Infrastrukturen für die Verkehrswende 2021-04 - VCÖ
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Mobilität mit Zukunft 4/2021 Infrastrukturen für die Verkehrswende 3 Dank Impressum Publikationen des VCÖ dienen der fachlich VCÖ Als Autor zu zitieren: fundierten Aufbereitung beziehungsweise 1050 Wien VCÖ, Wien, Österreich Bräuhausgasse 7-9 Medieninhaber, Herausgeber Diskussion von Themen aus dem B ereich T +43-(0)1-893 26 97 und Verleger: Mobilität, Transport und Verkehr. Die Art der E vcoe@vcoe.at VCÖ, 1050 Wien Behandlung der Inhalte und die erarbeiteten www.vcoe.at ZVR-Zahl 674059554 Ergebnisse müssen nicht mit der M einung der VCÖ (Hrsg.): Titelbild: unterstützenden Institutionen und Personen „Infrastrukturen für die Ver- Sarah Duit übereinstimmen. kehrswende“ Lektorat: Karl Regner VCÖ-Schriftenreihe Layout: VCÖ 2021 Gedankt sei allen, die die Herausgabe dieser „Mobilität mit Z ukunft“ Druck: 4/2021 gugler GmbH, Publikation finanziell unterstützt haben. Wien 2021 Auf der Schön 2 ISBN 978-3-903265-11-0 3390 Melk Erstellt durch Beiträge von: • Inhaltliche Mitarbeit • Inhaltliche Inputs • VCÖ-Redaktionsteam Thomas Stütz Thomas Thomas Preslmayr Mördinger Petra Christian Wächter Gratzer David Moosbrugger Lina Sara Mosshammer Telek Andrea Isabelle Willi Weninger Haymerle Nowak Irene Michael Bittner Susanne Schwendinger Formanek Christian Höller Teresa Losonc Holger Edith Heinfellner Zöhrer Ulla Katharina Rasmussen Inserate: Lutzky Furkan BHM Ingenieure Topaloglu Martin Anna Pfitscher Mayerthaler Dorfelektriker Mittelberger GmbH Infineon Technologies Austria AG Lina Wagner Städtebund
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Mobilität mit Zukunft 4/2021 1/2021 Good-Practice Infrastrukturenfür fürdie dieMobilitätswende Verkehrswende 5 Vorwort Infrastrukturpolitik ist Politik im ureigensten Sinn – eine zielgerichtete Gestaltung der gewünschten Foto: privat Zukunft. Politik bestimmt durch technologische, bauliche und rechtliche Infrastrukturen und deren Langlebigkeit ganz stark die Rahmenbedingungen der Entwicklung der Gesellschaft. Infrastrukturen sind ein Vermächtnis an die kommenden Genera- tionen. Das erfordert hohes Verantwortungsbe- wusstsein. So wie Verkehrsinfrastrukturen, die vor Jahrzehnten geschaf- fen wurden, die Mobilität von heute bestimmen, werden die Verkehrsinfrastrukturen, die wir heute schaffen, » die Mobilität von morgen definieren. Wer also Infrastrukturen sind ein Vermächtnis heute überdimensionierte Autostraßen baut, die an kommende Generationen « 40 Jahre und länger das Land prägen werden, legt fest, dass im Jahr 2060 so wie heute der Pkw dominiert. Das widerspricht den Zielen der EU und Österreichs zur Bewältigung der Klimakrise. Klimaneutrali- tät und die erforderliche dramatische Reduktion der CO2-Emis- sionen braucht eine radikale Trendwende, vor allem beim Verkehr. Die verkehrs- und umweltpolitischen Ziele sind klar formu- liert. Verlagerung des Lkw-Verkehrs auf die Schiene und die Energiewende hin zu erneuerbaren Energiequellen werden beteuert. Reduktion des CO2-Ausstoßes, durchgängige Elektri- fizierung des Verkehrs, öffentlich zugängliche Verkehrsmittel als Daseinsvorsorge für alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht oder Einkommenssituation sowie verbesserte Aufenthaltsqualität in unseren Städten finden sich in unzähligen Konzepten. Geld dafür gibt es – durch deutliche Budget-Um- schichtungen weg vom Straßenverkehr. Um das zu erreichen, sind Maßnahmen und Gesetze danach zu überprüfen, ob sie dem Anspruch der Generationengerech- tigkeit genügen. Denn die Automobilität von heute belastet uns und hat uns zu einer Verzichtgesellschaft gemacht. Wir verzich- ten wegen des Straßenlärms darauf, bei geöffnetem Fenster zu schlafen. Wir verzichten darauf, unsere Kinder draußen spielen zu lassen. Wir verzichten auf den unverstellten Ausblick auf Landschaften und Architektur. Es ist Zeit mit dem Verzichten aufzuhören. Die VCÖ-Publikation „Infrastrukturen für die Verkehrswende“ zeigt, dass sich das lohnt. Dr. Willi Nowak VCÖ-Geschäftsführung
www.bhm-ing.com Follow us on Von der ersten Idee bis zur Inbetriebnahme ist Ihr Projekt bei uns in guten Händen. • Schienennetz • Fahrleitung • Straßen • Brücken • Unterführungen • Service-Einrichtungen • Güterumschlag • Hochbauten FELDKIRCH • LINZ • GRAZ • SCHAAN • PRAG VCÖ_Mobilität-mit-Zukunft_90x136mm.indd 1 15.10.2021 16:09:55 Wie Sie den VCÖ unterstützen können Mit Ihren Spenden machen Sie den VCÖ-Einsatz für nachhaltige Mobilität möglich. Mit jeder Spende tragen Sie das VCÖ-Engagement mit. „Unsere Ideen Mit Ihrer Patenschaft ab 150 Euro von heute sind fördern Sie regelmäßig Ihnen wichtige Mobilitätsthemen. Jährlich per Dauer- oder Einziehungsauftrag. die Basis der Mobilität von morgen!“ Mit Ihrer Zukunftspartnerschaft ab 1.500 Euro Mit Ihrem zinsenlosen Darlehen helfen Sie dem VCÖ, seine Projekte vorzufinanzieren. Ihr Geld kommt einem wichtigen gemeinnützigen Ziel zugute. Ihre Spende wirkt! Spenden für die VCÖ-Tätigkeit sind steuerlich absetzbar. Online spenden auf www.vcoe.at 05328 Spenden-Konto: Erste Bank, IBAN: AT11 2011 1822 5341 2200, BIC: GIBAATWWXXX
Mobilität mit Zukunft 4/2021 1/2021 Good-Practice Infrastrukturenfür fürdie dieMobilitätswende Verkehrswende 7 Inhaltsverzeichnis Infrastrukturen in Einklang mit Klimazielen bringen 8 Radinfrastruktur ist stark zu verbessern 13 Bahn für Personen- und Güterverkehr ausbauen 18 Energieinfrastrukturen für den Ladebedarf von E-Mobilität 23 Redimensionierung und Rückbau von Straßen werden in Zukunft wichtiger 28 Verkehrsinfrastrukturen verstärken Klimaeffekte 32 Literatur, Quellen, Anmerkungen 36 VCÖ-Schriftenreihe Mobilität mit Zukunft 40
