Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW

 
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Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
DA S MADE FOR MINDS MAGA Z IN                            3 | 2021

Medien­kompetenz
Puls der Demokratie

Generation Z: Für Kultur begeistern | Nigeria: Fragwürdiges Mediengesetz | DW-Chefredakteurin: Formatfragen |
Ungarn: Medien auf Kuschelkurs | ENTR: Innovativer Mediennachwuchs | Mexiko: Journalisten im Fadenkreuz |
­Guatemala: Junge Vorbilder | Indonesien: DW näher am Geschehen
Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
Der
Vorverkauf
startet am                                      2022
4. Dezember
2021

                  1.-28. Mai   www.jazzfest-bonn.de

             Karten
            an allen
         VVK-Stellen
          und unter
   www.bonnticket.de
Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
Weltzeit 3 | 2021                                                                                                                         3

Editorial
     Zur Lektüre dieser Ausgabe der
Weltzeit möchte ich Sie mit einer Nach-
richt in eigener Sache begrüßen. Nach der
Machtübernahme durch die Taliban hat
sich die Situation für Journalisten in

                                                                                  © DW/J. Röhl
Afghanistan rapide verschlechtert.
Medien wurden in nur kurzer Zeit auf Linie
gebracht, für viele Journalistinnen und
Journalisten ist dies das Ende ihrer beruf-
lichen Tätigkeit, es gibt Berichte über Fälle
von Einschüchterung und sogar Tötungen
durch die Taliban.
     In diesem Moment war für die DW
oberste Priorität, unsere Korresponden-
ten mit ihren Familien in Sicherheit zu
bringen. Dies ist uns mit Unterstützung
der Bundesregierung gelungen. Wir
konnten bereits einen großen Teil der
                                                Demokratien werden durch
Menschen, die für die DW aus Afghanistan
berichtet hatten, nach Deutschland brin-
                                                die Medien­kompetenz ihrer
gen. Sie werden nun in unserer Redaktion        Bürger belastbar.
in Bonn zur Berichterstattung der DW
über Afghanistan beitragen.
     In immer mehr Ländern geraten              zunehmend digitalisierten Informations-           Hürden von Desinformation und Zensur
Medien unter Druck. Regierende machen           landschaft können politische Akteure aber         hinweg Menschen auf allen Kontinenten
sich ungeniert an den Säulen einer plura-       auch ohne den Umweg über Journalisten             Zugang zu unabhängigen Informationen
listischen Gesellschaft zu schaffen.            direkt zu ihrer Bevölkerung sprechen. Die         zu ermöglichen.
     Demokratien werden durch die               Zahl der von Regimes kontrollierten Infor-            In dieser Weltzeit beleuchten wir
Medien­kompetenz ihrer Bürger belast-           mationskanäle nimmt rasant zu und damit          einige Beispiele für die wachsende
bar. Nur wenn Menschen wissen, welchen          auch die Flut von Desinformation.                ­Bedrohung unabhängiger Medien, die sich
Quellen sie vertrauen können, wie sie               Die Vermittlung von politischer Me-           schon mitten in Europa m ­ anifestiert. 
echte von falschen Nachrichten unter-           dienkompetenz bekommt dadurch einen
scheiden, wie man Kampagnen erkennt             enormen Stellenwert. In Demokratien und          Herzlich
und das Überangebot im digitalen In-            anderswo. Das fängt bei den Journalisten
formationsdschungel aussieben kann,             an, die ihre Mediennutzenden erreichen           Ihr Peter Limbourg
können sie gut informiert an gesellschaft-      müssen. Und Mediennutzende weltweit              Director General
lichen Prozessen teilhaben.                     müssen lernen, wie sie in den Sozialen
     Politische Meinungsbildung in den          Medien sicher navigieren.                           @dw_Limbourg
Medien ist meist gekennzeichnet oder                Die DW und die DW Akademie leisten
aus dem Kontext erkennbar. In einer             hier einen wichtigen Beitrag, um über die

Die DW ist Deutschlands internationale Informationsanbieterin. Unser Job ist Meinungs-
freiheit: In 32 Sprachen bringen wir Nachrichten in alle Welt. Eine Viertelmilliarde
­Menschen nutzen jede Woche unsere TV-, Online- und Radioangebote, um sich frei
 und unabhängig entscheiden zu können. Unsere DW Akademie unterstützt weltweit
 die Entwicklung freier Medien. Mehr als 3.000 Menschen aus 60 Nationen sind global
 für die DW im Einsatz.
     Weltzeit ist das Magazin der DW zu Themen rund um Freiheitsrechte, demokratische
Werte und unser Engagement für freie Informationen.
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Inhalt                                                         3 | 2021

A K TUELLES ER FA HR EN

8
8
     Podcast Love Matters
     JaafarTalk zurück
     in Ägypten
                                 46        T I T E LT H E M A

9    ENTR – What’s next?         ­ auziehen um
                                 T
                                 ­Informationen
PROGR AMM -INSIDER
                                 Die Medienlandschaft in Ungarn
14   Formatfragen                wirkt gespalten: Immer mehr
     Interview mit Manuela       TV-Sender und Z ­ eitungen rücken
     Kasper-Claridge und         in die Nähe der Regierung, glaub-
     Jaafar Abdul Karim          würdige Informationen bleiben
                                 auf der Strecke.

T I T E LT H E M A

28 Journalismus wird
     ­krimi­nalisiert
     Neues Medien­gesetz in
     Nigeria

32 Druck auf Medien
   Polens Regierung schränkt
   die Freiheit der Medien
   weiter ein

10          PROGR AMM -
            INSIDER

 Die Gen Z
 für Kultur
­begeistern
Die DW entwickelt neue Kultur-
formate und setzt damit immer
wieder Akzente auch auf neuen
Plattformen.
                                 18       T I T E LT H E M A

                                 Afghanistan
                                 braucht eine
                                 freie Presse
                                 Nach dem Fall ­Kabuls wird deut-
                                 lich, dass die Menschenrechte in
                                 ­Afghanistan ausgehebelt werden.
                                  Umso wichtiger ist es, dass
                                  Afghanistan in internationalen
                                  und Exil-Medien nicht wieder in
                                  Vergessenheit gerät.
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                                                                                     36 Kampf um die
                                                                                          ­Informationshoheit
                                                                                           Welche Quellen sind in
                                                                                          ­Myanmar vertrauens­würdig?

                                                                                     40 Riskanter Schauplatz
                                                                                        Medienfreiheit – Das war
                                                                                        ­einmal in Äthiopien

                                                                                     43 Arabische ­Medien
                                                                                        Vielerorts im festen Griff
                                                                                        autoritärer Propaganda

                                                                                     49 Internet in China
                                                                                        Das schwarze Loch

                        24
                                                                                     52 Auch digitale Medien auf
                                                                                          Kurs bringen
                                                                                          Der Arm des türkischen
                                                                                          Präsidenten reicht bis ins
                                                                                          Ausland

                          T I T E LT H E M A                                         56 Ein EU-­Ratspräsident
                                                                                          zweifelt an der

                   ­ edien im
                    M                                                                     ­Gemeinschaft
                                                                                          Der slowenische Regie­

                ­Fadenkreuz
                                                                                          rungschef gibt auf Twitter
                                                                                          gern den Trump

    Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder für Journalisten:                     GLOBAL MEDI A FORUM
Sie sind zunehmend massiven Einschüchterungen, Drohungen
    und Angriffen ausgesetzt. ­Politiker haben offenbar vor der                      60 Stärkung der lokalen
       Gefahr durch kriminelle Kartelle und Banden ­kapituliert.                          ­Medien
                                                                                          US-Historiker Timothy
                                                                                          ­Snyder über Journalismus
                                                                                           und Demokratie

                                                                                     DW FREEDOM

                                                                                     64 Anonym dank
                                                                                          ­Zwiebelprinzip
                                                                                          Online unterwegs, ohne
                                                                                          Spuren zu hinterlassen

                                                                                     MEDIEN ENT W ICKELN

                                                                                     69 Ein Risiko für die

                                               66        MEDIEN
                                                         ENT W ICKELN
                                                                                          ­Menschen
                                                                                          Die Auswirkungen der
                                                                                          Pandemie auf die A
                                                                                                           ­ rbeit von
                                               Informatecos                               Medienschaffenden

                                               auf Sendung
                                                                                     W E LT A N S C H A U E N
                                               Indigene Gruppen in Lateinamerika
                                               sind doppelt bedroht: von Covid-19    72 Gigantische Umwälzungen
                                               und Desinformation. In Guatemala         Georg Matthes über das DW
                                               sorgen mehr als 800 Jugendliche mit      Asia Pacific Bureau in Jakarta
                                               faktenbasierten Informationen in
                                               lokalen Sprachen für A
                                                                    ­ ufklärung in
                                               der Pandemie.                         74   Impressum
Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
Presented by

4 RUNDEN.
9 TAGE.
GRENZENLOS BEETHOVEN.
2. – 11. DEZ 2021

                 INTERNATIONAL TELEKOM
                             BEETHOVEN
                      COMPETITION BONN
                          2 – 11 DEZ 2021
Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
MENSCHEN BEGEGNEN                                        7

