Medien kompetenz Puls der Demokratie - DW
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DA S MADE FOR MINDS MAGA Z IN 3 | 2021 Medienkompetenz Puls der Demokratie Generation Z: Für Kultur begeistern | Nigeria: Fragwürdiges Mediengesetz | DW-Chefredakteurin: Formatfragen | Ungarn: Medien auf Kuschelkurs | ENTR: Innovativer Mediennachwuchs | Mexiko: Journalisten im Fadenkreuz | Guatemala: Junge Vorbilder | Indonesien: DW näher am Geschehen
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Weltzeit 3 | 2021 3 Editorial Zur Lektüre dieser Ausgabe der Weltzeit möchte ich Sie mit einer Nach- richt in eigener Sache begrüßen. Nach der Machtübernahme durch die Taliban hat sich die Situation für Journalisten in © DW/J. Röhl Afghanistan rapide verschlechtert. Medien wurden in nur kurzer Zeit auf Linie gebracht, für viele Journalistinnen und Journalisten ist dies das Ende ihrer beruf- lichen Tätigkeit, es gibt Berichte über Fälle von Einschüchterung und sogar Tötungen durch die Taliban. In diesem Moment war für die DW oberste Priorität, unsere Korresponden- ten mit ihren Familien in Sicherheit zu bringen. Dies ist uns mit Unterstützung der Bundesregierung gelungen. Wir konnten bereits einen großen Teil der Demokratien werden durch Menschen, die für die DW aus Afghanistan berichtet hatten, nach Deutschland brin- die Medienkompetenz ihrer gen. Sie werden nun in unserer Redaktion Bürger belastbar. in Bonn zur Berichterstattung der DW über Afghanistan beitragen. In immer mehr Ländern geraten zunehmend digitalisierten Informations- Hürden von Desinformation und Zensur Medien unter Druck. Regierende machen landschaft können politische Akteure aber hinweg Menschen auf allen Kontinenten sich ungeniert an den Säulen einer plura- auch ohne den Umweg über Journalisten Zugang zu unabhängigen Informationen listischen Gesellschaft zu schaffen. direkt zu ihrer Bevölkerung sprechen. Die zu ermöglichen. Demokratien werden durch die Zahl der von Regimes kontrollierten Infor- In dieser Weltzeit beleuchten wir Medienkompetenz ihrer Bürger belast- mationskanäle nimmt rasant zu und damit einige Beispiele für die wachsende bar. Nur wenn Menschen wissen, welchen auch die Flut von Desinformation. Bedrohung unabhängiger Medien, die sich Quellen sie vertrauen können, wie sie Die Vermittlung von politischer Me- schon mitten in Europa m anifestiert. echte von falschen Nachrichten unter- dienkompetenz bekommt dadurch einen scheiden, wie man Kampagnen erkennt enormen Stellenwert. In Demokratien und Herzlich und das Überangebot im digitalen In- anderswo. Das fängt bei den Journalisten formationsdschungel aussieben kann, an, die ihre Mediennutzenden erreichen Ihr Peter Limbourg können sie gut informiert an gesellschaft- müssen. Und Mediennutzende weltweit Director General lichen Prozessen teilhaben. müssen lernen, wie sie in den Sozialen Politische Meinungsbildung in den Medien sicher navigieren. @dw_Limbourg Medien ist meist gekennzeichnet oder Die DW und die DW Akademie leisten aus dem Kontext erkennbar. In einer hier einen wichtigen Beitrag, um über die Die DW ist Deutschlands internationale Informationsanbieterin. Unser Job ist Meinungs- freiheit: In 32 Sprachen bringen wir Nachrichten in alle Welt. Eine Viertelmilliarde Menschen nutzen jede Woche unsere TV-, Online- und Radioangebote, um sich frei und unabhängig entscheiden zu können. Unsere DW Akademie unterstützt weltweit die Entwicklung freier Medien. Mehr als 3.000 Menschen aus 60 Nationen sind global für die DW im Einsatz. Weltzeit ist das Magazin der DW zu Themen rund um Freiheitsrechte, demokratische Werte und unser Engagement für freie Informationen.
4 Inhalt 3 | 2021 A K TUELLES ER FA HR EN 8 8 Podcast Love Matters JaafarTalk zurück in Ägypten 46 T I T E LT H E M A 9 ENTR – What’s next? auziehen um T Informationen PROGR AMM -INSIDER Die Medienlandschaft in Ungarn 14 Formatfragen wirkt gespalten: Immer mehr Interview mit Manuela TV-Sender und Z eitungen rücken Kasper-Claridge und in die Nähe der Regierung, glaub- Jaafar Abdul Karim würdige Informationen bleiben auf der Strecke. T I T E LT H E M A 28 Journalismus wird kriminalisiert Neues Mediengesetz in Nigeria 32 Druck auf Medien Polens Regierung schränkt die Freiheit der Medien weiter ein 10 PROGR AMM - INSIDER Die Gen Z für Kultur begeistern Die DW entwickelt neue Kultur- formate und setzt damit immer wieder Akzente auch auf neuen Plattformen. 18 T I T E LT H E M A Afghanistan braucht eine freie Presse Nach dem Fall Kabuls wird deut- lich, dass die Menschenrechte in Afghanistan ausgehebelt werden. Umso wichtiger ist es, dass Afghanistan in internationalen und Exil-Medien nicht wieder in Vergessenheit gerät.
5 36 Kampf um die Informationshoheit Welche Quellen sind in Myanmar vertrauenswürdig? 40 Riskanter Schauplatz Medienfreiheit – Das war einmal in Äthiopien 43 Arabische Medien Vielerorts im festen Griff autoritärer Propaganda 49 Internet in China Das schwarze Loch 24 52 Auch digitale Medien auf Kurs bringen Der Arm des türkischen Präsidenten reicht bis ins Ausland T I T E LT H E M A 56 Ein EU-Ratspräsident zweifelt an der edien im M Gemeinschaft Der slowenische Regie Fadenkreuz rungschef gibt auf Twitter gern den Trump Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder für Journalisten: GLOBAL MEDI A FORUM Sie sind zunehmend massiven Einschüchterungen, Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Politiker haben offenbar vor der 60 Stärkung der lokalen Gefahr durch kriminelle Kartelle und Banden kapituliert. Medien US-Historiker Timothy Snyder über Journalismus und Demokratie DW FREEDOM 64 Anonym dank Zwiebelprinzip Online unterwegs, ohne Spuren zu hinterlassen MEDIEN ENT W ICKELN 69 Ein Risiko für die 66 MEDIEN ENT W ICKELN Menschen Die Auswirkungen der Pandemie auf die A rbeit von Informatecos Medienschaffenden auf Sendung W E LT A N S C H A U E N Indigene Gruppen in Lateinamerika sind doppelt bedroht: von Covid-19 72 Gigantische Umwälzungen und Desinformation. In Guatemala Georg Matthes über das DW sorgen mehr als 800 Jugendliche mit Asia Pacific Bureau in Jakarta faktenbasierten Informationen in lokalen Sprachen für A ufklärung in der Pandemie. 74 Impressum
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MENSCHEN BEGEGNEN 7 © DW Ghazanfar Adeli, Kabul Die Machtübernahme in Afghanistan durch die Taliban hat zu deutlichen Auswirkungen auf die Medien- und Informationsfreiheit geführt. „Angst macht sich breit: Neben den Taliban gab und gibt es nach wie vor bewaff- nete Gruppen, die Journalisten und unsere Familien in Gefahr bringen“, sagt DW-Korrespondent Ghazanfar Adeli. Mittlerweile kann er seine Mei- nung offen äußern: Zusammen mit weiteren Korrespondenten und deren Familien wurde er aus Afghanistan evakuiert und fand Aufnahme im Rheinland. Adeli: „Es wurde immer schwieriger, sich in meiner Heimat gefahrlos zu bewegen, zu recherchie- ren und zu schreiben.“ Der Einmarsch der Taliban in Kabul veränderte im Sommer auch die dortige Atmosphäre. „Einwohner in Jeans und Hemden waren im Stadt- bild kaum mehr zu sehen“, so der DW-Korrespondent. Adeli ist erleichtert. Als Journa- list im Bonner Funkhaus der DW kann er jetzt in sicherer Umgebung arbeiten und weiterhin etwas für sein Land tun. „Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Phase, in der Entscheidungen über die Zukunft Afghanistans getroffen werden.“ Umso wichtiger sei es, „die Menschen dort mit objektiver Berichterstattung auf dem Laufenden zu halten. Die afghanischen Medien werden dem leider nicht mehr gerecht.“ @Gh_Adeli