8 Mobilität mit Zukunft 4/2021 Foto: Irene Bittner Infrastrukturen in Einklang mit Klimazielen bringen Die Mobilitätswende umfasst mehr als nur Dekarbonisierung. Investitionen in den Öffentlichen Verkehr, Radfahren und Gehen bewirken auch eine Entlastung des Kfz-Verkehrs. Straßenausbau verursacht hingegen mehr Verkehr und führt langfristig zu mehr Stau. Genehmigungsverfahren müssen zukünftig berücksichtigen, ob Verkehrsinfrastrukturen klimafit sind. Für die Bevölkerung in Österreich ist klar, dass Österreich hat beim Klimaschutz Nachholbedarf. Treibhausgas-Emissionen Österreichs verursacht der Ausbau von Radwe- gen und Schieneninfra- Der CO2-Ausstoß liegt mit mehr als neun der Verkehrssektor.129 Im Mobilitätsmasterplan struktur Klimainvestitio- Tonnen pro Kopf über dem Durchschnitt der 2030 und im aktuellen Regierungsprogramm setzt nen sind. Straßenausbau widerspricht der Errei- EU-Staaten und ist doppelt so hoch wie im sich Österreich das Ziel, ab dem Jahr 2040 ein chung der Klimaziele. globalen Durchschnitt.115 Rund 30 Prozent der CO2-freies Verkehrssystem etabliert zu haben. Im Jahr 2019 verursachte der Verkehr noch etwa 24 Millionen Tonnen CO2, im Jahr 2020 nahmen Bevölkerung sieht Bau von Autobahnen durch den Verkehrsrückgang infolge der Maßnah- im Widerspruch zu Klimazielen men zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie großer Beitrag Beitrag Widerspruch großer Widerspruch die CO2-Emissionen um 14,3 Prozent auf 20,5 Repräsentative Umfrage Bevölkerung Österreichs ab 16 Jahren im Herbst 2021 (n = 1.220) Millionen Tonnen ab.17, 114 Daran lässt sich leicht Frage: „Leisten folgende Investitionen einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele, erkennen: der Umwelt tut es gut, wenn weniger oder stehen sie im Widerspruch zu diesen?“ Verkehrswege mit dem Pkw zurückgelegt werden. Schienennetz 2% 4% 10 % 9 % Nah- und Autobahnen Mobilitätswende ist mehr als Dekarbonisierung Regional- und Erneuerbare Energien für Antriebe stehen nur in verkehr Schnellstraßen 60 % 34 % 32 % 49 % begrenzten Mengen zur Verfügung. Durch diese 1% 7% Beschränkung bei den erneuerbaren Energien 4% 18 % 31 % reicht es nicht aus, den Kfz-Verkehr auf elektri- 57 % 38 % sche oder andere emissionsfreie Antriebe Radwege Gemeinde- umzustellen.14Zudem gibt es ökologische und Rad- und Schnell- Landesstraßen 44 % Grenzen, wie etwa die Ressource Boden. Öster- verbindungen reich hat das Ziel, den Flächenverbrauch von Quelle: Market 202172 Grafik: VCÖ 2021 derzeit 11,5 Hektar pro Tag auf 2,5 Hektar pro
Mobilität mit Zukunft 4/2021 Infrastrukturen für die Verkehrswende 9 Tag bis zum Jahr 2030 zu begrenzen.38, 126 Auch Beispiele der Mobilitätswende hierfür ist eine weiterreichende Mobilitätswende notwendig. Der Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich setzt zusätzlich zur Dekarbonisierung der Fahrzeugflotten auf weitere Maßnahmen. Mit Hilfe der Digitalisierung soll die Zahl der zurückzulegenden Wege reduziert werden. Foto: Irene Bittner Home-Office könnte dauerhaft die Zahl der zum Arbeitsplatz zurückgelegten Kilometer verrin- gern.17 Bis zu 360.000 Tonnen Treibhausgase ließen sich pro Jahr durch Home-Office und Videokonferenzen in Österreich vermeiden.132 Radschnellwege vom Umland nach Graz Der Ausbau des digitalen Amts bei Bund, Bundes- Bis zum Jahr 2030 wird im Grazer Stadtgebiet und in den Umlandge- ländern und Gemeinden ist eine weitere Möglich- meinden die Bevölkerungszahl um bis zu 20 Prozent wachsen. Begleitet keit zur Verringerung physischer Wege.101 Zentral von einer entsprechenden Verkehrszunahme. Die Radverkehrsoffensive sind Veränderungen im Mobilitätsverhalten. Bis Großraum Graz soll die Verkehrszunahme in nachhaltige Bahnen lenken zum Jahr 2040 soll laut Mobilitätsmasterplan der und auch den innerstädtischen Kurzstreckenverkehr – über 60 Prozent Anteil der im Öffentlichen Verkehr zurückgeleg- der Autofahrten sind kürzer als zehn Kilometer – verstärkt auf das Fahrrad ten Personenkilometer von 27 Prozent im Jahr verlagern. So soll der Radverkehrsanteil im Großraum Graz in zehn Jahren 2018 auf 40 Prozent steigen. Im Güterverkehr verdoppelt werden. Herzstück der Radverkehrsoffensive ist ein übergeord- sollen statt 31 ebenfalls bis zu 40 Prozent des netes Radschnellnetz (A-Netz), das die Umlandgemeinden mit direkten, Transportaufwands auf die Schiene entfallen. schnellen und breiten Verbindungen an die Stadt Graz anbindet. Die Rad- Gleichzeitig sollen in der Personenmobilität 35 verkehrsoffensive soll auch die hohe Feinstaubbelastung im steirischen statt 23 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad oder Zentralraum reduzieren. zu Fuß zurückgelegt werden.17 Attraktivere Infrastruktur wird genutzt induzierten Verkehr schwindet mit der Zeit der Um die Mobilitätsziele bis zum Jahr 2040 zu Geschwindigkeitsvorteil einer neuen oder erreichen, sind heute die Weichen zu stellen. ausgebauten Straße. In der Praxis gut zu beob- Verkehrsinfrastrukturen sind langlebig, dieses achten ist dies bei Autobahnen, die relativ bald Angebot wirkt sich auf die Nachfrage aus. Was nach Fertigstellung zusätzlicher Fahrspuren heute geplant und gebaut wird, ist maßgeblich wieder überlastet sind.33, 54, 63, 73 Im Zeitraum dafür, welche Verkehrsmittel für viele Jahrzehnte 2016 bis 2020 ist das Autobahnnetz in Deutsch- als attraktiv wahrgenommen werden. Neben den land um etwa 200 Kilometer gewachsen, Staus Kosten spielt dabei die Gesamtreisezeit eine sind aber nicht etwa zurückgegangen, stattdessen zentrale Rolle. Wird etwa eine Verbindung haben sich die Staustunden in diesem Zeitraum zwischen zwei Orten durch eine zusätzliche Straße beinahe verdoppelt.50, 111 Dieses Phänomen tritt für Autos attraktiver, nimmt der Autoverkehr zu. selbst in Regionen mit Bevölkerungsrückgang Dieser Zuwachs entsteht entweder auf Kosten auf. So wurde etwa im Ballungsraum Detroit in anderer Verkehrsmittel, anderer Routen oder auch den Jahren 1993 bis 2017 das Autobahnnetz um insgesamt als zusätzlicher induzierter Verkehr, 15 Prozent ausgebaut. Obwohl die Bevölkerungs- wenn aufgrund der Attraktivität der neuen zahl im selben Zeitraum um fünf Prozent Verbindung zusätzliche Fahrten stattfinden.124 gesunken ist, nahmen die Verzögerungen durch Das gilt auch für andere Verkehrsmodi: Radfahren Staus um 45 Prozent zu.121 wird attraktiver, wenn Radwege sicher und vom Dem Effizienz- und Zeitgewinn durch zusätzli- Pkw-Verkehr und den Gehenden getrennt sind. che Straßenkilometer folgt also eine Zunahme der Nachfrage bei der Nutzung dieser Straße. In Mehr Staus durch mehr Straßen der Praxis fahren wegen der attraktiveren Straßenausbau ist auch eine verfehlte Strategie, Straßenverbindung mehr Personen und das um Mobilität zu beschleunigen. Durch den häufiger und auch über weitere Strecken.126 Das