                                    © DW
                    Ghazanfar
                    ­Adeli, Kabul
                    Die Machtübernahme in Afghanistan
                    durch die Taliban hat zu deutlichen
                    Auswirkungen auf die Medien- und
                    Informationsfreiheit geführt. „Angst
                    macht sich breit: Neben den Taliban
                    gab und gibt es nach wie vor bewaff-
                    nete Gruppen, die Journalisten und
                    unsere Familien in Gefahr bringen“,
                    sagt DW-Korrespondent Ghazanfar
                    Adeli.
                         Mittlerweile kann er seine Mei-
                    nung offen äußern: Zusammen mit
                    weiteren Korrespondenten und deren
                    Familien wurde er aus Afghanistan
                    evakuiert und fand Aufnahme im
                    Rheinland. Adeli: „Es wurde immer
                    schwieriger, sich in meiner Heimat
                    gefahrlos zu bewegen, zu recherchie-
                    ren und zu schreiben.“
                         Der Einmarsch der Taliban in
                    Kabul veränderte im Sommer auch die
                    dortige Atmosphäre. „Einwohner in
                    Jeans und Hemden waren im Stadt-
                    bild kaum mehr zu sehen“, so der
                    DW-Korrespondent.
                         Adeli ist erleichtert. Als Journa-
                    list im Bonner Funkhaus der DW
                    kann er jetzt in sicherer Umgebung
                    arbeiten und weiterhin etwas für
                    sein Land tun. „Wir befinden uns in
                    einer außergewöhnlichen Phase, in
                    der Entscheidungen über die Zukunft
                    Afghanistans getroffen werden.“
                    Umso wichtiger sei es, „die Menschen
                    dort mit objektiver Berichterstattung
                    auf dem Laufenden zu halten. Die
                    afghanischen Medien werden dem
                    leider nicht mehr gerecht.“

                       @Gh_Adeli
Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
8          A K TUELLES ER FA HR EN

                                                                           JaafarTalk
                                                                           zurück in Ägypten
                                                                           Nach langer Zwangspause hat die DW wieder
                                                                           eine Ausgabe von JaafarTalk in Ägypten aufge-
                                                                           zeichnet. Die Regierung in Kairo hatte der DW
                                                                           wegen vermeintlich unausgewogener Bericht-
                                                                           erstattung seit 2017 keine Drehgenehmigung
                                                                           mehr erteilt.

Love Matters: DW startet
Podcast mit Evelyn Sharma
                                                                    © DW
Im Herbst startete der englischsprachige Podcast
Love Matters, moderiert von der deutsch-indischen
Bollywood-Schauspielerin Evelyn Sharma. Er bietet
                                                                               Davon waren auch Vereinbarungen mit Distributions-
jungen Menschen in Indien einen Raum für Gesprä-                           partnern betroffen, die keine redaktionellen Inhalte
che über Liebe und Beziehungen.                                            übernehmen konnten. Die Partnerschaft zwischen der
                                                                           DW und dem stärksten ägyptischen Online-Portal Mas-
                                 bekannten indischen Persön-               rawy war schrittweise wiederbelebt worden. Seit Septem-
                                 lichkeiten. Zu den Gästen des             ber 2020 übernimmt Masrawy auf der Plattform „Yallah
                                 Podcasts gehören der Sänger               Kora“ einzelne Inhalte der DW.
                                 Benny Dayal, die Komikerin                    Nun wurde im Kairoer Goethe-Institut eine Sendung
                                 Kaneez Surka, Dragqueen und               zum Thema Frauenrechte koproduziert. Dabei disku-
                                 Aktivist Sushant Divgikar und             tierten Vertreter aus Zivilgesellschaft und Religion mit
                                 die Influencerin Leeza Mangal-            Politikerinnen Themen wie sexuelle Belästigung, Verge-
                                 das. Der Podcast richtet sich             waltigung in der Ehe und Scheidungsgesetze. Moderator
                                 insbesondere an ein junges                Jaafar Abdul Karim sprach auch mit Opfern häuslicher
                                 und vor allem weibliches                  Gewalt.
                                 Publikum.                                     Jaafar Abdul Karim: „Es ist großartig, in Ägypten wie-
                                      „Akzeptanz, Verständnis              der eine Sendung zu produzieren und sehr nah an unserer
    Love Matters, eine Zusam-    und Fürsorge sind Herzensan-              großen JaafarTalk-Community in Kairo zu sein.“
menarbeit der DW und dem         gelegenheiten“, sagt Evelyn                   Petra Schneider, Director of Sales and Distribution:
Partner The Indian Express,      Sharma. „Es gibt viele Themen,            „Die Zuschauer und Internetnutzer hier sind eine sehr
beschäftigt sich mit kontro­     die in Indien nach wie vor tabu           wichtige Zielgruppe für alle Medien in der arabischspra-
versen Themen wie sexueller      sind. Mit Love Matters wollte             chigen Welt. Dass die DW als unabhängiges Medium
Orientierung, Scheidung und      ich einen ‚Safe space‘ schaffen,          wieder vor Ort produzieren kann und damit die Nähe zu
interreligiösen Beziehungen in   um darüber zu sprechen.“                  unserem Publikum möglich ist, wissen wir sehr zu schät-
Indien. Jede Woche stellt             Neue Folgen von Love                 zen. Ich freue mich darauf, wieder mit mehr Partnern in
Sharma ein Beziehungsthema       ­Matters werden wöchentlich               diesem Land arbeiten zu können.“
eines Hörers oder einer Höre-     auf allen Podcasting-Platt-                  Naser Schruf, Head of Middle East Programs: „Eine
rin vor und spricht mit           formen veröffentlicht. Die               in Ägypten produzierte Folge von JaafarTalk findet in der
                                  erste Staffel besteht aus zehn           gesamten Region eine große Resonanz – auch aufgrund
                                  Episoden.                                der enormen politischen und kulturellen Ausstrahlung
                                      Evelyn Sharma ist bekannt            des Landes über dessen Grenzen hinweg. Ägypten ver-
                                  für ihre Auftritte in Bolly-             fügt zudem über großen medialen Einfluss in der arabi-
                                  wood-Filmen wie „Yeh Jawaani             schen Welt.“
                Anhören auf       Hai Deewani“ und „Yaariyan“.                 Die millionenfachen Video-Abrufe der Sendung in
             Apple Podcasts       Außerdem moderiert sie das               den Sozialen Medien, auch von Nutzenden außerhalb
                                  Kultur- und Lifestyle-­Magazin           Ägyptens, zeigen den hohen Informationsbedarf gerade
                                  Euromaxx der DW auf                      der jungen Generation bei Themen, die am Nil selten frei
                                  Deutsch und Englisch.                   und offen in den Medien angesprochen werden.
                Anhören auf
             Spotify                 evelyn_sharma                            dw.jaafartalk |     dw_jaafartalk |     DWJaafarTalk
Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
Weltzeit 3 | 2021                                                                                                                9

ENTR –
What’s next? / Et après? /
Was jetzt? / Ce urmează? /
I co dalej? / E agora?
Das sechssprachige              Die Themenauswahl kommt
­Medienangebot für junge    an: Klimawandel, Ausbildung
                            und Arbeit, Kultur, neue Tech-
 Europäerinnen und
                            nologien, Gesundheit, Migra-
 Europäer verzeichnet       tion sowie gesellschaftliche
 mehr als 13 Millionen      Aspekte wie Solidarität und
 Video-Abrufe seit dem      Gerechtigkeit. Die Social-Media-
                            Videos werden von jungen,
 Start vor vier Monaten.
                            divers besetzten Redaktionen
 ENTR richtet sich an die   in den beteiligten Ländern auf
 Zielgruppe der 18- bis     Englisch, Französisch, Deutsch,
 34-Jährigen und ist eine   Rumänisch, Polnisch oder
 Kooperation von DW und     Portugiesisch produziert und
                            anschließend adaptiert.
 France ­Médias Monde           Die polnischsprachigen
 mit Medienunternehmen      Inhalte sind bislang am popu-
 in sechs EU-Ländern.       lärsten und machen rund ein
                            Drittel der Gesamtnutzung
                            aus. Es folgen die Videos auf
                            Französisch, auf Platz drei und
                                                               © ENTR

                            vier liegen die englischen und
                            deutschen Beiträge, die vor
                            allem auf Instagram viele Fans
                            haben.                                  Patrick Leusch, Projekt-    an ENTR beteiligt in Deutsch-
                                                               leiter von ENTR: „Der Erfolg     land: Zeit Online, Genshagen
                            Relevante Inhalte und              bestärkt uns in der Überzeu-     Stiftung und Good Conversa-
                            positive Perspektiven              gung, mit dem Projekt einen      tions; Portugal: RTP (Rádio e
                                                               Nerv getroffen und ein attrak-   Televisão de Portugal); Polen:
                            „Wir sehen, dass sprachüber-       tives Angebot für junge Euro-    RASP (Ringier Axel Springer
                            greifend Inhalte besonders gut     päer geschaffen zu haben. Wir    Polska); Rumänien: G4 Media;
                            laufen, die sich kontrovers und    wollen ENTR mittelfristig auf    Frankreich: France Médias
                            meinungsstark mit Themen           weitere Sprachen und Medien-     Monde (RFI, France 24, MCD);
                            wie Gleichberechtigung oder        partner ausweiten.“              Irland: Tailored Films.
                            der eigenen Identität aus-
                            einandersetzen“, sagt Gönna        ENTR-Partner                     ENTR auf Deutsch
                            Ketels, ENTR-Head of Content.                                         entr.net/de
                            Die Medieninitiative ENTR will     Das digitale Medienangebot         deu.entr
                            den Austausch innerhalb der        wird von der Europäischen          de.entr
                            jungen Generation Europas          Union und dem Auswärtigen          deentr
                            fördern und das Bewusstsein        Amt gefördert. Neben der DW,
                            für eine gemeinsame Identität      die das Projekt koordiniert,
                            stärken.                           und France Médias Monde sind
Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
10        PROGR AMM -INSIDER

