das Fremde Jahresbericht des (Andreas Becker) Vorstandes DSGTA 04 19 Wenn das Heimische Wichtige Mitteilung fremd wird … und Aufruf (René Isenschmid) 20 08 Protokoll DSGTA - Sichtlich getrübt – Generalversammlung das Fremde 09. März 2019 (Silvia Schnorf) 21 13 Wichtige Termine Demenz - wenn aus einem für die TA-Agenda vertrauten Menschen 34 ein Fremder wird (Gabriela Egeli) Neumitglieder 24 35 Dem Fremden täglich ausgesetzt – eine Familie REDAKTIONELLES reist um die Welt Artikel gesucht (Tanja Kernland) Das Hallo-Spiel 29 Neu aufgeschnappt Anmerkung der Redaktion 32 AUS DEN KOMMISSIONEN Tätigkeitsbericht 2019 Buchrezension von der Ausbildungs- und Maya Bentele: Prüfungskommission (APK) Tim Marshall | Abschottung – 36 Die neue Macht der Mauern 33 Ethikkommission der SGTA/ ASAT: Bericht 2018 37 VORSTAND 39 Bericht aus der EATA 37 Bericht Fachgruppe Beratung 38 Who’s who August 2018 39 info eins 19 Inhalt | 3
Andreas Becker DAS FREMDE andreasbecker@lebensbunt.com „WER ZUGLEICH SEINEN SCHATTEN UND SEIN LICHT WAHRNIMMT, SIEHT SICH VON ZWEI SEITEN UND KOMMT DAMIT IN DIE MITTE.“ (C.G. JUNG) Andreas Becker Das Fremde ist immer anwesend, das gerät, weil ich z.B. „als guter Mensch“ Eigene auch. Interessant ist, dass mir jemand anderen geschädigt habe, wenn zum Begriff des Fremden kein Gegenteil das Fremde sich nicht mehr ausklam- einfällt. Das Bekannte? Das Vertraute? mern lässt und auf einmal eine Wirkung Das Eigene? Nein, auch das Fremde kann entfaltet, dann entstehen oftmals schwer mir bekannt und vertraut werden, auch auszuhaltende Empfindungen wie Angst, im Fremden kann ich Eigenes entdecken. Schmerz, Scham, Ohnmacht, Orientie- Und das Eigene? Das ist mir natürlich rungslosigkeit. vertraut, aber wenn ich mutig bin, dann Ich ahne, dass es weder ein Gegenteil erkenne ich in mir Anteile, die mir zwar zum Fremden noch eines zum Vertrauten vertraut sein mögen, die mir aber gleich- gibt, sondern dass beides nur Anteile zeitig immer auch etwas fremd sind. Und eines komplexen Ganzen sind, die sich immer wieder finde ich in mir Anteile, sogar ineinander umwandeln können. Bestrebungen, Bedürfnisse, Ängste, die So z.B., wenn die Eigenart des Einen mir neu sind und bis dato mir selber ver- dem Anderen zuerst fremd, eigenartig borgen, eben fremd waren. und später liebenswert vorkommt. Das Braucht es überhaupt ein Gegenteil- nennt man dann wohl Integration des paar? Es braucht dann eines, wenn ich Fremden. Gleichzeitig könnte man es in Schwarz oder Weiss, Gut oder Böse, aber genauso Integration des Eigenen Richtig oder Falsch aufteile. Wenn Kom- (in etwas Grösseres) nennen. plexität reduziert werden muss, damit Das Eigene. Was macht das Eigene die Welt oder Teile von ihr überhaupt aus? Individualität, Einzigartigkeit und noch fassbar bleiben, ist es notwendig Identität sind Begriffe, die mir hier ein- abzutrennen, auszuklammern, zu fokus- fallen. In den Momenten, in denen ich sieren. Im Moment des dualistischen mir meiner Einzigartigkeit bewusst bin, Weltbildes braucht es Gegensatzpaare. bin ich mir auch meiner Unterschied- Wenn diese Aufspaltung aber in Gefahr lichkeit zu Anderen bewusst. Das kann 4 | Schwerpunktthemen
dann heissen, dass die Anderen mir in gegenüber hat man in der Regel diese dem Moment fremd sind, muss es aber Einstellung nicht, fordert häufig sogar, nicht. Einzigartigkeit ist ein Teil der Iden- dass diese Mundart lernen. Wenn man tität von Menschen und sie konstruiert weiss, dass Sprache Zugehörigkeit defi- sich auch durch Unterscheidung. Wenn niert, wenn man weiss, dass Deutsche man auf das Spüren der eigenen Iden- und Deutschschweizer sehr viele Ge- tität fokussiert, dann braucht es nicht meinsamkeiten haben und wenn man nur Unterschiedlichkeit, sondern auch weiss, dass das Schweizerdeutsch erst das Fremde. In dem Moment, in dem ich nach dem zweiten Weltkrieg wieder die mich mit Anderen identifiziere, z.B. um Sprache aller Deutschschweizer, unab- nachempfinden zu können, was diese hängig von der Schichtzugehörigkeit, fühlen, mache ich mich gleich und ver- wurde, so liegt die Vermutung nahe, liere meine Identität. Die Eigenheit einer dass die Motivation der Reaktionen auf Person oder sozialen Gruppe kann also mein Sprachlernen in einer Bewahrung erst an der Unterscheidung zum Anderen der eigenen Identität als Abgrenzung zu empfunden werden. Deutschland beruht. Dieses Phänomen wird immer wie- Soziale Systeme, z.B. Bevölkerungs- der bei Jugendlichen deutlich, die sich teile, IT-Abteilungen, Liebespaare, Trans- abgrenzen, anders sein wollen, um das aktionsanalytiker, brauchen ihre eigene Gefühl einer anderen, besonderen Zu- Sprache als Abgrenzung zum Fremden, gehörigkeit zu ihren um eine eigene Gruppen-Identität Peers herzustellen. („Wir-Gefühl“) zu entwickeln. Das An- Zum einen entwickeln dere und das Fremde haben also nicht nur Einzigartigkeit ist die Jugendlichen unter einen Existenzanspruch an sich, sondern ein Teil der Identität sich eine andere Spra- sind notwendig, um das Eigene empfin- von Menschen und che. Die eigene Kommu- den zu können. Gleichzeitig ist es not- sie konstruiert nikation definiert das wendig, dass die einzelnen Personen sich soziale Subsystem. Nur innerhalb dieses sozialen Systems über sich auch durch wer genau diese Spra- eine kritische Distanz ihre Einzigartigkeit Unterscheidung che spricht, der gehört be-wahren, damit sich das System über- dazu. Die eben noch ak- haupt lernend weiterentwickeln kann. So zeptierten Eltern werden tragen sowohl die teilweise Ausgrenzung dann in dieser Sprache als auch die teilweise Integration des als „Spiesser“ angesehen, indem ihnen Fremden zum Überleben eines sozialen bestimmte Eigenschaften oder Vorlieben Systems bei. zugeschrieben werden, die man selber Lernen bzw. Persönlichkeitsentwick- ablehnt. So bildet sich die eigene Iden- lung kann im weitesten Sinne als Aneig- tität über den Weg eines „anderen, sich nung und Integration von etwas Neuem unterscheidenden Erwachsenen“ heraus. und/oder etwas Ungekonnten definiert Ich selber bin Deutscher und lebe in werden. Egal, ob das Lernen von etwas der Schweiz, meiner Wahlheimat. Ich Neuem bewusst oder unbewusst ver- bemühe mich um Integration, möchte läuft, es braucht auf jeden Fall einen An- sozial akzeptiert sein und dazugehören. schluss an das Vorhandene, um gelernt Was läge da näher, als die Sprache zu werden zu können (Hüther 2016). Dieser lernen? Dies aber ist ein Punkt, an dem Anschluss wird darüber hinaus durch ich immer wieder auf eine mehr oder eine Sinnhaftigkeit gesteuert. Das Lernen weniger subtile Form von Ablehnung von etwas Neuem muss Sinn machen, bzw. Ausgrenzung stosse. Ich bekomme sonst lernen wir es nicht nachhaltig. immer wieder mit unterschiedlichen Be- Hat das Fremde keinen Anschluss, so gründungen gesagt, ich solle doch gar wird die (meist verordnete) Integration nicht erst anfangen, „Schwiizzerdütsch als überfordernd erlebt! z'redde“. Fremden aus anderen Regionen info eins 19 Schwerpunktthemen | 5