10 Infrastrukturen für die Verkehrswende Mobilität mit Zukunft 4/2021 Das „freigewordene“ Reisezeitbudget wird für Beispiele der Mobilitätswende noch mehr oder längere Fahrten genutzt. Besserer Öffentlicher Verkehr reduziert Staus Der Ausbau des Straßennetzes wirkt der Überlas- Foto: Getty Images / iStock tung der Straßen nicht nachhaltig entgegen. Durch den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs kann es hingegen gelingen. Das sogenannte Downs-Thomson-Paradoxon besagt, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit des Pkw-Ver- kehrs zur Hauptverkehrszeit von der Zeit, mit der Parkgebühr im Einkaufszentrum dieselbe Strecke im Öffentlichen Verkehr Einkaufszentren am Stadtrand stellen dem Autoverkehr gratis große Stell- zurückgelegt werden kann, zusammenhängt. platzflächen zur Verfügung. Pkw-Stellflächen in Innenstädten unterliegen Wird die Attraktivität oder die Geschwindigkeit meist der abgabenpflichtigen Parkraumbewirtschaftung. Diese Wettbe- des Öffentlichen Verkehrs verbessert, benutzen werbsverzerrung muss nicht sein. Die geltende Rechtslage in Österreich mehr Menschen öffentliche Verkehrsmittel statt ermöglicht bereits heute Gemeinden und Städten kostenpflichtige Park mit dem Auto zu fahren. Die Zahl der Autofahr- raumbewirtschaftung auch auf Pkw-Abstellflächen von großen Verkehrser- ten nimmt ab und in Folge kommen die verblie- regern vorzuschreiben, wie etwa Einkaufszentren außerhalb der Gemein- benen Autos auf der Straße zügiger voran.156 dezentren. Das anzuwenden würde die Wettbewerbsverzerrung gegenüber Geschäften in der Innenstadt ausgleichen. In St. Gallen in der Schweiz Infrastruktur beeinflusst den Modal Split gibt es eine solche Regelung bereits. Dort werden die Stellplatzflächen maßgeblich von Einkaufszentren am Stadtrand mit Parkgebühren bewirtschaftet, die Die Effekte, die zu induziertem Verkehr führen ähnlich hoch sind wie jene in der Innenstadt. So wird dem wirtschaftlichen und für die Überlastung von Straßen verantwort- Innenstadtsterben entgegengewirkt. lich sind, lassen sich für Veränderungen zu einem nachhaltigeren Verkehrssystem nutzen. Die Stärkung von Infrastrukturen für Gehen, Radfah- ren und Öffentlichen Verkehr führt dazu, dass In den nächsten Jahren lässt sich auch global beobachten: Über die Jahre sich immer mehr Menschen für diese Mobilitäts- muss es in Österreich zu einer massiven hinweg bleibt das tägliche Reisezeitbudget der formen entscheiden. In der Schweiz nahm das Reduktion der Treib- Menschen, also die Zeit, die ein Mensch pro Tag Angebot von Bahn, Straßenbahn und Linienbus- hausgas-Emissionen kommen, um die UN-Kli- für Mobilität aufwendet, sehr stabil. Die dabei sen gemessen in Kilometer pro Jahr in den Jahren maziele zu erreichen. zurückgelegten Strecken werden jedoch länger.98 2000 bis 2018 um fast 40 Prozent zu. Im selben Zeitraum sind die Fahrten, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, um das C02-Budget fast aufgebraucht Eineinhalbfache gestiegen und es hat sich die Österreichs CO2-Aufnahmekapazität zur Einhaltung des UN-Klimaziels Anzahl an Generalabonnements auf fast eine halbe Million verdoppelt.a Die Anzahl der Das verbleibende CO2- Reicht nur noch bis Halbtax-Abos, die 50 Prozent Rabatt auf die Budget Österreichs, um die UN-Klimaziele 2025 - 2028 Preise im Öffentlichen Verkehr gewähren, stieg erreichen zu können: bei CO2- Ausstoß wie heute um mehr als 40 Prozent auf rund 2,7 Millio- 287 bis maximal 517 Millionen Tonnen. nen.145 In Wien wurde die Radinfrastruktur in den Jahren 2010 bis 2019 verbessert, parallel kam Von 1990 bis 2021 es zu einer 40-prozentigen Zunahme der mit dem wurden von Österreich fast 2.400 Millionen Fahrrad zurückgelegten Wege.75 So ist die Tonnen CO2 emittiert. Umwidmung bestehender Straßen oder Straßen- teile für den Öffentlichen Verkehr, Radfahrende und Gehende eine ressourcenschonende Maß- nahme zur Veränderung des Modal Splits.127 Quelle: Meyer/Steininger 202174 Grafik: VCÖ 2021
Mobilität mit Zukunft 4/2021 Infrastrukturen für die Verkehrswende 11 Asphalt und Beton – zusätzliche CO2-Quellen ihrer Verkehrsleistung deutlich flächeneffizienter des Verkehrs sind, also mehr Menschen auf geringerer Fläche Neben den CO2-Emissionen durch den Betrieb transportieren können.99 von Fahrzeugen verstecken sich im Straßenbau weitere Emissionen, die der Industrie zugerech- Mangelnde Resultate in der Strategischen net werden. In der Deckschicht von Straßen Prüfung im Verkehrsbereich befindet sich entweder Asphalt oder, für höhere Autobahnen und Schnellstraßen unterliegen im Belastungen, auch Beton. Asphalt ist durch den Gegensatz zu Landesstraßen der Bundeskompe- bei der Herstellung nötigen hohen Energieeinsatz tenz und müssen seit dem Jahr 2005 noch vor der besonders CO2-intensiv, auch wenn sich durch Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) einer verschiedene Maßnahmen die Emissionen bei der „Strategischen Prüfung im Verkehrsbereich“ Herstellung reduzieren lassen. Beton wiederum (SP-V) unterzogen werden. Diese ist Vorbedin- enthält große Mengen an Zement, der die gung für die Aufnahme der Autobahn oder übrigen Bestandteile Sand, Kies und Wasser Schnellstraße in das Bundesstraßengesetz (BStG). bindet. Die Zementindustrie gehört zu den Im Zentrum stehen dabei drei Fragen:24, 100 größten Treibhausgas-Emittenten weltweit. Etwa ● Ist eine Straßennetzveränderung auf Bun- sechs bis sieben Prozent der globalen CO2-Emis- desebene überhaupt notwendig? sionen gehen auf sie zurück. Pro Tonne Zement ● Welcher Verkehrsträger beziehungsweise entstehen während der Produktion rund 900 welche Alternative ist am ehesten geeignet, die Kilogramm CO2. Für den Bau von einem definierten Ziele zu erreichen? Kilometer Straße, die sieben Meter breit ist, ● Welche Auswirkungen – vor allem auf die werden bis zu 1.400 Tonnen Zement benötigt Umwelt – lässt ein Ausbau erwarten?24 – dabei entstehen bis zu 1.260 Tonnen CO2.59 Eine Schwierigkeit an der SP-V ist, dass sie Etwa ein Drittel der Emissionen entfällt auf nicht rückwirkend zur Anwendung kommt. Alle den Energieverbrauch für das Brennen des Autobahnen und Schnellstraßen, die vor dem Jahr Zementklinkers, zwei Drittel gehen auf das 2005 bereits im BStG waren, müssen nicht auf Konto des für die Zementherstellung benötigten ihre Eignung überprüft werden. Für viele Mit dem Neubau von Straßen ist es nicht Kalksteins. Dieser oxidiert während der Produkti- Projekte gibt es daher keine Verpflichtung zur getan, etwa die Hälfte on und setzt CO2 frei. Selbst wenn die Energie SP-V. Doch auch in den Fällen, in denen die der jährlichen Ausgaben für das hochrangige für das Brennen von Zementklinker irgendwann SP-V zur Anwendung kommt, wird selten gegen Straßennetz fließen in – etwa dank grünem Wasserstoff – zu 100 Straßenausbauprojekte entschieden. die Erhaltung. Prozent CO2-neutral sein sollte, bleiben zwei Drittel der CO2-Emissionen erhalten.36, 130, 152 Zusätzlich zu den CO2-Emissionen begleiten Ausgaben für Straßenerhaltung den Bau von Verkehrsinfrastrukturen weitere sind massiv gestiegen Umweltauswirkungen. Für die Errichtung eines Ausgaben für Autobahnen und Schnellstraßen Kilometers Autobahn werden bis zu 30.000 1.000 Tonnen Sand benötigt.93 Zudem versiegeln in Österreich (in Millionen Euro) Straßen große Flächen und zerstören das Ökosys- 800 499 tem darunter, die eigentliche Funktion des Bodens 394 geht verloren. Darüber hinaus verursachen sowohl 600 660 Straßenverkehr als auch Schienenverkehr Lärm. 340 Diese negativen Effekte lassen sich teilweise 400 kompensieren, etwa könnten Lärmschutzwände 496 527 zukünftig für saubere Stromproduktion mit 200 363 55,7 % 51,4 % 284 51,6 % Photovoltaik sorgen oder begrünt werden und so 30,1 % das Mikroklima verbessern.4, 87 Beim Materialein- 0 satz sind Infrastrukturen für Öffentlichen Verkehr, 2005 2010 2015 2020 Radfahren und Gehen wesentlich ressourcenscho- Neubau Bauliche Erhaltung Quelle: Asfinag 20202, BMK 202113 Grafik: VCÖ 2021 nender und klimaverträglicher, da sie relativ zu