Die Gen Z
für Kultur
begeistern
                                                              D
DW Culture and Lifestyle bietet                                       ie DW entwickelt neue Kultur-

eine kulturelle Themenvielfalt auf
                                                                      formate und setzt damit immer
                                                                      wieder Akzente auf neuen

immer mehr Plattformen: Video-
                                                                      Plattformen. Doch wie begeistert
                                                              man kontinuierlich ein internationales

on-Demand-Formate zur Kunst-
                                                              Publikum gerade auch für deutsche und
                                                              europäische Kultur-Themen? „Soweit es

szene in den Metropolen Asiens,                               ‚globale Formate‘ betrifft, besteht eine
                                                              Herausforderung darin, solche Konzepte

Eigenheiten der Deutschen bei                                 zu entwickeln, die in unseren sehr unter-
                                                              schiedlichen Zielregionen funktionieren.

Meet the Germans auf YouTube                                  Also in Asien und Afrika idealerweise
                                                              genauso wie in Südamerika oder den

und Instagram sowie europäische                               USA“, so Rolf Rische, Director Culture and
                                                              Lifestyle bei der DW.

Kultur bei DW Berlin Fresh auf                                    Dabei setzt sein Team unter anderem
                                                              auf Erfolgsproduktionen wie Euromaxx –

TikTok.                                                       Lifestyle Europe. Das Magazin wird
                                                              inzwischen in 20 Sprachen adaptiert. Auch
                                                              humorvolle Formate spielen eine wichtige
Text Steffen Heinze, DW-Redakteur                             Rolle, etwa Meet the Germans, das vor
                                                              allem „in den Sozialen Medien Reichweiten
                                                              im Millionenbereich“ bringt. Moderatorin
                                                              Rachel Stewart, die vor einigen Jahren aus
                                                              England nach Deutschland kam, erklärt in
                                                              den Videos mit einem Augenzwinkern die
                                                              kulturellen Eigenarten der Deutschen.
                                                                  Kultur ist ein zentraler Programm­
                                                              auftrag der DW. Und bei der Kulturver-
                                                              mittlung setzt die Redaktion schon lange
                                                              nicht mehr nur auf das klassische lineare
                                     © Shingi Rice/unsplash

                                                              Programm. Dank Social Media „kommen
                                                              wir mit den Usern intensiver ins Ge-
                                                              spräch“, sagt Matthias Frickel, Head of
                                                              Operations, Culture and Lifestyle. Soziale
                                                              Medien, so Frickel, „erleichtern über den
                                                              Dialog hinaus auch den Zugang zu kom-
                                                              plexen Themen wie der Geschichte
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12         PROGR AMM -INSIDER

      Deutschlands“. Wie wichtig Social       „junge, weltoffene, lernbereite Menschen,      kulturelle und gesellschaftliche Themen
Media für die Redaktion geworden ist,         die in ihren Ländern Verantwortung             informieren“, so Rische.
zeigen die Abrufzahlen. So zählt allein der   übernehmen wollen. Für viele von ihnen             Auch sogenannte „Hochkultur“ ist
englischsprachige YouTube-Kanal DW            sind Medien wie Instagram, Facebook            nicht nur relevant, sondern gerade auch
Documentary über drei Millionen Abon-         und Twitter schon fast ‚Old School‘“, fügt     auf digitalen Ausspielwegen durchaus
nenten und 350 Millionen Video-Abrufe in      Frickel hinzu. Es sei wichtig, auch bei        Reichweiten-trächtig. „Zum Beethoven-­
diesem Jahr. „Wir holen unser Publikum da     TikTok präsent zu sein, da sich „junge User    Jubiläumsjahr 2020 haben wir drei große
ab, wo es unterwegs ist “, so Rische. Die     zunehmend auf solchen Plattformen über         Dokumentarfilme produziert, die auf
YouTube-Kanäle von DW Dokumentation
auf Englisch, Spanisch und Arabisch
verzeichnen aktuell mehr als acht Millio-
nen Abonnenten. Das Angebot wurde im
Herbst 2021 auch auf Hindi und Deutsch
ausgeweitet.
    „Auf Plattformen wie YouTube haben
wir eine interessierte Community auf-
gebaut, die in den Kommentaren leiden-
                                                                        Junges Publikum auf Instagram
schaftlich auch untereinander diskutiert.
Für jeden Zielmarkt die optimale Anspra-                                Follower unter 35 Jahren auf verschiedenen
che und Plattform zu finden – das ist her-                              Instagram-Kanälen der DW
ausfordernd“, weiß Frickel aus Erfahrung.
    Doch wie erreicht man junge Zielgrup-
                                                                               jaafar_talk                               80%
pen? „Die DW hat sich zum Ziel gesetzt,
sich in den nächsten Jahren auf Leute
zwischen 14 und 40 Jahren zu fokussieren“,                                 deutschlernen                              71%
sagt Frickel. „Die kurze Form der Infor-
mation“ sei bei der Generation Z beliebt.                                    dw_kiswahili                             72%
Das zeige gerade der TikTok-Kanal Berlin
Fresh. Mit diesem Kanal erreiche die DW
                                                                                   plus90                                79%

                                                                        Starker Anstieg bei Berlin Fresh
                                                                        Video-Views auf dem TikTok-Kanal dw_berlinfresh,
                                                                        Februar bis Juni 2021

                                                                               2 Millionen
                                                                                                                       1,8
                                                                                                              1,6
                                                                             1,5
                                                                                              1,2

                                                                               1

                                                                                     0,8
                                                                             0,5                      0,7
                                                                                    Feb      Mär      Apr     Mai      Jun

Mit Kultur                                    Im DW-Gesetz, das die Aufgaben des             Jede Woche erreicht die DW mit ihren

Menschen
                                              deutschen Auslandssenders beschreibt,          Multimedia-Angeboten in 32 Sprachen
                                              heißt es zum transnationalen Kulturauf-        auf DW-eigenen Kanälen und über Part-

weltweit
                                              trag gleich im ersten Satz: „Die Angebote      ner sowie in den Sozialen Medien rund
                                              der DW sollen Deutschland als euro-            250 Millionen Nutzende weltweit.

erreichen
                                              päisch gewachsene Kulturnation und             Zu den größten DW-Ressorts zählt
                                              demokratischen Rechtsstaat verständ-           Culture and Lifestyle, das zahlreiche
                                              lich machen.“ Außerdem solle die DW            TV-Sendungen, Social-Media-Kanäle
                                              „das Verständnis und den Austausch der         und ein umfassendes Online-Angebot
                                              Kulturen und Völker (…) fördern“.              produziert.
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großes Interesse gestoßen sind. Also kön-
nen auch im wahrsten Sinne des Wortes
‚klassische‘ Formate interessant sein“,     Wir holen
meint Rische. Dazu gehört der mehrfach
preisgekrönte 90-minütige Film Beetho-      unser
vens Neunte – Symphonie für die Welt,
der zeigt, wie Beethovens „berühmte         Publikum
Neunte in anderen Ländern interpretiert
wird und auf allen Kontinenten eine hohe
                                            da ab, wo es
Bedeutung hat“. Der Film, der unter
anderem auch bei „Prime Video“ gezeigt
                                            unterwegs
wurde, ist abrufbar auf dem YouTube-­       ist.
                                                                Rolf Rische
Kanal DW Classical Music. Das Special-
Interest-Angebot DW Classical Music
verzeichnet nach knapp zwei Jahren seit
dem Start fast 120.000 Abonnenten und                            Director Culture and Lifestyle und Channel
13 Millionen Video-Abrufe in 2021.                               Manager des deutschen TV-Programms der DW,
    In diesem Jahr starten neue Video-on-                        absolvierte die Deutsche Journalistenschule in
Demand-Reihen wie Art.See.Asia über                              München und wechselte nach Stationen bei den
die Kunstszene in den Metropolen Asiens,                         Stuttgarter Nachrichten und dem Südwestfunk
Ausfahrt Kultur/ Destination Culture, in                         Baden-Baden 1992 zur DW. Hier entwickelte der
der Menschen aus einer internationalen                           heute 59-Jährige viele TV-Formate, darunter das
Perspektive Kulturräume in Deutschland                           Lifestyle-Magazin Euromaxx und Formate wie
für sich entdecken und der zusammen                              Clipmania, German Beats, Europe in Concert
mit der digitalen Format- und Produkt-                           sowie Privatkonzert. Er verantwortet außerdem
entwicklung aufgesetzte Podcast Love                             zahlreiche preisgekrönte Dokumentarfilm-­
Matters für den indischen Markt. Drei                            Produktionen. Im Jahr 2019 gingen unter seiner
von unzähligen Innovationen und Über-                            Leitung die YouTube-Kanäle DW Euromaxx
raschungen im Programm von DW Culture                            und DW Classical Music an den Start, 2020 der
and Lifestyle.                                                 ­TikTok-Kanal dw_berlinfresh.