8 A K TUELLES ER FA HR EN JaafarTalk zurück in Ägypten Nach langer Zwangspause hat die DW wieder eine Ausgabe von JaafarTalk in Ägypten aufge- zeichnet. Die Regierung in Kairo hatte der DW wegen vermeintlich unausgewogener Bericht- erstattung seit 2017 keine Drehgenehmigung mehr erteilt. Love Matters: DW startet Podcast mit Evelyn Sharma © DW Im Herbst startete der englischsprachige Podcast Love Matters, moderiert von der deutsch-indischen Bollywood-Schauspielerin Evelyn Sharma. Er bietet Davon waren auch Vereinbarungen mit Distributions- jungen Menschen in Indien einen Raum für Gesprä- partnern betroffen, die keine redaktionellen Inhalte che über Liebe und Beziehungen. übernehmen konnten. Die Partnerschaft zwischen der DW und dem stärksten ägyptischen Online-Portal Mas- bekannten indischen Persön- rawy war schrittweise wiederbelebt worden. Seit Septem- lichkeiten. Zu den Gästen des ber 2020 übernimmt Masrawy auf der Plattform „Yallah Podcasts gehören der Sänger Kora“ einzelne Inhalte der DW. Benny Dayal, die Komikerin Nun wurde im Kairoer Goethe-Institut eine Sendung Kaneez Surka, Dragqueen und zum Thema Frauenrechte koproduziert. Dabei disku- Aktivist Sushant Divgikar und tierten Vertreter aus Zivilgesellschaft und Religion mit die Influencerin Leeza Mangal- Politikerinnen Themen wie sexuelle Belästigung, Verge- das. Der Podcast richtet sich waltigung in der Ehe und Scheidungsgesetze. Moderator insbesondere an ein junges Jaafar Abdul Karim sprach auch mit Opfern häuslicher und vor allem weibliches Gewalt. Publikum. Jaafar Abdul Karim: „Es ist großartig, in Ägypten wie- „Akzeptanz, Verständnis der eine Sendung zu produzieren und sehr nah an unserer Love Matters, eine Zusam- und Fürsorge sind Herzensan- großen JaafarTalk-Community in Kairo zu sein.“ menarbeit der DW und dem gelegenheiten“, sagt Evelyn Petra Schneider, Director of Sales and Distribution: Partner The Indian Express, Sharma. „Es gibt viele Themen, „Die Zuschauer und Internetnutzer hier sind eine sehr beschäftigt sich mit kontro die in Indien nach wie vor tabu wichtige Zielgruppe für alle Medien in der arabischspra- versen Themen wie sexueller sind. Mit Love Matters wollte chigen Welt. Dass die DW als unabhängiges Medium Orientierung, Scheidung und ich einen ‚Safe space‘ schaffen, wieder vor Ort produzieren kann und damit die Nähe zu interreligiösen Beziehungen in um darüber zu sprechen.“ unserem Publikum möglich ist, wissen wir sehr zu schät- Indien. Jede Woche stellt Neue Folgen von Love zen. Ich freue mich darauf, wieder mit mehr Partnern in Sharma ein Beziehungsthema Matters werden wöchentlich diesem Land arbeiten zu können.“ eines Hörers oder einer Höre- auf allen Podcasting-Platt- Naser Schruf, Head of Middle East Programs: „Eine rin vor und spricht mit formen veröffentlicht. Die in Ägypten produzierte Folge von JaafarTalk findet in der erste Staffel besteht aus zehn gesamten Region eine große Resonanz – auch aufgrund Episoden. der enormen politischen und kulturellen Ausstrahlung Evelyn Sharma ist bekannt des Landes über dessen Grenzen hinweg. Ägypten ver- für ihre Auftritte in Bolly- fügt zudem über großen medialen Einfluss in der arabi- wood-Filmen wie „Yeh Jawaani schen Welt.“ Anhören auf Hai Deewani“ und „Yaariyan“. Die millionenfachen Video-Abrufe der Sendung in Apple Podcasts Außerdem moderiert sie das den Sozialen Medien, auch von Nutzenden außerhalb Kultur- und Lifestyle-Magazin Ägyptens, zeigen den hohen Informationsbedarf gerade Euromaxx der DW auf der jungen Generation bei Themen, die am Nil selten frei Deutsch und Englisch. und offen in den Medien angesprochen werden. Anhören auf Spotify evelyn_sharma dw.jaafartalk | dw_jaafartalk | DWJaafarTalk
Weltzeit 3 | 2021 9 ENTR – What’s next? / Et après? / Was jetzt? / Ce urmează? / I co dalej? / E agora? Das sechssprachige Die Themenauswahl kommt Medienangebot für junge an: Klimawandel, Ausbildung und Arbeit, Kultur, neue Tech- Europäerinnen und nologien, Gesundheit, Migra- Europäer verzeichnet tion sowie gesellschaftliche mehr als 13 Millionen Aspekte wie Solidarität und Video-Abrufe seit dem Gerechtigkeit. Die Social-Media- Videos werden von jungen, Start vor vier Monaten. divers besetzten Redaktionen ENTR richtet sich an die in den beteiligten Ländern auf Zielgruppe der 18- bis Englisch, Französisch, Deutsch, 34-Jährigen und ist eine Rumänisch, Polnisch oder Kooperation von DW und Portugiesisch produziert und anschließend adaptiert. France Médias Monde Die polnischsprachigen mit Medienunternehmen Inhalte sind bislang am popu- in sechs EU-Ländern. lärsten und machen rund ein Drittel der Gesamtnutzung aus. Es folgen die Videos auf Französisch, auf Platz drei und © ENTR vier liegen die englischen und deutschen Beiträge, die vor allem auf Instagram viele Fans haben. Patrick Leusch, Projekt- an ENTR beteiligt in Deutsch- leiter von ENTR: „Der Erfolg land: Zeit Online, Genshagen Relevante Inhalte und bestärkt uns in der Überzeu- Stiftung und Good Conversa- positive Perspektiven gung, mit dem Projekt einen tions; Portugal: RTP (Rádio e Nerv getroffen und ein attrak- Televisão de Portugal); Polen: „Wir sehen, dass sprachüber- tives Angebot für junge Euro- RASP (Ringier Axel Springer greifend Inhalte besonders gut päer geschaffen zu haben. Wir Polska); Rumänien: G4 Media; laufen, die sich kontrovers und wollen ENTR mittelfristig auf Frankreich: France Médias meinungsstark mit Themen weitere Sprachen und Medien- Monde (RFI, France 24, MCD); wie Gleichberechtigung oder partner ausweiten.“ Irland: Tailored Films. der eigenen Identität aus- einandersetzen“, sagt Gönna ENTR-Partner ENTR auf Deutsch Ketels, ENTR-Head of Content. entr.net/de Die Medieninitiative ENTR will Das digitale Medienangebot deu.entr den Austausch innerhalb der wird von der Europäischen de.entr jungen Generation Europas Union und dem Auswärtigen deentr fördern und das Bewusstsein Amt gefördert. Neben der DW, für eine gemeinsame Identität die das Projekt koordiniert, stärken. und France Médias Monde sind