12 Infrastrukturen für die Verkehrswende Mobilität mit Zukunft 4/2021 Mindestverkehrsnachfrage für hochrangige Beispiele der Mobilitätswende Straßen. Auch fehlte fallweise die vorgegebene hochrangige Bedeutung der Netzveränderung – eine Verbindung zwischen Landeshauptstädten Foto: katatonia82 / Shutterstock oder ein Netzschluss im bestehenden hochrangi- gen Verkehrswegenetz. Laut Rechnungshof finanzierte der Bund hochrangige Straßen, obwohl die Grundlagen dafür nicht vorhanden waren. Ebenso kritisiert wurde, dass bei der Streichung von zwei angestrebten Netzverände- rungen aus dem BStG Abschlagszahlungen in der Flughäfen werden neu genutzt Höhe von 269 Millionen Euro an die betroffenen Aufgelassene Flugplätze eröffnen viele Möglichkeiten. Am ehemaligen Flugha- Bundesländer geleistet wurden. Damit war die fen Stapleton in Denver, USA, wird seit dem Jahr 2001 ein Drittel des ehema- Finanzierung von niederrangigen Straßen ligen Flughafengeländes als öffentliche Grünfläche genutzt. Der andere Teil trotzdem durch den Bund erfolgt. wurde zu einem variantenreichen Wohngebiet mit Fokus auf kurze Wege und Auf Basis der festgestellten Mängel empfahl fußläufige Erreichbarkeit. der Rechnungshof dem Infrastrukturministerium, Der ehemalige Stadtflughafen Tempelhof in Berlin wurde seit seiner Auflassung verstärkt unter dem Blickwinkel einer verkehrsträ- im Jahr 2008 zu einem öffentlichen Park umgestaltet. Das „Tempelhofer Feld“ gerübergreifenden Planung der hochrangigen ist mit 355 Hektar heute die größte Freifläche der Stadt. Verkehrsnetze für Straßen, Eisenbahn und In Frankfurt am Main erwarb die Stadt im Jahr 1992 den „Alte Flughafen“. Die Wasserstraßen zu agieren. Ebenfalls empfohlen Gebäude werden teilweise genützt, etwa als Café im alten Kontrollturm. An- wurde, eine unabhängige Bewertung von Wirt- sonsten entsteht dort nach und nach eine Stadtwildnis, in der sich die Natur schaftlichkeit, ökologischen und sozialen Aspek- die Betonbahnen und Flächen allmählich zurückerobert. ten sicherzustellen und den Umgang mit Einwen- dungen und Öffentlichkeitsbeteiligung transparent zu gestalten.7 Die in Österreich im Empfehlungen des Rechnungshofs zur Jahr 2021 begonnene Evaluierung der Straßen- Behebung der Verfahrensmängel bauprojekte ist eine Chance, diese Empfehlungen Im Jahr 2018 übte der Rechnungshof Kritik an in Zukunft umzusetzen. der Praxis der SP-V. Im Prüfzeitraum des Berichts, in den Jahren 2005 bis 2016, fanden acht solche Verfahren statt. In allen Fällen wurde der Vorschlag der Projektwerbenden in das BStG aufgenommen, obwohl dargestellte Alternativen teilweise besser bewertet wurden. Es gab nach- drücklich negative Stellungnahmen der Umwelt anwaltschaften und Fachabteilungen des Infra- strukturministeriums, die Abweichungen von der Klimaverträglicheren Infra- vorgegebenen Methodik bemängelten. Der Rechnungshof kritisierte, dass das Infrastruktur- strukturen den Vorzug geben ministerium als verantwortliche Behörde in • Investitionen in Infrastrukturen für Öffentlichen mehreren Verfahren solche Abweichungen Verkehr, Radfahren und Gehen leisten einen geduldet und Ermessensspielräume zugestanden Beitrag zur Erreichung der Klimaziele. Daher hatte, die das Ergebnis stark beeinflussten. sind sie zu erhöhen. Dies betraf etwa die Abschätzung der erwarte- • Verkehrsinfrastrukturen prägen das Mobilitäts- ten Verkehrsmengen, die Auswahl der betrachte- verhalten für Jahrzehnte. Jeder Ausbau ist auf ten Alternativen oder die Kosteneinschätzung. So Vereinbarkeit mit den Klimazielen zu überprüfen. lag bei einzelnen geprüften SP-V das prognosti- • Bereits in den Planungsinstrumenten und Ent- zierte Verkehrsaufkommen abschnittsweise unter scheidungsprozessen (etwa SP-V, UVP) ist ein der vom Infrastrukturministerium definierten verpflichtender Klimacheck zu verankern.
Mobilität mit Zukunft 4/2021 13 privat Schwendinger Foto: Michael Radinfrastruktur ist stark zu verbessern Die Klimaziele können nur mit mehr klimaverträglicher Mobilität erreicht werden. Dazu braucht es unter anderem ein attraktives Angebot im Radverkehr. Jetzt getätigte Investitionen in die Radinfrastruktur zahlen sich künftig mehrfach aus. Fünf Kilometer sind mit dem Fahrrad bestens zu Werktagen in Österreich sind kürzer als zehn bewältigen – in Städten ist das Fahrrad auf dieser Kilometer, 40 Prozent sind kürzer als fünf Distanz sogar das schnellste Verkehrsmittel. Mit Kilometer.22 Um dieses Verlagerungspotenzial Elektro-Fahrrädern sind sogar zehn Kilometer ausschöpfen zu können, ist eine attraktive, sichere eine gut machbare Fahrraddistanz. Das Verlage- und komfortable Radinfrastruktur essenziell. rungspotenzial von Pkw-Fahrten auf das Fahrrad Das E-Fahrrad erhöht das Potenzial bewe- ist groß, denn 60 Prozent aller Autofahrten an gungsaktiver Mobilität erheblich, weil dadurch Für gute Radinfrastruk- Attraktivere Infrastruktur macht längere tur nehmen Radfahren- de längere Reisezeiten Radfahrten akzeptabel von bis zu elf Minuten in Kauf. Hauptstraße Nebenstraße Bereitschaft für längere Reisezeit in Minuten 12 10 8 30 11,1 6 4 30 8,6 5,1 5,5 2 4,1 4,3 1,8 0 Tempo 30 Radfahr- Radweg geschützter Tempo 30 verkehrs- Fahrrad- streifen Radfahr- beruhigter straße streifen Bereich 4.463 Teilnehmende, 35.704 gültige Beobachtungen, Online-Befragung. Abfrage zu innerörtlichen Routenalternativen beim Radfahren mit unterschiedlicher Radinfrastruktur (Herbst 2018, Deutschland) Referenzsituation: Straße mit Tempo 50, keine Radinfrastruktur Quelle: DLR 201937 Grafik: VCÖ 2021