                                            Die DW
                                            nimmt in
                                            den nächsten
                                            Jahren
                                            Zielgruppen
                                            zwischen            Matthias Frickel
                                            14 und 40           arbeitet als Head of Operations bei Culture

                                            Jahren in           and Lifestyle der DW. Der 53-Jährige Politologe
                                                                berichtete für Arte, den RBB und die DW aus
                                            den Fokus.          mehr als 35 Ländern, interviewte Menschen aus
                                                                Kultur, Sport und Politik darunter Herta Müller,
                                                                Mesut Özil und Angela Merkel. Als Redakteur der
                                                                DW-Magazine Kultur.21 und Kick off! und Doku-
                                                                Autor wurde er mehrfach ausgezeichnet, etwa
                                                                mit dem Deutsch-Polnischen Journalisten-Preis
                                                                (2001, 2013) oder beim Ficts Festival in Mailand
                                                                (zuletzt 2020). Als Bereichsleiter im Sport ent-
                                             dw.com/kultur      wickelte er erfolgreiche YouTube-Formate. Frickel
                                             dw.com/culture     ist Mitglied der Jury bei den NewYorkFestivals
                                             DWdocumentary      TV & FilmAwards. Zuletzt betreute er die Werk-
                                             DWclassicalmusic   schau der neuen digitalen Formate der DW 2021
                                             @DW_berlinfresh    – What’s new, what’s next?
14         PROGR AMM -INSIDER

Format-
fragen
Die Sozialen Medien sind aus dem Alltag vieler Nutzenden nicht
mehr wegzudenken. DW-Chefredakteurin Manuela Kasper-Claridge
und Jaafar Abdul Karim, Moderator der populären Talkshow
JaafarTalk, sprechen darüber, vor welchen Herausforderungen
Kanäle wie TikTok, Instagram und YouTube Redaktionen stellen –
und welche Chancen sie den Sendern bieten.

                                                                                                              © DW
Fragen Ivana Drmić, DW-Redakteurin

    Im Rahmen der Digitalstrategie            mit den Nutzenden und unserer Ziel-       Der arabischen
fokussiert sich die DW vermehrt auf           gruppe. Wir wissen, welche Themen         Jugend eine
digitale und Mobile-First-Angebote.           bewegen. Hinzu kommt: Je mehr In-         Stimme geben:
Inwieweit haben On-Demand-Angebote            formationen Soziale Medien anbieten,      Jaafar Abdul Karim
und Soziale Medien die journalistische        desto mehr müssen wir einordnen und       im Flüchtlingslager
Arbeit der DW verändert?                      verifizieren. Das Feedback der Nutzen-    Zatari in Jordanien
                                              den fällt manchmal sehr deutlich aus.     im Februar 2020.
Manuela Kasper-Claridge: Wir sind             Das ist oft bereichernd und durchaus
  schneller, flexibler und nutzerorien-       motivierend.
  tierter geworden. Welche Bedürfnisse
  und Themen interessieren? Antworten       Stichwort Schnelllebigkeit der Sozialen
  darauf und Erkenntnisse ziehen wir aus    Medien: Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
  dem ständigen Dialog mit den Usern
  und aus der engen Zusammenarbeit          Kasper-Claridge: Wir müssen stärker
  mit Fachabteilungen im Haus, über           Prioritäten setzen und nicht versuchen,
  Redaktionen hinweg. Da gibt es einen        alles gleichzeitig zu machen. Man muss
  intensiven Austausch.                       wissen, wie Nutzende auf den unter-
                                              schiedlichen Plattformen agieren und
Jaafar Abdul Karim: Darüber hinaus            welche Formate dort funktionieren.
   stehen wir stärker im direkten Kontakt     Die Erkenntnisse unserer Experten
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                                              JaafarTalk – diversity
                                              sparks dialogue
   bei Audience Development sowie das         JaafarTalk ist eine multimediale, interaktive, wöchent-
   Wissen unserer Journalisten tragen         liche Talkshow, moderiert von Jaafar Abdul Karim. Das
   dazu bei, besser zu verstehen, was         meinungsfreudige Format richtet sich an Menschen,
   Nutzende wollen und welche Formate         die das Gefühl haben, „von gesellschaftlichen, religiö-
   gefragt sind.                              sen oder familiären Konventionen zu sehr beengt zu
                                              werden“. JaafarTalk wird mit arabischen Partnersen-
Abdul Karim: Die Diskussionen in den          dern an wechselnden Schauplätzen im Nahen Osten
  Sozialen Medien sind im Ton schärfer        koproduziert und ausgestrahlt. Eine zentrale Rolle
  geworden, teilweise emotionaler und         spielt die Interaktion in den Sozialen Medien. Seit dem
  weniger sachlich. Die Spaltung der          Startschuss verzeichnet die Sendung auf Facebook
  Gesellschaft ist deutlich sichtbar. Umso    4,7 Millionen Abonnenten und mehr als zwei Milliar-
  wichtiger ist es, dass die DW den Dialog    den Video-Abrufe in den Sozialen Netzen.
  anbietet und diesen begleitet. Unsere
  User sind manchmal selbst überrascht,          dw.jaafartalk
  dass wir unterschiedliche Meinungen            dw_jaafartalk
  zulassen. Einige stört das, aber sie keh-      DWJaafarTalk
  ren zu uns zurück, weil die Themen, die
  wir ansprechen, sie im Alltag bewegen.
  Wir bieten diverse und lösungsorien-
  tierte Dialoge. 
16          PROGR AMM -INSIDER

                                                                                                                             © R. Oberhammer/DW

Jaafar                                                    Manuela
Abdul Karim                                               Kasper-Claridge
arbeitet bei der DW als Moderator und Redaktions-         ist seit Mai 2020 Chefredakteurin der DW. Sie kam vor über 20
leiter der Talksendung ­JaafarTalk. Er ist Mitglied der   Jahren zur DW, arbeitete im Bereich Aktuelles und berichtete
Chefredaktion der DW. Der gebürtige Liberianer hat        als Reporterin aus vielen Teilen der Welt. 1998 übernahm sie das
einen Masterabschluss in Leadership und Commu-            Ressort Wirtschaft und war verantwortlich für die Bereiche TV,
nication. 2016 wurde er vom deutschen Magazin             Online, Radio und Social Media. 2014 übernahm sie die Leitung
„Medium“ als „Reporter des Jahres“ ausgezeichnet,         der Hauptabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt, 2017
2020 erhielt er den CIVIS-Medienpreis. Die New York       wurde sie zusätzlich stellvertretende Chefredakteurin. Kasper-
Times bezeichnete ihn als „Apostel für Menschen-          Claridge initiierte Partnerschaften mit dem Weltwirtschafts­
rechte in der arabischen Welt“.                           forum und dem Nobelpreisträger-­Treffen in Lindau, darüber hin-
                                                          aus entwickelte sie preisgekrönte TV- und Multimedia-Formate
     @JaafarAbdulKari                                     wie Global Ideas, Founders’ Valley, Eco Africa und Eco India.