10 PROGR AMM -INSIDER Die Gen Z für Kultur begeistern D DW Culture and Lifestyle bietet ie DW entwickelt neue Kultur- eine kulturelle Themenvielfalt auf formate und setzt damit immer wieder Akzente auf neuen immer mehr Plattformen: Video- Plattformen. Doch wie begeistert man kontinuierlich ein internationales on-Demand-Formate zur Kunst- Publikum gerade auch für deutsche und europäische Kultur-Themen? „Soweit es szene in den Metropolen Asiens, ‚globale Formate‘ betrifft, besteht eine Herausforderung darin, solche Konzepte Eigenheiten der Deutschen bei zu entwickeln, die in unseren sehr unter- schiedlichen Zielregionen funktionieren. Meet the Germans auf YouTube Also in Asien und Afrika idealerweise genauso wie in Südamerika oder den und Instagram sowie europäische USA“, so Rolf Rische, Director Culture and Lifestyle bei der DW. Kultur bei DW Berlin Fresh auf Dabei setzt sein Team unter anderem auf Erfolgsproduktionen wie Euromaxx – TikTok. Lifestyle Europe. Das Magazin wird inzwischen in 20 Sprachen adaptiert. Auch humorvolle Formate spielen eine wichtige Text Steffen Heinze, DW-Redakteur Rolle, etwa Meet the Germans, das vor allem „in den Sozialen Medien Reichweiten im Millionenbereich“ bringt. Moderatorin Rachel Stewart, die vor einigen Jahren aus England nach Deutschland kam, erklärt in den Videos mit einem Augenzwinkern die kulturellen Eigenarten der Deutschen. Kultur ist ein zentraler Programm auftrag der DW. Und bei der Kulturver- mittlung setzt die Redaktion schon lange nicht mehr nur auf das klassische lineare © Shingi Rice/unsplash Programm. Dank Social Media „kommen wir mit den Usern intensiver ins Ge- spräch“, sagt Matthias Frickel, Head of Operations, Culture and Lifestyle. Soziale Medien, so Frickel, „erleichtern über den Dialog hinaus auch den Zugang zu kom- plexen Themen wie der Geschichte
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12 PROGR AMM -INSIDER Deutschlands“. Wie wichtig Social „junge, weltoffene, lernbereite Menschen, kulturelle und gesellschaftliche Themen Media für die Redaktion geworden ist, die in ihren Ländern Verantwortung informieren“, so Rische. zeigen die Abrufzahlen. So zählt allein der übernehmen wollen. Für viele von ihnen Auch sogenannte „Hochkultur“ ist englischsprachige YouTube-Kanal DW sind Medien wie Instagram, Facebook nicht nur relevant, sondern gerade auch Documentary über drei Millionen Abon- und Twitter schon fast ‚Old School‘“, fügt auf digitalen Ausspielwegen durchaus nenten und 350 Millionen Video-Abrufe in Frickel hinzu. Es sei wichtig, auch bei Reichweiten-trächtig. „Zum Beethoven- diesem Jahr. „Wir holen unser Publikum da TikTok präsent zu sein, da sich „junge User Jubiläumsjahr 2020 haben wir drei große ab, wo es unterwegs ist “, so Rische. Die zunehmend auf solchen Plattformen über Dokumentarfilme produziert, die auf YouTube-Kanäle von DW Dokumentation auf Englisch, Spanisch und Arabisch verzeichnen aktuell mehr als acht Millio- nen Abonnenten. Das Angebot wurde im Herbst 2021 auch auf Hindi und Deutsch ausgeweitet. „Auf Plattformen wie YouTube haben wir eine interessierte Community auf- gebaut, die in den Kommentaren leiden- Junges Publikum auf Instagram schaftlich auch untereinander diskutiert. Für jeden Zielmarkt die optimale Anspra- Follower unter 35 Jahren auf verschiedenen che und Plattform zu finden – das ist her- Instagram-Kanälen der DW ausfordernd“, weiß Frickel aus Erfahrung. Doch wie erreicht man junge Zielgrup- jaafar_talk 80% pen? „Die DW hat sich zum Ziel gesetzt, sich in den nächsten Jahren auf Leute zwischen 14 und 40 Jahren zu fokussieren“, deutschlernen 71% sagt Frickel. „Die kurze Form der Infor- mation“ sei bei der Generation Z beliebt. dw_kiswahili 72% Das zeige gerade der TikTok-Kanal Berlin Fresh. Mit diesem Kanal erreiche die DW plus90 79% Starker Anstieg bei Berlin Fresh Video-Views auf dem TikTok-Kanal dw_berlinfresh, Februar bis Juni 2021 2 Millionen 1,8 1,6 1,5 1,2 1 0,8 0,5 0,7 Feb Mär Apr Mai Jun Mit Kultur Im DW-Gesetz, das die Aufgaben des Jede Woche erreicht die DW mit ihren Menschen deutschen Auslandssenders beschreibt, Multimedia-Angeboten in 32 Sprachen heißt es zum transnationalen Kulturauf- auf DW-eigenen Kanälen und über Part- weltweit trag gleich im ersten Satz: „Die Angebote ner sowie in den Sozialen Medien rund der DW sollen Deutschland als euro- 250 Millionen Nutzende weltweit. erreichen päisch gewachsene Kulturnation und Zu den größten DW-Ressorts zählt demokratischen Rechtsstaat verständ- Culture and Lifestyle, das zahlreiche lich machen.“ Außerdem solle die DW TV-Sendungen, Social-Media-Kanäle „das Verständnis und den Austausch der und ein umfassendes Online-Angebot Kulturen und Völker (…) fördern“. produziert.
Weltzeit 3 | 2021 13 großes Interesse gestoßen sind. Also kön- nen auch im wahrsten Sinne des Wortes ‚klassische‘ Formate interessant sein“, Wir holen meint Rische. Dazu gehört der mehrfach preisgekrönte 90-minütige Film Beetho- unser vens Neunte – Symphonie für die Welt, der zeigt, wie Beethovens „berühmte Publikum Neunte in anderen Ländern interpretiert wird und auf allen Kontinenten eine hohe da ab, wo es Bedeutung hat“. Der Film, der unter anderem auch bei „Prime Video“ gezeigt unterwegs wurde, ist abrufbar auf dem YouTube- ist. Rolf Rische Kanal DW Classical Music. Das Special- Interest-Angebot DW Classical Music verzeichnet nach knapp zwei Jahren seit dem Start fast 120.000 Abonnenten und Director Culture and Lifestyle und Channel 13 Millionen Video-Abrufe in 2021. Manager des deutschen TV-Programms der DW, In diesem Jahr starten neue Video-on- absolvierte die Deutsche Journalistenschule in Demand-Reihen wie Art.See.Asia über München und wechselte nach Stationen bei den die Kunstszene in den Metropolen Asiens, Stuttgarter Nachrichten und dem Südwestfunk Ausfahrt Kultur/ Destination Culture, in Baden-Baden 1992 zur DW. Hier entwickelte der der Menschen aus einer internationalen heute 59-Jährige viele TV-Formate, darunter das Perspektive Kulturräume in Deutschland Lifestyle-Magazin Euromaxx und Formate wie für sich entdecken und der zusammen Clipmania, German Beats, Europe in Concert mit der digitalen Format- und Produkt- sowie Privatkonzert. Er verantwortet außerdem entwicklung aufgesetzte Podcast Love zahlreiche preisgekrönte Dokumentarfilm- Matters für den indischen Markt. Drei Produktionen. Im Jahr 2019 gingen unter seiner von unzähligen Innovationen und Über- Leitung die YouTube-Kanäle DW Euromaxx raschungen im Programm von DW Culture und DW Classical Music an den Start, 2020 der and Lifestyle. TikTok-Kanal dw_berlinfresh. Die DW nimmt in den nächsten Jahren Zielgruppen zwischen Matthias Frickel 14 und 40 arbeitet als Head of Operations bei Culture Jahren in and Lifestyle der DW. Der 53-Jährige Politologe berichtete für Arte, den RBB und die DW aus den Fokus. mehr als 35 Ländern, interviewte Menschen aus Kultur, Sport und Politik darunter Herta Müller, Mesut Özil und Angela Merkel. Als Redakteur der DW-Magazine Kultur.21 und Kick off! und Doku- Autor wurde er mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Deutsch-Polnischen Journalisten-Preis (2001, 2013) oder beim Ficts Festival in Mailand (zuletzt 2020). Als Bereichsleiter im Sport ent- dw.com/kultur wickelte er erfolgreiche YouTube-Formate. Frickel dw.com/culture ist Mitglied der Jury bei den NewYorkFestivals DWdocumentary TV & FilmAwards. Zuletzt betreute er die Werk- DWclassicalmusic schau der neuen digitalen Formate der DW 2021 @DW_berlinfresh – What’s new, what’s next?