14 Infrastrukturen für die Verkehrswende Mobilität mit Zukunft 4/2021 Radfahren ist überregional und international Beispiele der Mobilitätswende Radfahren ist auch weitab von Österreich und großen Städten relevant. Auch überregional wird das Radfahren zu einem immer größeren Thema. Hier ist Österreich Vorreiter und maßgeblich für internationale Zusammenarbeit. Im Mai 2021 Foto: Land Steiermark haben auf Einladung Österreichs Staatsgesandte aus 41 Ländern der paneuropäischen Region die „Vienna Declaration“ unterzeichnet, die sich für eine Priorisierung von sauberer, sicherer, gesun- der und inklusiver Mobilität und die Förderung Lückenschluss durch Radbrücken des überregionalen Radfahrens ausspricht. Es Geh- und Radbrücken schließen Lücken im Geh- und Radwegenetz und wurde auch der „Paneuropäische Masterplan zur schaffen direkte Verbindungen abseits des Autoverkehrs. Förderung des Radverkehrs“ beschlossen. Dieser Im Frühjahr 2011 wurde in Vorarlberg eine Brücke über die Bregenzer fordert neben besserer Infrastruktur und mehr Ach eröffnet, als Herzstück der Radroute Hard – Bregenz. In Zirl in Tirol Verkehrssicherheit für Radfahrende und Gehende verbindet die über den Inn gebaute Geh- und Radbrücke Zirl mit dem auch Radverkehrsstrategien und -pläne in allen Innradweg am Südufer. Das erleichtert das Pendeln mit dem Fahrrad oder Staaten und Radverkehr als Querschnittsmaterie Elektro-Fahrrad in das zehn Kilometer entfernte Innsbruck. in den Bereichen Gesundheit, Infrastruktur und Seit dem Jahr 2019 überbrückt zwischen Gratkorn und Gratwein-Stra- Raumplanung. So soll der Anteil der mit dem ßengel in der Steiermark als Teil des regionalen Radverkehrskonzepts Fahrrad zurückgelegten Wege bis zum Jahr 2030 eine neue Geh- und Radbrücke die Mur. Die Geh- und Radwegbrücke bei im gesamten Gebiet verdoppelt werden.133 Marchegg über die March verbindet Niederösterreich mit der Slowakei und wird im Frühling 2022 fertiggestellt sein. Das 5,9 Millionen Euro teure Infrastruktur entscheidend für mehr Radverkehr Projekt wird zu 85 Prozent aus EU-Mitteln gefördert. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung benutzen das Fahrrad entweder immer wieder im Alltag oder wären daran zumindest interessiert.53 Um diese weitere Strecken auch in hügeligen Gebieten in Menschen anzusprechen – und so den Großteil Mit einem Budget von 100.000 Euro kann den Alltag integriert werden können. Im Jahr der Bevölkerung für das Radfahren zu motivieren sehr viel Radinfrastruk- 2020 wurden erstmals mehr als 200.000 E-Fahr- – ist es wichtig, ein sicheres und komfortables tur errichtet werden, hingegen nur 25 Meter räder in Österreich verkauft. Das entspricht Angebot bereitzustellen. Sichere Infrastruktur Kfz-Straße. einem Marktanteil von über 40 Prozent.143 bedeutet, dass sich die Fahrenden auf einen lückenlosen, nicht nur abschnittsweise ausgebau- ten, Radweg einstellen können. Gute Radinfra- Gemeinden können Radverkehr struktur nimmt zwar auch öffentlichen Raum in Anspruch, ist aber dabei sehr flächeneffizient: Bei kosteneffizient fördern gleicher Leistungsfähigkeit braucht Radinfrastruk- Für 100.000 Euro können Gemeinden folgende Infrastrukturen errichten tur deutlich weniger Platz als der Autoverkehr. 70 Kilometer 1.200 Bei guter Infrastruktur sind Radfahrende Radwegenetz beschildern P Fahrradbügel anschaffen durchaus bereit, eine längere Reisezeit in Kauf zu nehmen. Die Trennung vom Kfz-Verkehr und die Oberflächenqualität der Straße tragen wesentlich zur Verbesserung bei: Für die Fahrt auf einem 20 Kilometer 110 Meter Radweg oder in einem verkehrsberuhigten Radfahrstreifen Radschnellweg Bereich werden fünf bis sechs Minuten zusätzli- markieren che Reisezeit in Kauf genommen und über acht Minuten, um auf einem geschützten Radfahr- bis zu 1 Kilometer Radweg bauen streifen zu fahren. Für eine eigene Fahrradstraße sind Menschen sogar bereit, bis zu elf Minuten Quelle: Bmvit 201721, nrvp.de/Difu 201978 Grafik: VCÖ 2021 länger unterwegs zu sein. Auch gute Instandhal-
Mobilität mit Zukunft 4/2021 Infrastrukturen für die Verkehrswende 15 tung und das Gefühl, vor Kfz-Verkehr geschützt Foto: AnimafloraPicsStock / Shutterstock Beispiele der Mobilitätswende zu sein, spielen eine wesentliche Rolle: Für eine glatte Fahrbahnoberfläche werden bis zu zehn Minuten längeres Fahren geduldet.37 In Radinfrastruktur investieren zahlt sich aus Investitionen in die Radinfrastruktur machen es einfach für die Menschen, kostengünstig und schnell mobil zu sein. Gleichzeitig erhält der Radverkehr – im Gegensatz zum Kfz-Verkehr – die geringsten Zuschüsse der Öffentlichen Hand. Pkw- und Lkw-Verkehr verbrauchen mehr als die Radinfrastruktur in den Bundesländern wird ausgebaut Hälfte aller öffentlichen Subventionen im Ver- Im Land Salzburg wurden regionale Radroutenkonzepte entwickelt und zu kehrsbereich. Radverkehr hingegen erhält nur einem einheitlichen Landesradroutenkonzept zusammengefasst. Der Fokus zwischen einem und fünf Prozent.123 Werden die liegt auf dem Alltagsradverkehr. In den Jahren 2016 bis 2019 wurden externen Kosten, die durch Unfälle, Lärm oder rund 26 Kilometer Radwege errichtet, die meisten entlang von Landesstra- Abgase verursacht und von der Allgemeinheit ßen, im Jahr 2020 sogar 8,5 Kilometer. Seit dem Jahr 2018 wurde das getragen werden, und externen Nutzen, wie unter jährliche Radverkehrsbudget auf sechs Millionen Euro verdreifacht. anderem der gesundheitliche Aspekt beim Das Land Tirol hat seit dem Jahr 2016 160 Radinfrastrukturprojekte ge- Radfahren und Gehen, mitberücksichtigt, kann fördert. 157 Kilometer Radwege wurden neu gebaut oder saniert, der 220 der Nutzen beim Radfahren bis zu elfmal höher Kilometer lange Innradweg erstmals befestigt. Radwegeprojekte mit einer als die investierten Kosten sein. Für Bremen etwa Länge von 142 Kilometer sind noch vorgesehen. betrugen in den Jahren 2009 bis 2011 die externen In Niederösterreich gibt es seit dem Jahr 2021 eine neue Strategie für Kosten des Radverkehrs 15,7 Millionen Euro, der aktive Mobilität. Diese sieht die Errichtung von 200 Kilometer Radschnell- durch Radverkehr für die Stadt entstandene wegen vor, das wird mit einem neuen Förderregime unterstützt. externe Nutzen 134,1 Millionen Euro.123 Noch recht neu ist auch der Radmasterplan in Kärnten, der im Jahr 2020 Für Radverkehrsinfrastruktur ist das Geld einer präsentiert wurde. Unter anderem sieht er vor, dass das Landesbudget für Gemeinde effizient ausgegeben. Mit 100.000 Euro überregionale Radwege jährlich mindestens zwei Millionen Euro umfassen können wesentliche Verbesserungen im Radver- soll, um das Radwegenetz um 280 Kilometer zu verlängern. Auch mehr kehr erzielt werden. Damit ist es etwa möglich, bis öffentliche Fahrrad-Abstellplätze in Form von Fahrrad-Boxen soll es geben. zu einen Kilometer Radweg zu bauen, 70 Kilome- ter Radwegenetz als Leitsystem zu beschildern oder 240 Radfahrtrainings anzubieten.21 Breite Radwege dienen nicht nur den Radfahrenden, sie erlauben es auch, dass der Anteil des Güterver- Städte entwickeln Radwegenetze weiter kehrs, der sich auf Transport-Fahrräder verlagern Die Fahrradstadt Kopenhagen hat sich zum Ziel lässt. gesetzt, den Anteil des Radverkehrs bis zum Jahr Neben den finanziellen