                                                             @ManuelaKC
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  Welche Formate sind besonders              Welche Rolle spielen Soziale Medien im           ner, zumeist anonymer Nutzer, sei eine
  gefragt?                                   arabischsprachigen Raum?                         Krankheit. Dem widersprechen wir
                                                                                              natürlich umgehend – mit Fakten. Ich
Kasper-Claridge: Faktenchecks und so-        Abdul Karim: Soziale Medien haben                selbst erlebe Hatespeech persönlich,
  genannte Explainer werden von allen          sich längst auch im arabischen Raum            wenn ich Themen in meiner multime-
  Nutzenden – und zwar über Regio-             etabliert, sie sind ein wichtiger Teil der     dialen Talkshow JaafarTalk diskutiere,
  nen hinweg, sehr stark nachgefragt.          Medienlandschaft. Mit DW Arabia er-            die kontrovers sind. Wichtig ist es, sach-
  Dazu hat auch die Corona-­Pandemie           reichen wir in unserer Zielregion bis zu       lich und mit Fakten zu reagieren. Das ist
  beigetragen. Nutzende suchen an-             500 Millionen Abrufe monatlich. Unsere         nicht immer einfach.
  gesichts des enormen Angebots im             Nutzer finden bei uns Themen mit
  Internet mehr denn je nach verläss-          unterschiedlichen Perspektiven, das          Wodurch hebt sich die DW von der
  lichen Informationen. Wir achten stets       stellt in manchen regionalen Medien          ­Konkurrenz ab?
  auf Sachlichkeit und Genauigkeit, und        eher die Ausnahme dar. Tabuthemen,
  das Angebot muss die Nutzenden da            die vor Ort nicht so offen journalistisch    Kasper-Claridge: Unsere Stärke kann nur
  ­erreichen, wo sie sind. So kommen bei-      angesprochen werden, wie wir das               Glaubwürdigkeit und Qualität sein. Für
   spielsweise unsere informativen Unter-      tun. Nutzende können ihre Meinung              mich steht die Qualitätssicherung an
   haltungsformate auf TikTok gut an. Zur      frei äußern und in einen Dialog treten.        oberster Stelle. Wir optimieren derzeit
   Bundestagswahl haben wir das Format         Unsere User schätzen vor allem The-            unsere Schlussredaktion und schu-
   Merkel’s Chair entwickelt, bei dem sich     men zu Menschenrechten, Presse- und            len Kolleginnen und Kollegen. Wenn
  Menschen sozusagen auf den Stuhl der         Meinungsfreiheit.                              uns doch mal ein Fehler unterläuft,
  Bundeskanzlerin setzen und sagen,                                                           kommunizieren wir das transparent
  was sie tun würden, wenn sie Kanzle-       Ist Hatespeech in Ihren Redaktionen              und räumen ein, „hier haben wir einen
   rin wären. Vor allem junge Menschen       ein Thema?                                       Fehler gemacht“. Das ist mir sehr wich-
   waren davon begeistert.                                                                    tig: Qualität zu liefern und glaubwürdig
                                             Kasper-Claridge: Das ist eine echte              und transparent zu sein.
Zur Zielgruppe der DW in den Sozialen          Herausforderung. Wir erleben immer
Medien …                                       wieder Shitstorms, in denen sowohl           Abdul Karim: Für den arabischen Raum
                                               Kolleginnen und Kollegen als auch              kann ich sagen, dass wir uns bei der DW
Kasper-Claridge: Unsere Hauptzielgrup-         unsere Angebote selbst scharf atta-            durch unsere Diversität von anderen
  pe reicht von 14- bis zu 40-Jährigen.        ckiert werden. Dann kommt unser                Sendern abheben. Wir bieten eine
  Das heißt, wir müssen die 14- bis            Community Management ins Spiel, das,           faktenorientierte und freie, interaktive
  18-Jährigen auf ihren Plattformen eher       wo nötig, unsere Nettiquette erklärt           ­Debatte auf Augenhöhe. Tabuthemen
  abholen, zum Beispiel auf TikTok oder        und sachlich moderiert. Schlimme                sowie Themen, die Minderheiten- und
  Instagram, aber auch YouTube ist mit         beleidigende Posts müssen natürlich             Menschenrechte, Meinungs- und
  längeren Formaten gefragt. Unsere            gelöscht werden.                                Pressefreiheit berühren, werden frei
  steigenden Nutzerzahlen zeigen, dass                                                         und unvoreingenommen diskutiert.
  wir mit diesem Kurs richtig liegen.        Abdul Karim: Wir versuchen, Leute zu-             Wir betonen regelmäßig, dass Diversi-
  Was mich besonders freut, ist, dass          sammenzubringen und mit Fakten zu              tät ein Anlass für Dialog ist und nicht
  wir mehr Nutzerinnen haben, in vielen        antworten. Unser Prinzip: Jeder kann           ein Anlass, um zu spalten. Und unter-
  Sprachen und Regionen. Das war und           seine Meinung äußern, aber nicht               streichen das mit Geschichten, die sehr
  bleibt ein wichtiges Ziel.                   eigene „Fakten“ erfinden. Ein Beispiel:        nah an den Menschen sind sowie mit
                                               Homosexualität, so die Meinung einzel-         meinungsfreudigen Diskussionen.
Welche Schwerpunkte setzen Sie in
den Regionen?

Kasper-Claridge: Wir machen um Tabu-
  themen keinen Bogen, sprechen sie an.
  Beispiel Afrika-Programme: Dort sind
  wir mit der Reihe 77 Percent erfolg-
  reich, da geht es um teilweise sehr
  kontroverse Themen, die vor Ort in
  den afrikanischen Ländern diskutiert
  werden. Für unser Zielgebiet Asien
  haben wir die Serie Sex and the Body
  zusammen mit unserer Wissenschafts-

                                                                      Wir ­machen um
  redaktion aufgesetzt, in der es um
  den weiblichen Körper und Sexualität
  geht. Die Kollegen der Asien-Program-

                                                                         Tabuthemen
  me arbeiten eng mit der Wissenschaft
  zusammen, um genau die Bedürfnisse
  der Zielgruppe zu verstehen und zu

                                                                       ­keinen Bogen.
  treffen. Einzelne Videos wurden mehr
  als 15 Millionen Mal abgerufen. Ein
  toller Erfolg, der weiter anhält.
18   T I T E LT H E M A
Weltzeit 3 | 2021                                                    19

                           Wenige Monate nach dem Fall K  ­ abuls wird
                    deutlich, dass die Menschenrechte in Afghanistan
                      ausgehebelt werden. Umso wichtiger ist es, dass
                     Afghanistan in internationalen und Exil-Medien
                                   nicht wieder in Vergessenheit gerät.

                    Afghanistan
                    braucht eine

 freie
Presse
20   T I T E LT H E M A

                    Text Waslat Hasrat-Nazimi,
                    Leiterin, Dari and Pashto Service

                         Mit Schrecken verfolge ich Anfang
                    August die Nachrichten: In Afghanistan
                    fallen die Provinzhauptstädte wie Domino-
                    steine. Agenturen melden: „Die Taliban
                    sind auf dem Vormarsch.“ Für mich und
                    für viele andere, die seit Jahren auf das
                    Land schauen, ist das keine Neuigkeit.
                    Denn seit Jahren haben die militant-isla-
                    mistischen Taliban große Teile Afghanis-
                    tans kontrolliert. Jahrelang warteten sie in
                    den Vororten darauf, aus dem Schatten zu
                    kommen und die Macht an sich zu reißen.
                    Trotzdem war ich erschüttert, als die
                    Taliban in die Hauptstadt Kabul einfielen
                    und den Präsidentschaftspalast besetz-
                    ten. So, wie die meisten Afghaninnen und
                    Afghanen stand ich unter Schock, als die

                                                                       © picture alliance/ZUMAPRESS.com/Lcpl. Nicholas Guevara/U.S. Mari
                    weiß-schwarze Fahne der Taliban gehisst
                    wurde.

                    Wettlauf gegen die Zeit

                    Über Nacht hatten zwanzig Jahre westli-
                    che Intervention ihre Bedeutung verloren.
                    Die meisten NATO-Länder hatten bereits
                    den Großteil ihrer Soldaten abgezogen.
                    Nun begann ein Wettlauf um die Zeit, um
                    bedrohte Menschen aus dem Land zu
                    bekommen. Menschenrechtsaktivisten,
                    Regierungsvertreter, Künstler, Journalis-
                    ten und Sportler: Jede und jeder, die oder
                    der die Möglichkeit bekam, versuchte
                    so schnell wie möglich, Afghanistan zu
                    verlassen. Die Evakuierung dieser und
                    anderer Menschen verlief in einem unvor-
                    stellbaren Chaos, dessen Absurdität und
                    Würdelosigkeit nur durch einen Terror­
                    anschlag, die auf ihre Ausreise hoffenden

                                                                   Das Projekt
                                                                   Menschenrechte in
                                                                   Afghanistan wurde nie
                                                                   ernsthaft vollzogen.
                                                                   Stattdessen verfolgte
                                                                   man politische
                                                                   Interessen.
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Menschen am Kabuler Flughafen seinen         Afghanistan-Einsatzes war voraus- und      US-Soldaten bei der
Höhepunkt fand.                              absehbar. Für die Menschen in Afghanis-    Evakuierungsaktion auf
    Auch wir, die DW, versuchten, unsere     tan kommen die Beileidsbekundungen         dem Hamid-Karzai-Flughafen
Korrespondenten zu evakuieren. Immer         und die Bestürzung zu spät. Der Westen     in Kabul, Afghanistan.
wieder mussten wir herbe Rückschläge         hat auf voller Linie versagt. Milliarden
einstecken. Erst nach fast einem Monat ge-   von internationalen Geldern – Steuer-
lang es uns, 72 Menschen über die Grenze     gelder der Bevölkerungen westlicher
nach Pakistan zu bringen. Ein Hoffnungs-     Nationen – wurden in das Land gesteckt.
schimmer in dieser so hoffnungslosen Zeit.   Vergeblich. Das Projekt Menschenrechte
                                             in Afghanistan wurde nie ernsthaft
Gefahr für die Presse in                     vollzogen. Stattdessen verfolgte man
Afghanistan                                  politische Interessen. Zum Leidwesen der
                                             Bevölkerung.
Denn für das Desaster in Afghanistan             Und die Bevölkerung ist es, die am
sind wir alle verantwortlich. Das Ende des   meisten unter der Situation leidet. 
22         T I T E LT H E M A

                                                             Einer ganzen Generation hat man den
                                                        Boden unter den Füßen entzogen. Frauen
                                                        werden gezwungen, sich zu verhüllen,
                                                        nicht zu arbeiten und Mädchen dürfen
                                                        nicht mehr zur Schule gehen. Enttäuscht
                                                        und desillusioniert vom Westen, protestie-
                                                        ren afghanische Frauen im ganzen Land
                                                        deshalb auf eigene Faust gegen diese
                                                        menschenunwürdigen Einschränkungen
                                                        – unter gefährlichen Bedingungen und
                                                        trotz massiver Einschüchterung durch die
                                                        Taliban.