14 PROGR AMM -INSIDER Format- fragen Die Sozialen Medien sind aus dem Alltag vieler Nutzenden nicht mehr wegzudenken. DW-Chefredakteurin Manuela Kasper-Claridge und Jaafar Abdul Karim, Moderator der populären Talkshow JaafarTalk, sprechen darüber, vor welchen Herausforderungen Kanäle wie TikTok, Instagram und YouTube Redaktionen stellen – und welche Chancen sie den Sendern bieten. © DW Fragen Ivana Drmić, DW-Redakteurin Im Rahmen der Digitalstrategie mit den Nutzenden und unserer Ziel- Der arabischen fokussiert sich die DW vermehrt auf gruppe. Wir wissen, welche Themen Jugend eine digitale und Mobile-First-Angebote. bewegen. Hinzu kommt: Je mehr In- Stimme geben: Inwieweit haben On-Demand-Angebote formationen Soziale Medien anbieten, Jaafar Abdul Karim und Soziale Medien die journalistische desto mehr müssen wir einordnen und im Flüchtlingslager Arbeit der DW verändert? verifizieren. Das Feedback der Nutzen- Zatari in Jordanien den fällt manchmal sehr deutlich aus. im Februar 2020. Manuela Kasper-Claridge: Wir sind Das ist oft bereichernd und durchaus schneller, flexibler und nutzerorien- motivierend. tierter geworden. Welche Bedürfnisse und Themen interessieren? Antworten Stichwort Schnelllebigkeit der Sozialen darauf und Erkenntnisse ziehen wir aus Medien: Was bedeutet das für Ihre Arbeit? dem ständigen Dialog mit den Usern und aus der engen Zusammenarbeit Kasper-Claridge: Wir müssen stärker mit Fachabteilungen im Haus, über Prioritäten setzen und nicht versuchen, Redaktionen hinweg. Da gibt es einen alles gleichzeitig zu machen. Man muss intensiven Austausch. wissen, wie Nutzende auf den unter- schiedlichen Plattformen agieren und Jaafar Abdul Karim: Darüber hinaus welche Formate dort funktionieren. stehen wir stärker im direkten Kontakt Die Erkenntnisse unserer Experten
Weltzeit 3 | 2021 15 JaafarTalk – diversity sparks dialogue bei Audience Development sowie das JaafarTalk ist eine multimediale, interaktive, wöchent- Wissen unserer Journalisten tragen liche Talkshow, moderiert von Jaafar Abdul Karim. Das dazu bei, besser zu verstehen, was meinungsfreudige Format richtet sich an Menschen, Nutzende wollen und welche Formate die das Gefühl haben, „von gesellschaftlichen, religiö- gefragt sind. sen oder familiären Konventionen zu sehr beengt zu werden“. JaafarTalk wird mit arabischen Partnersen- Abdul Karim: Die Diskussionen in den dern an wechselnden Schauplätzen im Nahen Osten Sozialen Medien sind im Ton schärfer koproduziert und ausgestrahlt. Eine zentrale Rolle geworden, teilweise emotionaler und spielt die Interaktion in den Sozialen Medien. Seit dem weniger sachlich. Die Spaltung der Startschuss verzeichnet die Sendung auf Facebook Gesellschaft ist deutlich sichtbar. Umso 4,7 Millionen Abonnenten und mehr als zwei Milliar- wichtiger ist es, dass die DW den Dialog den Video-Abrufe in den Sozialen Netzen. anbietet und diesen begleitet. Unsere User sind manchmal selbst überrascht, dw.jaafartalk dass wir unterschiedliche Meinungen dw_jaafartalk zulassen. Einige stört das, aber sie keh- DWJaafarTalk ren zu uns zurück, weil die Themen, die wir ansprechen, sie im Alltag bewegen. Wir bieten diverse und lösungsorien- tierte Dialoge.
16 PROGR AMM -INSIDER © R. Oberhammer/DW Jaafar Manuela Abdul Karim Kasper-Claridge arbeitet bei der DW als Moderator und Redaktions- ist seit Mai 2020 Chefredakteurin der DW. Sie kam vor über 20 leiter der Talksendung JaafarTalk. Er ist Mitglied der Jahren zur DW, arbeitete im Bereich Aktuelles und berichtete Chefredaktion der DW. Der gebürtige Liberianer hat als Reporterin aus vielen Teilen der Welt. 1998 übernahm sie das einen Masterabschluss in Leadership und Commu- Ressort Wirtschaft und war verantwortlich für die Bereiche TV, nication. 2016 wurde er vom deutschen Magazin Online, Radio und Social Media. 2014 übernahm sie die Leitung „Medium“ als „Reporter des Jahres“ ausgezeichnet, der Hauptabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt, 2017 2020 erhielt er den CIVIS-Medienpreis. Die New York wurde sie zusätzlich stellvertretende Chefredakteurin. Kasper- Times bezeichnete ihn als „Apostel für Menschen- Claridge initiierte Partnerschaften mit dem Weltwirtschafts rechte in der arabischen Welt“. forum und dem Nobelpreisträger-Treffen in Lindau, darüber hin- aus entwickelte sie preisgekrönte TV- und Multimedia-Formate @JaafarAbdulKari wie Global Ideas, Founders’ Valley, Eco Africa und Eco India. @ManuelaKC
Weltzeit 3 | 2021 17 Welche Formate sind besonders Welche Rolle spielen Soziale Medien im ner, zumeist anonymer Nutzer, sei eine gefragt? arabischsprachigen Raum? Krankheit. Dem widersprechen wir natürlich umgehend – mit Fakten. Ich Kasper-Claridge: Faktenchecks und so- Abdul Karim: Soziale Medien haben selbst erlebe Hatespeech persönlich, genannte Explainer werden von allen sich längst auch im arabischen Raum wenn ich Themen in meiner multime- Nutzenden – und zwar über Regio- etabliert, sie sind ein wichtiger Teil der dialen Talkshow JaafarTalk diskutiere, nen hinweg, sehr stark nachgefragt. Medienlandschaft. Mit DW Arabia er- die kontrovers sind. Wichtig ist es, sach- Dazu hat auch die Corona-Pandemie reichen wir in unserer Zielregion bis zu lich und mit Fakten zu reagieren. Das ist beigetragen. Nutzende suchen an- 500 Millionen Abrufe monatlich. Unsere nicht immer einfach. gesichts des enormen Angebots im Nutzer finden bei uns Themen mit Internet mehr denn je nach verläss- unterschiedlichen Perspektiven, das Wodurch hebt sich die DW von der lichen Informationen. Wir achten stets stellt in manchen regionalen Medien Konkurrenz ab? auf Sachlichkeit und Genauigkeit, und eher die Ausnahme dar. Tabuthemen, das Angebot muss die Nutzenden da die vor Ort nicht so offen journalistisch Kasper-Claridge: Unsere Stärke kann nur erreichen, wo sie sind. So kommen bei- angesprochen werden, wie wir das Glaubwürdigkeit und Qualität sein. Für spielsweise unsere informativen Unter- tun. Nutzende können ihre Meinung mich steht die Qualitätssicherung an haltungsformate auf TikTok gut an. Zur frei äußern und in einen Dialog treten. oberster Stelle. Wir optimieren derzeit Bundestagswahl haben wir das Format Unsere User schätzen