Vorteilen verbessert 2025 für Arbeitswege von 43 Prozent auf 50 regelmäßiges Radfahren die Gesundheit. Die Prozent zu erhöhen. Dafür setzt die Stadtverwal- Lebenserwartung erhöht sich um 3 bis 14 tung besonders auf die Verbesserung der Monate, wenn Menschen sich dafür entscheiden, Infrastruktur. Die Radwege sollen breit und regelmäßig mit dem Fahrrad statt mit dem Pkw sicher sein, eine hohe Kapazität und die kürzest- zu fahren.32 Das Radfahren beeinflusst auch die möglichen Verbindungen aufweisen.28 Zudem Psyche positiv. In den Niederlanden sind Er- können Radfahrende in Kopenhagen, die mit 20 werbstätige, die regelmäßig mit dem Rad in die Kilometer pro Stunde unterwegs sind, von der Arbeit fahren, durchschnittlich einen Tag weniger Schaltung einer Grünen Welle profitieren.39 im Krankenstand. Könnte der Anteil der radfah- Oder das Radverkehrsnetz in Münster: Es renden Arbeitsbevölkerung um ein Prozent umfasst etwa 473 Kilometer, das sind fast erhöht werden, würden sich die Unternehmen eineinhalb Meter pro dort lebender Person. Dafür dort rund 27 Millionen Euro pro Jahr sparen.119 werden in der Stadt 39 Prozent aller Wege mit
16 Infrastrukturen für die Verkehrswende Mobilität mit Zukunft 4/2021 Rad-Schnellverbindungen verstärken das Netz Beispiele der Mobilitätswende auf Freilandstrecken Rad-Schnellverbindungen sind in Österreich eine neue Kategorie in der Netzhierarchie der Radinfrastruktur. Sie verbinden meist zwei oder Foto: Getty Images / iStock mehr Gemeinden sowie Regionen möglichst direkt, mit wenig Kreuzungen und weitgehend ohne Umwege miteinander. Die Trassierung soll möglichst auf eigenen Flächen erfolgen und in eine Richtung mehr als zwei Meter, bei Zweirich- tungsradwegen mindestens vier Meter breit sein. Donauradweg – Mehrwert nutzen In Österreich können sich Gemeinden seit Juli In den vom Donauradweg berührten Staaten wird das Fahrrad auch für die 2020 durch die Kombination zweier Förderun- Alltagsmobilität verstärkt thematisiert. So fokussieren im Projekt „Danube gen, einerseits ein kommunales Investitionspro- Cycle Plans“ Österreich und acht weitere Staaten auf den Radverkehr gramm, andererseits eine klimaaktiv-Förderung im Donauraum als wichtigen Baustein für nachhaltige Alltagsmobilität. für Rad-Schnellverbindungen, Rad-Schnellverbin- Bis zum Jahr 2022 werden auf Basis gemeinsam entwickelter Leitfäden dungen mit bis zu 100 Prozent vom Bund nationale Radverkehrsstrategien erarbeitet, die in manchen der Staaten fördern lassen.95 noch fehlen. Eine gemeinsame Radfahrstrategie für den Donauraum Das europäische Interreg-Projekt „Chips“ hat wird ebenfalls entwickelt. Radwegenetze werden festgelegt und über die einen Vierstufen-Ansatz für die Planung und Staatsgrenzen hinweg zu einem donauweiten Netz verbunden. Das Projekt Umsetzung von Rad-Schnellverbindungen „EcoVeloTour“, das auf die drei Säulen Ökotourismus, Öffentlicher Ver- erarbeitet. Nach einer Potenzialanalyse und kehr zur An- und Abreise und Fahrradnutzung während des Urlaubs setzt, Festlegung geeigneter Korridore folgt die Planung entwickelt nachhaltige Tourismusprodukte für den Donauraum, eine der und Errichtung. In einer dritten Stufe sollen wichtigsten Radtourismusregionen Europas. Kampagnen und bewusstseinsbildende Maßnah- men gesetzt werden, zum Abschluss wird der Gesamtprozess evaluiert.78 In einer Analyse im Rahmen dieses Projekts zeigt sich, dass das Infrastruktur ist ein wichtiger Faktor für die dem Fahrrad zurückgelegt.23, 109 In Wien Potenzial für Radschnellwege in Österreich vor Verkehrsmittelwahl. Mit hingegen, wo der Radverkehrsanteil unter zehn allem im Einzugsgebiet rund um größere Städte dem Budget für einen Kilometer Autobahn kön- Prozent liegt, gibt es pro Person gerade einmal und Ballungszentren hoch ist.9 In Niederöster- nen über 20 Kilometer einen halben Meter Radwegenetz. reich wurde im Rahmen des EU-Projekts ein Radschnellwege gebaut Netz mit Potenzialregionen für Rad-Schnellver- werden. bindungen erarbeitet.96 Die Wirkung von Rad-Schnellverbindungen Radschnellwege kosten einen Bruchteil auf die Verkehrsmittelwahl sowie der positive von Autobahnen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft ist in Studien belegt. Wird ein Weg mit dem Rad Ein Kilometer der folgenden Infrastrukturen kostet 20 zurückgelegt, werden damit 11 von 17 der 18 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) der 16 Vereinten Nationen unterstützt.31 Neben der Millionen Euro 14 Verlagerung von Pkw-Fahrten auf das Fahrrad 12 kann es auch zu einer Entlastung im Öffentlichen 10 18,6 Verkehr kommen, dadurch wird Platz für 8 6 Pendelnde mit weiten Routen geschaffen. 4,0 4 International – wie etwa in den Niederlanden, 2 0,9 der Schweiz, in Deutschland aber auch in Städten 0 wie beispielsweise London – haben sich Rad- Autobahn Hauptverkehrsstraße Radschnellweg Schnellverbindungen etabliert. In Kopenhagen Quelle: nrvp.de/Difu 201977 Grafik: VCÖ 2021 wurden bis Anfang des Jahres 2021 zwölf
Mobilität mit Zukunft 4/2021 Infrastrukturen für die Verkehrswende 17 Rad-Schnellverbindungen mit einer Gesamtlänge um das Fahrrad mitzuführen, muss verbessert von 197 Kilometer errichtet.30 Die Anzahl an werden. Drei Viertel der Befragten gaben an, dass Menschen, die diese Verbindungen nutzen, steigt sie die Kombination Fahrrad und Bahn häufiger jährlich. Auch der volkswirtschaftliche Nutzen ist nutzen würden, gäbe es in den Zügen mehr Platz beachtlich: Einer Investition von 295 Millionen für die Fahrräder und allgemein einfachere Euro steht ein Nutzen von 765 Millionen Euro Buchungs- und Reservierungsvorgänge.139 So gegenüber.31 kann das Fahrrad sowohl für die Bewältigung der ersten wie der letzten Meile(n) genutzt werden. Weniger ist oft mehr – die bestehende Bereits jede vierte radfahrende Person in Infrastruktur bestmöglich nutzen Österreich kombiniert das Rad regelmäßig mit Mehr Radwege, Lückenschlüsse im Radwegenetz öffentlichen Verkehrsmitteln. Da sich das und längere Strecken sind auf jeden Fall notwen- Mobilitätsverhalten kontinuierlich ändert und dig, um die erwünschte Steigerung des Radver- dem Fahrrad eine immer stärkere Bedeutung kehrs herbeizuführen. Doch in Österreich ist zukommt, sollte auch die Anbindung per Fahrrad bereits eine Fläche, die fünfmal der Fläche von als Faktor in die ÖV-Güteklassen aufgenommen ganz Wien entspricht, für Verkehr versiegelt.138 werden, damit Haltestellen mit guten Zu- und Daher sollte, wo immer möglich, auf einen Abfahrtsrouten für den Radverkehr bessere Neubau verzichtet werden. Stattdessen sollten Güteklassen erhalten.93 Mit dem Fahrrad vergrö- Teile der bestehenden Pkw-Infrastruktur schmä- ßert sich das