                                                        Der Untergang der
                                                        ­afghanischen Medien?

                                                        Die Bilder von den Protesten kann man
                                                        hauptsächlich in den Sozialen Medien ver-
                                                        folgen. Es gibt Berichte über ein Dutzend
                                                        Journalisten, die über Demonstrationen
                                                        berichteten und dafür ausgepeitscht
                                                        und geschlagen wurden. Andere sind

Neue Radio­
angebote für
­Afghanistan
 via Kurzwelle
Einen Monat nach der Machtübernahme der
Taliban startete die DW am 13. September ein
Radio­programm auf Dari und Paschtu via Kurz-
welle, um den Hörern in Afghanistan gesicherte
Informationen zukommen zu lassen. Auf diese
Weise soll sichergestellt werden, dass auch in diesen
ungewissen Zeiten zuverlässige Informationen nach
Afghanistan gelangen.
    DW-Intendant Peter Limbourg: „In Afghanistan
sind die Medienvielfalt und der freie Zugang zu
unabhängigen Informationen akut bedroht. Die DW
hat eine erfahrene und sachkundige Redaktion für
die Region, die zusätzlich zu unseren Online- und
Social-Media-Angeboten mit einem Kurzwelle-
Radioprogramm auf Dari und Paschtu zur besseren
Information der Menschen in Afghanistan beitra-
gen wird.“
    Über die Frequenzen 15230 kHz und 15390 kHz
sendet die DW täglich halbstündige Sendungen, um
18:30 Uhr afghanischer Zeit auf Dari und um 19 Uhr
afghanischer Zeit auf Paschtu.
    Debarati Guha, DW Director Programs for
Asia: „Die thematischen Schwerpunkte unse-
res Programms werden Dialog und Frieden, die
Zivilgesellschaft und natürlich Geschlechter- und
Menschenrechtsfragen sein. Mit dem neuen Kurz-
wellen-Programm sind wir bestens vorbereitet, falls
das Internet in Afghanistan abgeschaltet oder einge-
schränkt werden sollte. Die DW wird die Menschen
dort nicht im Stich lassen und sie weiterhin mit
ausgewogenen Informationen versorgen.“
Weltzeit 3 | 2021                                                                                                                                 23

                                                                          verschwunden. Etliche Journalisten haben
                                                                          die Chance zur Flucht aus Afghanistan
                                                                          genutzt. Die, die bleiben, verstecken sich
                                                                          oder zensieren sich selbst. Hunderte
      Über Nacht                                                          afghanische Medienanbieter mussten
                                                                          ihre Arbeit einstellen. Die Pressefreiheit

           hatten                                                         in Afghanistan – einst als Erfolgsprojekt
                                                                          in der Region gefeiert – wird nun massiv

 ­zwanzig ­Jahre
                                                                          beschnitten.
                                                                              Ausländische Journalisten, werden
                                                                          vorläufig von den Taliban hofiert. Sie

        ­westliche                                                        sollen möglichst ein positives Bild nach
                                                                          außen transportieren, damit die neue

   ­Intervention                                                          Regierung Anerkennung und finanzielle
                                                                          Unterstützung erhält. Gleichzeitig reizt

              ihre
                                                                          einige Journalisten das Abenteuer und
                                                                          die Möglichkeit, mit den Taliban zu spre-
                                                                          chen, die viele Jahre als unnahbar galten.

      ­Bedeutung                                                          Eine Falle, in die nicht wenige westliche
                                                                          Journalisten tappen. Das führt auch zu

         verloren.                                                        einer verfälschten und teils obskuren
                                                                          Berichterstattung.
                                                                              Deshalb ist es umso wichtiger, dass
                                                                          Medienmacher, die Afghanistan kennen,
                                                                          Erfahrung haben und die Sprachen des
                                                                          Landes sprechen, unterstützt werden.
                                                                          Internationale Medienhäuser wie die DW
                                                                          erhalten eine neue Bedeutung. Gleichzeitig
                                                                          müssen Exil-Medien, die von afghanischen
                                                                          Journalisten geleitet werden, unterstützt
                                                                          werden. Diese Medien müssen unabhängig
                                                                          und frei von jeglicher Gewalt und unzen-
                                                                          siert berichten können. Denn nur auf diese
                                                                          Weise können Informationen aus und nach
                                                                          Afghanistan transportiert werden. Nur
                                                                          durch glaubwürdige und anhaltende Be-
                                                                          richterstattung kann auf die Taliban Druck
                                                                          ausgeübt werden. Die 1990er-Jahre, in
                                                                          denen Afghanistan eine Blackbox war, sind

                                                                                                                       Waslat
                                                                          vorbei. Weder die afghanischen Medien
                                                                          noch die Menschen in Afghanistan werden

                                                                                                                       Hasrat-­
                                                                          kampflos aufgeben.

                                                                                                                       Nazimi
                    © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Bernat Armangue

                                                                                                                       ist seit 2020 Leiterin des
                                                                                                                       DW Dari and Pashto Service.
                                                                                                                       Sie kam als Kind mit ihrer
                                                                                                                       Familie aus Afghanistan nach
                                                                                                                       Deutschland und ist hier auf-
                                                                                                                       gewachsen. Sie nennt heute
                                                                                                                       beide Länder ihre Heimat. Mit
                                                                                                                       ihrer journalistischen Arbeit
                                                                                                                       in beiden Ländern und der
                                                                                                                       Erfahrung aus ihrer eigenen
                                                                                                                       Integrationsgeschichte baut
                                                                                                                       sie heute Brücken zwischen
                                                                                                                       beiden Kulturen.

                                                                          Ein Straßenhändler ­                           @WasHasNaz
                                                                          verkauft Taliban-Flaggen vor                   dw.com/dari
                                                                          der ­US-Botschaft in Kabul.                    dw.com/pashto
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­Medien im
 ­Fadenkreuz
Mexiko ist eines der gefährlichsten ­Länder
für Journalisten: Sie sind zunehmend
massiven Einschüchterungen, Drohungen
und Angriffen ausgesetzt. ­Politiker haben
offenbar vor der ­Gefahr durch kriminelle
Kartelle und B­ anden k­ apituliert.
Text Eva Usi, DW-Redakteurin, Latin America

Bürgerwehren in M­ ichoacán
gehen bewaffnet gegen
­kriminelle Gruppen vor.
25
Weltzeit 3 | 2021

                                                                          „Ich versichere dir, dass ich dich
                                                                      finden werde, wo auch immer du dich
                                                                      aufhältst“, droht ein Mann in einem

                        Wenn die                                      Video. Er behauptet, Rubén Oseguera
                                                                      Cervantes zu sein alias „El Mencho“,
                    Drogenmafia                                       Anführer des Kartells Jalisco Nueva
                                                                      Generación (CJNG), das seit der Verhaf-
                       jemanden                                       tung des einst meistgesuchten Drogen-

                       töten will,                                    bosses in Mexiko und den USA, El Chapo,
                                                                      2016 als das mächtigste mexikanische

                          kündigt                                     Drogenkartell gilt. Die Drohung ist an die
                                                                      Fernsehmoderatorin Azucena Uresti
                      sie es nicht                                    gerichtet, aber auch an andere Mitarbei-
                                                                      ter nationaler Medien, etwa der Zeitung
                        lange an.                                     El Universal. Der Mann im Video wirft
                                                                      ihnen eine voreingenommene Bericht-
                                                                      erstattung über die Kämpfe zwischen
                                                                      dem Drogenkartell und Bürgerwehren in
                                                                      Michoacán vor.
                                                                          Das internationale Komitee zum
                                                                      Schutz von Journalisten (CPJ) veröffent-
                                                                      lichte kurz darauf eine Erklärung mit der
                                                                      Forderung an die Behörden, der Nach-
                                                                      richtensprecherin Schutz zu gewähren
                                                                      und die Drohungen juristisch zu ver-
                                 © picture alliance/AP/Marco Ugarte

                                                                      folgen. Die Organisation hält Mexiko für
                                                                      das gefährlichste Land für Journalisten
                                                                      innerhalb der westlichen Hemisphäre.
                                                                      „Die Gewaltrate gegen Journalisten ist in
                                                                      Mexiko sehr hoch, ebenso die Straflosig-
                                                                      keit. Mehr als 95 Prozent der Verbrechen
                                                                      gegen Journalisten bleiben ungestraft“,
                                                                      so der CPJ-Vertreter in Mexiko, Jan-Albert
                                                                      Hootsen.
                                                                           Hootsen führt das auch auf Abspra-
                                                                      chen zwischen Behörden und 
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                                                                                      Azucena Uresti ist
                                                                                      eine der bekann-
                                                                                      testen Journalistin-
                                                                                      nen in Mexiko.
© picture alliance/dpa/Prensa Uresti