vor allem The- unsere Schlussredaktion und schu- Merkel’s Chair entwickelt, bei dem sich men zu Menschenrechten, Presse- und len Kolleginnen und Kollegen. Wenn Menschen sozusagen auf den Stuhl der Meinungsfreiheit. uns doch mal ein Fehler unterläuft, Bundeskanzlerin setzen und sagen, kommunizieren wir das transparent was sie tun würden, wenn sie Kanzle- Ist Hatespeech in Ihren Redaktionen und räumen ein, „hier haben wir einen rin wären. Vor allem junge Menschen ein Thema? Fehler gemacht“. Das ist mir sehr wich- waren davon begeistert. tig: Qualität zu liefern und glaubwürdig Kasper-Claridge: Das ist eine echte und transparent zu sein. Zur Zielgruppe der DW in den Sozialen Herausforderung. Wir erleben immer Medien … wieder Shitstorms, in denen sowohl Abdul Karim: Für den arabischen Raum Kolleginnen und Kollegen als auch kann ich sagen, dass wir uns bei der DW Kasper-Claridge: Unsere Hauptzielgrup- unsere Angebote selbst scharf atta- durch unsere Diversität von anderen pe reicht von 14- bis zu 40-Jährigen. ckiert werden. Dann kommt unser Sendern abheben. Wir bieten eine Das heißt, wir müssen die 14- bis Community Management ins Spiel, das, faktenorientierte und freie, interaktive 18-Jährigen auf ihren Plattformen eher wo nötig, unsere Nettiquette erklärt Debatte auf Augenhöhe. Tabuthemen abholen, zum Beispiel auf TikTok oder und sachlich moderiert. Schlimme sowie Themen, die Minderheiten- und Instagram, aber auch YouTube ist mit beleidigende Posts müssen natürlich Menschenrechte, Meinungs- und längeren Formaten gefragt. Unsere gelöscht werden. Pressefreiheit berühren, werden frei steigenden Nutzerzahlen zeigen, dass und unvoreingenommen diskutiert. wir mit diesem Kurs richtig liegen. Abdul Karim: Wir versuchen, Leute zu- Wir betonen regelmäßig, dass Diversi- Was mich besonders freut, ist, dass sammenzubringen und mit Fakten zu tät ein Anlass für Dialog ist und nicht wir mehr Nutzerinnen haben, in vielen antworten. Unser Prinzip: Jeder kann ein Anlass, um zu spalten. Und unter- Sprachen und Regionen. Das war und seine Meinung äußern, aber nicht streichen das mit Geschichten, die sehr bleibt ein wichtiges Ziel. eigene „Fakten“ erfinden. Ein Beispiel: nah an den Menschen sind sowie mit Homosexualität, so die Meinung einzel- meinungsfreudigen Diskussionen. Welche Schwerpunkte setzen Sie in den Regionen? Kasper-Claridge: Wir machen um Tabu- themen keinen Bogen, sprechen sie an. Beispiel Afrika-Programme: Dort sind wir mit der Reihe 77 Percent erfolg- reich, da geht es um teilweise sehr kontroverse Themen, die vor Ort in den afrikanischen Ländern diskutiert werden. Für unser Zielgebiet Asien haben wir die Serie Sex and the Body zusammen mit unserer Wissenschafts- Wir machen um redaktion aufgesetzt, in der es um den weiblichen Körper und Sexualität geht. Die Kollegen der Asien-Program- Tabuthemen me arbeiten eng mit der Wissenschaft zusammen, um genau die Bedürfnisse der Zielgruppe zu verstehen und zu keinen Bogen. treffen. Einzelne Videos wurden mehr als 15 Millionen Mal abgerufen. Ein toller Erfolg, der weiter anhält.
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Weltzeit 3 | 2021 19 Wenige Monate nach dem Fall K abuls wird deutlich, dass die Menschenrechte in Afghanistan ausgehebelt werden. Umso wichtiger ist es, dass Afghanistan in internationalen und Exil-Medien nicht wieder in Vergessenheit gerät. Afghanistan braucht eine freie Presse
20 T I T E LT H E M A Text Waslat Hasrat-Nazimi, Leiterin, Dari and Pashto Service Mit Schrecken verfolge ich Anfang August die Nachrichten: In Afghanistan fallen die Provinzhauptstädte wie Domino- steine. Agenturen melden: „Die Taliban sind auf dem Vormarsch.“ Für mich und für viele andere, die seit Jahren auf das Land schauen, ist das keine Neuigkeit. Denn seit Jahren haben die militant-isla- mistischen Taliban große Teile Afghanis- tans kontrolliert. Jahrelang warteten sie in den Vororten darauf, aus dem Schatten zu kommen und die Macht an sich zu reißen. Trotzdem war ich erschüttert, als die Taliban in die Hauptstadt Kabul einfielen und den Präsidentschaftspalast besetz- ten. So, wie die meisten Afghaninnen und Afghanen stand ich unter Schock, als die © picture alliance/ZUMAPRESS.com/Lcpl. Nicholas Guevara/U.S. Mari weiß-schwarze Fahne der Taliban gehisst wurde. Wettlauf gegen die Zeit Über Nacht hatten zwanzig Jahre westli- che Intervention ihre Bedeutung verloren. Die meisten NATO-Länder hatten bereits den Großteil ihrer Soldaten abgezogen. Nun begann ein Wettlauf um die Zeit, um bedrohte Menschen aus dem Land zu bekommen. Menschenrechtsaktivisten, Regierungsvertreter, Künstler, Journalis- ten und Sportler: Jede und jeder, die oder der die Möglichkeit bekam, versuchte so schnell wie möglich, Afghanistan zu verlassen. Die Evakuierung dieser und anderer Menschen verlief in einem unvor- stellbaren Chaos, dessen Absurdität und Würdelosigkeit nur durch einen Terror anschlag, die auf ihre Ausreise hoffenden Das Projekt Menschenrechte in Afghanistan wurde nie ernsthaft vollzogen. Stattdessen verfolgte man politische Interessen.
Weltzeit 3 | 2021 21 Menschen am Kabuler Flughafen seinen Afghanistan-Einsatzes war voraus- und US-Soldaten bei der Höhepunkt fand. absehbar. Für die Menschen in Afghanis- Evakuierungsaktion auf Auch wir, die DW, versuchten, unsere tan kommen die Beileidsbekundungen dem Hamid-Karzai-Flughafen Korrespondenten zu evakuieren. Immer und die Bestürzung zu spät. Der Westen in Kabul, Afghanistan. wieder mussten wir herbe Rückschläge hat auf voller Linie versagt. Milliarden einstecken. Erst nach fast einem Monat ge- von internationalen Geldern – Steuer- lang es uns, 72 Menschen über die Grenze gelder der Bevölkerungen westlicher nach Pakistan zu bringen. Ein Hoffnungs- Nationen – wurden in das Land gesteckt. schimmer in dieser so hoffnungslosen Zeit. Vergeblich. Das Projekt Menschenrechte in Afghanistan wurde nie ernsthaft Gefahr für die Presse in vollzogen. Stattdessen verfolgte man Afghanistan politische Interessen. Zum Leidwesen der Bevölkerung. Denn für das Desaster in Afghanistan Und die Bevölkerung ist es, die am sind wir alle verantwortlich. Das Ende des meisten unter der Situation leidet.