Zehn-Minuten-Einzugsgebiet einer ler ausgeführt werden. Der freiwerdende Platz Haltestelle im Vergleich zum Gehen von 1,5 Qua- kann für einen Radweg am Rand einer Landes- dratkilometer auf 20, mit einem Elektro-Fahrrad straße genutzt werden, ein Teil der freiwerdenden sogar auf bis zu 40 Quadratkilometer.16 Derzeit Fläche kann renaturiert werden und dadurch werden nur Taktung und Fußwegsdistanz in den einen Abstand zwischen Pkw-Verkehr und ÖV-Güteklassen berücksichtigt. Radfahrenden schaffen, um die Sicherheit für den Radverkehr zu gewährleisten. Bahn und Fahrrad verbinden Soll die Verkehrswende gelingen, ist ein möglichst einfacher Ein- und Umstieg zwischen Bahn und Gute Radinfrastruktur als Basis für die Rad erforderlich. Dafür braucht es hochwertige Radrouten zu den Bahnhöfen. Abstellanlagen in Mobilitätswende hoher Qualität, das heißt witterungsgeschützt, • Eine sichere und komfortable Infrastruktur ist die Basis für ein attrak- diebstahlgeschützt, gut beleuchtet und leicht tives Angebot im Radverkehr. Mit einem dichteren Radverkehrsnetz zugänglich, sind wichtige Voraussetzungen für ein steigt der Wege-Anteil mit dem Fahrrad. wirksames Zusammenspiel der beiden Verkehrs- • Investitionen in den Radverkehr zahlen sich im Vergleich zum Kfz- mittel. Mit gut ausgebauter Stellplatzinfrastruktur Verkehr volkswirtschaftlich deutlich stärker aus. Sie ermöglichen bei kann jede Bahnhaltestelle stark an Attraktivität geringeren Investitionen Mobilität für mehr Menschen, gleichzeitig gewinnen. In der Stadt Groningen in den haben sie hinsichtlich Umwelt und Gesundheit volkswirtschaftlichen Niederlanden stehen den Radfahrenden am Nutzen. Bahnhof knapp 12.500 Abstellplätze zur Verfü- • In Österreich soll der Radverkehrsanteil bis zum Jahr 2025 auf 13 Pro- gung. Zum Vergleich: In Graz, wo ungefähr zent erhöht werden, gleichzeitig soll der Anteil an Pkw-Fahrten sinken. 50.000 mehr Menschen leben als in Groningen, Dazu braucht es ein bundesweites, koordiniertes Investitionskonzept. gibt es am Hauptbahnhof nur etwa 1.300 Fahrrad-Abstellplätze.79, 108 • Radfahrten sind oft Teil multimodaler Mobilitätsketten. Qualitativ hoch- In einer im Jahr 2020 durchgeführten Erhe- wertige, diebstahlsichere Fahrrad-Abstellplätze oder Fahrrad-Boxen an bung des VCÖ erklärten über 80 Prozent der Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs sind daher ein wichtiger Faktor, Teilnehmenden sichere Abstellplätze zum um den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen. Infrastruktur, die die Mit- Pendeln mit dem Fahrrad für „unbedingt nahme von Fahrrädern in öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtert, ist notwendig“.137 Auch die Infrastruktur in Zügen, ebenso zentral.
18 Mobilität mit Zukunft 4/2021 Foto: Andreas Morlok / pixelio Bahn für Personen- und Güterverkehr ausbauen Die EU möchte bis zum Jahr 2050, Österreich bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein. Im Green Deal setzt die EU-Kommission bisher nur einen starken Fokus auf den Klimaschutz und Straßenbauprojekte. Um Klimaneutralität zu erreichen, sind auch die für die Verlagerung notwendigen Kapazitäten im Schienennetz bereitzustellen. Durch Bevölkerungszunahme und Wachstum der oder verstärktem Home-Office ab. Klimaneutrali- Wirtschaftsleistung wird in den nächsten Jahr- tät ist nur mit Verkehrsvermeidung erreichbar. zehnten eine Steigerung des Verkehrsaufwands Dort, wo Verkehr nicht vermieden werden kann, Fast die Hälfte der Bahnstrecken in erwartet. Ob und in welchem Ausmaß der ist es nötig, auf energieeffiziente Verkehrsträger Europa ist noch nicht Verkehrsaufwand zunimmt, hängt auch von wie die Schiene zu verlagern. elektrifiziert, der Ausbau schreitet nur Strategien zur Verkehrsvermeidung wie beispiels- schleppend voran. weise lokaler Produktion statt Übersee-Importen Verdoppelung des Schienenverkehrs bis zum Jahr 2050 in der Netzplanung berücksichtigen Die ÖBB arbeiten momentan an der Umsetzung Elektrifizierung und Ausbau des des Zielnetz 2025+, welches im Jahr 2011 Bahnnetzes in Europa beschleunigen beschlossen wurde.105 Derzeit wird auch am Zielnetz 2040 gearbeitet, das bis zum Jahr 2023 vorliegen soll.80 Der endgültige Beschluss sollte 2019 56 % 229.710 möglichst bald erfolgen. Selbst zentrale Bahnpro- Anteil der Elektrifizierung (30 Staaten in Europa) Bahnnetz in Kilometer 2018 55 % 229.650 jekte für die Verlagerung auf die Schiene, etwa der viergleisige Ausbau der Westbahn zwischen 2017 55 % 230.150 Linz und Wels oder eine Nord-Süd-Stadtbahnver- bindung durch Linz, sind seit Jahrzehnten Gegen- 2016 55 % 229.600 stand politischer Diskussionen und immer noch 2015 54 % 229.850 nicht in Umsetzung.69 Bei der Erstellung des Zielnetz 2040 ist es auch 0% 50% 100% zentral, genau zu analysieren, welche Strecken wie Österreich: 72 % elektrifiziert Schweiz: 100 % elektrifiziert stark auszubauen sind, um den zukünftigen Quelle: IRG-Rail 202162, EC 202143 Grafik: VCÖ 2021 Anforderungen zu entsprechen. Denn nicht nur
Mobilität mit Zukunft 4/2021 Infrastrukturen für die Verkehrswende 19 beim Personenverkehr ist zumindest mit einer Beispiele der Mobilitätswende Verdoppelung des Schienenverkehrs zu rechnen. Auch beim Güterverkehr zeigt sich am Beispiel Foto: Steiermärkische Landesbahnen des Nordbahn-Korridors, dass zur Erfüllung der EU-Zielsetzungen im Rahmen des Green Deals das Straßengüterverkehrsaufkommen bis zum Jahr 2050 um 70 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 reduziert werden muss. Im Gegenzug ist bei Eintreten der Verkehrsprognosen das Schienen- güterverkehrsaufkommen zu verdreifachen.70 Im neuen Zielnetz sind auch für den Güterver- kehr entsprechende Kapazitäten vorzusehen. Bahnstrecke in Weiz verlängert Aufgrund der langen Umsetzungszeiträume sind Die Strecke Gleisdorf – Weiz bindet seit dem Jahr 1889 die Bezirksstadt die Planungen umgehend zu beginnen. Auch Weiz an die Ostbahn in der Steiermark an und ist seit dem Fahrplanwech- bestehende Straßenbauprojekte sind vor dem sel im Jahr 2011 in das Netz der Steirischen S-Bahn eingebunden. In den Hintergrund dieser Verlagerungsnotwendigkeit Jahren 2016 bis 2019 wurde die Bahnstrecke durch die Weizer Innenstadt auf deren künftige Notwendigkeit zu beleuchten. zu den Industriestandorten und Schulen in Weiz Nord verlängert. Es wur- Die nötige Verkehrsverlagerung auf die Schiene den auch die Betriebszeiten in der Früh und am späten Abend sowie auch kann nur in Szenarien abgeschätzt werden. Je am Wochenende ausgeweitet. Gemeinsam mit dem abgestimmten Regi- nach Szenario „mit Wachstum“ oder „ohne onalbusverkehr wird die Region besser erreichbar und die Bahn für Pen- Wachstum“ des Verkehrsaufkommens