Egal, in welchem Zusammenhang und Setting wir Menschen begleiten, wir werden in der Regel langsam miteinander vertraut und bleiben uns gleichzeitig fremd Im Bezug zum Thema dieses gel langsam miteinander ver- Anschluss finden, was dann Artikels ergibt sich daraus also traut und bleiben uns gleichzei- insgesamt etwas Neues ergibt. die Frage: „Ist das jeweils Fremde tig fremd. Zwei Fremde, die sich Das bedeutet aber auch, dass das anschlussfähig an meinen Be- immer mehr lernen können und Fremde nicht so fremd sein darf, zugsrahmen und macht die In- sich nie wirklich wissen werden. dass es keinen Anschluss findet. tegration dessen Sinn für mich?“ Genau das ist für mich das Span- Beispielsweise kann jemand, der Diese Fragen markieren für mich nende an der Persönlichkeitsent- in einer Familie mit weitgehen- die Grenze der Integration des wicklung. Auch nach so vielen der Harmonie aufgewachsen ist, Fremden bzw. die Grenze des Jahren ist es immer wieder her- nicht nachfühlen, wie sich eine Selbsts zu einer gegebenen Zeit. ausfordernd für mich, eine Ent- Paarbeziehung sicher anfühlen wicklung fördernde Wirkung an kann, wenn der Zusammenhalt Was bedeutet dies alles nun einer Stelle in einem Beratungs- auf ständigen Konflikten basiert. für uns als professionelle Be- prozess zu haben, an dem für Das ist dann zwar verstandes- gleiter/innen von Menschen? Ich alle Beteiligten klar ist, dass die mässig zu erfassen, nicht aber möchte diese Frage im Folgenden Lösung ausserhalb des eigenen emotional. So wird der/dem Pro- hauptsächlich in den Kontext der Bezugsrahmens liegt. In die-sem fessionellen in der Begleitung Einzel- und der Paarberatung Sinne ist Persönlichkeitsent- eines Klientensystems immer stellen. wicklung oder die gemeinsame einiges fremd bleiben. Das zu Egal, in welchem Zusammen- Entwicklung eines Paares die akzeptieren ist sehr wichtig, um hang und Setting wir Menschen Integration fremder Aspekte, die Klienten respektvoll begeg- begleiten, wir werden in der Re- indem diese an etwas Eigenem nen zu können. 6 | Schwerpunktthemen
seinen eigenen Bedürfnissen, bleibt der emotionale Umgang Wünschen und Sehnsüchten zu- des Partners zwar fremd, aber zumuten, dem Partner aber nicht sie erkennen, wofür der jeweils die Verantwortung der Erfüllung Andere jedem ein Leitbild der dieser aufzubürden. Wenn das eigenen Entwicklung sein kann. paarweise gelingt, dann stehen Transaktionsanalytisch be- zwei Menschen miteinander in trachtet entsteht in diesen Mo- Verbindung, in der jeder sei- menten eine Bewusstheit beider ne Identität behält. Dieses ist Partner über das Zusammenge- in Schellenbaums Augen die hören und ihre wechselseitige Voraussetzung dafür, dass die Abhängigkeit von einander (Sy- Partner sich gegenseitig ein Leit- mor 1992). bild für ihre eigene Entwicklung werden können („Leitbildspiege- Das Fremde an sich muss also lung“). Erst diese Rücknahme der kein Problem sein, entscheidend Projektionen in Bezug auf das ist der Umgang damit. Frei nach „Befremdliche“ lässt Menschen dem oberen Zitat von C.G. Jung das Gegenüber sehen, wie es ist, könnte man sagen: „Wer zugleich so dass Zusammengehörigkeit das Eigene und das Fremde entstehen kann. wahrnimmt, der sieht die Welt Noch ein Beispiel aus meiner von zwei Seiten und kommt da- Arbeit als Paarberater: Sie be- mit in Bezug zu ihr, so dass er sie klagt sich über seine emotiona- im Rahmen seiner Möglichkeiten le Verschlossenheit, die sie als erwachsen gestalten kann.“ „Gefühllosigkeit“ bezeichnet. Er solle sich ändern, sonst beendet © Pixabay sie die Beziehung. Ich erlebe den Mann auch als emotional ver- schlossen, oder besser ausge- drückt, als hilflos im emotiona- len Ausdruck. Gleichzeitig wirkt Eine wichtige Frage für unse- er auf mich sehr zugewandt und re Professionalität lautet also: liebevoll seiner Frau gegenüber. „Was muss mir (bewusst und un- Diese bestätigt meine Empfin- bewusst) fremd bleiben, damit dung auch, beharrt aber darauf, Literaturangaben: meine Identität nicht zu stark dass ihr Mann „emotional unter- • Buber, M. (2008), Ich und Du. Stuttgart: Reclam. bedroht wird?“ „Was ist so wich- entwickelt“ und „empathielos“ • Cornell, W.F. / Landaiche, M., Engpass und tig für meine Identität, dass es sei. Sie wiederum trägt Gefühle Intimität in der Paar-Beratung, Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 24 als fremd definiert bleiben muss zu Markte und hat die Tendenz, • Garz, D. (2008), Sozialpsychologische Ent und was darf integriert werden?“ diese gross zu machen, um das wicklungstheorien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Dieses gilt sowohl für das Klien- Gefühl des gesehen werden • Hendricks, G. / Hendricks, K. (2004), Liebe tensystem als auch für die/den zu bekommen. In diesem Dra- macht stark. München: Goldmann • Hüther, G. (2016), Mit Freude lernen – ein Professionelle(n)! Schon Peter matischen wirkt sie zwar sehr Leben lang. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Schellenbaum (1986) hat darauf emotional, zeigt sich aber nicht • Kast, V. (2000), Der Schatten in uns: die aufmerksam gemacht, dass der wirklich mit ihrer Angst - genau subversive Lebenskraft. Zürich und Düssel dorf: Walter Prozess der Nichtintegration des wie ihr Mann. Dieser hat nur • B. SCHÄFER / B. SCHLÖDER: Identität und Fremden eben auch teilweise an- den gegenteiligen Weg des Mi- Fremdheit. Sozialpsychologische Aspekte der Eingliederung und Ausgliederung des zustreben ist. In seinem bekann- nimierens gewählt. Erst als die Fremden ten Buch „Das Nein in der Liebe“ Frau dieses zu sehen beginnt, • Peter Schellenbaum, P. (1986), Das Nein in der Liebe. München: dtv setzt er sich für Abgrenzung in wird sie ihrem Mann gegenüber • Symor, N. K. (1992) in: Kottwitz, G. und Lenhardt, V., Integrative Transaktionsanaly Liebesbeziehungen ein. Er plä- weicher und fängt an, ihn emo- se. Band 1, Berlin: Institut für Kommunika diert dafür, sich dem anderen mit tionaler wahrzunehmen. Beiden tionstherapie info eins 19 Schwerpunktthemen | 7