     Kriminellen zurück, insbesondere auf

                                                                            Eva Usi
regionaler und kommunaler Ebene. „Es
gibt ganze Gebiete in Mexiko, in denen so
viele Gewalttaten passieren, dass man                       Pressekon-
nicht weiß, ob sie von den Behörden oder
vom organisierten Verbrechen ausgehen.
                                                            ferenzen des    ist mexikanische Journalistin und kam
                                                                            kurz nach dem Fall der Berliner Mauer
Die Gefahr ist so immens, dass viele
Medien sich selbst zensieren.“
                                                            Präsidenten     nach Deutschland, wo sie als Korrespon-
                                                                            dentin für den Sender Televisa (Mexiko)
                                                            tragen zu       arbeitete. Sie hatte zuvor Politische
„Die Situation macht paranoid“                                              Wirtschaftswissenschaft an der Univer-
                                                            einem Klima     sidad Nacional Autónoma de México
Das Video mit der Drohung gegen
­A zucena Uresti sei eine bewusste Ansage                   der Stigma-     studiert. Usi wurde vom Journalisten-
                                                                            club Mexiko für ihre Berichterstattung
 an das wirksamste Medium im Land – das
 Fernsehen, sagt Sicherheitsexperte Raúl
                                                            tisierung der   ausgezeichnet. Im Jahr 1999 kam sie zur
                                                                            DW: Hier arbeitet sie auch als Reporte-
 Benítez Manaut. „Azucena wird durch
 Sicherheitskräfte geschützt, aber es gibt
                                                            journalisti-    rin für die spanischsprachige TV- und
                                                                            Online-Redaktion.
 andere Journalisten, die ebenfalls kritisch                schen Arbeit
 über das CJNG-Kartell und seine Macht
 berichten“, so der Experte.                                in Mexiko         @EvaUsi
                                                                              dw.com/espanol
     Manaut betont, dass führende
 Journalisten die Drohungen sehr ernst
                                                            bei.              DWespanol

 nehmen. „Sie schützen sich, indem sie
 etwa Reiserouten oder Aufenthaltsorte
 nicht preisgeben. Die Situation macht
 paranoid“, sagt Manaut. „Wenn die Mafia
 jemanden töten will, kündigt sie es nicht
 lange an.“
     Falko Ernst, Mexiko-Beauftragter der
 International Crisis Group, einer un-
 abhängigen Organisation, die sich mit
 Konfliktprävention befasst: „Diese Grup-
 pen kämpfen nicht nur um Territorien,
 sondern auch um die Anerkennung in
Weltzeit 3 | 2021                                                                                                         27

                         der Bevölkerung.“ Deren Rückhalt sei für      Präsident in seiner täglichen Morgen­
                         die Banden absolut notwendig, um die          konferenz einen neuen Tagesordnungs-
                         Kontrolle über sie und damit über ganze       punkt ein. Der Titel: „Lügen der Woche“. Es
                         Gebiete zu behalten.                          geht dabei um die angeblich von mexikani-
                             Sollte hingegen eine kriminelle           schen Medien verbreiteten „Fake News“.
                         Gruppe in der Medienberichterstattung             „Viele Pressekonferenzen des Präsi-
                         allzu offensichtlich als „Übeltäter“ darge-   denten tragen zu einem Klima der Stig-
                         stellt werden, so der Analyst, erhöhe sich    matisierung der journalistischen Arbeit
                         der politische Druck, der auch den Staat      in Mexiko bei. Das stellt eine ernsthafte
                         zum Handeln zwinge.                           Bedrohung für die Sicherheit von Jour-
                                                                       nalisten dar, die für die Demokratie in
                         Präsident attackiert die Medien               Mexiko unerlässlich sind“, ist Asael Nuche,
                                                                       stellvertretender Direktor der Organisa-
                         Hinzu kommt das schwierige Verhältnis         tion Etellekt Consultores, überzeugt.
                         zwischen Präsident Andrés Manuel López        Während López Obradors Amtszeit
                         Obrador und Journalisten, denen er            wurden laut Regierungsangaben mindes-
                         vorwirft, zu kritisch über seine Regierung    tens 68 Menschenrechtsaktivisten und
                         zu berichten. Ende Juni 2021 führte der       43 Journalisten ermordet.

Symbolische ­Aktion:
Die Journalistin und
      Aktivistin Diana
     Arango mit einer
       verschmierten
   Kamera und einer
  Presseweste in der
    Hand. Sie protes-
   tiert vor der mexi-
    kanischen Staats-
anwaltschaft gegen
 die Ermordung des
 Journalisten Nevith
    Condes Jaramillo.
                                                                                                              © picture alliance/dpa/NOTIMEX/Quetzalli Blanco
28        T I T E LT H E M A

Nigeria
J­ ournalismus
 wird
 ­krimi­nalisiert

                                                             I
                                                                 hr Protest war laut und deutlich:
Ein neues Medien­gesetz soll den                                 Mit dem neuen Mediengesetz strebe

­Informationsminister mit mehr
                                                                 die Regierung einen „Informations-
                                                                 Blackout“ an. „Es geht nicht nur um

 Befugnissen ausstatten. M  ­ edien
                                                             die Medien, sondern auch um das Recht
                                                             der Gesellschaft, informiert und gehört

 schlagen Alarm und haben ein B    ­ ündnis
                                                             zu werden“, hieß es auf den Titelseiten
                                                             wichtiger Zeitungen des Landes.

 ­gebildet mit dem Ziel, die ­befürchtete                        Die nigerianische Journalistenvereini-
                                                             gung (NUJ), die Nigerian Guild of Editors

  Einschränkung der ­Meinungsfreiheit                        (NGE) und der Verband nigerianischer Zei-
                                                             tungseigentümer (NPAN) veröffentlichten

  zu verhindern.                                             eine gemeinsame Stellungnahme gegen
                                                             das geplante Gesetz. „Das ist unsere Art,
                                                             Widerstand gegen die Reform der Me-
Text Flourish Chukwurah, Westafrika-Korrespondentin der DW   diengesetze zu demonstrieren“, sagte der
                                                             NUJ-Vorsitzende Christopher Isiguzo.
                                                                 Bei den umstrittenen Gesetz-
                                                             entwürfen geht es um die Nationale
29

               Rundfunkkommission                 „Wir sprechen über das Recht auf freie
             (NBC) und um das Gesetz          Meinungsäußerung. Sieht man sich den
           zur Änderung des nigeriani-        Änderungsentwurf kritisch an, wird man
           schen Presserats (NPC). Beide      feststellen, dass einige der darin enthalte-
          Gesetze wurden 1992 vom             nen Bestimmungen sogar darauf abzie-
         damaligen Militärregime zur          len, den Journalismus zu kriminalisieren“,
       Regulierung der Rundfunk- und          sagte Isiguzo.
      Printmedien in Nigeria erlassen.            Die vorgeschlagenen Gesetzesände-
     Nachfolgende zivile Regierungen          rungen würden es Behörden erlauben,
  änderten und verabschiedeten die            festzulegen, wie Informationen veröffent-
Reformen, doch das erkennbare Ziel blieb      licht werden. Wenn Medienorganisationen
eine Zensur der Medien.                       oder Journalisten sich weigern, dem nach-
    Seit Nigeria zu einem demokratischen      zukommen, könnten sie mit Geld­strafen,
Regierungssystem übergegangen ist,            Arbeitsverbot oder Gefängnis bestraft
haben sich die Journalisten gegen die Ver-    werden.
suche im Parlament gewehrt, die Medien            Nach Angaben des International Press
zu kontrollieren. Jetzt sollen die Reformen   Center, einer Nichtregierungsorganisation,
auch die Befugnisse der NBC und des NPC       die sich für die Förderung von Presse­
im Online-Bereich berühren.                   freiheit und Demokratie in Nigeria 
30         T I T E LT H E M A

                                             Flourish
                                             Chukwurah
                                             ist Westafrika-Korrespon-
                                             dentin für die DW in Lagos,
                                             Nigeria. Ihre Beiträge sind bei
                                             Politik & Kultur, CNN und der
                                             New York Times erschienen.
                                             Sie hat einen Master in Rund-
                                             funk- und Digitaljournalis-
                                             mus an der Syracuse Univer­
                                             sity in New York erworben.

                                                @FlourishChukwur

          Wir sprechen
         über das Recht
     der Menschen auf
       freie Meinungs­
             äußerung.

      einsetzt, wurden im Jahr 2020 min-     gelöscht wurde. Zudem wurden aus Sicht      #EndSARS Proteste
destens 48 Fälle von Angriffen auf Journa-   der Regierung die #EndSARS-Proteste         gegen Polizeigewalt:
listen und acht Fälle von Angriffen auf      gegen Polizeigewalt im Oktober 2020         Landesweit demons-
Medienorganisationen dokumentiert.           durch Twitter angeheizt.                    trierten Menschen
     Die Attacken reichen von körperlichen       Die Gesetzesänderung ist ein weiterer   gegen die nigeriani-
Übergriffen über unrechtmäßige Verhaf-       Versuch zu kontrollieren, welche Informa-   sche Polizeieinheit
tungen bis zur Zerstörung von Kameras        tionen die Menschen in Nigeria erhalten     Special Anti-Robbery
und Dokumenten, sogar bis zur Lebensge-      und auf welchem Weg. „Wenn die Rechte       Squad (SARS).
fahr. Bei den mutmaßlichen ­Tätern han-      der Medien nicht mehr garantiert sind,
delte es sich nicht um Kriminelle, sondern   bedeutet das, dass die Demokratie ge-
um die Polizei, das Militär und andere       fährdet ist“, sagte Christopher Isiguzo.
parastaatliche Einrichtungen.                    Nach dem Aufschrei der Medienorga-
     Nigerias Präsident Muhammadu            nisationen wurde der Gesetzentwurf für
Buhari zeigte schon immer wenig Toleranz     eine Überprüfung und weitere Gespräche
gegenüber allem, was seine Regierung in      mit den wichtigsten Interessengruppen
ein schlechtes Licht rücken könnte. Schon    ausgesetzt. Journalisten forderten, dass
als Militärmachthaber in den 1980er-Jah-     die Nationale Rundfunkkommission NBC
ren ließ er Zeitungsredaktionen schließen    und der Presserat NPC vollständig aufge-
und Journalisten ins Visier nehmen.          löst werden und die Regelungen über die
     Einen Monat vor der Kontroverse um      Medien intern gelöst werden sollten.
die Gesetzesänderung ließ die Regierung
Twitter auf unbestimmte Zeit verbieten.
Auslöser dafür war ein umstrittener
Tweet des Präsidenten, der von Twitter als
beleidigend eingestuft worden war und
Weltzeit 3 | 2021                                                                                                                  31