22 T I T E LT H E M A Einer ganzen Generation hat man den Boden unter den Füßen entzogen. Frauen werden gezwungen, sich zu verhüllen, nicht zu arbeiten und Mädchen dürfen nicht mehr zur Schule gehen. Enttäuscht und desillusioniert vom Westen, protestie- ren afghanische Frauen im ganzen Land deshalb auf eigene Faust gegen diese menschenunwürdigen Einschränkungen – unter gefährlichen Bedingungen und trotz massiver Einschüchterung durch die Taliban. Der Untergang der afghanischen Medien? Die Bilder von den Protesten kann man hauptsächlich in den Sozialen Medien ver- folgen. Es gibt Berichte über ein Dutzend Journalisten, die über Demonstrationen berichteten und dafür ausgepeitscht und geschlagen wurden. Andere sind Neue Radio angebote für Afghanistan via Kurzwelle Einen Monat nach der Machtübernahme der Taliban startete die DW am 13. September ein Radioprogramm auf Dari und Paschtu via Kurz- welle, um den Hörern in Afghanistan gesicherte Informationen zukommen zu lassen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass auch in diesen ungewissen Zeiten zuverlässige Informationen nach Afghanistan gelangen. DW-Intendant Peter Limbourg: „In Afghanistan sind die Medienvielfalt und der freie Zugang zu unabhängigen Informationen akut bedroht. Die DW hat eine erfahrene und sachkundige Redaktion für die Region, die zusätzlich zu unseren Online- und Social-Media-Angeboten mit einem Kurzwelle- Radioprogramm auf Dari und Paschtu zur besseren Information der Menschen in Afghanistan beitra- gen wird.“ Über die Frequenzen 15230 kHz und 15390 kHz sendet die DW täglich halbstündige Sendungen, um 18:30 Uhr afghanischer Zeit auf Dari und um 19 Uhr afghanischer Zeit auf Paschtu. Debarati Guha, DW Director Programs for Asia: „Die thematischen Schwerpunkte unse- res Programms werden Dialog und Frieden, die Zivilgesellschaft und natürlich Geschlechter- und Menschenrechtsfragen sein. Mit dem neuen Kurz- wellen-Programm sind wir bestens vorbereitet, falls das Internet in Afghanistan abgeschaltet oder einge- schränkt werden sollte. Die DW wird die Menschen dort nicht im Stich lassen und sie weiterhin mit ausgewogenen Informationen versorgen.“
Weltzeit 3 | 2021 23 verschwunden. Etliche Journalisten haben die Chance zur Flucht aus Afghanistan genutzt. Die, die bleiben, verstecken sich oder zensieren sich selbst. Hunderte Über Nacht afghanische Medienanbieter mussten ihre Arbeit einstellen. Die Pressefreiheit hatten in Afghanistan – einst als Erfolgsprojekt in der Region gefeiert – wird nun massiv zwanzig Jahre beschnitten. Ausländische Journalisten, werden vorläufig von den Taliban hofiert. Sie westliche sollen möglichst ein positives Bild nach außen transportieren, damit die neue Intervention Regierung Anerkennung und finanzielle Unterstützung erhält. Gleichzeitig reizt ihre einige Journalisten das Abenteuer und die Möglichkeit, mit den Taliban zu spre- chen, die viele Jahre als unnahbar galten. Bedeutung Eine Falle, in die nicht wenige westliche Journalisten tappen. Das führt auch zu verloren. einer verfälschten und teils obskuren Berichterstattung. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Medienmacher, die Afghanistan kennen, Erfahrung haben und die Sprachen des Landes sprechen, unterstützt werden. Internationale Medienhäuser wie die DW erhalten eine neue Bedeutung. Gleichzeitig müssen Exil-Medien, die von afghanischen Journalisten geleitet werden, unterstützt werden. Diese Medien müssen unabhängig und frei von jeglicher Gewalt und unzen- siert berichten können. Denn nur auf diese Weise können Informationen aus und nach Afghanistan transportiert werden. Nur durch glaubwürdige und anhaltende Be- richterstattung kann auf die Taliban Druck ausgeübt werden. Die 1990er-Jahre, in denen Afghanistan eine Blackbox war, sind Waslat vorbei. Weder die afghanischen Medien noch die Menschen in Afghanistan werden Hasrat- kampflos aufgeben. Nazimi © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Bernat Armangue ist seit 2020 Leiterin des DW Dari and Pashto Service. Sie kam als Kind mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland und ist hier auf- gewachsen. Sie nennt heute beide Länder ihre Heimat. Mit ihrer journalistischen Arbeit in beiden Ländern und der Erfahrung aus ihrer eigenen Integrationsgeschichte baut sie heute Brücken zwischen beiden Kulturen. Ein Straßenhändler @WasHasNaz verkauft Taliban-Flaggen vor dw.com/dari der US-Botschaft in Kabul. dw.com/pashto
24 T I T E LT H E M A Medien im Fadenkreuz Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder für Journalisten: Sie sind zunehmend massiven Einschüchterungen, Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Politiker haben offenbar vor der Gefahr durch kriminelle Kartelle und B anden k apituliert. Text Eva Usi, DW-Redakteurin, Latin America Bürgerwehren in M ichoacán gehen bewaffnet gegen kriminelle Gruppen vor.
25 Weltzeit 3 | 2021 „Ich versichere dir, dass ich dich finden werde, wo auch immer du dich aufhältst“, droht ein Mann in einem Wenn die Video. Er behauptet, Rubén Oseguera Cervantes zu sein alias „El Mencho“, Drogenmafia Anführer des Kartells Jalisco Nueva Generación (CJNG), das seit der Verhaf- jemanden tung des einst meistgesuchten Drogen- töten will, bosses in Mexiko und den USA, El Chapo, 2016 als das mächtigste mexikanische kündigt Drogenkartell gilt. Die Drohung ist an die Fernsehmoderatorin Azucena Uresti sie es nicht gerichtet, aber auch an andere Mitarbei- ter nationaler Medien, etwa der Zeitung lange an. El Universal. Der Mann im Video wirft ihnen eine voreingenommene Bericht- erstattung über die Kämpfe zwischen dem Drogenkartell und Bürgerwehren in Michoacán vor. Das internationale Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) veröffent- lichte kurz darauf eine Erklärung mit der Forderung an die Behörden, der Nach- richtensprecherin Schutz zu gewähren und die Drohungen juristisch zu ver- © picture alliance/AP/Marco Ugarte folgen. Die Organisation hält Mexiko für das gefährlichste Land für Journalisten innerhalb der westlichen Hemisphäre. „Die Gewaltrate gegen Journalisten ist in Mexiko sehr hoch, ebenso die Straflosig- keit. Mehr als 95 Prozent der Verbrechen gegen Journalisten bleiben ungestraft“, so der CPJ-Vertreter in Mexiko, Jan-Albert Hootsen. Hootsen führt das auch auf Abspra- chen zwischen Behörden und