WENN DAS HEIMISCHE KAFKAS PROTAGONISTEN UND CHAPLINS FREMD WIRD … FILMFIGUREN ERLEBEN, WAS UNGEZÄHLTEN MENSCHEN WIDERFÄHRT, Ich berichte von fremdartigen, René Isenschmid UNBEMERKT LEISE ODER merkwürdigen Erfahrungen eines LAUT; SIE SIND TRAGISCH alten Menschen. Noch vor Jahres- ODER KOMISCH, WEIL frist war dieser Mann nicht wirklich alt. Seine Pensionierung lag wenige IHNEN DAS HEIMISCHE Monate zurück, die uniformierten FREMD WURDE, DAS Kollegen der Kantonspolizei feierten VERTRAUTE VERDÄCHTIG. seinen Abschied mit Geschenken, das Kader mit hohlen Reden; er aller- dings fühlte sich vom Himmel fallen wie ein unreifer Stern. Dieser Mann ist mein Vater. Die Geschichte startet in der Nacht – wie alle guten Geschich- ten. Mein Vater erwacht regelmässig um Mitternacht. Sein Bett steht als einziges im geräumigen, karg mö- blierten Krankenzimmer, das auch nachts der Dunkelheit trotzt. Monu- mentale Fenster widerspiegeln den nie erlöschenden Lichterteppich der René Isenschmid Stadt, die zurückliegenden Erlebnis- Selbstständiger Case Manager CAS se schleichen sich in das Herz des herzbewegend.ch/stellensuche Kranken wie alte Vertraute, die man Praxiskompetenz Transaktionsanalyse missbilligen, aber nicht abweisen kann. Für gesunde Menschen nicht nachvollziehbare Impulse drängen den Mann aufzustehen, er rudert Dieser Verlust ist eine Parabel über sich mit Armen und Beinen aus dem mein rechtschaffenes Leben als Bett, als hätte er in Tonnen von Säge- Beamter auf dem Dorf! Eigentlich spänen geschlafen, er zelebriert das wollte er sich nie dem bürgerlichen Ritual in der Absicht, sich einmal Klischee entgegenstellen, er wollte mehr mit seiner Situation zu versöh- sich anpassen, dazugehören, seiner nen. Mein Vater liebt das Bild der nie Persönlichkeit Ausdruck verleihen zur Ruhe kommenden Windmühlen, und seiner farbenreichen Stimm- ihren Rädern bleibt die freie Bahn melodie einen unverwechselbaren verwehrt und fremde, unbekannte Charakter. Kräfte bestimmen die unterschied- lichen Geschwindigkeiten. Er liebt Der Polizeikorporal, der längst zum die ohnmächtige und widersprüch- Wachtmeister befördert sein sollte, liche Figur des Don Quijote, sie ist strandet während den Sommerferien fatal und ihm sehr vertraut. Vaters mit seiner Familie im kleinen Dorf- Ohnmacht ist die mündliche Sprach- kern der sich weit ausdehnenden losigkeit, die Operation seiner Zun- Rottal-Gemeinde. Der Zügeltermin ge liegt wenige Wochen zurück und ist durch das Polizeikommando be- macht ihn für immer stumm. Und stimmt. Um einer allfälligen dörf- jede Nacht hegt er den Verdacht: lichen Kumpanei zuvor zu kom- 8 | Schwerpunktthemen
men, wechseln die Ortspolizisten ten Koloss für wenig Geld in einer regelmässig nach sechs Jahren ihre Zeit des billigen Benzins. Seine Frau Posten. Wurzeln schlagen macht schämte sich für ihn, sie schaffte korrupt! Die Zentrale reflektiert die es kaum, die Markenbezeichnung Auswirkungen auf ihre uniformier- «Chevrolet» in den Mund zu nehmen, ten Angestellten und auf die mehr das Wort klebte ihr auf der Zunge wie oder weniger kinderreichen Familien Zeltli am Papier. Die Zeit, in der die nicht, selbst die Wohnungsgrösse Landpolizei in einheitlichen, bunt bleibt marginal. Das Kader negiert gestreiften Fahrzeugen mit Alarm- die Frage, ob der neue Polizist sich in sirenen auf dem Dach über die Stras- diese bäuerliche, in möglichst vielen sen fegt, ist noch nicht angebrochen. Facetten abschottende Gemeinschaft Die aus den Mafiafilmen bekannte integrieren und seinen Dienst ord- Limousine mit ihrem runden, in das nungsgemäss leisten kann. Mit die- abfallende Heck eingebauten Fens- ser Frage aber hat alles angefangen. ter, erzielte eine den heutigen Strei- fenwagen ebenbürtige Aufmerksam- Über dem Dorf thront die landes- keit. Mehr ungewollte Provokation weit bekannte Barockkirche wie zum Dienstantritt ging nicht. Wenige der Pfarrherr über den Köpfen. Der Wochen später wurde das Auto ver- katholische Männerturnverein und kauft, es liess sich keine Garage fin- die katholischen Bäuerinnen treffen den, in die man es ohne fahrerische sich zu unterschiedlichen Zeiten in Höchstleistung im Millimeterbereich unterschiedlichen Lokalen und Dorf- einparken konnte. beizen. Die konfessionellen Attribute werden mit der Geschichte gerecht- Die Kette der Missverständnisse fertigt; irgendwie spürt der Neuan- riss nicht ab. Für die Mitglieder des kömmling hier die letzten Atemzüge Gemeinderates und für zahlreiche des verlorenen Sonderbundkrieges. Mandatsträger war das Verhalten Dieses Trauma erklärt ausser dem des Polizisten anmassend und dreist. religiösen auch das politische und Sein alltäglicher Auftritt in den Stras- gesellschaftliche Klima in der Dorf- sen des überschaubaren Dorfes wirk- gemeinschaft. Die Kinder der sehr te ungewohnt, fremd. Ausser der auf wenigen evangelischen Mitbürger beiden Seiten mit einem feinen Strei- haben während des Religionsunter- fen versehenen Hose verwies nichts richts schulfrei, die kaum zählba- auf die Amtsperson, der dunkelblaue ren Wähler von politischen Parteien oder graue Kittel wirkte immer etwas ohne das «C» im Akronym pendeln zu knapp, die steife Uniformmütze in der öffentlichen Wahrnehmung fehlte vollends. Was den Behörden zwischen naiven Irregeleiteten und missfiel, schätzten die Menschen. Sie Brunnenvergiftern, in diesem Dorf mochten ihn, sie suchten seinen Rat sind weder schwule noch im Kon- und die Gespräche gestalteten sich kubinat lebende Menschen bekannt. zusehends offener und unbefange- Farbige Menschen gibt es keine - für ner. Das Abbild des steifnackigen sie ein Glücksfall. Dorfgendarmen verblasste, die neue Autorität benötigte zu ihrer Wahrung Tiefschwarz ist das Auto des an- weder die Kopfbedeckung in den kommenden Ortspolizisten. Mein Staatsfarben noch die mit goldenen Vater erwarb den alten, motorisier- Blechknöpfen verzierte Uniformja- info eins 19 Schwerpunktthemen | 9