                    Startschuss für den                                                                                   © Phill Magakoe/AFP via Getty Images

                    DW-TikTok-­Kanal in Nigeria
                    Mit einem Themenmix aus Politik, Kultur und           „größeren DW-Initiative“, um ein junges Publikum
                    Gesellschaft informiert die DW Jugendliche in         dort abzuholen, wo es ist in den Sozialen Medien
                    Nigeria. Mit @DWnews_lagos ist die DW erstmals        – sagt Christine Laskowski, die den Nachrichten-
                    mit einem Nachrichtenkanal auf der Social-Media-­     Account mit entwickelt hat.
                    Plattform TikTok vertreten.
                        In bis zu dreiminütigen Videoclips greift das     Erste Wahl für eine junge Zielgruppe
                    DW-Team in Lagos Themen wie die Krise im nigeria-
                    nischen Gesundheitswesen, die Bevölkerungsexplo-      „Wenn man Teenager erreichen will, ist TikTok die
                    sion im westafrikanischen Staat oder die Folgen des   erste Wahl“, sagt Laskowski. „Da TikTok in den ver-
                    Klimawandels auf. @DWnews_lagos bietet informa-       gangenen Jahren so stark in Westafrika investiert
                    tive Beiträge mit einem TikTok-Twist. Und das mit     hat, war es naheliegend, den Pilotversuch von unse-
                    Erfolg: Der Account zählt über 21.000 Follower und    rem Studio in Lagos aus zu starten.“ Zum Team in
                    über 140.000 Likes. Etwa 80 Prozent des Publikums     Lagos gehören Flourish Chukwurah, Favour Ubanyi
                    sind Nigerianer, weitere Nutzende kommen aus          und Victor Panwal. Panwal ist ein lokaler Influen-
                    Ghana und anderen westafrikanischen Ländern.          cer, der bereits eine Fangemeinde von 1,2 Millionen
                    Auch Nachrichten aus anderen Ländern der Region       Abonnenten hat.
                    finden Berücksichtigung.
                    Mit dem Ziel, 14- bis 18-jährige Nutzende zu            @DWnews_lagos
                    erreichen, ist der neue TikTok-Account Teil einer
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Polen:

Die nationalkonservative Regierungspartei PiS schränkt in Polen die Freiheit der
Medien weiter ein. Ein besonderer Dorn im Auge ist führenden Politikern der
Fernsehsender TVN, der zum US-­Konzern ­Discovery gehört.

Text Monika Sieradzka, Redakteurin, DW Polish

    Als die Partei Recht und      ihren Niederschlag finden. Kein   schnell auf nationalen Kurs
Gerechtigkeit (PiS) 2015 an die   Wunder, dass die Partei gleich    zu bringen, beanspruchte
Macht kam, wurde die „Repo-       nach dem Antritt der neuen        der private Bereich deutlich
lonisierung“ der Medien zu        Regierung das öffentlich-         mehr Zeit „zur Korrektur“. Im
einem der wichtigsten Punkte      rechtliche Fernsehen TVP und      Dezember 2020 gelang der PiS
ihrer politischen Agenda:         den polnischen Rundfunk mit       ein weiterer Schritt in Richtung
Heimische Medien sollen in        linientreuen Redakteuren be-      „Repolonisierung“: Der staat-
polnischen Händen bleiben         setzte. Die Berichterstattung     lich kontrollierte Ölkonzern       Proteste gegen die Gesetzes­
– und aus polnischer Perspek-     des de facto verstaatlichten      Orlen kaufte alle polnischen       änderung im polnischen
tive berichten.                   Senders trägt propagandisti-      Medien der deutschen Ver-          ­Mediengesetz im Sommer
    Darunter versteht die         sche Züge, wie man sie noch       lagsgruppe Passau auf. Damit        2021: Die umstrittene Reform
PiS nichts anderes als eigene     aus den Zeiten des kommunis-      sicherte sich die Regierung die     könnte die Pressefreiheit wei-
nationalkonservative und oft      tischen Systems kennt.            Kontrolle über 80 Prozent der       ter beschneiden und somit
antieuropäische Standpunkte.           Waren die öffentlich-­       Lokalzeitungen im Land und          die Arbeit des Privatsenders
Diese sollen in den Medien        rechtlichen Medien relativ        über 500 Online-Portale.           TVN deutlich einschränken.
Weltzeit 3 | 2021

© picture alliance/NurPhoto/STR
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      „Nach der Übernahme der
im Besitz der Verlagsgruppe
Passau befindlichen Medien
hat die PiS die Medien mit ihr
nahestehenden Leuten be-
setzt. Journalisten wurden
einfach durch politische
Propagandisten ersetzt“, sagt
Juliusz Braun, Vertreter der

                                                                                                           © picture alliance/ZUMAPRESS.com/Aleksander Kalka
Opposition im Rat der Nationa-
len Medien.
     Damit habe die PiS deutlich
gezeigt, dass sie auch nicht
vor Eingriffen in den privaten
Medienmarkt zurückschre-
cke, so Braun. Alarmiert war
auch der damalige polnische
Ombudsmann für Menschen-
rechte, Adam Bodnar: „Das ist
ein historischer Moment, der
zeigt, dass sich die Regierung
in Warschau für einen Kurs
entschieden hat, den wir in
Ungarn unter Regierungs-
chef Viktor Orbán beobachten
konnten.“
     Die „Repolonisierung“
sollte schließlich den unab-
hängigen Sender TVN treffen.
Wie ein Damoklesschwert
hängen über dem Sender die
Drohungen der PiS, die „Kon-                         Die polnische
trolle“ ausländischer Medien-               ­Tageszeitung Gazeta
konzerne über die polnischen                 Wyborcza veröffent-
Medien drastisch einzuschrän-              licht im Sommer 2021
ken. Da TVN zu 100 Prozent                     ein Plakat mit dem
dem US-Konzern „Discovery“                  Logo des unabhängi-
gehört, könnte das für den                   gen Fernsehsenders
Sender Konsequenzen bis hin                     TVN auf dem „Wir
zum Entzug der Sendelizenz                       verteidigen freie
bedeuten. Dabei ist TVN der                        ­Medien“ steht.
Einzige der drei großen Fern-
sehsender in Polen, der offen

                                                                     Monika
proeuropäisch und liberal
berichtet. In den investigativen

                                                                     Sieradzka
Sendungen wird der PiS be-
sonders genau auf die Finger
geschaut. Angesichts der
drohenden Einschränkungen          Regierung in Polen gewarnt        berichtet seit 2016 für die DW aus Polen.
hat sich TVN eine Lizenz in den    und zur Achtung der Presse-       Davor hat sie als Reporterin, Redakteu-
Niederlanden gesichert, um         freiheit gemahnt. Die Strafe      rin und Moderatorin beim polnischen
von dort aus das Programm          wurde aufgehoben.                 öffentlich-rechtlichen Sender TVN gear-
für polnisches Publikum aus-           Am schwierigsten zu           beitet, der inzwischen von der PiS-Regie-
strahlen zu können.                treffen sind die wenigen un-      rung kontrolliert wird. Sie ist Autorin
     Das US-Außenministerium       abhängigen Medien, die keine      mehrerer Fernsehdokumentationen. Als
hatte die Pläne der PiS offen      „fremden“, sondern polnische      Mitautorin der Dokumentation „Kinder­
kritisiert – nicht zum ersten      Besitzer haben. In der Regel      raub der Nazis“ (DW, MDR) wurde sie mit
Mal. Als 2017 der Sender für       lassen sich nicht aufkaufen,      dem Deutsch-Polnischen Journalisten-
eine kritische Live-Bericht-       und die PiS-Regierung bedient     preis 2021 ausgezeichnet. Bei der DW
erstattung aus dem Parlament       sich verschiedener Methoden,      schreibt sie über Politik, Geschichte und
in Warschau mit einem Buß-         um auch ihnen das Leben           die deutsch-polnischen Beziehungen.
geld in Höhe von 350.000 Euro      schwer zu machen. Staat-
belegt wurde, hatte das State      liche Institutionen dürfen           @mo_sieradzka
Department in Washington die       inzwischen keine Anzeigen            dw.com/pl
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