und delverkehr auch bei Schichtarbeit oder für Freizeitfahrten am Wochenende unterschiedlichem Einsatz von Antriebstechnolo- attraktiver. Die Verbindung wird von der Bevölkerung gut angenommen. gien im Straßenverkehr ist in Österreich bis zum Jahr 2050 eine Erhöhung der Beförderungsleis- tung auf der Schiene um 100 bis 200 Prozent im Personenverkehr sowie um 100 bis 400 Prozent im Güterverkehr gegenüber dem Jahr 2017 zu Fahrten mit dem Öffentlichen Verkehr ist das erwarten.82, 155 Vorhandensein eines Schienenverkehrssystems. Im Rahmen des Zielnetzes 2040 ist das Bahnnetz Jedes regionale Zentrum soll gut mit Bahn und prioritär dort zu verdichten, wo durch Anbindung Bus erreichbar sein an Ballungszentren mit hoher Nachfrage gerech- Ein bedeutender Faktor in der Planung des net werden kann. Begonnene Projekte wie die Zielnetzes ist die Flächenabdeckung der Bahn. Verlängerung der Wiener Straßenbahnlinie 25 Momentan ist jede fünfte Stadtgemeinde in nach Groß Enzersdorf mit Anbindung an die U2 Österreich nicht mit dem Zug erreichbar. oder die Linzer Stadtbahn nach Gallneukirchen Insgesamt sind davon 40 Städte betroffen, in und Pregarten sind rasch umzusetzen.86, 102 Die denen insgesamt mehr als 160.000 Menschen Reaktivierung der Bahnlinie von Leoben über leben, etwa Güssing oder Pinkafeld im Burgen- Donawitz nach Trofaiach für einen S-Bahn-Ver- land. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen kehr kann gegenüber der Busverbindung eine den Bundesländern. In Salzburg, Tirol und Komfortsteigerung durch umsteigefreie Direkt- Vorarlberg sind alle Städte mit der Bahn erreich- verbindungen nach Graz oder ins Mürztal bar, während im Burgenland nur jede zweite Stadt bringen. In Kärnten könnte die S-Bahn-Linie von auf der Schiene zu erreichen ist. Klagenfurt nach Weizelsdorf bis zum Jahr 2023 Die fehlende Bahnanbindung vieler Städte ist elektrifiziert werden und auf bestehender ein Hemmnis. Hohe Bevölkerungszahlen und Bahninfrastruktur um knapp sechs Kilometer eine hohe Bevölkerungsdichte von Siedlungen nach Ferlach verlängert werden. sind Voraussetzung dafür, dass ein dichtes Bereits umgesetzt wurden etwa die Verlänge- Angebot geschaffen werden kann und der rung der Salzburger Lokalbahn von Trimmelkam Öffentliche Verkehr von der Bevölkerung gut nach Ostermiething und die Traunseetram in angenommen wird. Ein weiterer Faktor für viele Gmunden.3, 122, 146
20 Infrastrukturen für die Verkehrswende Mobilität mit Zukunft 4/2021 Wohn- und Betriebsgebiete nur bei entsprechen- Beispiele der Mobilitätswende der Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmit- teln gewidmet werden dürfen. Darüber hinaus Foto: Zillertaler Verkehrsbetriebe AG können sie aber auch Richtlinie für Verkehrsver- bundorganisationen sein, wo bei entsprechendem Potenzial Angebote verbessert werden sollen. Verdichtung und flächendeckende Elektrifizierung des Bahnnetzes Das aktiv genutzte Schienennetz in Österreich liegt mit 59 Kilometer pro 1.000 Quadratkilome- Lkw-Transporte auf die Bahn verlagern ter über dem EU-Durchschnitt, der bei 45 Im Jahr 2012 übernahm die Kleinregion Traisen-Gölsental die 16 Kilome- Kilometer pro 1.000 Quadratkilometer liegt.112 ter lange ÖBB-Bahnstrecke Freiland-St. Aegyd/Neuwald, verhinderte die Dennoch bleibt viel Luft nach oben. Die Schweiz Einstellung und betreibt die Strecke als Anschlussbahn für Güterverkehr. kann hier als Vorbild dienen: Das aktiv genutzte Jährlich werden dort 4.000 Lkw-Fahrten durch die Gemeinden vermieden. Schienennetz der Schweiz hat eine Länge von Auf der Zillertalbahn wurde Anfang des Jahres 2021 wieder der Güter- etwa 98 Kilometer pro 1.000 Quadratkilometer transport aufgenommen. Mit Hilfe des neuen Transportsystems samt Neu- Fläche.113 Ähnlich wie in Österreich mit etwa bau des Güterverladeterminals in Jenbach wurden bereits im ersten Be- sieben Prozent wird in der Schweiz etwa 7,5 triebsmonat rund 23.300 Tonnen Holz nach Jenbach befördert und 2.250 Prozent der Fläche als Siedlungsraum genutzt, die Lkw-Fahrten vermieden – 20.000 Lkw-Fahrten sollen es pro Jahr werden. Staaten sind auch topografisch vergleichbar. Auch die Firma Schrott- & Metallhandel Weiss im Land Salzburg hat ihre Während in der Schweiz die Länge des Schienen- Anschlussbahn mit einer Gleislänge von 3,25 Kilometer im Jahr 2020 netzes vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2018 um 25 reaktiviert. Prozent zugenommen hat, hat in Österreich im gleichen Zeitraum die Länge um fast 13 Prozent abgenommen. Die Schweiz weist auch als einziges Land in Europa einen Elektrifizierungs- ÖV-Güteklassen – mehr als nur ein grad von 100 Prozent auf, Österreich liegt mit Informationsinstrument seinem Elektrifizierungsgrad von 72 Prozent Rückschlüsse auf das Angebot im Öffentlichen zwar deutlich über dem Schnitt der EU von 56 Verkehr liefern die ÖV-Güteklassen.92 Zur Prozent, fällt jedoch im Vergleich stark ab.61 Analyse wird das Angebot nach den angebotenen Insgesamt hat die Länge der elektrifizierten Verkehrsmitteln und dem Bedienintervall Bahnstrecken der Staaten in Europa im Zeitraum aufgeschlüsselt. So wird eine Haltestelle in eine 2015 bis 2019 um nicht einmal ein Prozent pro der sieben ÖV-Güteklassen eingeordnet.141 Die Jahr zugenommen. Die Gesamtlänge des Schie- ÖV-Güteklassen zeigen, wie viel Aufholbedarfes nennetzes in der EU ist nicht gestiegen, während bei Infrastruktur im Öffentlichen Verkehr noch das „Trans-European road network“ (TEN-T gibt. Etwa 15 Prozent der Bevölkerung Öster- Road) im gleichen Zeitraum um 2.000 Kilometer reichs hat demnach nicht einmal eine Basiser- länger geworden ist.26, 27 Die Steigerung des schließung mit Haltestellen des Öffentlichen Elektrifizierungsgrades ist einerseits auf Neu- Verkehrs, die vier Mal täglich bedient werden, zur baustrecken, andererseits auch auf die Elektrifi- Verfügung.140 zierung von Bestandsstrecken zurückzuführen.113 Die ÖV-Güteklassen sind ein gutes Analyse Vor allem Staaten in Südosteuropa haben eine und Informationsinstrument, haben bisher aber sehr geringe Netzdichte, in Griechenland keine verbindliche Wirkung. Für die Verbesserung beispielsweise nur 17 Kilometer pro 1.000 im Öffentlichen Verkehr ist es notwendig, dass Quadratkilometer. Auch beim Elektrifizierungs- sie verbindlich in die örtliche wie überörtliche grad liegen die Staaten im Osten Europas teils Raumplanung einfließen. Die ÖV-Erschließungs- noch weit zurück: Litauen beispielsweise weist qualität kann eine Richtlinie für die Raumord- mit nur acht Prozent einen sehr niedrigen nung und Flächenwidmung vorgeben, indem Elektrifizierungsgrad auf.144
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