cke, dessen Ledergürtel einzig dazu ein miserabler Schütze und gleich- sind auch mal durstig. Mein Vater diente, die Pistole sichtbar zu tragen. zeitig ein hervorragender Polizist liebte den sauren Most, den dieses Bis heute bleibt ungeklärt, wann und war, dem die Menschen vertrauten. Restaurant exklusiv von einer Gross- wo und welche Behörde beschlossen Die Gemeindevertreter fanden im mosterei aus dem Thurgau bezog hat, drastische Massnahmen gegen Kommando nicht die erhoffte Unter- und der in wulstigen, braunen Bügel- den Ortspolizisten zu ergreifen, den stützung, sie hatten dennoch das flaschen ausgeschenkt wurde. Bier sie als verkappten Sozialarbeiter ver- Ziel, diesen Querulanten in Uniform verschmähte er zeitlebens. Der kurze unglimpften. Das Polizeikomman- disziplinieren zu können. Ausflug in den Frühling endete eher do, die seit mehr als zwanzig Jahren drollig als tragisch. Bei seiner Rück- vorgesetzte Stelle, begnügte sich Merkwürdige Vorkommnisse wa- kehr in dem inzwischen auf einen mit mündlichen Ermahnungen an ren die Folge. Da war beispielsweise Occasions-Renault geschrumpften ihren Mann vor Ort, wieder einmal dieser prächtige Maitag, Licht und Auto standen zwei Uniformierte vor die Verordnungen und Weisungen Wärme durchfluteten das Tal wie seiner Wohnung und baten ihren Kol- zu lesen. Die Führungscrew hatte auch die Gartenwirtschaft des Land- legen, sie in die Kantonshauptstadt längst akzeptiert, dass der Korporal gasthofes «Eintracht», der wenige zu begleiten und einer Blutentnahme aus dem Rottal zu den monatlichen Kilometer abseits des Dorfkerns zur Bestimmung des Alkoholpegels Rapporten beim Amtswachtmeister zahlreiche Menschen zum Verweilen zuzustimmen. Das Ergebnis war ne- regelmässig die kleinste Anzahl an und Geniessen einlud. Selbst Poli- gativ, der Denunziant aus dem Wirts- Strafanzeigen mitbrachte, dass er zeibeamte spüren den Frühling und hausgarten blieb anonym. Zeitgleich 10 | Schwerpunktthemen © Pixabay
wurde ein weiterer Wohnungswech- ein angepasster Untergebener und sel innerhalb der Gemeinde geplant. eine autonome Persönlichkeit, ein Der Mietvertrag für den Polizeipos- der Familie verpflichteter Mensch ten und die dazugehörige Wohnung und ein rebellischer Charakter. Das wurde innert weniger Jahre dreimal Auseinanderklaffen dieser Welten gekündigt und die Familie zum Um- blieb den Dörflern nicht verborgen. zug gezwungen, ohne Mitsprache Immer mehr von ihnen hörten vom oder Anhörung. Mit in die neuen konfliktscheuen Polizisten, der sich Unterkünfte zogen Ohnmacht und lieber inmitten seiner ungezählten Enttäuschung. «Dreimal umgezogen Bücher aufhält als kontrollierend ist so gut wie einmal abgebrannt!» über Parkplätze schlurft, der lieber Das Zitat Benjamin Franklins leuch- Albert Camus liest als Strafanzei- tete von den neu bezogenen Wänden, gen tippt. Die Gemeindebehörden obwohl es dort nicht geschrieben schäumten geräuschlos. Mein Vater stand. In der Regel sind Buchweis- wusste, er findet weder in Rousseaus heiten lähmend, oft aber vermögen Gesellschaftsvertrag noch in Platons sie verdeckte Wahrheiten und nicht Staat Lösungen für seine schwie- gestellte Fragen unverblümt aufzu- rige Situation, die guten Freunde zeigen. Wurzeln schlagen war längst seiner Parallelwelt entspannten keine Option mehr, das genuine Ge- und trösteten ihn, helfen konnten fühl «Hier bin ich zu Hause» erstickte sie nicht. Eine wirkliche Unter- in willkürlichen Verwaltungsakten stützung war nirgends in Sicht. Die und Sachzwängen. Selbst unserer si- grossen Psychologen der Weltlite- amesischen Katze «Thea» ging dieser ratur wie Nietzsche und Dostojew- Instinkt verloren. Nach den ersten ski wurden zu Begleitern auf dem beiden Revierwechseln orientierte Rückzug. Die Auseinandersetzung sie sich entgegen ihrem natürlichen mit ihren Ideen und Sichtweisen er- Wesen nicht an den ihr vertrauten setzten viele menschliche Kontakte, Orten, sondern an den Menschen, verwischten die einsamen Gefühle die sie fütterten. Wenige Wochen des Fremdseins und der Ohnmacht. nach dem Bezug der dritten Woh- Kluge Analysen über die Auswirkun- nung blieb sie für immer weg. Die gen permanenter Ohnmachtsgefühle ausgedehnte Suche nach dem ras- füllen heute die Bücherregale, in der senreinen Tier, die einzige Siamkatze Bibliothek meines Vaters existierten in der Gemeinde, blieb erfolglos. Sie keine Publikationen dieser Prove- hat die bäuerliche Wildnis der Lust nienz. auf weitere Domizilwechsel vorge- zogen - dachten wir. Mein Vater hatte keine Berufs- ausbildung, die wirtschaftliche Not Was schmerzt mehr, die getarnte der Dreissigerjahre nötigte ihn, als Kleinigkeit oder die offene Fehde? Hilfsschreiner in der Möbelfabrik Selbst die Landwirte streiten sich, zu arbeiten und seine Eltern und die ob die wenigen Krähen oder die vie- jüngeren Geschwister finanziell zu len Spatzen ihre Ernten schmälern. unterstützen. Der elterliche Hof, Die Vorstellung, dass eine dörfliche der in der Waldlichtung an einem Autoritätsperson mit wirkmäch- steilen Hügel klebte und aus fünf tigen, gesetzlichen Kompetenzen Ziegen und einem grossen Garten sich ohnmächtig und ausgeliefert bestand, ernährte keine Familie, für fühlt, irritiert nur auf den ersten eine Ausbildung der Kinder fehlte Blick. Hier prallten lebenslang Wel- das Geld. Der junge Mann fand in ten aufeinander: Ein übersicheres der Fabrik gelangweilte, aber auch Muss und ein untersicheres Sein, politisch interessierte Kollegen und info eins 19 Schwerpunktthemen | 11