26 T I T E LT H E M A Azucena Uresti ist eine der bekann- testen Journalistin- nen in Mexiko. © picture alliance/dpa/Prensa Uresti Kriminellen zurück, insbesondere auf Eva Usi regionaler und kommunaler Ebene. „Es gibt ganze Gebiete in Mexiko, in denen so viele Gewalttaten passieren, dass man Pressekon- nicht weiß, ob sie von den Behörden oder vom organisierten Verbrechen ausgehen. ferenzen des ist mexikanische Journalistin und kam kurz nach dem Fall der Berliner Mauer Die Gefahr ist so immens, dass viele Medien sich selbst zensieren.“ Präsidenten nach Deutschland, wo sie als Korrespon- dentin für den Sender Televisa (Mexiko) tragen zu arbeitete. Sie hatte zuvor Politische „Die Situation macht paranoid“ Wirtschaftswissenschaft an der Univer- einem Klima sidad Nacional Autónoma de México Das Video mit der Drohung gegen A zucena Uresti sei eine bewusste Ansage der Stigma- studiert. Usi wurde vom Journalisten- club Mexiko für ihre Berichterstattung an das wirksamste Medium im Land – das Fernsehen, sagt Sicherheitsexperte Raúl tisierung der ausgezeichnet. Im Jahr 1999 kam sie zur DW: Hier arbeitet sie auch als Reporte- Benítez Manaut. „Azucena wird durch Sicherheitskräfte geschützt, aber es gibt journalisti- rin für die spanischsprachige TV- und Online-Redaktion. andere Journalisten, die ebenfalls kritisch schen Arbeit über das CJNG-Kartell und seine Macht berichten“, so der Experte. in Mexiko @EvaUsi dw.com/espanol Manaut betont, dass führende Journalisten die Drohungen sehr ernst bei. DWespanol nehmen. „Sie schützen sich, indem sie etwa Reiserouten oder Aufenthaltsorte nicht preisgeben. Die Situation macht paranoid“, sagt Manaut. „Wenn die Mafia jemanden töten will, kündigt sie es nicht lange an.“ Falko Ernst, Mexiko-Beauftragter der International Crisis Group, einer un- abhängigen Organisation, die sich mit Konfliktprävention befasst: „Diese Grup- pen kämpfen nicht nur um Territorien, sondern auch um die Anerkennung in
Weltzeit 3 | 2021 27 der Bevölkerung.“ Deren Rückhalt sei für Präsident in seiner täglichen Morgen die Banden absolut notwendig, um die konferenz einen neuen Tagesordnungs- Kontrolle über sie und damit über ganze punkt ein. Der Titel: „Lügen der Woche“. Es Gebiete zu behalten. geht dabei um die angeblich von mexikani- Sollte hingegen eine kriminelle schen Medien verbreiteten „Fake News“. Gruppe in der Medienberichterstattung „Viele Pressekonferenzen des Präsi- allzu offensichtlich als „Übeltäter“ darge- denten tragen zu einem Klima der Stig- stellt werden, so der Analyst, erhöhe sich matisierung der journalistischen Arbeit der politische Druck, der auch den Staat in Mexiko bei. Das stellt eine ernsthafte zum Handeln zwinge. Bedrohung für die Sicherheit von Jour- nalisten dar, die für die Demokratie in Präsident attackiert die Medien Mexiko unerlässlich sind“, ist Asael Nuche, stellvertretender Direktor der Organisa- Hinzu kommt das schwierige Verhältnis tion Etellekt Consultores, überzeugt. zwischen Präsident Andrés Manuel López Während López Obradors Amtszeit Obrador und Journalisten, denen er wurden laut Regierungsangaben mindes- vorwirft, zu kritisch über seine Regierung tens 68 Menschenrechtsaktivisten und zu berichten. Ende Juni 2021 führte der 43 Journalisten ermordet. Symbolische Aktion: Die Journalistin und Aktivistin Diana Arango mit einer verschmierten Kamera und einer Presseweste in der Hand. Sie protes- tiert vor der mexi- kanischen Staats- anwaltschaft gegen die Ermordung des Journalisten Nevith Condes Jaramillo. © picture alliance/dpa/NOTIMEX/Quetzalli Blanco
28 T I T E LT H E M A Nigeria J ournalismus wird kriminalisiert I hr Protest war laut und deutlich: Ein neues Mediengesetz soll den Mit dem neuen Mediengesetz strebe Informationsminister mit mehr die Regierung einen „Informations- Blackout“ an. „Es geht nicht nur um Befugnissen ausstatten. M edien die Medien, sondern auch um das Recht der Gesellschaft, informiert und gehört schlagen Alarm und haben ein B ündnis zu werden“, hieß es auf den Titelseiten wichtiger Zeitungen des Landes. gebildet mit dem Ziel, die befürchtete Die nigerianische Journalistenvereini- gung (NUJ), die Nigerian Guild of Editors Einschränkung der Meinungsfreiheit (NGE) und der Verband nigerianischer Zei- tungseigentümer (NPAN) veröffentlichten zu verhindern. eine gemeinsame Stellungnahme gegen das geplante Gesetz. „Das ist unsere Art, Widerstand gegen die Reform der Me- Text Flourish Chukwurah, Westafrika-Korrespondentin der DW diengesetze zu demonstrieren“, sagte der NUJ-Vorsitzende Christopher Isiguzo. Bei den umstrittenen Gesetz- entwürfen geht es um die Nationale
29 Rundfunkkommission „Wir sprechen über das Recht auf freie (NBC) und um das Gesetz Meinungsäußerung. Sieht man sich den zur Änderung des nigeriani- Änderungsentwurf kritisch an, wird man schen Presserats (NPC). Beide feststellen, dass einige der darin enthalte- Gesetze wurden 1992 vom nen Bestimmungen sogar darauf abzie- damaligen Militärregime zur len, den Journalismus zu kriminalisieren“, Regulierung der Rundfunk- und sagte Isiguzo. Printmedien in Nigeria erlassen. Die vorgeschlagenen Gesetzesände- Nachfolgende zivile Regierungen rungen würden es Behörden erlauben, änderten und verabschiedeten die festzulegen, wie Informationen veröffent- Reformen, doch das erkennbare Ziel blieb licht werden. Wenn Medienorganisationen eine Zensur der Medien. oder Journalisten sich weigern, dem nach- Seit Nigeria zu einem demokratischen zukommen, könnten sie mit Geldstrafen, Regierungssystem übergegangen ist, Arbeitsverbot oder Gefängnis bestraft haben sich die Journalisten gegen die Ver- werden. suche im Parlament gewehrt, die Medien Nach Angaben des International Press zu kontrollieren. Jetzt sollen die Reformen Center, einer Nichtregierungsorganisation, auch die Befugnisse der NBC und des NPC die sich für die Förderung von Presse im Online-Bereich berühren. freiheit und Demokratie in Nigeria
30 T I T E LT H E M A Flourish Chukwurah ist Westafrika-Korrespon- dentin für die DW in Lagos, Nigeria. Ihre Beiträge sind bei Politik & Kultur, CNN und der New York Times erschienen. Sie hat einen Master in Rund- funk- und Digitaljournalis- mus an der Syracuse Univer sity in New York erworben. @FlourishChukwur Wir sprechen über das Recht der Menschen auf freie Meinungs äußerung. einsetzt, wurden im Jahr 2020 min- gelöscht wurde. Zudem wurden aus Sicht #EndSARS Proteste destens 48 Fälle von Angriffen auf Journa- der Regierung die #EndSARS-Proteste gegen Polizeigewalt: listen und acht Fälle von Angriffen auf gegen Polizeigewalt im Oktober 2020 Landesweit demons- Medienorganisationen dokumentiert. durch Twitter angeheizt. trierten Menschen Die Attacken reichen von körperlichen Die Gesetzesänderung ist ein weiterer gegen die nigeriani- Übergriffen über unrechtmäßige Verhaf- Versuch zu kontrollieren, welche Informa- sche Polizeieinheit tungen bis zur Zerstörung von Kameras tionen die Menschen in Nigeria erhalten Special Anti-Robbery und Dokumenten, sogar bis zur Lebensge- und auf welchem Weg. „Wenn die Rechte Squad (SARS). fahr. Bei den mutmaßlichen Tätern han- der Medien nicht mehr garantiert sind, delte es sich nicht um Kriminelle, sondern bedeutet das, dass die Demokratie ge- um die Polizei, das Militär und andere fährdet ist“, sagte Christopher Isiguzo. parastaatliche Einrichtungen. Nach dem Aufschrei der Medienorga- Nigerias Präsident Muhammadu nisationen wurde der Gesetzentwurf für Buhari zeigte schon immer wenig Toleranz eine Überprüfung und weitere Gespräche gegenüber allem, was seine Regierung in mit den wichtigsten Interessengruppen ein schlechtes Licht rücken könnte. Schon ausgesetzt. Journalisten forderten, dass als Militärmachthaber in den 1980er-Jah- die Nationale Rundfunkkommission NBC ren ließ er Zeitungsredaktionen schließen und der Presserat NPC vollständig aufge- und Journalisten ins Visier nehmen. löst werden und die Regelungen über die Einen Monat vor der Kontroverse um Medien intern gelöst werden sollten. die Gesetzesänderung ließ die Regierung Twitter auf unbestimmte Zeit verbieten. Auslöser dafür war ein umstrittener Tweet des Präsidenten, der von Twitter als beleidigend eingestuft worden war und