und keinen zu irgendwelchen Götzen der Zeit klar im Kopf und warm im erhobenen Institutionen folgen - ein Herzen ist, der differenziert denkt verpflichtendes Lebensmotto. Der und feinsinnig fühlt und gleichzeitig gute Polizist ist, bei aller inneren Zer- stumm dem Tod entgegen segelt? rissenheit, vor allem ein Mensch. Er Seine Spottlust hilft ihm zu leben, lebt zufrieden als eine auf die Mit- selbst wenn der Himmel einstürzt, menschen bezogene Persönlichkeit sind noch nicht alle Spatzen tot! und akzeptiert, dass einmal sein angepasstes, ein andermal sein re- Kurz und bestimmt klopft es an bellisches Ich sich dem normativen der Tür und nach wenigen Momen- widersetzen. Die Seins-Orientierung ten tritt ein älterer, gepflegter Herr zeichnet ihn aus, die Aversion gegen unaufgefordert in das Zimmer. Er Uniformen und Pistolengürtel bleibt bleibt in der Raummitte unruhig ste- ein ulkiges Fragment. hen, schaut sich suchend um, sein Blick findet das leere Bett, er dreht Inzwischen liegt das Spitalzim- sich wieder zur Tür und - blickt in gute Freunde. Sie erörterten mit ihm mer im Licht der Morgensonne. Der die Augen meines Vaters in seinem gesellschaftliche, aber auch Fragen pensionierte Polizist erholt sich in blauen Stuhl. Der Herr Gemeinde- der Gerechtigkeit und der ökono- seinem Bett, das Gefühl, in Säge- ammann wirkt nervös, seine Hände mischen Missverhältnisse. Die Ge- spänen zu liegen, lässt ihn nicht nesteln am mitgebrachten Päckchen werkschaften luden sonntags ein zu los. Frühstücken tut er seit langem und er entschuldigt sich bei dem ab- Lesegruppen für Arbeiter, die jungen nicht mehr, der ihm täglich mehr- gezehrten Mann für die Störung. Er Menschen hörten zum ersten Mal die fach verabreichte, zähflüssige Brei suche den ehemaligen Polizisten Namen von Proudhon und Lassalle, ist ihm zuwider. Er wird über eine seines Dorfes und vielleicht könne Bebel und Marx. Ideale Welten blüh- Magensonde mit Stöpsel ernährt, er ihm die Zimmernummer verraten? ten auf, neue Impulse erleichterten die routinierte Vorgehensweise der Der Mann im Stuhl bleibt stumm, wohl die harte Arbeit in der Fabrik Pflegehilfskräfte erinnert ihn daran, der Gast lässt es sich deutlich an- und auf dem Heimetli, nicht aber wie er vor Jahren seine amerikani- merken, wie unhöflich und dreist die persönlichen wirtschaftlichen sche Grosslimousine tankte. Der er ihn aufgrund der verweigerten Schwierigkeiten. Die Chance, diese einst zu leichtem Übergewicht nei- Antwort einstuft und verlässt die hinter sich zu lassen, kam kurz vor gende Mann wiegt noch knapp fünf- kleine, letzte Welt meines Vaters, dem zweiten Weltkrieg, mein Vater zig Kilogramm, seine schon längst bevor dieser ihm seine Identität er- bewarb sich erfolgreich als Polizeian- schütteren Haare sind noch karger öffnen kann. Die Katze «Thea», diese wärter, zusammen mit mehr als 600 geworden, einzig die blauen Augen schöne und stolze Siamesin, wurde weiteren Kandidaten. Was bedeutete haben nichts von ihrem Glanz ver- wenige Tage später gefunden. Der dieser Erfolg? Das grosse Glück oder loren. Die Tage verbringt er grössten- Bauunternehmer, der seinen Lager- der Tod grosser Träume? Er absolvier- teils im Stuhl, der in der Ecke neben platz gegenüber dem Polizeiposten te die Ausbildung für den Polizei- dem Fenster steht. Dieser hat eine räumte, fand ihren mumifizierten dienst, startete ein bürgerliches Be- hohe Lehne, ist gut gefüttert, mit Kadaver unter einem Holzstapel, ein- amtenleben, heiratete und versorgte blauem Plastik überzogen und wird gerollt, den Brustkorb durchbohrt mit seine Familie vorzüglich. Und doch an guten Tagen mit einer Decke wär- der Kugel aus einem kleinkalibrigen vermochten die stabilen finanziellen mer und weicher hergerichtet. Die Gewehr. Mein Vater starb 1982. Verhältnisse zeitlebens die Zweifel guten Tage werden durch das Pfle- nicht zu bändigen, den falschen Weg gepersonal verordnet und zeichnen eingeschlagen zu haben. Die wirt- sich zusätzlich zur Decke dadurch schaftliche Not von damals prägte aus, dass der Patient über seine mit- seinen Charakter weit mehr, als er gebrachte Schiefertafel mit Kreide zuzugeben bereit war. Sich als Ak- verfügen darf, um Bedürfnisse oder teur erleben, sich als Subjekt sei- Wünsche aufzuschreiben, vielleicht ner Kräfte empfinden und diesen auch mal seinem subtilen Zynismus Kräften nicht entfremdet sein, keine zu frönen. Welche Ausdrucksweise fremden Masken aufsetzen müssen bleibt einem Menschen, der zu je- 12 | Schwerpunktthemen
SICHTLICH GETRÜBT – DAS FREMDE Silvia Schnorf Was wir als fremd empfinden, abgewehrt, bzw. angestrebt wird. halten wir uns erst mal vom Leibe Weil es ja so blanko fremd ist, bietet und produzieren gerade dadurch sich das Fremde in seiner Leere als Fremdheit. Dazu reicht ein Blick Projektionsfläche an. Wir kennen die des Befremdens, die Reaktion da- Trübungen von Exotik (positive Pro- rauf entspricht der Blockierung jektionen, Illusion, Wunschdenken) einer gekreuzten Transaktion. Auf und jene von Xenophobie und Rassis- dieser visuellen Ebene hatten wir die mus (Vorurteile, negative Projektio- Möglichkeit, parallel zu interagieren nen, Hass). Natürlich handelt es sich (‘transagieren’) aus dem wortwört- hier um Abwertungen (Discounts). lich geteilten Augenblick heraus. Das Zu verhindern sind diese Vor-Urteile Fremde trat uns entgegen und statt und anfänglichen Verzerrungen in Silvia Schnorf, lic. phil. I es in seiner Unbekanntheit anzuneh- ihren milderen Formen bei nieman- Englischlehrerin/ men, reagierten wir befremdet, ver- dem, sie dienen uns zu einer groben Erwachsenenbildung schreckt vielleicht und abwehrend. In fortgeschrittener Ausbildung Unter diesem Fremdeln können wir in Transaktionsanalyse ein Schutzbedürfnis aus dem Kind- Soziale Zugehörigkeit s.schnorf@bluewin.ch Ich sehen, eine warnende Stimme und Bindungen aus dem Eltern-Ich hören oder gar eine urmenschliche Instinktreaktion bedeuten Sicherheit. vermuten, auf alle Fälle fehlt eine Im Fremdsein fallen bewusste und integrierende Antwort diese weitgehend weg. aus dem Erwachsenen-Ich, die der Situation und den Umständen Rech- nung trägt. Das Fremde ist ein Skript-Trigger, Orientierung. Doch Bewusstheit über Begegnungen mit Fremden oft ge- diese Prozesse und die Bereitschaft radezu eine Miniskript-Achterbahn. zu reflektieren können vermeiden Kein Wunder, wehren wir Fremdes, helfen, dass gleich aufs Dramadrei- wo immer möglich, mit bekannter eckskarussell aufgesprungen wird Vehemenz ab - oder suchen es, ganz und man persönlich und politisch im Gegenteil, als etwas Ideales. Dabei manipulierbar oder selbst manipu- geht vergessen, dass das Fremde be- lativ wird. zeichnenderweise ja unbekannt ist, Das Befremden auf der einen Seite sich also die Frage stellt, was denn charakterisiert das Fremdsein auf info eins 19 Schwerpunktthemen | 13
der anderen. Ich denke, es ist viel verfüge und Zugehörigkeit erfahre, Autonomie nötig, mit den (meist habe ich es weniger nötig, Fremde als unausgesprochenen) Annahmen Eindringlinge auszugrenzen. Dort je- über einen selbst als Fremden um- doch, wo sie fehlen, werden Fremde zugehen. Es kostet Kraft, sich nicht unweigerlich als Konkurrenten emp- über sie definieren zu lassen und funden – wie will ich sie integrieren, ist in gewissen Fällen unmöglich. wenn ich es selbst nicht bin? Das Eine immer wieder zu erbringende würde die Empfindlichkeit gegen- Integrationsleistung von Migrierten über Fremden in strukturell schwa- ist es, zu beweisen, dass sie nicht chen Gegenden erklären. Menschen ‘so’ sind, nicht sind, wie sie in den in bedrängter (oder so empfundener) Köpfen spuken. Nationalitätenkli- Lage wechseln gegenüber Schwä- schees halten sich oft hartnäckig, cheren auch mal aus der Opfer- in die wahren Identitäten fallen Dis- die Verfolgerposition. Das ist kein counting zum Opfer. Wer hätte, bis zu problemlösendes oder ethisches jenem Notfall, wo sie in Aktion trat, Verhalten. Die knappen Ressourcen vermutet, dass die Dame hinter dem (auch die psychischen) mit völlig Tresen eine albanische Ärztin war, Fremden zu teilen und damit den die sofort auch erklärte, dass sie hier Eigenen vorzuenthalten, wird im ge- nicht praktizieren darf. Das Fremde gebenen Kontext meist auch keine in Schranken zu halten, bedeutet es Option sein. Es ist folglich weniger fremd zu halten. Fremdsein bedeutet eine Frage der Kultur, sondern eher nicht gesehen zu werden, sich nicht der Begegnungsrahmen, der eine einbringen zu dürfen. Annäherung und Überwindung der Im Fremden wehren wir unbe- Fremdheit verunmöglichen kann. Es wusst die Möglichkeit eigenen sind hier nicht kulturelle Differen- Fremdseins ab, denn Fremdsein ist zen, sondern mangelnde Ressourcen, bedrohlich und mit Schmerz verbun- die Animositäten auslösen und den den. Ausserhalb stehen zu müssen Blick auf Gemeinsamkeiten versper- löst Gefühle des Nicht-OK-Seins (-/+) ren. oder die Abwertung vonseiten der Über Fremdes definieren wir Eige- Zugehörigen (+/-) aus. Wir sind auf nes, setzen Grenzen, erleben inner- Anerkennung angewiesen. Über den halb Zugehörigkeit. Wenn die eigene Austausch von Strokes vergewissern Identität nicht stabil ist oder unter wir uns unserer sozialen Existenz. Druck gerät, provoziert das Fremde Was bei Ausgrenzung hirnphysio- leicht nachvollziehbar Reaktionen logisch abläuft, erklärt z.B. Joachim aus dem Skript. Es irritiert z.B., indem Bauer schlüssig und unter Verweis es unser Selbstbild in Frage stellt, auf eine Fülle von sozialen und his- was es nicht sympathischer macht. torischen Beispielen.1 Wir verteidigen unsere Grenzen ve- Soziale Zugehörigkeit und Bindun- hementer mit starrem Bezugsrah- gen bedeuten Sicherheit. Im Fremd- men, merken vielleicht nicht mehr, sein fallen diese weitgehend weg. wo wir diskriminierend ausgrenzen, Wenn ich selbst über Beziehungen statt uns selbstbewusst und fair 14 | Schwerpunktthemen
abzugrenzen. Wir lassen eine sehr Wie anders sähe ein gleichwertiger wohl mögliche Verbindung zu diesen Umgang aus! Zumindest könnten wir anderen Menschen nicht, oder nur OK-OK realistisch (Fanita English) bedingt zu. Statt uns mit dem Frem- anstreben und im Dialog über Ver- den vertraut zu machen, um es evtl. tragsarbeit – in Anerkennung beider- schrittweise als nun Vertrautgewor- seitiger Interessen und unter Respek- denes zu integrieren, betreiben wir tierung bleibender Unterschiede – zu ‘Othering’. Othering ist ein Begriff kooperativen Lösungen finden. Dass aus dem postkolonialen Diskurs, der der Umgang mit kulturell Fremden treffend darauf hinweist, dass An- komplexer ist als der mit dem alt- dersartigkeit auch konstruiert wird. bekannten Nachbarn, versteht sich Indem ich Andere zu solchen erkläre, von selbst. Wenn wir aber bedenken, grenze ich sie aus und werte sie ab was wir sonst alles zu lernen bereit – mit TA gesprochen handelt es sich sind, dann ist es erstaunlich, dass um Grandiosität aus einer Abwehr- wir unsere kulturellen Prägungen position. Mit dieser Abwertung kann (und die der anderen) generell für so ich das Fremde nun für mich legitim absolut halten, zumal wir genügend abwehren und muss mich nicht mit Beispiele haben für gelungene sozia- ihm auseinandersetzen. le Integration und sicher im eigenen Unser Blick bleibt in diesem Fall Leben auf Erfahrungen zurückgrei- an Differenz haften und versperrt fen können, wo wir gelernt haben, jenen auf Gemeinsamkeiten. Das mit disparaten Elementen unserer kann dazu führen, dass wir uns in eigenen Kultur und Herkunft konst- Verstrickungen und Abhängigkeiten ruktiv umzugehen – vielleicht gerade in Form von Symbiosen begeben. Ot- über TA und Skriptarbeit. hering ist diskriminierend. Es fin- Das Fremde in den Köpfen hält sich den Machtspiele statt. Mechanismen neben kollektiven Stereotypen vor wie Opferabwertung und die Ver- allem in Form einiger einflussreicher kehrung von Opfern in Täter dienen Trübungen, die auch damit zu tun ihrer Rechtfertigung. Daher lohnt es haben, dass Kultur und Identität als sich, mit offenem Blick hinzusehen. Konzepte fast ebenso schlecht fass- Wir alle kennen genug soziale und bar sind wie das Fremde selbst. politische Beispiele dieser Dynami- ken. Vielleicht geben wir uns mit • Da ist einmal die statische Auf- Rettermentalität Mühe, den ‘armen fassung von Kultur, mithilfe derer Menschen’ zu helfen, während wir wir, wie schon erwähnt, unsere ihnen gleichzeitig ihre Ressourcen Lernfähigkeit in Bezug auf Kul- aberkennen, sie aus verdeckten (un- tur ausblenden. Die TA postu- bewussten?) Motiven in der Opfer- liert, dass jeder Mensch denken position halten, für die wir (nun als und sich verändern kann – auch Verfolger) sie dann auch noch ver- kulturell möchte ich hinzufügen. antwortlich machen. Kulturen wandeln sich mit geleb- ter Praxis und wir uns mit ihnen. Der Prozess der Digitalisierung info eins 19 Schwerpunktthemen | 15