Weltzeit 3 | 2021 31 Startschuss für den © Phill Magakoe/AFP via Getty Images DW-TikTok-Kanal in Nigeria Mit einem Themenmix aus Politik, Kultur und „größeren DW-Initiative“, um ein junges Publikum Gesellschaft informiert die DW Jugendliche in dort abzuholen, wo es ist in den Sozialen Medien Nigeria. Mit @DWnews_lagos ist die DW erstmals – sagt Christine Laskowski, die den Nachrichten- mit einem Nachrichtenkanal auf der Social-Media- Account mit entwickelt hat. Plattform TikTok vertreten. In bis zu dreiminütigen Videoclips greift das Erste Wahl für eine junge Zielgruppe DW-Team in Lagos Themen wie die Krise im nigeria- nischen Gesundheitswesen, die Bevölkerungsexplo- „Wenn man Teenager erreichen will, ist TikTok die sion im westafrikanischen Staat oder die Folgen des erste Wahl“, sagt Laskowski. „Da TikTok in den ver- Klimawandels auf. @DWnews_lagos bietet informa- gangenen Jahren so stark in Westafrika investiert tive Beiträge mit einem TikTok-Twist. Und das mit hat, war es naheliegend, den Pilotversuch von unse- Erfolg: Der Account zählt über 21.000 Follower und rem Studio in Lagos aus zu starten.“ Zum Team in über 140.000 Likes. Etwa 80 Prozent des Publikums Lagos gehören Flourish Chukwurah, Favour Ubanyi sind Nigerianer, weitere Nutzende kommen aus und Victor Panwal. Panwal ist ein lokaler Influen- Ghana und anderen westafrikanischen Ländern. cer, der bereits eine Fangemeinde von 1,2 Millionen Auch Nachrichten aus anderen Ländern der Region Abonnenten hat. finden Berücksichtigung. Mit dem Ziel, 14- bis 18-jährige Nutzende zu @DWnews_lagos erreichen, ist der neue TikTok-Account Teil einer
32 T I T E LT H E M A Polen: Die nationalkonservative Regierungspartei PiS schränkt in Polen die Freiheit der Medien weiter ein. Ein besonderer Dorn im Auge ist führenden Politikern der Fernsehsender TVN, der zum US-Konzern Discovery gehört. Text Monika Sieradzka, Redakteurin, DW Polish Als die Partei Recht und ihren Niederschlag finden. Kein schnell auf nationalen Kurs Gerechtigkeit (PiS) 2015 an die Wunder, dass die Partei gleich zu bringen, beanspruchte Macht kam, wurde die „Repo- nach dem Antritt der neuen der private Bereich deutlich lonisierung“ der Medien zu Regierung das öffentlich- mehr Zeit „zur Korrektur“. Im einem der wichtigsten Punkte rechtliche Fernsehen TVP und Dezember 2020 gelang der PiS ihrer politischen Agenda: den polnischen Rundfunk mit ein weiterer Schritt in Richtung Heimische Medien sollen in linientreuen Redakteuren be- „Repolonisierung“: Der staat- polnischen Händen bleiben setzte. Die Berichterstattung lich kontrollierte Ölkonzern Proteste gegen die Gesetzes – und aus polnischer Perspek- des de facto verstaatlichten Orlen kaufte alle polnischen änderung im polnischen tive berichten. Senders trägt propagandisti- Medien der deutschen Ver- Mediengesetz im Sommer Darunter versteht die sche Züge, wie man sie noch lagsgruppe Passau auf. Damit 2021: Die umstrittene Reform PiS nichts anderes als eigene aus den Zeiten des kommunis- sicherte sich die Regierung die könnte die Pressefreiheit wei- nationalkonservative und oft tischen Systems kennt. Kontrolle über 80 Prozent der ter beschneiden und somit antieuropäische Standpunkte. Waren die öffentlich- Lokalzeitungen im Land und die Arbeit des Privatsenders Diese sollen in den Medien rechtlichen Medien relativ über 500 Online-Portale. TVN deutlich einschränken.
Weltzeit 3 | 2021 © picture alliance/NurPhoto/STR 33
34 T I T E LT H E M A „Nach der Übernahme der im Besitz der Verlagsgruppe Passau befindlichen Medien hat die PiS die Medien mit ihr nahestehenden Leuten be- setzt. Journalisten wurden einfach durch politische Propagandisten ersetzt“, sagt Juliusz Braun, Vertreter der © picture alliance/ZUMAPRESS.com/Aleksander Kalka Opposition im Rat der Nationa- len Medien. Damit habe die PiS deutlich gezeigt, dass sie auch nicht vor Eingriffen in den privaten Medienmarkt zurückschre- cke, so Braun. Alarmiert war auch der damalige polnische Ombudsmann für Menschen- rechte, Adam Bodnar: „Das ist ein historischer Moment, der zeigt, dass sich die Regierung in Warschau für einen Kurs entschieden hat, den wir in Ungarn unter Regierungs- chef Viktor Orbán beobachten konnten.“ Die „Repolonisierung“ sollte schließlich den unab- hängigen Sender TVN treffen. Wie ein Damoklesschwert hängen über dem Sender die Drohungen der PiS, die „Kon- Die polnische trolle“ ausländischer Medien- Tageszeitung Gazeta konzerne über die polnischen Wyborcza veröffent- Medien drastisch einzuschrän- licht im Sommer 2021 ken. Da TVN zu 100 Prozent ein Plakat mit dem dem US-Konzern „Discovery“ Logo des unabhängi- gehört, könnte das für den gen Fernsehsenders Sender Konsequenzen bis hin TVN auf dem „Wir zum Entzug der Sendelizenz verteidigen freie bedeuten. Dabei ist TVN der Medien“ steht. Einzige der drei großen Fern- sehsender in Polen, der offen Monika proeuropäisch und liberal berichtet. In den investigativen Sieradzka Sendungen wird der PiS be- sonders genau auf die Finger geschaut. Angesichts der drohenden Einschränkungen Regierung in Polen gewarnt berichtet seit 2016 für die DW aus Polen. hat sich TVN eine Lizenz in den und zur Achtung der Presse- Davor hat sie als Reporterin, Redakteu- Niederlanden gesichert, um freiheit gemahnt. Die Strafe rin und Moderatorin beim polnischen von dort aus das Programm wurde aufgehoben. öffentlich-rechtlichen Sender TVN gear- für polnisches Publikum aus- Am schwierigsten zu beitet, der inzwischen von der PiS-Regie- strahlen zu können. treffen sind die wenigen un- rung kontrolliert wird. Sie ist Autorin Das US-Außenministerium abhängigen Medien, die keine mehrerer Fernsehdokumentationen. Als hatte die Pläne der PiS offen „fremden“, sondern polnische Mitautorin der Dokumentation „Kinder kritisiert – nicht zum ersten Besitzer haben. In der Regel raub der Nazis“ (DW, MDR) wurde sie mit Mal. Als 2017 der Sender für lassen sich nicht aufkaufen, dem Deutsch-Polnischen Journalisten- eine kritische Live-Bericht- und die PiS-Regierung bedient preis 2021 ausgezeichnet. Bei der DW erstattung aus dem Parlament sich verschiedener Methoden, schreibt sie über Politik, Geschichte und in Warschau mit einem Buß- um auch ihnen das Leben die deutsch-polnischen Beziehungen. geld in Höhe von 350.000 Euro schwer zu machen. Staat- belegt wurde, hatte das State liche Institutionen dürfen @mo_sieradzka Department in Washington die inzwischen keine Anzeigen dw.com/pl
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