führt uns das deutlich vor Augen. hysterischen Überhöhung einer • Die Annahme kultureller Homoge- Mir gefällt als Illustration auch Exklusivität, die so nicht exis- nität steht im Zusammenhang mit das Beispiel der Historizität von tiert. Amartya Sen weist darauf dem oben Genannten. Wir leben Emotionen2. Unsere Kultur und hin, dass auf diese Weise Feind- in einer globalisierten Welt und Lebenswelt bestimmt uns bis in bilder mit katastrophalen Folgen einer Einwanderungsgesellschaft: unsere Gefühle – und zwar dyna- stilisiert werden, während ausge- In allen Lebenssphären empfan- misch. Wir ändern uns persönlich blendet wird, dass jeder Mensch gen wir Impulse aus anderen Kul- und kulturell, auch im Kontakt mit im realen Leben vielfältigen Grup- turen und schaffen gemeinsam anderen Kulturen. pierungen angehört und über ver- Neues - ob Lösungen oder Proble- schiedene Teilidentitäten und ent- me. Der Mythos kultureller Homo- • Die Idee singulärer Zugehörigkeit sprechende Beziehungen verfügt3. genität hält sich als grobe Simpli- schürt Konflikte und lässt Kon- Plötzlich zählt nur noch ein ein- fizierung jedoch hartnäckig (meist frontationen eskalieren. Unsere ziges Identitätskriterium – meist in Form von Nationalismus) und Zugehörigkeit zu einer Gruppe Ethnie oder Religion - und es ist will etwas bewahren, das längst bedingt notwendigerweise die egal, ob die Trennlinie sogar durch aufgegeben worden ist zuguns- Abgrenzung von anderen Grup- Familien verläuft. Fremd ist dann ten einer, auch problematischen, pen. Problematisch wird es dort, ganz klar Feind, und es reicht, den Offenheit in der gegenwärtig so wo dies nicht (selbst-)bewusst falschen Namen zu haben, um ver- vernetzten Welt. In einer pluri- geschieht, sondern mittels dest- folgt zu werden. Wie viele tragen kulturellen Gesellschaft unter ruktiver Spiele gegen Andere agi- solch traumatische Erfahrungen Veränderungsdruck soll dieser tiert wird. Hierher gehört dann in ihrem kulturellen Skript und Mythos Überfremdungsgefühle das Hochspielen einer singulä- reagieren auf Fremde mit grossem erklären und produziert sie dabei ren Zugehörigkeit, oft benutzt zur Misstrauen. gleich selbst. 16 | Schwerpunktthemen
© Silvia Schnorf • Das Ausblenden von Gemein- als seine kulturelle Identität. Die TA handhaben wir generell als samkeiten ist die Folge der oben Dies wird ausgeblendet, wo sei- universell anwendbare Kommuni- genannten Trübungen. Im Banne ne Fremdheit im Fokus ist. Dazu kationsmethode. Sie bietet in ihren des Differenz- und Diversitätsge- ein Gedankenexperiment: man Modellen auch einigen Spielraum für dankens übersehen wir, was wir stelle sich Personen identischer den Ausdruck kulturell unterschied- teilen – seien dies gemeinsame Herkunft als ‘Expats’ oder Asyl- licher Ausprägungen menschlicher Interessen und Ziele, eine Berufs- suchende vor, als Nachbarn oder Erfahrungen und Werte. Sie liefert identität oder Familienrolle, ganz Geschäftspartner. Der Kontext ebenso das Instrumentarium für zu schweigen von universellen bestimmt, welches Bild wir von einen Austausch darüber und wird menschlichen Bedürfnissen. Mit diesen Menschen gewinnen und mittlerweile quer über den Globus Gemeinsamkeiten im Blick wür- wie wir ihnen begegnen. praktiziert. TA nimmt Menschen in den wir viel eher Schritte zu Be- ihrem Kontext wahr und begleitet kanntschaft und Beziehung in die All diese Trübungen suggerieren sie hin zu grösserer Autonomie. Ein Wege leiten und damit Fremdheit im Fremden etwas Absolutes und schönes Beispiel dafür liefert Ka- und das mit ihr verbundene Un- Unüberwindbares. Sie stellen kogni- ren Pratt in einem Beitrag über ihre behagen reduzieren. tive Barrieren dar, die wir abwehrend Arbeit in Südafrika4. errichtet haben. Wo wir Differenz • Ein zentraler Punkt in der Begeg- suchen, werden wir sie auch immer TA fördert Selbst- und Sozialkom- nung mit Fremden schliesslich finden, Gemeinsamkeiten jedoch petenz und trägt damit zur Verständi- betrifft die Vernachlässigung des übersehen. Hier können wir mit TA gung und Verringerung von gefühlter Kontexts. Die Lage eines Men- ansetzen in Anerkennung mensch- Fremdheit bei. Wir können sie einset- schen bestimmt sein Verhalten licher Grundbedürfnisse und durch zen zur Förderung von Fremdheits- und seine Möglichkeiten oft mehr Anstreben einer OK-OK-Haltung. kompetenz: Nach innen zur Förde- info eins 19 Schwerpunktthemen | 17
rung des Bewusstseins für eigene hatten und aufeinander angewiesen Mit TA können wir ergründen, Reaktionen auf Fremdes und Fremde, waren5. Diese drei Kriterien finden welche Umstände und inneren Fak- sowie zur Reflexion eigener Erfah- wir auch in den meisten erwach- toren unser Verhältnis zum Fremden rungen des Fremdseins; nach aussen senenbildnerischen Kontexten. Wir bestimmen. Mir scheint ein selbst- zu einer achtsamen Verständigung können einen solch ko-kreativen und sozialkompetenter Umgang mit auf OK-OK-Basis, die dem fremden Rahmen ideal mit TA begleiten, um dem Fremden vielversprechender Gegenüber die gleiche Menschlich- mehr soziale Kohärenz anzustreben. als interkulturelle Verhaltenstrai- keit zugesteht wie den Eigenen. Die (Als TA-ler haben wir ja die Wirk- nings für einzelne Kulturen. Wo wir Kombination der Innen- und Aussen- samkeit solcher Gruppenarrange- es schaffen, Lernen situativ und in perspektive schliesslich verhilft den ments in der Ausbildung auch selbst geschütztem Rahmen (Permission, sich Fremden in der Begegnung zu erlebt.) Positive Lernerfahrungen in Protection, Potency!) im konstruk- mehr Autonomie: Wir wahren einen einer kulturell gemischten Gruppe, tivistischen Sinn anzuleiten, ent- flexiblen Bezugsrahmen, der dem in der mit jeder Lektion mehr Ge- steht Neugier und Entdeckerlust, Lernen über Andere und über uns meinsamkeiten und auch grösseres die Kommunikation wird klarer, die selbst zugänglich ist und uns immer Verständnis für Unterschiede entste- eigene Identität gewinnt in Ausein- wieder neu Orientierung verschafft hen, dienen konkret der Enttrübung andersetzung mit dem Fremden an (Bewusstheit); wir können Beziehun- und Bezugsrahmenerweiterung und Kontur. Anstelle von Fremdeln tritt gen herstellen und freier gestalten, liefern damit ein Gegenmittel zu Vertrauen in Selbst und Andere. Und die uns Skriptreaktionen (auch kol- den Negativschlagzeilen, die unser nicht zuletzt erlangt in solchen Dia- lektive) bis dahin verunmöglichten Bild vom Fremden stärker zu prägen logen auch ‘das Fremde’ eine Stimme (Intimität); über kooperatives Vorge- scheinen als die weit häufigeren pro- mit Resonanz, die einer nachhaltigen hen können wir unsere Ressourcen blemlosen, damit aber unauffälligen, Verständigung dienen wird und das komplementär einbringen und ge- Begegnungen. Eigene bereichern kann. meinsam nutzen (Spontaneität). Stu- dien und Versuchsanlagen im Zuge der Desegration in den USA zeigten, 1. Bauer, J. (2011). Schmerzgrenze - Vom dass Begegnungen mit einzelnen Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. Vertretern einer kulturell fremden München: K. Blessing. Gruppe zumeist keine Vorurteile ent- 2. Siehe: History of Emotions: https://www. ted.com/talks/tiffany_watt_smith_the_ kräfteten, sondern sie im Gegenteil history_of_human_emotions und https:// noch verstärkten, da solche Einzel- www.mpib-berlin.mpg.de/en/research/ history-of-emotions personen offenbar gemeinhin als 3. Sen, Amartya. (2006). Identity & Violence, die Regel bestätigende Ausnahmen The Illusion of Destiny. London: Penguin. gesehen werden. Erfolgreichere Ar- 4. Pratt, Karen. (2016). Building Community. rangements gestalteten mit dem In: G. Barrow & T. Newton (Eds.) Educational Transactional Analysis. «jigsaw classroom» ein kooperatives (pp. 251-264). London: Routledge. Lernsetting, innerhalb dessen beide, 5. Aronson, E. et al. (2016). Reducing bzw. alle Seiten gleichberechtigt wa- Prejudice. In: Social psychology. (pp. 442-450). Boston: Pearson. ren, gemeinsame Ziele anzustreben 18 | Schwerpunktthemen
Jahresbericht des Vorstandes DSGTA März 2018 – März 2019 Im März 2018 haben Maya Bentele stellen. Barbara Heimgartner tritt nach wir künftig Platz für kurzen aktuelle (EATA-Delegierte) und Kathrin Rutz 2 Amtsperioden ebenfalls aus dem Beiträge und Downloads schaffen. (Öffentlichkeitsarbeit) den Vorstand Vorstand aus. Wir danken den beiden verlassen. An dieser Stelle noch einmal herzlich für ihren wertvollen Einsatz zu Der Kongress konnte kostenneutral ein herzliches Dankeschön an Maya Gunsten des Verbandes. Ebenfalls tritt bewältigt werden, und die vorsichtige und Kathrin für ihr grosses Engagement Daniel Gerber nach 6 Jahren von seinem Finanzarbeit der letzten Jahre wurde in den letzten Jahren. Die General- Amt als Delegierter der Mitgliederver- erfolgreich fortgesetzt. Das Finanz- versammlung hat Isabelle Thoresen, sammlung zurück. Ein herzliches Danke jahr 2018 wurde deutlich besser als im Roberto Giacomin und Andreas Becker an ihn für seinen wertvollen Einsatz. Budget veranschlagt und nur mit einem neu in den Vorstand gewählt. Danach Der Höhepunkt des vergangenen Jahres minimalen Verlust abgeschlossen. Das hat sich der Vorstand wie folgt zusam- war sicherlich der Kongress, welchen wir Sonderbudget des Vorstandes musste mengesetzt: im März 2018 in Luzern durchgeführt im vergangenen Jahr nicht beansprucht haben. Das Motto lautete: werden. • Cornelia Zimmermann “Professionalität und Profession als Präsidentin Transaktionsanalytikerin und Trans- Anfragen die im Ressort Mitglieder- • Tanja Kernland aktionsanalytiker“. betreuung eingingen, werden weiter- Vizepräsidentin, DSGTA-Tag Die spannenden Workshops und inte- geleitet oder direkt beantwortet. Wir • Mike Kercher ressanten Referenten lockten über 130 wollen unseren Mitgliedern einen Finanzen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach guten und vor allem schnellen Service • Andreas Becker Luzern. Ein riesiges Danke an dieser bieten. Die Zahl der Mitglieder ist EATA-Delegierter Stelle an Nicole Triponez und Christian aktuell bei 490. Letztes Jahr waren 35 • Isabelle Thoresen Grütter. Sie haben mit grossem Engage- Austritte gegenüber 31 Neueintritten zu info Redaktion ment, viel Herzblut und Professionalität verzeichnen. • Hanna Eyer den Kongress organisiert und begleitet. Aktuarin Die beiden Ausgaben unseres infos • Barbara Heimgartner Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit waren im letzten Jahr den Themen Mitgliederbetreuung wird der Flyer "Was ist Transaktionsana- Professionalisierung und Intuition und info Redaktion lyse?" überarbeitet. Eingebrachte Rück- gewidmet. Das Thema Professionali- • Roberto Giacomin meldungen und Wünsche sollen dabei sierung haben wir für uns zum Anlass Öffentlichkeitsarbeit berücksichtigt werden. Da wir Inhalt genommen das info neu gestalten zu und Design mit der ASAT-SR absprechen lassen. Es erscheint nun in einem neuen, Der Vorstand traf sich zu vier Sitzungen. möchten, brauchen wir mehr Zeit. moderneren Kleid und in einem griffi- Auf der Website wollen wir Literaturan- geren Format. Cornelia Zimmermann wird sich aus gaben unter «Grundlagenliteratur inkl. beruflichen Gründen nicht zur Wieder- Literaturliste» zusammenfassen und Der Wandel des info geht jedoch noch wahl als Präsidentin zur Verfügung erweitern. Unter «Marktplatz» wollen weiter. 1. ist im Moment im Sinne eines info eins 19 Aus dem Vorstand | 19
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